Wilhelm Heinse
Aus Briefen – Werken – Tagebüchern
Wilhelm Heinse

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II

Die hohe Kunst

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Die Künste sind das Wallen des Meers nach einem Sturm, wenn keine Winde mehr brausen. Wenn die Kraft im höchsten Leben sich geäußert hat, gewirkt hat und ohne wirklichen Gegenstand sich von neuem äußert: das ist Kunst. Deswegen blühten die Künste allezeit nach großen Kriegen.

 

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Alle Kunst ist ein Ersatz des Abwesenden, und das beste Mittel, es herzustellen, erhält den Preis, sei's Malerei oder Poesie. Sie zeigt allezeit Mangel an. Wenigstens war dies ihre Erfindung. Das Gegenwärtige festzuhalten, ist schon Luxus und Weichlichkeit und Mangel an Sinn für Natur.

 

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Alle Kunst ist weiter nichts als ein Merkmal zur Erinnerung des verfloßnen Genusses, hauptsächlich für den Künstler selbst, und dann für diejenigen, die gleiches genossen haben. Und in diesem Verstand kann man sagen, daß es nur so viel gute Beurteiler gibt als Künstler; denn jeder versteht sich nur selbst vollkommen. Die Bilder gelten deswegen so viel, weil die mehrsten Menschen nur auf die Oberfläche sehen und dadurch glauben, die Sache zu kennen.

Ein Akkord, ein Ton Musik tötet mit seiner seelenergreifenden Bewegung alle bildende Kunst sogleich, als er sich hören läßt.

 

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Die Malerei ist die schwerste unter allen Künsten, weil keine so weiten Umfang hat wie sie; weil keine so von der heißesten Sommersonne bis auf den letzten Flimmer des Lichts, und von der äußersten Kraft des Herkules und dem Brüllen des Löwen bis auf das erste Wimmern des Kindes, keine so die ganze unermeßliche Natur in sich hat, und keine sich auf das augenblicklichste Dasein so einschränken muß. – Nur der unwissendste Phantast kann von der Malerei als einer bloß kurzweiligen Kunst reden. Sie ist für den gefühlvollen Menschen die erste unter allen; gibt Dauer völligen Genusses ohne Zeitfolge.

Ein Gemälde, das die und den nicht gibt, ist ein Gedicht ohne Poesie. Freilich sind auch in der Malerei der Prosaisten ungleich mehrere als Pindare und Alkaiosse und werden leider eben auch oft den wahren Meistern von dem unwissenden Haufen vorgezogen. – Nur wenig Menschen haben in ihrem Leben viel und mancherlei Genuß, und nur die edelsten haben den der höhern Freuden. Und unter diesen beiden Klassen sind wieder nur wenige von so lebendiger Phantasie und unruhigem Herzen, daß sie den überaus feinen Augensinn in Gefühlssinn verwandeln, sich täuschen lassen und wie von wirklicher Gegenwart ergriffen werden könnten.

 

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Schönheit ist Übereinstimmung mit Vollkommenheit (äußere Übereinstimmung mit innrer Vollkommenheit) ohne Fremdes, ohne Zusatz, versteht sich von selbst. Schönheit ist unverfälschte Erscheinung des ganzen Wesen, wie es nach seiner Art sein soll. Sie verträgt keine Vermischung, wenn sie nicht so eins geworden ist wie die verschiedenen Farben im Sonnenstrahl. –

Schönheit ist Alcibiades und Lais. Hohe Schönheit die Erdkugel. Höhere Schönheit die Sonne mit ihren um sie herumschwebenden Planeten.

Höchste Schönheit die unermeßliche Natur in den ungeheuren weiten Räumen des Äthers mit ihren heiligen furchtbaren Kräften, die bis in den kleinsten Staub sich regen und ewig lebendig sind.

Von Gott können wir Menschen nicht wohl sagen, wie Mengs und Winckelmann, daß er die höchste Schönheit habe, da wir ihn in keinem Körper gedenken können, und er lauter Wesen und Vollkommenheit ist; wenn man nicht die ganze Natur für sichtbarliche Erscheinung Gottes halten darf.

 

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Die schwankenden Begriffe von Schönheit kommen bloß davon her, weil wir, spitzfindiger als die Griechen, von äußerer Vollkommenheit, Schönheit und Güte dreierlei verschiedene Begriffe haben wollen, da sie doch im Grund eins und dasselbe sind; und dann, weil wir nur das schön zu benennen pflegen, was wir lieben, was wir fassen können mit unserm engen Sinn, womit wir uns vereinigen, eins werden möchten. Das andere ist uns unsichtbar, und so für jeden Sinn; und es kann nicht anders sein. –

Deswegen ist der Mensch die schönste Gestalt für uns in der Natur; weil wir nicht einmal die Erde in ihrer Fülle, geschweige das Sonnensystem, geschweige die unzählbaren Sonnensysteme der Fixsterne, zu fassen vermögen. Der Löw, das Roß, der Hirsch, der Adler, in deren Leben und Empfindung wir mit aller unsrer Fabelkunst so wenig eindringen, würden zwar manches wider die Eitelkeit über unsre Gestalt noch einzuwenden haben, wenn sie reden könnten; aber wir würden gewißlich doch auch über sie triumphieren, da sie mit Gewalt gestehen müßten, daß sie alle in unsre Einheit stimmen.

Nun aber Übergang von der metaphysischen Schönheit zur sichtbaren, aus dem Reiche der Vollkommenheiten in die wirkliche Welt. Hier läßt sich wenig mit Daraufzeigen und noch weniger mit Worten erklären. Wer das Gefühl des Schönen von Natur und dem Leben seiner ersten Kindheit und Jugend nicht hat, wird es nie durch die spätere Betrachtung und die Lehren der Weisen lernen; wenigstens wird es nie in ihm schaffen und wirken.

 

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Die Malerei ist wie die Musik; zu denselben Worten können große Meister, kann einer allein ganz verschiedne Melodien machen, die alle doch in der Natur ihren guten Grund haben: es kommt nur darauf an, wie man sich den Menschen denkt, der sie singt.

Nehmen wir zum Beispiel ein Lied der Liebe! Bei denselben Worten wütet ein Neapolitaner: und ein andrer im Gletschereise der Alpen bleibt ganz gelassen.

Außerdem lieben wenige immer überein stark schon bei derselben Person; und es wird anders geliebt bei einer Blonden und Schwarzen, einer Sizilianerin von zwölf Jahren und einer nordischen Patriarchin. Und diese selbst lieben wieder anders Knaben, Jünglinge, Männer und Greise. Dichter und Maler und Tonkünstler nehmen von allem diesem das Vollkommenste, was am allgemeinsten wirkt; welches aber weder Rechenmeister noch Philosoph zu keinem Zeitalter bestimmt festsetzen konnten. Und dies hat die Natur sehr weislich eingerichtet; sonst würde unser Vergnügen sehr eingeschränkt sein oder bald ein Ende haben.

 

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Es war einmal ein Mann, welcher unter den glücklichsten Einflüssen von Sonn und Mond und Wind und Wetter aus dem Chaos ins Dasein den wundervollen und unbegreiflichen Sprung getan. Und als er in frischer und reiner Kraft da war, hegte und pflegte ihn Mutter Nacht als ein liebes gutes Weib.

Und er ward geboren und wuchs auf.

Überall herum wurd es nun nach und nach seinen Sinnen Tag; und er hing sich an jedes gute Ding, eins nach dem andern, mit so viel Lieb und Wärme, als ob es Braut und Bräutigam wäre. So gewann er denn alles, was ihn rings umgab, und macht' es sich sein eigen; und wurde Knab und Jüngling und an Natur immer reicher.

Er hatte zu viel, um alles zu behalten, und mußte mitteilen: mitteilen seinen Mädchen und Freunden, und deren Mädchen und Freunden, und den unschuldig Verunglückten, welche wenig von Gottes Gütern erhalten.

Auf was Art und Weise?

Nicht mit Worten. Ach! diese schienen ihm so lediglich von der Oberfläche abgegriffen und abgehört, so bloß zum Handel und Wandel erdichtet und eingerichtet, so allgemein, so verbraucht, so verstümpert, und schon so von alten Zeiten her, daß die meisten sie auswendig gelernt, als ein totes Kapital, und selten einer mehr weiß, woher er sie hat. Er fühlte dabei seine herrlichsten Früchte so oft als leere Hülsen in den Mund genommen, und so das Hundertste für das Tausendste, daß ihm alle Lust zu diesem Mittel verging und er ein andres wählte, welchem mehr Freude beschieden, und zwar das natürlichste, nach der zu beschränkten Bildhauerei, der ersten und edelsten unter allen Künsten: jedes Ding durch eine zauberische Täuschung so eigen wie möglich wiederzugeben als es ihm geworden. Er lernte die Sprache von Tag und Nacht, Kolorit und Licht und Schatten; die Linien des Lebens kannt' er schon. Und dann Ferne und Ideal. Und brauchte dazu Schulmeister, die in deren Grammatik ziemlich bewandert waren, und versuchte sich an Hunden und Katzen und Mädchen und Buben und Vögeln und Bäumen zu allerlei Stunde.

Nachdem ihm dies gelungen, so ging er auf die hohe Schul Italien, und las und studierte da die Meisterstücke der Griechen vor zweitausend Jahren, zu Venedig, Florenz und Rom, dem Königinmütterchen der Welt, und schrieb sich die schönsten davon ab; und sang die Oden von Buonarotti, und die Volkslieder von Caravaggio, und studierte wieder die Werke des Tizian und seiner Vorfahren ihre, und hörte dann die andern trefflichen Komödien und Tragödien und Schäferspiele und Opern der großen welschen Meister aufführen, und ergötzte sich an ihren Heldengedichten.

So trieb er da Wirtschaft sieben Jahr lang. Machte während der Zeit Bekannt- und Freundschaft mit verschiedenen Vornehmen. Gab selbst Stunden und las Collegia, und dichtete unterweilen für sich ein Lied voll Saft und Kraft; und reiste dann mit einem ganzen Beutel voll Geld und vielen Kostbarkeiten obendrein wieder nach Hause.

Als er da wieder warm geworden, und ausgeruht und ausgeschlafen und wieder herumspaziert, und wieder unter seinen trauten Angehörigen war, in ihren Kammern und Klöstern und auf ihren Äckern und Wiesen und Weiden, und in ihren Marställen, und zwischen seinen Hügeln, in Wald und Tal und Hain und Flur, an Bach und See, so lieb und gut und allem so treu, und mit so vielen Gaben des Glücks und Geistes ausgerüstet; so konnt es nicht fehlen, daß er bald gänzlich der Liebling seines Volks wurde. Er redete nur die unmittelbare Sprache seiner Natur so meisterlich und mit dem Verständnis, womit Homer und Aristophan die ihrige sprachen, und sein Ruhm ging aus in alle Lande.

Und dieser Mann heißt Rubens

Freilich war Rubens ein solcher Mann; ein solcher Mann und weit mehr. Großer Maler voll Gefühl und Umfassungskraft, großer Mensch und Staatsmann, liebevoller Gatte, zärtlicher Vater, treuer Freund gegen seine Schüler, und wahr und herzlich und überaus gut; nicht neidisch und falsch und grausam, ja grausam gegen sie, wie Tizian und andre gegen die ihrigen, und sonder Neid und Verleumdung bei allem Schönen, wo er's fand: ganz in sich selbst ohne viel Worte gegen Großsprecher und Schwätzer, und warmer Patriot; und bei diesem allen noch immer jung und voll Liebesleidenschaft, und herrlich und prächtig, wie der König Adler in den Lüften.

Und dies wird immer sein und bleiben, solange sein Name und seine Werke dauern, trotz aller Verkleinerungen und Anekelungen verschiedener Schulmeister und Schüler. Für ihn eine Apologie zu schreiben, war ebenso überflüssig als eine Apologie der Natur.

Griechische Schönheit konnt' er nicht, wie keiner, aus nichts erschaffen; römische war schon da, von Raphael und Polydor und Julio; und warum nicht besser flamändische für Flamänder? Fülle und Feuer gleichen Gefühls, als sie und die Griechen hatten, auf seinem Boden empfangen und geboren?

Wer nicht nach Flandern reisen will, der reise nach Rom und Athen: aber dem Lande seiner Schönheit unbeschadet. Ich für mein Teil will freilich auch lieber im Julius auf dem Kessel des Ätna die Sonne aus dem Meere steigen und die Tiefe in einen Brand von Entzücken stecken sehn, als auf einen Holländischen Damm mich setzen und Pfeffer und Kaffee heransegeln sehn: und lieber in den Vatikanischen Hof und die Mediceische Tribüne mich einsperren lassen, als in irgendeinen andern Kunstort der Welt: und möchte freilich auch gerner eine schöne reizende junge Georgianerin zum liebenden Engel haben, als alle Farben samt und sonders, die je die Niederländer mit ihren fünf Fingern auf Holz und Leinewand getragen. Aber ich lasse nichtsdestoweniger jedes in seinen Würden. Und dann sollte überdies noch mancher Sultan sich in Rubensens schöne nackende Weiber vergaffen; so vergaffen, beim Jupiter! daß er in seines großen Propheten Paradiese zu sein meinen würde; wo alle Lust voller, alle Feldnelken gefüllte, und jede Dornblüte in eine Gartenrose verwandelt wäre. Wie es denn oft in der Tat so ist.

 

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Es geht mir im Kopfe herum, daß ich Ihnen Gemälde von Rubens zu beschreiben versprochen; und fast gereut es mich. Gemalt und beschrieben ist schier so sehr voneinander verschieden, wie sehen und blind sein: wie der Zeiger einer Uhr im Julius auf der Ziffer vier von dem Morgenrot auf der Höhe des Brocken. Selbst die Beschreibungen Winckelmanns sind nur Brillen, und zwar Brillen für diese und jene Augen. Und ich verzweifle beinah in dergleichen Sachen an allen Worten. Indessen, denk ich, würde doch jeder, der in gleicher Verzweiflung schwebte, eine aufgefundne alte Handschrift, welche Beschreibungen der schönsten griechischen Gemälde zu Alexanders Zeiten enthielt, mit Hoffen und Erwarten zur Hand nehmen und daran in Entzücken hangen, wenn sie nur einigermaßen trefflich wären. Man hätte wenigstens Idee, Zusammensetzung, Vergleichung: und manches leicht feuerfangende Herz weinte wohl gar dabei noch Tränen, so süß, als läg es an der Urne seiner Geliebten.

Und dies macht mir wieder Mut.

Jedoch geb ich Ihnen aus keinem Gemälde mehr als die Idee und das Malerische derselben, so wie ich's erkenne; weil ich zu überzeugt bin, daß alles andre mit eignen Augen muß gesehen werden, wenn man keine Ausgabe in usum Delphini zu besorgen hat.

Wir haben so viel Gemälde von Rubens, daß unsere Sammlung für eine der stärksten davon gelten darf; aber doch fehlen uns seine zwei höchsten Meisterstücke. Nämlich: seine Odyssee über Heinrichs Gemahlin Königin Maria von Medicis zu Luxenburg in vierundzwanzig Gesängen, worin leider! einige Heilige das Schönste, was Rubens nach Kennern gemacht hat, die drei nackenden Grazien, verdorben haben; und seine Abnehmung vom Kreuz zu Antwerpen. Und außer diesen fehlen uns noch die meisten seiner Lieblingsstücke, die er bloß für sich und seinen Freunden zur Lust gemacht hat; welche mir unter allen von ihm am liebsten sein würden, weil man darin den schönsten Schatz seines Lebens findet.

Überhaupt kann man aus hundert Gemälden von Rubens, mit den besten Gründen, über ihn das ungerechteste Urteil fällen, da wenig Maler so viel Stücke als er gemalt haben, so daß sie nach den Nachrichten der Liebhaber sich auf einige Tausend belaufen. Es ergibt sich aus dem gesunden Menschenverstande, daß er die wenigsten ganz hat ausmalen können, daß er zu verschiedenen nur die Skizze gemacht, und zu manchen bloß die Idee hergegeben. Zwar war er, bis auf die letzten Jahre seines Lebens, immer gesund und stark und geschäftig, und alle seine Arbeit schnell; allein er mußte noch, außer der Menge, oft wichtige Reisen tun und Frieden stiften zwischen großen Mächten, und von zween Königen zum Ritter geschlagen werden; weswegen er sich doch nichtsdestoweniger bloß für einen Kollegen aller Maler hielt. Und während der Zeit arbeiteten für ihn seine herrlichen Schüler, die manchen Fehler begehen konnten, der itzt auf seine Rechnung geschrieben wird.

 

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Die Flucht der Amazonen. Ein erschrecklicher Kampf zwischen den zwei Geschlechtern, wovon man nicht eher völligen Genuß haben kann, als bis man in die entfernteste Natur hinuntergestiegen.

Ein malerisches Schlachtgetümmel, wo der Sieg endlich sich entschieden hat. Die armen Heldinnen müssen der Obermacht unterliegen, werden geschlagen, sind auf der Flucht, und die Feinde setzen ihnen über die Brücke nach. Die Verspäteten, und wohl die Tapfersten, werden zum Teil gefangengenommen und zum Teil in der Wut ermordet, und fackeln zum Teil auch nicht, und ermorden wieder. Das Beste vom Krieg für ein Heldenherz: die Lust nach Schweiß und Gefahr; und noch dazu mit Mädchen, die mit dem Schwert Männer anzugreifen sich erkühnt, wilde, grausame und doch reizende Empörerinnen wider die Rechte der Natur. Ein furchtbar schönes Schauspiel, dergleichen es wenig gegeben. Den Anfang, linker Hand des Gemäldes, macht ein schon fernes Getümmel der Flucht von Weibern und Pferden. Darauf setzen ein paar braune Streitrosse, ihrer Reuter entledigt, von der Brücke. Das vörderste ist so scheu und wild, daß es die fliegenden Mähnen noch in die Höhe sträubt, die Zähne fletscht und Dampf aus der Nase schnaubt, und das andre schlägt hinten aus, noch vom Gefecht entflammt. Dann kommt eine Amazone mit eines Heerführers Kopf in beiden Händen, den sie auf der Brücke noch abgehauen, wo der Rumpf vom Stummel ins Wasser blutet; und dabei in der Rechten das blutige Beil. Sie sitzt auf ihrem Rosse, gleich jenem Römer, der die Feinde abhielt, bis die Brücke abgebrochen war, noch den Verfolgern entgegen, und ein Krieger greift ihr nach der Beute, die sie nicht lassen will. Neben ihr kämpfen noch zwo (wovon unten die Erschlagenen zeugen und die ausziehenden Pferde), die eben in den Fluß mit ihren Wunden samt den Rossen stürzen.

Dies ist die schönste Gruppe im Ganzen, und wohl mit dem Strome die erste Idee dazu; und vielleicht das Kühnste, was je gemalt worden.

Die erste ist im Sturz von der Brücke, den Kopf schon unterwärts, wo von einem Hieb aus der Stirne Blut fließt: ohne Bewußtsein, das Mordgewehr noch in der Faust und die Knie im Sattel. Aus dem Köcher fallen die Pfeile. Ihr nach das Pferd, dem ein Wurfpfeil im Halse steckt, die Vorderfüße voran, den Bauch oben und die Hinterfüße von sich streckend. Unter ihr platscht die andre, gleichfalls mit dem Kopf voran, nur noch völlig lebendig und im Ritt, mit dem Rücken und ihres Schimmels Rücken in den Strom, in dessen weitem Wellenschlag man den ungeheuren Fall sieht. Ein Gesicht, noch voll Mordgier und Kampf und Ergebung in alles, was ihr dabei zuleide geschieht. Weiterhin im Wasser zur Rechten suchen ihrer zwo sich mit Schwimmen zu retten; und die stürzende letzte schlägt mit ihrem Pferd vor denselben nieder, und die andre, wornach die eine voll Angst sich wegwendend sieht, kommt von oben. Und zur Linken steigt seitwärts der Kopf einer vom Sturz in die Tiefe Geschlagenen in Entsetzen wie ertrunken hervor, und über ihr stürzt im Dunkeln von neuem ein Roß, dessen Reuter an der Mauer erschlagen liegt. Gleich vorn auf der Brücke wird einer die Standarte abgenommen, die sie aber nicht lassen will, und wogegen sie sich aus aller Macht wehrt. Schon ist sie an derselben zurückgerissen von ihrem sich in die Höhe bäumenden Rosse, womit sie aber doch noch eins ist mit den Schenkeln, gleich einem Zentaur. Einer und noch einer arbeiten an ihr. Beide halten die Fahne am Wimpel fest, der eine zu Fuß und der andre zu Pferd, welcher letztere nach ihr, gelb und blaß vor Wut und Mordgier, mit dem Schwert in der Rechten aus Leibeskräften ausholt. Weiterhin rechter Hand wird zuerst wahrscheinlich die Königin gefangen. Sie hält das Schlachtbeil in ihrer geübten Faust, straff und stark; vermag aber nichts vor der Menge und wird überall gehalten. In ihrem Gesicht ist Grimm über die eitlen Tyrannen und das Schicksal; Grimm und Verachtung in Augen und Lippen, und doch auch Bitterkeit des nahen Todes. Der eine hält sie bei dem Arm, und der andre bei der Schulter am Halse, und holt aus, sie zu erstechen; und einer hinter ihr richtet einen Wurfpfeil auf sie. Am Ende rechter Hand nebenan der Brücke kommt eine gesprengt, wie ein zuletzt flüchtiger Alcibiades unter ihnen, in vollem Gehalt amazonischer Freiheit und Eigenmacht, wovon sie alle aussehen; und das Roß ist im Begriff, weit ausgeholt in die Flut zu setzen, als ein Reuter, der sie da erreicht, ihr hinterdrein einen Kopfspalter ziehen will. Schon hat er ausgeholt, und sie, sich umgewandt, sticht ihm, mit der größten Gegenwart des Geistes, bis zu Tränen vor Scham und Zorn brennend, daß sie fliehen muß, mit dem scharfen zweischneidigen Schwert unter den aufgehobenen Arm ins Haarwachs, daß die Sehnen springen und bluten. Über ihr wird eine samt dem Pferd in den Strom von einem jungen Reuter gespießt; und längs dem Ufer unter ihr zieht ein Hungerleider ein paar im Treffen Gebliebene aus, um Beute zu machen: hat von der einen den Leichnam schon abgefertigt hingeworfen und zerrt der andern das Gewand unter dem Hintern weg, um sie zugleich damit ins Wasser zu schütteln. Unter der Brücke selbst ist das Fürchterlichste vom Schauspiel zu sehen. Sie hat nur einen, aber einen hohen, weiten und breiten Bogen, der von einem Michel Angelo gebaut zu sein scheint; welcher einen Schlagschatten von der größten Wirkung wirft, und das Licht aus der Ferne darunter her erhebt und belebt. Im Strom und denselben hinauf ist lauter Herabstürzen, Schwimmen, Retten, Durchschwimmen, Kämpfen und Ersaufen, ist Freund und Feind untereinander: weiter oben stehen am Ufer in der Ferne Kriegsheere, und anbei eine Stadt in loher Flamme. Der Fluß wälzt da und dort Toten auf.

Es ist ein Stück voll heroischer Stärke aus dem Zeitalter des Theseus: nichts überladen, und alle Täuschung da, die mit Farben möglich zu machen ist. Gewalt in Männerschultern und Armen und Fäusten mit dem Mordgewehr, und Brust und Knie: in dem Bäumen, dem immer andern Satz und Strang und Wurf der Streitrosse. Feuerblick und Glut des Verfolgens, Wut und verzweifelte Rache des Entrinnenmüssens in höchstem Weibermute: Hauen und Stechen und Herunterreißen, Sturz in mancherlei Fall und Lage samt den Rossen in den Strom, Blut und Wunden, Schwimmen und Sterben, Blöße und zerhauenes Gewand und herrliche Rüstung; wahrstes Kolorit von Stärke, Wut und Angst und Tod in Mann und Weib: höchstes Leben in vollem Schlachtgetümmel unter furchtbarer Leuchte zerrissenen Morgenhimmels.

Die Amazonen haben kein träges Fleisch an sich, sondern sind abgehärtet, edel, voll Gewalt und Feuer und nach ihrem zirkassischen Klima und den Antiken, leicht mit einem Untergewand und kleinem roten Mantel darüber von der linken Schulter herunter bekleidet, der ihnen beim Herabsturz ins Wasser meist abfällt, nachdem ihnen entweder das Band reißt oder durchgehauen worden, so daß die Bewegung der schönen Glieder überall lebendig zu sehen ist. Sie reiten auf bloßem Hintern mit beiden Schenkeln auf einem dünnen Sattel, nur die Beine vom Fuß zur Wade umwunden. Ihre rechte Brust hat Rubens immer so auf die Seite gebracht, oder in ein solches Licht, oder unter das Gewand, daß man wenig davon gewahr wird: vermutlich, um dem Vorurteil auszuweichen, als hätten die Amazonen den Namen daher, daß sie sich die rechte Brust weggebrannt. Jedennoch kann man sehen, daß sie da ist.

 

73

Raub der Töchter des Leukippos. Die Hauptperson in unserm Gemäld ist Kastor in griechischer Rüstung auf einem braunroten Rosse, dem ein Amor den Zügel hält, mit dem Pollux, der von seinem Schimmel gestiegen ist, dessen Zügel gleichfalls ein Amor hält. Kastor zur Rechten, Pollux zur Linken.

Kastor hebt auf freiem Feld eine ganz entblößte junge Dame – an einem rotseidenen Tuche (das ihr vom Rücken am Hintern durchgeht, der davon einen schönen Widerschein wirft) mit der Rechten um den in die Höhe gezogenen linken Schenkel am Knie herum, mit der Linken um den rechten Arm – nach seinem Rosse. Pollux hat dieselbe unterm linken Arm mit seiner rechten Schulter gefaßt und hält mit der linken Hand ihre Schwester unter der rechten Achsel.

Die Schönheit der Gruppe ist schwerlich mit Worten nur einigermaßen sinnlich zu machen.

Kastors Roß steht rechter Seite des Gemäldes zu, und der Schimmel bäumt sich von der linken her in die Höhe. Die beiden Jungfrauen sind in vollem Licht vor den Pferden in der Mitte.

Die erste, von der linken Seite her, mit den Brüsten und dem Kopf von ihrem Räuber abgedreht, der den linken Schenkel mit dem Knie schon am Sattel hat, indes sie das rechte Bein mit dem Schenkel am Pferde sinken läßt, den linken Arm über des Bruders Schulter hinausstreckt und die rechte Hand an des Räubers Arm über das gehobene Knie hält.

Die zwote steht, gleichfalls von der linken Seite, an der ersten; erstaunt sich sträubend und den Rücken in die Seite krümmend, mit dem Gesicht nach dem Kastor sehend, und mit der Linken ihren Räuber etwas von sich haltend, der sie unter der rechten Achsel faßt. Ihr rechtes Bein steht, bis auf den Schenkel, welcher sich schräg zieht, noch gestemmt auf den Boden, und der linke Schenkel, der ganz zu sehen ist, berührt fast mit dem Knie die Erde.

Pollux ist nackend, soweit man ihn sehen kann; denn die Mädchen verbergen von ihm Unterleib und Schenkel.

Kastors Gesicht ist wahrhaftig schöne männliche Jugend, im aufgesproßten braunen krausen Barte. Inbrunst leuchtet überall hervor. Die erhabene Stirn, das in süßer Begierde Wollust ziehende Auge, die Lippen voll Glut, und die Wangen voll Scham, der nervichte Arm und das Hippodamische der Stellung machen einen reizenden Räuber. »Ach, daß ich dir Leid tun muß! (flüstert er) aber es war nicht möglich, daß du nicht die Meine sein solltest!« Das Bittende, die Zärtlichkeit ist unbeschreiblich: und die Kühnheit in dem über den Augen Hervorgehenden der Stirn, und die Blüte der Stärke.

Die Jungfrauen sind beide ganz nackend in blonden Haaren, die los und in Flechten den Lüften zum Spiele dienen, wie aus dem Bett oder Bade: und in Jugendfülle, die im Zeitigwerden ist. Der Ausdruck im Gesicht der ersten ist unbeschreiblich fürtrefflich: Ergebung, in der Ohnmacht zu widerstehen; Scham und das süße stechende Gefühl derselben, und das Außenbleiben der Überlegung. Die Brüste schwellen sich empor in der drängenden Lage. Sie wendet das Gesicht vom Räuber und schielt doch zurück. »Ha, nun bist du weg! (scheint sie zu seufzen) er hat dich!« und doch furchtsame Hoffnung künftiger Freuden. Der junge Halbgott, der das Goldne Vlies zurückgebracht und den Archipelagus von den Räubern befreit, hat wider ihren Willen mehr Liebesgewalt über sie als ihr Bräutigam, was bei einem Mädchen nicht anders sein konnte; aber doch geht ihr dessen Schicksal nahe. Es ist Furcht und Liebe, Zweikampf zwischen Moral und Natur; um die Augen das Bange und Süße, um die Lippen das Weinen und Lächeln. Nur eine Phantasie, wie Rubens hatte, konnte diesen Ausdruck treffen. Ihr Leib schwebt wie eine Rose im Gepflücktwerden.

Die zwote ist im Profil, voll Schönheit und Mädchenheit, und scheint sich auf das, was Mann ist, in Unschuld ein wenig zu verstehen. Sie blickt, sich lässig sträubend, nach dem Kastor, und was dieser mit der Schwester anfängt, und blickt nach ihm nicht ungern und lieber als nach dem, welchem sie zu Teile werden soll. Die Drehung und das Ringen in den Muskeln des Rückens, wie überhaupt das Fleisch des ganzen Rückens gehört unter die fürtrefflichste Malerei.

In beiden ist Übergang von einem Glück zu einem größern; Furcht und Hoffnung; noch Mond und Stern im Herzen, und Aufgang und Sonne vor den Augen.

Den Pollux habe ich nie für eine Person vom gleichen Stand mit dem Kastor nehmen mögen; denn er sieht mehr einem Begleiter und Gehilfen gleich; und man könnt ihn, wenn es nicht so sein müßte, gar leicht für einen Sklaven halten, der treulich beisteht und, nicht ohne Bedauernis, voll Freuden ist über den glücklichen Fang. Jedoch läßt sich Rubens dabei entschuldigen und wohl gar rechtfertigen. Er bezog alles auf den Kastor, weil es ihm vermutlich nicht wahrscheinlich dünkte, daß beide Brüder sich auf einmal zugleich in zwo Schwestern so heftig verliebt hätten, daß sie dieselben ihren edlen und tapfern Bräutigamen, die sie noch dazu zur Hochzeit eingeladen, mit Gewalt entführen müssen. Pollux entführt also die eine seinem Bruder zu Gefallen, welches sie auch zu merken scheint; und sein Ausdruck war ihm daher in seinem Klopffechtergesicht nicht sehr vorteilhaft.

Kastor hat an der Einfassung des grünlichen Brustharnisches einen Medusenkopf. Pollux ist ganz ohne Kleidung bis auf die Beine, welche geschnürt sind. Der eine Amor denkt: »Wird euch nichts Böses widerfahren«, und der andere sieht schalkhaft aus, und hat viel zu tun mit seinem Schimmel. Beide waren hier nicht überflüssig. Die Pferde sind stolz und wild und voll Feuer; doch scheinen sie zu fühlen, wobei sie zugegen sind.

Das Licht fällt auf die Mädchen, wie gesagt, und Roß und Mann erhebt das zarte Fleisch derselben unvergleichlich. Überhaupt gehört es unter die schönsten Stücke im Kolorit, die wir von ihm haben.

Es ist der malerischeste Moment dieser Entführung, obgleich noch zwo Szenen darin ebenfalls sehr malerisch sind. Die Figuren sind beinahe in Lebensgröße.

 

74

Der Regenbogen, eine Landschaft. Bilden Sie sich in Gedanken die schönste und fruchtbarste flamändische Gegend ein, über die an einem Sommernachmittag ein warmes schwüles Gewitter mit Blitz und Strahl und Schlag und Regenguß gezogen, in dessen letzten elektrischen Wolken ein Regenbogen mit einem Streif-Widerschein rund herum entsteht, der an dem einen End in einen lustigen Wald steigt, in welchem das Wetter vorübergegangen: Wovon linker Seite des Gemäldes noch ein Trüppel Bäume auf einer moosigten Anhöhe zu sehen ist, hinter welcher zwischendurch krumm herum ein klarer Fluß hervor sich wässert, woran ein Hirt, der, wie der Himmel wieder heiter wird, seine Rinder hervorgetrieben, die herumstehen, und hineingehen, und darin auf ihre Furcht trinken und sich abspiegeln; und an dessen Ufer an der Krümme weiterher in Schilf und Rohr und Beergesträuch Enten den Regen von den Flügeln schütteln, und flattern, und schreien, und sich gütlich tun. Dann kommen ein paar Dirnen, die den Leuten Essen aufs Feld gebracht, mit leeren Töpfen, und in deren Mitte ein junger Bursch mit einer Heugabel, der liebkosend der Schönen linker Hand etwas gesagt hat, worüber sie lächelnd stilleschweigen und wo anders hinsehen muß; und seitwärts her ein Fuhrmann mit einem Heuwagen, der auf dem einen seiner zween Gäule wohlgemut dasitzt, und das verliebte Pärchen als ein Schalk betrachtet. Darneben eine in voller Frucht stehende Saat. «Weiter jenseits Heuhaufen um einen vielschössigen schlanken Erlenstamm, wovon zwei Mädchen und ein junger Kerl auf einen Wagen laden. Und endlich hinan die herrlichste Ebene voll Buschwerk, Gartenfeld, und Dorfschaften in die blaue Ferne, welche nach und nach noch im Regennebel sich verliert. Die wiederkommende Helle, die Frische, der aufsteigende Duft über Gras und Blatt, das Naß auf den herabsinkenden Zweigen, der Segen des Herrn in Saat und Feld, der stärkende Geist der aufgetanen Fruchtbarkeit spricht und lebt einen an, der des Gemalten nicht unkundig ist, wie aus wirklicher Natur. Außer diesem herzlichen Gefühl im Ganzen, das alles so warm in sich hegt, und womit vielleicht nur wenig Claudiusse, Salvator Rosas, Poussins und Teniers, wenige von meinen himmlischen Freuden zu vergleichen sind, ist diese Landschaft noch ein Meisterstück von Pinsel, ob er gleich schwerlich länger als einen Tag daran gearbeitet hat und die Farbe so leicht und dünn aufgetragen ist wie Buchstabe. Jeder Maler, der sich etwas einbildet, mag da stillestehen und die Zauberei betrachten, ohne sich von dem unausgemalten Regenbogen stören zu lassen, mit dessen Farben Rubens keine Schülerspielerei zu treiben hatte. Die Bäume sind keine von Bott, das Laub nicht Blatt von Blatt aufgefasert, aber doch so erkennbar in Stamm und Zug und Laub und Bewegung, so lebendig und ungemacht in ihrer Grüne, als die seinigen nur immer sein können. Die Saat reift allmählich heran und steht in dichten Halmen, vom Regen geschwängert; und wenn man's am Holze sieht, ist's weiter nichts als grüner und gelber Strich; weswegen nun freilich auch die Einge Vander Werfftierten sie mit scheelem Aug mögen ansehn. Perspektiv gehört darin unter das Fürtrefflichste, was man in dieser Art sehen kann. Kurz, es ist eine Gegend so voll frischer Wärme und Fruchtbarkeit, daß jeder Reisende seinen Postillion da haltzumachen befehlen müßte; denn so was lebt man wenige Tage seines Lebens; und eigentlich das, was ich lediglich von der Malerei verlange, Genuß und Täuschung.

 

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Rubens mit seiner ersten Frau, in Lebensgröße, in einem Garten. –

Er ist einer der wahrhaftig schönsten Männer, die man sehen kann. Sitzt, wie gelehnt, im Jugendstolze der ersten Mannheit, an einem schattenreichen Geländer von blühendem Geißblatt auf einer Bank; hat die linke Hand mit dem Daumen am Bügel seines gestützten, mit Brillanten besetzten Degens und die rechte auf dem linken, übergeschlagenen dicken Beine liegen, auf welches sein durch ihn durch und durch frohes und freundliches und sittsames, neben und unter ihm sitzendes schönes Weibchen die ihrige zarte mit der Fläche sanft auflegt.

Seine übervermögende Seele blickt unter dem freien Hut und unter der mutvollen, sich an den kühnen Brauen wölbenden Stirn, aus den lichtbraunen Feueraugen die Eigenliebe jedes Sterblichen darnieder, und fängt ihm seine Art und Eigenheit. Die Nase steigt, wie reine Stärke, gerad durchs Gesicht; seine Wangen sind von gesunder Röte durchzogen; und in den Lippen sitzt, zwischen dem jungen Eichstamm von Bart, Adlerliebe zum Aufflug, wann's ihr gelüstet; sowie auf denen seines Weibchens die süße Huld und Traulichkeit. Sein Herz in der Brust scheint frühauf von einem Chiron mit Löwenmark genährt zu sein. Aus seinem ganzen Wesen strahlt sich fühlende Stärke, und man sieht an ihm augenscheinlich, daß er mehr ist als alles, was er gemacht hat, mehr als sein Gott der Vater, und Gott der Sohn, und Gott der Heilige Geist, und seine Heiligen, Engel und Helden.

So sagt die Schrift, daß die Verklärten dereinst werden Gott schauen. O der unaussprechlichen Wonne, wenn unser Herz auf einmal ein Abgrund voll Entzücken von aller Welten Lebensquellen würde, die in einem Moment wie ungeheure Tiefen sich dahinein stürzten. Schwerer grenzenloser Gedank', ich erlieg unter dir. Welcher Sterbliche, welches Phänomen vermag ihn zu ertragen!

Rubens erscheint hier als ein großer Mensch, voll Leben und Verstand, voll Saft und Kraft, und frei von schwacher, vielleicht auch zarter Empfindung. Alles an ihm ungewöhnlicher Geist in seltner Mannheit und Wohlbehagen seines Zustandes, und doch geheimer Gedanke der Vergänglichkeit aller Lust der Jugend. Sie freut sich seiner Liebe, und seines Ruhms, und ist ganz in ihm, lebt bloß von seiner Seele. Ein liebliches Bild geistiger ehelicher Zärtlichkeit für den, der's fühlen kann, von Bescheidenheit und wahrer Grazie; welche letztere doch mehr im Zug als in Form zu sehen ist. Er sitzt da wie die Natur in frischer Fruchtbarkeit, und Sie wie eine Rose in der Morgensonne der Liebe. Beide sind ritterlich gekleidet, und Sie in Schmuck und Pracht, aber doch in leichten Faltenwürfen, und der Spanische Strohhut mit dem schönen Schlagschatten rechts der Stirn hin sitzt ihr lüftiger als unsern Damen ihre Federn.

Das Kolorit ist so wahr wie das Leben, besonders das Fleisch. Mit einem Wort: es gehört unter die Stücke, die er mit Lust gemacht hat.

 

76

Das höchste Leben ist das schwerste in allen Künsten, sowohl in den bildenden, als Poesie und Musik: Sturm in der Natur, Mord zwischen Mann und Mann, Seelenvereinigung zwischen Mann und Weib, und Trennung, Abgeschiedenheit verliebter Seelen. Das Tote kann auch der bloße Fleiß darstellen, aber das Leben nur der große Mensch. Wen beim Ursprung seiner Existenz nicht die Fackel der Gottheit entzündet, der wird weder ein hohes Kunstwerk, noch eine erhabne Handlung hervorbringen. Schönheit ist Leben in Formen und jeder Regung, und nichts Totes ist schön, außer in einem Verhältnis von Leben.

Warum ist der Torso schön, warum die Kolossen auf dem Monte Cavallo, warum unsre Venus? Weil sie in höchster Vollkommenheit menschlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer Existenz sich befinden. Warum Apollo, warum der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit seiner Kraft sich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, warum Niobe? Weil auch ihr höchstes Leben einer stärkern Macht unterliegt. Der Dichter deutet's mit Worten an, der bildende Künstler stellt's mit dessen Oberfläche selbst dar.

Zu der Zeit, wo die Menschen am mehrsten lebten und genossen, war die Kunst am größten: zu der Zeit, wo sie am elendesten waren, am schlechtesten; dies ist die Geschichte derselben in wenig Worten.

 

77

Es ist ein sonderbares Ding um die Kunst; sie scheint ganz ihren Weg für sich zu gehn. Wenn man von ihrer Fürtrefflichkeit auf die Fürtrefflichkeit der Menschen zu gleicher Zeit sollte schließen können, welche Popanze müßten die Römer zu Konstantins Zeiten gewesen sein gegen die unter Trajans, wie man aufs komischeste sich die Vorstellung an einem Monumente zugleich machen kann, nämlich Konstantins Triumphbogen. Was konnte der arme Alexander dazu, daß er keinen Homer fand bei seinem Leben; überhaupt keinen Dichter, der ihn besang?

 

78

Ich bin überzeugt davon, daß sich wenig mehr über die wirkliche Malerei der Griechen sagen läßt als Märchen, trockne Nachrichten und Schwärmereien der Phantasie darüber ... Wer will sich eine sinnliche Vorstellung machen von der Eigenheit der Gemälde des Parrhasius und Apelles, da wir keine mehr von ihnen haben; da wir, außer einigen außerwesentlichen Anekdoten, nicht einmal umständliche Beschreibungen von den Ideen und Zusammenhängen derselben haben? Da uns nur einige dunkle und meist unverständliche Nachrichten von ihrer Weise zu malen übriggeblieben und überhaupt kein einziges Stück von den Meistern der guten Zeit, sondern bloß etliche verschimmelte römische Mauerfragmente, woraus wir vielleicht auf sie schließen können, wie von einem heutigen Holländer auf Raphaelen. Alles was man tun kann, ist, sich unter das griechische Volk hinstellen und mithelfen bewundern.

Außerdem hat jede Kunst ihre Grenzen, über welche keine andre Eroberungen machen kann. Malerei, Bildhauerei und Musik spotten in ihren eigentümlichen Schönheiten jeder Übersetzung; selbst die Poesie, die allergroßmächtigste, muß dahausen bleiben. Verloren ist verloren. Wer Gabrieli nicht selbst hört, wird sie weder durch eine andre noch durch Noten hören; ebenso mit dem Apelles.

79

Der große Grundsatz der Griechen, nicht allein der Künstler, war, nichts zu machen, was nicht Natur ist, und alles Bürgerliche, alles bloß Konventionelle zu verachten; daraus entsteht von selbst hernach die Schönheit. Man findet bei ihnen nichts von Regent und Minister, sie haben keine Perser nachgemacht; sie schickten sich nicht für die Kunst. Sie waren die wahren Aufbehalter und Reinbewahrer der Natur; alle Philosophen in Dichtkunst und allen andern Künsten.

Die neuern Künstler wollen alles machen, was nicht in der Natur ist, nämlich Antiken und Ideal, und sind dadurch unerträglich.

 

80

Der Künstler nimmt aus dem großen Ganzen der unendlichen Welt ein kleines Gliedchen und behandelt es als ein Ganzes; und tut also alle die Beziehungen weg, die es als Gliedchen hat. Seine Vollkommenheit ist im Grund ein Mangel und wird desto merklicher, je weiter und tiefer man dabei denkt. Die Menschen überhaupt kennen die Welt nicht als ein Ganzes, sondern nur stückweise, und wenn sie etwas davon vorstellen: so stellen sie es nur in Beziehung auf sich vor, und nicht mit anderm und dem großen Ganzen. Und diese Beziehungen werden endlich so eingeschränkt bis auf Land und Stadt und auf die Letzt wenig Menschen, bis zu einer Person; denn was ist ein Porträt oft anders als ein Teilchen des Unermeßlichen, zu einem Ganzen erhoben, außer aller Beziehung, für einen Liebhaber? Selbst das menschliche Geschlecht ist kein sinnliches Ganzes für uns, nur unsre Nation, nur unsre Stadt und Familie. Ein Künstler, der Menschen sinnlich vorstellen will, kann sie also nur aus seiner Nation nehmen; mit mathematischen, metaphysischen Menschen hat er nichts zu schaffen; denn diese sind weder für Auge noch Hand sinnlich. Unsre Nachahmung, der Antiken, wenn wir ihre Gestalten und in vieler Rücksicht auch die Form ihrer Glieder und Körper nachahmen, ist eine offenbare Albernheit folglich, da die Leiber der Griechen und Römer für uns gar nicht mehr sinnlich und ganz aus unserm Gesichtskreis hinaus sind. Ihre Gestalten bildeten sich in dem Leben ihrer Republiken, und ihre Glieder auf Ring- und Kampfplätzen. Ihr Verstand und ihre Weisheit und Dichtungen teilten sich durch Gespräch und Gesang mit; dies allein gibt schon andre Gesichtszüge und geschwelltere Muskeln an Lippen und Gurgeln, die wir gar nicht mehr sinnlich fühlen.

Was haben unsre Künstler nach dem Raphael und Correggio und Tizian, nach Andrea del Sarto und Rubens, Van Dyck und Rembrandt hervorgebracht, die die Natur studierten, mit ihrem Abkonterfeien der Antiken! Mit allen Akademien und neuern gepriesenen Anstalten die Fürsten, die der enthusiastische Lärm Winckelmanns aufjagte? Elendes jämmerliches Zeug, Unsinn, der jeden gescheiten und vernünftigen Menschen jammern und anekeln muß.

 

81

Es ist eine Kleinigkeit, einen Sokrates von außen auch fürtrefflich zu malen und zu bildhauen, gegen das, herauszuholen, was in ihm steckt.

 

82

Nur das Wahre ist schön; wenn Franzosen, Spanier, Welsche, Deutsche, Engländer ganz anders aussehen und handeln als Griechen, so ist es ja unsinnig, griechische Gestalten zu machen, die sie vorstellen sollen.

 

83

Wenn das Altertum die Regel nicht sein soll, so ist gar keine. – Warum nicht? Der gescheiten Menschen ihre, wie zu jeder Zeit; was diese für fürtrefflich finden. Nichts Totes richtet, sondern allzeit das Lebendige, und der Vatikanische Apoll ist kein Gesetz der zwölf Tafeln.

 

84

Ich weiß nicht, warum man beim Raphael allezeit die Griechen anführt, und daß er die erhabne Seele aus den Griechen habe bilden lernen; seine Apostel und Madonnen doch wahrlich nicht, die sind gewiß sein eigen.

 

85

Wie falsch: je ruhiger der Stand des Körpers ist, desto geschickter ist er, den wahren Charakter der Seele zu schildern. – Wir Neuern sind von dieser hohen Stille weit entfernt, und unsre Künstler müssen sich gleichfalls davon entfernen, wenn sie der Natur nachwollen. Die jungen Künstler können am wenigsten diese Stille fühlen, daher ihre franchezza; man darf von den Menschen nicht mehr verlangen als sie können. Kometen, Ajaxe ... gefallen mir gerad von ihnen am besten. Diese können sie machen; der Teufel hole ihre ungefühlte, maustote griechische Exerzitien; Signor Abate Winckelmann kann sich daran laben nach Belieben.

 

86

Winckelmann und die Schar, die nichts in sich selbst haben, sprechen gerad wie die Besessenen, wie Verrückte, wenn sie sagen, man solle bloß die Antiken studieren und nachahmen. Sie machen das Mittel, einige Schönheiten der Natur leicht zu finden, völlig zum Zweck; und malen und zeichnen nicht anders als mit den Gipsgespenstern um sich herum; Ein wahrer Unsinn, als ob etwa die Schönheiten, die im Apollo, dem Laokoon und der Mediceischen Venus stecken, nicht schon da wären. Ihr Einfaltspinsel, die Natur ist reich und unerschöpflich; diese Sachen, die griechische Meister sahen und mit ihrer Kunst festhielten, haben wir schon, und wir wollen etwas anders. Vergrabt euch damit in eure höllische Leerheit, und nagt und geifert euch mit euerm Neid daran zu Tode, damit ihr einmal von uns wegkommt, ihr Ungeziefer, ihr garstiges.

Die Freude und der Genuß der Edeln entscheidet in der Kunst, und nicht Pedanten und Schulmeister. Wo habt ihr den Beweis, daß diese und jene Statue die Regel sei? Die Natur ist die Norm, von eben dieser oder jener Statue, und diese ist mannigfaltig und hat Vollkommenheiten von vielerlei Art, ihr ewigen Einerleisrasende! Deswegen werden Arme und Beine keine Ungeheuer werden und doch alles seine gehörige Proportion haben.

Und dies ist die Ursache, warum so oft hohe Geister bei einem Gemälde Dinge denken, wovon der armselige Handwerker von Maler nie sein Leben lang eine Spur im Wesen hatte.

Alle bildende Kunst ist am Ende bloß Oberfläche. Und dies ist die Ursache, warum wahrhaftig große Menschen unter den Künstlern mit ihren Werken so selten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von dem hineinbringen, was sie fühlten, und dies nicht einmal so rein bestimmt, daß es gerade dasselbe Leben wieder erregte. Ein gen Himmel gekehrtes Auge, nehmen wir das edelste Glied, das am deutlichsten vom Innern spricht, was kann dies zum Exempel nicht für vielerlei ausdrücken?

Bei einem Volk von Stummen, da möchten die bildenden Künste in der Tat viel vermögen; denn sie hätten da mehr Natur für sich nachzuahmen. Bei uns andern Menschen aber, die wir den größten Teil unsrer Empfindungen und Gedanken mit der Sprache ausdrücken, wobei sich besonders bei den Edelsten am wenigsten die Gebärden ändern, die, wie Winckelmann und der gescheite Lessing am Laokoon bemerkt, auch bei den heftigsten Gefühlen gar wenig von außen sich regen, läßt sie ihnen vielleicht gerad das Schlechteste übrig, und sie kann oft sowenig von einem Sokrates und Plato, Lykurg und Alexander und Epaminondas darstellen als von einem Pacchiarotti oder einer Gabrieli, oder einem Pugnani und Kramer.

Nehmen wir vollends, wie sauer auch dies Schlechteste muß nachgeahmt werden, und welch eine unerträglich mechanische Übung auch für große Menschen dazu gehört, ehe sie es bis zur Vollkommenheit bringen, und daß das meiste Wirkliche der bildenden Kunst jämmerlicher Wust und Unsinn ist, so können wir sie immer stehen lassen.

Ihre besten Gegenstände bleiben gewiß die andern Tiere, und Pflanzen, Gras und Bäume; die können sie darstellen, die Künstler, den Menschen sollen sie dem Dichter überlassen.

Und also können wir gewissermaßen die Griechen übertreffen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenstände machen, die sie verfehlt haben.

 

87

Von allem, was ich von Mengs gesehen habe, kommt nichts aus Empfindung und geht nichts in Empfindung, alles bleibt bloß im Verstande, Künstlerverstande. Sein Meisterstück zu Rom, das Werk in der Vatikanischen Bibliothek, ist, was schöne Formen anbelangt, vielleicht das Höchste der neuern Kunst; seine Buben sind jugendliche Zaubergestalten, besonders der vom Rücken neben dem Moses, aber sie haben weder natürliche Regung noch Ausdruck, und man weiß nicht, wer sie sind, noch was sie bedeuten; und sie schändet bloße Verzierung. Das Ganze hält ein elender Gedanke, ein armseliges Leben, eine Schmeichelei zusammen. – Und wie sieht der Moses dessen aus, der den des Michelangelo einen Galeerensklaven nannte? Ein vereinsiedelter schwacher Kopf von einem Weisen eher, als der heroische Anführer eines ganzen Volkes aus den Klauen eines Tyrannen, als strenger Gesetzgeber und Gottgeliebter. Viel Aufwand um Nichts oder eine Kleinigkeit, Prunk ohne innern Gehalt. – Schade, daß keine bildende Phantasie eine so fürtreffliche Künstlerhand beseelte! Daß alles von toten Formen, den Antiken herkam, und die ewig lebendige Natur nichts dabei zu tun hatte!

Mengs würde als Bildhauer weit größer geworden sein; wenn er nur ein paar von diesen Buben und seine Madonna als Kind den Tempel hinaufgehend zu Caserta ausgeführt hätte in Marmor: sie hätten ihn unsterblicher gemacht als alle seine andern Arbeiten. Aber es wäre doch auch bloße Nachahmung der Antike ohne eigen Leben gewesen; ihm fehlte Gestalt, täuschende Gestalt, die mit innerm Leben ergreift, mit Naturwahrheit, ohne Porträt zu sein, Ideal, das über die Menschheit geht und doch Natur bleibt.

Von Buben und Mädchen hat er die Schönheit der Form gefühlt – aber das Leben, die Seele davon hat er nicht sich zu eigen gemacht, er ist nie recht mit ihnen eins geworden; vor lauter Fleiß an toten Formen und eigner Weisheit ward er der Existenz der andern und dessen, was sie individuell regt und bewegt, nicht recht inne.

 

88

Jede Form ist individuell, und es gibt keine abstrakte; eine bloß ideale menschliche Gestalt läßt sich weder von Mann noch Weib und Kind und Greis denken. Eine junge Aspasia, Phryne, Lais läßt sich bis zur Venus, Diana oder Pallas erheben, nachdem man sich ihre Erziehung dazudenkt und die gehörigen Züge mit heißer Phantasie in ihre Bildungen zaubert: aber ein abstraktes bloß vollkommnes Weib, das von keinem Klima, keiner Volkssitte etwas an sich hätte, ist und bleibt ein Hirngespinst, ärger als die abenteuerlichste Romanheldin, die doch wenigstens irgendeine Sprache reden muß, deren Worte man versteht. Und solche unerträglich leere Gesichter und Gestalten nennen die elenden Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipsen gelernt haben, wahre hohe Kunst, und wollen mit Verachtung auf die kraftvollen Menschen heruntersehen, die die Schönheiten ihres Jahrhunderts mit lebendigen Herzen in sich erbeutet haben.

 

89

Es ist komisch anzuhören, wie die Leute da und dort schöne oder nicht schöne Frauenzimmer finden; gewiß ist's, daß die hohe wahrhaftige Schönheit von Mann und Weib nur durch den schärfsten Sinn, das edelste Herz und den hellsten Verstand erkannt wird für das, was sie ist; und es gehört dazu die reinste sinnlichste Empfindung von Kindheit an von einem echten Sohne der Natur. In einem eingeschränkten Tal hab ich nie viel Schönheit angetroffen, immer meistens auf Ebnen mit Gebirg umgeben, zwischen Hügeln und Flüssen und Gärten.

 

90

Alles, was den Sinnen als eine Vollkommenheit vorgestellt zu werden fähig ist, kann auch einen Gegenstand der Schönheit abgeben. Insofern kann das Häßliche in einer historischen Komposition ein schöner Gegenstand sein; und flamändische Natur bei einer flamändischen Szene vollkommner und schöner als griechische sein; denn was ist Vollkommenheit anders als Übereinstimmung mit der Natur, oder Einheit des Mannigfaltigen zu einem Ganzen? Gerad hier steckt der Haken, an welchem bis jetzt alle Philosophen, so viel ich ihrer kenne, und auch Künstler eben aus Mangel an Begriffen gescheitert sind. Alle Kunst muß Nachahmung wirklicher Natur sein, wenn sie täuschen soll, aber sie muß gefallen, wie die Natur selbst gefällt, nur mit dem Fürtrefflichsten. Und dies Fürtrefflichste richtet sich nach Land und Menschen, wo es erscheint. Die Schöpfung aus Nichts müssen wir in der Kunst platterdings den Theologen und scholastischen Weltweisen überlassen; wir haben darin mit den Erdenkindern zu reden und mit irdischen Sinnen. Wir können keinen jugendlichen Ringer-Körper bilden, wenn wir noch keinen gesehen haben, da man mit der größten Fertigkeit im Anschauen in den griechischen Gymnasien noch das höchste Studium der Kunst verbinden und ein glücklich Geborener sein mußte, um einen solchen vollkommen mit Farbe oder Stein für Augen zu liefern, die die Natur kannten. So etwas greift sich nicht aus der Luft und mathematischen Hirngespinsten. Und so ein Klopffechter, so ein Diskuswerfer, so ein Alcibiades, so ein Aristoteles, so ein Pindar, so eine Aspasia und Phryne, dazu gehört nicht ein Blick, und reicht nicht hin eine Übung in der Betrachtung, sondern es muß Gewohnheit, Fertigkeit im Empfinden ihrer Eigenschaften und Schönheiten in der Seele sein. Und so geht's auch unter uns. Wollt ihr Philosophen und Theologen vorstellen, wie Raphael: so haltet euch zu weisen und frommen Männern wie er, und sitzt nicht als eingebildete Fratzen in euren Löchern bei Gipsköpfen.

 

91

Es bleibt ausgemacht, das Fürtrefflichste in der bildenden Kunst ist das schöne Nackende; mit dem Ausdruck geht's hernach wie bei der Musik: er ist die Blüte der Vollkommenheit, aber nicht eigentlich die Vollkommenheit selbst. –

Die Schönheit nackender Gestalt ist der Triumph der Kunst; viel fürs Auge und den ganzen körperlichen Menschen, wenig für den innern. Sie allein ergreift das Unsterbliche nicht, dazu gehört etwas, was selbst gleich unmittelbar von der Seele kommt und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft, Leben, Bewegung. Und diese haben unter allen Künsten allein Musik und Poesie; neigt euch, ihr andern Schwestern, vor diesen Musen.

 

92

Apollo. Es ist eine Erhabenheit im ganzen, besonders aber im Kopf, die den Menschen ganz niederblitzt. Viel Stärke in der Nase und der übergetretenen Stirn an den Augen. Göttliche Schönheit in allem von den leichten gehörig langen Haaren nachlässig zusammengewunden bis zu den schlanken behenden Schenkeln und Beinen. Stand und Blick und Lippen voll Verachtung zeugen von seiner Hoheit. So ließ sich sein Ausdruck denken, als er die Familie der Niobe erlegte. Die Fülle der Jugend, besonders an der Brust und dem Unterleibe, ist auf ein Haar abgewogen, wo sie die Schönheit berührt; gerad ihre Blüte. Die Augen sind selig, voll Seele, wie ölicht, leicht aufzutun und zu schließen, zwei halbe Zirkelbogen, die sich groß durchkreuzen von oben und unten. Das einzige, was ich daran auszusetzen habe, ist, daß er mir nicht genug griechische Physiognomie oder wohl gar keine hat, sondern viel mehr etwas Neronisches in seinem ganzen Wesen. Er ist schier etwas hager vor Stolz und sieht mehr ärgerlich als glücklich aus. Nach dem Homer ist er aber doch gewiß gebildet; sein kleiner kurzer Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besonderen Art von Wesen und gibt ihm in der Tat etwas Übermenschliches. Es bleibt gewiß ein erstaunliches Werk menschlicher Erfindung und Phantasie; das Problem ist aufgelöst! Da steht ein Gott, aus der Unsichtbarkeit hervorgeholt und in zartem Marmor festgehalten für die Melancholischen, die ihr Leben lang nach einem solchen Blick schmachteten. Es ist der höchste Verstand und die höchste Klugheit.

 

93

Der sogenannte Antinous hat die Gestalt von einem Menschen, der auf etwas sinnt, oder empfindend zur Erde blickt, als ob er sich besinne, zu welchem Mädchen er gehen wolle, und Lippen, Stirn und Wangen sehen recht kräftig und zartnervig und anhaltend im Genuß aus. Eine echte atheniensische jugendliche Schönheit voll geistigen Reizes und süßer lieblicher Hoheit.

Die Formen am Unterleibe sind noch nicht ganz heraus, und er muß noch ein wenig im Ringen zusammengeschlungen und im Klopffechten durchwamst werden. Übrigens ein göttlicher junger Bursch, so recht Kernstärke. Die Brust vom rechten Arm schwillt wirklich milchig, und ich kenne nichts verführerischers für ein Weib zur Umfassung. Mit einem Wort: er ist der schönste junge Mensch unter allen alten Statuen. Der Bauch allein ist ein wenig zu flach gehalten; vielleicht verhauen.

 

94

Der Torso. Ist das höchste von einem Ringerkörper; er ruht und sitzt auf seinem Löwenfell. Schönrer und vollfleischigerer Kernstärke, und alles in lebendigster Form abgewogen mit dem feinsten Wahrheitsgefühl, findet man nichts mehr übrig von alter Kunst. Er senkt die rechte Seite und hatte wahrscheinlich den linken Arm über den Kopf geschlagen. Das Brustbein ist so zart gehalten und mit sanfter Fettigkeit überzogen, daß man es kaum merkt. Brust und Schultern und Stärke vom Rücken herum sitzen über der schlanken Mitte ganz erdrückend und unüberwindlich. Die Schenkel sind lauter Mark. Alles ist an ihm Fluß und Bewegung; und doch ist's der allersanfteste Kontur. Man sieht alle Teile und ihre Kraft und Stärke, und doch tritt kein Knochen scharf hervor. Es ist recht das höchste Vermögen in höchster Bescheidenheit und Schönheit.

 

95

Der Kopf der Sappho. Ihr Haar ist niedlich in ein Netz gebunden, fast wie die neuern Welschen, außer daß es die Haare fester zusammenhält. Ihre Gestalt zeigt eine der tiefsten Seelen voll Leiden. Ihre Augen haben den Zug einer stillen wehmütigen Träne und damit himmlisch vermischt das Süße eines Venusblickes. Diesem allen entspricht ihr Mund, dessen Lippen voll banger Seufzer zittern; die Wangen ziehen sich ein wenig an den Augenknochen ein, wie nach schlaflosen Nächten; alles zusammen bildet ein herzergreifend erhaben Ganzes voll individueller Natur ohne weiter Ideal.

 

96

Die Gruppe der Niobe ist augenscheinlich von mehrern und zu verschiedenen Zeiten gemacht. Die besten Figuren sind die Mutter mit der Kleinen, die sich an sie in ihren Schoß flüchtet; eine reizende Gruppe. Die Mutter hat ein königliches erhabnes Gesicht voll natürlicher Gestalt in Wohlleben und kühlen Zimmern bei heißem glücklichen Klima aufgeblüht, weichlich geschwellt, ohne Überladung alles groß und gebieterisch, junonisch. Der Kothurn zeigt das hohe Tragische der Vorstellung.

Ihr gleich, wo nicht noch schöner, gewiß reizender, ist die Tochter neben ihr, die in Schrecken verloren aufwärts schaut; ein Bild voll süßer Jungfräulichkeit; das Gesicht hat ganz die Form des der Mutter, augenscheinlich von einem Meister.

Unter den männlichen Figuren sind der Tote und einer, der wie drohend schräg aufblickend dasteht, die schönsten.

Das Subjekt ist fürtrefflich wegen der verschiednen Stellungen, die der Körper dadurch erhält, und des Erstaunens und Schreckens, das den Gesichtern die Schönheit läßt.

 

97

Ich weiß nicht, ob die Gruppe Laokoons wirklich so schön ist, als man sie macht; mir kömmt sie immer, je mehr und mehr ich sie betrachte, gekünstelt vor, und wie eine Tanzmeisterstellung, als ob die Schlangen abgerichtet wären, die eine oben herein durch die Arme, und die andre zwischen den Beinen hinaufzufahren und den Vater mit den zwei Söhnchen zu einem marmornen Sonnenfächer gleichsam zu flechten; und damit er einen Stiel hat, so muß der Papa auf den Altar sitzen. Im Gesichte kann ich die Erhabenheit auch noch nicht so überschwenglich finden; und in den Gesichtern der zwei Buben ist ohnedies Grimasse und keine wahre Natur.

 

98

Mediceische Venus. Erscheinung eines überirdischen Wesens, von dem man nicht begreift, wo es herkommt, denn es hat keine Leiden hienieden ausgestanden. Alles ist zur Vollkommenheit ungestört an ihm geworden. Selbst der schönste und edelste Jüngling unter den Sterblichen muß sich vor ihm niederwerfen: und das höchste, was er verlangen kann, ist ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben.

Schönheit, zur Reife gediehen und gedeihend, noch ungenossen. Das sich regendste Leben wölbt sich sanft in unendlichen Formen hervor und macht eine entzückende Ganze. Adel, für sich bestehend, blickt aus den süßen lustseligen Augen, ein sonnenheißer Blick von Liebesfülle; flammt die Stirn herab, schwebt auf dem Munde, der wie eine frische Knospe aufgeht.

Wie der lebendige Geist aus jeder Muskel und jedem Glied hervortritt und schwillt, und doch sanft, gibt ihr die höchste Jugendfülle ohne überlästige Fleischheit; und das ist das echt griechische.

Die Mitte des Oberleibs ist kräftig und gar nicht dünn; die Schultern sind völlig so breit wie die Hüften und gehen noch darüber hinaus, sanft vom Halse herab gesenkt. Der Unterleib hat zwei zarte Einwölbungen, bis wo die Höhen der Freuden sich heben. Die Schenkel steigen wie Säulen hernieder und verbergen den Eingang der Lust mit einem gelinden Druck.

Die Waden sind straff und voll bis an die Kniekehlen, ohne auszuschweifen. Sie erscheint von der Seite her schmal und von dem Rücken breit; alles Fleisch lebt, und nichts ist leer und müßig.

Aus dem Ganzen spricht jungfräulicher Ernst und Stolz, nichts Lockendes; es ist Inbegriff höchster weiblicher Liebesstärke. Sie blickt auf wie eine Jugendgöttin, von den Edelsten angebetet. Und sieht, was es gibt, aus dem Bade, wo sie in den Zweigen etwas von fern rauschen oder sich regen hörte. Die Stellung ist allernatürlichst.

 

99

Venus Tizians. Eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit schmachtendem Blick, aufs weiße widerstrebende Sommerbett, im frischen Morgenlichte, fasernackend vor innrer Glut von aller Decke und Hülle, bereit und kampflüstern hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen; die, anstatt die Hand vorzuhalten, schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt, und mit den Fingerspitzen die regsamsten gefühligsten Nerven des höchsten Lebens berührt.

Bezaubernde Beischläferin und nicht Griechen-Venus; Wollust und nicht Liebe; Körper bloß für augenblicklichen Genuß.

Ihre Formen machen einen starken Kontrast mit der Griechischen. Wie das Leben sich an dieser in allen Muskeln regt und sanft hervorquillt und hervortritt: und bei der Venezianerin der ganze Leib nur eine ausgedehnte Masse macht! Aber es ist schier unmöglich, ein schmeichelnder und sich ergebender und süß verlangender Gesicht zu sehen.

Sie neigt den Kopf auf die rechte Seite, sonst liegt sie ganz auf dem Rücken. Das linke Bein in schöner Form ist reizend gestreckt, und das erhobne rechte Knie läßt unten die süße Fülle der Schenkel sehen. Der Kopf hat die Gestalt nach der Natur; ist aber, hingelassen nachdenkend mit dem zerflossenen Körper, matt und wenig gebildet gegen die Griechin.

Die Blumen in der Rechten geben Hand und Arm durch den Widerschein bezaubernde Farbe und drücken den Leib zurück. Ihr Haar ist kastanienbräunlich und lieblich verstreut über die rechte Schulter mit einem Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Scham und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind äußerst wollüstig, sowie die jungen Brüste. Die großen grünlichtbraunen Augen mit den breiten Augenbrauen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sommerlicher Lage; und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht's ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Besorgnis vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht.

Tizian wollte keine Venus malen, sondern nur eine Buhlerin; was konnte er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichem Blut durchflössen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgendein andrer geleistet.

 

100

Tempelgang Mariä von Tizian. Das größte und fürtrefflichste Gemälde, was Tizian vielleicht je gemacht hat, ist in der Scuola della Carità. Pracht und süßer Zauber für Augen und Seele. Die Geschichte ist, wie die kleine Maria, die Muttergottes, als Kind zum Tempel geht. Der Tempel ist von einer feierlichen majestätischen Architektur. Sie ist oben auf den Stufen und steigt die letzte Treppe hinan, von Glanz umgeben, und ein paar treffliche Priester kommen ihr entgegen. Vor den Stufen unten sind ein halbdutzend Weiber, worunter die heilige Anna im roten Gewände, mit ausgestreckter Rechten nach ihr zeigend, und neben ihr ein Frauenzimmer in herrlichem Wuchs und reizender Stellung in georgianischer Tracht, welche die glücklichste Wirkung mit ihrem weißen Gewande hervorbringt. Auf den Stufen selbst stützt sich ein Kerl auf, dessen Kopf wie wirklich lebendig hervorgeht, und vor der Treppe kniet ein Weib, das neben sich einen Korb voll Eier stehen und auf der andern Seite ein paar Hühner liegen hat; und einen unvergleichlichen Contraposten macht, und die zu einfache Masse der Treppe schön vermannigfaltigt, gleichfalls wie wirklich. Nach einem halbdutzend Weibern kömmt ein Zug Männer, die meisten Porträte, worunter der vorletzte Tizian selbst ist, welcher einem Weib mit einem Kinde ein Almosen in die Hand drückt, ein Kopf von herkulischer Kraft und Tiefsinn und Klugheit. Hinter den Männern steigen zwei Felsen ungeheuer auf, und Land und fernes Gebirg, und von Landschaft hab ich nie etwas gleiches Fürtreffliches bei einem andern Meister gesehen; es erhebt die Seele und führt sie weg auf die höchsten Gipfel der Alpen in die ewige Heiterkeit. Der Tempel oben ist voll Zuschauer. Mit einem Wort, es ist das vollkommenste Meisterstück der Malerei zu Venedig, was Farbenzauberei und Lieblichkeit der Vorstellung betrifft. Die Ermordung des Peter Marterer steht nur durch den tragischen Ausdruck und Hoheit der Geschichte darüber. Diese zwei Stücke setzen den Tizian unter die ersten Meister, die je gelebt haben.

 

101

Landschaften von Tizian. Sie erheben die Seele mit ihrer Lebhaftigkeit, und alles strebt himmelan. Sein heiliger Hieronymus mit dem Löwen, welch ein prächtig Bild! Der Felsen wie herrlich, die Löwen wie natürlich! Die lebendige einsiedlerische Natur rechts wie schön.

 

102

S. Giorgio Maggiore. – Im Speisesaal ist das berühmte Hochzeitsmahl von Paul Veronese; ein Stück von viel Laune, und die Geschichte ist darin erzählt wie eine spanische romantische Novelle. Christus mit seinen Aposteln als das Unbekannte sitzt am Tische im Mittelgrunde, und unbedeutend, bloß deswegen, weil er dasein muß. Die Hauptfiguren sind ein Tisch mit Spielleuten, die auf lieblichen Instrumenten Musik machen. Paul spielt eine Viola d'Amour, Tizian den Baß, Bassano, Tintoretto andre Instrumente. Sie sind meisterhaft gemalt, haben treffliche Gestalten und passenden Ausdruck und schön drapiert. Am Tische der Braut ist eine Sammlung der ersten Menschen seiner Zeit; alles voll Chronikwahrheit und Laune; sie müssen ihm das Drama aufführen. Die Luft im Hintergrunde ist gar leicht und heiter und schier Claudisch, so meisterhaft ist sie gemalt und so wohl hat sie sich erhalten. Architektur und Gefäße und Speisen verzieren sehr gut. Die Beleuchtung ist etwas verwirrt, breitet aber doch das Stück auseinander und scheint sehr natürlich.

 

103

Raphael bei den Nonnen zu Monte Luce (Perugia). Himmelfahrt und Krönung der Maria. Die Jünger, zwölf Apostel, finden den Sarg voll Blumen, Nelken und Jasminen, während sie oben ihr Sohn mit Engeln empfängt und krönt. Madonna ist eine der frischesten weiblichen Gestalten, voll Matronenreiz und edlem Ernst und heißer wunderbarer Empfindungen der Seligkeit, noch im Taumel neuer Gefühle wie vom Erwachen. Sie faltet die Hände kreuzweis an die Brüste und blickt durchaus gerührt mit entzücktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Gesicht ist im Profil gehalten; man sieht ganz die rechte Seite und vom linken Aug nur den heißen Blick, große schwarze Augen, weit aufgeblickt mit vielem Weiß, und ein zarter schwarzer Bogen Augenbraue, und Kastanienhaar unter dem langen grünen Schleier. – Christus ist feurig im Gesicht wie ein sonnenverbrannter Kalabrier aus seinem starken Bart um die Kinnbacken; und sein ausgestreckter rechter Arm voll Kraft und Nerve, womit er ihr den Kranz aufsetzt. Der Engel mit Blumen in der Rechten an ihm hat einen Kopf voll himmlischer Schönheit, sonniglich entzückt; es scheint ihm überall Glanz aus seinem Gesicht hervorzubrechen. – Die Auffahrt geschieht ganz gemach auf einer dunkeln dicken Wolke mit lichtem Saum und hat nicht das leichte Schweben wie in andern Gemälden davon; aber eben dadurch gewinnt die Handlung Natur und Majestät. Raphael hatte eine sehr reine klare Empfindung, die ihn minder fehlen ließ als andrer scharfer Verstand. Je länger man den Christus betrachtet, desto mehr findet man etwas übernatürlich Göttliches, das sich nur gütig herabläßt; das Demütige der Madonna stimmt einen nach und nach dazu. Es ist etwas erstaunlich Mächtiges und Gebieterisches in seinem Wesen, das mehr im Ausdruck liegt als in der Physiognomie; wunderbare Strenge und Güte miteinander vereinbart. – Es gehört unter das Höchste, was die Malerei aufzuzeigen hat, diese Mutter und dieser Sohn, und die vier Engel um sie her; und ich kann mich nicht von der Herz und Sinn ergreifenden Wahrheit und Hoheit wegwenden. Die zwei Hauptfiguren sind ganz wunderbar groß gedacht, in der Tat pindarische Grazie und des Thebaners Schwung der Phantasie bis in die Draperien, die mächtige Falten werfen. – So kräftig hat er nichts anders gemalt; und nirgend anderswo sind seine Formen so vollkommen reif, stark in der Art Schönheit, die ihm eigen war.

Die Apostel unten sind schwach und matt dagegen, und nur wie verwelkend sterblich Fleisch, des Kontrasts wegen; aber durchaus vortreffliche Männergestalten, besonders Petrus und ein andrer im Vordergrunde, in Bewegung und Leben.

 

104

Cäcilia. Die Idee ist schön, rein getroffen und lebt ewig da; entzückende Empfindung von Engelsgesang wallt in seliger Stille aus allen Gesichtern, am heiligsten und innigsten und reinsten aber in der Cäcilia, die sich ihr so ganz hingibt. Paulus hat sie schon oft gehört und fühlt sein Glück vom neuen in tiefer Betrachtung. Die andern lauschen in Verwunderung ohne Grimasse. Nichts Gekünsteltes. Unten liegt die Laute, Flöte und Dreiangel und die welsche Handtrommel, Zimbeln. Die majestätische heilige kleine Orgel, die ihre Frömmigkeit erfand, hat sie allein noch in der Hand behalten. Oben tut sich der Himmel auf, und die Engel singen fleißig und erbaulich nach Noten. Alles so in Frühlingsblüte hervorgegangen.

Was Paulus mit seinem bloßen Schwert da will: mag das Costum entschuldigen. Der Johannes wirft ein wenig ein zu zärtlich empfindsam feurig Auge auf die Heilige. Paulus, der Bischof Augustin und sie sind drei herrliche Köpfe. Das Mädchen linker Hand schaut ganz natürlich auf die Zuschauer mit ihrem Ölfläschchen. Die Gewänder sind gut geworfen und ziemlich ungesucht. Das schönste daran bleibt die Idee und die herrliche Zeichnung; man weiß und sieht und muß fühlen, was das sagen will. Die Köpfe stehen freilich beinah in einer Reihe, aber warum sollen sie's nicht, da es ganz natürlich ist; wozu den albernen ewig einerlei Malerwohlstand mit aller seiner eingebildeten Mannigfaltigkeit?

Das Kolorit ist nun nicht besonders; alle Köpfe haben fast einerlei Farbe, die Cäcilia sieht fast so braun aus als Paulus, doch sind es Menschen aus der Natur, der Charakter macht sie allein so verschieden, daß man nicht darauf achtet. Cäcilia hat ein weißbräunlich griechisch Gewand. Das andre Frauenzimmer zur linken ein blau weißlicht, und Paulus ein grünes, mit einer roten Art von Mantel. Vom Johannes guckt nur der Kopf mit dem Hals hervor, und der Bischof ist in seinem Ornat.

Der Charakter der Cäcilia ist ganz göttlich; die festeste Entschlossenheit, auf dem Weg zum Himmel zu bleiben, blickt durch und durch in den sprechendsten wie von Kindheit an gewachsnen Zügen. Das Entzücken hebt ihr die Brust auf, und drängt den Kopf nach dem Nacken und auf die linke Seite; sie läßt beide Hände mit der Orgel auf die linke Hüfte sinken; und die großen braunen Augen mit vollem hervorgehendem Weißen blicken seelenwarm auf gen Himmel.

Ach, wie alles bei dem Menschen so wahr ist, was da sein soll! Man vergißt dabei ganz den Mangel der Malerzieraten der andern, womit sie allein prangen. – So ein Mädchen läßt sich nicht verführen, ob sie gleich Engelsgesang durch und durch dringt. So etwas kann nur angebornes Wesen vereinigen; wer dies nicht glaubt, der versuch es einmal mit bloßer Kunst.

 

105

Die Herrgötter von Michel Angelo könnt Ihr freilich nicht in der Welt gesehen haben: aber gibt's in der neuern Kunst erhabnere Gestalten? und entsprechen sie nicht doch alle dem, was der gemeine Mann bei uns sich als Zauberer vorstellt? – Das Erhabne schlägt ein wie ein Wetterstrahl, und berührt am ersten die großen Seelen. Die Propheten und Sibyllen sind lauter mächtige Charakter in Feuer, Eifer und Begeisterung. Und im Jüngsten Gericht verdammt Christus streng, droht die Sünder majestätisch mit aufgehobner Rechten fort; indes die zärtliche Mutter mit angelegten Armen und Händen an die Brust die Seligen heraufwinkt; und es ist ein Spiel der Phantasie, wo der menschliche Körper in allen möglichen Stellungen wunderbar sicher ausgezeichnet ist.

 

106

Der größte Meister der neuern Zeit ist Michel Angelo an Richtigkeit im Nackenden und Erhabenheit seiner Denkungsart. Doch hat er kein Gefühl für schöne Form gehabt, und ein elendes Auge für Farbe, und war gar zu arm an Gestalt. Er hatte wenig Gemeinschaft mit andern Menschen und wußte also auch wenig, was sie freut.

Raphael war lauter Herz und Empfindung und eine Quelle von Leben und Schönheit, wie's wenige Sterbliche waren. Edel, und liebenswürdig und bereit, von seiner Fülle mitzuteilen für jedermann, hat er die Gunst und Liebe und Bewunderung von dem Kern der Menschheit erhalten. Alles Nackende, was zu unsern Zeiten am Menschen sichtbar ist, hat er in seiner Gewalt. An Gestalt ist keiner reicher als er, und darin fühlt er einige Gattungen von Seelenschönheit aufs lebendigste. Die Farbe war ihm zu sehr Oberfläche; im Nackenden hat er zuweilen ihren Reiz gefühlt und übergetragen. Sein Fehler ist seine Gefälligkeit überall, auch wo sie nicht sein soll. Es scheint, als ob er nie ein widerwärtig Gesicht recht habe ansehen können; in seinen Köpfen vom Attila und Heliodor ist Grazie und Gefälligkeit. Die Charaktere, die für sich bestehen, einen Apollo, einen Herkules und diesen ähnliche hat er nie erreicht. Sein Nackendes an den Teilen, die man nicht sieht, ist wie aller andern Neuern meist Abschrift eines Modells, doch freut einen darin seine feste Hand. Die vollkommensten unsrer Antiken kennt er nicht; und sein Fürtrefflichstes ist wahrlich nicht das Wenige, worin er sie nachgeahmt hat. Sein Nackendes, wenn er sich auch noch so sehr geplagt hat, freut einen nicht; es ist nicht wieder andre Natur geworden. Bis auf Arme und Beine und Hände und Füße, die er in Gewalt gehabt hat. Seine Eva über der Theologie hat etwas recht verführerisch Wollüstiges im Gesicht, besonders ist der Blick ganz bezaubernd; doch scheint sie mir etwas zu schlank. Sonst ist sie durchaus schön und reizend, und diese Figur hat ihm gewiß nicht wenig bei seiner Geliebten gekostet.

Man muß gewiß erstaunen über die große Anzahl seiner Werke bei so kurzem Leben und seinem Hange zur Wollust; besonders wenn man das meiste so gefühlt und ausempfunden sieht. Bei bloßer Manier und Fabrik läßt sich große Anzahl leicht begreifen, wo arme Sünder denselben Puppenkram, den kein Vernünftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen versetzen: aber alles Vollkommne, aus der Natur hergeholt, will reine volle Seele und kostet Anstrengung.

Raphael hat sich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Künstlersöhnchen voll frischer Kraft selbst zum Maler in der Einsamkeit und beim Leben in der Welt gebildet und früh sich angewöhnt, Gestalten und Bewegungen derselben sich in der Phantasie zu sammeln und vorzustellen; und diese Übung und Gewohnheit ist nach und nach bei ihm zur stärksten Fertigkeit geworden. Seine Hand hat er gleichfalls geübt, wie Auge und Phantasie, und dabei seines Geistes Sphäre erweitert; und so ist der göttliche Jüngling zum Vorschein gekommen. Die Hauptsache, worin er alle übertrifft, bleibt eben die vollkommne Fertigkeit, sich Gestalten vorzustellen, die Grund in der Natur haben, mit Zweck und Absicht. Daher die wunderbare Menge seiner Gemälde. Das höchste in der Malerei, Gestalt, wobei sich andre, zuweilen die scharfsinnigsten Köpfe, vergebens abmartern, war sein leichtestes, ging von ihm aus wie Quelle. Aber doch sieht man bei seinen Kompositionen deutlich allemal die Figuren, wo er sich angestrengt und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er besaß einen gar guten Volksverstand und dachte und empfand bei jeder Geschichte gleich das natürlichste; und seine Gestaltenphantasie, und sein kernhafter Stil, wo alles bestimmt ist, macht das Ganze gleich lebendig.

Nach diesem allen sehe ich mich doch genötigt, ein Gegenlied von dem Lobe anzustimmen, was ich dem Papst Julius gab. Es war ein Glück für Raphaelen, daß dieser seiner Kunst Arbeit verschaffte, und vielleicht auch keins und das Gegenteil; denn dadurch ist er fast zum bloßen Kirchenmaler geworden. Das einzige große Werk außer seinen theologischen Gemälden und Porträten ist die Geschichte der Psyche in der Farnesina; und diese gehört, einzelne vortreffliche Figuren ausgenommen, nicht unter sein Bestes. Die Götter und Göttinnen darin machen einen großen Abstand gegen die Antiken. Jedoch muß man zu seiner Entschuldigung sagen, daß er das vom Apulejus so kostbar erzählte Märchen schier lucianisch behandelte; das Ganze ist ein Malerscherz und stellt ein kokettes Weib vor, welches keine reizende Schwiegertochter haben will, und sie endlich haben muß.

Er und seine Schüler scheinen überdies sich auf Kosten des reichen Kaufmanns Chigi von Siena, der aus verschwenderischer Pracht bei einer Mahlzeit für Kardinäle und Prälaten die silbernen Gefäße, so wie sie abgetragen wurden, in den vorbeifließenden Tiberstrom werfen ließ, sich mehr nur einen Zeitvertreib gemacht zu haben, als daß ihnen, von der vatikanischen Strenge her, die Arbeit Ernst gewesen wäre; und der welsche Amsterdamer mußte ihm dabei noch ein Zimmer für seine Geliebte einräumen, damit er sie allemal gleich bei der Hand hätte, sooft ihm die Lust unter den wollüstigen Zeichnungen der nackenden weiblichen Gestalten zu ihr ankäme.

Die Allegorie mit den Liebesgöttern ist das sinnreichste; Venus und Psyche übrigens einigemal bezaubernd; Zeus und Amor beisammen griechisch empfunden; Merkur und die Grazie vom Rücken Meisterwerk. Und Johann von Udine hat bei seinen Blumen einen himmlischen Frühling genossen.

In seiner Galate neben diesem Saal ist die Zärtlichkeit und Empfindung der ersten Liebe ausgedrückt; sie hat viel Unschuld im Blick, aber noch etwas unreifes in der Gestalt, und ihr Gesicht ist noch nicht so klar und rein, wie zum Exempel die Köpfe in der Verklärung. Die drei fliegenden Bübchen schweben reizend in schönen Umrissen.

In den Stanzen sind zwar einige Gemälde, die nicht zur Kirchengeschichte gehören: allein er mußte die Personen darin doch dem Orte nach so fromm behandeln, daß sogar Vasari seinen Plato und Aristoteles in der Schule von Athen für die Apostel Petrus und Paulus ansah, und ein andrer Unwissender dieselben mit dem Heiligenschein in Kupfer stach. Sein Parnaß würde vermutlich in einem Saale von Ariosts Gartenhause ein ander und besser Werk geworden sein.

Und wie sind die Zimmer alle an und für sich schon schlecht beleuchtet und angeordnet, mit Malerei überladen! Man sollte fast denken, der Halbgott habe den größten Teil seines Lebens mit seinen Schülern hier gefangen gesessen und einem theologischen Tyrannen zu Gefallen alle Wände voll gepinselt, um ihn zur Erlösung zu bewegen.

Raphael hat durch den Druck äußerst wenig und vielleicht nichts gemacht, wo sein ganzes Wesen mit allen seinen Gefühlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel gekommen wäre, wo die Sonne seines himmlischen Genius ganz auf einen Brennpunkt gezündet hätte.

Es ist zwar wahr, aus der freiesten und schlüpfrigsten Szene der Welt kann der Künstler eine Gestalt in das frömmste Gemälde übertragen; allein es geschieht doch allemal mit Zwang, der, anstatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geschichte oder Fabel die Phantasie erhöbe und begeisterte, die eigentlich lebendigen Züge verwirrt und verunstaltet, so daß sie ihre beste Kraft verlieren.

Es bleibt ausgemacht: Das Element der großen Geister ist die Freiheit; und wer sie unterstützen will, muß diese ihnen erst gewähren. Aller Zwang hemmt und drückt die Natur, und sie kann ihre Schönheit nicht in vollem Reize zeigen. Deswegen die Athenienser unter ihrer Demokratie und Anarchie der höchste Gipfel der Menschheit.

 

107

Giulio Romano. Giulio war ein junger Römer, voll Kraft und Pracht und Herrlichkeit, der zu viel Feuer und Leben und Ungeduld hatte, um ein vollkommner Maler zu sein. Aus dem Lobe, das er ein paar Stücken von Correggio erteilte, erkennt man, daß er wohl wußte, was ihm fehlte; aber er wollte seiner Natur keine Tortur antun und frei und glücklich leben, und hatte völlig recht. In Rom folgte er bloß dem Raphael mit der anhänglichsten Gelehrigkeit, und man sieht aus allem, daß er ihn auf das zärtlichste liebte und verehrte. Er war nicht älter als einundzwanzig Jahre, als dieser starb; Raphael nahm ihn also als einen zarten Buben, wie von der Straße, zu sich. – In Rom sieht man weiter nichts von ihm als Schülerarbeit, wobei er sich rechtschaffen mag gequält haben: die Schlacht Konstantins war allein noch nach seiner Neigung; und dies ist auch am besten geworden. Man betrachte sie als die Arbeit eines jungen Menschen von einundzwanzig und zweiundzwanzig Jahren, und man wird ihn gewiß hochschätzen und liebgewinnen. Die Geißelung Christi zu S. Prassede war ein Vorwurf, dem er nicht gewachsen war; was konnte er anders tun, als einen Tropf hinstellen, der sich ausprügeln läßt, und eine Menge Zuschauer unter und auf Hallen von prächtiger Architektur. – Wie er nach Mantua kam, überließ er sich ganz seinem Naturell; und hier erst lernt man ihn kennen. Dies geschah im November 1524. Der Marchese Friedrich Gonzaga, ein prächtiger wollüstiger Fürst, war auch gemacht, sein Patron zu sein. Das erste war gleich der Palast del Te.

Von den Malereien in den Zimmern kann man mit Recht sagen, daß Giulio sein Mütchen gekühlt und seinen Genius hat austoben lassen. Es ist eine wahre Lust, die Werke dieses jungen kräftigen wollüstigen glücklichen Römers in Überfluß und Liebe und Freude hier zu betrachten. Alles sprudelt von Leben und Feuer. Mit seinen Farben die Sachen langsam und geduldig bis zur Natur treiben, war ihm zu dieser Zeit gewiß Marter und Höllenpein gewesen; auch hat er dies kaum hier und da nur versucht. Verschiedne von diesen Vorstellungen sind platterdings bloß erster Einfall, und gänzlich unverdaut; wohin zum Exempel sein so berühmter Gigantensturz gehört. – Im Zimmer der Psyche aber hat er alle seine Kraft angewendet. Die ganze Geschichte ist am Gewölb Stück für Stück nach dem Apulejus vorgestellt, worunter ganz fürtreffliche Bilder. – Für alle diese Sachen war Giulio voll Natur und Leben; hätte er nur mehr Geduld und Praktik in der Farbe gehabt, und sich mehr auf Wahrheit und Verschiedenheit der Gestalt gelegt: so wäre er gewiß einer der ersten Meister geworden. So aber hat er die Malerei nur flüchtig getrieben und sich meistens mit Bausachen abgegeben.

Das größte Meisterstück von Giulio, was er in seinem Leben gemacht hat, ist ohnstreitig la sala di Troja nel Castello ducale. Hier war er recht in seinem Element und folgte dem Homer in seiner Begeisterung. Unter diesen Bildern sind viel klassische Figuren voll Schönheit in der Form der Teile und den Konturen; die Gruppen sind meistens mit wunderbarer Erfindungskraft ausgedacht. In den mehrsten ist die Zeichnung recht ausgefühlt und auf das Meisterhafteste vollendet. Weder Algarotti noch Mengs müssen diesen Saal zu sehen sich die Mühe gegeben haben; denn sonst hätten sie gewiß kein so schiefes Urteil über ihn gefällt. Er gehört unter das Fürtrefflichste, was die neuere Kunst aufzuzeigen hat. Es ist gewiß die genievollste Nachahmung der Alten.

 

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Das Wichtigste, was man in Mailand von Kunstsachen jetzt zu sehen hat, ist ohnstreitig das Nachtmahl von Leonardo. Wie es frisch war, muß es gewiß erstaunliche Wirkung gemacht haben. Die Gestalten alle sind verschieden, und jeder Apostel hat nach seinem Charakter gehörigen Ausdruck; es sind sehr herrliche Köpfe darunter; besonders aber macht der Judas einen frappanten Kontrast mit allen andern. Der zur Linken Christi, der die Hände ausbreitet, ist fürtrefflich. Christus selbst tut wenig Wirkung, doch stört er nicht. Das Gemälde ist sehr verdorben worden durch Ausbessern. Die Köpfe linker Hand sind ganz matt. Der beste Kopf bleibt immer Judas; Johannes sinkt in Ohnmacht. In Öl gemalt, über Lebensgröße die Figuren.

In der Kirche delle Grazie selbst ist ein hohes Meisterstück von Tizian. Die Gruppe an und für sich selbst macht eine feurige heroische Farbenmusik. Christus wird mit der Dornenkrone gekrönt und geschlagen. Seine Figur ist das kräftigste und lebendigste von Kolorit, und die starken Schatten sind ganz anders angebracht noch und machen weit natürlichere Wirkung als in der Petronilla vom Guercino, und beim Michel Angelo da Caravaccio. Die Beine und Arme Christi sind ein wahrhaftiges Meisterstück.

 

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Zu Maria Vittoria einen Mantegna gesehen, der unter die seltensten und fürtrefflichsten Gemälde von Italien gehört. Die Madonna sitzt mit dem kleinen Jesus im Schoß stehend auf einem Thron, der reizend mit einer Laube von Früchten umflochten ist; wodurch in der Höhe eine Schnur Korallen und ein ganzer Ast in der Mitte von diesem Seegewächs hängt, gerad über ihrem Haupte. Es ist zum Erstaunen, wie wahr und frisch das Grün und die Früchte von allerlei Art gemalt sind, und wie vollkommen sich alles erhalten hat. Hinter der Madonna stehen auf beiden Seiten zwei alte Krieger; einer mit einer Lanze in der Hand, der andre mit einem Kreuz, wie ein Feldzeichen. Neben diesen vorwärts stehen zwei junge, geharnischte Männer mit bloßen Schwertern in der Hand, welche den blauen Mantel der Madonna halten und ausbreiten. Zur Linken kniet die heilige Elisabeth und neben ihr zur Rechten steht der kleine Johannes; und unten am Thron kniet ein Held aus dem Hause Gonzaga, geharnischt und mit zusammengelegten Händen anbetend. – Die Köpfe haben treffliche Gestalt und sind voll Wahrheit; die meisten gewiß Porträte. Die Madonna hat viel Hoheit und Heiterkeit und frohe Güte, in der Tat Reiz. Die zwei alten, bärtigen Krieger machen einen herrlichen Kontrast mit den zwei vordem Jungen; die junge Madonna mit der alten Elisabeth. Und nichtsdestoweniger nimmt sich der siegende Held, obgleich kniend und anbetend, fürtrefflich als Hauptfigur aus. Die grüne Laube voll Früchte wirft eine äußerst ergötzende Lieblichkeit über das Ganze, und die blaue Luft mit weißflammichten Streifwölkchen spielt freudig dazwischen. – Dieses Bild hat mir recht innige Freude gemacht; es ist so viel Naivität und süßes Religionsgefühl und zugleich kriegerisches Wesen der damaligen Zeit darin. Ein echtes Kernstück, das das Gepräge der damaligen Sitten und Denkungsart recht an sich trägt.

 

110

Der Bellino zu S. Zaccaria ist ein sehr interessantes Stück für die Geschichte. Die Venezianische Schule hat einen sehr braven Vorsteher gehabt. In den Figuren ist eine ähnliche Art Stil wie bei Peter von Perugia, nur noch mehr Wahrheit und etwas Größeres. «Welch ein Kopf ist hier der Alte linker Hand! er würde Tizianen selbst Ehre machen, so kräftig ist er gemalt und so warm und feurig.

 

111

Es haben wohl wenige die Theorie ihrer Kunst so innegehabt unter allen Malern und Bildhauern als Albrecht Dürer. Welch ein erstaunliches Studium findet man nur in seinem Werk von der Proportion! Er wußte aufs klarste, worin das Wesentliche der Schönheit besteht, aber er hatte nie die erhabnen Menschen, einen Alkibiades, Perikles, Plato, Pindar, und keine Aspasia, Lais und Phryne gesehen. Das Hohe in aller Kunst hängt gar zu viel von Glück und Zufall ab; wir können das Lebendige nicht anders nachbilden, als bis wir es entweder selbst gelebt oder mit unsern Sinnen in ergreifender Wirklichkeit empfunden haben.

 

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Jedes Gemälde ist im Grund weiter nichts als ein Titel von einem Buch, das der Anschauende selber machen muß; und dies wird gut oder schlecht, nach dem der Herr ist. Der Maler kann höchstens nur die Hauptkapitel dazu andeuten; und der Kenner nur sehen, ob er Verstand und Auge für Schönheit der Gestalt und Farbenmusik hatte.

 

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Man muß sich bei den bildenden Künsten beizeiten angewöhnen, platterdings nicht mehr zu sehen als da ist; und dies hält schwerer als mancher glaubt; ohne dies wird einer nie darin ein guter Richter. Daher sehen unsre jungen Phantasten und alte Phantasten in einer Vignette Wunderdinge, wo oft kaum ein Zügelchen von dem steckt, was sie vorstellen soll; daher fiel Winckelmann bei jedem mittelmäßigen Apollo ein alles, was er von diesem Gotte bei Homern und Pindarn, Junius gelesen hatte, und er goß es dithyrambisch aus, und allen Narren kam dabei eine Gänsehaut über den Leib. Die Malerei und Bildhauerei soll so viel wie möglich die Sache selbst und nicht bloß Zeichen sein.

 

114

Wenn ich Landschaftsmaler wäre, malte ich ein ganzes Jahr weiter nichts als Lüfte und besonders Sonnenuntergänge. Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel und Wolkenformen und heiterm Blau! Es ist die wahre Poesie der Natur. Gebirge, Schlösser, Lusthaine, immer neue Feuerwerke von Lichtstrahlen, Giganten, Krieg und Streit, flammende Schweife wechseln immer mit neuen Reizen ab, wenn das Gestirn des Tages in Brand und Gluten untersinkt.

 

115

Morgen von Claude. Der Wellenschlag strahlt und glänzt grünlich und ist unmittelbar nach der Natur mit Farben aufgetragen. Das Dunkel linker Hand, mit der kleinen Erdzunge in die See hinein, dem Türmchen und Bäumchen tut trefflich wohl, samt den Schlagschatten übers Wasser, und erhebt den fernen Glanz. Der hohe Baum rechter Hand im Vordergrunde ist von entzückender Schönheit, samt den lichten Reflexen von dem Gebäude an dem Wasser. Die Luft mit dem Glanz und Duft vom Aufgang, die weichenden Wolken und das Dunkelblau herüber göttlich. Herrliche Luftperspektiv am Himmel und auf der Erde.

Zwei kleine Claudes; überall schöne Lagen und Gefühl der Liebe.

Die Flucht nach Ägypten ist ein solcher Glanz von Schönheit einer Gegend mit waldigem Gebirg, Brücke und Wasser, daß man es kaum ansehen kann.

 

116

Claude Lorrain ist der größte unter allen wegen der Luftperspektive und der Wahrheit der Lokalfarben und Beleuchtung. Jede seiner guten Landschaften ist ein schönes Himmelszelt mit einem paradiesischen Boden. So geht es auseinander nach und nach, gerad wie in der Natur, vorn hoch und hinten niedrig der Raum zwischen Himmel und Erde; eine weite Strecke auf wenig breitem Raume, eine daliegende Fläche mit Hügeln und Tälern und Wald und fernem Gebirg, mit Flüssen und Seen, und Brücken und hohen Bäumen und Gebäuden und Tempeln, auf einem Stückchen hoher Leinwand, breit wie eine Ebne hingemalt für den getäuschten Blick, hingefühlt ohne Auslassung, ohne Lücke und Mangel, wie die Griechen taten. Welch ein Meisterstück seine Landschaft bei Altieri, bei Doria, bei Colonna!

 

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Von der Natur, die ich bis jetzt genossen habe, gibt mir alle Kunst nur wenig wieder. Sie ist ein Gaukelspiel für die Unglücklichen, die von ihrer Geburt an gleich zu hart in den Banden der Gesellschaft liegen und hernach aus Gewohnheit ihre Kraft und Fähigkeit ihr Leben lang verträumen. Ich begreife selbst kaum, wie ich so lange so ernsthaft mich damit habe beschäftigen können; aber Lob und Schönheit bringt den Mann außer sich, geschweige den Jüngling.

 

118

Alle bloß bildende Kunst macht auch den geistreichsten Besitzer über kurz oder lang zum Tantalus. Das schönste Bild, sei's auch eine Venus von Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt sich nicht und verwandelt sich nach und nach wieder in den toten Stein, oder Öl und Farbe, woraus es gemacht war; und für den lebendigsten Menschen am geschwindesten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen länger gedauert hätten, sie endlich alle Statuen würden ins Meer geworfen haben, um des unerträglich Toten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und so finden wir auch zu Rom, daß die aufgeheitertsten Kaiser, Antonin und Mark Aurel, des steinernen Volkes wirklich schon satt waren. Und so ist alles steinerne und gemalte Volk bei den neuern Römern bloßer Prunk, und man sieht es den Besten an, daß sie dessen von Herzen satt sind. Die Natur übt ihr Recht aus und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Träumerei ist.

 

119

Unser Leben ist kurz: wer uns ein Ganzes täuschend am geschwindesten in die Seele bringt, erhält den Vorzug.

Ein Dichter muß dem Maler immer in Schilderung körperlicher Gegenstände unterliegen; und gerade so geht's dem Maler im Gegenteil mit Handlungen. Nichtsdestoweniger ragt doch die Poesie mit ihren willkürlichen Zeichen über alle ihre Schwestern hervor. Kein Maler kann die Größe der Alpen, das unendliche Meer, den unendlichen Himmel schildern auf seinem Läppchen Leinwand; und kein Tonkünstler Kanonenschall, Donner und Orkan, ob er gleich das seelenergreifendste Mittel unter allen hat, da das lebendigste, woraus wir bestehen, selbst Luft und Feuer ist.

Die Musik überhaupt geht ganz aus der sichtbaren Welt hinaus und wirkt mit bloßen verschiednen Arten von Bewegung, die von der Materie nur den Punkt zu ihrem Aufflug nehmen und durch ihre Proportionen Empfindungen erregen; und ich glaube schier nach dem Pythagoras, daß das eigentliche Element, worin die Geister existieren, reiner Klang und Ton ist.


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