H. Clauren
Die Gränz-Kommission
H. Clauren

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7.

Was sollte ich unter den fremden Menschen, die sich in der mir so eben schmerzlich verpönten Freude des Widersehens einander abschmatzten und mit tausend Kreuz- und Queerfragen nach lauter mir unbekannten Leuten und Dingen sich gegenseitig bestürmten! Ich schlich mich, nach den ersten Begrüßungen, bei denen der Director mich als seinen Reisegefährten und als ein erzlustiges Haus vorgestellt hatte, höchst mismüthig und erzunlustig in den, vor der Thüre befindlichen Blumengarten und schmollte mit mir, mit dem Geschick, mit der ganzen Welt.

Auf einem, von Je länger je lieber und Jasmin rund umschatteten Rasenplatze spielte ein kleines, ungefähr dreijähriges Mädchen – wie ich später erfuhr, die Tochter einer, aus dem nächsten Städtchen zum Besuche gekommenen Beamtenfrau.

Dem Kinde mochte die Zeit so lang und leer werden, als mir. Es antwortete auf meine freundliche Frage: was es da mache, ein naives »Nichts« pflückte ein Paar Gänseblümchen, reichte sie mir mit einem treuherzigen »Da« und mit einem Gesichte, als ob es mir eine Welt schenke, und unsere Bekanntschaft war gemacht. Auf dem Bleichplatze, meinte es im Laufe des Gesprächs, gäbe es noch viel schönere Blumen; ich verstand den Wink und bat, mich dahin zu führen.

Daß das Kind mir vom Engel der Liebe gesendet worden, daß es mich leiten solle zum süßesten Genusse dieses Abends, wo hätte ich es ahnen können! Und doch mußte ein ganz entferntes Gefühl der Art mir in der Brust sich regen, denn ich ward von den Banden meines Mismuths gelös't, ich ward meiner Verstimmung Herr, ich ward heiterer, je mehr ich mit dem Kinde kos'te. »Ihnen ist das Himmelreich« hat der Heiland unser Herr gesagt, und ich fühlte, mein kleines trauliches Mädchen auf dem Arm, die Wahrheit dieses heiligen Wortes. Die Herzigkeit, mit der sich das Kind an mich, den Steinfremden anschmiegte, wie that sie mir so wohl; es schlang sein Händchen um meinen Nacken, und hörte die schönen Geschichten, die ich ihm erzählte, mit einer Aufmerksamkeit an, als wollte es sie auswendig lernen, und in der Spiegeltiefe seiner klaren, ehrlichen Augen lag ein so reiner fester Ankergrund von Glauben, Unschuld und Liebe, daß ich das kleine holde Wesen innig an mein Herz drückte und das Glück, ein solches Engelsbild sein Kind nennen zu können, zum erstenmale recht tief und lebendig fühlte.

8.

Wohl blühten auf dem Bleichplatze der bunten Wald- und Wiesenblumen viele Tausende; der Floßkanal glitt, die Sünden seines Inspectors schweigsam duldend, mit zahllosen Klafterscheiten bedeckt, langsam dem hohen Erlengebüsch zu, das unten die Matte begränzte; eine alte Frau begoß die endlos langen, über den frischen üppigen Rasen gespannten Stücke Leinwand, zwischen denen gelbe Kuhblumen und weißer Schaafkümmel und Butterblümchen sich lustig empor gedrängt hatten; und als das Wasser aus der Gießkanne in zarten Sprühregen auf die, von der Sonnenhitze des Tages, scharfgetrocknete Leinwand, sanft rauschend sich ergoß, da war es mir, als sehne auch ich mich nach gleicher Erfrischung und Kühle für das, in süßer Liebesgluth verschmachtende Herz.

Mein klein Hannchen, das in seiner himmlischen Gutheit die Stille, die mich auf einmal überrascht hatte, für eine vielleicht durch sich unabsichtlich bewirkte Mißstimmung halten mochte, streichelte mir mit beiden Händen die Wangen, und drückte sein rosenknospengleiches Zuckermündchen auf meine Lippen und bat, ich solle nicht böse seyn, und wenn gleich das taubenfromme Surogatküßchen, das ich auf diese Weise bekam, noch lange kein Ersatz für den Kuß war, nach dem sich in dem Augenblicke, meiner selbst vielleicht unbewußt, meine geheimsten Wünsche in der Erinnerung meines heutigen Heiligenbildes sehnten, so that mir doch die weibliche Zartheit, mit der das Mädchen schon im frühesten Kindesalter des Mannes rauhe Unfreundlichkeit zu lindern sich bemühte und die Schuld meiner vermeintlichen Verdrüßlichkeit zu tragen glaubte, so wohl, daß ich es, um ihm auch wieder eine Freude zu machen, bat, bei der großen Bleichwanne, die bis an den Rand gefüllt dicht bei uns stand, einen Augenblick zu verweilen, an das Ufer des Floßkanals eilte, mir eine Hand voll Binsen und ein Paar Erlenzweige abschnitt, daraus eine ganze Heerde der zierlichsten Enten fertigte und diese, zum unaussprechlichen Jubel des Kindes, in die große Bleichwanne vom Stapel ließ. Meine Binsenentchen schwammen keck und gewandt auf dem ovalen Wasserspiegel unseres Bleichfasses umher; jetzt ordnete ich sie in Reihe und Glied, und nun wollten wir sehen, welches von der stattlichen Heerde, getrieben von den leisen Lüftchen des Abendwindes, das erste drüben am entgegengesetzten Ende der Wanne seyn werde. Hannchen bestimmte schon im Voraus der besten Schwimmerin ein Stück Zucker, und ich sah selbst mit stillem Vergnügen dem langsam beginnendem Wettlauf zu und stierte, den Athem an mich haltend, mit unverwandtem Blicke auf die kristallklare Wasserfläche, und auf dieser spiegelte sich, wie durch unbegreifliche Zauberei, ein Mädchenkopf, wie schöner ihn kein Maler gemalt, sanft schmachtendes Feuer in den großen himmelreinen Liebessternen, fein gewölbte Augenbraunen, in der Lilienwange ein rosiges Grübchen, im lächelnden Munde der Perlenschmelz kleiner blendendweißer Zähne, und auf den frischen Lippen des höchsten Liebreizes Purpurgluth; weder Hut noch Häubchen bändigten das seidene Rabenhaar, das, von blühenden Blumen durchflochten, auf den Marmorhals in leichten Ringellocken niederwallte, und an die jungfräuliche Schwanenbrust schmiegte sich ein liebreizendes Knäblein, das linke Aermchen um des Mädchens Liliennacken geschlungen, und den Blick und den Zeigefinger der kleinen rechten Hand auf meine schwimmende Heerde gerichtet. Die schönste Madonne mit dem heiligen Kinde im Arme! Vom süßesten Entzücken überrascht, flog mein Auge vom zauberischen Spiegelbilde auf und zu dem Original hinüber, und in der seligsten Verwirrung über das unerwartete Glück, Strohhütchen hier vor mir zu finden, und in der eiligsten Angst, den schüchternen Engel, der sich bey meinem Aufblicke schnell wendete und sich wieder entfernte, zum Stehen und Sprechen zu bringen, preßte ich mir in aller Geschwindigkeit die Frage ab: ob ihr auch ein Entchen gefällig sey. Ein kicherndes Spottgelächter einer vorüberziehenden Herren- und Damengesellschaft aber war meine Antwort, und schaambedeckt schlug ich mein Auge nieder in die Bleichwanne und sprach, um nur nicht aufzusehen, mit meinem kleinen Hannchen, und that, als ob diesem nur und keinem andern meine Frage gegolten habe. Ich hätte mich vor Aerger über mich selbst unter die Leinwandenden vor mir auf dem Bleichplatze verstecken mögen! Wie hatte ich nur den Kopf so gänzlich verlieren und das geistreiche Mädchen mit einer so albernen Frage anreden können! war es denn möglich, eine fadere, eine dümmere zu erdenken? Wie ausgezeichnet hatte mich mein Glückstern begünstigen wollen! Er führt mir das Mädchen selbst zu; er drängt es von der Gesellschaft zu der es gehörte, zu mir, und die Neugierde des Knaben, meine schwimmende Entenflotte zu sehen, gibt seiner holden Trägerin einen schicklichen Vorwand, sich mir zu nähern und die heute früh, über dem schwarzen Mohrenbilde angeknüpfte Bekanntschaft fortzusetzen. Das Natürlichste wäre gewesen, daß ich die beiden Kleinen durch mein Kunstwerk zu unterhalten gesucht hätte, ohne zu thun, als beachtete ich das schöne Mädchen im Geringsten, dann wäre die übrige Gesellschaft auch heran gekommen; ein Wort hätte das andere gegeben, ich wäre auf jeden Fall eingeladen worden, den Spaziergang mit ihnen gemeinschaftlich zu machen, und ich hätte in diesem Kreise, in Strohhütchens Nähe, einen Götterabend verlebt. Dort gingen sie hin! meine zauberholde Wundergestalt in der Mitte zweier jungen Herren. Scherz und Frohsinn schwebten über der eleganten Karavane! ich hörte sie aus der Ferne noch plaudern und lachen! vielleicht – wahrscheinlich – gewiß lachte man noch über mich und meine Entchen! Eins nach dem andern ging auf einem schmalen geländerlosen Steige über den breiten Kanal. Strohhütchen gab den Knaben an einen Bedienten und tanzte darüber! zwei muthwillige Fants traten auf die Bohle und wippten, daß sie hoch auf und niederschwankte. O – wär doch Strohhütchen in das Wasser gefallen – zehn Sätze, und ich wäre am Kanal gewesen, wäre hineingestürzt und hätte sie gerettet, aber keck und luftig schwebte sie über den Wasser, erhielt sich mit der zartesten Anmuth im Gleichgewichte und gelangte unter lautem Beifallshalloh der Umstehenden, an das jenseitige Ufer. Noch eine halbe Minute, und alle waren im Erlenwäldchen verschwunden, und auf meinem Bleichplatze, von dem auch die alte Bäuerin gegangen, war es einsam und still. Im benachbarten Dörfchen läutete es zum Feierabend und der sanfte Schimmer der untergehenden Sonne vergoldete die Wipfel der schlanken Erlen, die meinen schmachtenden Blicken die holde Zaubergestalt verbargen; hatte mich meine Eitelkeit nicht zum Besten, so – gewiß will ich es nicht behaupten, aber es ist mir so, als ob das süße Kind, ehe es in das Wäldchen getreten, sich noch einmal umgesehen, ob aber dieser Blick dem kleinen Knaben, oder mir gegolten – mit beiden Händen hatte ich mich auf den Rand der Bleichwanne gestützt; dicht vor mir war der Fleck, wo ich das reizende Madonnenbild im Wasserspiegel erblickt hatte; ich beugte mich herab, um die Stelle leise mit den Lippen zu berühren, um – nur wer in seinem Leben das schmerzliche Wehe ungestillter Liebessehnsucht gefühlt, wird die kleine Thorheit entschuldigen, – um das Mädchen Wunderhold im entschwundenen Bilde zu küssen, da drückte Hannchen, das mir gegenüber an der Wanne stand, im ausgelassenen Muthwillen kindischer Neckerei, mit beiden Händen mir rasch den Kopf in das Wasser, daß meine ganze Entenheerde, von der schnellen und gewaltsamen Bewegung des Wannenoceans scheu geworden, rechts und links auseinander stiebte, und ich, Mund, Nase, Ohren und Augen voller Wasser, aus dem unvermutheten Sturzbade auffuhr, weder hören noch sehen konnte, und über den tollen Streich des schäkernden Kindes das sich über mein Bruschen und Schütteln und Schnauben halb todt lachen wollte, am Ende selbst mitlachen mußte.

9.

Ueber die Heilkraft des kalten Wassers hatte ich früher einmal ein dickes englisches WerkWahrscheinlich Medical raports on the effects of Waters etc. II Vol. gelesen aber anschaulicher hatte sie sich mir nie erwiesen, als heute; Hannchen hatte mich mit ihrem Douchebade radikaliter kurirt; die Liebesgrillen, die mich den ganzen Tage geplagt hatten, waren verstoben und verflogen, wie vorhin meine Binsenenten; Hannchen bekam zum Recompens für ihren Schabernack eine ganze Tracht Wasser über das kleine Schelmengesicht und den milchweißen Nacken, und mit der rosigsten Laune kehrte ich, auf den uns aus dem Floßinspectorat herüberschallendem Ruf: »zu Tische!« mein Wassernixchen auf dem Arm, nach Hause.

10.

Strohhütchens Abschiedsblick im Herzen, und ihr unbeschreiblich reizendes Madonnenbild auf dem Bleichwannenspiegel vor der Seele, hatte ich für die bei der Tafel links neben mir sitzenden Christine kein Auge; ich nahm Theil am immer lebendiger werdenden Tischgespräche, ließ mir die zahllosen Gerichte, mit denen uns Mama Floßinspectorin regalirte, trefflich schmecken, trank aus Liebeskräften in den köstlichen Wein, von dem in steigender Progression hinsichtlich der innern Güte, immer eine bessere Sorte nach der andern entpfropft wurde, und gewann, ohne es zu wollen und zu ahnen, durch meine Gleichgültigkeit, gegen Christinchen und durch die Gerechtigkeit, die ich der Meisterküche der Mama und dem hochachtbaren Keller des Papas's widerfahren ließ, beider unbedingtes Wohlwollen; Hannchens Mutter fühlte sich für die Gesellschaft, die ich ihrer Kleinen auf dem Bleichplatze geleistet, mir verpflichtet, und entledigte sich ihres Dankes durch die ausgezeichneteste Freundlichkeit; der Herr Schleusenmeister mir gegenüber, wollte sich über meine Schnurren, wie er meine kurzweiligen Tischreden nannte, vor Lachen immer kugeln, die Ehrenfrau Schleusenmeisterin hielt meinem modischen Anzuge eine beifällige Lobrede; der Herr Oberfischverwalter meinten, daß ich gar nicht so wäre, wie die andern hochnasigen jungen Herren aus der Residenz; die Frau Oberfischverwalterin bedauerte zu wiederholten malen, daß ihr Sohn, der Geheime Hof-Jagd-Zeugwärter heute nicht hier sey, mit dem ich ganz ein Gespann seyn würde, und mein Director schmunzelte zu allen dem höchst gloriös, als ob er sagen wollte, daß er es sey, der diesen Oberhofspasmacher in das Haus eingeführt habe; Christinchen aber ließ kein lautes Wort von sich gehen, aß und trank wenig, verzog, wenn die andern vor Lachen platzen wollten, keine Miene, und schlug, wenn sie den schalkhaften Blicken der Gegenübers und Tischnachbarn begegnete, das Auge still verlegen auf den Teller nieder.

Zehnmal hatte ich schon fragen wollen, wer doch wohl die Gesellschaft gewesen sein mögte, die vorhin über den Bleichplatz gewandelt, und zehnmal, ob Niemand aus dem Kreise die ältliche Dame gekannt, die heute Nachmittag in dem großen Englischen Reisewagen hier vorbeigefahren; aber immer war es mir, als verrathe ich das Geheimniß meines Herzens, als müsse gleich Jedermann die Absicht meiner Frage errathen, die ich, das fühlte ich im Voraus, – mit der nöthigen Unbefangenheit nicht über die Lippen würde gebracht haben. Der Oberfischverwalter kam den Wünschen meiner Wißbegierde entgegen. Mitten im Lachen über unser fröhliches Tafelgespräch rief er aus: »da wette ich doch einen ganzen Zentner grüner Aale gegen eine Handvoll Karauschenbrut, daß die drüben in Schilferode mit ihrer alten Gräfin heute nicht halb so vergnügt sind, als wir hier.« Ich preßte mir die Gelegenheit ergreifend, schnell die Erkundigung nach dem genannten Schilferode und nach der erwähnten Gräfin ab, und hörte dann, daß jenes das benachbarte Rittergut sey, von dem der Schloßthurm sich aus dem Erlenbusch jenseits des Kanals erhob, daß der pensionirte General von Frohburg den Sommer über sich mit seiner Familie dort aufhalte, und daß die stadt- und landberüchtigte Gräfin Wurschen, auf der Reise nach ihren Gütern an der Gränze, heute dort zum Besuche angekommen sey.

Hanchens Mutter, die mir diese an sich völlig gleichgültig scheinenden Mittheilungen machte, wußte nicht, welches Feld von Aussichten und Spekulationen sie mir damit aufschloß; das Rittergut der Gräfin, Waitzenlinde, lag auf der Gränzlinie, zu deren Berichtigung mit dem Nachbarstaate der Justizdirector mit mir kommissarisch beauftragt war, bestimmt reiste sie jetzt dorthin, um den sie allerdings sehr nahe betreffenden Verhandlungen in Person beizuwohnen; unsere Geschäfte dauerten dort mehrere Tage, vielleicht Wochen; ich wohnte diese ganze selige Zeit über mit meiner Madonna Bleichwanniosa unter einem Dache, aß mit ihr täglich an einem Tische und schwelgte nun im Stillen in der Reihe überglücklicher Stunden, die ich in der Nähe dieses zauberischen Mädchens zu verleben gedachte; während dieser spekulativen Berechnung meiner wonnigen Zukunft, ergoß sich die ganze Tafelrunde in den bittersten Unmuth über das Treiben und Walten der alten Wurschen; da wußte doch jedes von ihr etwas Gehässiges zu erzählen; der Director versicherte, daß sie fast vor allen Gerichten des Landes beständig über mehr denn hundert laufende Prozesse schweben habe, von denen sie in der Regel keinen gewinne, und bestimmt alle verlöre, wenn die Gegner immer die Mittel dazu hätten, den Rechtsstreit durchzuführen. Fast in jeder Provinz des Reichs hätte sie eine bedeutende Besitzung, aber überall sey sie in Händel verwickelt, weil sie sich auf die schaamloseste Weise der widerrechtlichsten Mittel bediene, um ihr unermeßliches Vermögen noch immer mehr zu vergrößern. Einen Pächter mitten in der Pachtzeit außer Kontrakt zu setzen, weil er, bei günstigen Konjuncturen, nach ihrer Meinung zuviel verdiene, sey ihr ein Kleines; und einen andern, der bei ungünstigen, den Pachtschilling nicht zur Stunde berichtigen könne, ohne alles Erbarmen, auf dem Flecke vom Hofe zu jagen, ein eben so Leichtes. Hatte ich doch selbst einen Beitrag zu der eben nicht erfreulich klingenden Schilderung ihrer Prozeßsucht zu liefern, denn ich entsann mich jetzt aus den Jahren, als ich, um mich im Praktischen des Gerichtswesens einzuüben, bei einem der berühmtesten Advokaten in der Residenz, beim alten Justizrath Brummer, arbeitete, eines Prozesses, den ihr eigener Pfarrer gegen sie wegen einer Wiese führte, deren Nutzung auf jährlich 400 Thaler gerichtlich erwiesen war, und die sie ihm, unter dem nichtigen, mit keinem einzigen Beweismittel erhärteten, sondern lediglich aus der blauen Luft gegriffenen Vorwande, daß in früherer Zeit die Wiese dem Dominio gehört, daß sie vom damaligen Grundherrn, dem damaligen Pfarrer, aus persönlichem Wohlwollen, blos auf Lebenszeit überlassen, und von dessen Nachfolgern, daher misbrauchsweise benutzt worden sey, vor der Nase weggenommen, und seit zwanzig Jahren wie ihr Eigenthum angesehen, daß ich in diesem Prozesse selbst gearbeitet, und ihn fast bis zum Ende glücklich durchgeführt habe, vor dem Schlusse desselben aber von meinem Advokaten weggegangen sey, und daher nicht wisse, was aus der Geschichte geworden! »Oh!« fiel mir der Oberfischverwalter in das Wort, »mit dem Ende dieser Historie kann ich aufwarten; der alte Pfarrer hieß Ehrhard –« Christinchen schlug, als rolle ein schwerer Donner über sie weg, den Blick tief nieder und alle am Tische schielten unvermerkt auf sie – »ein kreuzbraver ehrlicher Mann; die Wiese gehörte zur Pfarre, wie die Nase hier zu meinem Gesichte; aber er konnte den Prozeß aus Mangel an Mitteln nicht fortführen, das Konsistorium, in dem die alte Gräfin auch ihre Freunde hatte, ließ ihn im Stiche und so benutzt sie heute noch die Wiese, auf der ein Gras wächst, wie lauter Sallat.«

11.

»Ist denn Lindchen noch nicht unter die Haube gebracht?« fragte der Director, und schob ein Stück Stachelbeerenkuchen in den Mund, daß ihm die Sauce aus beiden Mundwinkeln wieder herauslief.

»Wer soll da wohl die Kourage haben, anzuklopfen,« entgegnete der Herr Floßinspector. »Ein Prinz muß es wenigstens seyn; denn die Alte trägt die Nase gar hoch und hält das einzige Kind in überspanntem Preise.«

»Aber solcher Mädchen giebt es auch nicht viele,« sagte Hannchens Mutter, »erstlich kann die Tugend selber nicht tugendhafter seyn; wer Rosalindchen sieht, ohne es zu kennen, wird es bei seinem demüthigen Wesen, und bei seiner knechtischen Furcht vor dem Isegrimm, der gnädigen Mama, eher für deren Kammermädchen, als für eine Comtesse Wurschen halten; dann ist die junge Gräfin doch ohne alle Frage das schönste Mädchen im ganzen Lande; als ich sie das letztemal sah, ich denke doch wahrhaftig, ein lebendiges Marienbild steht vor mir; und endlich das grausamliche Vermögen von wenigstens einer Million, – liebster Herr Floßinspector, ein solcher Fisch ist selten. Junge Offiziere, vom Lieutenant bis zum Major, die sich alle einbildeten, ihr bischen zweierlei Tuch wäre ein Zaubermittel, dem keine weibliche Kreatur widerstehen könne, haben sich schon Körbe geholt zu Dutzenden, und von Civilisten hat es noch gar keiner gewagt, nur von fern hinzuhorchen.«

Also Gräfin!

Alle Träume, alle schmeichelnde Aussichten, alle geheime Hoffnungen! – sie waren mit einemmale geschwunden, mit ihnen meine Laune; ich eilte nach der endlich aufgehobenen Tafel zu Bette; in dieser von der wirthlichen Floßinspectorin hoch aufgethürmten Daunenwelt fand ich mein verlornes Glück wieder; was die kühnste Phantasie für unerreichbar hielt, verwirklichte mir diese glückliche Nacht; ein langjähriger Prozeß unsers landesherrlichen Hauses ward mir zur Führung übertragen; ich avancirte während desselben von Stufe zu Stufe und endlich, zur Belohnung meiner außerordentlichen Dienste, beim Ende des wichtigen Rechtsstreits, durch den der Monarch eine unermeßliche Summe Geldes gewann, zum Justizminister; die alte Gräfin Wurschen fand sich in meinem Antrage, ihre engelgleiche Rosalinde zur kleinen Excellenz zu machen, höchlich geschmeichelt, und eben erklangen zur festlichen Brautpolonaise, die der blutjunge Herr Minister mit der niedlichen Frau Ministerin Excellenz aufzuführen im Begriff standen, vom hohen Orchester herab, die Baßposaunen, als ich aus der Tiefe meines Götterschlafs erwachte, und allmählig munterer geworden, zu meinem bittern Leidwesen bemerkte, daß der dicke Justizdirector meine vermeintliche Polonaisenposaune geblasen hatte, er schnarchte in der Tiefe des allergrößesten Kontrabasses. Aergerlich über die unwillkommene Störung in meinem Hochzeitballe und in den stilleren Freuden, die nach diesem meiner warteten, schloß ich meine müden Augen wieder, und nicht lange darauf hörte ich Feuer schreien; das ganze gräfliche Schloß zu Waitzenlinde stand in vollen Flammen; die alte Wurschen war sammt Bologneser und Nachtigallaffen schon zu Asche verbrannt, Rosalinde rang, nach Hülfe rufend, die Hände zum Fenster hinaus; mit einem Muthe, den nur die Liebe stählen kann, warf ich eine himmelhohe Leiter an die glühenden Wände des Schlosses, erstieg die schwankende Leiter, gegen welche die des Erzvaters Jakob ein Kinderspiel war, mit Blitzesschnelle umfaßte die kleine Gräfin, welche die Pracht ihrer tausendfältigen Liebesreize mit dem in der Eile übergeworfenen Morgenmantel zu verhüllen, sich vergebens bestrebte, und brachte sie die gefahrvolle Fahrt glücklich herab; schon auf der zwanzigsten Sprosse gab die gerettete Dankbare dem kühnen Brautwerber das Jawort der ewigen Treue, und auf der dritten von unten drückte ich ihr unter dem Plätschern der Sturmfässer und unter den zischenden Strahlen der Schlauchsprützen den Verlobungskuß auf die Lippen. Übersüßt von der Würze dieses Honigmündleins durchschauert von der Fiebergluth ihres brennenden Liebesblicks schlug ich die Augen auf – da stand, von der Morgensonne beleuchtet, der dicke Director vor dem Waschtische und goß aus einem zierlichen Porzellainkruge sich frisches Wasser in das Becken, das war das Plätschern und das zischende Strahlen der Schlauchsprützen gewesen! Verdrüßlich, von dem unwillkommenen Störenfried zum zweitenmale entzaubert und in die wirkliche Welt geworfen zu sein, in der die fünfundzwanzigjährigen Justizminister und die Verlobungen auf den Feuerleitern zu den Fabeln der alten Wunderzeit gehören, streckte ich mich in meinem weichen sibaritischen Lager lang aus, und wollte noch ein wenig zu schlummern versuchen, vielleicht, daß der Gott der Träume, der mich zweimal so schelmisch geneckt, mir doch noch beim dritten Zuspruch einen Weg zeigte, das unmöglich Scheinende möglich zu machen und Rosalindens Hand zu gewinnen; aber der unausstehliche Director trieb zum Aufstehen, meinte, wir hätten zehn Meilen heute bis Waitzenlinde zu machen, und hätten daher keinen Augenblick zu versäumen, sprach, wahrscheinlich, um mich schneller munter zu machen, von dem Götterleben, das wir auf dem gräflichen Schlosse führen würden, von dem unmenschlichen Keller, den der selige Graf vor langen Jahren dort angelegt, von der reichbesetzten Tafel, die wir dort zu erwarten, von dem paradiesischen Park, von dem geschmackvollen Gartenkabinet der jungen Gräfin, das aus dem Schlosse gleich in diesen Park führe, von ihrer sonstigen Gewohnheit, bis tief in die Nacht hinein in den weitläuftigen Parthieen dieses Feengartens allein zu lustwandeln, von ihren vorurtheilsfreien Standesansichten und von ihren, zum großen Aerger der alten adelstolzen Mutter, in seiner Gegenwart oft widerholten Aeußerungen, daß, wenn sie einmal heirathe, sie auf keine Konvenienz, sondern lediglich auf ihr Herz Rücksicht nehmen werde, und ich flog in die Kleider, jagte das bischen Frühstück hinunter und trieb mit ängstlicher Eile zum Aufbruch, denn der gesuchte Traumgott war mir ja wachenden Leibes erschienen – mein dicker Director war mein Schutzgeist. Das Schicksal hatte mich unwiderruflich mit Rosalinden zusammengeführt, ihr Scheideblick aus dem Erlenbusche hatte mir gegolten, o hätte ich nur das von dem fatalen Entchen nicht gesagt.

»Nu, Abschied müssen wir von unserm vortrefflichen Wirth doch wenigstens nehmen, sagte lachend der Director, als er meine dringende Hast bemerkte; am wenigsten dürfen Sie – ich darf – ich muß es Ihnen sagen, – am wenigsten dürfen Sie fort, ohne Christinchen ein freundliches Lebewohl gesagt zu haben; die ganze gestrige Gesellschaft ist einstimmig der Meinung, daß Sie, und kein anderer – lachen Sie nur nicht, die Sache ist wahrhaftig ernsthaft; die Aeltern haben Sie liebgewonnen, die Mutter ist ordentlicherweise in Sie vernarrt; Sie haben Ihre Rolle meisterhaft gespielt, für Sie war Christinchen so gut wie nicht da; kein Wort haben Sie mit ihr gewechselt, und als Christinchen späterhin kein Auge von Ihnen verwandte, thaten Sie, als bemerkten Sie es gar nicht; wie ich das Mädchen kenne, sind Sie mit Ihrem fröhlichen Sinne, mit Ihrem – Männer, wie wir, schmeicheln sich einander nicht, wenn sie zusammen über Gegenstände so wichtiger Art unter vier Augen sprechen – mit Ihrem gefälligen Aeußern, mit Ihrer feinen Tournüre, der Einzige, der im Stande ist, ihr die dumme Lieutenantsgeschichte aus dem Kopfe zu treiben.«

»Was für eine Lieutenantsgesch –?« wollte ich mit gespannter Neugierde fragen, aber der Director ließ mich nicht ausreden. »I da ist« fiel er mir in das Wort – »haben Sie nicht gemerkt, wie verlegen sie ward, als vom Pfarrer Ehrhard in Waitzenlinde die Rede war, der hat einen Sohn, ein junges, gewandtes Bürschchen; das studirte bis an den Hals, konnte wegen ermangelden Fonds das akademische Leben nicht fortsetzten, ging im letzten Kriege mit zu Felde, avancirte bis zum Lieutenant, und kam mit zwei tüchtigen Ehrenwunden bedeckt nach Hause. Schon während der Universitätsjahre hatte er mit Mamsell Christinchen geliebelt, dieses hatte ihm heimlich das Jawort gegeben, und jetzt kam er mit seinem Antrage um des Mädchens Hand förmlich angestiegen. An sich war an dem Musje nichts auszusetzen, er hatte sich im Felde brav gehalten, genoß die Achtung seiner Kameraden und war unbescholten in Sitte und Wandel. Aber, lieber Gott, ein blutarmer Lieutenant wollte den Eltern nicht munden. Geradezu konnte und mochte man den Patron nicht vor den Kopf stoßen; es hieß also, daß man im Allgemeinen gegen die Verbindung der jungen Leute nichts einzuwenden habe, aber, da Christinchen ohne hin noch sehr jung sey, wünsche man, daß sie so lange ausgesetzt bleibe, bis der Herr Lieutenant Ehrhard zum Kapitain avancirt wären; dieser hatte bis dahin noch sieben Vorderleute, hoffte in längstens zwei, drei Jahren am Ziele zu seyn, und fügte sich in den unbiegsamen Entschluß der Eltern. Nach der Beschwichtigung dieses ersten Sturms, fing die Mutter an, heimlich zu kabaliren; sie machte dem Regimentschef durch die dritte, vierte Hand bemerklich, daß Ehrhard der einzige Bürgerliche in seinem Offfziercorps sey; mit einer, auf den rechten Fleck gelegten nicht unbedeutenden Geldsumme unterstützte sie ihre Wünsche, und diesem kam eine Unpäßlichkeit, eine Folge der Kriegsstrapazen, die den armen Teufel gerade während der Exerzierzeit länger, als ein Vierteljahr dienstunfähig machte, recht willfährig entgegen. Wegen fortwährender Kränklichkeit, wie es in der Ordre hieß, ward er zur vierten Invaliden-Kompagnie nach Krüppelwalde versetzt, und nun ist die Mutter ihres Versprechens so gut als los und ledig, denn ehe seine Vorderleute, lauter eisenfeste, ausgepichte Soldatenmagen, das Zeitliche segnen, vergeht ein halbes Jahrhundert. Die ganze Geschichte hat mir gestern Abend noch der Oberfischverwalter gesteckt, und jetzt ist mir auch erklärlich, warum Christinchen, als es hörte, wie freundlich Sie sich des alten Pfarrers angenommen, Ihnen auf einmal so zugethan schien und mit wohlgefälligem Blicke auf Ihnen fortwährend verweilte. Sie haben das Mädchen weg; greifen Sie zu; 100,000 Thaler findet man heut zu Tage nicht leicht auf der Straße; die Ausstattung wird fürstlich, und an dem Mädchen selber ist nichts auszusetzen; Sie kommen, – die Alte hat noch aus der Hofzeit ihre Konnexionen – Sie kommen in das Ministerium, und bei Ihrer Jugend und Ihrem Fleiße, sehe ich Sie, wenn ich es erlebe, noch einmal als unsern Herrn Justizminister. Unser jetziger hat auch klein angefangen und war gleichfalls bürgerlicher Abkunft . . .«

Da hatte ich ja meinen Traum! Was mir die vom gestrig glühenden Burgunder und vom überweichen Daunenbette durchhitzte Seele in dieser Nacht vorgeschwindelt hatte, reihte mir hier, wachenden Auges, mein Director an das Fädchen der natürlichsten Wirklichkeit; meinen Einwand, daß jedes Buhlen um Christinens Hand ein Bubenstück gegen den armen Ehrhard sey, beseitigte er durch die Betheuerung, daß dieser, solange er nicht Hauptmann sey, das Mädchen nun und nimmermehr erhalten werde; das arme Ding gräme sich heimlich das Leben ab, folglich thue der, der den unglücklichen Invaliden-Lieutenant ihr aus dem Herzen schaffe, und von diesem fröhlich und in Gottes Namen Besitz nehme, ein wahrhaftiges Christenwerk. Doch, er predigte tauben Ohren; Gräfin Rosalinde hieß mein stolzes Ziel.

12.

Beim Abschied bemerkte ich im Stillen, daß der Director in dem, was er von dem Wohlwollen des Hauses gegen mich vorhin gesagt, nicht ganz Unrecht haben mochte. Vater und Mutter drangen auf mein Versprechen, recht bald wieder zu kommen, und Christine reichte mir mit freundlicher Wehmuth die Hand und lispelte leise: das sie ihre Bitte mit der ihrer Eltern vereinige. – Ja, der Gram unglücklicher Liebe muß ein ungeheurer seyn! Jetzt verstand ich erst die Züge dieses interessanten Gesichts, das ich gestern ganz übersehen hatte. Bleich, wie eine geknickte blasse Rose, in der Blüthe ihrer Jugend verwelkt, still und muthlos stand das gebeugte Mädchen vor mir; ich benutzte den Augenblick, daß Vater und Mutter mit dem Director unsern Wagen mit Eßwaaren und Flaschen bepackten, als sollten wir eine Reise um die Welt antreten, mich Christinen mehr zu nähern, und äußerte einen kleinen Zweifel in die Aufrichtigkeit ihres gütigen Wunsches, mich bald wieder hier zu sehen, weil sie gestern den ganzen Abend so still und antheillos neben mir gesessen, daß ich gefürchtet, unsere laute Freude sey ihr zuwider gewesen. »Das ist so meine Weise,« sagte sie sich entschuldigend, mit sanfter Stimme; »suchen Sie in meiner gestrigen Stille ja keine Misbilligung Ihrer herrlichen, neidenswerthen Laune, ich preise die Menschen selig, die so heiter und lebensfroh seyn können, als Sie; der fröhliche Mensch soll ja in der Regel immer auch ein guter seyn; und dieser Satz bewährte sich von Neuem an Ihnen. Ihre Herzensgüte« – sie stockte verlegen, und ward roth und röther: es war, als wollte sie gern, als müßte sie etwas sagen, und wußte nicht recht, wie sie es herausbringen sollte.

»Was wissen Sie denn von der?« fragte ich halb lachend leicht hin, um ihr das Reden leichter zu machen.

»O, ich kenne Sie länger, als Sie vielleicht glauben und – setzte sie mit niedergeschlagenem Auge ernster hinzu, – und das von sehr achtungswerther Seite; die Familie von der Sie gestern Abend sprachen, segnet Sie heute noch für das viele Gute, was Sie mit so seltener Uneigennützigkeit an ihr gethan. Wenn es Ihnen einmal gut geht in der Welt, und das wird es gewiß, denn Sie sind dessen ja werth, so sehen Sie es als Gottes Segen für die menschenfreundliche Milde an, mit der Sie sich jener Unglücklichen, schuldlos niedergetretenen –« sie wollte weiter sprechen, aber sie vermochte es nicht, denn die Stimme versagte ihr unter dem Thränenstrom, der ihr aus dem Herzen heraufquoll; doch sie that sich mit sichtbarer Anstrengung Gewalt an und fuhr mit gepreßter Stimme fort: »Die Fügungen des Schicksals sind oft wunderbar; vielleicht können Sie noch helfen, vielleicht noch durch Rath und That gut machen, was Vorurtheil und falsche Ansichten böse gemacht haben, dem Zagenden Trost geben und dem Verzweifelnden den Glauben an Gott und die Menschen wieder gewinnen – werden Sie nicht müde in Gutes thun, verschließen Sie nicht Ihr edles Herz der bescheidenen Bitte nun –« die Eltern kamen mit dem Director zurück, Christine eilte, tief bewegt, mit nassen Augen in das Seitenzimmer ab; Alle drei frugen nach Christinen; in meiner Erwiederung mußte ich meines Mitgefühls ihrer bedrängten Lage nicht ganz Meister gewesen seyn; alle dreie verstanden meine ernste Stimmung falsch; in ihren sich einander begegnenden Seitenblicken lag eine Art von Vermuthung, daß es zwischen uns beiden zur Sprache gekommen und daß die Sache unter uns so gut als richtig sey.

Sonderbar, daß die Eltern, die in ihrer Jugend doch auch einmal geliebt haben, so selten das Herz ihrer Kinder verstehen! Daß das der armen Christine gebrochen, ahneten sie nicht und meinten in ihrer Verblendung, daß dieses fest besonnene Mädchen ihren Geliebten vergessen und mit dem ersten dem Besten in zehn Minuten ein neues Liebesbündniß anknüpfen könne; sie schienen sich absichtlich täuschen zu wollen, denn jedes unbefangene Auge konnte hier – der Director unterbrach mein Selbstgespräch, mit dem ich mich in meinem Wagenwinkel unterhielt, durch die amtliche Darstellung der Hauptpunkte, auf die es bei unserm morgenden Kommissionsgeschäft ankomme; nach den höchsten Bestimmungen der beiderseitigen Höfe, trennte die neue Landesgränze das Gräflich Wurschensche Hauptgut Waitzenlinde von seinen Vorwerken und Pertinenzien so, daß jenes uns verblieb, diese aber an den Nachbarstaat fielen; die Besitzerin litt dadurch offenbar und beide Höfe hatten sich vereinigt, sie dafür auf irgend eine Weise billigermaßen zu entschädigen; die Ausmittelung dieses Vergütungsquanti hatte ihre Schwierigkeiten und der Director setzte des Breitern auseinander, wie er auf eine recht fein ausstudirte Art die jenseitigen Kommissarien, wie er es nannte, behummeln, und ihnen den größern Theil des Entschädigungsbetrages aufhalsen wollte. Christinen in ihre alten Rechte auf den nicht invaliden Lieutenant wieder einzusetzen, dem alten armen Pfarrer Ehrhard zu seinem ihm von Gott und Rechtswegen gebührenden Wiesenrechte zu verhelfen und nächstdem Gräfin Rosalinde zu heir – nu, wenn ich mich auch zu diesem kühnen Flügelschlage der Phantasie nicht zu erheben wagte, – doch sie zu sehen, sie zu sprechen, ihr einigen Antheil, einiges Wohlwollen abzugewinnen, lag mir viel näher am Herzen, als die ganze trockene Gränzgeschichte; ich hörte – ohne eine Idee zu haben, wie nahe diese sogenannte trockene Gränzangelegenheit mit meinem Lebensglück verwandt sey, – mit halbem Ohre zu, – und nickte, von den juristischen und staatsrechtlichen Deduktionen meines Directors und von dem alten, zum Frühstücke fast im Übermaß genossenen Madera unsers Floßinspectors gewältigt, gegen Mittag sanft und selig ein, und überließ meinem verehrten Reisegefährten, sich unterdessen mit seinen Behummelungsplänen und seiner stänkerigen Freundin, der Pfeife, zu unterhalten.


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