Heinrich Heine
Gedanken und Einfälle
Heinrich Heine

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II. Religion und Philosophie

Die Erde ist der große Felsen, woran die Menschheit, der eigentliche Prometheus, gefesselt ist und vom Geier des Zweifels zerfleischt wird. Sie hat das Licht gestohlen und leidet nun Martern dafür.

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Kunst und Philosophie, das Bild und der Begriff, wurden erst durch die Griechen voneinander getrennt. Die Verschmelzung derselben in der Religion ging beiden voran.

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Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes als Geist ist ebenso absurd wie der rohe Anthropomorphismus, denn die geistigen Attribute bedeuten nichts und sind lächerlich ohne die körperlichen.

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Der Gott der besten Spiritualitäten ist eine Art von luftleerem Raume im Reiche des Gedankens, angestrahlt von der Liebe, die wieder ein Abglanz der Sinnlichkeit.

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Der Engel, der Karrikaturen malt, ist ein Bild des Pantheisten, der seinen Gott in der Brust trägt.

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Der Gedanke ist die unsichtbare Natur, die Natur der sichtbare Gedanke.

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Im Altertume gab es keinen Gespensterglauben. Die Leiche wurde verbrannt, der Mensch entschwand als Rauch in die Höhe, er ging auf in dem reinsten, geistigsten Element, im Feuer. Bei den Christen wird der Leib (aus Hohn oder Verachtung?) der Erde zurückgegeben – er ist wie das Korn, und sproßt wieder hervor als Gespenst (ein körperlicher Leib wird gesäet, ein geistiger entsproßt) – er behält die Schauer der Verwesung.

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Gott hat nichts manifestiert, was auf eine Fortdauer nach dem Tode hinwiese; auch Moses redet nicht davon. Es ist Gott vielleicht gar nicht recht, daß die Frommen die Fortdauer so fest annehmen – In seiner väterlichen Güte will er uns vielleicht damit eine Surprise machen.

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Bei keinem Volke ist der Glaube an Unsterblichkeit stärker gewesen wie bei den Kelten; man konnte Geld bei ihnen geliehen bekommen, um es in der anderen Welt wieder zu geben. Fromme christliche Wucherer sollten sich daran spiegeln!

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Irdisches gewährte und verhieß das Heidentum, und darum pflegten die Glücklichen, welchen die Erfüllung ihrer Wünsche und das Gelingen ihrer Werke von dem Walten gnadenreicher Götter und von der Gunst derselben zeugte, frömmere Götterdiener als die Unglücklichen zu sein. Vgl. Aristoteles' Rhetoric, Lib. II, cap. 17, p. 240. Tom Individualität, ed. Bipont.

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Der verzweiflungsvolle Zustand der Menschheit zur Zeit der Zäsaren erklärt den Succeß des Christentums. Der Selbstmord der stolzen Römer, welche auf einmal die Welt aufgaben, war so häufig in jener Zeit. Wer den Mut nicht hatte, auf einmal von der Welt Abschied zu nehmen, ergriff den langsamen Selbstmord der Entsagungsreligionen. (Christi Passion war ja ebenfalls eine Art Selbstmord.) Sklaven und unglückliches Volk waren die ersten Christen; durch ihre Menge und den neuen Fanatismus wurden sie eine Macht, die Konstantin begriff, und der römische Weltherrschaftsgeist bemächtigte sich bald derselben, und disziplinierte sie durch Dogma und Kultus.

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Bei der Polemik zwischen Christen und heidnischen Philosophen vertauschen die Gegner oft im Kampfgetümmel die Waffen: hier sehen wir einen christlichen Versehungshelm auf dem Haupte des Griechen, dort ein griechisches Götterschwert in der Hand des Christen; Ketzereien entspringen, Glaubenshelden verfallen in Irrtum und Zweifel.

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Die Apologeten des Christentums mußten in ihrem Kampfe gegen das Heidentum um so eher sich auf das Feld der Philosophen hinaus wagen, da die Philosophie damals (von Mark Aurel bis Julian) auf dem Throne saß – durch Polemik arbeitet sich das Dogma aus.

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Unterschied des Heidentums (der Inder, Perser) vom Judentum: Sie haben alle ein unendliches, ewiges Urwesen, aber dieses ist bei jenen in der Welt, mit welcher es identisch, und es entfaltet sich mit dieser aus dem Gesetze der Notwendigkeit – der Gott der Juden ist außer der Welt und erschafft sie durch einen Akt des freien Willens.

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Judentum – Aristokratie: Ein Gott hat die Welt erschaffen und regiert sie; alle Menschen sind seine Kinder, aber die Juden sind seine Lieblinge und ihr Land ist sein auserwähltes Dominium. Er ist ein Monarch, die Juden sind der Adel, und Palästina ist das Exarchat Gottes.

Christentum – Demokratie: Ein Gott, der alles erschaffen und regiert, aber alle Menschen gleich liebt und alle Reiche gleich beschützt. Er ist kein Nationalgott mehr, sondern ein universeller.

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Das Christentum tritt auf zur Tröstung: Die, welche in diesem Leben viel Glück genossen, werden im künftigen davon eine Indigestion haben – die, welche zu wenig gegessen, werden nachträglich das beste Gastmahl aufgetischt finden; die irdischen Prügelflecken werden von den Engeln gestreichelt werden.

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Die, welche den Kelch der Freuden hienieden getrunken, bekommen dort oben den Katzenjammer.

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Im Christentume kommt der Mensch zum Selbstbewußtsein des Geistes durch den Schmerz – Krankheit vergeistigt selbst die Tiere.

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Das Christentum wußte die blaue Luft der Provence zu entheitern und erfüllte sie mit seinem Glockengeläute.

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Beim Anblick eines Domes

Sechshundert Jahr' wurde dran gebaut, und du genießest in einem Augenblick die Ruhe nach einer sechshundertjährigen Arbeit. Wie Meereswellen sind die Generationen daran vorbei gewogt, und noch kein Stein ist bewegt worden. Das Mausoleum des Katholizismus, das er sich noch bei Lebzeiten bauen lassen, ist die steinerne Hülle eines erloschenen Gefühls – (ironisch droben die Uhr). – Drinnen in diesem Steinhause blühte einst ein lebendiges Wort, drinnen ist es tot und lebt nur noch in der äußeren Steinrinde. (Hohler Baum.)

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In der Kirche

Wehmütiger Orgelton, die letzten Sterbeseufzer des Christentums.

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Verehrung für Rom

Wie mancher ging aus, die Kirche zu schmähen, zu befinden, und änderte plötzlich seinen Sinn und kniete nieder und betete an. Es ging manchen wie Bileam, dem Sohne Boer's, der Israel zu fluchen auszog und gegen seine Absicht es segnete. Warum? Und doch hatte er nur die Stimme seines Esels gehört.

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Die Toren meinen, um das Kapitol zu erobern, müsse man zuerst die Gänse angreifen.

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Die katholischen Schriftsteller haben gute Kriegswerkzeuge, wissen sie aber nicht zu gebrauchen. Wie die Chinesen haben sie gute Kanonen, auch Pulver und Kugeln, aber Schießen ist eine andere Sache. Sie sind Kinder mit großen Säbeln, die sie nicht aufheben können; mit Helmen, die ihnen den Kopf eindrücken. Und gar die Kanonen wissen sie erst recht nicht zu handhaben.

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Die römische Kirche mißtraut ihren modernen Seiten – sie fürchtet, daß so ein Eiferer, statt den Pantoffel zu küssen, ihr in den Fuß beiße mit rasender Inbrunst.

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Die römische Kirche stirbt an jener Krankheit, wovon niemand genest: Erschöpfung durch die Macht der Zeit. Weise, wie sie ist, lehnt sie alle Ärzte ab: sie hat in ihrer langen Praxis so manchen Greis schneller als nötig sterben sehen, weil ein energischer Arzt ihn kurieren wollte. Doch wird ihre Agonie noch lange dauern. Sie wird uns alle überleben, den Schreiber dieses Artikels, den Druck, der ihn setzt, selbst den kleinen Lehrjungen, der die Druckbogen abholt.

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Die Juden waren die einzigen, die bei der Christlichwerdung Europa's sich ihre Glaubensfreiheit behaupteten.

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Judäa, dieses protestantische Ägypten.

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Die Germanen ergriffen das Christentum aus Wahlverwandtschaft mit dem jüdischen Moralprinzip, überhaupt dem Judaismus. Die Juden waren die Deutschen des Orients, und jetzt sind die Protestanten in den germanischen Ländern (in Schottland, Amerika, Deutschland, Holland) nichts anderes als altorientalische Juden.

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Der Judenhaß beginnt erst mit der romantischen Schule, mit der Freude am Mittelalter, Katholizismus, Adel, gesteigert durch die Teutomanen (Rühs).

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Die jüdische Geschichte ist schön; aber die jungen Juden schaden den alten, die man weit über die Griechen und Römer setzen würde. Ich glaube: gäbe es keine Juden mehr und man wüßte, es befände sich irgendwo ein Exemplar von diesem Volk, man würde hundert Stunden reisen, um es zu sehen und ihm die Hände zu drücken – und jetzt weicht man uns aus!

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Die Geschichte der neueren Juden ist tragisch, und schrieb man über dieses Tragische, so wird man noch ausgelacht – das ist das Allertragischste.

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Es ist charakteristisch für den Hamburger Judenkrawall (im September 1830), daß die Revolutionäre erst ihr Tagesgeschäft vollendeten und eine Abendrevolution machten.

Ich war bei Van Aken während des Tumults: Der Löwe war am ruhigsten, vornehm indigniert, die Affen freuten sich, die Schlangen wanden sich, die Hyäne war unruhig gierig, der Eisbär streckte sich bequem hin und wartete, das Chamäleon veränderte jeden Augenblick die Farbe, rot, blau, weiß, endlich sogar dreifarbig – die Tiere sahen menschlich vernünftig aus, im Gegensatz zu den Menschen, die tierisch wild rasten.

Ein Jude sagte zum andern: »Ich war zu schwach.« Dies Wort empfiehlt sich als Motto zu einer Geschichte des Judentums.

Eine Phryne, welche am Dammtor stand, sagte: »Wenn heute die Juden beleidigt werden, so geht's bald gegen den Senat, und endlich gegen uns.« Kassandra der Drehbahn, wie bald gingen deine Worte in Erfüllung!

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Seid ganz tolerant oder gar nicht, geht den guten Weg oder den bösen; um am Scheidewege zagend stehend zu bleiben, dazu seid ihr zu schwach – dies vermochte kein Herkules, und er mußte sich für einen der Wege bald entscheiden.

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Der Taufzettel ist das Entréebillett zur europäischen Kultur.

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Ich liebe sie (die Juden) persönlich.

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B. Wenn ich von dem Stamme wäre, dem unser Heiland entsprossen, ich würde mich dessen eher rühmen als schämen.

A. Ach, das tät' ich auch, wenn unser Heiland der einzige wäre, der diesem Stamm entsprossen – aber es ist demselben so viel Lumpengesindel ebenfalls entsprossen, daß diese Verwandtschaft anzuerkennen sehr bedenklich war.

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Die Juden, wenn sie gut, sind sie besser, wenn sie schlecht, sind sie schlimmer als die Christen.

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Für das Porzellan, das die Juden einst in Sachsen kaufen mußten, bekommen die, welche es behielten, jetzt den hundertfachen Wert bezahlt. – Am Ende wird Israel für seine Opfer entschädigt durch die Anerkennung der Welt, durch Ruhm und Größe.

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Die Juden – dieses Volk-Gespenst, das bei seinem Schatze, der Bibel, unabweisbar wachte! Vergebens war der Exorzismus – Deutsche haben ihn.

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Ist die Mission der Juden geendigt? Ich glaube: wenn der weltliche Heiland kommt: Industrie, Arbeit, Freude. Der weltliche Heiland kommt auf einer Eisenbahn, Michel bahnt ihm den Weg, Rosen werden gestreut auf seinen Pfaden.

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Wie viel hat Gott schon getan, um das Weltübel zu heilen! Zu Mosis Zeit tat er Wunder über Wunder, später in der Gestalt Christi ließ er sich sogar geißeln und kreuzigen, endlich in der Gestalt Enfantin's tat er das Ungeheuerste, um die Welt zu retten: er machte sich lächerlich – aber vergebens! Am Ende erfaßte ihn vielleicht der Wahnsinn der Verzweiflung, und er zerschellt sein Haupt an der Welt, und er und die Welt zertrümmern.

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Das Heidentum endigt, sobald die Götter von den Philosophen als Mythen rehabilitiert werden. Das Christentum ist auf demselben Punkt gelangt, Strauß ist der Porphyrius unserer Zeit.

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Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen – on n'est jamais trahi que par les siens.

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In Deutschland wird das Christentum gleichzeitig in der Theorie gestürzt und in den Tatsachen: Ausbildung der Industrie und des Wohlstandes.

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Die Philosophen zerstörten in ihrem Kampfe gegen die Religion die heidnische, aber eine neue, die christliche, stieg hervor. Auch diese ist bald abgefertigt, doch es kommt gewiß eine neue, und die Philosophen werden wieder neue Arbeit bekommen, jedoch wieder vergeblich: die Welt ist ein großer Viehstall, der nicht so leicht wie der des Augias gereinigt werden kann, weil, während gefegt wird, die Ochsen drin bleiben und immer neuen Mist anhäufen.

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In dunklen Zeiten wurden die Völker am besten durch die Religion geleitet, wie in stockfinstrer Nacht ein Blinder unser bester Wegweiser ist; er kennt Wege und Stege besser als ein Sehender. – Es ist aber töricht, sobald es Tag ist, noch immer die alten Blinden als Wegweiser zu gebrauchen.

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Wie die Männer der Wissenschaft während der mittelalterlich christlichen Periode aus der Bibel heraus die wissenschaftlichen Wahrheiten zu entdeckten suchten, so suchen jetzt die Männer der Religion die theologischen Wahrheiten in der Wissenschaft zu entdecken, in der Geschichte, in der Philosophie, in der Physik: die Dreieinigkeit in der indischen Mythologie, die Inkarnationslehre in der Logik, die Sündflut in der Geologie usw.

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Bei den früheren Religionen wurde der Geist der Zeit durch einzelne ausgesprochen und durch Mirakel bestätigt. Bei den jetzigen Religionen wird der Geist der Zeit durch viele ausgesprochen und bestätigt durch die Vernunft. Jetzt gibt es keine Mirakel mehr, nachdem die Physik ausgebildet worden; Oken sieht dem lieben Gott auf die Finger, und dieser will nicht mit Bosko rivalisieren.

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Jede Religion gewährt auf ihre Art Trost im Unglück. Bei den Juden die Hoffnung: »Wir sind in der Gefangenschaft, Jehovah zürnt uns, aber er schickt einen Retter.« Bei den Mohamedanern Fatalismus: »Keiner entgeht seinem Schicksal, es steht oben geschrieben auf Steintafeln, tragen wir das Verhängte mit Ergebung, Allah il Allah!« Bei den Christen spiritualistische Verachtung des Angenehmen und der Freude, schmerzsüchtiges Verlangen nach dem Himmel, auf Erden Versuchung des Bösen, dort oben Belohnung. – Was bietet der neue Glauben?

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Die Herrlichkeit der Welt ist immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes, der sie betrachtet. Der Gute findet hier sein Paradies, der Schlechte genießt schon hier seine Hölle.

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Unsere Moralbegriffe schweben keineswegs in der Luft: die Veredlung des Menschen, Recht und Unsterblichkeit haben Realität in der Natur. Was wir Heiliges denken, hat Realität, ist kein Hirngespinst.

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Heilige wie der Stylit sind jetzt unmöglich, da die Philanthropie sie gleich in einer Irrenanstalt unterbringen würde.

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Gibt's in der Geschichte auch Tag und Nacht wie in der Natur? – Mit dem dritten Jahrhundert des Christentums beginnt die Dämmerung, wehmütiges Abendrot der Neoplatoniker, das Mittelalter war dicke Nacht, jetzt steigt das Morgenlicht herauf – ich grüße dich, Phöbus Apollo! Welche Träume in jener Nacht, welche Gespenster, welche Nachtwandler, welcher Straßenlärm, Mord und Totschlag – ich werde davon erzählen.

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Ich sehe die Wunder der Vergangenheit klar. Ein Schleier liegt auf der Zukunft, aber ein rosenfarbiger, und hindurch schimmern goldene Säulen und Geschmeide und klingt es süß.



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