Franz Hessel
Laura Wunderl
Franz Hessel

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Das Fest der Maria

Ich erhalte die Nachricht vom Tode der schönen und vielverehrten Maria Amberg. Sie hatte erst kürzlich ihre Bühnenlaufbahn begonnen, eben ihre ersten Triumphe gefeiert.

Auf einem Feste in einer Villa am Englischen Garten erschien sie zum letzten Mal und spielte in einem Melodram Psyche die Titelrolle. Ein Freund, der zugegen war, schreibt mir:

»Sie erhob sich, ins Dunkel tastend, vom Lager und ihre Schleier zitterten vor der Nähe des unsichtbaren Gemahls. Aus jeder neuen Wonne erwachte sie mit ungestilltem Verlangen auf den geöffneten Lippen und der hoffnungslosen Trauer ihrer grauen Augen. Die zuckten grün, als die Schwestern ihr den schlimmen Rat einflüsterten und waren kühl wie Metall, als die verbotene Fackel in ihrer Hand lohte und sie den Leib des Gottes beleuchtete. – Die jähe Wendung, Amors Zorn und Verschwinden nahm sie starr wie ohne Anteil hin. Und als dann die tröstenden Chöre ihre wandernde und endlich anlangende Zukunft verkündeten, spielte ein schier spöttisches Lächeln um ihren Mund: worin später einige Vorherwisser schon den tödlichen Entschluss gelesen haben wollten.

Sie wich dem Beifall eilig aus und war fort. Man wunderte sich über ihr Ausbleiben, suchte sie in der Garderobe, im ganzen Hause, und fand sie nicht. Als das Fest zu Ende war, gingen einige von uns in die frische Morgenluft hinaus zum Aumeister. Bei der Brücke überm Wehr entdeckten wir Maria tot ausgestreckt, die Brust von einem wohlgezielten Schuss durchbohrt.«

Über die Gründe ihres Selbstmordes weiß mein Freund nichts Bestimmtes mitzuteilen.

Nun sind es drei Jahre, dass ich zum letzten Mal mit ihr zusammen war. Ich war noch sehr jung damals, sah staunend an ihrer hohen Gestalt empor und hörte ihren Worten voll Ahnung und ohne Gegenrede zu. Indem ich überdenke, was ich von ihr weiß, bleibt mir ihr plötzliches Ende immer noch rätselhaft und ich kann nichts tun, als ihren Tod beklagen und nebeneinanderschreiben, was ich mit ansah, und was sie mir erzählte. Wer mehr von ihrem Leben erfahren hat, mag aus diesen Bruchstücken sein Wissen ergänzen. 38

 

Zum ersten Mal sah ich Marias Gesicht unter den Lorbeerkränzen eines Sängerboudoirs im Halbkreis der Gäste des berühmten Tenors Gaudigl. Franz Gaudigl stand in der Mitte und stellte ein riesenhaftes blitzblankes Grammophon ein. Es schnurrte das bekannte Lied »Ach könnt ich noch einmal so lieben . . .« und der Tenor spielte pathetische Pantomime dazu. Die bartlosen Männer stießen ruckweis ein heiseres Gelächter aus; die Damen lachten aus voller Kehle, die vom Fach mit bühnenmäßiger Abrundung. Nur die Maria verzog keine Miene. Sie sah ängstlich und festgebannt in die Öffnung des Apparates. Und erst als der wimmernde Wind zu blasen aufhörte, kam wieder ein Lächeln auf ihre Lippen und Glanz in ihren Blick.

Danach ging die ganze Gesellschaft in die Stadt und durch Torbogen und winklige Gassen in ein altertümliches Gasthaus, in dessen Butzenscheiben der bunte Viktualienmarkt und die graue Heiliggeistkirche erschienen. Der Wirt, ein Wiener und Freund der Komödianten, kam an unseren Tisch. Es war ein magerer Mann mit Koteletten an den hohlen Wangen. Er gab uns allen nach der Reihe mit komischer Würde die rechte Hand. In der Linken balancierte er schräg im Kreise ein gewaltiges Kelchglas voll Pilsner Bier. Mit den Damen wurde er bald sehr vertraulich. Nur die Maria sah er schüchtern an und sagte mit demütiger Säufermiene zu ihr: »Gelt, Gnädige, ich bin ein fader Kerl; aber ich hab auch mal hoch hinaus gewollt.« Er richtete sich straff auf, hob den Riesenkelch mit beiden Händen an den Mund und leerte ihn in einem Zuge bis auf einen schalen Rest, den er wie ein Trankopfer zu Marias Füßen ausgoss.

 

Einige Monate später im Herbst ging ich an einem Sonntagnachmittag in der Bahnhofshalle auf und ab. Mit einmal stand die Maria vor mir und fragte mich, wohin ich wollte. Sie hatte auf dem aschblonden Haar eine schneeweiße Kappe, rund wie ein Heiligenschein. Als sie mich unschlüssig fand, wo ich den Sonntag verbringen sollte, lud sie mich ein: »Kommen Sie doch mit mir, ich fahre nach Haus zu meiner Mutter.« Ehe ich noch mein freudiges und dankbares Erstaunen recht ausdrücken konnte, saßen wir im Coupé und sahen zum Fenster hinaus auf das braune wellige Land.

Am Bahnhof der kleinen Stadt wartete die gelbe Postkutsche. Der Postillon grüßte die Maria und fragte, ob wir nicht mit ihm hinunter in die Stadt fahren wollten. Nein, wir gingen lieber zu Fuß. Die Kinder 39 auf der Landstraße und vor den ersten Häusern ließen ihre Spiele, kamen uns entgegengesprungen und reichten der Maria die Hand. Der Fischer unter der Brücke und der Schuster in der dunklen Tür nickten ihr eifrig zu. Wir mussten durch den ganzen Ort und am Storchenturm auf die letzte Gasse vor den Feldern.

Die Mutter stand in der Gartentür. Sie drückte mir fest die Hand. Dann küsste sie die Maria. Ihr braunes verwittertes Gesicht erinnerte mich an die Mutter der Winde in einem Märchenbuch meiner Kindheit. Gleich im Garten sprach sie von Acker, Vieh und Hopfenernte. Dann führte sie uns ins Haus, das der Großvater stattlich aufgerichtet hat. Marias Vater hatte eine Werkstatt angebaut: er war ein Goldschmied. Die Mutter aber, die auf dem Bauernhof geboren und erwachsen war, hat aus dem Anbau Stall und Scheuer gemacht.

Wir saßen in der Stube am breiten Tisch und stellten unsere Füße auf die Querleisten der schrägen Stützen. Die Mutter schenkte Kaffee in große Tassen ein. Maria saß dem Herde zunächst und sah den Bewegungen der Alten geduckt und schweigsam zu, wie ein artiges Kind.

Nach einer Weile erschien in der Tür eine junge Bäuerin, die sie Base Cenzi nannten. Sie hatte die eine Hand auf den vorgestreckten Leib gelegt, an der anderen hielt sie ein Kind. »Grüß Gott beieinander«, sagte die Base und setzte sich neben mich auf die Bank. Das Kind kroch zu Marias Füßen. Die Base legte beide Arme auf den Tisch und sprach zu der Alten. Sie roch wie ein Feld, auf das nach dem Regen die Sonne scheint. Sie sah der Maria ähnlich, nur war ihr Haar noch bleicheres Blond und ihre Augen waren dunkler.

Die Mutter stand auf und ging an den Herd, das Essen zu bereiten. Das Kind spielte mit der schwarzen Hauskatze. Wir drei gingen hinaus auf die Straße und an den Hopfengärten entlang. Überall waren hohe Stangen aneinandergelehnt, wie die Gewehre auf der Wache. Bei einem Zaun blieben meine Begleiterinnen stehen. »Das ist unser Hopfen«, sagte Maria zu mir. Beide Mädchen fassten den Zaun an und sprachen von Jahren und Ernten. Ich stand etwas abseits. Der Wind trug mir ihre Worte fort. Im späten Licht erschienen ihre Züge wie gezeichnet, der Schwung der Nase kühner, die schmalen Lippen noch schärfer geschnitten. Die Base beugte den Kopf vor und das Haar wehte ihr in die Stirn. Marias Haupt war zurückgelehnt, die Stirn frei, bleich und eckig. 40

Beim Abendessen fragte die Mutter nach Marias Studien. Sie erzählte von den Deklamationsstunden: Es wäre immer komisch oder garstig; schön wäre es nie. Aber wenn sie erst mal auf der Bühne stände, würde ihrs schon behagen.

»Theater ist nichts Christliches«, meinte die Mutter.

»Wenn ich nur wüsst, was ich eigentlich möchte«, sagte die Tochter und sah zum Fenster hinaus, »auf einer Terrasse sein, mitten in einem großen Fest unter lauter Masken in hellen Kleidern. Und unten müsste Bauernkirmes sein und in der Ferne auf den Feldern Sonnwendfeuer.«

Das wär kein Beruf, meinte die Mutter.

Nach Tisch mussten wir in die Stadt zum Herrn Vetter. Die Hauskatze kam uns erst ein Stückchen nach; als wir aber am Storchenturm waren, kehrte sie um und strich an den Zäunen entlang.

Der Herr Vetter saß in dem Herrenstübchen seines Wirtshauses am Marktplatz und unterhielt seine Gäste. Er begrüßte uns sehr umständlich und fragte so hochdeutsch wie möglich nach vielerlei Dingen, besonders die hohe Politik interessierte ihn. Er erkundigte sich, wieviel Bier pro Tag in Berlin konsumiert würde und teilte seine Reiseerfahrungen mit.

Spät saß ich noch mit der Maria in der Stube bei der Kerze. Maria erzählte: »Ja, früher war ich oft abends beim Herrn Vetter und neben mir der Josef, der mich lieb hatte und zur Frau wollte. Der Josef war Postadjunkt, und es dauerte immer noch lange, bis er heiraten konnte. – Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Ich saß still mitten auf der Wiese, und er pflückte mir alle Blumen, die ich wollte, und holte den Ball, den ich weggeworfen, aus den Nesseln und aus dem Sumpf wieder. Und wenn er das Bett hüten musste (er war viel krank), dann sägte er mir mit seiner Laubsäge feine Kästchen aus hellem Holz. Ich hab noch heute eins davon für meine Seidenbänder. Und als wir größer wurden, schrieb er mir Verse aus Dichtern auf, ganze Hefte voll, später sogar französische und englische mit Übersetzung. Der liebe Junge. Er trug mir immer mein Schulränzel und verehrte mich sehr. Ich war für ihn das Wunder in der Welt.

Es war uns und der ganzen Stadt selbstverständlich, dass wir uns verlobten, als er zweiundzwanzig und ich siebzehn Jahr alt war. Im Jahr darauf saßen wir einmal zur Erntezeit vor einem Heuhaufen. Die Sonne stand dicht über den Hügeln und schien auf unsere Hände. Hinter uns rollten die schweren Wagen vorbei. Singen und Lachen scholl herüber, und wir wussten, oben im Heu lagen die, die sich lieb 41 hatten, beieinander und küssten sich. Der Josef hatte bisher immer nur meine Hände geküsst. An diesem Abend hätte er mich recht gut auf den Mund küssen können; ich hätts ihm nicht verwehrt. Als ich ihm einmal voll ins Gesicht sah, nahm er meine Hand, lächelte und sagte: ›Maria, heut hat mir mein Chef mitgeteilt, ich hätte Aussicht auf Beförderung. In zweieinhalb Jahren können wir heiraten, Maria.‹ In diesem Augenblick war mir der arme Josef und die ganze Stadt und das Leben hier so zuwider, dass ich jäh aufstand und weglief ohne Abschied. Am nächsten Morgen sagte ich zur Mutter, ich könnte nicht länger bleiben, entweder wollte ich aufs Dorf zu den Basen oder noch lieber nach München, was lernen. Die Mutter beriet mit dem Herrn Vetter und dann haben sie mich nach München gelassen. Der Josef aber ist gestorben, ehe die zweieinhalb Jahr um waren, und liegt hier auf dem Kirchhof begraben ganz nahe bei meinem Vater, ist nur ein Fleckchen Gras dazwischen.«

Es war Mitternacht, als wir wieder im Coupé saßen. Maria erzählte von ihren Basen auf dem Dorf: »Wenn ich die Cenzi ansehe«, sagte sie, »fühle ich manchmal was wie Neid. Sie hat ihre Arbeit und ihr Kind, hat Alltag und Sonntag, die langen dumpfem Winterabende in der Stube, den langen lichten Sommermorgen auf dem Feld, und auf der Kirchweih ist sie die Schönste.«

Dann schwieg Maria und in der Dunkelheit, die das kleine Lämpchen über uns mit seinem dürftigen Lichtkreis nur berührte, wurden die Minuten zu Stunden. Zuletzt kam wieder Marias Stimme aus der Nacht: »Ach, dass man nicht einfach da sein kann, über Land gehen, wenn die Sonne scheint, am Fenster sitzen, wenns regnet.«

 

»Sie sind ein guter Begleiter, kommen überall mit und hören alles still an, was man vorbringt«, sagte Maria zu mir, als wir an einem milchblassen Novembertag im Schlossgehöft von Schleißheim standen. Die Fohlen kamen an den Zaun gesprungen, um von ihrer Hand gestreichelt zu werden. Sie führte mich in die kleine eingebaute Kapelle, wir saßen nieder vor dem Altar und sie sagte:

»Auf dieser Bank hat oft ein Mädchen gekniet, eine Tochter hier aus dem Schlossgesinde, die da drüben hinterm Gitter zu ebener Erde wohnte. Sie hat für mich mitgebetet, die Rosel, und ganz glücklich war sie im Marienmond, wenn ich bisweilen mit ihr in die Maiandacht kam. Täglich besuchte sie mich in meinem Garten und passte immer 42 die Zeit ab, wo mein Freund mich allein ließ. Wir nähten zusammen und spannen sogar und hatten immer allerlei Frauenwerk unter den Händen. An sonnigen Nachmittagen wusch sie mir am Brunnen mein Haar. Sie saß zu meinen Füßen, während es in der Sonne trocknete, und im Abendlicht flocht sie mirs.

Aber die Eltern konnten sie nicht mehr miternähren und schickten sie in die Fremde, Dienst zu suchen. Sie saß den ganzen letzten Abend bei mir und weinte. – Ihre Augen waren braun wie Kastanien. Ihre harten Hände waren klein und geschäftig. Von den Männern wollte sie nichts wissen, ihr war vor allen bange –. Ich hab sonst nie eine Freundin gehabt in meinem Leben. Die Frauen sind mir nicht gewogen.«

Wir gingen durch die kahlen Kastanienalleen des Parks und als wir zu den großen Brunnenbecken kamen, fing Maria wieder an zu erzählen:

»Diese Brunnen sind immer leer. Nur einmal sah ich die Wasser springen zu einem Fest. Da erschienen hier im Garten Rokokoperrücken und Reifröcke, und es wurde vor Kurfürst und Kurfürstin ein schäferliches Menuett aufgeführt. Aber ein Regen fiel: die Lämmchen, die die Bäuerinnen am Seil hielten, trieften und ihre rosa Öhrchen zitterten.

In den Sälen wurde getanzt und ich nahm zu jeder Tour einen anderen Tänzer. Aber sie schwatzten mir zuviel galantes Zeug vor, vielleicht um ihren Kostümen gerecht zu werden. Und mit einmal schämte ich mich meiner Maskengarderobe und lief in den nassen Park hinaus. Der Regen fiel wie Peitschenschlag auf meine Schultern. Es jagte mich übers rote Laub vom Vorjahr weit weit bis zu der Blutbuche: unter der blieb ich sitzen und musste weinen, unablässig weinen. So fand mich mein Freund. Ich konnte nicht sagen, warum ich traurig war.

Indem hatte der Regen nachgelassen, aus den Marmorpfannen vorm Schloss sprangen Naphtafeuer auf und rings um Teich und Brunnen leuchteten bengalische Flammen. Die bunten Fetzen einer wilden Tänzerschar flackerten im Schein geschwungener Fackeln. Aber für mich war es zu spät, ich konnte nicht mehr zu den anderen, ich schlich heim unter tropfenden Zweigen.«

Nun wollte Maria mir erst das Haus und den Garten zeigen, wo sie damals gewohnt hatte, und ihren Balkon mit dem ›Tausendblätterdach‹; aber von ihren eigenen Worten war sie zu traurig geworden. Wir gingen 43 durch die Schlosshöfe zurück und wollten gerade zur Bahn, als wir vor einem Haus einen langen mageren Herrn im Sportsanzug an einem Automobil beschäftigt sahen. Maria begrüßte Herrn Aldermann und beide plauderten von den alten Zeiten. »Sie haben schlechte Farbe, Maria«, sagte er, »steigen Sie mal gefälligst gleich in meine Karre, meine Herrschaften, und lassen Sie uns ein Stückchen die Dachauer Chaussee hinauffahren, dass wir merken, es weht noch ein Wind durch die Welt. Sie müssen nicht immer alten Dingen nachhängen, Maria. Sport treiben, Ski im Gebirge und radeln und Golf und Tennis, das macht Blut und vertreibt dumme Gedanken.«

Er nötigte uns, einzusitzen, und lenkte das Gefährt erst langsam an der Häuserreihe hin; kaum aber waren wir über die Brücke, so ließ er es mit großer Geschwindigkeit sausen. Maria hielt die Hände an die Schläfen und sah erstarrt auf die Birkenreihe, die an uns vorübertaumelte. »Halt, halt«, schrie sie nach zwei Minuten Fahrt, »nicht weiter, das ertrage ich nicht. Mir fallen ja alle Bäume vor Augen um.« Aldermann stoppte, er konnte sich vor Lachen kaum halten. Wir stiegen wieder aus und sie reichte ihm mit kümmerlichem Lächeln die Hand. »Ich fahre weiter«, rief er, und war im Nu von dannen.

»Dieser moderne Herr«, sagte Maria, als wir wieder allein waren, »er ist übrigens Künstler, macht Lithografien im Plakatstil und will von der Ölmalerei nichts mehr wissen – der hatte einen jüngeren Bruder, einen zarten schwindsüchtigen Menschen, der nur ein paarmal heraus zu Besuch kam. Mit dem ging ich unter diesen Birken spazieren im Herbstlicht, wo alle Farben sich lösen. Mein Kleid war bunt, wie der Boden unter mir und seine Wangen fahl und farbig wie die Ferne. Er sprach nur wenig Worte und doch hatte ich, so oft ich ihn ansah, das Gefühl, er wüsste meine Gedanken. An seiner Seite war mir so leicht, als könnte ich über dem Sumpf im Nebel schweben, nur von den eigenen Schleiern getragen. Und vor seinen Augen löste sich die ganze Welt in ein Farbenspiel auf. Er war kein Künstler. Manchmal, wenn er mir die Hand reichte, wenn sich nur unsere Fingerspitzen berührten, zuckte es, als schlüge ein Funke zwischen uns. Aber er ist ohne Abschied fortgegangen und ich habe ihn nicht wiedergesehen.«

 

So sehr mich Maria anzog, mir war nicht wohl zumute an ihrer Seite. Was wollte sie von mir, dass sie mir erzählte was sie älteren Freunden verschwieg? Warum fragte sie nie nach meinem eigenen Leben und 44 hielt meiner jungen Gegenwart immer diese viele Vergangenheit entgegen? Ich wurde nicht glücklich von ihrem Vertrauen. Eine Zeitlang vermied ich, sie zu treffen, bis wir uns eines Abends in einem Konzert Seite an Seite fanden.

Es war auf der Galerie des Odeons im dunklen Winkel neben den blinden Knaben. Sie nahm meine Hand mütterlich in ihre Hände und flüsterte mir zu: »Hier ist gut sein, hier neben denen, die nur hören und leere Augen öffnen. Aber sehen Sie dort den Mann –.«

An einem Pfeiler vor uns lehnte ein plumper Riese, der sein fleischiges Gesicht zu einem krampfhaften Lächeln verzogen hatte und mit der steigenden Fuge immer mehr verzog. Und als der Satz weiter wuchs und wuchs und nicht abschließen wollte, fasste er wie ein Ertrinkender in die Luft und seine Knie wankten. Bei einem anderen Stück, wo das Thema durch viele Verwandlungen wiederkehrte, lachte er böse auf und winkte wie geärgert ab. In der Pause brach er ganz erschöpft in einer Ecke zusammen. Irgend ein Bekannter, der herzukam, kannte diesen seltsamen Menschen, holte ihn aus seinem Winkel und stellte ihn der Maria vor.

»Sind Sie Musiker?« fragte Maria.

»Eben nicht«, erwiderte er heftig, »eben nicht. Ich bin Kaufmann, jawohl, und nicht mal ein guter Kaufmann. Aber dies da, meine Dame«, und er zeigte auf das Orchester, »das ist mein ganzes Erlebnis.«

Er lachte derb. Der Bekannte, der ihn hergebracht hatte, glaubte vermitteln zu müssen und erklärte, auch er kennte kein reineres Glück als die Musik.

»Glück?« rief der Kaufmann. »Nicht die Spur. Es ist eine Qual. Ach, es ist ja so lächerlich: Ich weiß immer, die Lösung kommt ja doch zuletzt. Die alten Halunken, sie können sich stellen, wie sie wollen, können die kleine Melodie verdrehen und umwickeln, dass sie schier verschwindet. Aber dann kokettiert sie doch wieder von ferne, und mit einmal ist sie da und – und tut unschuldig wie ein braves Schulkind, das was hersagt. Und tut als wüsste sie nicht, wie sie uns zittern macht. Und wenn wir schon die Augen schließen, weil wir sie endlich haben, ist sie wieder fort und das qualvolle Spiel beginnt von neuem. – Das ist eine Sache, die Musik: ein ewiger Selbstbetrug, als ob ich erlebte, ich selbst und weiß wie das Kind beim Märchen, es muss gut ausgehen. Ein Schwindel die Kunst, – aber das einzige, was ich habe.« 45

Er ging an seinen Platz zurück, um wieder zu wanken unter den Tönen und über sich und alles zu lachen.

Aber Maria wollte fort, ehe das Konzert aus war. Sie zog mich mit und draußen auf dem düsteren Platz sagte sie: »Ich wollte, er hätte nicht gesprochen. So lange ich ihn nur ansah war er wunderbar. Nun scheint er mir auch nur feig und lüstern, wie so die Menschen sind.«

 

Wir kamen ins Café. Von einem Sofa erhob sich ein kleiner runder Herr mit grauem Kraushaar um den kahlen Scheitel, um uns zu begrüßen. Als Maria ihn sah, nickte sie ihm flüchtig zu, drehte um und ging zur Tür zurück.

»Warum weichen Sie dem Herrn aus«, fragte ich, als wir wieder auf der Straße waren.

»Den kann ich heute nicht sehen. Oft habe ich schon von den anderen genug, die nur mein Leben verehren, aber der, der verehrt meinen Tod. Kennen Sie ihn nicht, den berühmten Robert Mark mit seinen Teppichen und Ampeln und Märchen und schönen Frauen? Zwischen Sträuchern und Bäumen eines verwilderten Gartens steht sein Haus. Ein Negerkind klopft dreimal mit dem Türklopfer ans Tor, wenn man in den Garten tritt. Ein verschrumpftes Mongolenweib öffnet und leuchtet mit silbernem Leuchter die Treppe hinauf zum Saal. Da drinnen wird einem ganz taumelig von östlichen Kräutern und schwüler Kerzenhelle mitten im bunten Dunkel. Da lagert rings allerlei Frauenzimmer und Mannsvolk auf Polsterkissen vor japanischen Götzen und unter alten Gobelins. Und er selbst geht von Gruppe zu Gruppe und mit seinen fetten gepflegten Händen begleitet er die Bewegung seiner Gäste. Alles was sich da regt, Gebärde, Wort und Gedanke wird sein Werk. Und er betrachtet uns alle mit der Lust des Schöpfers, obwohl er doch bloß der Arrangeur ist.

Im Anfang zog er mich sehr an. Ich dachte bei ihm das Fest zu finden. – Und dann, wir Frauen brauchen bisweilen Teppiche, die unseren Schritten gebreitet sind, und verehrende Hände und Gleichnisse, die uns bekleiden. Wir wollen auch ein Schauspiel sein. – Aber er bekleidet uns wie Leichen, wie totenhaft aufgeputzte Kinder. Er schlürft wie einen seltenen Wein unseren Augenblick, unsere Gegenwart und fragt nach keinem Vorher und Nachher. Aller Streit, Widerspruch, Konflikt wird lächerlich vor seinen Brauen. 46

Wenn ich sehr müde bin, habe ich manchmal Sehnsucht nach seinen Kissen und Tüchern und schläfernden Erzählungen wie sich andere nach Opium sehnen. – Nein, lieber Fritz, zu dem führe ich Sie nicht. Sie werden ohnehin einmal von irgend einer seiner Schönen als Page oder Ritter mitgenommen werden zu diesem berühmten Frauenkenner, diesem Verehrer, der Totenkult treibt mit den Lebenden. Und jetzt wollen wir froh sein, durch klare kalte Nacht zu gehen.«

 

Ein Winternachmittag im Englischen Garten. Das Gras bereift. Die Luft voll Dunst.

Maria, die sonst immer lieb und langsam von Baum zu Baum wie von Freund zu Freund ging, glitt heut fremd an dem grauen Gesträuch entlang. »Frieren Sie?« fragte ich und hing ihr meine große Lodenkapuze um. »Laufen wir immer weiter in den Abend«, war die Antwort, »ich bin nicht gut mit mir heut.«

Im Aumeister tranken wir Glühwein und Maria gab mir ihre Hände zu wärmen. Lang und hager waren diese Hände, wie die eines emsigen Jünglings. Die Linien stark unterbrochen, die Fingerwurzeln hoch gewölbt. Man konnte lange hineinschauen, aber ohne die innige Sehnsucht, sie an die Lippen zu drücken. Und wenn man sie küsste, waren sie kühl, wie die Zehen der Heiligen in den Kirchennischen.

Es war Nacht, als wir an die Brücke überm Wehr kamen. Maria lehnte sich an das Geländer und schaute in das schwarze Wasser. Da trat der Mond aus den Wolken. Ängstlich, wie belauscht sah sie nach ihm um und ging weiter.

Auf dem Heimweg über Feld und Landstraße war sie so schweigsam, dass mir fast vor ihr bangte. Deshalb fing ich ein Gespräch an über einen Gegenstand, den sie sonst gern besprach, über das Träumen. Aber davon wollte sie nichts hören.

»Träume«, sagte sie und schüttelte den Kopf, »Träume saugen an unserem Blut und trinken uns unsere beste Liebe vom schlafenden Munde weg. – Ja freilich gibt es auch harmlose. Die sind eine armselige Gerechtigkeit der Natur. Da setzt sie uns als Ersatz vor, was wir im Leben grad nicht haben, dem Übermütigen warnende, dem Traurigen Trostträume. Will ich zu hoch hinaus, so bekomme ich allerhand Braves zu träumen. So habe ich jetzt immer einen Traum von meinem Bräutigam in der Heimat, dem verstorbenen: stumm lächelnd nimmt er meine Hand und führt mich in eine bunte Bauernkirche. Und am Altar 47 steht der Herr Vetter als Pfarrer und segnet uns mit dicken Fingern ein. Und danach sitze ich an einer großen Hochzeitstafel mit viel zu viel Braten und ringsum pappige Bürgerfräcke und weißgewaschene Kleider.

Ich habe auch bisweilen von dem kleinen polnischen Maler geträumt, der mich immer zur Zigarette und Seelenlosigkeit überreden wollte. »Ist Irrtum Seele, ist bei mir gute Parfüm und türkische Kaffee. Kommen Sie zu mir.« Warum habe ich nicht Zigaretten geraucht bei dem Polen, warum bin ich nicht Frau Postadjunkt geworden? Manchmal denke ich, das wäre alles gegangen. Da hätte ich doch allerlei erlebt, wie es die anderen erzählen. Herzelust und Herzeleid, Sünde, Schicksal, wie in den Liedern, alle diese bestimmten Dinge.

Nun muss ich in den Wind laufen, um Widerstand, und muss Verse der Dichter lernen, um mich hingeben zu können. Mein Blut läuft so kühl, kühl wie ein Wasser durchs Land läufts in mir. Und so möchte ich wohl ein kühl Wasser sein und nichts wissen als mein Weiterfließen. Aber warum treibts mich immer wie zu einem Ziel. Und ich habe doch kein Wohin? Ist das ein Heimweh? Und ist am Ende noch eine Heimat hinter Elternhaus und Stadt und Dorf? – Manchmal ist es die Almwiese, wo die faule Magd damals den ganzen Tag im Heu blieb und mochte nichts essen noch trinken, noch arbeiten. Und mochte nimmer heim. Und weil sie nicht recht im Kopf war, ließ man sie gewähren. Wie wir sie den anderen Abend fragten: Wer war denn bei dir? – »Die Großmutter Garnwicklerin«, sagte sie, »und die Ältermutter war da und noch eine greise, greise Mutter, die ich nicht kannte. Die waren beieinander über mir im Heu, und sie aßen von einem großen Breiteller mit langen Löffeln. Und das gab einen so süßen Geruch von Heu und Brei. Davon ward ich ganz satt –.«

 

Der berühmte Ruhland wollte Maria radieren. Von der zweiten Sitzung ab musste ich sie begleiten. Er arbeitete so emsig und unheimlich, sagte sie, sie könnte nicht allein mit ihm sein.

Der Künstler warf mir einen bösen Blick aus trüben Augen unter buschigen Brauen zu, als ich zum ersten Mal über seine Schwelle trat. Dann reichte er mir mit verbindlichem Lächeln die Hand.

An einem Abend mitten in der Karnevalszeit arbeitete er bei Licht. Sein Pult war von zwei Kerzen erhellt. Die nervigen Hände zitterten über der Kupferplatte. Maria saß steil aufrecht unter einer verschleierten 48 Lampe. Ihre Finger froren mitten in dem warmen Dunkel ihres Samtschoßes. Es froren rote Flecken auf ihren Wangen. Er arbeitete rastlos und stumm. Sie flüsterte mit mir und sah mich an. Aber ihr Blick blieb nicht in meinem Augen haften, griff weiter ins Raumlose.

Die Zeit ging hin. Ich wurde todmüde, zumal ich die Nächte vorher vertanzt hatte. Und da diese gespenstige Sitzung immer noch kein Ende nehmen wollte, so sagte ich, ich müsste ein wenig ruhen, legte mich auf den Diwan in der Ecke und verfiel in einen Halbschlaf. Wie aus weiter Ferne hörte ich nun die beiden sprechen. Er bat inständig und sie antwortete leise. Im Tiefereinschlafen hörte ich Kleiderrascheln. Schritte, Marias Schritte kamen näher, sie war über mir, sie legte etwas Weiches auf mich: es war ihr Samtkleid. Mir wars, als trüge ich in diesem Kleide ihre Gestalt im Fluge sinkend in eine unendliche Tiefe.

Eine Hand, die mein Haar streichelte, weckte mich auf. Ich schlug die Augen auf vor Marias blendender Brust. »Du bist lieb mein Kind«, sagte sie, »vor deinen Blicken schäme ich mich nicht.« Aber da ich mich selbst sehr schämte, ja zu weinen fürchtete, wie ein armes Kind vor den glänzenden Schätzen hinterm Schaufenster, die es nie besitzen wird, so fielen mir die Augen wieder zu.

 

Am Morgen wachte ich auf im kahlen Atelier, und Ruhland kam im Schlafrock lachend und Pfeife rauchend an mein Lager.

Zu Haus aber fand ich einen Zettel von Marias Hand. »Mit dem Modellsitzen ist es nun aus, ich hab genug von den Künstlern. – Ach lieber Fritz, wie bin ich all der stummen und lauten, heimlichen und unheimlichen Freier müde. Nur nach dem einen Fest sehne ich mich noch, wo alle mit allen tanzen.« Davon verstand ich nichts und das machte mich traurig. Der Karneval verging und die halbe Fastenzeit, ohne dass ich Maria wiedersah.

Da an einem trüben Märzmorgen erschien sie plötzlich bei mir. Es war das erste und einzige Mal, dass sie mein Zimmer betrat. Sie war in einem hellen Frühlingskleid. Den grauen Wintermantel trug sie überm Arm. In der Hand hielt sie eine Pappschachtel: »Da habe ich allerlei Karneval drin. Ich will mich putzen. Wir wollen feiern. Ich will nun auch feiern. War so lange eingesperrt.«

Ich nahm ihre Hände: »Aber Maria, die Feste alle sind vorbei.« 49

Ihre Augen flackerten, sie lachte: »Mir ist ein bisschen wüst im Kopf, Fritz. Ich bin zu viel allein. – Aber nun wollen wir den lieben Plunder auspacken.«

Wir knieten und die Schachtel ging auf: Bunt quoll es heraus: Tücher, Schleier, Agraffen, Gürtel und Ringe. Da blinkten Perlen, groß und gläsern. Blechspangen klapperten und Goldborten flimmerten viel zu grell. Marias Antlitz war totenblass über all dem lustigen Flitter.

 

Zum letzten Mal sah ich die Maria an einem Vorfrühlingstag. Vor meinem Fenster fegten Wolken an der Morgensonne vorbei und dann riefs unten meinen Namen. Maria stand auf der Straße im hellen Mantel. Um Kappe und Kinn hatte sie einen Schleier gebunden. »Schnell auf und heraus mit Ihnen«, rief sie, »wir laufen ins Isartal.«

Wir eilten durch die Straßen bis hinunter zu den Brücken. Der Wind war noch sehr kalt, die Sonne stach schon heiß. Flussaufwärts gings gegen den Wind. Wir sprachen kaum ein Wort.

Hinter der Schwaige warf sie sich an einem Abhang ins Moos bei grauen Herbstbüschen und dünnen grünen Gräsern. »Die sind wie Säuglingshaar«, flüsterte Maria und strich zaghaft darüber hin.

Und bei dem beständigen Rieseln und Dunsten der angeschwollenen Gewässer wurde ihre Stimme erregter: »Das Leben ist so jung heut. Gras und Ast schauert in der Luft wie kleine Kinder im kalten Bade.« Sie gab mir ihre Hand, in der das Blut in heftigen Schlägen und langen Pausen zuckte.

Wir gingen weiter. Auf der großen Eisenbahnbrücke blieb sie einen Moment stehen und sah in die steile Tiefe hinab. Drüben kamen wir in den Wald. Die Bodenwellen glitten unter uns auf und ab. Die kahlen Buchenstämme glänzten. Es gab schon frühe Kätzchen an hellrotem Stiel.

Wo der Wald zu Ende war, führte der Weg in steilen Serpentinen den Hang hinauf zur Terrasse. Nach den ersten Schritten stockte Maria: »Wie müd ich bin.« Ich stützte und schob sie langsam vorwärts. Das ließ sie gütig zu und lehnte sich an mich. Unter dem Mantel fühlte ich die Seide der Bluse heiß von ihrem Blut. Wie eine schwere Gnade lag ihre ganze Gestalt auf mir.

Über die letzte Ecke des schlängelnden Weges hing ein dichtes Gesträuch nieder und hemmte unsern Schritt. Ich hob den freien Arm es zurückzubiegen, und da lag Maria ganz an meiner Brust, und ich 50 küsste sie plötzlich auf die kühlen zuckenden Lippen. Sie lächelte. Sie streichelte meine Wangen. »Du sollst froh sein und küssen, wenn ich nicht mehr bei dir bin. Ihr Künftigen sollt wieder froh sein und sollt euch mit Lachen und Spielen lieben. Wir konntens noch nicht. Wir haben unser Haus verlassen und irren nun ohne Wesen wie Gespenster. O, Kind, Kind! Du weißt das nicht. Vielleicht ist es auch nur ein Frauenleid, wovon ich spreche. Uns ist nicht gut, wenn wir aus dem Dumpfen auftauchen, das Licht macht uns krank.« Und sie neigte sich und küsste meinen Mund. Eiskalt war ihr Kuss.

Als wir dann auf der Terrasse saßen und weit über Land sahen, sagte sie nach einigem Schweigen: »Lieber Fritz, Sie gehen nun fort und wer weiß, ob wir uns wiedersehen, ob ich noch da bin, wenn Sie wiederkommen. Und dann werden die Leute viel Dummes und Eitles über mich schwätzen: Ich wäre zu stolz gewesen, preziös, lebensfremd, oder wie all die Worte heißen. An Gelegenheit zum einfach glücklich sein hats mir nie gefehlt. Ich könnte alles haben, wenn ich nicht so traurig wäre. Viele haben mich geliebt, und wo ich begehrte, habe ich auch genossen. – Ich werde nun wohl auf die Bühne kommen. Gelernt habe ich, Protektion habe ich. Ein wenig lockt mich auch das falsche Licht und die Unruhe des scheinbaren Schicksals. Aber irgendwie lohnt das alles nicht. Und zu allem fehlt mir irgend ein Segen, irgend ein Recht.«

Sie sah mir in die Augen: »Sie haben mir immer so still zugehört, nicht so rasch verstanden, nicht ausgedeutet wie die andern. Es ist mir leid, dass Sie fortgehen: Leben Sie wohl.«

Sie stand auf und küsste meine Stirn: »Leben Sie wohl. Ich muss noch allein weiter laufen in den Wind und kahlen Wald.«

Am Tage darauf verließ ich die Stadt und bin nicht wiedergekommen. Von Maria habe ich nur selten gehört durch Bekannte, die ihrer glänzende Gestalt auf der Szene oder auf Festen erscheinen sahen. Am meisten liebte sie die Festaufführungen im Karneval, und solch eine war das Psychespiel, mit dem sie von der Welt Abschied nahm.

 

Begraben wurde Maria Amberg auf dem Friedhof ihrer Heimat zwischen den Gräbern des Jugendbräutigams und des Vaters. 51



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