Georg Herwegh
Gedichte eines Lebendigen (Band 2)
Georg Herwegh

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Vom armen Jakob und von der kranken Lise

Weh dem Geschlecht
Der Zwerglein, die sich brüsten und die thronen!
Im Finstern wimmelt's ohne Brot und Recht
Von Millionen.
                              Fr. Sallet

Der arme Jakob

              Der alte Jakob starb heut nacht –
Da haben sie am frühen Morgen
Sechs Brettchen ihm zurechtgemacht
Und drin den Schatz geborgen.

Ein schmucklos Haus! Man gibt ins Grab
Dem Feldherrn doch den Feldherrndegen –
Warum nicht auch den Bettelstab
Auf diese Bahre legen?

Den Degen, den er treu geführt,
Der in die Scheide nie gekommen,
Bis ihn der letzte Schlag gerührt
Und von der Welt genommen.

Er war der Welt, sie seiner satt –
Zu zwölfen in der engen Stube ! –
Weh ihm ein überflüssig Blatt,
O Lenz, in seine Grube!

Als hätt er Großes nie getan,
Ist rasch der Glückliche vergessen,
Kein Dichter stimmt ihm Psalmen an,
Kein Pfaffe liest ihm Messen.

Die Heller, die man in den Sand
Ihm warf aus schimmernden Karossen,
Sind alles, was vom Vaterland
Der arme Mann genossen.

Just die vom Himmel ihm geprahlt,
Sahn diese Erde zwiefach gerne:
So wird die Schuld ans Volk bezahlt
Mit Wechseln auf die Sterne.

Und kaum ist uns genug am Joch
Der Armut auf gekrümmten Rücken:
Matt will der Knechtschaft Stempel noch
Ihr auf die Stirne drücken.

Schlaf wohl in deinem Sarkophag,
Drin sie dich ohne Hemd begraben:
Es wird kein Fürst am Jüngsten Tag
Noch reine Wäsche haben!

Die kranke Lise

Weihnacht! die kranke Lise schreitet
Durchs Faubourg hin in banger Flucht,
Sie hat zu Haus kein Bett bereitet
Für ihres Leibes erste Frucht.
Wohl manches prunkt im Fürstensaale,
Den stolzer Kerzen Glanz erhellt –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.

»Mein armer Weber mag nur zetteln,
Sein Fleiß und Schweiß – was helfen sie?
Das Volk muß Sarg und Wiege betteln;
Allons, enfant de la patrie!
Kind, dem sie unter meinem Herzen
Die Lust am Leben schon vergällt,
Geduld, bis wir im Haus der Schmerzen!
Dort kommt das Volk zur Welt.

Sie feiern heut dem Gott der Armen,
Die reichen Herrn, ein Freudenfest:
Doch glaubt nicht, daß sich das Erbarmen
An ihrem Tische sehen läßt,
Daß je in ihre Festpokale
Der Schimmer einer Träne fällt –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.

Du machst mir wahrlich viel Beschwerden,
Der Liebe Kind, ich dacht es nie;
Das wird ein wilder Junge werden:
Allons, enfant de la patrie!
Für eurer Prinzen zarte Nerven
Ist Daun auf Daune hoch geschwellt:
Ich muß in einer Grube werfen –
So kommt das Volk zur Welt.

Kläng noch die Trommel unserm Ohre
Und wär noch eine Fahne rein:
Der Lappen einer Trikolore,
Er sollte deine Windel sein;
Du wärst getauft, eh seine Schale
Ein Pfaffe dir zu Häupten hält –
Marsch, Lise, weiter, zum Spitale!
Dort kommt das Volk zur Welt.

Wer wird so ungestüm sich melden?
Mein kleines Herz, was suchst du hie?
Nur noch zum Grabe jener Helden!
Allons, enfant de la patrie!
Dort seh ich in des Frührots Helle
Die Julisäule aufgestellt –«
Und niedersank sie auf der Schwelle; –
So kommt das Volk zur Welt!

 


 


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