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4.

Venedig, im fünfzehnten Jahrhundert auf dem Gipfel seiner Macht, bot in seiner abgeschlossenen Gestalt wohl das glorreichste und interessanteste Städte- und Staatenbild jener Zeit. Seine Entwicklungsweise, wie seine damalige Größe und Cultur erinnerten, gleich einem Traume der mit spielender Willkür dahingeschwundene Begebenheiten zurückführt, an die Entwicklungsgeschichte und die schönen Zeiten des klassischen Alterthums. Anfang, Wachsthum und Blüthe standen ein selbständiges, aus sich hervorgegangenes Ganze da, mit der Krone der höchsten Cultur jener Zeit auf dem stolzen Haupte. Kunst, Wissenschaft, Handel und Industrie blühten wie duftende Blumen um die Marmorpaläste des Reichthums, den das Meer seiner Beherrscherin zuführte, die inmitten seiner Wogen auf kleinen Sandinseln kühn emporsteigend, nach wenigen Jahrhunderten dazu herangewachsen war.

Das mächtige Venedig beherrschte von der Mündung des Po bis an den äußersten Osten das Mittelmeer, sein Handel dehnte sich über die bekannte Welt aus und seine kriegerische Macht blieb bis in das sechzehnte Jahrhundert eine der bedeutendsten.

In dieser weltberühmten Stadt, welche alle andern Städte Italiens überragte, stand, wie wir wissen, auch das Haus Antonio's. Es war kein prächtiges Marmorgebäude mit stolzer Facade und noch stolzerem Wappen, noch befand es sich in den von Handel und Industrie belebteren Theilen der Stadt. Es lag aus einer der kleinen Inseln, welche gleichsam die Vorstädte Venedigs bildeten, und lag auch hier abgesondert von dem allgemeinen Verkehr seitwärts an dem Meeresgestade. Die nach der Stadt zugekehrte Seite des Hauses war schmal und sah fast düster grau aus, während es nach dem Meere hin in zwei längliche Flügel auslief, die viel Raum im Innern verriethen und mit hohen Fenstern und Balkonen versehen, von Reichthum und Geschmack zeugten. Zwischen diesen beiden Hausflügeln lag anmuthig ein kleiner Garten voll schöner Blumen, welche Mandel- und Orangenbäume überragten. Antonio bewohnte dieses Haus seit dem Tode seiner Gattin, die er schon vor vielen Jahren verloren. Er legte in dieser Zeit tiefer Trauer seine kaufmännischen Geschäfte nieder und zog mit seinem einzigen Kinde hieher, als einem der schönstgelegenen Punkte Venedigs. Langjährige Gewohnheit jedoch veranlaßte ihn im Laufe der Zeit, hin und wieder Geschäfte abzuschließen, was ihn, wie der Wunsch seines Kindes, die Ufer des Rheines zu sehen, noch einmal nach Deutschland brachte, wo er Gutenberg und Kuno kennen lernte.

Gutenberg fand, was ihm Antonio zugesagt, eine gastfreundliche Aufnahme in seinem Hause und fand, was er nicht erwartet hatte den holden Knaben Angelo in eine schöne Jungfrau umgewandelt, deren Zauber ihn unwiderstehlich hinriß. Die südliche Gluth ihres Auges, die Lebendigkeit ihrer Bewegungen, der schmelzende und doch so frische Klang ihrer Stimme, überraschten und fesselten ihn mit jener Macht, die ein junges, heißpulsirendes Leben selten auf ein stilles, ernstes Gemüth verfehlt. Die Verwandlung des Knaben in ein Mädchen war noch ein besonderer Reiz, der Angela wie ein süßes Räthsel umgab, dessen Lösung so leicht und doch so wunderbar überraschend war.

In dem schönen und äußerst wohnlich eingerichteten Hause Antonio's fühlte sich Gutenberg bald so heimisch und wohl, als nur einmal an der Seite seiner Mutter, – ja alles, was ihn hier umgab, war ansprechender, weit geschmackvoller und freundlicher, als im Hofe zum Gutenberg, oder gar in dem alten Familiensitze zu Eltwill. Wie angenehm und bequem fand er sich hier gebettet, war Alles geordnet und kaum bemerkte man die Winke der gütigen Fee, die wie mit leichtem Zauberstab über der anmuthigen und behaglichen Eleganz des Hauses waltete. Das ängstliche, oft so sichtbare Bemühen einer deutschen Frauenhand, die Fäden des häuslichen Gespinstes unverworren zum glatten Gewebe zusammenzufügen, war in Angela's ordnendem Walten nicht zu entdecken, scheinbar unbekümmert um die Sorgen und Mühen des Haushalts, glitt Alles, wie von selbstverständlich, leicht und sicher durch ihre zarten Finger, kaum angeschaut und doch beherrscht von ihrem Auge. Es war so ruhig und friedlich in dem schönen Hause, allein weit entfernt von jener langweiligen Ruhe des täglich sich gleichmäßig wiederholenden. Gab's auch im Ganzen wenig Veränderung, war das Alltägliche doch mit tausenderlei kleinen Abwechslungen gewürzt, denen Angela's holdes Wesen stets neuen Reiz verlieh.

Johann hatte Angela viel zu erzählen von seinen Wanderschaften, – sie ihn viel zu fragen, und so kam ihre Unterhaltung häufig auch auf Kuno, dessen Geschick Gutenberg bekümmerte, und das junge Mädchen mit dem theilnehmendsten Interesse erfüllte.

»Fürchtet Ihr nicht,« fragte sie ihn eines Tages in einer stillen Abendstunde, wo sie allein zusammen waren, »daß er in dem harten Kampfe seines Lebens untergehen wird? Vielleicht schon untergegangen ist?«

Gutenberg fand keine befriedigende Antwort auf diese Frage, die fast tonlos aus Angela's Mund gekommen. Nach einer Pause fuhr sie lebhafter fort: »Laßt uns hoffen, Junkherr Gutenberg, daß es nicht so ist – ja, laßt uns fest daran glauben, daß der bessere Theil seiner Seele ihn über die Klippen und Abgrunde seines Lebens hinwegbringen wird.«

Ein feuchter Schimmer milderte die Gluth ihres Auges, als sie dies sprach und auf die frischbleichen Wangen trat ein röthlicher Glanz, der die Schönheit ihres Gesichtes wunderbar erhöhte.

Gutenberg's Blick hing gefesselt an Angela's bezauberndem Reize, und ein Weh, dessen Ursache er nicht ergründete, zog durch sein Herz.

Antonio trat ein und theilte seinem Gaste mit, daß er für ihn die Erlaubniß erwirkt habe, in der berühmtesten Glasfabrik Venedigs aus- und einziehen zu dürfen, ja, wenn er es wünsche, er daselbst Beschäftigung finden könne.

»Das ist's, was ich will,« fiel Gutenberg in rascherer Weise ein, als er sonst zu sprechen pflegte. »Schon zu lange lebe ich in süßem Nichtsthun hier in Eurem Hause, mein edler Freund. Es wohnt sich allzugut bei Euch – allzuschön – und Zeit ist's, höchste Zeit, mich loszureißen, und mich wieder ganz dem ernsten Zwecke meines Lebens zu weihen.«

»Thut, wie Ihr wollt,« erwiderte Antonio, Gutenberg's Hand drückend. »Kein Zwang, nicht einmal der der Bitte, soll Euch bestimmen, bei uns zu bleiben; – doch, meine ich, welchen Lebenszweck Ihr auch verfolgt, so lange er Euch in Venedig hält, könntet Ihr in meinem Hause wohnen. Seht es als Eure Herberge an, – Ihr findet keine bessere – und mir und Angela macht es Freude, wenn Ihr so thut.«

»Gewiß, Junkherr Gutenberg,« bestätigte Angela, »Ihr bleibt in unserem Hause – müßt drin bleiben. Beschäftigt Euch, so viel Ihr wollt, außer demselben, nur kehrt immer wieder zu uns zurück. Ihr habt so viele Drangsale auf Euren Wanderungen gehabt, daß ich Euch pflegen und warten möchte, so lange Ihr in Venedig weilt. Drum laßt es Euch in Euren Feierstunden in Antonio's Haus so wohl gefallen wie seither.«

»Dank, Dank für so viel unverdiente Güte,« erwiderte Gutenberg schwankend.

»Mein guter Vater,« wandte sich Angela in etwas gezwungenem heiterem Tone zu Antonio, »suche unseres Gastes etwaige Bedenklichkeiten zu beschwichtigen. Mit ihm zöge ja auch Lorenz, unser treuster, dienender Geist aus dem Hause, und ebenso die schöne Hoffnung, den fahrenden, deutschen Spielmann noch einmal zu sehen.«

Sie verließ bald darauf das Gemach und ging in den andern Flügel des Hauses, dessen äußerste Zimmer, welche einen herrlichen Blick über das Meer hin gewährten, zu ihrem speziellen Gebrauch hergerichtet waren. Ihr eigner Geschmack und die Liebe eines zärtlichen Vaters hatten diese Wohnung zu dem reizendsten Aufenthalt geschaffen, der im Schooße eines Hauses dessen Kind und Herrin werden konnte. Schöne Kunstgegenstände wechselten mit den anmuthigsten Dingen des Luxus in sinniger Weise ab, und beide waren geziert mit den prangenden und duftenden Erzeugnissen der südlichen Erde, die sich in Laubgewinden vom dunkelsten bis zum hellsten Grün durch die Zimmer schlangen und in glühender Farbenpracht die weißen Wände verschönten. Die Flügelthüren nach einem Balkone, auf welchem der reichste Schmuck von Flora's Kindern beisammen war, standen offen und die weiche Seeluft trug ihre süßen Düfte Angela entgegen. Sie trat hinaus zu ihren Lieblingen und wiegte einen Augenblick ihr schönes Haupt in der Fülle ihrer zarten Kelche, gleichsam sie liebkosend, dann griff sie nach einer Harfe, die an einer Cypresse lehnte, und entlockte ihren Saiten einige Akkorde, die voll und tief in die Nacht hinausklangen. In der Ferne zogen röthlich graue Wolken auf, doch über Angela's Haupt wölbte sich der Himmel im schönsten Blau, auf seinem Grunde den vollen Mond tragend in seiner heitern, ruhigen Majestät, gleich einem glücklichen Beherrscher, den ein glänzender Hofstaat umgiebt. Angela sah aufwärts nach den Sternen und während ihre Finger leicht über die Saiten glitten, sprach sie laut hinaus:

»Wie schön, wie herrlich ist dein Himmel, mein großes Venedig – und ich bin deine Tochter, schöne, stolze Stadt! Ist das nicht genug zum Glücke eines ganzen Lebens? – Zu was quälst du dich, kleines Herz, mit romantischen Grillen, die du in eigensinnig, kindischer Weise festzuhalten suchst? War ich denn nicht noch ein ganzes Kind, als sein Anblick – und mehr noch sein abenteuerliches Geschick mich fesselte? Was klage und fürchte ich um sein Leben? – Steht es doch dem meinen so ferne. – Eine Thräne des Mitleids weine ihn nach mein Auge, mein Herz – damit aber sei es genug!«

Sie wischte sich mit rascher Bewegung eine hervorquellende Thräne ab, griff dann stärker in die Saiten der Harfe und sang mit heller Stimme in die geheimnißvolle Ferne des Meeres hinaus:

Könnt ich dich doch in jenen ew'gen Räumen
Du leuchtender Pilote dort begleiten,
Mit deinem Spiegelbild die Fluth durchschreiten
Und golden der Lagunen Wellen säumen.

Ich seh' der Adria Gewässer schäumen,
Könnt ich hinab in ihren Schooß geleiten,
Ich möcht' das Meer um seinen Sturm beneiden
Der es entreißet bangen schwülen Träumen.

So fühl' ich Sehnsucht ziehn durch meine Seele,
Nach einem Etwas, das ich nicht erkenne,
Für das ich doch in süßem Schmerz entbrenne.

Was klagt im Lied die holde Philomele,
Was heißt sie ziehn vom fernen Heimathstrande
Rastlos dahin wohl über Meer und Lande? –

Durch einen der Kanäle, die in das Meer mündeten, kam inzwischen ein kleines Fahrzeug heran. Angela bemerkte es nicht. Es hielt unweit ihres Balkons an, doch sie sah nicht hinab, ihr Blick schweifte hinaus in die Ferne und hing sich an die unendliche Tiefe des Himmels. Da drang ein schmelzender Gesang, von einer Mandoline begleitet, an ihr Ohr. Etwas zusammenschreckend neigte sie ihr Haupt über die Brüstung des Balkons und entdeckte die schlanke Gestalt eines Mannes in einer dunkeln Gondel. Eine unangenehme Empfindung schien sie bei diesem Anblicke zu überkommen, denn in halb ärgerlichem, halb ängstlichem Tone flüsterte sie:

»Er ist es. Mein Gott, was soll daraus werden?«

Der Gesang dauerte fort. Angela grüßte hinab; doch keine der vielen Blumen, die um sie her blühten und dufteten, fiel zu den Füßen des Sängers, so sehr ihn auch noch nach solchem Liebesgeschenk verlangen mochte, denn er begann nach einer Pause vergeblichen Harrens wieder:

O neige dich vom glänzenden Balkone
Du meines Lebens Sonne zu mir nieder,
Hör' gütig meine heißen Liebeslieder,
Und sei mir hold, du aller Frauen Krone!

Wie eine Königin von ihrem Throne,
So wirf die Rose mir von deinem Mieder
Sie dufte dann an meinem Herzen wieder,
Der tief verborgnen Liebe dort zum Lohne.

Madonna, höre du mein heißes Flehn; –
Kann meiner Liebe Gluth dich nicht erweichen,
Soll ich verschmachtend hier im Dunkeln stehn?

O send' herab das süße Liebeszeichen!
Glückseligkeit, o Wonne ohne Gleichen,
»Wenn ich dich werd' in meinem Arme sehn.

Angela trat während des Gesanges von dem Balkone zurück. Ein plötzlicher starker Luftzug fuhr über die Lagunen, sauste um den Balkon und entführte einer chinesischen Vase ein zierliches Bouquet. Es fiel in die Wellen unweit der Gondel. Der Sänger haschte zu rasch darnach und stürzte in die Fluthen, als eben Angeln wieder auf den Balkon trat. Ein Aufschrei des Entsetzens entfuhr ihr. Sie wollte nach Hülfe rufen, doch schon sprang ein Mann von dem steilen Ufer hinab und faßte mit starker Hand den eben Untersinkenden, und ihn nach sich ziehend, kämpfte er so lange mit dem gefährlichen Elemente, bis er die Blumen erbeutet hatte.

Unterdessen waren auf Angela's Schreckensruf einige Diener herbeigekommen und eilten ihrem Befehl zufolge durch den Garten, von dem eine Treppe an das Meer hinabführte, um von dort aus wo möglich den Gefährdeten beizustehen. Die Gondel fuhr gleichfalls zu ihrer Rettung heran, erreichte sie glücklich und nahm sie auf. Einige Minuten nachher hielt das kleine Fahrzeug an der Treppe, aus welcher Antonio's Diener zur Aufnahme des Verunglückten bereit standen, der besinnungslos und schneller Hilfe benöthigt war. Man eilte, ihn in das Haus zu bringen, aus dem eben Antonio und Gutenberg traten. Auch Angela kam herbei, um das Nöthige anzuordnen. Sie befahl, schnell einen Arzt zu holen und den Bewußtlosen indessen zu erwärmen. Ihr Vater folgte ihm in das Haus; sie trat einige Schritte vor, den Retter zu begrüßen, ihm zu danken und ihn einzuladen, sich im Hause zu erholen. Gutenberg hielt ihn umfaßt und sein triefendes Haupt lag fest an seine Brust gepreßt.

»Was fehlt dem muthigen Manne?« fragte Angela besorgt.

Da hob er sein Haupt empor, – und sein großes, blaues Auge hing sich wie bezaubert an das schöne Mädchen, während er den kühn eroberten Blumenstrauß an seine Lippen preßte.

»Kuno, Ihr seid es? Ihr?« bebte es von Angela's Lippen.

»Holder, süßer Knabe, so sah ich dich in meinen Träumen, so wie du jetzt vor mir stehst,« stammelte er mit mühsam zurückgehaltenem Entzücken, und sank, von einer gewaltigen Empfindung hingerissen, zu ihren Füßen und sah zu ihr auf, Vergebung flehend, die Hände andächtig um den Blumenstrauß gefaltet, wie um ein wunderthätiges Amulet, dessen Schutz man zu bedürfen glaubt.

»Kuno, Ihr – Ihr seid es wirklich? –« stammelte sie abermals, dann lächelte sie zu ihm nieder, dann zu Gutenberg auf, der ernst diese Scene mit ansah, und fuhr unter hervorbrechenden Thränen fort: »Ja, wahrhaftig, er ist's. –– Kuno, unser Reisegefährte –– der fahrende Spielmann.«

»Nein, dieser nicht mehr, schöne Donna,« rief Kuno, sich rasch erhebend und die langen Locken schüttelnd; »der liegt längst begraben in dem grauen Thurme, von dem ich Euch einst eine Mähre erzählte; – doch noch immer bin ich ein ruheloser Mensch, der nirgends eine bleibende Stätte findet, und auch hieher nur wallfahren kam, um die Heilige noch einmal zu sehen, deren strahlendes Auge wie ein himmlischer Stern in die Nacht seines Lebens geleuchtet – sie noch einmal schauen – zu ihr beten – und dann weiter wandern – weiter – fort – immer fort – bis das unstete, flackernde Licht seines Lebens erloschen.«

»Ihr seid allzu aufgeregt, Freund Kuno. Werdet erst wieder ruhig, ehe wir weiter mit einander reden,« bat Angela – doch er sprach in derselben Weise fort:

»Ich wollte Euch nicht nahen – Euer friedliches Leben nicht mit meiner Gegenwart stören, – nur aus der Ferne wollte ich noch einmal Euch schauen und ihn, Gutenberg, noch einmal an's Herz drücken, durch ihn Euch Grüße und mein Lebewohl für immer senden. Ihn suchte ich in Venedig und vermuthete ihn in Eurem Hause. – Als ich es heute Abend spähend umschlich, erblickte ich Euch aus dem Balkone – Angelo – Angela – ich vernahm Eure süße Stimme, wie ein Himmelston klang sie mir durch die stille Nacht; – da nahte sich die Gondel Eurem Hause, ich hörte das Lied, das zu Euch um Liebe flehte – sah die Blumen, des Sängers Lohn, auf den Wogen tanzen; – sie mein zu nennen, sprang ich in die Wellen – nicht um ihn zu retten, dem Ihr sie gespendet – nein, nein, glaubt das nicht!«

»Doch Ihr thatet es,« fiel Angela schnell ein.

»That es unwillkürlich – aus Instinkt – nicht aus Edelmuth, – – denn während meine Hand ihn über der Todestiefe hielt, schlug mein Herz voll Haß gegen ihn.«

»Weshalb gegen den Unbekannten?« sagte sie tadelnd, setzte jedoch schnell hinzu: »War es so, war's um so edler, daß Ihr ihn dennoch gerettet.«

»Ihr nennt die That edel – wohl – behaltet diesen Glauben und lohnt mir mit diesen Blumen, Angela, gebt sie mir zum Eigenthume.«

»Behaltet sie zum Angedenken an dieses Wiedersehen. Ich kann sie geben, wem ich will – denn sie waren dem Sänger nicht bestimmt. Der Wind nur, der über die Lagunen fuhr, trieb ein loses Spiel damit, und entführte sie dem Balkone.«

»Nicht Eure Hand warf sie in die Fluth?«

»Nein, nein. Doch das ist ja von so wenig Belang, Freund Kuno – und von weit mehr, daß wir hier stehen und plaudern, während Eure durchnäßten Kleider so nöthig anderer bedürfen. Kommt, kommt schnell in's Haus. Ihr, Junkherr Gutenberg, übernehmt es wohl, für den Freund zu sorgen. Wünscht nur, was Ihr bedürft, und es soll schnell zur Hand sein. Zum Abendimbiß sehe ich Euch wieder.«

Sie neigte leicht ihr Haupt gegen die beiden jungen Männer und verschwand im Hause. Gutenberg schlang seinen Arm liebreich um Kuno's Nacken und zog ihn mit sich fort, Angela nach.

Auf einen freundlichen Ruf Antonio's kamen sie nach einigen Stunden im Speisezimmer wieder zusammen, wo Angela in liebenswürdigster Weise die Hausfrau repräsentirte und mit anmuthiger Lebendigkeit sie alle drei über eine gewisse Befangenheit hinwegbrachte, die sie unwillkürlich empfanden.

Der verunglückte Sänger hatte sich unterdessen auch wieder erholt, zog es jedoch vor, nicht mehr zu erscheinen und ließ sich mit der Unordnung seiner Toilette, wie seiner nothwendigen, schnellen Heimkehr entschuldigen.

Antonio theilte mit, daß er Carlo Toletti heiße und der Sohn eines ihm sehr werthen Geschäftsfreundes sei, mit dem er in langjährigen Verbindungen gestanden; Carlo wäre ein Mann von liebenswürdigem Charakter und vielen kaufmännischen Vorzügen und ein von ihm begünstigter Bewerber um Angela's Hand. In den Zügen des schönen Mädchens drückte sich bei Antonio's Mittheilung einige Unruhe aus, während Kuno's Auge einen Moment wild aufflammte, und Gutenberg's ernstes Angesicht noch ernster wurde. Die Unterhaltung gerieth in's Stocken – da erhob sich plötzlich Angela und neigte mit ungemeiner Anmuth ihre üppige Gestalt über den Tisch nach Kuno hin, indem sie ein Glas emporhob und halb scherzend, halb ernsthaft sagte:

»Da es dieses begünstigten Bewerbers um meine Hand bedurfte, Euch in unser Haus zu bringen, Meister Kuno, und Ihr doch wohl zufrieden damit seid, so laßt uns auf sein Wohl anstoßen und auch auf das Eure. Es lebe der Gerettete – es lebe der Retter!«

»Beiden sei dieser Becher geleert!« setzte Antonio hinzu, einen goldenen Pokal erhebend, der vor ihm stand. Als er ihn geleert, reichte er ihn Gutenberg und fragte:

»Erkennt Ihr ihn nicht? Er ging aus Meister Helferich's Werkstätte hervor. Ich kaufte dieses kunstreiche Meisterwerk, als ich das letztemal mit dem alten Goldschmied Geschäfte abschloß.«

Gutenberg nahm das blinkende Gefäß und sah es lange an. Es rief eine Menge Erinnerungen in ihm wach, Scenen aus seiner Kindheit: seine Spiele mit Margarethe, jenen Abend, wo er mit ihr auf der Spitze des römischen Pfeilers stand, und ihr Uebermuth ihr fast das Leben raubte, – die Stunde in der Werkstätte, in welcher Helferich's schönes Kunstwerk die Runde der aufgeregten Zunftgenossen kreiste. Es war derselbe Pokal – er erkannte ihn wieder; – ein Zeichen aus der fernen Heimath, in dessen blinkendem Metall sich ihm liebe Bilder von ihr abspiegelten, Bilder aus einer Zeit, welche magnetisch die Seele heimwärts ziehen, und schwelgte sie in fernem Lande selbst in Himmelswonnen.

»Ihr schaut so tief in den leeren Becher!« scherzte Antonio. »Vergebt, daß ich ihn Euch ungefüllt gab – allein, seht, ich wollte das heimathliche Gefäß Euch nun voll heimathlichen Weines reichen. Schnell, Lorenz, gieb jenen Humpen dort mit dem festverschlossenen Deckel. So, mein Junge, auch du sollst ihn kosten – deinen Landsmann: – Johannisberger. – Auf, Junkherr, stoßt an, das goldene Mainz soll leben! Die herrlichen Ufer des Rheins, sammt dem Johannisberg mit seinen lustigen Mönchen, die so prächtiges Getränk mit Uns theilen!«

Angeln hielt lächelnd ihr Glas Kuno entgegen, während Antonio und Gutenberg ihre Becher leerten, doch er zauderte anzustoßen und als er es that auf ihren wiederholten freundlichen Wink, stieß er so hart an ihr Glas, daß es zersprang und klirrend zu Boden fiel. Angela sah ihn betroffen an.

»Vergebt, meine Erinnerungen. leiteten meine Hand,« sagte er bitter, dann bedeckte er einen Augenblick mit schmerzlicher Bewegung sein Gesicht.

»Denkt nicht an längst vergangene Dinge,« bat Angela. »Laßt den grauen Thurm verwittern mit all seinem Weh, seinem Schmerz – und wenn Ihr durchaus etwas daran aufrecht erhalten wollt, so mögen es die Freuden sein, die Ihr einst dort genossen. Sie bringe jeder neue Tag Euch wieder, sie, die holden Himmelskinder – den Schmerz aber, der Erde Sohn, den legt in das Grab zu den Todten!«

»In's Grab zu den Todten – « wiederholte Kuno. »Ja, Ihr habt Recht, habt doppelt Recht, da die Freude, das holde Himmelskind, wie Ihr sie nennt, in Euch verkörpert vor mir steht. Wohlan, laßt uns anstoßen und fröhlich den Becher leeren, den silbernen Pokal, der nicht zerschellt. Es lebe die Freude, die Lust, die Liebe, der Wein!«

»Halt!« scherzte Angela, mit ihrer schönen Hand Kuno's Becher niederhaltend, »So wild nicht, mein Freund. Die Freude, die dauernd beglückt, ist eine zarte Blume, welche ein starker Hauch leicht zu knicken vermag; drum nehmt nur statt des Bechers wieder das Glas zur Hand, das klare, durchsichtige, zerbrechliche Gefäß und stoßt damit an und horcht, wie lieblich es klingt, wenn wir die Freude leben lassen, die holde, schöne Freude, die uns in seliger Lust, zu den Göttern erhebt und uns nicht berauscht, nicht betäubt bis wir ermattet zur Erde sinken, um in Schmerz wieder zu erstehen. Also, Freund Kuno, aus das Glück, wie ich es meine, stoßt an! Hier nehmt den Kristall mit dem perlenden Weine und lauscht wie hell es klingt.«

Sie sahen sich Auge in Auge, nahmen die Gläser und sie klangen harmonisch zusammen. Sie nippte am Rande des ihren – er leerte mit einem Zuge das seine, dann sank er auf seinen Stuhl zurück und schloß einen Moment sein Auge, – seit vielen Jahren zum erstenmale wieder von überwältigender Freude zugedrückt.

Ihr Blick blieb aus ihn geheftet, und eine Stimme in ihr sprach: »Er wird nach und nach genesen von den Wirren und Qualen seines Lebens.«

Antonio und Gutenberg hatten unterdessen in heiterem Gespräch die Ufer des Rheines besucht, und kehrten in Mainz, in Meister Helferich's Werkstätte ein, versetzten sich in den Hof zum Gutenberg und selbst in das minder freundliche Haus zu Eltwill. Johann gedachte mit Liebe der fernen Angehörigen. Antonio erzählte dagegen von seinen früheren Reisen in Deutschland, seinen Rheinfahrten und wie er als Handelsmann die Klöster und Burgen besucht und einst längere Zeit nach einem schweren Ereigniß in einer solchen gefangen gesessen und nicht geglaubt habe, Italiens Himmel je wieder zu sehen.

Als Gutenberg ihn über die näheren Umstände seiner Gefangenschaft befragte, ging er jedoch schnell darüber hinweg und es schien, als bereue er, davon gesprochen zu haben. Nur mit einiger Anstrengung kam er wieder in die frühere heitere Laune, indem er mit einer raschen Wendung von den romantischen Ufern des Rheines nach Antwerpen und seinen letzten Geschäften dort überging.

»Ich habe alle die Kleinodien, die ich dort eingelöst, um gute Preise wieder verkauft,« erzählte er, »theilweise an ihre früheren Besitzer, den König Sigismund und seine Gemahlin; nur von einem Geschmeide trennte ich mich nicht, weniger um seines Werthes, als seiner seltenen Fassung und Schönheit willen. Wie ich es sah, bestimmte ich es sogleich zum einstigen Brautschmuck meiner Tochter. Angela's Arme und Nacken sind seiner werth, wenn sie auch nur die Tochter eines Kaufmanns ist.«

»Für den Nacken einer Tochter Venedigs, so meinst du doch wohl, Vater, ist auch der herrlichste Schmuck nicht zu prächtig« setzte Angela scherzend hinzu, doch hob sich unwillkürlich dabei ihr schönes Haupt so hoch und stolz empor, als sitze es auf den Schultern einer Königin.

»Ihr sollt entscheiden, ob der Schmuck ihr nicht paßt, ganz wie für sie gemacht ist,« sagte Antonio mit der partheiischen Vorliebe eines Vaters, dessen größter Schatz sein Kind ist, – und er verließ seine Gäste, um den Schmuck zu holen.

»Ihr werdet ein schönes, seltenes Kunstwerk schauen,« entschuldigte Angela des Vaters zärtliche Eitelkeit. »Ob passend für mich oder nicht, gilt dabei gleich; und sollte es wirklich mein Brautschmuck werden, mag es noch lange in seinem zierlichen Behälter ruhen«

Der Kaufmann trat wieder ein, ein Kästchen von Ebenholz, mit Gold eingelegt, tragend und stellte es auf den Tisch.

Kuno's Auge, das schwer von Angela lassen konnte, fiel nicht gleich darauf, erst als Antonio den Deckel öffnete und ein kostbares Geschmeide von Perlen und edlen Steinen, in wunderbar schöner Fassung, zum Vorschein kam, sah er darauf hin und kaum hatte er den Schmuck erblickt, als er erbleichend aufsprang, und ihn anstarrend mit bebender Stimme fragte: »Wem gehörte dieser Schmuck?«

»Wie ich vermuthe, Sigismund's Gattin, der bösen Barbara,« erwiderte Antonio, der den Schmuck betrachtend, Kuno's Aufregung nicht bemerkte, und fort fuhr: »Mich wundert, daß sie ihn dem Könige zum Versetzen überließ, da sie ihm sonst wenig Vorschub für sein verschwenderisches Leben leistet, vielmehr die böse Sieben ist, die sein lustiges Treiben verfolgt.«

»Was ist Euch, Kuno?« unterbrach Angela ihren Vater.

Alle sahen auf ihn. Sein Gesicht war todtenbleich und verzerrt – die Lippen fest zusammen gepreßt – die Augen, als wollten sie aus ihren Höhlen treten. Krampfhaft griff seine Hand nach dem Schmucke, riß ihn heraus und hielt ihn hoch empor, während seine Brust sich hob, als wolle sie zerspringen.

»Kuno, um Gotteswillen, sprecht, was ficht Euch an?« flehte Angela in höchster Angst, und legte ihre Hand auf seine Schulter.

Bei ihrer Berührung entlud sich ein furchtbarer Schrei seiner gepreßten Brust, dem leise die Worte nachfolgten:

»Der Schmuck war das Eigenthum meiner Mutter, der Brautschmuck, den mein Vater ihr gab.« Dann stürzte er nieder, sein Angesicht an Angela's langem Gewand verbergend.

»Laßt mich mit ihm allein,« bat sie nach einer Pause des Schreckens. »Ich will ihn zu beruhigen suchen – ich vermag es am besten.«

Schweigend ging Antonio mit Gutenberg hinweg. Als sie allein waren, faßte Angela Kuno's Haupt, richtete es empor, und bat ihn, ruhiger zu werden, – ihr zu vertrauen, – sie wolle sein Leid mit ihm tragen. Lange sprach sie zu ihm, bis er sie zu verstehen schien. Seine Gedanken weilten bei Erinnerungen und Entdeckungen, die selbst ihre holde Stimme nicht zu verdrängen vermochte. Endlich nahm er ihre Hand und sagte:

»Vor einer kurzen Stunde entschwand mir in der Freude, bei Euch zu sein, alles Andere: die Schmach meiner Geburt, der harte Kampf meines Lebens, selbst die Rache, welche ich an dem Grabe meiner Mutter geschworen. Das blinkende Geschmeide, Euer Brautschmuck, rüttelte Alles wieder wach. O, legt die Perlen nicht um Euren Nacken, schwere Thränen sind es – und schwere Thaten haben sie mir offenbart, das Geheimniß mir enthüllt dem ich vergebens bis jetzt nachgespürt. Nun kenne ich ihn, den Verbrecher –«

»Er ist Euer Vater,« fiel Angela schnell ein.

»Des Bastards Vater – der Mutter Mörder,« rief er wild.

»Nicht er hat sie ermordet,« mahnte Angela. Sein rachsüchtig Weib that es.«

»Doch er soll's büßen, – er und jener Verräther, der seinen Namen der Schande lieh. Ich werde sie beide finden – und ich schwöre –«

»Schwört nicht, jetzt nicht,« flehte Angela, seine erhobene Hand fassend und an ihr Herz drückend. Er bebte zusammen, sah sie eine Weile an, dann fuhr er etwas ruhiger fort:

»Als es mich zum zweitenmale nach Böhmen trieb, für die Sache des Lichtes mein Leben zu opfern, sah ich die Stätte wieder, wo ich geboren, – sah ihn wieder, der uns solange getäuscht, im Kampfgewühl, mir gegenüber, doch mein Schwert erreichte ihn nicht, aber furchtbar, wie das Gewühl des Krieges, in das ich mich gestürzt, tauchte durch seinen Anblick mein grauses Geschick wieder vor mir auf und mit erneuter Wuth stürzte ich mich der Kriegsfurie in die Arme. Es war eine gräßliche Zeit! – Selbst die Gipfel der Bäume, unter deren waldigem Dache meine Kindheit dahingegangen, schienen mir in Blut getaucht, ihre Wurzeln ein Feuermeer, das den Boden unterwühlte, auf dem ich geboren. Das Todesröcheln, das Schmerzgestöhn und das Wuthgeschrei, das mich umraste, erlöschte den hellen Punkt, der mich in dieses furchtbare Meer des Fanatismus und wilder Leidenschaften hineingetrieben. Nur sterben wollte ich jetzt noch, – ein Stahl traf meine Brust, mein Bewußtsein schwand und kehrte mir nur langsam in einer Hütte wieder, in die mich ein unbegreifliches Mitleid gerettet hatte. Die Hütte lag weit entfernt von dem Kriegsschauplatze, an der Grenze Oestreichs. Was ich dort in meinen Fieberparoxismen geträumt, laßt es mich Euch verschweigen, es waren oft wunderbar schöne Träume – ein Himmel, in dem ich hätte sterben sollen, um den Traum fortzusetzen. Ich blieb am Leben – es trieb die Seele, die so schön geträumt hatte, fort von dem Schauplatze grauser Thaten – es trieb den unstäten Wanderer aus den furchtbaren Wirken dieses Krieges dem Süden zu, um den Freund unter Italiens heiterem Himmel zu suchen und ihn zu finden in Eurer holden Nähe. Was ich suchte – ich fand es – nein mehr – viel mehr – Himmel und Hölle – fand Euch, Angela, Engel des Lichtes – und entdeckte das Geheimniß, das mich der Hölle verschreibt, das mich ewig trennt von Euch – ewig, Angela.«

»Gebt Gott die Rache anheim, Kuno. Waffnet Euren Arm nicht gegen den Vater, hebt durch ein edles Leben den Racheschwur wieder aus, den Ihr in wildem Schmerz am Grabe der Mutter geschworen, und glaubt mir, sie wird aus der lichten Höhe, in der sie jetzt weilt, segnend aus Euch niederblicken, wenn Ihr also thut.«

Kuno schüttelte sein Haupt und schwieg, düster vor sich niedersehend. Angela fuhr nach einer Pause fort: »Bleibt hier in Venedig und frischt das, was Euch Eure Mutter einst gelehrt, wieder in Euch auf. Lebt der Wissenschaft, der Kunst! Versucht es mit diesen holden, versöhnenden Genien des Lebens und laßt mich Eure Führerin sein.«

»Wie, Ihr, Angela?« Ihr wolltet? So weit interessirt Euch mein verworrenes Geschick?«

»Noch mehr. Ich würde trostlos sein, wenn Ihr in Eurem wilden Treiben untergingt.«

»Angela! Träume ich denn wieder? So spracht Ihr, als ich dem Tode nahe lag – und ich genaß und mußte wandern hieher – zu Euch.« Er sank vor ihr nieder und hob, wie vor einer Gottheit, flehend, Blick und Hände zu ihr empor.

Sie neigte ihr Antlitz nach ihm hinab, ihr Mund berührte seine Stirne, doch rasch beugte er sich zurück und rief:

»Nein, Heilige! Dein reiner Mund berühre den Sünder nicht – noch kennst du ihn nicht ganz.« Und in heftig hervorgestoßenen Worten erzählte er ihr von Gisela, seiner Liebe zu ihr, und den Vergehen seines abenteuerlichen Lebens. Wie vor einem Beichtiger lag er vor ihr auf den Knieen und keine Falte seines Herzens, keine Sünde seiner unstäten Wanderschaften blieb ihr verborgen. Als er erschöpft endete und sein Antlitz mit beiden Händen bedeckte, den Urtheilsspruch aus ihrem Munde zu hören, legte sie mit sanftem Drucke ihre weiche Hand auf sein gesenktes Haupt und sprach in den halblauten, süßen, engelgleichen Tönen eines tiefbewegten Herzens zu ihm nieder:

»Ihr habt viel zu sühnen, Kuno, viel, viel drum vermehrt Eure Schuld nicht durch neue unklare Thaten. Laßt den finsteren Mächten, was ihnen gehört! – Wolltet Ihr doch für die Sache des Lichts Euer Leben hingeben – thut dies wieder, aber in anderer, in edlerer Weise und seht zu, ob Ihr nicht darin endlich Lebensberuhigung findet.« Was frommt die Rache der Todten, was Euch – was der Welt? – Erhebt Euch über dieses herrische Gespenst, das die Hölle, nicht der Himmel den Sterblichen gesendet, und strebt dem Lichte zu, das mit seinem Strahle die Geister zu durchzittern beginnt – dem Lichte der Erkenntniß, der Wahrheit. Lebt den Wissenschaften, schließt Euch ihren Vertretern an – lernt und ringt mit ihnen! Ihr besitzt die Vorkenntnisse dazu. Wuchert mit dem Gute, das die Mutter Eurem Geiste hinterlassen; Ihr habt Verständniß der alten Sprachen, nehmt die Schriften der Griechen und Römer zur Hand; sie werden Euer Leitstern – und wenn Euer Geist von den Anstrengungen des Strebens und Schaffens der Erholung bedarf, so kommt zu mir, ich führe Euch dann in das Reich der schönen Künste ein, die Ihr liebt, gleich mir. Wir nehmen die Harfe zur Hand und dichten und singen, und wiegen uns so in Apollo's heiterem Tempel in göttlich schöne Träume ein. O, Ihr sollt dabei Euer Lebensweh schon vergessen und reich entschädigt werden. Eure Vergangenheit wird in den Lethe sinken, denn Schmerz und Sünde sind der Erde Kinder. Man kann sie begraben und Blumen und Früchte auf der Stätte ihrer Verwesung erziehen, die in ergreifender Pracht Herz und Seele erfreuen.

»Welch helles Bild entfaltet Ihr vor meinem trüben Blicke! O, daß es sich so klar und rein, wie in Eurer Seele darin abspiegeln könnte!«

»Habt Muth und Vertrauen zu Euch selbst und zu der Welt, aus die uns der gütige Schöpfer gepflanzt hat, daß wir unseres Lebens uns erfreuen sollen. Bleibt hier bei uns, Kuno – und schwankt Ihr einmal wieder in Euren Gedanken unstät umher, so nehmt mich zur Führerin und haltet Euch recht fest an mir.«

Sie reichte ihm die schöne, weiße Hand, – er bedeckte sie mit feurigen Küssen, und sein blaues Auge strahlte voll Liebe zu ihr auf. –

Kuno blieb in Venedig, doch nicht in Antonio's Haus. Er wählte sich eine kleine ärmliche Stube zu seiner Wohnung, die jedoch Angela mit den damals noch seltenen Schätzen der Weisheit: mit geschriebenen Büchern ausschmückte, in denen er sein Wissen erweitern, Herz und Gemüth stärken konnte. Nur selten besuchte er Angela, doch wenn er kam, fügte es sich stets so, daß er eine Stunde ungestört bei ihr sein konnte. Dann sprachen sie über die Erweiterung seines Wissens, über die Weisen und Dichter des Alterthums, oder spielten sie die Harfe und sangen schöne Lieder dazu; nicht selten brachte Kuno ein neues Lied mit, das er selbst gedichtet, und bis er wieder kam, hatte es Angela in Musik gesetzt.

So ging es eine Weile in ununterbrochener Weise fort. Kuno's finstere Erinnerungen schienen zu entschlummern, und wenn eine zufällige Mahnung sie wieder wach rief, wußte Angela stets mit lieben sanften Worten sie in Ruhe zu wiegen.

Gutenberg brachte seine Zeit meistens außer Antonio's Hause zu und beschäftigte sich auf's eifrigste mit verschiedenen mechanischen Künsten. Er besuchte unter Antonio's Fürsprache und Bürgschaft die Fabriken und Werkstätten Venedigs und lernte viele Zweige der Arbeit kennen, die ihm bisher fremd geblieben waren. Besonders interessirten ihn die weltberühmten Glasfabriken der Lagunenstadt, in denen er viele Fertigkeit im Glasschleifen und Schneiden sich erwarb. Die ernsten und weitgreifenden Ideen seines sinnenden Geistes standen in engstem Verband mit dem reellen Wissen und der Geschicklichkeit der Hände. Er suchte damit den Grundstein zu legen, auf dem die Kinder seines Geistes einst ihre Wohnung erbauen konnten, um für immer unter den Sterblichen zu weilen und sich ganz bei ihnen einzubürgern.

Sein ernster bestimmter Wille hielt fest, was sein frommer Sinn, als von Gott in seine Seele gelegt, anerkannte. Es galt ihm für den von Oben bestimmten Zweck seines Lebens, von welchem abzuweichen ihm wie eine Todsünde vorkam. Jeder Kampf, den er mit den Verhältnissen, wie mit sich selbst zu bestehen hatte, erschien ihm nur als eine nothwendige Prüfung seiner Kraft und Ausdauer, die er mit ritterlichem Muthe zu bestehen hatte. Der bessere Kern seiner Zeit, wie ihr Sehnen und Hoffen, war gleichsam in ihm verkörpert und spornte seine ganze Kraft zu dem geheimnißvollen Schaffen, dessen Werk die Uebergangsbrücke von der alten zur neuen Zeit werden sollte. So erhaben jedoch seine Ideen auch waren, so fest sein Wille, so riesenmäßig seine Ausdauer – war er doch eben nur ein Mensch, dem nicht allein die äußeren Schwierigkeiten oft Halt geboten, wie es bald mehr bald weniger jeder neuen Erfindung, jedem kühnen, gegen den allgemeinen Gang der Dinge anstrebenden Gedanken geschieht. Es war auch der Kampf in der eignen Brust, den das warme Herz, das jugendlich-pulsirende Blut zu bestehen hatte, die sich gegen den strengen ernsten Forschungsdrang seines Geistes empörten und nach süßerem Glücke verlangten. –

Welch junges Leben bliebe davon frei? – Die Zaubermacht, welche in Angela's dunkeln Augen lag, bedrohte ihn, selbst in Stunden der angestrengtesten Beschäftigung, ja drang sich oft in seine tiefsten Gedanken ein mit ihrem süßen, verlockenden Reize. Nach des Tages Mühen kam stets die gefährliche Feierstunde, die ihn in Antonio's Haus zurückbrachte, wo das schöne Mädchen mit der anmuthigsten Freundlichkeit ihn aufnahm und mit sorgendem Sinne über allen seinen Bedürfnissen wachte. Katharinas zartes Angesicht, das sanfte Bild der bleichen Marianne verschwammen in Angela's lebensfrischem Reiz, der strahlend von Schönheit, Jugend und Anmuth, bezaubernd auf Alle wirkte, die sich dem schönen Mädchen nahten. Sein Auge hing gefesselt an ihr, sein Ohr lauschte entzückt ihrer melodischen Stimme, und sein Herz pries die schöne Seele in so schöner Gestalt, – der Kampf des Verlangens mit dem Willen der Entsagung begann seine Geisteskräfte zu ermüden, und wollte ihn verleiten von dem mühevollen Weg der Arbeit und Forschung, zu den verlockenden Freuden des Lebens und der Liebe.

In einer solchen Stunde, wo er bei ihr auf dem Balkone saß, von Rosen und Jasmin umduftet, vom sternhellen Himmel überwölbt, und sie süße Lieder zu der Harfe sang, trat Antonio voll Heiterkeit zu ihnen und theilte Angela mit, daß er das Versprechen, welches er Carlo und seinem Vater gegeben, eingelöst habe und sie nun wieder vollkommen frei und Herrin ihrer Hand sei.

Sie sprang auf und umarmte ihn tief bewegt, denn sie wußte, daß diese Verbindung ein langgenährter Lieblingswunsch von ihm gewesen und er auch gerne dadurch dankbare Verpflichtungen aus früherer Zeit gegen Carlo's Vater abgetragen hätte.

»Dank, tausend Dank, mein guter Vater!« rief sie voll Freude.

»Ei, seht doch die Falsche!« entgegnete er scherzend. »Will ich doch wetten, daß die wiedergewonnene Freiheit sie nur deshalb so entzückt, weil sie dieselbe allsogleich mit einem festeren Bande ketten möchte.«

»Mein Vater, wie meinst du dies?« stammelte sie überrascht und sah dann bittend auf Gutenberg, als ob sie seiner Hilfe bedürfe.

»Willst du denn leugnen, daß dein Herz sich nach fester Gefangenschaft in Amors Banden sehnt?« fuhr Antonio in heiter bewegtem Tone fort. »Willst du deinem Vater noch verbergen, daß du liebst, da er doch, dein Herz durchschauend, jedes Hinderniß seines Glücks beseitigt hat.«

»Wie, mein theurer Vater – du weißt – und zürnst mir nicht? – Willst sogar –«

»Deine Hand in die seine legen,« fuhr er, ihre stockende Rede ergänzend, fort und erfaßte ihre Hand, zog sie zu Gutenberg hin und legte Beider Hände in einander, indem er sprach: »Ihr liebt Euch – seid glücklich! Des Vaters Segen fehlt Euch nicht dazu.«

»Angela liebt mich?« stammelte Gutenberg, und in seiner Brust erhob sich ein gewaltiger Sturm.

Angela erbleichte und suchte vergebens nach Worten, die Täuschung ihres Vaters zu zerstreuen, dessen glückliche Miene keine Ahnung davon verrieth. Gutenberg preßte seine Hände auf die wogende Brust, dann faßte er an seine Stirne, als drohten alle Gedanken darin sich zu verwirren, – doch schnell, noch ehe Angela Worte gefunden, richtete er seine hohe Gestalt fest empor – sein geröthetes Antlitz erbleichte, und wie zum Gebet hob sich sein Auge aufwärts. Er sah in dieser Stellung so ernst und feierlich aus, daß der heitere Ausdruck in Antonio's Zügen in Staunen überging und Angela's ängstliche Beklommenheit einer scheuen Ehrfurcht wich. Eine lange Pause trat ein – so still – so ernst – als wiege sie schwer in der Zeiten Geschick. Da blickte Gutenberg wieder auf – sein Auge war umflort, doch seine Stimme klar und sicher, als er sprach:

»Ihr täuschtet Euch wohl, mein edler Freund, in dem Herzen Eures Kindes – das meine dagegen habt Ihr richtig erforscht. Es hing sich mit glühenden Gefühlen an Angela's holdseligen Reiz; dennoch aber muß ich das Glück fliehen, das Ihr mir bietet – müßte ihm entsagen, selbst wenn Angela es theilen wollte – denn mein Leben gehört nicht mir – ein höheres Ziel als das eigne Glück ist seine Bestimmung, und nicht Himmelswonnen, nicht Höllenqualen dürfen es anders lenken. Vergebt, werther Herr, vergebt, schöne Jungfrau, wenn ich Euch kränke – und glaubt mir, ich lege in diesem Augenblicke das schwerste Opfer auf den Altar des Gottes nieder, der seine heilige Stimme in mir ertönen ließ. Doch vergönnt mir, damit ich dieser heiligen Stimme unverbrüchlich treu bleiben kann, Euch Lebewohl zu sagen, und gebt mir als liebe Wandergabe, freundlichen Abschied. Italiens allzublauer Himmel stimmt nicht mit mir – Eure Sonne brennt zu heiß auf meinen Scheitel, Eure schönen Nächte verwirren, – Eure Blumendüfte betäuben mich – drum laßt mich weiter ziehen – – nehmt meinen Dank für Eure Liebe – und vergeßt mich nicht ganz.«

»Nimmermehr entweiche Euer Angedenken unseren Herzen!« sagte Angela mit edler Wärme und reichte ihm die Hand, indem sie fortfuhr: »Euer Streben – muß auf Großes gerichtet sein, da Ihr selbst der Liebe Glück darum verschmäht, denn Ihr mußtet Euch ja nach meines Vaters Beginnen von mir geliebt wähnen, und daß Ihr mich liebt, habt Ihr bekannt. Nehmt die Versicherung mit Euch, daß dies Geständniß mich recht stolz macht, denn ich fühle mich hoch dadurch geehrt, – nehmt aber auch die Beruhigung mit Euch, daß Ihr durch Eure Weigerung mein Herz nicht verletzet, denn so hoch es Euch auch ehrt und achtet, in heißem Triebe hat es Euch nicht geliebt – es war nur schwesterlich Euch zugethan. Ihr werdet bald von der Wunde genesen, die Euch jetzt schmerzt, denn die Liebe, die nicht über Alles geht, ist vergänglich. Was Höheres vor Eurem Geiste steht – möge es Euch gelingen, und das gelungene Werk Euch so beglücken, so tief, so voll beglücken, wie es die Liebe vermag, wenn sie von Gott und guten Eltern gesegnet ist.«

»Lebt wohl, und bringt Kuno meine Grüße – lebt wohl!« drang es rasch aus Gutenberg's Mund, indem er zugleich Antonio's und Angela's Hände faßte und innig drückte; – dann eilte er mit thränendem Auge hinweg, rief Lorenz auf sein Zimmer – und ehe der Morgen graute, wanderten sie dem Norden zu.


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