Heinrich Heine
William Ratcliff
Heinrich Heine

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Margarethe:
In Edward Ratcliff, William Ratcliffs Vater –
Oh, deine Mutter war so hübsch, so hübsch!
Sie hieß Schön-Betty. Locken hatte sie
Wie pures Gold, und Händ wie Marmelstein,
Und Augen – O die kannte Edward Ratcliff!
Der sah den ganzen Tag hinein, und hat
Sich fast die eignen Augen ausgeguckt –
Und singen konnt sie wie die Nachtigall;
Und wenn sie an dem Herde saß und sang: Sie singt:
»Was ist von Blut dein Schwert so rot?
Edward? Edward?«
So blieb die Köchin still stehn, und der Braten
Verbrannte jedesmal – Ach Gott! ich wollte
Ich hätt ihr nie das böse Lied gelehrt. Sie weint.

Maria:
Oh, liebe Margreth, o erzähl mir das.

Margarethe:
Schön-Betty, deine Mutter, saß allein
Und sang:

Sie singt:

»Was ist von Blut dein Schwert so rot,
Edward? Edward?« –
Da sprang ins Zimmer plötzlich Edward Ratcliff,
Und sang im selben Tone trotzig weiter:

Sie singt:

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –
Mein Liebchen war so schön, oh!«
Da hat Schön-Betty sich so sehr entsetzt
Daß sie den armen, wilden Edward nimmer
Wollt wiedersehn; und um ihn noch zu ärgern
Heiratete sie deinen Vater. Edward Ratcliff,
Der wurde toll vor Wut, und um zu zeigen
Daß er Schön-Betty leicht entbehren könne,
Nahm er zur Frau, ganz aus Verzweiflungstrotz,
Lord Campbells Jenny, und der William Ratcliff,
Das ist der Sohn aus dieser tollen Ehe.

Maria:
Die arme Mutter!

Margarethe:
Ei, Schön-Betty war
Ein eigensinnig Ding. Ein ganzes Jahr lang
Hat sie den Namen Ratcliff nie genannt.
Doch wie zum zweiten Mal Oktober kam –
Ich glaub es war just Ratcliffs Namenstag –
Da frug sie, wie von ungefähr: »Margreth
Hast du von Edward nichts gehört?« Oh, sagt ich,
Der hat die Jenny Campbell sich zur Frau
Genommen. »Campbells Jenny?« rief Schön-Betty,
Und wurde blaß und rot, und bitterlich
Fing sie zu weinen an – dich hielt ich just
Im Schoß, Marie, drei Monat warst du alt –
Und du fingst auch zu weinen an – und ich,
Um nur Schön-Bettys Tränen fortzuschwatzen,
Erzählte ihr: der Edward könne doch nicht
Ablassen von Schön-Betty, Tag und Nacht
Säh man ihn schleichen hier ums Schloß, man sähe
Wie er die Arme nach Schön-Bettys Fenster
Sehnsüchtig ausstreckt – »Oh, das wußt ich längst!«
Rief jetzt Schön-Betty lachend; hastig flog sie
Ans Fenster, streckte aus die Arm nach Edward –
Oh, das war schlimm, MacGregor sah das just,
Dein eifersücht'ger Vater – Hält erschrocken ein.

Maria:
Nun, und da?
Erzähl doch weiter.

Margarethe:
Nun, und da ist's aus.

Maria:
Erzähl doch weiter.

Margarethe ängstlich:
Nun, am andern Morgen
Lag, bei der alten Schloßmaur, tot und blutig
Der Edward Ratcliff –

Maria:
Und die arme Mutter?

Margarethe:
Je nun, die starb, vor Schreck, drei Tage drauf.

Maria:
O das ist gräßlich!

Margarethe im kalten höhnischen Wahnsinntone:
Hättest du erst selbst
Gesehn mit deinen kleinen Augen, Püppchen,
Wie an der Schloßmaur Edward Ratcliff lag –
Hu, hu, das blut'ge Bild klebt mir im Kopf!
Und weil ich weiß wer ihn erschlagen hat,
Und weil ich das niemanden sagen darf,
Und weil ich toll bin – hu! kann ich nicht schlafen,
Und überall seh ich den Edward Ratcliff,
Den bleichen, blutigen, mit seinen starren,
Dolchspitzen Augen, mit dem Zeigefinger
Gespenstisch aufgehoben, langsam schreitend –

William Ratcliff bleich, verstört und blutig, tritt herein.
Die Vorigen.

Margarethe wild aufschreiend:
Jesus Marie, der tote Edward Ratcliff!

Sie kauert nieder in einer Ecke des Zimmers, und bleibt dort starr und regungslos sitzen.

Maria aufschreiend:
Entsetzlicher! Bringst du mir Douglas' Ring?

Ratcliff bitter lachend:
Das Karussel, das Ringestechen, ist
Jetzt aus. Zwei Ringe stach ich, doch der dritte
Wollt sich nicht stechen lassen, und ich stürzte
Hinunter von dem Holzpferd.

Maria plötzlich im vertraulich ängstlichen Tone:
William! William!
Du blutest ja. Komm her ich will die Wunde
Verbinden.

Sie zerreißt ihren weißen Hochzeitschleier.

Gott! Wo bin ich? Böser William –
Nein, du bist Edward, ich, ich bin Schön-Betty –
Dein armer Kopf ist blutig, und der mein'ge
Ist so verwirrt – Ich weiß nicht was ich tu –
Komm her; wenn du mich liebhast, kniee nieder,-

Sie will ihm die Kopfwunde verbinden.

Ratcliff stürzt zu ihren Füßen. Schmerzhaft zärtlich:
Neckt mich ein Traum? Ich liege vor Marien?
Liege zu ihren Füßen? Kleine Füße,
Seid ihr nicht Nebel, die der Wahnsinn bildet,
Und die zerrinnen wenn ich sie umfasse?

Maria beschwichtigend und ihm den Kopf mit dem Schleier verbindend:
Bleib ruhig. An den goldnen, hübschen Locken
Klebt Blut. Lieg still; du machst mich selber blutig.
Ja, wenn du still liegst, küß ich dich aufs Auge.

Sie küßt ihn.

Ratcliff:
Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküßt;
Die Sonne kann ich wieder sehn – Maria!

Maria wie aus einem Traume aufgeschreckt:
Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?

Hält sich die Augen zu.

O das ist gar zu traurig! Schaudernd. Fort! geh fort!

Ratcliff springt auf und umschlingt sie:
Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,
Und du hast William lieb - Vertraulich: Im Traum hast du's
Mir oft gesagt. Weißt du, wir sehn uns ähnlich?
Schau in den Spiegel.

Er führt sie an einen Spiegel und zeigt nach beiden Spiegelbildern.

Deine Züge sind
Zwar schöner, edler, reiner als die mein'gen;
Doch sind sie ihnen ähnlich. Diese Lippen
Umzuckt derselbe Stolz, derselbe Trotz.
Hier sitzt der Leichtsinn ebenso wie dort.
Sprich mal ein Wörtchen!

Maria sich sträubend:
Laß mich! laß mich!

Ratcliff:
Hörst du?
Die Stimm klingt wie die mein'ge, nur weit sanfter.
Das tiefe Blau des Auges ist dasselbe;
Nur glänzender bei dir. Gib her die Hand.

Nimmt ihre Hand und vergleicht sie mit der seinigen.

Siehst du dieselben Linien? Erschrickt. Sieh mal her,
Die Lebenslinie ist so kurz wie hier –

Maria:
O laß mich, William, und entflieh! entflieh! –
Nur schnell, sie kommen gleich –

Ratcliff:
Ja, du hast recht,
Wir wollen fliehn. Komm folge mir, mein Lieb.
Komm folge mir. Gesattelt steht mein Roß,
Das schnellste in ganz Schottland. Zieht sein Schwert hervor. Hier, mein Schwert
Bahnt uns den Weg. Sieh mal wie's funkelt! Horch!

Margarethe wahnsinnig singend:
»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?
Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –
Mein Liebchen war so schön, oh!«

Ratcliff:
Wer sprach das blut'ge Wort? War's dort die Eule,
Die sich ans Fenster klammert? War's der Wind,
Der im Kamin pfeift? War's die bleiche Hexe,
Die in der Ecke kauert? Ja, die war es;
Ihr Leib ist marmorstarr, doch aus der Brust
Schrillt ihr der heisre Sang. Ich soll mein Liebchen

Im höchsten Schmerz.

Totschlagen, singt sie – O das muß ich ja –

Maria:
Entsetzlich rollt dein Aug, dein Odem brennt –
Dein Wahnsinn steckt mich an – verlaß mich! laß mich!

Ratcliff:
O sträub dich nicht, mein Lieb. Der Tod ist ja
So süß. Ich nehm dich mit ins schöne Land,
Wovon wir oft geträumt. Komm mit, mein Lieb.

Maria sich von ihm losreißend:
Entflieh! Entflieh! Denn trifft dich hier Graf Douglas –

Ratcliff in Wut ausbrechend:
Verfluchter Name! Losungswort des Todes!
Kein Gott soll dich besitzen. Mir gehörst du

Er will sie erstechen.

Maria sich in das verhängte Kabinett flüchtend:
William! du willst mich morden –

Ratcliff stürzt ihr nach ins Kabinett:
Mir gehörst du –
Mein ist Maria –

Man hört Marias Stimme: »William! Hülfe! William!«

Margarethe singt:
»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –
Mein Liebchen war so schön, oh!«

Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nach einander aus, und verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.

Ratcliff das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette:
Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!
Du bleiches Nachtgespenst, du hast's getan.
An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.
Komm ficht mit mir, du hast Marie ermordet –

MacGregor stürzt herein mit bloßem Schwerte.
Die Vorigen.

MacGregor:
Um Hülfe rief's – Erblickt Ratcliff. Dich treff ich hier, Verruchter,
Verhaßter Mörder, Störer meiner Ruh

Ratcliff wild auflachend:
Das bin ich, und auch du bist mir verhaßt,
Weiß nicht warum, doch bist du mir verhaßt,
Nach deinem Blute lechz ich –

Sie stürzen fechtend aufeinander ein.

MacGregor:
Bösewicht!

Ratcliff:
Ha! ha! ha!

Margarethe singt:
»Was ist von Blut dein Schwert so rot,
Edward, Edward?«

MacGregor stürzt nieder:
Verfluchtes Lied! Er stirbt.

Ratcliff erschöpft:
Die gift'ge Schlang ist tot.
Nun ist mir's leicht ums Herz. Den Vorgeschmack
Der Ruh genieß ich schon. Marie ist mein.
Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm Marie.

Ergeht ins Kabinett, man hört inwendig seine Stimme:

Hier bin ich süßes, weißes Lieb. Maria!

Es fällt ein Schuß im Kabinette.

Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig in die Arme, halten sich fest umschlungen, und verschwinden. Man hört lautes Rufen und verworrene Stimmen.

Douglas, Gäste und Diener treten bestürzt herein.
Die Vorigen.

Ein Diener.
Jesus Marie! hier liegt der edle Herr!

Viele Stimmen:
MacGregor!

Douglas:
Tot! tot ist der edle Laird.
Sucht nur den Mörder. Schließt des Schlosses Pforte.

Margarethe richtet sich langsam in die Höhe, nähert sich der Leiche MacGregors, und spricht im wahnsinnigen Tone:
Ei! ei! so blutig und so bleich lag auch
Der tote Edward Ratcliff an der Schloßmaur.
Der böse, zornige MacGregor hatte
Den armen Edward Ratcliff totgeschlagen! Weinend:
Ich hab es nicht getan, hab's nur gewußt.
Und den Zeigt nach MacGregors Leiche. hat William Ratcliff totgeschlagen –
Und auch der William hat jetzt Ruh. Er schläft
Jetzt bei Marie – still! still! – weckt sie nicht auf –

Sie geht auf den Fußzehen nach dem Kabinette, und hebt die Gardine desselben auf. Man sieht die Leichen von Maria und William Ratcliff.

Alle:
Entsetzlich!

Margarethe vergnügt lachend.
Sie sehn fast aus wie Edward und Schön-Betty!


 << zurück