Heinrich Heine
Gedanken und Einfälle
Heinrich Heine

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III. Kunst und Literatur.

Ein Buch will seine Zeit wie ein Kind. Alle schnell in wenigen Wochen geschriebenen Bücher erregen bei mir ein gewisses Vorurteil gegen den Verfasser. Eine honette Frau bringt ihr Kind nicht vor dem neunten Monat zur Welt.

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Dem Dichter wird während des Dichtens zumute, als habe er, nach der Seelenwanderungslehre der Pythagoräer, in den verschiedensten Gestalten ein Vorleben geführt – Intuition ist wie Erinnerung.

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Eine Philosophie der Geschichte war im Altertum unmöglich. Erst die Jetztzeit hat Materialien dazu: Herder, Bossuet etc. – Ich glaube, die Philosophen müssen noch tausend Jahr' warten, ehe sie den Organismus der Geschichte nachweisen können; bis dahin glaube ich, nur folgendes ist anzunehmen. Für Hauptsache halte ich: die menschliche Natur und die Verhältnisse (Boden, Klima, überlieferte Gesetzgebung, Krieg, unvorhergesehene und unberechenbare Bedürfnisse), beide in ihrem Konflikt oder in ihrer Allianz geben den Fond der Geschichte, sie finden aber immer ihre Signatur im Geiste, und die Idee, von welcher sie sich repräsentieren lassen, wirkt wieder als Drittes auf sie ein; das ist hauptsächlich in unseren Tagen der Fall, auch im Mittelalter. Shakespeare zeigt uns in der Geschichte nur die Wechselwirkung von der menschlichen Natur und den äußern Verhältnissen – die Idee, das Dritte, tritt nie auf in seinen Tragödien; daher eine viel klarere Gestaltung und etwas Ewiges, Unwandelbares in seinen Entwicklungen, da das Menschliche immer dasselbe bleibt zu allen Zeiten. Das ist auch der Fall bei Homer. Beider Dichter Werke sind unvergänglich. Ich glaube nicht, daß sie so gut ausgefallen wären, wenn sie eine Zeit darzustellen gehabt hätten, wo eine Idee sich geltend machte, z. B. im Beginne des aufkommenden Christentums, zur Zeit der Reformation, zur Zeit der Revolution.

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Bei den Griechen herrschte Identität des Lebens und der Poesie. Sie hatten daher keine so großen Dichter wie wir, wo das Leben oft den Gegensatz der Poesie bildet. Shakespeare's große Zehe enthält mehr Poesie als alle griechischen Poeten, mit Ausnahme des Aristophanus. Die Griechen waren große Künstler, nicht Dichter; sie hatten mehr Kunstsinn als Poesie. In der Plastik leisteten sie so Bedeutendes, eben weil sie hier nur die Wirklichkeit zu kopieren brauchten, welche Poesie war und ihnen die besten Modelle bot.

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Wie die Griechen das Leben blühend und heiter darstellten und zur Aussicht gaben die trübe Schattenwelt des Todes, so hingegen ist nach christlichen Begriffen das jetzige Leben trüb und schattenhaft, und erst nach dem Tod kommt das heitre Blütenleben. Das mag Trost im Unglück geben, aber taugt nicht für den plastischen Dichter. Darum ist die Ilias so heiter jauchzend, das Leben wird um so heiterer erfaßt, je näher unsre Abfahrt zur zweiten Schattenwelt, z. B. von Achilles.

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Die Griechen gaben dem Christentum die Kunst: – Kunst des Wortes (Dogmatik und Mythologie) und Kunst der Sinne (Malerei und Baukunst). Die gotische ist nichts als kranke Kunst. Als ich im Dom von Toulouse (St. Sernin) doppelt sah, sah ich das Zentrum gebrochen in der Mitte, und begriff die Entstehung des gotischen Spitzbogens aus dem römischen Kreisbogen.

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Kunstwerk

Das sichtbare Werk spricht harmonisch den unsichtbaren Gedanken aus; daher ist auch Lebekunst die Harmonie des Handelns und unsrer Gesinnung.

Schön ist das Kunstwerk, wenn das Göttliche sich dem Menschlichen freundlich zuneigt – Diana küßt Endymion; erhaben, wenn das Menschliche sich zum Göttlichen gewaltsam emporhebt – Prometheus trotzt dem Jupiter, Agamemnon opfert sein Kind. Die Christusmythe ist schön und erhaben zugleich.

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In der Kunst ist die Form alles, der Stoff gilt nichts. Staub berechnet für den Frack, den er ohne Tuch geliefert, denselben Preis, als wenn ihm das Tuch geliefert worden. Er lasse sich nur die Form bezahlen und den Stoff schenke er.

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In bezug auf die Frage von den eingeborenen Ideen möchte folgende Lösung richtig sein: Es gibt Menschen, denen alles von außen kommt, die sogenannten Talente, wie Lessing, erinnernd an Affen, wo die äußere Nachahmung waltet – nichts ist in ihrem Geiste, was sie nicht durch die Sinne aufgenommen. Es gibt aber auch Menschen, denen alles aus der Seele kommt. Genien wie Rafael, Mozart, Shakespeare, denen das Gebären aber schwerer wird, wie dem sogenannten Talente. Bei jenen ein Machen ohne Leben, ohne Innerlichkeit, Mechanismus – bei diesen ein organisches Entstehen.

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Das Genie trägt im Geiste ein Abbild der Natur, und durch diese erinnert, gebiert es dies Abbild; das Talent bildet die Natur nach und schafft analytisch, was das Genie synthetisch schafft. Es gibt aber auch Charaktere, welche zwischen beiden schweben.

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Die Daguerreotypie ist ein Zeugnis gegen die irrige Ansicht, daß die Kunst eine Nachahmung der Natur sei – die Natur hat selbst den Beweis geliefert, wie wenig sie von der Kunst versteht, wie kläglich es ausfällt, wenn sie sich mit Kunst abgibt.

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Philarète Charles ordnet, als Literaturhistoriker, die Schriftsteller nicht nach Äußerlichkeiten (Nationalitäten), Zeitalter, Gattung der Werke (Epos, Drama, Lyrik), sondern nach dem inneren geistigen Prinzip, nach Wahlverwandtschaft. So will Paracelsus die Blumen nach dem Geruch klassifizieren – wie viel sinnreicher, als Linné nach Staubfäden! Wäre es gar so sonderbar, wenn man auch die Literaten nach ihrem Geruch klassifizierte? Die, welche nach Tabak, die, welche nach Zwiebeln riechen usw.

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Die Sage von dem Bildhauer, dem die Augen ausgestochen wurden, damit er nicht eine ähnliche Statue anfertige, beruht auf demselben Grunde wie die Sitte, nach welcher das Glas, woraus eine hohe Gesundheit getrunken wurde, zerbrochen wird.

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Ein Skulptor, der zugleich Napoleon und Wellington meißelt, kommt mir vor wie ein Priester, der um zehn Uhr Messe lesen und um zwölf Uhr in der Synagoge singen will – Warum nicht? Er kann es; aber wo es geschieht, wird man bald weder die Messe noch die Synagoge besuchen.

Den Dichtern wird es noch schwerer, zwei Sprachen zu reden – ach! die meisten können kaum eine Sprache reden.

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Man preist den dramatischen Dichter, der es versteht, Tränen zu entlocken. – Dies Talent hat auch die kümmerlichste Zwiebel, mit dieser teilt er seinen Ruhm.

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Das Theater ist nicht günstig für Poeten.

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Eine neue Periode ist in der Kunst angebrochen: Man entdeckt in der Natur dieselben Gesetze, die auch in unserem Menschengeiste walten, man vermenschlicht sie (Novalis), man entdeckt in dem Menschengeiste die Gesetze der Natur, Magnetismus, Elektrizität, anziehende und abstoßende Pole (Heinrich von Kleist). Goethe zeigt das Wechselverhältnis zwischen Natur und Mensch; Schiller ist ganz Spiritualität, er abstrahiert von der Natur, er huldigt der kantischen Ästhetik.

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Goethe's Abneigung, sich dem Enthusiasmus hinzugeben, ist ebenso widerwärtig wie kindisch. Solche Rückhaltung ist mehr oder minder Selbstmord; sie gleicht der Flamme, die nicht brennen will, aus Furcht sich zu konsumieren. Die großmütige Flamme, die Seele Schiller's loderte mit Aufopferung – jede Flamme opfert sich selbst; je schöner sie brennt, desto mehr nähert sie sich der Vernichtung, dem Erlöschen. Ich beneide nicht die stillen Nachtlichtchen, die so bescheiden ihr Dasein fristen.

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Bei Schiller feiert der Gedanke seine Orgien – nüchterne Begriffe, weinlaubumkränzt, schwingen den Thyrsus, tanzen wie Bacchanten – besoffene Reflexionen.

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Jacobi, diese greinende, keifende Natur, diese klebrige Seele, dieser religiöse Wurm, der an der Frucht der Erkenntnis nagte, um uns solche zu verleiden.

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Die wehmütig niedergedrückte Zeit, der alles Laute untersagt war und die sich auch vor dem Lauten fürchtete, gedämpft fühlte, dachte und flüsterte, fand in dieser gedämpften Poesie ihre gedämpfte Freude. Sie betrachtete die alten gebrochenen Türme mit Wehmut, und lächelte über das Heimchen, das darin melancholisch zirpte.

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In den altdänischen Romanzen sind alle Gräber der Liebe Heldengräber, große Felsmassen sind darauf getürmt mit schmerzwilder Riesenhand. In den Uhland'schen Gedichten sind die Gräber der Liebe mit hübschen Blümchen, Immortellen und Kreuzchen verziert, wie von Händen gefühlvoller Predigerstöchter.

Die Helden der »Kämpeviser« sind Normannen, die Helden des Uhland sind immer Schwaben, und zwar Gelbfüßler.

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Die Sonettenwut grassiert so in Deutschland, daß man eine Sonettensteuer einrichten sollte.

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Clauren ist jetzt in Deutschland so berühmt, daß man in keinem Bordell eingelassen wird, wenn man ihn nicht gelesen hat.

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Auffenberg hab' ich nicht gelesen – ich denke: er ist ungefähr wie Arlincourt, den ich auch nicht gelesen habe.

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Wir haben das körperliche Indien gesucht und haben Amerika gefunden; wir suchen jetzt das geistige Indien – was werden wir finden?

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Es ist zu wünschen, daß sich das Genie des Sanskritstudiums bemächtige; tut es der Notizengelehrte, so bekommen wir bloß ein gutes Kompendium.

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Die epischen Gedichte der Indier sind ihre Geschichte; doch können wir sie erst dann zur Geschichte benutzen, wenn wir die Gesetze entdeckt haben, nach welchen die Indier das Geschehene ins phantastisch Poetische umwandelten. Dies ist uns noch nicht bei der Mythologie der Griechen gelungen, doch mag es bei diesen schwerer sein, weil diese das Geschehene beständig zur Fabel ausbildeten in immer bestimmterer Plastik. Bei den Indiern hingegen bleibt die phantastische Umbildung immer noch Symbol, das das Unendliche bedeutet und nicht nach Dichterlaune in bestimmtern Formen ausgemeißelt wird.

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Die Mahabaratas, Ramayanas und ähnliche Riesenfragmente sind geistige Mammutsknochen, die auf dem Himalaya zurückgeblieben.

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Der Indier konnte nur ungeheuer große Gedichte liefern, weil er nichts aus dem Weltzusammenhang schneiden konnte, wie überhaupt der Anschauungsmensch. Die ganze Welt ist ihm ein Gedicht, wovon der Mahabarata nur ein Kapitel. – Vergleich der indischen mit unserer Mystik: diese übt den Scharfsinn an Zerteilung und Zusammensetzung der Materie, bringt es aber nicht zum Begriff. – Anschauungsideen sind etwas, das wir gar nicht kennen. Die indische Muse ist die träumende Prinzessin der Märchen.

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Goethe, im Anfang des »Fausts«, benutzt die »Sakontala«.

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Wie überhaupt jeder einen bestimmten Gegenstand in der Sinnenwelt auf eine andere Weise sieht, so sieht auch jeder in einem bestimmten Buche etwas anderes als der andere. Folglich muß auch der Übersetzer ein geistig begabter Mensch sein, denn er muß im Buche das Bedeutendste und Beste sehen, um dasselbe wiederzugeben. Den Wortverstand, den körperlichen Sinn kann jeder übersetzen, der eine Grammatik gelesen, und ein Wörterbuch sich angeschafft hat. Nicht kann aber der Geist von jedem übersetzt werden. Möchte dies nur bedenken jener nüchterne, prosaische Übersetzer Scott'scher Romane, der so sehr prahlt mit seiner Übersetzungstreue! Wie es auf den Geist ankommt, beweise zunächst Forster's Wiederübersetzung der »Sakontala«.

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In der Zeit der Romantiker liebte man in der Blume nur den Duft – in unserer Zeit liebt man in ihr die keimende Frucht. Daher die Neigung zum Praktischen, zur Prosa, zum Hausbackenen.

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Der Hauptzug der jetzigen Dichter ist Gesundheit – westfälische, östreichische, ja ungarische Gesundheit.

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Die höchsten Blüten des deutschen Geistes sind die Philosophie und das Lied. Diese Blütezeit ist vorbei, es gehörte dazu die idyllische Ruhe; Deutschland ist jetzt fortgerissen in die Bewegung, der Gedanke ist nicht mehr uneigennützig, in seine abstrakte Welt stürzt die rohe Tatsache, der Dampfwagen der Eisenbahn gibt uns eine zittrige Gemütserschütterung, wobei kein Lied aufgehen kann, der Kohlendampf verscheucht die Sangesvögel, und der Gasbeleuchtungsgestank verdirbt die duftige Mondnacht.

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Unsre Lyrik ist ein Produkt des Spiritualismus, obgleich der Stoff sensualistisch; die Sehnsucht des isolierten Geistes nach Verschmelzung mit der Erscheinungswelt, to mingle with nature. Mit dem Sieg des Sensualismus muß diese Lyrik aufhören, es entsteht Sehnsucht nach dem Geist: Sentimentalität, die immer dünner verdämmert, nihilistische Pimperlichkeit, hohler Phrasennebel, eine Mittelstation zwischen Gewesen und Werden, Tendenzpoesie.

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Der harmlose Dichter, der plötzlich politisch wird, erinnert mich an das Kind in der Wiege: »Vater, iß nicht, was die Mutter gekocht!«

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So wie die Demokratie wirklich zur Herrschaft gelangt, hat alle Poesie ein Ende. Der Übergang zu diesem Ende ist die Tendenzpoesie. Deshalb – nicht bloß, weil sie ihrer Tendenz dient – wird die Tendenzpoesie von der Demokratie begünstigt. Sie wissen, hinter oder vielmehr mit Hoffmann von Fallersleben hat die Poesie ein Ende.

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In der Poetenwelt ist der tiers état nicht nützlich, sondern schädlich.

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Die Demokratie führt das Ende der Literatur herbei: Freiheit und Gleichheit des Stils. Jedem sei er erlaubt, nach Willkür, also so schlecht er wolle, zu schreiben, und doch soll kein andrer ihn stilistisch überragen und besser schreiben dürfen.

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Demokratischer Haß gegen die Poesie – der Parnaß soll geebnet werden, nivelliert, mazadamisiert, und wo einst der müßige Dichter geklettert und die Nachtigallen belauscht, wird bald eine platte Landstraße sein, eine Eisenbahn, wo der Dampfkessel wiehert und der geschäftigen Gesellschaft vorüber eilt.

Demokratische Wut gegen das Besingen der Liebe – warum die Rose besingen, Aristokrat! besing die demokratische Kartoffel, die das Volk nährt!

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In einer vorwiegend politischen Zeit wird selten ein reines Kunstwerk entstehen. Der Dichter in solcher Zeit gleicht dem Schiffer auf stürmischem Meere, welcher fern am Strande ein Kloster auf einer Felsklippe ragen sieht; die weißen Nonnen stehen dort singend, aber der Sturm überschrillt ihren Gesang.

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Die Werke gewisser Lieblingsschriftsteller des Tages sind ein Steckbrief der Natur, keine Beschreibung.

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Es ist nicht der arme Unger Nimbsch oder der Handlungsbeflissene aus Lippe-Detmold, welcher das schöne Gedicht hervorgebracht, sondern der Weltgeist. Nur diesem gebührt der Ruhm und es ist lächerlich, wenn jene sich etwas darauf einbilden, etwa wie der Père Rachel auf den Succeß seiner Tochter – da steht ein alter Jude im Parterre des Théâtre français und glaubt, er sei Iphigenie oder Andromache, es sei seine Deklamation, welche alle Herzen rühre, und applaudiert man, so verbeugt er sich mit errötendem Antlitz.

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Savigny ein Römer? Nein, ein Bedienter des römischen Geistes, un valet du romanisme.

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Savigny's Eleganz des Stils gleicht dem klebrigten Silberschleim, den die Insekten auf dem Boden zurücklassen, worüber sie hingekrochen.

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Mit den Werken Johannes von Müller's geht es wie mit Klopstock – keiner liest ihn, spricht mit Respekt von ihm. Es ist unser großer Historiker wie jener unser großer Epiker war, den wir dem Auslande mit Stolz entgegensetzten. Er ist steiflangweilig – Alpen und keine Idee darauf. Wir glaubten ein Epos und einen Historiker zu haben.

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Raumer ist das raisonnierende Leder, – der literarische Laufbursche der Brockhausischen Buchhandlung – wenn er älter, wird er ein Ladenhüter.

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Gervinus' Literaturgeschichte

Die Aufgabe war: was H. Heine in einem kleinen Büchlein voll Geist gegeben, jetzt in einem großen Buche ohne Geist zu geben – die Aufgabe ist gut gelöst.

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Historiker, welche selbst alle Geschichte machen wollen, gleichen den Komödianten in Deutschland, welche die Wut hatten, selbst Stücke zu schreiben. Haller bemerkt, daß man desto besser spiele, je schlechter das Stück – schrieben sie schlecht, um sich als gute Schauspieler zu zeigen? oder spielten sie schlecht, um als gute Schriftsteller zu scheinen? Dasselbe könnte man bei unsern Historikern fragen.

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Hütet euch vor Hengstenberg – der stellt sich nur so dumm. Das ist ein Brutus, der einst die Maske fallen läßt, sich vernunftgläubig zeigt und euer Reich stürzt.

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Ruge ist der Philister, welcher sich mal unparteiisch im Spiegel betrachtet und gestanden hat, daß der Apoll vom Belvedere doch schöner sei. – Er hat die Freiheit schon im Geiste, sie will ihm aber noch nicht in die Glieder, und wie sehr auch für hellenische Nacktheit schwärmt, kann er sich doch nicht entschließen, die barbarisch modernen Beinkleider, oder gar die christlich germanischen Unterhosen der Sittlichkeit auszuziehen. Die Grazien sehen lächelnd diesem inneren Kampfe zu.

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Jakob Benedey

Die Natur erschuf dich zum Abtrittsfeger – schäme dich dessen nicht, deutscher Patriot! es sind die Latrinen eines deutschen Vaterlandes, die du fegst.

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Ich werde von ihm schweigen, kann ihn als komische Figur nicht gebrauchen, wie Maßmann. Der Spaß war, daß dieser Latein verstand – Benedey aber versteht's nicht; Langweiligkeit ist nicht komisch.

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König Ludwig nimmt den Luther nicht auf in seiner Walhalla. Man darf's ihm nicht verübeln, er fühlt im Herzen, daß wenn Luther eine Walhalla gebaut, er ihn als Dichter nicht darin aufgenommen hätte.

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Die Este, Medizis Gonzagas, Scalas sind berühmt als Mäzene. Unsre Fürsten haben gewiß ebensoguten Willen, aber es fehlt ihnen die Bildung, die wahren Talente und Genies heraus zu suchen – denn diese melden sich nicht bei ihren Kammerdienern –. Sie protegieren nur solche, die mit ihnen selbst auf gleicher Bildungsstufe stehen, und wie man die italienischen Fürsten kennt, indem man bloß zu nennen braucht, wer ihre Protégés waren, so wird man einst die unsern gleich kennen, wenn man die Männer nennt, denen sie Dosen, Becher, Pensionen und Orden verliehen. Man sagt, es sei von großen Schriftstellern unklug, die obskuren – und sei es auch durch bittere Schilderung – auf die Nachwelt zu bringen; aber wir tun es zur Schande ihrer Mäzene.

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Diese Menschen müssen Stockschläge im Leben haben; denn nach ihrem Tode kann man sie nicht bestrafen, man kann ihren Namen nicht schmähen, nicht fletrieren, nicht brandmarken – denn sie hinterlassen keinen Namen.

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Wolfgang Menzel ist der witzigste Kopf – es wird interessant und wichtig für die Wissenschaft sein, wenn man an seinem Schädel einst phrenologische Untersuchungen machen kann. Ich wünsche, daß man ihm den Kopf schone, wenn man ihn prügelt, damit die Beulen, die neu sind, nicht für Witz und Poesie gehalten werden.

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Und dieser unwissende Hase gebärdet sich als der Champion des deutschen Volks, des tapfersten und gelehrtesten Volks, eines Volks, das auf tausend Schlachtfeldern seinen Mut und in hunderttausend Büchern seinen Tiefsinn bewiesen hat, ein Volk, dessen breite Brust mit glorreichen Narben bedeckt ist und über dessen Stirne alle großen Gedanken der Welt dahin gezogen und die ehrwürdigsten Furchen hinterlassen haben!

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Gutzkow

Die Natur war sehr bescheiden, als sie ihn schuf, den Unbescheidensten.

Er hat Heine nachahmen wollen, aber es fehlte ihm an aller Poesie, und er brachte es nur bis zur Nachahmung Börne's. Seine Darstellung und Sprache hat etwas Polizeiliches. Er liegt ewig auf der Lauer, um die Tagesschwächen des Publikums zu erspähen, sie in seinem Privatinteresse auszubeuten. Jenen Schwächen huldigend und schmeichelnd, darf er immerhin Talent, Kenntnisse und Charakter entbehren, er weiß es. Er gibt dem Publikum keine eignen Impulsionen, sondern er empfängt sie von demselben; er zieht die Livree der Tagesidee an, er ist ihr Bedienter, ihr Kanzleidiener, er katzenbuckelt und verlangt sein Trinkgeld.

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Gisquet erzählt im dritten Teil seiner Memoiren von dem Polizeiagenten, welcher den Dieb errät, der die Medaillen gestohlen, wegen der feinen Arbeit des Erbrechens: das gut geflochtene Seil, das Stück Wachslicht in der Diebslaterne statt des Talgs – So errate ich Herrn ** in dem anonymen Artikel.

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Warum sollte ich jetzt widersprechen? In wenigen Jahren bin ich tot, und dann muß ich mir alle Lügen doch gefallen lassen. ** hat nicht zu fürchten, daß man nach seinem Tode Lügen von ihm sagt.

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Grabbe's »Gothland«

Zuweilen eine Reihe fürchterlicher und häßlicher Gedanken, wie ein Zug Galeerensklaven, jeder gebrandmarkt – der Dichter führt sie an der Kette in das Bagno der Poesie.

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Freiligrath

Das Wesen der neuen Poesie spricht sich vor allem in ihrem parabolischen Charakter aus. Ahnung und Erinnerung sind ihr hauptsächlicher Inhalt. Mit diesen Gefühlen korrespondiert der Reim, dessen musikalische Bedeutung besonders wichtig ist. Seltsame, fremdgrelle Reime sind gleichsam eine reichere Instrumentation, die aus der wiegenden Weise ein Gefühl besonders hervortreten lassen soll, wie sanfte Waldhornlaute durch plötzliche Trompetentöne unterbrochen werden. So weiß Goethe die ungewöhnlichen Reime zu benutzen zu grell barocken Effekten; auch Schlegel und Byron – bei letzterem zeigt sich schon der Übergang in den komischen Reim. Man vergleiche damit den Mißbrauch der fremd klingenden Reime bei Freiligrath, die Barbarei beständiger Janitscharenmusik, die aus einem Fabrikantenirrtume entspringt. Seine schönen Reime sind oftmals Krücken für lahme Gedanken. Freiligrath ist ein Uneingeweihter in das Geheimnis, er besitzt keine Naturlaute, der Ausdruck und der Gedanke entspringen bei ihm nicht zu gleicher Zeit. Er gebraucht Hammer und Meißel und verarbeitet die Sprache wie einen Stein, der Gedanke ist Material, und nicht immer Material aus den Steinbrüchen des eignen Gemüts, z. B. Plagiat von Grabbe und Heine. Alles kann der machen, nur kein Lied – Ein Lied ist das Kriterium der Ursprünglichkeit. Das eigentliche Gedicht (was wir gewöhnlich so nennen; halb episch, halb lyrisch) partizipiert mehr oder minder vom Liede, selbst in den breitesten Rhythmen – nicht so bei Freiligrath; sein Wohllaut ist meistens rhetorischer Art.

Es existiert eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Freiligrath und Platen. Dieser hat ein feineres Ohr für die Wortmelodie, vermeidet weit mehr die Härten, klingt musikalischer, aber ihm fehlt die Zäsur, die Freiligrath besser hat, weil er gesunder fühlt – Zäsur ist der Herzschlag des dichtenden Geistes und läßt sich nicht nachahmen, wie Wohllaut.

Freiligrath ahmt Victor Hugo nach. Er ist Genremaler, er gibt Genrebilder des Meeres, nicht Historienbilder des lebendigen Ozeans. Seine morgenländischen Genrebilder sind türkische Holländerei.

Sein Charakter ist die Sehnsucht nach dem Orient und ein Hineinträumen in südliche Zustände. Aber der Orient ist ihm nicht aufgegangen in seiner Poesie wie bei andern Dichtern, denen jener fabelhafte, abenteuerliche Orient vorschwebt, den wir aus den Traditionen der Kreuzzüge und »Tausend und eine Nacht« uns zusammengeträumt, ein real unrichtiger, aber in der Idee richtiger, Poesie-Orient – Nein, er ist exakt wie Burkhard und Niebuhr, seine Gedichte sind ein Appendix zum Cotta'schen »Ausland«, und die Verlagshandlung hat seine Kenntnis der Geographie und Völkerkunde sehr bedeutungsvoll gerühmt. Daher sein Wert für die große Masse, die nach realistischer Kost verlangt, seine Anerkennung ist ein bedenkliches Zeichen einreißender Prosa.

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Die deutsche Sprache an sich ist reich, aber in der deutschen Konversation gebrauchen wir nur den zehnten Teil dieses Reichtums, faktisch sind wir also spracharm.

Die französische Sprache an sich ist arm, aber die Franzosen wissen alles, was sie enthält, in der Konversation auszubeuten, und sie sind daher sprachreich in der Tat.

Nur in der Literatur zeigen die Deutschen ihren ganzen Sprachschatz, und die Franzosen, davon geblendet, denken, wunders wie glänzen wir zu Hause – sie haben auch keinen Begriff davon, wie wenig Gedanken bei uns im Umlauf zu Hause. Bei den Franzosen just das Gegenteil: mehr Ideen in der Gesellschaft als in den Büchern, und die Geistreichsten schreiben gar nicht oder bloß zufällig.

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Voltaire hebt sich kühn empor, ein vornehmer Adler, der in die Sonne schaut – Rousseau ist ein edler Stern, der aus der Höhe niederblickt; er liebt die Menschen von oben herab.

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Voltaire huldigt (man lese seine Dedikation des »Mahomed«) dem Papste ironisch und freiwillig.

Rousseau konnte nicht dazu gebracht werden, sich dem Könige präsentieren zu lassen – sein Instinkt leitete ihn richtig; er war der Enthusiasmus, der sich nicht abfinden kann.

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Die älteren französischen Schriftsteller hatten einen bestimmten Standpunkt: Licht und Schatten sind immer richtig, nach den Gesetzen des Standpunkts. Die neueren Schriftsteller springen von einem Standpunkt auf den anderen, und in ihren Gemälden ist eine widerwärtige Konfusion von Licht und Schatten – hier eine Bemerkung, die der pantheistischen Weltansicht angehört, dort ein Gefühl, das aus dem Materialismus hervorgeht, Zweifel und Glaube sich kreuzend, – eine Harlekinsjacke.

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In der französischen Literatur herrscht jetzt ein ausgebildeter Plagiatismus. Hier hat ein Geist die Hand in der Tasche des andern, und das gibt ihnen einen gewissen Zusammenhang. Bei diesem Talent des Gedankendiebstahls, wo einer dem andern den Gedanken stiehlt, ehe er noch ganz gedacht, wird der Geist Gemeinschaft – In der république des lettres ist Gedankengütergemeinschaft.

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Die neufranzösische Literatur gleicht den Restaurants des Palais-royal – Wenn man in der Küche gelauscht, die Ingredienzen der Gerichte und ihre Zubereitung gesehen, würde man den Appetit verlieren – der schmutzige Koch zieht Handschuh an, wenn er auf blanker Schüssel sein Gemätsch aufträgt.

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Die französischen Autoren der Gegenwart gleichen den Restaurants, wo man für zwei Francs zu Mittag speist. Anfangs munden ihre Gerichte, später entdeckt man, daß sie die Materialien aus zweiter und dritter Hand und schon alt oder verfault bezogen.

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Die neufranzösischen Romantiker sind Dilettanten des Christentums, sie schwärmen für die Kirche, ohne ihrem Symbol gehorsam anzuhängen, sie sind catholiques marrons.

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Sollte es wahr sein, daß Frankreich zum Christentume zurückverlangt? Ist Frankreich so krank? Es läßt sich Märchen erzählen – Will es sich auf dem Sterbebett bekehren? Verlangt es die Sakramente? Gebrechlichkeit, dein Name ist Mensch!

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Chateaubriand will das Christentum gegen den brillanten Unglauben, dem alle Welt huldigt, predigen. Er befindet sich im umgekehrten Falle wie der neapolitanische Kapuziner, der den Leuten das Kreuz vorhält: »Ecco il vero policinello!« Chateaubriand ist ein Polichinell, der seine Marotte den Leuten vorhält: »Ecco il vero cruce!«

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Chateaubriand ist ein Fabelhans, Royalist durch Prinzip, Republikaner durch Inklination, ein Ritter, der eine Lanze bricht für die Keuschheit jeder Lilie, und statt Mambrins' Helm eine rote Mütze trägt mit einer weißen Kokarde.

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Buffon sagt, der Stil sei der Mensch selbst. Bilemain ist eine lebende Widerlegung dieses Axioms, sein Stil ist schön, wohlgewachsen und reinlich.

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Wenn man, wie Charles Nodier, in seiner Jugend mehrmals guillotiniert worden, ist es sehr natürlich, daß man im Alter keinen Kopf mehr hat.

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Blaze de Bury beobachtete die kleinen Schriftsteller durch ein Vergrößerungsglas, die großen durch ein Verkleinerungsglas.

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Amaury ist der Patron der Schriftstellerinnen, er hilft den Durstigen, er ist ihr petit manteau blanc, ihr Beichtiger, seine Artikel sind eine kleine Sakristei, wo sie verschleiert hineinschleichen, sogar die Toten beichten ihm ihre Sünden, Eva gesteht ihm Dinge, die ihr die Schlange gesagt und wovon wir nichts erfuhren, weil sie solche dem Adam verschwieg.

Er ist kein Kritiker für große, aber für kleine Schriftsteller – Walfische haben keinen Platz unter seiner Lupe, wohl aber interessante Flöhe.

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Bei Léon Gozlan tötet nicht der Buchstabe, sondern der Geist.

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Michel Chevalier ist Konservateur und Progressivster zugleich – mit der einen Hand stützt er das alte Gebäude, damit es nicht den Leuten auf den Kopf stürze, mit der andern zeichnet er den Riß für das neue, größere Gesellschaftsgebäude der Zukunft.

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Man könnte Thierry mit Merlin vergleichen: Er liegt wie lebendig begraben, der Leib existiert nicht mehr, nur die Stimme ist geblieben – Der Historiker ist immer ein Merlin, er ist die Stimme einer begrabenen Zeit, man befragt ihn und er gibt Antwort, der rückwärts schauende Prophet.

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Die französische Kunst ist eine Nachbildung des Realen. Da aber die Franzosen seit fünfzig Jahren so viel erleben und sehen konnten, so sind ihre Kunstwerke durch die Nachbildung des Erlebten und Gesehenen viel bedeutender als die Werke deutscher Künstler, die nur durch Seelentraum zu ihren Anschauungen gelangten.

Nur in der Architektur, wo die Natur nicht nachgebildet werden kann, sind die Franzosen zurück.

In der Musik geben sie den Ton ihrer Nationalität: Verstand und Sentimentalität, Geist und Grazie; – im Drama: Passion. Der Eklektizismus in der Musik wurde nach Meyerbeer eingeführt.

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Meyerbeer ist der musikalische maître de plaisir der Aristokratie.

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Meyerbeer ist ganz Jude geworden. Wenn er wieder nach Berlin in seine früheren Verhältnisse zurücktreten will, muß er sich erst taufen lassen.

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Rossini's »Othello« ist ein Vesuv, der strahlende Blumen speit.

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Der Schwan von Pesaro hat das Gänsegeschnatter nicht mehr ertragen können.

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Aufhören der Poesie im Künstler – der Kranz schwindet ihm vom Haupte.

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Sein Pastizzio hat für mich von vornherein etwas Unheimliches, mahnend an den heiligen Hieronymus in der spanischen Galerie, der als Leiche die Psalmen schreibt. Es fröstelt einen, wie beim Anfühlen einer Statue.

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Alle Bilder Ary Scheffer's zeigen ein Heraussehnen aus dem Diesseits, ohne an ein Jenseits recht zu glauben – vaporöse Skepsis.

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Lessing sagt: »Hätte man Rafael die Hände abgeschnitten, so wär' er doch ein Maler gewesen.« In derselben Weise können wir sagen: Schnitte man Herrn ** den Kopf ab, er bliebe doch ein Maler, er würde weiter malen, ohne Kopf, und ohne daß man merkte, daß er keinen Kopf hätte.

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Shakespeare hat die dramatische Form von den Zeitgenossen; Unterscheidung dieser Form von der französischen.

Den Stoff seiner Dramen hat er immer bis ins Detail entlehnt; sogar die rohen Umrisse, wie die ersten Ausmeißelungen des Bildhauers, behält er.

Ist die Teilung der Arbeit auch im geistigen Produzieren vorteilhaft? Das Höchste wird nur dadurch erreicht.

Wie Homer nicht allein die Ilias gemacht, hat auch Shakespeare nicht allein seine Tragödien geliefert – er gab nur den Geist, der die Vorarbeiten beseelte.

Bei Goethe sehen wir ähnliches – seine Plagiate.

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Junius ist der Ritter der Freiheit, der mit geschlossenem Visier gekämpft.

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Dante ist der öffentliche Ankläger der Poesie.



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