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6.

Die schöne Stadt am Rheine, deren Bürger so stolz auf ihre Rechte und Freiheiten waren wie auf den Ruhm die erste und mächtigste Stadt an dem herrlichen deutschen Strome zu sein, behauptete noch immer ihre hervorragende Stellung. Allein dessenungeachtet unterwühlten die feindlichen Elemente, die sich in ihrem eignen Schooße entwickelten, wie die eindringenden Verhältnisse einer verworrenen, schlimmen Zeit, den Boden, auf dem sie sich einen langen Zeitraum hindurch in gleicher Höhe erhalten. So blühend Mainz auch in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts noch dastand, wurde doch seit den heftigen Zerwürfnissen mit dem Adel und der Geistlichkeit etwas Unsicheres, an ihrem so fest begründeten Wohlstande Rüttelndes selbst von den Uebermüthigsten ihrer Einwohner wahrgenommen. Dazu kamen noch beständige Fehden mit mächtigen Nachbarn, erhöhte Abgaben für des Reiches Oberhaupt, dessen unausgesetzten Fahrten und die damit verbundene große Verschwendung ungeheure Summen erforderten. Auch der fortwährende Krieg mit den Hussiten erheischte die Kräfte der reichen Städte und mahnte sie, auf ihre eigne Sicherheit zu denken. So fand es auch der Rath der Stadt Mainz nothwendig, die Festungswerke zu verstärken und zu erweitern und ließ die Mauern bis über die Vorstädte hinausrücken, neue Vorwerke anlegen und die Vertheidigungsthürme vermehren. Diese Anstalten aber zehrten mehr Geld auf, als die höchsten Berechnungen für möglich gehalten, und erschrocken darüber stellte plötzlich die Stadt ihre Zahlungen ein, bat ihre Gläubiger um Aufschub und ihren Erzbischof um Schutz gegen etwaige Verhaftungen der mainzer Bürger in seinem Lande. Diese Demüthigung war eine Voreiligkeit, die man nur zu bald bitter bereute, denn es stellte sich bei ruhiger Ueberlegung heraus, daß eine so reiche Stadt nicht so schnell verarmen könne und nöthigen Falles noch Schätze genug besitze, ihre Ehre und Macht zu behaupten.

Durch Vermittlung einiger Großen des Reichs, wie des basler Conciliums, hatte sich der Zwist mit dem Adel und Klerus beigelegt. Die Patrizier wurden, wie wir wissen, wieder zurückgerufen und ihnen in den meisten streitigen Punkten nachgegeben, nur was Rang, Ansehen und äußere Ehre betraf, hielten die Zunftgenossen die Gleichberechtigung mit ihnen unerschütterlich aufrecht. Mit dem Klerus war es mehr ein diplomatisches Abkommen, das von Seiten des Ersteren viele Hinterthürchen offen ließ, und die sogenannte Pfaffenrachtung – ein merkwürdiges Aktenstück, welches damals zu Stande kam – und die Grundlage zu den spätern Verhältnissen der Stadt mit dem Klerus wurde, ist ein schlagender Beweis dafür. Dieses Dokument, der Stadt in freundlicher Weise aufoktroirt, blieb ein wunder Fleck derselben, ein empfindlicher Dorn in ihrer mächtigen Hand. Aeußerlich war der Friede nun wieder hergestellt, aber wirkliches Vertrauen der herrschenden Partheien zu einander wollte sich nirgends zeigen, und rüttelte fort und fort an dem Wohlergehen der Stadt.

Jakob Fust stand als erster Bürgermeister an der Spitze der Zünfte, und sein hochfahrender Sinn trug wesentlich dazu bei, nicht nur ihren Stolz, sondern auch ihren Uebermuth aufrecht zu erhalten. Er selbst in seinem Gewerbe, wie auch in seinem Hause, und besonders aber in seinem schönen Weibe, trug alles Ansehen, doch auch alle Hoffarth des mächtigen und reichen Bürgerthums zur Schau. In seiner Werkstätte wurde der Ruhm von Meister Helferich's einstigen Arbeiten überstrahlt; – sein Haus war prächtiger eingerichtet, als eines der wieder geöffneten Patrizier-Häuser. Margarethe schmückte ihre Stuben nicht nur mit den schönsten Arbeiten deutscher Meister aus, sie gab ihnen auch noch Kunst- und Industrie-Erzeugnisse fremder Länder bei. Ihr Mann besaß ja Reichthum für solchen Luxus, und da sie kinderlos war, hatte ihr Herz kein höheres Interesse. Sie selbst ging in prächtigerer Kleidung einher, als je ein Bürgerweib getragen. Ihr Gewand von feinem Wollenstoff war so lang und faltig und von so strahlender Farbe, wie das der vornehmsten Dame, Um ihre vollen Formen legte sich das Mieder eben so eng an und bedeckte diese gerade so wenig; wenn sie zu einem Feste ging, als man es an den Frauen, welche den Banketten der Großen beiwohnten, wahrnahm, und aus ihrem Haupte saß der Aussatz mit den weißen Federn und goldenen Zierrathen fest und keck, wie auf dem Haupte der stolzesten Gräfin, ja keine hatte wohl eine so kostbare Agraffe daran, als für sie in der Werkstätte ihres Mannes verfertigt worden war, und nur wenige Gürtel blinkten mit so hellen Goldknöpfen und Schellchen, wie der ihre; auch das Geschmeide, das sie um den schönen Nacken trug, hatte wohl nicht viele seines Gleichen. Wenn sie so einherschritt, war sie prächtig anzusehen, die stolzeste Bürgersfrau des güldenen Mainz, – und was sie that und was sie sagte, stand in Harmonie damit. Sie dünkte sich wohl auch die Erste ihrer Vaterstadt, weil ihres Mannes Stimme am meisten darin galt, und wahrhaft majestätisch sah sie auch aus mit ihrer großen, imponirenden Gestalt und ihren herrischen, blitzenden Augen.

War sie glücklich dabei? – Wer konnte das entscheiden? –

Der Ausdruck ihres Gesichtes war ein beinahe gleichmäßiger. Aus ihrer Stirne lag keine frühzeitige Falte und keine schmerzlichen Linien zogen sich um ihren frischen Mund. Man hörte sie wohl nur selten lachen, doch klang es stets hell und klar, wenn auch nicht mit dem eigenthümlichen und ansteckenden Laute wirklicher Freude – und weinen sah man sie nie. Sie hatte in ihrem Hause für sich eine eigne Stube einrichten lassen, in welche sie jedoch nur selten eintrat; wenn sie es that, schloß sie dieselbe ab und war dann mehrere Stunden für Niemand, selbst für ihren Mann nicht zugänglich. Diese Stube war einfacher eingerichtet, als alle andern Räume des Hauses und war an die Stelle der Kammer gekommen, aus deren Fenster sie früher so oft auf Elsens Blumengärtlein hinabgeblickt hatte. Dieses hübsche Gärtlein war in der langen Zeit, in welcher es seine Pflegerin entbehrte, eine wahre Wildniß geworden und trübe sahen die verschlossenen Läden des Hofes zum Gutenberg darauf nieder. Diese nun waren zwar seit einigen Jahren wieder geöffnet, aber das Gärtlein blieb in seiner Verlassenheit liegen. Frau Else, deren schwarz eingehüllte Gestalt zuweilen an einem der Fenster sichtbar wurde, schien die Freude an den Blumen verloren zu haben. Disteln und wildes Gesträuch wuchsen unangefochten an ihrer Stelle und schlangen sich immer höher unter Margarethens Fenster an der Mauer hinaus, welche das Nachbarhaus von dem ihren trennte.

Margarethe hielt sich, seit der Hof zum Gutenberg nicht mehr ganz verschlossen war, öfter in diesem Gemache auf, als sonst geschehen. Da sich in denselben auch ein Schreibtisch und einige Bücher vorfanden, hieß es im Hause, was auch theilweise der Fall war, sie besorge die schriftlichen Geschäfte ihres Mannes, weshalb sie, um ungestört diese schwierige Arbeit zu vollbringen, stets die Thüre des abgesonderten Gemachs verschließe.

Seit Else wieder in den Hof zum Gutenberg eingezogen war, saß jedoch Margarethe häufiger am Fenster, als am Schreibtische. Die dunkle gebeugte Gestalt der einst so anmuthigen, freundlichen Frau zog sie immer wieder dahin von wo aus sie dieselbe zuweilen sehen konnte. Was bei dem Anblicke der Mutter Johann's in ihrer Seele vorging, war jedoch nicht zu erkennen, wenn sie die verschlossene Thüre wieder öffnete und die Stube verließ. Der gleichmäßige Ausdruck ihrer Züge blieb derselbe, selbst Jakob's scharfes Auge, das sie nach solchen Stunden forschend traf, konnte nicht die kleinste Veränderung darin bemerken.

Im Hofe zum Gutenberg blieb es indessen, trotz der geöffneten Läden fast gerade so still, wie es gewesen, als sie noch verschlossen waren, denn außer dem schlürfenden Tritte des alten Paters, der seines hohen Alters ungeachtet noch immer Elsens täglicher Gast war, ließ sich selten ein lauter Ton darin vernehmen.

Die altgewordene Frau, in Trauer um den dahingegangenen Gatten, in tiefer Bekümmerniß wegen Frilo und in schwerer Sorge um den fernen Sohn, lebte ganz stille vor sich hin. Ihr klares, mildes Gesicht hatte sich in schattige Falten gelegt und das schalkhafte Lächeln um ihren anmuthigen Mund sich in ein wehmüthiges verwandelt. Frilo's zerrüttete Verhältnisse erlaubten ihm nicht, mit seiner Familie der Mutter nach Mainz zu folgen, obgleich er gern das verschuldete Hofgut in Eltwill mit dem minder schwer belasteten Hof zum Gutenberg vertauscht hätte. – Konnte er es doch den Rittern, welche den Hof des Erzbischofs umgaben, nicht mehr gleich thun. Sein Hochmuth rächte sich jetzt an ihm selbst, er mußte sich den Verhältnissen beugen, die er heraufbeschworen hatte. So lange der alte Genßfleisch lebte, hielt dieser den bevorzugten Sohn oben und brachte dadurch beinahe sein ganzes Vermögen zum Opfer. Er that dies ohne viel Bedenken, da er dem fernen Sohne, der gegen seinen Willen die Welt durchzog, grollte, und mit dem er sich erst auf seinem Sterbebette, von Elsens Ermahnungen und dem nahenden Tode bezwungen, in seinem Innern wieder aussöhnte.

Als sein Leben zu Ende gegangen, war für Frilo kein Halt mehr, und er schloß sich, vereinsammt, kränkelnd und mürrisch in den alten Familiensitz ein. Seine jüngste Tochter fand in einer ziemlich guten Heirath ein bescheidenes Glück; – Katharina dagegen wies jede Bewerbung um ihre Hand zurück und folgte, als die Großmutter von Eltwill schied, dieser nach Mainz, und lebte seitdem mit ihr ein stilles, fast klösterliches Leben in dem Hof zum Gutenberg. Ihr Wunsch war, in ein Kloster der Stadt einzutreten und gerne hätte sie das kleine, arme Kloster um Aufnahme gebeten, in dem Hemma's Grab seit kurzem sich erhob. Kuno's Schwester hatte in dem armen heiligen Hause in Arbeit und Gebet ihren Seelenfrieden wieder gefunden und starb versöhnt mit ihrem trüben Geschick. Katharina, welche mit liebender Theilnahme an ihr hing, hatte sie häufig besucht und an ihrer frommen Ergebung die eigne Demuth gestählt. Das Kloster, das von Arbeit und Mildthätigkeit sich erhielt, sagte ihrem demüthigen Wesen zu, allein der hochfahrende Sinn ihres Vaters, der, wenn auch äußerlich gebrochen, doch bei allen Familienangelegenheiten sich geltend machte, wollte sein Kind nur als Nonne in einem der reichsten, nur den Töchtern des Adels zugänglichen Kloster sehen, nicht in dem der armen Schwestern zur heiligen Clara. Dazu aber fehlte es Katharina an der nöthigen Mitgift, und da es nicht in ihrem Charakter lag, mit Gewalt etwas zu erzwingen, blieb sie vorerst bei der alten Großmutter.

Else war damit sehr zufrieden. Katharina war ihr bester Trost, ihre einzige Freude noch in diesen trüben Tagen. Mit Schrecken hatte sie nach dem Tode ihres Eheherrn erfahren, daß es ihrer mütterlichen Macht nur wenig gelungen war, für Johann's äußere Verhältnisse zu sorgen. Auch sein Erbtheil, der Hof zum Gutenberg, war verschuldet, und außer der jährlichen Rente, die sie einst in besseren Zeiten bei der Stadt für ihn eingekauft, blieb ihm wenig übrig. Sie lebte mit der äußersten Sparsamkeit in dem lieben Familienhause, das zu veräußern ihr eine Unmöglichkeit gewesen wäre, selbst wenn es dem Sohne mehr Vortheil gebracht hätte. Seit sie wieder im Hof zum Gutenberg wohnte, klammerte sich ihr Herz an die Hoffnung an: Johann müsse jetzt wiederkehren, und, wie alle Mütter, beschäftigte auch sie sich oft Stunden, ja Tage lang mit der künftigen Häuslichkeit ihres Sohnes. War er nur erst wieder da, dachte sie in verzeihlicher Mutterschwäche, werde sich auch in kurzer Frist Alles nach ihrem Wunsche gestalten, und bald ein liebes, braves Weib mit passender Mitgift für den wohlgebildeten Sohn eines alten Patriziergeschlechtes gefunden sein.

So suchte sie ihre Sorge um das geliebte Kind in Schlummer zu wiegen und das Weh ihrer jetzigen Tage mit einer freundlichen Zukunftshoffnung zu mildern, die sie sogar in mancher stillen Nachtstunde mit einer Freudenthräne benetzte, in deren erquickendem Thau sie das einstige Geschick des theuren Sohnes aufblühen sah, wie eine hellleuchtende Blume über ihrem Grabe. – Aber noch immer blieb Johann fern und die seltene Kunde, welche von ihm kam, sprach nie von seiner Heimkehr, und oft drohte die Hoffnung, mit der sie so gerne seine Zukunft erhellte, zu erlöschen. Sobald jedoch die Thränen des Schmerzes über ihre gefurchten Wangen rollten und eine Klage gegen den Sohn ans ihrem Munde kam, wußte Katharine dieses schnell zu besänftigen, mit ihrem festen Glauben an Johann's höhere Bestimmung. Wie ein holder, schützender Geist stand sie neben der alten Frau, – wie ein Engel, der ihr irdisches Bangen mit himmlischer Kunde beschwichtigte und die klagende Sehnsucht ihres Mutterherzens immer wieder in Liebe, Hoffnung und Glauben auflöste. Katharina's ganzes Wesen hatte etwas überirdisches angenommen, das aus Else und auch den alten Pater bezwingend wirkte. Noch leiser als ihre Großmutter, wandelte sie durch das stille Haus, – ihre leichte, ätherische Gestalt schien kaum den Boden zu berühren, ihr zartes, bleiches Angesicht mit den frommen, blauen Augen von jenseits gekommen zu sein. Längst schon war der rosige Schimmer der Jugend, der sie einst so irdisch schön gemacht, ihr entflohen und das goldene Haar, das üppig ihr liebliches Angesicht umsäumt, lag verborgen unter der weißen schleierartigen Umhüllung des Hauptes, die zugleich in dichten Falten ihren Oberkörper umschloß.

Else hing mit aller Liebe einer Großmutter, zugleich mit einer gewissen Ehrfurcht an ihrer Enkelin und dankte im Stillen, trotzdem daß sie sich oft schwere Vorwürfe darüber machte, dem stolzen Sinne Frilo's, der sie dem Kloster ferne hielt. Dem Wunsche Katharina's, sich dem klösterlichen Leben zu weihen, entgegenzutreten, fiel ihr jedoch niemals ein; – das wäre, nach den Ansichten der damaligen Zeit, eine zu große Sünde gewesen, und Else hätte gewiß, wenn es ihre Verhältnisse gestattet, Katharina's Mitgift für ein Kloster nach dem Wunsche ihres Vaters besorgt, ohne an den Schmerz zu denken, den ihr der Abschied von ihrer Enkelin bereiten mußte. So aber, da dies nicht möglich war, verfiel sie eben unwillkürlich immer und immer wieder in die Sünde, sich über die wohlthuende Anwesenheit des lieben Kindes ganz besonders zu erfreuen. Und wer konnte ihr dies auch verargen? – Hatte sie doch außer dem Pater und Katharina kein liebes, befreundetes Wesen um sich – und das Haus war so groß und die weiten Gemächer so leer und still!

Wenn der Abend kam und sie am Spinnrocken saß, mußte denn da nicht Katharina neben ihr sein und ihr von Johann erzählen, – den Abendsegen beten, – oder ein frommes Lied ihr singen? Kam Martin noch dazu, was meistens der Fall war, konnte sie all ihr Leid bezwingen, ja manchmal so zufrieden sich fühlen, daß der heitere Ausdruck mit dem wehmüthigen in ihrem Gesichte um den Sieg rang und ein Lächeln von ehedem sich wie eine Mahnung an frühere glücklichere Tage um ihren bleichen Mund ziehen wollte. Wie freute sich der gute, alte Freund, wenn er dies bemerkte. Sein welker, zitternder Körper, der so sichtlich am Rande des Grabes schwankte, schien dabei immer wieder frische Lebenskraft zu gewinnen.

Doch manchmal auch gelang es weder Katharina noch ihm, die besorgte Mutter froher zu stimmen. So saßen sie eines Abends beisammen und Elfe's Sehnsucht nach dem fernen Sohne wollte sich nicht beschwichtigen lassen.

»Warum bist du nur heute so kleinmüthig, liebe Ahne?« fragte Katharina mit einigem Vorwurf. »Sein Geist ist uns ja immer nahe, wenn auch sein Körper in der Ferne weilt. Er denkt in Liebe unserer, wie wir seiner, und wenn es Zeit ist, kehrt er auch wieder. Glaube es doch – du lauschest ja sonst so gläubig meinen Vorhersagungen.

»Ich werde sie nicht erleben – seine Wiederkehr,« wandte die alte Frau leise und schmerzlich ein.

»Gewiß, du wirst's erleben, Ahne,« sprach Katharina mit Zuversicht. »Denn, sieh, so steht's vor meiner Seele – ja mir ist's seit einigen Tagen, er werde bald kommen, recht bald.«

Sie versank in Nachdenken, und weder der Pater, noch Else störten sie darin. Nach einer Weile neigte sie, wie aufmerksam lauschend, ihr Haupt zur Seite, dann sprang sie plötzlich aus und rief, während ihr ganzer Körper in eine zuckende Bewegung gerieth:

»Wie wird mir? Mein Blut wallt auf – meine Pulse klopfen und mein Herz ruft: er kommt – er ist da – ja, ja, ich höre seinen Schritt – ich empfinde seine Nähe. Mutter, dein Sohn ist es – Johannes – mein Seelenfreund!«

Sie taumelte zurück und lehnte sich erschöpft in eine Fensternische. Martin trat besorgt zu ihr, während Else nach der Thüre starrte, die sich eben langsam öffnete. Ein Freudenschrei drang aus ihrer Brust und der Sohn lag zu ihren Füßen, sein weinendes Angesicht in ihrem Schooße verbergend.

»Bist du's denn wirklich – mein Sohn – mein Henne – mein liebes Kind?« stammelte Else, bemüht, mit ihren zitternden Händen sein Haupt emporzurichten, sein liebes Auge dem ihren entgegen – und es fand das ihre und sie hingen sich so fest und innig aneinander, als ob ein heiliger Magnet sie unauflöslich zusammenkette Else vergaß im Anblicke des Sohnes den Freund und die theure Enkelin – vergaß die ganze Welt – Alles, außer ihrer Liebe zu ihm – und er, gefesselt von dem innigen Blick dieser Liebe, sah nur sie – und jede Frage küßte sie ihm von den Lippen, erstickte sie mit ihren Liebeslauten, mit ihren Freudethränen.

Da trat der Pater leise hinzu und unter Thränen lächelnd sprach er mit liebreichem Vorwurf:

»Ei, Frau Else, gönnt uns doch auch ein wenig Theil an dieser Freude! Könnt Euch doch denken, wie mich's verlangt nach dem Gruße meines Zöglings – und auch Katharina, welche dies Glück uns verkündet hat, sehnt sich gewiß nach dem Willkommskuß des lieben Ohms.«

Gutenberg erhob sich rasch und drückte den alten Freund an sein Herz – dann ergriff er Katharina's beides Hände, die noch immer regungslos am Fenster lehnte, zog sie zu sich her, küßte ihre reine Stirne und flüsterte bewegt: »Gott zum Gruße, meine liebe Muhme!«

Dann sah er sie lange an und ein leises Weh schlich sich in die freudige Erregung dieses Wiedersehens. Sie kam ihm so verändert vor, das rosige Kind, das in seiner Erinnerung gelebt, fand er nicht wieder, und so engelhaft auch ihre Erscheinung war – sie machte einen wehmüthigen, fast schmerzlichen Eindruck aus ihn.

»Bist du krank, Katharina?« fragte er sie nach einer Weile stillen Beschauens.

»Nein, Johann,« gab sie kaum hörbar zur Antwort. »Ich war gesund bis heute, nachdem ich kurz nach deinem Abschiede eine schwere Krankheit überwunden. Mein Körper blieb seitdem gesund, – die Seele – die leidet immer an Gebrechen, und um sie zu heilen, soviel als hienieden möglich, will ich mein Leben in einem Kloster beschließen. Daß ich noch nicht in heilige Mauern eingekehrt bin, ist nicht meine Schuld; – doch darüber lasse uns jetzt nicht sprechen. Jetzt wollen wir. uns nur deiner Ankunft freuen, und sorgen, daß es dir recht gut bei uns werde. Ich will gehen, dies zu thun. Sieh, deine Mutter verlangt auch schon wieder nach dir, und mit Recht. Da, liebe Ahne, hast du ihn wieder. Ich gehe, den Abendimbiß und sein Nachtlager zu bereiten.«

Damit schlich sie leise von dannen, von einem trüben Blicke Johann's begleitet; doch Else ließ ihm nicht viel Zeit, über Katharina's verändertes Wesen nachzudenken und Martin stand ihr darin treulich bei.

Frage drängte sich an Frage.

»Nun bleibst du doch ganz und für immer bei mir?« sagte Else, als eben Katharina wieder eintrat. Sie vernahm diese Frage und ihr Auge fiel forschend auf Johann, und noch ehe er seiner Mutter antworten konnte, sagte sie:

»Quäle ihn doch nicht mit solchen Fragen, Ahne! Zu was willst du schon bei der Freude des Wiedersehens sein Gemüth ängstigen? Es geschieht doch nichts anders, als was er längst beschlossen – und kann auch nicht sein, da ein höherer Wille ihn lenkt.«

»Dieser aber hat ihn nun zu mir geführt, in meine Arme,« fiel Else eifrig ein und den Sohn umfassend fuhr sie fort: Ist's nicht so, Henne? Sage ja und mache deine alte Mutter glücklich, so glücklich, wie es dann auf der ganzen Erde keine Mutter mehr giebt.«

»Laß uns darüber sprechen, wenn wir ruhiger geworden sind,« bat er sie.

Doch sie wollte Gewißheit, und nach einigem Zögern sprach er sanft:

»Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo ich für immer in die Heimath zurückkehren möchte; – dränge drum nicht in mich, liebe Mutter. Was ich begonnen, ist schwer – noch lange nicht erreicht – und erst dann will ich wiederkehren, um es Euch und der Heimath als Geschenk darzubringen.«

»Kannst du es denn nicht in der Heimath, bei mir, hier in deinem Hause vollbringen?« beharrte Else.

»Laß ihn doch, Mutter!« fiel Katharina mit gehobener Stimme ein. »Was verstehen wir denn von dem Werke, das er mit Gottes Hülfe vollbringen soll. Stelle dich ihm mit deiner Mutterliebe nicht als Hemmniß in den Weg. Das wäre große Sünde, denn was er thut, hat Gott selbst ihm vorgezeichnet.«

Ihr Auge strahlte bei diesen Worten in wunderbarem Glanze und über ihr zartes Gesicht zog das leuchtende Noth heiliger Begeisterung.

Alle sahen sie staunend an; – Gutenberg sprach tief ergriffen zu ihr: »Heiliges Kind, wenn dein Auge weiter sieht, als das der Sterblichen, o, so sage mir, werde ich denn wirklich vollbringen, was vor meinem Geiste steht? –«

»Du wirst es,« gab sie mit Bestimmtheit zur Antwort.

Er beugte sein Haupt vor ihr nieder. Sie legte ihre Hand darauf und fuhr in halblauten Worten fort:

»In weiter, weiter Ferne sehe ich dich hoch erhaben stehen, dich, Johannes Gutenberg – ein Lorbeerkranz umgiebt dein Haupt und zu deinen Füßen liegt eine Welt voller Wunder, wie sie jetzt keine trägt – ich kann sie nicht fassen, nicht nennen, sie häufen sich immer mehr um dich her, – aber« – sie erbebte und umfaßte mit beiden Händen krampfhaft sein Haupt und flüsterte: »Oh, Oh, – Alles entschwindet wieder – ich sehe nur noch dich, wie du hier vor mir stehst – eine Dornenkrone aus deinem Haupte – Dornen auf allen deinen Wegen – Johannes, mein Freund, mein theurer, lieber Freund! Gott beschütze dich!«

Sie sank zusammen.

Else brachte sie hinweg und Martin sagte zu Johann:

»Sie hat zuweilen solche Anfälle – und ich werde nicht recht einig mit mir, ob ihre Weisheit unmittelbar von oben kommt und der schwache, menschliche Körper dies eben nicht recht verträgt, oder ob dieser in krankhafter Gereiztheit den Geist Dinge schauen läßt, die in der Ferne liegen und so oder so kommen mögen, immer etwas Wahres enthalten, weil er sich immer damit beschäftigt und dadurch einige Voraussicht erhält.«

Else kehrte wieder. Die Freude des Wiedersehens war etwas gestört durch die voreilige Sorge, die sich hinein gedrängt und Katharina's Zustand. Das Mahl ging ziemlich still vorüber. Johann's und Martin's Gedanken waren mit Katharina beschäftiget, während Elsens Auge das Aeußere des Sohnes prüfte, und dieses, so schön und stattlich es auch war, ihr Mutterherz doch nicht recht befriedigen wollte. Eine zu frühe Furche zeigte sich auf ihres Lieblings Stirne und die weichen Schönheitslinien um Mund und Schläfe, welche sie einst entzückten, waren verwischt von den Spuren der Mühen und Sorgen eines ernsten Lebens. Als er ihr gute Nacht sagte, streichelte sie seine Wange, sein braunes Haar mit jener prüfenden Zärtlichkeit, welche überall eine schmerzliche Entdeckung zu machen fürchtet und doch Alles, auch das kleinste, zu wissen verlangt. Dann küßte sie ihm Locken, Stirne, Mund und Wangen so oft und so innig, als könne der Mutterkuß sie wieder frischer und jugendlicher küssen.

Von jetzt an wurde Else wieder viel rühriger und belebter. Was hatte sie auch nicht alles zu thun und zu sorgen in der kurzen Zeit von ihres Sohnes Anwesenheit; denn daß er bald wieder nach Straßburg zurückkehren wolle, hatte er ihr gesagt; und sie widersprach ihm nicht mehr. Sie dachte jetzt nur noch daran, ihn für die Fremde möglichst gut auszustatten; ja sie verwendete sich selbst mit großem Eifer dafür, ihm den jährlichen Ertrag seiner Rente wieder zu sichern, allein hierin blieben alle Schritte erfolglos. Durch die Gefangennehmung des Stadtschreibers hatte sich Gutenberg viele Feinde in seiner Vaterstadt gemacht, deren Einfluß ihm schadete und ihm vorerst nichts weiter gewinnen ließen, als die verbürgten dreihundert Gulden. Erst später, wenn er sich häuslich in Mainz niederlassen wolle, ward ihm der Bescheid, könne er wieder seine Rente beanspruchen. Da ihm aber jetzt mehr Geld, als diese dreihundert Gulden nöthig und nützlich war, verkaufte er einen Theil seiner künftigen Ansprüche für eine nicht sehr erhebliche Summe; allein sie hatte im Augenblicke zu großen Werth für ihn, als daß der spätere Nachtheil ihn hätte zurückschrecken können.

Katharina wurde während Gutenberg's Anwesenheit auffallend stiller und bleicher, und als Martin sie eines Tages allein zu Hause traf, warf sie sich ihm zu Füßen und beschwor ihn in einer an ihr ganz ungewohnten Aufregung, ihr doch beizustehen, daß sie bald und für immer diesem Hause und der Welt entfliehen könne. Sie zeigte eine so auffallende Unruhe bei dieser Bitte, daß Martin in sie drang, ihm doch den Grund zu sagen, warum sie gerade jetzt so eifrig nach dem Kloster verlange. Und ihr Gesicht in seine Hände bergend, beichtete sie:

»Große Sünde will abermals mein schwaches Herz beschleichen. – Seit ich ihn wiedersah, seit ich täglich seine Stimme höre, will jenes Gefühl wieder in mir erwachen, – jene verbrecherische Empfindung, die ich für den Bruder meines Vaters nie hätte haben dürfen und die ich längst zur Ruhe gekommen wähnte. Drum will ich fort aus diesem Hause, in welchem ich ihn, auch wenn er wieder fern sein wird, wandeln sehen werde mit seinem lieben, ernsten Angesicht, seiner hohen Gestalt, seinem innigen Blicke. O, guter Vater, schützt mich vor mir selbst – vor ihm und allen Erinnerungen an ihm!«

»Die werden auch in das Kloster mit dir wandeln,« erwiderte der Pater kopfschüttelnd. »Ein so tiefes Gefühl verdrängt nicht Gebet, nicht klösterliche Einsamkeit.«

»Wie? Ihr glaubt, diese Sünde sei nicht zu überwinden?«

»Sünde? Was nennst du Sünde, mein Kind? Daß du den Bruder deines Vaters mehr liebst, als die andern Menschen alle? – Ein so reines Gemüth, wie das deine – wie sollte das zu einer Sünde kommen? – Beruhige dich, meine Tochter. Halte die sündigen Wünsche – Wünsche, die nun einmal von der Kirche nicht gut geheißen werden, dir fern, da sie dir nur Pein brächten; – lieben aber mit deinem reinen, heiligen Herzen darfst du ihn, – das ist nicht Sünde; – denn so recht innige, reine Liebe ist fromm wie das Gebet selbst, wem sie auch geweiht sei, ob dem Bruder eines Vaters, ob der – –«

Er hielt plötzlich inne, als habe er schon zu viel gesagt; – dann zog er die Knieende empor, streichelte ihr über die blasse Wange und fuhr wehmüthig fort:

»Entsagung hat die Rosen aus deinem Angesichte gebleicht. Du hast entsagen müssen, Katharina, und hast es zeitlich erkannt; warum dich jetzt quälen mit Gewissensskrupeln? Und weshalb in ein Kloster fliehen vor dir selbst und deinen besten Gefühlen? – Bleibe bei uns – bei ihr, der du eine Stütze bist in ihren alten, schwachen Tagen. Warum willst du in Gebet und Kasteiungen mehr Trost finden, als in Erfüllung heiliger Pflichten, an die dein Herz mit doppelten Banden dich fesselt? Ueberlege dies wohl, meine Tochter, und gehe nicht in's Kloster, so lange du noch auf der Welt nützlich sein kannst. Denke an deine Ahne – und an ihn, dessen Mutter du allein den Sohn zu ersetzen vermagst.«

Er verließ sie nach diesen Worten – und schwankend, zweifelnd blieb sie zurück. – Da kam nach einer Weile Johann aus einem Seitenkabinet, trat zu ihr, faßte ihre Hand und sagte weich:

»Martin hat mir eben mitgetheilt, daß es dich verlangt, bald in ein Kloster zu kommen. Ich kann dir diesen Wunsch mit dem Reste meiner Rente erfüllen, der dir die Pforten eines jeden Klosters öffnen wird. Mich kostet es kein Opfer, denn bis zu der Zeit, wo ich mich ganz hier niederlasse, werde ich ja doch von derselben nichts beziehen – und kehre ich einst zurück, denke ich diese kleine jährliche Einnahme leicht zu entbehren. Drum, liebe Muhme, will ich vor meiner Abreise bei der Stadt beantragen, daß die Ansprüche, die ich noch an jene Rente habe, dem Kloster zugeschrieben werden, das dich aufnimmt. Martin soll mit dem betreffenden Kloster Rücksprache nehmen, daß, sobald es dich verlangt, du dieses Haus verlassen und dort einziehen kannst. Ist es deinem Herzen Wohlthat, dann laß dich durch keine Rücksicht davon abhalten – und nur, wenn du hier im Hof zum Gutenberg Ruhe und Frieden findest, bleibe bei der alten Mutter. Das Eine wie das Andere ist ein Gotteswerk. Welches von beiden dich mehr befriedigt, Katharina, das wähle. Doch prüfe wohl! –«

»Es bedarf keiner Prüfung mehr,« erwiderte sie nach kurzer Pause in gehobener Stimmung, indem sie Gutenberg's Hand faßte. »Ich will hier bleiben bei deiner Mutter, Johann, – will sie warten und pflegen, so lange sie lebt. Es war ein täuschender Nebel, der mein Auge umhüllte, als ich es anders für besser ansah. Klar steht es jetzt vor meiner Seele: es ist nicht Sünde, daß ich dich liebe, wie ich es thue und ewig thun muß. Das erste, heiße Jugendverlangen ist längst überwunden Es war nur eine schwache Anfechtung, die mich befallen, denn meine Liebe zu dir ist geheiligt, stehst du doch selbst als ein Heiliger vor mir. Ich will sie drum auch nicht länger zu verbergen suchen; – Ihr alle sollt sie erkennen, steht sie doch hoch über allen irdischen Wünschen. Ziehe du beruhigt gen Straßburg – deiner Mutter bleibt ein treues Kind zur Seite bis ihr Auge bricht. Dann erst, Johann, will ich scheiden ans diesem Hause, aus der Welt ; – dann erst ist meine Stätte das Kloster. Bis dahin verharre ich in deinem Hause, schütze die Mutter mit meiner kindlichen Liebe und denke deiner, mein Seelenfreund, wie ich der Heiligen gedenke, zu denen ich täglich bete.«

»Ich danke dir, Katharina,« sprach Gutenberg tief ergriffen. »Danke dir aus voller Seele für deinen Entschluß, der mir das Scheiben leichter macht. Wenn ich erreicht, wonach all meine Sinne trachten, dann kehre ich wieder und leg' es dir zu Füßen, Heilige!«

»An dem Altare Gottes leg es nieder, nicht vor mir!« – sprach sie in Extase. »Dort falle mein Auge betend, dankend, preisend darauf, dort, mein Freund, – mein heiliger Freund.«

»Gott und dir sei das erste gelungene Werk geweiht,« erwiderte er. »Deine Seele allein faßt die Größe meines Gedankens, weil sie Gottes Stimme darin erkennt, wie ich. – Wenige nur erkennen, was Gott zu ihnen spricht und Hohn trifft häufig die, welche sein Wort verstehen und es offenbaren. Drum laß es uns wie seither in unserer Brust verschließen, bis die That als vollendetes Werk es der Welt verkündet.«

»So sei es,« sprach Katharine feierlich.

»Wenn wir uns nach Jahren wiedersehen,« sagte er, ihre Hand ergreifend, »stehe ich der Vollendung nahe. – Nur so kehre ich, oder niemals wieder.«

»Du kehrst wieder. Wir sehen uns wieder,« verhieß sie mit frommer Zuversicht. »Wenn auch dein Weg über Dornen geht – und du aus tausend Wunden blutest – er führt zum Ziele. Das halte fest.«

Else und Martin traten ein. –

Katharina setzte sich still zur Seite. Ihr Angesicht war so heiter, wie lange nicht mehr; die tiefverborgene Liebe, die in manchen Stunden wie eine schwere Schuld aus der Jugendzeit in ihr nachgeklungen hatte, und durch Gutenberg's Nähe wieder lebendiger aufgewacht war, ging jetzt, nachdem sie dieselbe bekannt, in eine heilige Begeisterung für ihn über, welche sie beglückte und die, wenn auch Täuschung in dieser Exaltation liegen mochte, sie doch in einer Weise hob, vor der jeder irdische Wunsch, jedes sinnliche Verlangen verstummte.

Gutenberg jedoch war von dieser Scene schmerzlich aufgeregt und obgleich er niemals an Katharina's Besitz gedacht hatte, bewegte doch das Geständniß ihrer Liebe, wenn es gleich ein heiliges war, sein Herz und machte ihn etwas unruhig. Er verließ deshalb bald die Stube und ging hinab in das Gärtlein, das einst so schöne Blumen getragen. Es that ihm weh, jetzt nur wildes Gestrüpp darin zu finden und unwillkürlich sah er an der Mauer auf an Margarethens Haus, an das Fenster, durch welches er ihr einst die verhängnißvolle Blume gereicht. So viel Liebe hatte ihm schon freundlich zu häuslichem Glücke gewinkt – und er hatte sie verschmäht. Ein einsamer Wandler auf der schweren Bahn seines Lebens stand er da. Konnte denn nicht das liebende Herz und die sorgende Hand eines Weibes sie ihm leichter machen? War es nicht Hochmuth, daß er glaubte, nur allein darauf wandeln zu dürfen, und außer Katharina's prophetischem Blicke er keinem andern darauf zu weilen vergönnte?

Er versank in Nachdenken – da klirrte über ihm das Fenster und Margarethens schönes, stolzes Gesicht beugte sich zu ihm nieder und in etwas höhnendem Tone klang es an sein Ohr:

»Ei, sie da! Der Junkherr Gutenberg ist auch wieder in Mainz, und kehrt nicht einmal im Nachbarhause ein. Seid Ihr so stolz geworden, oder es vielmehr auch in der Fremde geblieben? Ich meine, Ihr hättet nicht Ursache dazu, und könntet jedenfalls in Eurem adeligen Hause etwas bescheidneren Sinn jetzt lernen.«

Gutenberg, überrascht durch Margarethens Anrede und gekränkt durch ihre Worte, wußte nicht gleich das Richtige zu erwidern und sie fuhr fort:

»Wollt Ihr guten Rath annehmen, Junkherr, so wählt Euch eine tüchtige und reiche Hausfrau, denn ein behagliches Leben hält schadlos für viele Täuschungen. Ich erfuhr dies an mir selbst, und da Euch ohne Zweifel auch schon Manches nicht nach Wunsch ging, denn Euer Aussehen zeigt's, – so könnte eine gute Heirath ein taugliches Auskunftsmittel geben.«

»Meint Ihr, Frau Fustin? Ich will mir's überlegen,« erwiderte Gutenberg, unangenehm berührt.

»Wie kurz Ihr seid. – Ihr wollt wohl gar den Beleidigten spielen – und solltet doch wahrlich recht dankbar sein, wenn ich noch zu Euch reden mag nach der Schmach, die Ihr mir einst angethan.«

»Wie, Margarethe, tragt Ihr mir jene schlimme Stunde noch immer nach?«

»Als ob ich sie je vergessen könnte?« fuhr sie heftig aus.

»So unversöhnlich seid Ihr? Ihr, Margarethe, – meine liebe Jugendgespielin?«

»Schweigt davon, Junkherr. Diese Zeit liegt zu lange schon hinter uns, um ihrer noch zu gedenken. Ich habe sie längst vergessen.«

»Wie? Lebt sie denn nicht in Euren Kindern Euch wieder auf?«

»Ich habe keine Kinder – wünsche mir auch keine.«

Gebe Euch der Himmel diesen Segen dennoch, ist mein bester Wunsch für Euch – denn Euer Gemüth würde dadurch milder werden, und Ihr glücklicher dabei sein als Euer Hochmuth Euch macht, und auch jener Tage würdet Ihr dann in Liebe wieder gedenken, in denen wir so fröhlich mit einander spielten.« –

Sie schloß, ohne etwas zu erwidern, so rasch das Fenster, als sie es geöffnet hatte – und heute zum erstenmale bemerkte ihr Mann Thränenspuren in ihren Augen, als sie aus ihrer Stube trat.

Johann kehrte in das Haus zurück noch peinlicher und unruhiger in seinem Innern gestimmt als zuvor. Er suchte die Mutter auf; es verlangte ihn nach ihrer milden, treuen Liebe und er war froh, daß der Pater schon weggegangen und Katharina mit häuslichen Dingen beschäftigt war. Er ließ sich auf einen niedern Sitz neben ihr nieder und bald hörte ihre Spindel zu surren auf, der Spinnrocken ward zur Seite geschoben und Gutenberg's Nacken vom Arme der Mutter umschlungen, sein Haupt an ihre Brust geneigt, sein Auge zu dem ihren aufgeschlagen So plauderten sie vertraulich mit einander, und nach einer Weile, während Else ihren Arm noch fester um des Sohnes Schulter legte und ihr Haupt noch tiefer zu ihm herabbeugte, sagte sie zu ihm:

»Ich rede nicht mehr gegen deine baldige Abreise, noch deinen ferneren Aufenthalt in Straßburg – du willst es so, mein Sohn, und von jeher nannte ich ja gut, was in deinem Sinne stand. Nur das verspreche mir: gieb das Umherwandern auf.«

»Von Straßburg führt mein Weg hieher, zu dir Mutter,« fiel er rasch ein.

»Ich danke dir für dies Versprechen; nun habe ich aber noch eine Bitte, lieber Henne, eine recht innige Bitte an dich zu richten. Willst du mir geloben, auch diese zu erfüllen, dann sehe ich dich ganz zufrieden scheiden und warte geduldig deiner Wiederkehr.«

Sprich, liebe Mutter. Wie gerne thue ich, was dich beruhigt und erheitert.«

»Sieh, Henne, ich dachte mir es freilich nicht so, viel besser; nun du aber wieder in die Fremde ziehst aus unbestimmte Zeit, könnte es auch auf andere Weise gut werden. Du sagst, daß du dir bald viel zu erwerben gedenkst, – der Erwerb ist keine Schande, obgleich ich dich lieber mit zeitlichen Gütern überschüttet hätte. Da nun aber in den Erwerb kein rechter Segen kommt, wenn ihn nicht eine brave, fleißige Hand verwaltet, solltest du dir eine Hausfrau suchen, ein gutes treues Weib. Gewiß, Johann, es würde dann Alles besser bei dir werden. Du bist in den Jahren, wo der Mann einer Häuslichkeit bedarf, sollen seine Geschäfte gedeihen und er nicht ein wunderlicher Heiliger werden. – Widersprich mir nicht. Die Erfahrung ist auf meiner Seite, – und ganz ruhig wegen deiner kann ich erst werden, wenn ich weiß, daß ein gutes, treues Weib dir zur Seite steht.«

»Du magst Recht haben, liebe Mutter, daß es besser für mich wäre, ein liebendes, sorgendes Wesen um mich zu haben. Oft schon habe ich nach den Mühen des Tages mich darnach gesehnt; – doch nicht nach Liebesglück, sondern nach treuer Freundschaft; die Liebe mag beseligende Momente bringen, aber sie zerstreut die Gedanken und zieht sie von ernster Thätigkeit ab.«

»So meine ich es auch nicht. Höre mich ruhig an. Wähle, prüfe mit Herz und Verstand zugleich. Du bedarfst einer sorglichen Hausfrau, die ordnend und schaffend um dich und über dir waltet, – nur dann, wenn du eine solche findest, nimm sie dir zum Weibe. Dann wird dir Alles leichter werden, du kommst in Allem schneller zum Ziele, – und schneller wirst du dann auch wieder bei mir sein. Wie glücklich wäre deine alte Mutter, wie zufriedener könnte sie das Auge für immer schließen, wenn sie dich mit Weib und Kind hätte einziehen sehen in dieses Haus. Bedenke auch, mit dir stirbt der Name Gutenberg aus, ein Name, der mir so lieb und werth, so tief eingegraben in meinem Herzen steht. – Versprich mir wenigstens,« fuhr sie unter hervorbrechenden Thränen fort, »daß, wenn du auch nicht die Gelegenheit suchen willst, du ihr doch nicht aus dem Wege gehst, wenn sie sich dir bietet und dein Auge offen ohne Vorurtheil darauf richtest. Gelt, mein guter Henne, mein liebstes Kind, das versprichst du deiner Mutter? –«

»Hier meine Hand darauf!« gab er lächelnd ihrem Wunsche nach.

Der einsame Aufenthalt in St. Arkobast kam ihm nicht als der geeignete Ort vor, eine Heirathsgelegenheit zu finden, doch wollte er der guten Mutter diesen Mißstand nicht mittheilen, und da seine Zusage sie sichtlich erheiterte, machte er auch keinen sonstigen Einwand mehr.

Einige Tage später verließ er Mainz und benützte eine Schiffsgelegenheit nach Straßburg.


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