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Schritte gegen den Mädchenhandel und die Greuel der Prostitution

Die von Staatsregierungen am Ende des 19. Jahrhunderts (vorher waren solche unbekannt) gegen den Mädchenhandel erlassenen Gesetze waren durchaus ungenügend. Was bisher gegen diesen Schandfleck unserer Zeit geschah, ist vorwiegend das Verdienst von Vereinen. Der erste dieser Art war die 1875 in England auf Anregung der edlen Menschenfreundin Frau Josefine Butler gegründete » Fédération« die seit 1902 sich » F. internationale abolitionniste« nennt. Sie bekämpft die Reglementierung und was damit zusammenhängt, also vor allem die Bordelle und den diese nährenden und von ihnen genährten Mädchenhandel. Nach und nach verbreitete sich der Bund über alle europäisch zivilisierten Länder der Erde, und so auch nach Deutschland. Zuerst hat er 1899 in Berlin einen Zweig erhalten, der durch Verhandlungen und durch Eingaben an die Behörden wirkt. Seine Grundsätze beginnen bereits, wie 1901 berichtet wird, unter den Ärzten Anhänger zu gewinnen. In einer Versammlung im Rathause im Januar genannten Jahres erklärte Dr. Hans Hacker, die Reglementierung gebe dem Manne eine trügerische Sicherheit (gegen Ansteckung) und erniedrige das Weib. Ähnliche Vorträge hielten Frau Scheven aus Dresden und Frl. Pappritz, die feststellen konnten, daß das System der Reglementierung beginne, seine bisherige Geltung zu verlieren. Gegen dieses äußerten sich auch im »Fortschrittsbunde« die medizinischen Autoritäten Dr. Flesch aus Frankfurt am Main und Dr. Blaschke.

Weitere deutsche Zweigvereine bildeten sich in Hamburg, Dresden, München, Frankfurt, Halle und Stuttgart. Der Bund steht dem »christlichen Männerbunde zur Hebung der Sittlichkeit« gegenüber, nach dessen biblischen Ansichten das Weib den Mann verführe, während es umgekehrt durch den Mann gezwungen wird, dessen Lüsten sklavisch untertan zu sein.

Am 22.-24. September 1904 konnte sich zum ersten Male die Fédération auf deutschem Boden, in Dresden versammeln.

Im Jahre 1885 entstand in England die » Vigilance Association« (Wachsamkeitsbund), und ihre Bestrebungen gelangten nach Deutschland dadurch, daß von London aus eine Einladung an Pfarrer Burckhard in Berlin zur Teilnahme an einem 1899 in London abzuhaltenden Kongreß erging, der über Schritte gegen den Mädchenhandel beraten solle. Daraus bildete sich das »Deutsche Nationalkomitee zu internationaler Bekämpfung des Mädchenhandels« durch den Zusammentritt von Abgeordneten der deutschen Sittlichkeitsvereine aller Konfessionen. Am Kongresse in London waren bereits elf Länder Europas und die Vereinigten Staaten von Amerika vertreten, in denen ähnliche Verbindungen gegründet wurden. Vom Kongresse in London wurde im wesentlichen bereits dasselbe beschlossen, was später die am Schlusse dieses Buches abgedruckte Übereinkunft der europäischen Staaten anordnete. Weitere Ausführung erhielten seine Beschlüsse durch eine 1901 in Amsterdam tagende Delegierten-Konferenz und durch einen 1902 in Frankfurt a. M. abgehaltenen zweiten Weltkongreß, dem eine deutschnationale Konferenz unmittelbar voranging, in der auch die Regierungen der größeren deutschen Staaten vertreten waren. Vorsitzender des deutschen Komitees ist der k. preußische Kammerherr Graf Keller.

Am 27. Juni 1897 nahm das Volk des Kantons Zürich mit 40 564 gegen 14 697 Stimmen einen vom Großen Rate beschlossenen Gesetzentwurf an, der infolge einer Volksinitiative (Verlangen eines Gesetzes) gewisse Artikel des Strafgesetzbuchs im Bereiche der Sittenpolizei und des Mädchenhandels abänderte und die Schließung aller der Ausschweifung dienenden Anstalten anordnete. Umsonst protestierte gegen diesen Schritt am Vorabende der Abstimmung ein sog. Verein zur Verteidigung der wahren Interessen des Volkes, unter welchem Namen sich die Bordellhalter von Zürich und Winterthur versteckten. Im Mai 1902 ist von einer Vereinigung gleichen Kalibers eine neue Initiative gegen das Gesetz von 1897 eingereicht worden. Sie wurde aber am 31. Januar 1904 mit 49 598 gegen 18 010 Stimmen vom Volke des Kantons verworfen und zwar auch in jeder einzelnen Gemeinde mit Mehrheit. Die Lügen, daß seit der Aufhebung der Bordelle die öffentliche Sittlichkeit und Gesundheit sich verschlechtert hätten, wie die Urheber der Initiative behaupteten, hatte also nicht verfangen.

In Frankreich wurde 1902 von der Deputiertenkammer eine Kommission aus Abgeordneten, Beamten und hervorragenden Schriftstellern, darunter auch Damen, aufgestellt, um eine Reform der Sittenpolizei anzustreben. In dieser Kommission sprach am 28. Januar 1905 Yves Guyot, der unermüdliche Kämpfer gegen die Prostitution, das große Wort aus: »Es ist unmöglich, daß in unserer auf die Monogamie gegründeten Gesellschaft Frauen eine Einrichtung billigen können, die zum Zwecke hat, die Polygamie der Männer zu begünstigen, indem sie gewisse Frauen zur Polyandrie zwingt. – Gegen die Bordelle kämpft auch der 73 000 Mitglieder zählende französische Frauenbund«.

In Mailand wurde 1902 ein für die Lombardei bestimmtes Komitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels aufgestellt, dessen Vorsitz der Senator Muffi, Frau Ersilia Majo-Bronzini und Dr. Camillo Broglio übernahmen, und von dem eine illustrierte Zeitschrift unter dem Titel »Weiße Sklavinnen« herausgegeben wird, die die Greuel des Mädchenhandels lebendig schildert.

Bei Anlaß der Kunstausstellung in Turin 1902 veranstaltete die dortige interkonfessionelle Liga eine Versammlung der italienischen Vereine gegen den Mädchenhandel und der gleichgesinnten Herren und Damen, der vom 9.-11. September 70 Personen aus allen Teilen des Königreichs und aus dem Auslande beiwohnten, infolgedessen eine Menge neuer Vereine zu demselben Zwecke in Italien gegründet wurden, zuletzt in Rom, wo ein eigenes Organ in diesem Geiste erstand, das den Titel » La vita« führt. In Turin hielt am 14. Januar 1905 Professor Belluzzi vor 700 jungen Männern einen zündenden Vortrag. Der Genannte ist Präsident des italienischen Zweiges der abolitionistischen Gesellschaft, der dieser Zweig 1904 beigetreten ist.

Vom 20. bis 23. Oktober 1905 tagte in Krakau ein Kongreß der polnischen Frauen, die aus allen drei Teilen des ehemaligen Königreichs Polen, dem russischen, österreichischen und preußischen, sich einfanden. An einem jener Tage wurde über die Sittlichkeitsfrage verhandelt. Auf Vorträge der Frauen Kuczalska und Woinarowa wurde die Reglementierung als verwerflich erklärt, weil sie 1. gegen die Grundsätze der Ethik und Gerechtigkeit verstoße, 2. gegen die Frau allein gerichtet sei und sie entwürdige, und 3. die syphilitischen Krankheiten nähre und verbreite. Es wurde die Bildung eines Vereins beschlossen, der in diesem Sinne zu wirken habe.

Eine Übereinkunft gegen den Mädchenhandel ist am 18. Mai 1904 in Paris geschlossen worden. Teilgenommen haben: das Deutsche Reich, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Rußland, Schweden und Norwegen und die Schweiz. Am 17. Januar 1905 trat auch Österreich-Ungarn bei. Diese am 18. Juli 1905 in Kraft getretene Übereinkunft hat folgenden Wortlaut:

Internationales Übereinkommen betreffend Unterdrückung des Mädchenhandels.

Artikel 1. Jede der vertragschließenden Regierungen verpflichtet sich, eine Amtsstelle einzurichten oder zu bezeichnen, die beauftragt ist, alle Auskünfte über die Anwerbung von Frauen und Mädchen zum Zwecke der Verkupplung ins Ausland, zu zentralisieren; dieser Amtsstelle soll die Befugnis zustehen, mit den gleichartigen, von den anderen Vertragsstaaten bestellten Behörden direkt zu korrespondieren.

Art. 2. Jede der Regierungen verpflichtet sich zur Einrichtung eines Überwachungsdienstes, mit dem Zwecke, den Begleitern von Frauen und Mädchen, welche verkuppelt werden sollen, besonders in den Bahnhöfen, den Einschiffungshäfen und auf der Durchreise nachzuforschen. Es sollen zu diesem Zwecke geeignete Instruktionen erlassen werden, sowohl an die öffentlichen Beamten als an alle anderen geeigneten Personen, um innerhalb der gesetzlichen Grenzen alle Auskünfte zu erlangen, welche auf die Spur eines solchen verbrecherischen Treibens führen können.

Die Ankunft von Personen, die offenbar als Urheber, als Mitschuldige oder als Opfer eines solchen Handels erscheinen, soll gegebenenfalls den Behörden des Bestimmungsortes oder den interessierten diplomatischen Agenten oder Konsularbeamten, oder jeder anderen zuständigen Behörde mitgeteilt werden.

Art. 3. Die Regierungen verpflichten sich, gegebenenfalls und innerhalb der gesetzlichen Grenzen, die Aussagen von Frauen und Mädchen fremder Nationalität, welche sich der Prostitution ergeben, entgegenzunehmen, um ihre Identität und ihren Zivilstand festzustellen und darüber Aufschluß zu erlangen, wer sie veranlaßt hat, ihre Heimat zu verlassen. Die erhaltenen Auskünfte sollen den Behörden des Heimatstaates der genannten Frauen oder Mädchen behufs eventueller Heimschaffung mitgeteilt werden.

Die Regierungen verpflichten sich, innert den gesetzlichen Grenzen und soweit möglich, die Opfer eines verbrecherischen Transportes, sofern dieselben mittellos sind, provisorisch und im Hinblick auf eventuelle Heimschaffung, in öffentlichen oder privaten Wohltätigkeitsanstalten oder bei Privatleuten unterzubringen, welche die erforderlichen Garantien bieten.

Die Regierungen verpflichten sich ebenfalls, innert den gesetzlichen Grenzen und soweit möglich, diejenigen Frauen und Mädchen in ihren Heimatstaat zurückzuschicken, welche ihre Heimschaffung nachsuchen oder die von den Personen zurückverlangt werden, unter deren Autorität sie stehen. Die Heimschaffung soll erst erfolgen, nachdem die Identität und die Nationalität, sowie der Ort und die Zeit der Ankunft an der Grenze im gemeinsamen Einverständnis festgestellt sein werden. Jeder Vertragsstaat wird den Transport durch sein Territorium erleichtern.

Die Korrespondenz über die Heimschaffung soll so viel als möglich auf direktem Wege erfolgen.

Art. 4. Für den Fall, daß eine Frau oder ein Mädchen nicht im stande sein sollte, die Kosten ihres Transportes zu bezahlen, und daß sie weder Gatten, noch Verwandte, noch Vormund besitzt, die für sie bezahlen, fallen die Kosten der Heimschaffung bis zur nächsten Grenze oder zum Einschiffungshafen in der Richtung des Heimatlandes zu Lasten des Staates, in dem sie ihren Aufenthalt hatte und von dort an zu Lasten des Heimatstaates.

Art. 5. Durch die Bestimmungen der Art. 3 und 4 wird an den besonderen Verträgen, welche zwischen einzelnen der vertragschließenden Staaten bestehen könnten, nichts geändert.

Art. 6. Die vertragschließenden Staaten verpflichten sich, innert den gesetzlichen Grenzen und soweit möglich, die Bureaus und Agenturen zu überwachen, welche sich mit der Plazierung von Frauen und Mädchen im Auslande befassen.

Art. 7. Die Staaten, welche das gegenwärtige Übereinkommen nicht unterzeichnet haben, können ihren Beitritt zu demselben erklären.

Zu diesem Zwecke haben sie ihre Absicht auf diplomatischem Wege der französischen Regierung zu notifizieren, welche allen Vertragsstaaten davon Kenntnis geben wird.

Art. 8. Die gegenwärtige Übereinkunft tritt sechs Monate nach dem Austausche der Ratifikationen in Kraft. Im Falle eine der vertragschließenden Parteien dieselbe kündigen sollte, so wirkt diese Kündigung nur für den Staat, von dem sie ausgeht, und zwar erst nach zwölf Monaten, vom Tage der Kündigung an gerechnet.

Art. 9. Das gegenwärtige Übereinkommen soll ratifiziert, und die Ratifikationen sobald als möglich in Paris ausgetauscht werden.


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