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Tausend und eine Nacht. Band XXI
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Alī Chwâdsche und der Kaufmann von Bagdad.

Unter der Regierung des Chalifen Hārûn er-Raschîd lebte in der Stadt Bagdad ein gewisser Kaufmann, Namens Alī Chwâdsche, der einen kleinen Vorrat von Waren hatte, mit dem er Kauf und Verkauf trieb, wodurch er sich ein notdürftiges Brot verdiente, indem er allein und ohne Familie in dem Hause seiner Väter lebte. Es traf sich nun, daß er drei Nächte hintereinander im Traum einen verehrungswürdigen Scheich sah, der also zu ihm sprach: »Du bist verpflichtet eine Pilgerfahrt nach Mekka zu machen. Warum verharrst du versunken in achtlosem Schlummer und machst dich nicht auf, wie es dir geziemt?« Als er diese Worte vernahm, erschrak er so heftig und ward von so starker Furcht erfaßt, daß er Laden und Waren und seinen ganzen Besitz verkaufte und mit dem festen Entschluß, das heilige Haus Gottes, des Erhabenen, zu besuchen, sein Haus vermietete und sich einer Karawane anschloß, die nach Mekka, der erlauchten Stadt, zog. Bevor er jedoch seine Geburtsstätte verließ, legte er tausend Goldstücke, die er als Überschuß über seine Reisebedürfnisse besaß, in einen irdenen Krug und deckte sie mit Sperlingsoliven zu, worauf er die Öffnung verschloß und den Krug zu einem Kaufmann, der mit ihm seit Jahren befreundet war, trug und sprach: »Vielleicht hast du vernommen, mein Bruder, daß ich mit einer Karawane nach Mekka, der heiligen Stadt, ziehen will. Ich bringe dir daher einen Krug Oliven und bitte dich, ihn mir bis zu meiner Rückkehr zu verwahren.« Der Kaufmann erhob sich sofort und sagte zu Alī Chwâdsche, indem er ihm den Schlüssel seines Warenhauses überreichte: »Hier, nimm den Schlüssel, öffne den Speicher und stell' den Krug, wohin du willst; wenn du zurückkehrst, sollst du ihn finden, wie du ihn verlassen hast.« Alī Chwâdsche that nach den Worten seines Freundes und, die Thür wieder verschließend, übergab er den Schlüssel seinem Besitzer. Alsdann lud er sein Reisegut auf ein Dromedar und bestieg ein zweites Tier, worauf er mit der Karawane abzog. Sie gelangten schließlich nach Mekka, der erlauchten Stadt, und es war gerade der Monat Zul-Hidschdsche, in dem Myriaden Moslems die Pilgerfahrt vollziehen und vor der Kaaba beten und sich niederwerfen. Nachdem er die Rundprozession um das heilige Haus gemacht und alle Riten und Pilgerceremonien erfüllt hatte, that er einen Laden zum Verkauf von Waren auf. Zufällig schritten zwei Kaufleute jene Straße entlang und erblickten in Alī Chwâdsches Laden die feinen Stoffe und Waren, worauf sie an denselben großen Gefallen fanden und ihre Schönheit und Vorzüglichkeit rühmten, wobei der eine zum andern sagte: »Dieser Mann bringt sehr seltene und kostbare Waren hierher; in Kairo, der Hauptstadt von Ägypten, würde er ihren vollen Wert bezahlt erhalten und bei weitem mehr als auf den Bazaren dieser Stadt.« Als Alī Chwâdsche Kairo erwähnen hörte, erfaßte ihn eine heiße Sehnsucht die berühmte Residenz zu besuchen, so daß er seine Absicht nach Bagdad heimzukehren aufgab und nach Ägypten zu reisen beschloß. Infolgedessen schloß er sich einer Karawane an, und als er in Kairo anlangte, gefiel ihm sowohl das Land und die Stadt, und er erzielte durch den Verkauf seiner Ware hohen Gewinn. Alsdann kaufte er andre Güter und Stoffe und beabsichtigte nach Damaskus zu ziehen, doch hielt er sich einen vollen Monat in Kairo auf und besuchte die Moscheen und heiligen Stätten, worauf er die Mauern der Stadt verließ und sich mit der Besichtigung vieler berühmter Städte vergnügte, die einige Tagereisen von der Residenz entfernt an den Ufern des Nils liegen. Nachdem er dann Kairo Lebewohl gesagt hatte, gelangte er nach Jerusalem, dem geheiligten Haus, und betete in dem Tempel der Kinder Israel, den die Moslems wieder erbaut hatten. Zur rechten Zeit traf er in Damaskus ein und bemerkte, daß die Stadt wohlgebaut und reich bevölkert war, daß die Felder und Wiesen mit Quellen und Kanälen reichbewässert und die Gärten in einer Überfülle von Früchten und Blumen erprangten. Inmitten solcher Wonnen dachte Alī Chwâdsche kaum noch an Bagdad; indessen setzte er seinen Weg weiter fort durch Aleppo, Mossul und Schiras, in allen diesen Städten, besonders aber in Schiras, einige Zeit verweilend, bis er schließlich nach einer Reise von siebenjähriger Dauer wieder in Bagdad eintraf.

In Bagdad hatte nun der Kaufmann, dem Alī Chwâdsche den Topf mit Oliven anvertraut hatte, während der langen sieben Jahre niemals an Alī Chwâdsche noch an seinen Topf gedacht, bis eines Tages, als er mit seiner Frau beim Abendessen saß, die Rede auch auf Oliven kam, worauf sie zu ihm sagte: »Ich möchte jetzt gern einige zum Essen haben.« Er versetzte: »Da du gerade davon sprichst, fällt mir ein, daß Alī Chwâdsche mir vor sieben Jahren, als er auf die Pilgerfahrt nach Mekka zog, einen Krug Sperlingsoliven anvertraute, der noch im Warenhaus steht. Wer weiß, wo er weilt, und was ihm widerfahren ist? Ein Mann, der jüngst mit der Pilgerkarawane heimkehrte, brachte mir die Nachricht, daß Alī Chwâdsche Mekka, die Erlauchte, verlassen hätte, um nach Ägypten zu reisen. Gott, der Erhabene, allein weiß, ob er noch lebt oder verstorben ist. Wenn indessen seine Oliven noch in gutem Zustande sind, so will ich einige holen, damit wir sie kosten; gieb mir daher eine Schüssel und eine Lampe, damit ich einige Oliven hole.« Seine Frau, ein ehrenwertes, aufrichtiges Weib, versetzte: »Gott soll hüten, daß du so eine gemeine That begehst und dein Wort und Gelöbnis brichst! Wer kann es wissen? Du hast von keinem sichere Nachricht von seinem Tod. Vielleicht kehrt er von Ägypten morgen oder übermorgen gesund und wohlbehalten heim. Dann wirst du, wenn du ihm nicht das dir von ihm anvertraute Gut unbeschädigt wiedergeben kannst, beschämt über deinen Treubruch vor ihm dastehen, und wir sind beschimpft vor den Leuten und entehrt vor deinem Freund. Ich für meinen Teil will meine Hände von solcher Gemeinheit rein haben und die Oliven nicht kosten, wo sie überdies nach siebenjähriger Aufbewahrung gar nicht mehr schmackhaft sein können. Ich flehe dich an, gieb diese üble Absicht auf.«

In solcher Weise protestierte die Frau des Kaufmanns gegen sein Vorhaben und bat ihn sich nicht mit Alī Chwâdsches Oliven zu schaffen zu machen, bis er sich schämte und für den Augenblick sich die Sache aus den Gedanken schlug. Eines Tages jedoch beschloß er in seinem Starrsinn und seiner Untreue sein Vorhaben auszuführen und schritt mit einer Schüssel in der Hand zu seinem Warenhaus. Zufällig begegnete er seiner Frau, die zu ihm sagte: »Ich habe in dieser üblen Handlung keinen Teil mit dir; es wird dir sicherlich übel ergehen, wenn du solche That begehst.« Er hörte sie, doch achtete er nicht auf ihre Worte, sondern ging in das Warenhaus und öffnete den Krug, in dem er die Oliven verdorben und weiß von Schimmel überzogen fand. Als er jedoch den Krug umstülpte und etwas von seinem Inhalt in die Schüssel schüttete, sah er mit einem Male zugleich mit den Früchten einen Aschrafī aus dem Krug fallen. Da wurde er von Habgier erfaßt und schüttete den ganzen Inhalt in einen andern Krug, wobei er zu seinem Staunen bemerkte, daß die untere Hälfte lauter Goldstücke enthielt. Er hob die Oliven und Goldstücke auf und verschloß den Krug wieder, worauf er zu seiner Frau zurückkehrte und zu ihr sagte: »Du hast recht gehabt, ich prüfte den Krug und fand die Früchte verschimmelt und verfault; ich that sie deshalb wieder in den Krug und ließ sie, wie sie waren.« In der folgenden Nacht vermochte der Kaufmann bei dem Gedanken, wie er das Gold an sich bringen könnte, kein Auge zuzuthun, und am andern Morgen nahm er alle Aschrafīs heraus und kaufte auf dem Bazar frische Oliven, mit denen er den Krug anfüllte, worauf er seine Öffnung verschloß und ihn an seinen alten Platz stellte.

Nun traf es sich, daß Alī Chwâdsche nach Gottes Barmherzigkeit am Ende des Monats gesund und wohlbehalten in Bagdad wieder eintraf. Sein erster Gang war zu seinem alten Freund, dem Kaufmann, der ihn mit erheuchelter Freude begrüßte und ihm um den Hals fiel, wiewohl er in großer Unruhe und Verlegenheit war, wie die Sache werden sollte. Nach Begrüßungen und großer Freude auf beiden Seiten besprach sich Alī Chwâdsche mit dem Kaufmann über Geschäfte und bat ihn, ihm seinen Krug Sperlingsoliven, den er ihm anvertraut hatte, wieder zurückzugeben. Der Kaufmann erwiderte: »O mein Freund, ich weiß nicht, wohin du deinen Olivenkrug stelltest; hier ist der Schlüssel, geh' hinunter ins Warenhaus und nimm, was dir gehört.« Da that Alī Chwâdsche nach seinem Geheiß und holte den Krug aus dem Magazin, worauf er sich von seinem Freund verabschiedete und nach Hause eilte. Als er jedoch den Krug öffnete und die Goldstücke nicht fand, ward er bestürzt und klagte laut vor Kummer. Dann kehrte er zu dem Kaufmann zurück und sagte zu ihm: »O mein Freund, Gott, der Allgegenwärtige, Allsehende, ist mein Zeuge, daß ich, als ich die Pilgerfahrt nach Mekka, der Erlauchten, antrat, tausend Aschrafīs in dem Kruge ließ, und nun finde ich sie nicht. Wenn du sie in der Verlegenheit gebraucht hast, so macht es nichts aus, da du sie mir, sobald du es kannst, zurückgeben wirst.« Der Kaufmann erwiderte, indem er sich stellte, als ob er ihn bemitleidete: »O mein guter Freund, du stelltest den Krug mit deiner eigenen Hand ins Magazin. Ich wußte nicht, daß du etwas anderes als Oliven in ihm hattest; wie du ihn verließest, fandest du ihn wieder und trugst ihn nach Hause, und nun klagst du mich des Diebstahls der Aschrafīs an. Es kommt mir höchst seltsam und sonderbar vor, daß du solche Anklage wider mich erhebst. Als du fortgingst, erwähntest du nichts von dem Gold im Kruge, sondern sagtest, er wäre voll Oliven, wie du ihn jetzt fandest. Hättest du Gold in ihm gehabt, du würdest es sicherlich wieder darin gefunden haben.«

Hierauf bat ihn Alī Chwâdsche inständigst und sagte: »Die tausend Aschrafīs waren all mein Hab und Gut, das ich in mühevollen Jahren erwarb. Ich bitte dich, erbarme dich meiner und gieb mir das Geld wieder.« Der Kaufmann versetzte jedoch in hellem Zorn: »O mein Freund, du bist ein feiner Gesell, von Ehrbarkeit zu reden und solche falsche und erlogene Anklage wider mich zu erheben. Pack' dich fort und komm mir nicht wieder ins Haus, denn ich weiß jetzt, daß du ein Lügner und Betrüger bist.«

Als die Leute im Viertel diesen Streit zwischen Alī Chwâdsche und dem Kaufmann vernahmen, kamen sie in dichter Menge zum Laden herbeigeströmt und erhitzten sich für die Sache, und so ward der Vorfall allem Volk in Bagdad, Reich und Arm, bekannt, wie ein gewisser Alī Chwâdsche tausend Aschrafīs in einen Krug Oliven verborgen und sie einem andern Kaufmann vor der Pilgerfahrt nach Mekka anvertraut hatte, worauf der arme Mann nach siebenjähriger Abwesenheit zurückgekehrt war und der Reiche nunmehr seine Worte bestritt und einen Eid zu schwören bereit war, daß er ein Unterpfand der Art nicht empfangen hätte.

Schließlich, als nichts andres half, sah sich Alī Chwâdsche gezwungen, die Sache vor den Kadi zu bringen und tausend Aschrafīs von seinem falschen Freund zu verlangen. Der Kadi fragte ihn: »Was für Zeugen hast du, die für dich einstehen können?« Der Kläger versetzte: »O mein Herr Kadi, ich fürchtete mich zu einem von der Sache zu sprechen, damit nicht alle mein Geheimnis erführen. Gott, der Erhabene, ist mein einziger Zeuge. Dieser Kaufmann war mein Freund, und ich glaubte nicht, daß er sich ehr- und treulos erweisen würde.« Da sagte der Kadi: »Dann muß ich den Kaufmann holen lassen und hören, was er unter seinem Eide aussagt.« Als nun der Angeklagte kam, ließ man ihn bei allem, was ihm heilig war, mit aufgehobenen Händen in der Richtung nach der Kaaba, schwören, und er rief: »Ich schwöre, daß ich nichts von irgend welchen Aschrafīs, die Alī Chwâdsche gehören, weiß.« Da erklärte ihn der Kadi für unschuldig und entließ ihn aus dem Gerichtshof, worauf Alī Chwâdsche betrübten Herzens heimkehrte und bei sich sprach: »Wehe, was ist das für ein Spruch, der wider mich gefällt ist, daß ich mein Geld verlieren soll und meine gerechte Sache für ungerecht erklärt wird! Das Sprichwort ist wahr, das da lautet: »Wer vor einem Schurken Klage führt, verliert den Rest.« Am nächsten Tage brachte er seinen Fall zu Papier, und als der Chalife Hārûn er-Raschîd auf seinem Wege zum Freitagsgebet war, warf er sich vor ihm nieder und überreichte ihm das Schriftstück. Der Fürst der Gläubigen las sein Gesuch, und als er in den Fall Einsicht genommen hatte, erteilte er Befehl und sprach: »Bringt mir morgen den Kläger und den Beklagten in die Audienzhalle und tragt mir die Sache vor, denn ich will sie selber untersuchen.«

In der Nacht aber legte der Fürst der Gläubigen wie üblich Verkleidung an und streifte durch die Straßen, Gassen und Plätze Bagdads, begleitet von seinem Wesir Dschaafar dem Barmekiden und dem Schwertträger seiner Rache Mesrûr, um zu sehen, was sich in der Stadt zutrug. Gleich nachdem er seinen Palast verlassen hatte, gelangte er auf einen offenen Platz im Bazar, wo er Kinder beim Spiel lärmen hörte und in einer geringen Entfernung etwa zehn bis zwölf Knaben sich im Mondschein vergnügen sah; da blieb er stehen, um ihrem Spiel zuzuschauen. Mit einem Male sagte ein hübscher Knabe von schönem Aussehen zu den andern Buben: »Laßt uns jetzt Kadi spielen; ich will der Kadi sein, einer von euch sei Alī Chwâdsche und ein andrer der Kaufmann, dem er die tausend Aschrafīs vor seiner Pilgerfahrt als Unterpfand anvertraute; kommt vor mich, und ein jeder führe seine Sache.« Als der Chalife Alī Chwâdsches Namen hörte, erinnerte er sich an das Bittgesuch, das ihm vorgelegt war, um Gerechtigkeit gegen den Kaufmann zu erlangen, und er beschloß zu warten, um zu sehen, wie der Knabe im Spiel die Rolle des Kadis durchführen und welchen Spruch er fällen würde. Er überwachte deshalb den Vorgang mit scharfem Interesse, indem er bei sich sprach: »Dieser Fall hat in der That so großes Aufsehen in der Stadt erregt, daß selbst die Kinder davon vernommen haben und ihn in ihren Spielen aufführen.« Nun traten die beiden Knaben, welche die Rolle des Klägers Alī Chwâdsche und des Kaufmanns, der des Diebstahls angeklagt war, übernommen hatten, vor und stellten sich vor den Knaben, der als Kadi in Pomp und Würde dasaß. Dann fragte der Kadi: »O Alī Chwâdsche, welche Klage führst du gegen diesen Kaufmann?« worauf der Kläger seine Klage ausführlich vortrug. Dann wendete sich der Kadi zu dem Knaben, der die Rolle des Kaufmanns spielte, und sprach: »Was antwortest du auf diese Klage, und warum gabst du die Goldstücke nicht zurück?« Der Angeklagte antwortete ganz so, wie es der wirkliche Beklagte gethan hatte und leugnete die Klage vor dem Kadi ab, indem er sich zum Eid bereit erklärte. Der Knabe, der den Kadi spielte, erklärte jedoch: »Bevor du einen Eid schwörst, daß du das Geld nicht genommen hast, möchte ich mir selber den Krug Oliven ansehen, den der Kläger in deine Obhut gab.« Hierauf wendete er sich zu dem Knaben, der die Rolle Alī Chwâdsches spielte und sagte: »Geh' fort und bring' mir unverzüglich den Krug, damit ich ihn untersuchen kann.« Als er das Gefäß gebracht hatte, sagte der Kadi zu den beiden Streitführenden: »Schaut zu und erklärt mir, ob dies derselbe Krug ist, den du, Kläger, bei dem Beklagten ließest?« Beide bejahten es. Alsdann sagte der Kadi: »Öffne nun den Krug und bring' mir etwas von seinem Inhalt, damit ich sehe, in welchem Zustand sich die Sperlingsoliven gegenwärtig befinden.« Nachdem sie dies gethan hatten, kostete er die Früchte und rief: »Wie kommt dies? Ich finde, sie schmecken frisch und ihr Zustand ist vorzüglich. Sicherlich würden die Oliven im Verlauf von sieben Jahren schimmelig geworden und verfault sein. Bringt mir zwei Ölhändler aus der Stadt her, um ihre Meinung über die Oliven abzugeben.« Hierauf übernahmen zwei andere Knaben die befohlenen Rollen und traten in den Gerichtshof vor den Kadi, der sie fragte: »Seid ihr nach euerm Gewerbe Ölhändler?« Sie erwiderten: »Wir sind es, und dies war seit vielen Geschlechtern unser Beruf, und durch den Verkauf und Kauf von Oliven verdienen wir unser täglich Brot.« Alsdann sprach der Kadi: »Gebt mir Auskunft, wie lange bleiben Oliven frisch und schmackhaft?« Sie versetzten: »O mein Herr, so sorgfältig, wie wir sie auch aufbewahren mögen, nach dem dritten Jahr verändern sie den Geschmack und die Farbe und sind nicht länger genießbar sondern nur gut zum Wegwerfen.« Hierauf sagte der Kadi: »Prüft mir nun die Oliven, die sich in diesem Krug befinden, und sagt mir, wie alt sie sind, in welchem Zustand sie sich befinden und wie sie schmecken.« Da nahmen die beiden Knaben, welche die Rolle der Ölhändler spielten, einige Oliven aus dem Krug und kosteten sie, worauf sie erklärten: »O unser Herr Kadi, diese Oliven sind in gutem Zustand und haben den vollen Geschmack.« Der Kadi versetzte: »Ihr irrt euch, denn es ist sieben Jahre her, daß sie Alī Chwâdsche in den Krug legte, als er sich auf die Pilgerfahrt begab.« Sie erwiderten jedoch: »Sprich, was du willst, diese Oliven sind von der diesjährigen Ernte, und in ganz Bagdad giebt es keinen einzigen Ölhändler, der nicht einer Meinung mit uns sein würde.« Hierauf ließ der Kadi den Angeklagten die Oliven kosten, und er mußte gleichfalls einräumen, daß es sich so verhielt, wie die Ölhändler es angegeben hatten. Da sprach der Kadi zu dem Angeklagten: »Es ist klar, daß du ein Schurke und Schuft bist und eine That gethan hast, für die du vollauf den Galgen verdienst.«

Als die Buben diesen Richterspruch vernahmen, sprangen sie umher und klatschten in heller Lust in die Hände, worauf sie den Knaben, der die Rolle des Kaufmanns von Bagdad gespielt hatte, festnahmen und ihn zur Exekution abführten.

Der Fürst der Gläubigen Hārûn er-Raschîd fand ausnehmenden Gefallen an diesem Scharfsinn des Knaben, der die Rolle des Kadis gespielt hatte, und befahl seinem Wesir Dschaafar: »Merke dir wohl den Knaben, der den Kadi darstellte, und sieh zu, daß du ihn mir morgen bringst. Er soll in meiner Gegenwart im vollsten Ernst die Sache führen, wie wir ihn im Spiel vorgehen sahen. Laß ebenfalls den Kadi der Stadt kommen, damit er von diesem Kinde Recht sprechen lernt. Ebenso laß Alī Chwâdsche den Krug Oliven mitbringen und halte zwei Ölhändler aus der Stadt in Bereitschaft.« In dieser Weise erteilte der Fürst der Gläubigen seinem Wesir unterwegs Befehl und kehrte in seinen Palast zurück.

Am andern Morgen begab sich Dschaafar der Barmekide in jenes Stadtviertel, wo die Kinder das Richterspiel gespielt hatten, und fragte den Lehrer, wo sich seine Schüler befänden, worauf er ihm erwiderte: »Sie sind alle nach Hause gegangen.« Da besuchte der Wesir die Häuser, die ihm gezeigt wurden, und befahl, ihm die Kleinen vorzuführen. Als sie vor ihn gebracht wurden, fragte er sie: »Wer von euch hat gestern im Spiel die Rolle des Kadis gespielt und in der Sache Alī Chwâdsches das Urteil gefällt?« Der älteste der Buben versetzte: »Ich war's, o mein Herr Wesir;« dann ward er bleich, da er den Grund der Frage nicht wußte. Der Wesir erwiderte: »Folge mir, der Fürst der Gläubigen bedarf deiner.« Die Mutter des Knaben erschrak hierüber gewaltig und weinte; Dschaafar tröstete sie jedoch, indem er zu ihr sagte: »O meine Herrin, sei unbesorgt und beunruhige dich nicht. Dein Sohn wird, so Gott will, wohlbehalten zu dir zurückkehren, und ich glaube der Sultan wird sehr gütig gegen ihn sein.« Als die Frau diese Worte von dem Wesir vernahm, beruhigte sich ihr Herz wieder, und sie zog dem Knaben seinen besten Anzug an und schickte ihn mit dem Wesir fort, der ihn an die Hand faßte und in die Audienzhalle des Fürsten der Gläubigen führte, ebenfalls alle andern ihm von seinem Herrn erteilten Befehle ausrichtend. Nachdem sich der Fürst der Gläubigen auf den Gerichtsstuhl gesetzt hatte, ließ er den Knaben auf einem Sitz an seiner Seite Platz nehmen, und sobald die streitenden Parteien vor ihm erschienen, befahl er sowohl Alī Chwâdsche als auch dem Kaufmann ihre Sache in Gegenwart des Knaben vorzutragen, der den Spruch fällen sollte. Da trugen der Kläger und Beklagte von neuem ihren Fall mit allen Einzelheiten dem Knaben vor; und als der Angeklagte die Anklage schroff ableugnete und seine Aussage eidlich mit hochgehobenen Händen und mit dem Gesicht gegen die Kaaba gewandt erhärten wollte, kam ihm der junge Kadi zuvor und sprach: »Genug! Schwöre nicht eher, als bis es dir befohlen wird. Laß zuerst den Krug mit den Oliven vor den Gerichtshof bringen.« Der Krug ward alsbald gebracht und vor ihn gestellt, worauf der Knabe ihn öffnen ließ; dann kostete er eine Olive und gab ebenfalls den beiden Ölhändlern, die vor Gericht citiert waren, zu kosten, damit sie sich über das Alter der Früchte erklärten und aussagten, ob ihr Geschmack gut oder schlecht wäre. Sie thaten nach seinem Geheiß und versetzten: »Der Geschmack dieser Oliven hat sich nicht geändert, und sie sind von der diesjährigen Ernte.« Der Knabe entgegnete: »Mir scheint es, ihr irrt euch; denn Alī Chwâdsche legte die Oliven sieben Jahre zuvor in den Krug; wie könnten demnach die Früchte aus diesem Jahr in den Krug gelangt sein?« Sie erwiderten jedoch: »Es verhält sich so, wie wir es sagen; wenn du unsern Worten nicht glaubst, so laß unverzüglich andere Ölhändler kommen und erkundige dich bei ihnen, dann wirst du sehen, ob wir die Wahrheit sprechen oder nicht.« Als nun der Kaufmann von Bagdad sah, daß er nicht länger seine Unschuld behaupten konnte, gestand er, daß er die Aschrafīs herausgenommen und den Krug mit frischen Oliven gefüllt hatte. Als der Knabe dieses Geständnis vernahm, sprach er zum Fürsten der Gläubigen: »Huldreicher Herrscher, in der vergangenen Nacht entschieden wir diese Sache im Spiel, du aber hast allein die Macht, die Strafe zu verhängen. Ich habe die Sache in deiner Gegenwart entschieden, und ich bitte dich gehorsamst jenen Kaufmann gemäß dem koranischen Recht und dem Brauch des Gesandten zu bestrafen und Alī Chwâdsche seine tausend Goldstücke wieder zurückgeben zu lassen, denn sein Recht auf sie ist erwiesen.«

Hierauf befahl der Chalife den Kaufmann von Bagdad fortzuführen und zu hängen, nachdem er angegeben hatte, wo er die tausend Aschrafīs verborgen hätte, damit sie ihrem rechtmäßigen Eigentümer Alī Chwâdsche wiedererstattet würden. Alsdann wendete er sich zu dem Kadi, welcher die Sache voreilig entschieden hatte, und befahl ihm von dem Knaben zu lernen seine Pflicht eifriger und gewissenhafter zu erfüllen. Dann umarmte der Fürst der Gläubigen den Knaben und befahl dem Wesir, ihm aus dem königlichen Schatz tausend Goldstücke zu geben und ihn wohlbehalten nach Hause zu seinen Eltern zu geleiten. Später aber, als der Knabe zum Mann herangewachsen war, machte ihn der Fürst der Gläubigen zu einem seiner Tischgenossen und förderte sein Wohlergehen und zeichnete ihn stets mit den höchsten Ehren aus.

 


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