Moritz Heimann
Die Tobias-Vase
Moritz Heimann

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5

Am nächsten Morgen betrat sie zufällig das Frühstückszimmer in dem gleichen Augenblick mit ihrem Mann. Bevor sie sich begrüßen konnten, sprang der Hund mit lautem, freudigem Gruß auf seine Herrin zu; mit Erstaunen gewahrte der Pfarrer, mit welcher Kälte sie, fast mit Widerwillen, das Tier abwies. Auch Gaston war über ihr Verhalten verwundert, und nachdem das Frühstück beendet war, drückte er sich, den ihm sonst verfeindeten Hund leise rufend, zur Tür hinaus. Nun gab die Pfarrerin ihrem Manne Rechenschaft über ihren Auftrag an Thornow und erzählte alle Umstände, aus denen der Brief entstanden war. Davon, daß Thornow weggehen würde, sagte sie nichts, sprach aber flüchtig von dem wahrscheinlichen Kirchenbau.

Sie hatte in der Nacht wenig geschlafen, doch war ihr nichts anzumerken; ihre Wangen waren nicht blasser als sonst und ihre Augen in voller Ruhe. Daß eine Erschütterung ihres Gemüts stattgefunden hatte, vor der alle übrigen Angelegenheiten klein wurden, äußerte sich nur darin, daß sie ihre Auskunft ganz ohne Triumph und auch ohne Stolz auf Thornow gab. Aber der Pfarrer wurde durch etwas an ihr, durch etwas im Zimmer, aufs äußerste betroffen. Er sah an den Wänden entlang und sah sich nach dem Hund um. Er hatte ihr, während sie sprach, starr auf die Lippen geblickt, so daß er, um es zu verstehen, noch einmal hören mußte, was sie zu berichten hatte.

Dann aber füllte Freude sein Herz, eine überschwengliche Freude. Fast zur Qual wurde es ihm, daß er Thornow nicht im Bereich seiner Hände hatte, ihn nicht streicheln und necken konnte, wie er gewohnt war. Er lief in die Bibliothek zu der Vase. Wie herrlich stand sie ihm nicht wieder zur Augenweide und zum Glücke da und sandte die kräftigen, heiteren Feuer ihrer Sommerfarben nach allen Seiten! Gerührt betrachtete er das schöne Werk.

Aber während er seine Freude an dem Gedanken steigern wollte, daß ihm die Vase, nun solche Schwankung und Prüfung daran erlebt war, noch teurer geworden sei, kam eine bedenkliche Überlegung in ihm zu Worte. Er war Thornow so hingegeben dankbar, wofür? Weil er etwas Arges, Kleinliches nicht getan hatte. Doch braucht es dafür Dankbarkeit? Aber der ihm das Arge, das Kleinliche zugetraut hatte, der mußte sich schämen.

Severin ertrug es nicht, sich zu schämen. Er rang mit dem Gefühl und wand sich frei. Darüber aber erblaßten die Farben der Vase, erstarb und erkältete ihr Leben. Langsam sank sie in seinem Urteil zu der Stufe herab, die einmal sein Groll ihr zugewiesen hatte; es wurde wieder zum Fehler an ihr, was er vordem als solchen angesehen hatte, zum Fehler, Makel und Vorwurf.

Und zum zweitenmal: wie die Vase, so Thornow. Was einmal gegen den Freund gesprochen und gefühlt war, das war da, das ließ sich nicht so einfach stumm machen. Es war ein Scherz, so sprach die neue alte Stimme in dem Pfarrer, aber man macht nicht einen solchen Scherz, wenn man dergleichen nicht, und sei es in dem flüchtigsten Gedanken, erwogen hat. Muß man einem Menschen viel verzeihen, Tun und Denken, wohl – nur ihm, dem Thornow, durfte es nichts zu verzeihen geben.

Als der Pastor dieses dachte, war er stolz auf seine Fähigkeit zu einer so strengen Liebe. Aber einmal ausschweifend in seinem Dichten und Richten, glitt er in eine Niedrigkeit der Empfindung, in der kein eingebildeter Stolz ihn schützen konnte. Wer weiß, sprach es in ihm, ob er die Wahrheit gesagt hat! vielleicht hat er die Vase wirklich für den Professor haben wollen, dann ist ihm das Glück mit der Kirche dazwischengekommen, sein Ehrgeiz hat ein höheres Ziel, und nun verursacht es ihm nicht viele Kosten, großmütig zu sein.

Die Pfarrerin saß noch, als ob sich etwas Entscheidendes ereignen müsse, wartend am Tisch. Sie hatte mit einem Wunsch ihn weggehen sehen in seiner Freude, sie sah ihn mit dem verdüsterten Gesicht zurückkehren. Er trat zu einer Schieblade, nahm einen Brief heraus und las darin, sie sah, daß es Thornows Brief war. Da stand sie auf und verließ den Raum. Der Pfarrer steckte den Brief in die Tasche und nahm Hut und Stock; es war ihm, als müßte er fliehen, um nicht in ein Gespinst verstrickt zu werden, dessen Fäden sich unsichtbar in seinem Hause spannen.

Auf der steinernen Brücke des Dorffließes saß Gaston, ließ seine Beine über dem Wasser baumeln und sonnte sich den Rücken. Neben sich hatte er den neugewonnenen Freund, den Hund, und kraulte ihm ohne Scheu das Fell. Der Pastor vergaß in seiner Zerstreutheit, den Jungen zu tadeln, weil er aus der Werkstatt geblieben war, und achtete auch nicht darauf, daß Knabe und Hund sich ihm anschlossen.

Bald zögernd, bald stürmisch ging er dahin, und ohne ein Wort zu sagen folgte ihm Gaston, ohne einen Laut der Hund.

Der Pfarrer, dem es nicht um Wahrheit, sondern um sein vermeintliches Recht zu tun war, gedieh zu keinem Ergebnis und kam in ein dumpfes, rastloses Zürnen.

Plötzlich wandte er sich mit einem heftigen Ruck nach seinen Begleitern um; er sah sie an, und da blitzte ihm ein verzerrtes Bild ihrer Gemeinschaft durch den Sinn, die lächerliche Ähnlichkeit mit der Wanderung Tobiä, Engel, Knabe und Hund. Die Wut rötete sein zartfarbenes Gesicht, mit harten, scheltenden Worten trieb er den Jungen zurück. Nach ein paar Schritten drehte er sich nochmals um, drohte mit der Faust, ja vergaß sich so weit, daß er, als der Knabe wieder stehenblieb, sich in der Art, wie man einen Hund scheucht, zur Erde bückte, als wenn er einen Stein aufheben wollte.

Kaum aber war er nun, wie er meinte, erleichtert, weitergegangen, so kam es mit einer peinvollen Bitterkeit über ihn. Er erkannte, daß der Junge, dem er ein geistigeres, seelischeres Leben so oft hatte einreden und aufschwatzen wollen, heute zum erstenmal aus einem zarten Gefühl und guten Herzen sich ihm genähert hatte.

Er hatte an einem Scheinen von Liebe die Welt gemessen und zu klein befunden; aber weder Liebe noch Gerechtigkeit hatte er bewiesen, er hatte nur um sie gewußt und hatte gewünscht. Die Welt aber gibt der Seele nur wieder, was die Seele ihr gibt, und achtet Wünsche noch nicht als Gabe.

Da wehrte er sich nicht länger gegen die Scham, er rang die Hände, und es lief ihm kalt über die Haut. Er kehrte um und eilte heim.

Zu Hause traf er seine Frau mit verweinten Augen. Er erschrak und fragte, was ihr begegnet sei. Sie lächelte und sagte, es sei nicht so arg. Dann führte sie ihn in die Bibliothek, und er sah, daß die Vase zerbrochen war. Sie stand übrigens fest, nur ein großes Stück der bauchigen Rundung war eingeschlagen, und die Scherben lagen, schon sorgsam gesammelt, neben dem Gefäß.

Der Schrecken des Pfarrers wuchs. War ein Wunsch ihm erfüllt?

Doch diesen Verdacht, der sich in ihm regen wollte, ertrug er nicht.

Er fragte, wie das Unglück geschehen wäre, und erfuhr, daß Gaston mit seiner Schleuder mutwillig und boshaft die Vase zerbrochen hatte.

»Wo ist er?« fragte der Pfarrer, zur Verwunderung seiner Frau ohne Jäheit. »Ich habe ihn auf sein Zimmer gewiesen«, war die Antwort.

Der Pfarrer, der bleich geworden war, als er den Namen Gastons hörte, konnte sich nicht erholen. »Ich denke, Liebste«, sagte er, »wir lassen ihn aus unsern Händen. Nicht zur Strafe! Ich fürchte nur, wir haben ihm nichts zu geben. Was soll er hier? Wir werden ihm immer Unrecht tun.« Die Pfarrerin nickte sehr ernst zwei-, dreimal.

Er aber fing an, mit äußerster Sorgfalt die Scherben in die Lücke zu fügen, und sah zu seiner Freude, daß alle Stücke da waren; die Bruchflächen waren nur an wenigen, nicht zum Bilde gehörigen Stellen zersplittert, und nur wo der Stein aufgeschlagen war, in das Gewölk zur rechten Seite, war die Farbe abgesprungen. Er ließ sich ein Schächtelchen mit Watte geben und legte behutsam jedes Stückchen hinein.

»Wie traurig das aussieht«, sagte er, auf die Vase zeigend; »Thornow soll kommen und wird es uns heil wieder zusammenfügen.«

Sie überwand das Zittern ihrer Augen und sah ihn um so fester an, wie das Erröten sie tiefer und tiefer erglühen ließ und fast des Atems beraubte.

Sie schwieg, und sie beschloß, zu schweigen. Und hätte sie nicht sollen fest und freudig sein, mit ihrem Geheimnis, trotz ihrem Geheimnis?

Wenn die Magnetnadel nicht zittern könnte, könnte sie auch nicht nach Norden zeigen.


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