Ulrich Hegner
Auch ich war in Paris
Ulrich Hegner

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Dritter Theil.

 

          Quacunque libido est,
Incedo solus
Horat.    

 

Wer ist ihr gleich, dieser großen Stadt, der Mächtigen, welcher Gewalt gegeben ist über alle Sprachen und Völker der Erde! Um deren Gunst die Könige buhlen, und von deren Zauberkelch die Söhne des Reichthums trunken werden! Die sich mit der Beute des Sieges bekleidet, und sich schmückt mit fremdem Golde und Juwelen! Deren Menschenfluthen rauschen wie die Stimme eines großen Wassers, wie eines starken Donners Stimme! – Wahrlich, schon ihre Außenseite, das was ihr an der Stirne geschrieben und allen Augen zur Schau steht, enthält für den Fremdling so viel Geheimniß und Uebung der Weisheit, daß ich um den Genuß ihrer verborgenen Reize niemand beneide, bevor ich diese äußern geprüft habe. Nicht also an den Tafeln der Großen, nicht im Kreise einzelner Familien, noch im Umgange mit Gelehrten, sollte es mir auch vergönnt seyn, werde ich zuerst den Charakter dieser Hauptstadt und die Sinnesart ihrer Bewohner aufsuchen, sondern auf Straßen und öffentlichen Plätzen, wo es nur Augen die sehen, und Ohren 196 die hören können, bedarf, um den Geist des Volkes zu fassen, der sich im Stehen und Gehen, Geberden und Sprache, Handel und Wandel, Zeitvertreib und Arbeit, bey fröhlichen Auftritten, oder da »wo es ein Unglück zum Besten gibt,« kurz allenthalben offenbart, wo zahlreich und ungezwungen die Leute sich regen. Hier zeigen sich dem freyen Zuschauer am auffallendsten die Abweichungen von seiner Landessitte, die er nicht unbemerkt lassen darf, wenn ihrer schon der Eingeborne, dem sie natürlich oder alltäglich sind, nicht achtet; hier wird ihm mancher seltsame Zug, worüber in feinern Gesellschaften oft geflissen, aus Lebensart oder Vaterlandsliebe, vor dem Ausländer ein Schleyer geworfen wird, sichtbar werden. Denn hier verstellt man sich am wenigsten, oder doch vor dem stillen Beobachter nicht, weil man seiner nicht achtet. Verstellung aber, so leicht sie den täuscht, welchen sie im Auge hat, ist oft für den, auf welchen sie nicht gerichtet ist, ein hellerer Spiegel der Seele, als ungeschminkte Ehrlichkeit. Wer will, kann noch den Vortheil anführen, daß man sich auf freyer Straße geschwinder von der Falschheit wenden, und sie vergessen kann, als in der Gesellschaft, wo man oft Stunden lang an sie gebunden, und in ihrem giftigen Dunstkreis geängstigt wird.

Man wende nicht ein, daß Neuheiten auf der Straße gesammelt nur vorübergehendes Interesse haben; sagt dieß die Erfahrung, so lehrt eine andere eben so richtig, daß man auch im Umgange mit der 197 gebildeten Classe sich dieses Geständniß nur zu oft machen müsse, wo ebenfalls, so viel ich weiß, zu einer »Gift«Ueber die Reinigung und Bereicherung der deutschen Sprache von J. H. Campe. Braunschweig, 1794. Seite 144. Vergnügen zwey »Giften« Geduld unentbehrlich sind. Man ennuyirt sich zuletzt an den Tafeln der Vornehmen und im Umgange mit den Gelehrten, wie auf dem offnen Markte; wurden nicht selbst die Tischgenossen Friedrich des Großen endlich des Salzes seines Witzes, wie der Gewürze seiner Speisen überdrüßig!

Meiner Meinung nach muß also der Menschenbeobachter in Hauptstädten, wenn er in seinen Erfahrungen regelmäßig zu Werk gehen will, bey dem öffentlichen Leben des Volkes den Anfang machen. Er wird lange genug lehrreiche Beschäftigung dabey finden, und wohl eher müde als fertig worden. Findet er dann noch Zeit und Gunst zum Zutritte bey höhern Ständen oder ruhigern Zirkeln, so werden ihm auch diese anziehendern Genuß verschaffen, je mehr er zuvor sein eignes Urtheil über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und den Charakter des Volkes festgesetzt hat.

Das, was ich weiß, mit dem was ich sehe zu vergleichen, und hieraus mir täglich neue Erfahrungen zu sammeln; diesem mikrokosmischen Schauspiele, so lange es mir gefällt, als einziger Zuschauer beyzuwohnen, dieß ist das Geschäft und die Freude meines kurzen 198 Hierseyns. – Für wen mag aber ein langer Aufenthalt besonders anzüglich und vortheilhaft seyn? Für den, denke ich, der viel Zerstreuung zu seinem Glücke bedarf, oder für den Reichen, der sein Geld auf die beste oder schlechteste Weise anwenden will, für den dreisten Charlatan, oder für den großen Künstler, wofern er schon einen berühmten Nahmen hat, denn sich erst einen Nahmen zu machen, wird er hier tausend Hindernisse finden; vorzüglich muß wegen der allanerkannten Humanität der hiesigen Gelehrten das Leben in Paris dem behagen, der zu seinem Studium viel Subsidien und wissenschaftlichen Umgang nöthig hat. Auch wer in der Kenntniß der großen Welt, und in der feinen Lebensart, sein Glück zu finden glaubt, wird, was ihm die eleganten Zeitschriften seines Vaterlandes noch zu wünschen übrig lassen, hier nicht umsonst suchen, und sich bald bis zur zartesten Selbstgefälligkeit ausbilden können. Für die übrigen ehrlichen Leute aber mag Paris doch zuletzt so langweilig werden, als irgend ein Provinzialstädtchen; vielleicht noch langweiliger, weil man hier gar nichts von ländlicher Natur sieht, – so wenig, daß ein Landsmann von mir um der Ideenverbindung willen sich sogar des Kuhstalles im Jardin des Plantes mit allen Sinnen freute – wogegen man des betäubenden Geprängs und täuschenden Scheins doch endlich überdrüssig wird, und sich dann auf einzelne Bekanntschaften beschränkt, worin, wenn die erste Zurückhaltung verschwunden ist, das Unkraut 199 menschlicher Leidenschaften auch aufkeimt wie allenthalben.

Gute Bekanntschaften sind indessen schwerer zu machen, als man glaubt, unter dieser Unzahl von Leuten, denen man nicht trauen darf, ehe man sie kennt; hingegen kann man so leicht Vergnügen und Gesellschaft ohne Bekanntschaft finden, daß der Fremde nur zu leicht den Vortheil des ordentlichen Umgangs vernachlässigen, und andern ohnedieß zu befriedigenden Neigungen folgen lernt, wozu hier so viele Thüren offen stehen. Ich bin zwar auch der Meinung, daß, um glücklich zu seyn, man seinen Neigungen folgen müsse, aber erst wenn man sie mit Klugheit geprüft hat, da aber die wenigsten sich hierzu Zeit nehmen, so beseufzt auch so mancher heimkehrende Corydon reumüthig seine Thorheit.


Heute (28. May) war die Gemählde-Gallerie wiedrum geschlossen, weil man immer etwas darin zu verändern hat; ich ging also in die heilige Versammlung der Antiken, wo ich jetzt mit dem Verzeichniß in der Hand anfing, ein Bild nach dem andern zu betrachten, und meine Beobachtungen flüchtig niederzuschreiben, um solche zu Hause weiter auszuführen, oder wenigstens künftig eine Erinnerung meiner eignen Ansicht zu haben. Da ich selten das Glück habe, gleich von dem ersten Anblick begeistert zu werden, sondern 200 den Gegenstand eine Zeit lang vor mir haben muß, ehe meine Gedanken sich zu regen anfangen, so finde ich auch desto eher Muße, dieselben an Ort und Stelle schriftlich aufzufassen, und befinde mich bey dieser Beschäftigung, wenn sie schon eben keinen genialischen Ruf hat, recht gut, denn nicht nur verfliegen ohne dieses Mittel dergleichen Gedanken oft unwiderbringlich, sondern sie geben uns auch die treffendsten und bezeichnendsten Ausdrücke, weil sie die Geburt der unmittelbaren Wahrnehmung sind, lichtvolle Eingebungen, die keine spätere Ueberlegung hervorbringen, aber wohl rectificiren kann und soll. So brachte ich, zwey Säle durchgehend, manche Bemerkungen zu Papier, wovor indessen niemand erschrecken soll, denn sie sind zu weitläuftig um hier Platz zu finden, oft auch zu unverdaut und zu gewagt, um damit ohne Anmaßung hervortreten zu dürfen.

Niemand störte mich an diesem Geschäfte als ich selbst, weil ich mich zuweilen vor den Leuten scheute, die mich darum ansahen, so mit der Schreibtafel von einem Bilde zum andern schreitend den Antiquar zu machen, und etwas anders zu scheinen als ich war. Zur Erhohlung stellte ich mich dann neben den Eingang hin, um, da heute jedermann Zutritt hatte, die Wirkung zu beobachten, welche der Anblick dieser Götter und Helden auf die Menge der Kommenden mache, und hatte die Freude, hier augenscheinlich die geheime Gewalt der wahren Kunst zu sehen; denn bey allen, 201 ich mochte das Experiment bey Gens comme il faut oder in anima vili machen, verwandelte sich die angeborne überschwengliche Unbefangenheit, mit welcher sie hereintraten, unwillkührlich in ein stilles ehrfurchtvolles Betragen, als sie sich von allen Seiten mit diesen ernsthaften, und mit übermenschlicher Würde bekleideten, Gestalten umgeben sahen. Ein Beweis, daß jene Unbefangenheit doch eben so sehr ein Werk nachgeahmter Eitelkeit, als ausgebildetes Bewußtseyn des persönlichen Werths sey. Beyde Geschlechter, schien es mir, ließen den Anspruch auf modische Grazie, womit sie sich sonst brüsten, fahren, und huldigten, ohne es zu wissen, dieser unerreichbaren Einfalt und Größe.

Das war der allgemeine Eindruck. Hingegen fand ich dann hier nicht das schnelle Wohlgefallen an einzelnen Kunstwerken, nicht die Sympathie der Einbildungskraft, welche ich in dem Gemähldesaal beobachtet hatte. Zwar sprach jeder Mund öffentliche Lobpreisung aus – es war Huldigung die jeder diesem glorreichen Eigenthume seiner Nation, diesen Denkmahlen ewig berühmter Siege leisten zu müssen glaubte – aber insgeheim bemerkte ich an dem größten Theil der Anwesenden, bey aller Ehrfurcht, doch eine gewisse Unbehaglichkeit des Geschmacks, die ich von den aufgeklärten, von allem sprechenden, Parisern nicht erwartet hätte. So befremdete einige die colossalische Größe, andre irrten die Verstümmlungen oder sichtbaren Restaurationen, noch andern gereichte das 202 Nackende, wo nicht zur Aergerniß, doch zur Zerstreuung; diese besprachen sich über die blinden Augen, jene über die unnatürlichen Haare, den meisten waren die Füße zu gerade gestellt – kurz ich fand meine schon gemachte Beobachtung bestätigt, daß die Sculptur zwar mehr imponirt, aber die Mahlerey viel leichtern Zugang zu dem menschlichen Gemüthe findet.

Sollte man mich fragen, welches von den heute gesehenen Kunstwerken mich selbst am meisten angezogen habe, so würde ich unter den ersten den berühmten Spinarius nennen, den Knaben von Bronze, der sich einen Dorn aus dem Fuße zieht. Ein Bild, das ein idealischer Sinn aus der einfaltliebenden Natur herausgegriffen, und in die Sphäre der Schönheit erhoben hat, ohne seiner menschlichen Wahrheit Abbruch zu thun. Selten mag es einem Künstler gelingen, so viel Natur mit so großer und doch anmaßungsloser Kunst zu vereinigen. Man sucht jetzt die Größe zu sehr in einer strebenden Spannung der Haupttheile, die neuen französischen Bilder sind wie aus dem Fechtboden hervorgegangen, so wie man vormahls die Grazie in der Schlaffheit gefunden zu haben glaubte, und alle Bildsäulen vom Tanzmeister aufgestellt schienen. Man hält hier diesen Knaben für einen Sieger im Wettrennen, aber wie kam er dann zu dieser Stellung? Er müßte sich etwa im Laufe beschädigt haben, und gleich hernach so von dem Volke gesehen worden seyn. Schwerlich ist aber jemahls ein öffentlicher Sieger, 203 den noch der Ruf des Beyfalls umtönt, einer so unbefangenen Stellung fähig gewesen.

Auch bey der Gruppe, die man Amor und Psyche nennt, kann ich nie vorbey gehen, ohne einen Blick der Bewunderung auf den schön gewandten Leib der Psyche, und ihre, ganz in dem Gegenstand ihrer Liebe verlorne, weltvergessende, schmelzende Umarmung zu werfen; welch eine Innigkeit des Kusses!Einige nennen diese Gruppe auch Caunus und Byblis, vermuthlich, weil sie glauben, so könne nur eine Byblis küssen.
    - - Quae cum sit junctissima, junctior esse
    Expetit et vinclo fratri propiore ligari.
– An dem Amor ist zu viel neues, besonders verstellt ihn die ergänzte Nase; ein Unglück, das man, wie ich jetzt sehe, bey den meisten Antiken beseufzen muß.

In der sogenannten Cleopatra sehe ich eine wohlgebildete schlafende Weibsperson, von majestätischem Körperbau, mit einem sehr künstlich gearbeiteten, faltenreichen Gewande, das aber, wie alle Gewänder in Marmor, besonders von dieser Größe, immer schwerer zu werden scheint, je leichter und beweglicher die Glieder der anhaltenden Betrachtung vorkommen. Auch dünkt mich, (vielleicht ist die mir noch ungewohnte Größe der Figur daran Schuld), dem Künstler habe ein etwas gemeines Ideal vorgeschwebt, das er mit mehr practischem Verstande als Empfindung behandelte; die Gestalt scheint mir weder alt noch jung, und der Gliederbau für weidliche Anmuth zu stark zu seyn.

204 Um nicht den Verdacht auf mich zu laden, als hätte ich das Schönste unbemerkt vorübergegangen, will ich auch des Bruchstücks von einem Cupido oder Genius, das in diesem Saale steht, gedenken, des reinsten menschlichen Gebildes, so ich je gesehen habe; ein Engelsgesicht, dessen denkende stille Unschuld und seine Lieblichkeit man nicht mit Worten beschreiben kann; das Ideal eines Knaben, in dem eine göttliche Kraft schlummert, wovon er nur erst eine leise Ahndung hat. – Idealisiren ist nicht schwer, die Neuern lernen es alle, meist ehe sie noch die Wirklichkeit begriffen haben; aber so wie hier das Ideal zu individualisiren, (wenn ich so sagen darf), in dem Ideal die Grundzüge des Einzelwesens beyzubehalten, aus der Art die Gattung zu bilden, das ist der von wenigen erreichte Gipfel der Kunst.

Wenn ich schon schweigen wollte, so rede ich doch. Wer könnte auch schweigen, wenn er aus dieser Gesellschaft kömmt; den stummen Wänden möchte man seine Freude erzählen! Doch nur von einer Bildsäule noch erlaube man mir, ehe ich scheide, ein Wort zu sagen, dem sogenannten Zeno, der in dem Saale berühmter Männer steht. Andre mögen zwar mehr Verdienst haben, wie ich dann nicht läugnen will, daß die trefflichen Bilder des Menander und Posidippus, die männliche Größe und freye ungezwungene Würde ohne Ueberfluß und Ziererey so richtig ausdrücken, zu den schönsten in diesem Saale gehören. Aber dieser 205 Philosoph – wenn es auch der Zeno nicht ist, so ist es doch der Edelsten einer aus seiner herrlichen Schule, oder ein Gottverwandter Cyniker – ist mit solcher Wahrheit dargestellt, und die zur Natur gewordene Selbstüberwindung, Weltverachtung und ernste Ruhe der strengen Vernunft, so rein und ohne allen Schein egoistischer Eitelkeit seinem ganzen Wesen aufgedrückt, daß es mir ist, ich sehe eine dieser Zierden der Menschheit vor mir, und das Πεινεῖν διδάσκει καὶ μαϑητὰς λαμβάνει, das man dem Zeno vorwarf, gern begreife. Am liebsten aber denke ich mir darin den heiligen Epictet, den Sohn der Armuth und den Freund der Götter, der in Geduld und Enthaltung die Weisheit des Lebens setzte, und so männlich that, was er lehrte.


Da heute ein öffentlicher Tag war, und der Zusammenfluß der Kunst und Neugierigen sich immer vergrößerte, so zog ich mich zurück, und ging nach der Nationalbibliothek hin, wo ich aber sehr höflich auf Morgen bestellt wurde, weil sie heute nicht offen wäre. Diese Höflichkeit im Abweisen ist hier allgemein, und weit angenehmer als das verächtliche Anschnarchen, welches ich schon oft erfahren habe, wo aus übelverstandener Wichtigkeit, oder schlechter Bezahlung, oder langer Weile Wärter und Wachen unmuthig waren. Hier darf man alles fragen und alles sagen, wenn es nur mit guten Worten und in anständigem Tone 206 geschieht. Die Franzosen vertragen alles, nur nicht persönliche Geringschätzung, und hüthen sich daher auch, diese gegen andre, am wenigsten gegen Fremde, die den Merkwürdigkeiten ihres Landes huldigen, blicken zu lassen. Mancher Ausländer, der hieher kömmt, um feine Manieren zu lernen, sollte sich dieß besonders merken, weil mancher gerade durch diese auswärts erlernten Manieren sich zu Hause zur Geringschätzung gegen andre berechtigt hält.

Einen Bekannten, der am andern Ende der Stadt wohnt, konnte ich auch nicht antreffen, ich vertrieb mir also die Zeit mit dem Unbekannten, und machte eine Entdeckungsreise in der Stadt herum. Die Gegend, wo ich mich am liebsten niederlassen möchte, liegt am linken Ufer des Flusses, zwischen der Neuen und der Eintrachtsbrücke; hier hat man eine breite Straße, die Seine und die schönen Gebäude jenseits vor sich; man sieht immer was neues, und doch verhallt das betäubende Geräusch in der großen Ausdehnung. Dieß muß aber auch ein von reichen Leuten gesuchtes Quartier seyn, aus dem hohen Preise zu schließen, den man für ein kleines Zimmer forderte. Auch sieht man hier, welches den Platz in meinen Augen noch anziehender macht, einen Kupferstichkram neben dem andern stehen, und ich finde, daß es nicht schwer halten würde, um wenig Geld eine schöne Sammlung alter guter Stücke zu bekommen, wenn man nicht ausschließlich auf vollkommen erhaltene Exemplare und die besten Abdrücke 207 sehen wollte, denn diese werden theuer aufgekauft, und sind selten. Nur an alten gestochenen Portraiten scheint man wenig Geschmack zu finden, wenigstens sehe ich nirgends keine zum Verkauf aufgestellt. Vielleicht aber kaufen sie die Liebhaber der Geschichte auf, und thun, was meiner Meinung nach, jeder Geschichtforscher, und wer eine historische Bibliothek hat, thun sollte, daß sie sich Sammlungen historischer Köpfe anlegen, um auch zu wissen, wie die Leute ausgesehen haben, welche die Welt in Bewegung setzten, und mit denen sie sich so viel in Gedanken beschäftigen. So wie mir, gegen die allgemeine Regel zwar, bey einem Buche das quis eben so merkwürdig ist, als das quid, so interessirt es mich noch viel mehr, ein sinnliches Bild von den Menschen zu haben, die sich vor Millionen andern auszeichneten, und großes Glück – ein etwas seltener Fall – oder großes Unglück über die Menschheit brachten, und ich lese selten von Gustav Adolph und Wallenstein, Carl I. und Cromwell, Carl XII. und Peter I. u. s. w., ohne ihre Gesichter neben einander zu stellen und sprechen zu lassen, und, wahrhaftig, sie sprechen mir Erläuterung über ihre Thaten. Ohne in den Irrgarten der Physiognomik mich zu verirren, kann ich mich doch nicht enthalten, den Umfang, noch mehr aber die Richtung, der Kräfte manches berühmten Mannes nach seiner Gesichtsbildung zu schätzen. Montaignes offenes Antlitz blickt in ein fröhlicheres Leben als Spinozas trübe Miene, 208 der feine Erasmus hat auch in seinem Bilde gefälligere Züge, und verkündigt einen günstigern Richter, als der unholde Samuel Johnson. – Wir machen uns doch von allem Bildlichen Bilder, warum suchen wir nicht von merkwürdigen Menschen die wahren zu erlangen! Ich wollte nicht einmahl, daß ich nicht wüßte, wie Hugo Grotius und seine Frau ausgesehen haben. Ueberdieß erinnert mich das Angesicht eines großen Mannes doch kräftiger an seine Tugenden, als wenn ich seinen bloßen Nahmen an die Wand schriebe, und diese Erinnerung ist mir in meiner Schwachheit schon oft ein Sporn zum Guten gewesen; ob ich gleich weiß, daß viele sind, die das Hausmittel des Beyspiels zum Besserwerden mißrathen, und dafür einzig die durch den Vernunftbegriff selbstgewirkte reine Achtung für das Sittengesetz als neuentdeckte Panacee aufstellen.

Noch hab ich hier in keinem Kupferstichladen unanständige Bilder öffentlich ausgestellt gesehen, ein Beweis, daß die Polizey auch über die Sitten wacht, so gut sie kann.


Des Abends eilte ich in das Théatre de l'opera comique national, ehedem aux Italiens genannt, wo ich aber nicht fand, was ich nach dem alten Ruf erwartete. Zwar war eines der Stücke, die man gab, (es thut mir leid den Nahmen vergessen zu haben) nicht ohne Verdienst, weil es noch den Charakter der 209 alten Opera comique hatte, worin die Franzosen ehedem unübertrefflich waren, leichten Gesang, komische Intrigue, fröhliche Handlung, und die Naivetät, nicht der Natur aber einer liebenswürdigen jovialischen Sorglosigkeit, die man hier dem arkadischen Leben für eigenthümlich hält, und die von plumpem Spaße gleichweit entfernt ist, als von der Langweiligkeit neuidyllischer Unschuld. Aber die zwey andern Stücke waren Possenspiele, die mir dieser Bühne unwürdig schienen. In dem ersten trat Friedrich der Große auf, der, wie der Calif in Tausend und einer Nacht, Abends in den Straßen seiner Hauptstadt herumgeht, (nach seiner Gewohnheit, wie meine Nachbarn sagten) um zu hören, was die Leute von ihm reden. Er wurde mit möglichster Nachäffung in der Kleidung und Stellung vorgestellt, sogar das nachlässige Tobaknehmen wurde nicht vergessen, aber – welch ein lahmer Friedrich! Indessen versicherte man mich, que le Prince Henry, qui était son oncle, avait été frappé de la ressemblance, als er dieses Stück hier gesehen, und daß er dem Schauspieler ein großes Geschenk gemacht habe. Ich war aber nicht von dem Gout dieses Prinz Heinrichs, und hätte den abgeschmackten Kerl, der es wagen durfte, den großen König in diesem Mißbilde darzustellen, vom Theater hinunter stoßen mögen. Solche sinnliche Nachahmungen ins Häßliche sind dem Zweck der Schaubühne ganz zuwider, die ihre Helden, wenn sie nicht lächerliche Personagen sind, verschönern, nicht 210 verunstalten muß. Ein Mangel an Bildung, den man von einem so berühmten Parisertheater nicht erwarten sollte.

Die Schönheit der männlichen Stimmen, die Leichtigkeit, mit der sie das Gespräch führen und die Geschmeidigkeit der Action machten mir übrigens viel Vergnügen, und wenn meine Erwartung dieß erste Mahl nicht befriedigt wurde, so sind die daran Schuld, welche von jeher zu viel Aufhebens von diesem Théatre Italien machten. Damit ist aber nicht gemeint, daß ich nicht einst noch so viel Gefallen als andre daran finden könne, wenn nur einmahl die zu hohe Idee durch die Gegenwart verdrängt ist, und der erste Unwille über den Widerspruch der Erwartung nicht mehr die wirklich gute Seite verdeckt. Es geht uns ja auch so mit berühmten Leuten, an denen wir so oft irre werden, wenn wir sie persönlich vor uns haben; sie können gemeiniglich nichts dafür, warum machten wir uns übertriebene Vorstellungen von ihnen! Wenn man in solchen Fällen nur dem Aberwillen nicht Platz gibt, so wird man gewiß auch bald mit den unerwarteten Vorzügen der Sache bekannt werden, wobey dann allgemach die vorgefaßte Meinung schwindet, und man vergnügt ist mit dem was man vor sich hat. Uebrigens scheint mir dieses Schauspiel zu dem wohlgefälligen herkömmlicher Art zu gehören, an welches man nur durch Nebenumstände gezogen, und nur durch Gewohnheit festgehalten wird, wobey man sich zuletzt aber 211 recht gut behagt, und es als tägliches Hausbrot nicht mehr gern an die edlere Herzstärkung des unbedingteren Großen und Schönen vertauscht.

Da ich aber nicht hieher gekommen bin, mir einen künstlichen Geschmack an Vergnügungen, wozu mich keine Neigung zieht, zu erwecken, und solche mit Zeitverlust mir zur subjectiven Nothwendigkeit zu machen, so werde ich auch dieses Theater selten mehr sehen; zumahl da ich die ganze Straße Richelieu durchlaufen muß, um nach Hause zu kommen, und diese Straße, wenn die Schauspiele zu Ende sind, so vollgepfropft von Wagen und Cabriolets ist, daß einer, der nicht die französische Behendigkeit im Ausweichen hat, über der langen Angst erdrückt zu werden, alle Freude der Operette wieder vergißt.


Des Nachts kommen meine Reisegefährten gewöhnlich noch auf mein Zimmer, wo wir dann die neuen Erfahrungen des Tages zusammentragen, und mit den alten vergleichen. Da sie Gesellschaften besuchen, so werde ich manches inne, welches mir sonst verborgen geblieben wäre. So soll, zum Beyspiel, die Achtung der Franzosen für Deutschland und deutsche Literatur eben nicht so groß seyn, wie sie oft in unsern Zeitschriften angegeben wird, sondern es soll leider mehrentheils mit großer Geringschätzung davon gesprochen werden. Unser Geschmack sey schon wieder 212 dans la décrépitude, ehe er noch recht das Tageslicht erblickt habe, sagen sie, und führen dann irgend einen Sprößling unsrer Musen an, dem das französische Gewand schlecht paßt; unsre neue Philosophie arte in scholastische Schwärmerey und modischen Unbestand aus, denn der Kant, den wir noch unlängst angebethet, sey schon wieder von noch abstractern Nachfolgern verdrängt. – So haben sie, wenn sie tadeln wollen, immer etwas von der Schattenseite einer Sache in Bereitschaft, das einer dem andern nachspricht, unbekümmert die Sache selbst zu kennen. Vordem galt wenigstens noch der deutsche Kriegsruhm, aber auch dieser ist jetzt dahin; nur Frankreich und England, meinen sie, verdienen den Nahmen sich selbst schützender Nationen.1801.

Das ist freylich traurig, es soll uns aber nicht verdrießen; denn sobald es ihnen nicht darum zu thun ist, die Ehre der großen Nation zu verfechten, so machen sie es unter sich selbst nicht besser; einer verunglimpft den andern, und das größte einheimische Verdienst wird auch, wie allenthalben, am schärfsten vom Zahne des Neides benagt; der Unterschied ist nur in der Manier, wo anderswo noch breiter Schimpf das Urtheil spricht, da tödten oder beleben sie hier in schneidenden Sentenzen.

213 Nicht gelinder urtheilen sie über das, womit sich die vorigen Zeiten groß dünkten. Es würde, so versichert man mich, sich einer schlecht empfehlen, wenn er das Jahrhundert Ludwigs XIV. lange lobpriese, ohne dem neu angetretenen das Compliment des Vorzugs zu machen. Zwar treten sie in keine directe Widerlegung ein, aber man hört sie bald mit Wichtigkeit die neuern Entdeckungen herzählen, und bey allem Beyfall, den sie euch geben, so viele Fehler an allen großen Männern jenes Jahrhunderts aufdecken, daß, wenn auch das Paulo majora canamus nicht schon auf ihren Mienen geschrieben stände, das Resultat ihrer Aeußerungen ihre Einbildung sattsam enthüllte. »Aus dem großen Condé würde mehr geworden seyn, wenn ihn seine hohe Geburt nicht erniedrigt hätte« – »Türenne wäre heut zu Tage ein guter kaiserlicher Officier, aber zum Commando der französischen Armee taugte er nichts mehr« – »Das Andenken des Marschalls von Sachsen erhält sich durch sein Grabmahl« – »Corneille wird nach und nach unbrauchbar« – »Racine dauert durch den Wohlklang seiner Verse« – »Moliere ist ohne Sentiments und beleidigt die Sitten« – »Lebruns Magdalena ist eine Comödiantin« – »Le Sueur ein Schüler der nach Raphaelischen Kupferstichen mahlte« – »Poussins Empfindung ist an den Antiken zu Stein geworden« – sagen nicht Krieger, Dichter und Mahler, aber die superfinen Kenner dieser Künste, und glauben durch einen solchen 214 Bescheid einem jeden seinen Platz bey der Nachwelt anzuweisen. Dergleichen Formeln sind aber eben so schädlich als unerträglich; schädlich, weil ihnen die unerfahrne Jugend glaubt, und sich an diese Manier zu urtheilen gewöhnt; unerträglich, weil sie etwas unwidersprechliches an sich haben, das unsre Empfindung über die Vorzüglichkeit jener großen Männer laut zu werden hindert.

Wie im Großen, so geht es auch im Kleinen, sagten wir; herrscht die Afterrede in den weiten Kreisen des öffentlichen, so wird sie sich auch in die engen des bürgerlichen Lebens einzuschleichen wissen; herrscht sie allenthalben, so hat sich niemand zu beklagen; und so trösteten wir uns, sowohl über die ungerechten Urtheile, die über das deutsche Vaterland gefällt werden, als auch vorläufig über die kleinen Mückenstiche, die zu Hause wieder auf uns warten. Bey uns geschieht das Ehrabschneiden, wie alles andre, weitläuftiger, hier hat man für jedes Große schon eine Erniedrigungsformel in Bereitschaft. Aber das mag wahr seyn, daß im Fall eines allgemeinen Angriffs der Franzose besser für Einen Mann zu stehen weiß, als der Deutsche.


Wenn ich Abends mit Heimweh zu Bette gehe, erschöpft von dem Taumel des Tages, so erwache ich Morgens wieder mit neuer Freude über mein 215 Hierseyn, und die kommenden Erscheinungen von heute. Da das Museum erst um zehn Uhr aufgeht, und die Kaffehäuser erst um Neune sich öffnen, so beschäftige ich mich inzwischen, meine Betrachtungen niederzuschreiben, oder zum Fenster hinaus zu sehen, wie die Leute an ihre Verrichtungen gehen – und was für eine fremde Welt erblicke ich nicht schon aus meinem Fenster!

Ich sage nichts von den Fiakern, die auf ihre Standpunkte angefahren kommen, nichts von den unzähligen Gemüsekarren, worunter einige sogar von Hunden gezogen werden, nichts von den vielerley Werkstätten und Läden, die sich knarrend zu öffnen beginnen, nichts von dem Geschrey der Milchmädchen, und von dem übrigen Ausrufergeschrey, das in falschen Tönen die Ohren zerreißt. Auch weiß ich nichts über den Telegraph des Louvre zu sagen, der immer gestikulirt, und die Geheimnisse der Politik auf den Dächern verkündigt, ohne daß ein Mensch sie versteht, als der Oedipus, der seine Räthsel zu lösen berufen ist.

Aber was da an den vier Ecken der Kreuzstraße, wo ich wohne, geschieht, das gibt mir jeden Morgen schon genug zu schaffen. An einer von diesen Ecken hat sich zwischen zwey Schutzsteine ein fröhlicher Schuhputzerjunge eingezwängt, der jedem Vorübergehenden seine hülfreiche Hand anbiethet; ihn stört in seiner Munterkeit nicht Sonnenschein noch Regen, weder Hunger noch Durst, keine unempfindliche Verachtung 216 vermindert die seltsame Höflichkeit, womit er sich den Leuten nähert, nichts aber geht über das innige Wohlgefallen, womit er wiederhohlt den Sou betrachtet, welchen er etwa über das Gewohnte erhält. Wahrlich ein treffendes Bild der Genügsamkeit, das laut auf der Straße spricht, wie noch so manche andre Tugend, wenn wir ihrer nur achten wollten, und das Gute nicht immer bloß im Glanze suchten.

Gegen diesem Jungen über sitzt auf der Erde eine lange hagere Frau, die ein halbes Dutzend kleine Brote, und eben so viel gefärbte Eyer im Schooße hat. Den ganzen Tag hockt sie schwermüthig da, ohne Dach vor dem Regen; sie regt sich kaum, und nie sehe ich sie etwas verkaufen.

Einer andern Ecke hat sich ein altes, von Jahren gebücktes Weib bemächtigt, welche mitleidig auf die vorige hinunter sieht, denn sie vermag doch eine eigne Bude. – Aber welch eine Bude! Ein niedriges, enges, aus morschen Bretern übel zusammengeflicktes Hüttchen, das mit schwarzen Lumpen vor dem Wetter geschützt ist. Da hinein krümmt sich das häßliche Mütterchen, und hat drey weiße Teller mit verkäuflichen Eßwaaren vor sich; an den Tellern sind Stücke ausgebrochen, und die Speisen – o Gott! ich habe sie in der Nähe gesehen! Schwarze Brocken gekochten Fleisches, keine ganzen Stücke mehr, sondern was man angekaut auf den Tellern liegen läßt, vernagte Knochen, alles wie den Hunden abgejagt und schon für 217 den Anblick schrecklich, wie groß muß erst der Hunger seyn, der sich zum Essen entschließen kann! Diese Frau ist immer die erste des Morgens auf ihrem Platze, dann kommen arme Leute, ehe das Getümmel angeht und sie gesehen werden – –

Um diesen Anblick noch recht beklagenswerth zu machen, so sitzt in einem ähnlichen Stalle eine ähnliche Alte mit einem ähnlichen Krame gerade dieser vorüber, und thut ihr noch in dem armseligen Gewerbe Abbruch. Statt sich in Einen gesellschaftlichen Vertrag zu vereinigen, oder »wenn sie dazu in sich selbst das Mittel nicht finden können« sich wie andre kleine Independenzen wenigstens föderalisiren zu lassen, schauen sie sich den ganzen Tag über, wie Rom und Carthago – mit Blicken des Neides an, und verbittern sich noch ihr trauriges Leben. Wenn sich ein Mahl bey der einen ein Käufer zeigt, und sie sich dieses kümmerlichen Trostes ihrer Armuth freut, was muß nicht die andere empfinden, daß er nicht zu ihr gekommen ist!

Wohl sagt man mit Recht, daß in Paris das Größte und das Kleinste, das Höchste und das Niedrigste zu finden sey. Welch ein Unterschied zwischen diesen letzten Zufluchtsorten des Hungers, und den großen Eßwaarenlagern am Eingange des nichts als Glück und Freude verkündenden Palais Royal, wo sogar die Schuhputzer eigne Zimmer mit großen Spiegeln halten, und dem, der sich putzen läßt, unterweilen einen Armstuhl hinstellen, und eine Zeitung zu 218 lesen geben! Ein Unterschied, wie zwischen dem Museum und den alle hundert Schritte sich findenden Quodlibetsbuden, denen kein Sudelgemählde zu abscheulich ist, daß sie es nicht feil biethen; wie zwischen der Nationalbibliothek und der Collection de livres spirituels à deux liards la pièce, die ich gestern auf der Straße verkaufen sah.

Noch ein klägliches Hülfsmittel der Dürftigkeit sehe ich jeden Morgen. Ehe noch die Karren kommen, welche das Kehricht der Häuser von den Straßen wegführen, nahen sich arme Leute diesem Kehricht, und wühlen mit Stäben darin, um altes Papier, Scherben, Lumpen und Leder herauszusuchen. Oft arbeiten an einem solchen Haufen zugleich ein armer Mensch und ein armer Hund in Vertragsamkeit neben einander.

Ist mein Auge dieser Scenen des Elends müde, so darf ich nur von der Straße weg auf das erste Stockwerk des vorüberliegenden Hauses sehen. Da tritt täglich, gegen zehen Uhr des Morgens, die schöne junge Frau eines reichen Weinhändlers in niedlichem Negligé auf den Balcon heraus, um die frische Morgenluft einzuathmen, und sich in ihren Blumentöpfen der Natur, und in ihrem Turteltäubchen der Unschuld zu freuen. Sie nährt und liebkoset dasselbe, oder liest mit zierlichem Finger die überflüssigen Blätter von den Gewächsen ab, bis der Freund des Hauses erscheint, und mit Theilnahme ihre kleinen gesprächigen Sorgen vernimmt, wobey er ihr zugleich behülflich ist, die 219 Blumen mit Wasser zu begießen. Manchmahl auch, wenn das Geräusch nicht zu groß ist, liest er ihr noch, ehe er seinen leichten Abschied nimmt, etwas vor, wobey ich sie zuweilen eine Thräne abwischen sehe, weil vermuthlich von einer ame pure et sensible die Rede ist, ein Ausdruck dessen modischer Kraft keine auf Zartgefühl anspruchmachende Französin wiederstehen kann. – Nachher sehe ich sie nicht mehr; wenn aber der Rest des Tages diesem Anfang entspricht, so ist in einem solchen Leben freylich mehr Gemächlichkeit, als in dem jener alten Weiber, und die schöne Dame würde schwerlich mit ihnen tauschen wollen; aber gemächlicher Müßiggang macht das Glück des Lebens auch noch nicht aus, ohne Ungemach lernt sie auch die wahre Freude nicht kennen; doch dafür wird ihr Schicksal schon sorgen. Es ist in unsre unerklärliche Bestimmung ein Bedürfniß zum Leiden wie zur Lust verwebt, und was Ossian the joy of grief nennt, ist kein Unding noch leere Einbildung. Dieses Bedürfniß, ob es gleich nur dunkel wirkt, macht vieles klar, was wir sonst für unbegreiflich halten; so entstehen aus demselben zuweilen die Vapeurs bey jenen zärtlichen Damen, und die sonderbare Hingebung, womit sie sich oft unnöthigen und unangenehmen medicinischen Behandlungen unterziehen, die ihren Grund, weniger noch in der Mode und in der Sucht Theilnahme zu bewirken, als in der unentwickelten Empfindung hat, daß ohne Leiden in der Freude, ohne Arbeit in der 220 Ruhe kein Genuß sey. Sie machen sich krank aus Instinct (das Wort im guten Sinne genommen), um den Vortheilen der Gesundheit mehr Reiz zu geben, so wie man hungern muß, um die Wollust des Essens recht zu schmecken. So wie ich hingegen für jenen schmutzigen Jungen, und jene alten Weiber, die eckelhafte Knochen verkaufen, und die, welche solche essen müssen, keinen natürlichen Ersatz ihres elenden Zustandes mir denken kann – denn Gewohnheit ist kein Ersatz – als das gewaltigere Gefühl der guten Stunden, das ich so oft bey der Armuth wahrnehme. Was geht schon über die beneidenswerthe Behaglichkeit, mit welcher ein Tagelöhner ausruht! – Mögen ihnen dieser guten Stunden manche zu Theil werden, und niemand sie pharisäisch verdammen, wenn sie etwa dieselben, ihrem stärkern Naturtriebe gemäß, nicht mit der Oekonomie benutzen, welche die satte Convenienz der Reichen zu beobachten vorgibt!

Da ich sie nicht glücklich machen kann, so möchte ich mir sie doch gern in einen leidlichen Zustand hinein glauben, und dafür finde ich keinen zureichendern Grund, als in dem auffallenden Gleichgewicht, das zwischen Freud und Leid in allen menschlichen Verhältnissen herrscht, und sich so unparteyisch an keinen Stand und keine Glücksumstände bindet; gleichsam ein höherer Wink, den, wer auf sich selbst Achtung gibt, am besten aus eigner Erfahrung kennen lernt, und den man einstweilen als eine der kräftigsten 221 Rechtfertigungen des Uebels in der Welt aufstellen könnte, derjenigen unbeschadet, welche man in einer andern Welt zu suchen pflegt.

Doch was weiß ich! Ich kenne die Hülfsquellen der Natur nicht, noch weniger die Gerichte des Schicksals. Der kann nie irren, welcher den armen Leuten hilft, oft aber der, welcher bloß über ihr Glück vernünftelt.


Mein erster Gang war heute (27. May) abermahl zu den Antiken im Museum, denn die Gemähldegallerie war noch geschlossen. Ich blieb bey meiner Ordnung, sagen die Leute was sie wollen, und fuhr fort, wie ich gestern aufgehört hatte, eine Bildsäule nach der andern sorgfältig zu betrachten.

Bey näherer Bekanntschaft mit diesen an Kunst und Bedeutung so verschiedenen Figuren, fang ich an, deutlich zu bemerken, was ich mir sonst nicht hätte nachsagen lassen, daß die idealischen Bildungen mein Wohlgefallen in geringerm Grade erregen, als die, welche einer wirklichen schönen Natur nachgemacht sind. Nicht daß jene aus den zerstreuten Formen der Natur gesammelte, und, wie man glaubt, in Eins vereinte Schönheiten mir zu schön seyn, und ich sie in der Natur nicht einzeln finde, sondern weil mein Erfahrungstakt ihrer zweckmäßigen Einheit widerspricht, und ich mehrentheils empfinde, daß diese 222 zusammengeträumten Glieder nicht von einem Geiste belebt werden könnten, und daß ein solches Gebilde, bey allen zierlichen Verhältnissen, doch weder wahrer Gott noch wahrer Mensch sey. Es ist ein Ideal, fühlen und sagen wir ja sogleich, das heißt bey den meisten: Quanta species, ast cerebrum non habet (keine organische Wahrheit)! es ist aus der Idee des Menschen und nicht der Natur hervorgegangen; wir merken, daß ihm das Ineffabile der Menschlichkeit fehlt, das uns zu unsers Gleichen zieht. Erst wenn wir diese Empfindung berichtigt haben, es sey denn, daß wir uns durch geborgten Enthusiasmus selbst täuschen wollen, können wir das überwirkliche Formwerk bewundern, das ist, den hohen Begriff des Künstlers von dem Großen und Schönen mit dem unsrigen messen, und der Kunst, womit er solchen darzustellen wußte, Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Damit will ich nur die Gründe angeben, warum die bedeutungsvolle Wahrheit edler Natur mir meistens über alle idealische Schönheit gehe. Ich weiß übrigens wohl, daß die Kunst einen höhern Zweck, als bloße Nachbildung der Natur haben muß, daß sie, so wie die Dichtkunst, im Dienste der Einbildungskraft sieht, welche durch ihre Zusammensetzungen an Schein der Größe und Erhabenheit die Natur leicht übertreffen kann, wofern eben jener Geist der Wahrheit nichts dawider hat. Nur ist in den zeichnenden Künsten die Abweichung von der Realität auffallender, als in der 223 Dichtkunst indem diese ihre Schöpfungen uns nicht mit Einem Mahle im überschaubaren Bilde für die Augen, sondern successiv in einzelnen Zügen für die bestechlichere Phantasie stellt, wodurch wir zerstreut und abgehalten werden, die Summe des Charakters zusammenzunehmen, und mit der Natur zu vergleichen, so daß unser Bedürfniß nach Wahrheit durch die Dichtkunst leichter getäuscht werden kann, und wir ihre Helden mit eben der Theilnahme begleiten, als die, welche die Geschichte verewigt. Und doch kann ich nicht verhehlen, daß ich mir noch eher den Epaminondas oder Alexander in der Wirklichkeit denken mag, sie auch lieber persönlich zu sehen wünschte, als einen erdichteten Agamemnon oder Achilles, lieber den Ritter Bayard, als Tancred und Rinaldo, lieber einen ehrlichen Quaker, als den weisen Grandison, so wie aus dem Gebiethe der Mahlerey lieber die schöne Ferroniere, welche da Vinci mahlte, als die Helena, welche Zeuxis aus den fünf Mädchen von Crotona idealisch zusammenstudierte.

Ich würde mich aber selber von der Bahn der Wahrheit verlieren, wenn ich diesen Unterschied zwischen Natur und Ideal zu weit verfolgte, und (wodurch ohnehin in der Kunstphilosophie so viel Unheil gestiftet wird) dasjenige, dessen Grund bloß in der Empfindung liegt, zu einem Gegenstand abstrahirender Untersuchung machte. Denn jene Spur von Lebensunfähigkeit, die uns auch aus den schönsten Idealen 224 anspricht, mag in den Augen der Natur allerdings ihre Richtigkeit haben, für uns aber ist sie mehr eine dunkle Erfindung als eine deutliche Erkenntniß, die wir zum Princip unsers Urtheils zu machen berechtigt wären, denn wir haben ja diese Augen der Natur nicht, sondern einen beschränkten sterblichen Blick, womit wir zwar über die Verhältnisse der Glieder urtheilen, aber von dem physionomischen Grund ihrer Form so viel wie nichts sagen können. Deßwegen ist es auch billig, daß wir jener Wahrheit der schöpferischen Natur nicht weiter nachspüren, als unsre Sinnen reichen, und sie Wahrheit für uns ist, und diese übermenschlich schönen Bildwerke nach festgesetzter Uebereinkunft, die der Kunst ihre eignen Freyheiten gestattet, beurtheilen, und wenigstens als Zeugen der erhabnen Vorstellungskraft ihrer Urheber schätzen, wenn wir schon etwas von ihrer Unnatur merken, oder ahnen, daß ein höheres Wesen in ihnen nicht nur keine Schönheit, sondern den lächerlichsten Widerspruch fände.

Auf diese Betrachtung führte mich die Gruppe, so man Cato und Porcia nennt, deren Wahrheit und sittliche Bedeutung mir über alle Schönheit geht. Sey es nun Cato und Porcia, oder sonst ein Bild zwey Römischer Eheleute, man ist sogleich überzeugt, daß es der Natur entnommen ist, und daß dieß wirkliche Menschen waren, und zwar Menschen von der edelsten Art, deren Adel aber in Bescheidenheit und eine gewisse reine Bürgerlichkeit gehüllt ist, welcher 225 nichts von dem idealischen Heroismus der Alten, noch der genialischen Pretension der Neuen anwohnt. Welterfahrne Klugheit und duldende Festigkeit ist der Charakter des Mannes, und aus dem Gesichte des noch jungen Weibes leuchtet treue Anhänglichkeit, liebevolle Ergebenheit und Keuschheit hervor. Es ist ein Bild einer glücklichen, Gott und Menschen gefälligen Ehe, und wenn nicht das Urbild, doch ein Muster reiner, menschlicher und unverfälschter Treue, eine Scene der Einfalt, die höher als alle Poesie ist.

Die eine Hand der Frau ruht in der Rechten des Mannes, und die andre legt sie ihm auf die Schulter. Auch diese unidealische Stellung, die fleißige Zeichnung der Hände, und die sorgfältige Ausarbeitung des Ganzen, alles trägt den Charakter der Natürlichkeit und physionomischer Gültigkeit. Dieses Bild scheint mir aber auch die Grenze zu bestimmen, wie weit die Kunst in bloßer Nachahmung gehen dürfe, ohne durch sclavische Nachäffung ihre Würde zu verlieren. Wären nicht sichere Zeichen des Alterthums da, ich hielte es für das Werk eines geschickten Meisters aus der Zeit der Wiederauflebung der Kunst, denn diesen Geist athmen Raphaels und seiner großen Zeitgenossen Porträte. Man könnte auch sagen, wenn Albrecht Dürer italiänische Augen gehabt hätte, also würde er deutsche Natur veredelt haben.

Es sind zwar der interessanten Bildnisse noch mehr in diesem Saale, besonders ein herrlicher alter 226 Brutus von Bronze, mit incrustirten Augen, welches sich an diesen schwarzen Köpfen zwar nicht schön, aber doch noch besser ausnimmt, als die dem Marmor eingegrabenen Augensterne. Auch von dem Marcus Brutus, der den Cäsar umgebracht hat, ist eine marmorne Büste da; diesen Brutus mag aber mehr seine berühmte That, als die gemeine Kunst, womit er gemacht ist, hierher gebracht haben, jetzt würde er schwerlich mehr in dieser Eigenschaft aus seinem alten Vaterlande weggehohlt werden.

Allein wenn man einmahl auf einen Gegenstand, der mit unsrer Gemüthsstimmung besonders harmonirt, getroffen, und sich mit Liebe in die Bedeutung desselben hineingedacht hat, so ist es schwer, in der gleichen Stunde gegen andre gerecht zu seyn, die nicht von ähnlichem Charakter sind. Daher thaten mir jetzt weder die andern Köpfe, noch das ausgezeichnet schöne Gewand der Vestalin von Versailles, noch selbst die fließenden Umrisse des capitolinischen Antinous, nach der, wenn man will, harten, aber so rein angegebenen Bestimmtheit des Cato und Porcia, die gefällige Wirkung, die sie vielleicht ein anderes Mahl haben werden, wenn ich von sinnverwandtern Beschauungen zu ihnen hintrete.


Heute stand nun die Nationalbibliothek offen, und ich lief begierig hin. Wir täuschen uns aber gar oft 227 selbst über die Gegenstände unsrer Begierden, und wenn wir von etwas gehört haben, das andern ausschließend merkwürdig oder für sie ein Mittel war, sich ehrenvoll auszuzeichnen, und wir kommen unversehens in die Nähe eines solchen Gegenstands, so geschieht es öfters, daß die Erinnerung an das Scheinglück der Beschäftigung dieser Leute uns zu stark ergreift, und uns eine Zeit lang in ihren Lebenskreis und in ihre Arbeitslust exaltirt, bis wir dann an Ort und Stelle selbst wieder zurechtkommen, und die wächsernen Flügel der Einbildung an dem brennenden Feuer der Selbsterkenntniß schmelzen. So ging es mir jetzt. Ich zog als ein Ufenbach, als ein Biörnstahl ein, aber mit jedem Schritte, den ich durch dieses, himmlische oder höllische, Heer von Büchern that, sank mir der Muth, und ich hatte bald mit einer entgegengesetzten, weniger als natürlichen, Leerheit zu kämpfen.

Was will ich hier? fragte ich mich selbst. Die Bände zählen? Das thaten schon hundert andre – Die großen Globen anstaunen? Das seh ich nur gemeine Leute thun – Die Gefälligkeit des Bibliothekars erforschen? Ich weiß nichts mit ihm zu sprechen – Seltnen Büchern nachfragen? Es fallen mir keine ein – Soll ich alte Codices conferiren? Ich kann sie nicht lesen – Oder gar über die τρεῖς μαρτυροῦντες Untersuchungen anstellen, die mich, Gott verzeihe es, gar nicht interessiren?

228 Ich saß in eine Ecke, und suchte mich jetzt mit der Unbedeutsamkeit der Bibliographie zu trösten, die sich wie die Botanik, so wie sie heut zu Tage von unsern schönen Geistern getrieben wird, mit der Kenntniß der Nahmen begnügt, und mit unfruchtbaren Nomenclaturen breit macht. Wie wenig erhebliches, sagte ich, haben im Grunde jene Männer, die ich oben nannte, und andre Ihresgleichen, mit aller ihrer Unermüdlichkeit gegeben! Meistens eben so geistleere als hochtönende Nachrichten von Büchern, die, wie Hüsgen von Dürerischen Kupferstichen sagt, ihrer Seltenheit wegen unter die raren Stücke gehören, Nachrichten, denen nichts einen Werth gibt, als die Verliebtheit der Behandlung, ein Zauber der auch Kleinigkeiten adelt.

Bloße Bücherkunde, fuhr ich fort, um mir durch Uebertreibung Luft zu machen, ist eine subalterne Wissenschaft für Gedächtnißhelden und kleine Geister, die dadurch höchstens das Verdienst architectonischer Handlanger bekommen. Durch sie steigt nicht empor, wer eigner Anschauungen und Erkenntnisse fähig ist. Als Winkelmann aus dem Käfich der Bünauischen Bibliothek entronnen war, und sein ins Erhabne strebender Geist einen freyen Flug erhielt, wie bald sprach er mit Gleichgültigkeit von dem, was sein zurückgebliebener Franke bis ins Grab als Hauptsache trieb! Dem Geschmacke des edeln Denis war seine Arbeit an der kaiserlichen Bibliothek nicht zuträglich. Lessing 229 gefällt mir in seinen critischen Collectaneen oft so wenig, als ein Fürst, der drechselt, und sollte er auch die feinste Arbeit liefern. Selbst der berühmte Prinz Eugen wäre mir schwerlich als ein großer Mann vorgekommen, als er in der Bibliothek zu Cassel nach Serveti Restitutio Christianismi fragte.

Aber ach! was helfen alle Citaten fremder Schwäche gegen den Unmuth über eigne Ohnmacht! Sie haben nur den Schein von Trost. Ich kann mir doch nicht verhehlen, daß jene Handlanger mit mehr Ehren hier empfangen würden, als ich, und auch aller Ehren werth sind, wenn sie ihr Werk mit Ordnung treiben; ja diese Gelehrtenclasse ist gewöhnlich die glücklichste, weil sie die friedlichste ist, und wenn bey ihr nicht das Werk dem Meister, so macht desto öfters der Meister dem Werk Ehre.

Wer selbst kein Gelehrter (es grinsen mich hier zu viel Unbekannte an, als daß ich mich so nennen dürfte) und nicht mit gelehrten Empfehlungen versehen ist, wer sich auf keine künstlichen Fragen gerüstet hat, und wem die unzählige Menge von Büchern alle Lust zu einem Einzelnen raubt, wen die Eitelkeit nicht treibt, sondern die Demuth plagt – Was kann der in einem solchen Pandämonium der Gelehrsamkeit thun? Ihm bleibt nichts übrig, als in sich gekehrt und still herumzugehen, und was er von außen nicht lernen kann, wenigstens von der Stimme, die in ihm 230 spricht, und ihre Lehren in trauriger Lage und an großen Orten gern hörbar werden läßt, zu vernehmen.

Ein angenehmerer Anblick als die unendlichen Bücher, waren mir die vielen Menschen, welche die Bücher benutzten, und einen großen Tisch entlang jeder mit seinem Fache beschäftigt waren. Leute von allen Classen und Altern saßen ruhig neben einander, sogar Frauenzimmer waren darunter, hübsche Mädchen, die ihre gelehrten Untersuchungen mit so viel Anmuth anzustellen wußten, daß man hätte der Foliant seyn mögen, den sie umschlangen. Auch mehrere gemeine Soldaten saßen da, und einige arme Leute, die so lumpig gekleidet waren, daß ein Spötter die Bemerkung machte, sie suchten Recepte gegen das Ungeziefer. Mir aber waren diese am merkwürdigsten; sie müssen, dachte ich, entweder in bessern Umständen eine gelehrte Erziehung empfangen, oder sich selbst in Armuth, durch Kreuz und Leiden, zu dieser Freude an der Wissenschaft gebildet haben. Ich hätte was darum gegeben, ihre Geschichte zu wissen, oder auch nur sehen zu können, wonach sie forschten. Es ist doch immer ein Zeichen innerer Kraft, in diesem Zustand äußerer Unbehaglichkeit noch Bedürfnissen des Geistes Gehör zu geben, und den Tempel der Musen opferbringend im Bettlergewande vor den Augen der bösen Welt zu betreten.

Im Innern der Bibliothek ist ein großes Zimmer für Alterthümer und Seltenheiten, das mit den 231 ungleichartigsten Sachen, wie bey einer Versteigerung, überhäuft, überladen und überhängt ist. Von den gewaltigen Quaderstücken mit Inscriptionen aus den ältesten Zeiten Griechenlands, über die man auf dem Boden hinstolpert, bis zum modernen Fauxbrillant Boucherscher und Natoirescher Gemählde, die hoch an der Wand hängen, füllen Merkwürdigkeiten aller Zwischenzeiten jedes Räumchen aus. Raritäten aus Ost- und Westindien, Otaheite, China und Egypten, Geschmeide und Waffen ferner Nationen, der Schild des Scipio und das Schwert Heinrichs IV. Man sagt, daß ersterer das nicht sey, wofür er gehalten wird, wenigstens kein tragbarer Schild, denn so eine Last hätte kein Sterblicher gehoben. Aber auch Heinrichs Schwert würde mir verdächtig vorkommen, wenn man nicht so bestimmt wissen könnte, daß es das seinige gewesen, denn es ist von so steifer und unbehülflicher Form, daß es wenigstens das nicht seyn kann, welches er schwang, als er seinen Freunden in der Schlacht zurief: ne m'offusquez pas, je veux paraitre! Oder als er auf einen tapfern Gegner (Casteau Regnard) mit den Worten ansprengte: Rends toi Philistin!

Opfergeräthe, Götzenbilder, Hetrurische Gefäße, welche letztere ich bisher nur aus den d'Hancarvilleschen Abbildungen kannte, die aber, wie ich jetzt sehe, sehr gut nachgemacht sind. Eine schöne Sammlung von geschnittenen Steinen, worunter mir besonders ein Dutzend Cameen, auf denen Hunde, Tiger und 232 Pferde geschnitten sind, auffielen, wegen der grandiosen Zeichnung und feinvollendeten Kunst, womit diese Thiere gearbeitet worden; ich weiß nicht, sind sie neu oder alt, und sahe niemand, den ich darüber fragen konnte, welches mir auch ziemlich gleichgültig war, denn ich bethe das Alte nicht mehr so ausschließend an, wie vormahls, und lerne täglich, daß auch das Neue schön seyn kann.

Und was soll ich von der Isischen Tafel sagen, als, ich habe sie gesehen und, ich thue mir was darauf zu gut, auch sogleich ohne Beystand erkannt, ob ich schon nie eine Abbildung davon sah, und nicht einmahl wußte, daß sie in Paris sey. Ein Denkmahl egyptischer Kunst, an welchem schon so mancher Ausleger sich den Kopf zerbrochen, über welches der, in Erklärungen der Alterthümer mehr gelehrte, als glückliche Lessing eine eigne Abhandlung geschrieben hat, oder schreiben wollte, und welches man ehemahls in Turin so heilig hielt, daß ohne besondre Erlaubniß des Königs niemand den Zutritt hatte, das lag nun aufgedeckt vor mir, ohne daß ich einem Menschen ein gutes Wort dafür zu geben brauchte. Ich konnte zwar nichts daran sehen, als daß es eine viereckige, an den Seiten heruntergebogene, Tafel von Kupfer ist, auf welche egyptische Figuren gegraben sind, die ich nicht verstehe. Indessen sieht man doch so etwas gern, wie alles was Aufsehen in der Welt macht, sollte es auch aus keinem andern Grunde seyn, als um einen 233 sinnlichen Eindruck davon zu haben; so wie man glaubt, mit einem großen Manne viel näher bekannt zu seyn, wenn man ihn auch nur Augenblicke gesehen, als wenn man Jahre lang von ihm gehört hat – welchem aber auch so seyn mag.


Als ich mit einigen Landsleuten zum Mittagessen, und nachher in das schöne Caffehaus unter Gezelten in dem Tuileriengarten ging, sollte ich ihnen immerfort von Hause erzählen; ich stand aber so oft still, und hatte so vieles zu sehen, was nicht nur meine Neugier lockte, sondern auch mein Herz beschäftigte, daß sie mir im Unwillen Kaltsinn gegen mein Vaterland vorwarfen. Hätte ich aber vom Vaterlande sprechen, und hätten sie hingegen lieber von dem, was unter unsern Augen vorging, reden wollen, so würden sie mir Gleichgültigkeit gegen meinen Nächsten vorgeworfen haben. So sind die Menschen! Zum Glück bin ich gegen den Vorwurf von Kälte schon so abgehärtet, daß ich ohne Mühe ihn selbst mit Kälte anhören kann. Warum muß er aber mich treffen, dieser Tadel, sagte ich, hänge ich doch mit ganzer Seele an allem, was die Menschheit schätzbar macht! Was kann ich dafür, wenn ich bey den nichtswürdigen Kleinigkeiten, wodurch sich manche so leicht in Bewegung setzen lassen, nichts fühle! So oft ich aus Gefälligkeit oder Eitelkeit Mitgefühl geheuchelt habe, ist es mir 234 übel bekommen, weil ich aus meinem Charakter heraus trat, in dessen engen oder weiten Schranken ich immer männlich verharren sollte. Kalt ist, wessen Empfindung von den Gegenständen nicht erwärmt wird; hier, in diesem Menschengewimmel, erfahre ich noch besser als zu Hause, daß mir noch Sinn genug für die Menschlichkeit übrig bleibt, ohne daß ich nöthig habe, mir eine ostensible Empfindsamkeit anzugewöhnen, oder eine Rolle mit meiner Empfindung spielen zu wollen, wobey so leicht das vernünftige Handeln, welches ihr folgen sollte, vergessen wird. Die Leute nehmen aber oft das Feuer des Temperaments für Wärme der Seele, und seinen physischen Ausdruck für Herz; sie preisen es an andern, und rühmen es an sich selbst, und wer nicht mitbrennt, heißt kalt, obgleich gerade diese feurigen Geschöpfe meist an echter Empfindung die kältesten sind, und eben nicht Ursache haben, mit ihrer Temperamentsschwachheit sich noch zu brüsten; bedarf es doch bey einer solchen Complexion oft nur eines unbedeutenden Funkens, um den ganzen Empfindungsvorrath, und mit ihm die Ueberlegung, wie Pulver in die Luft zu sprengen; wie selten kann da ein Gefühl treu und wahr werden!

Kalt waren der Priester und der Levit, die den Verwundeten hülflos liegen ließen; wahrscheinlich aber wäre in ihnen bey Verurtheilung der Mörder ein wärmerer Gerechtigkeitseifer erwacht, als in dem 235 barmherzigen Samariter, der so viel Empfindung für den Unglücklichen bewies.

Sehet, sagte ich meinen Freunden oder hätte ihnen sagen können, wenn ich gern wortwechselte dort unterm Zelte jene junge Mutter, wohlgekleidet und ehrbar in einer Ecke sitzen, die an der Seite ihres Mannes dem Kinde die Brust reicht, und, nicht achtend der vorüberziehenden Menge, nur in dem Gedanken an ihren Säugling, und in dichterischer Phantasie über jede seiner Bewegungen lebt, wahrhaftig, mein Herz bewegt sich im Mitgefühl über ihre einzige Freude! Aber wenn diese Mutter verlangte, ich sollte mit ihrem Kinde tändeln, so müßte ich in ihren Augen als ein kalter Mensch erscheinen, weil ich einem Säugling, der mich nicht ansieht noch versteht, nichts zu sagen weiß, und über das, was ich etwa der Mutter zu sagen hätte, mir bey einem solchen Anblick das Wort im Munde erstirbt. – Oder wenn ein einfältiger Vater mir begegnet, welches ihr wohl auch schon erfahren habt, der meint, ich solle, wie er, das dreiste Geschwätz seines Knaben für witzig halten, gerade wenn ich wünsche, daß der Junge sein Maul hielte, so kann ich ohne Schmeicheley doch keine warme Theilnahme äußern, wenn ich schon dadurch richtig wieder den guten Nahmen eines Kinderfreundes auf das Spiel setzen muß.

Nicht minder lassen mich auch die Leute kalt, die auf meine Empfindung warten wie der Pöbel auf ein 236 Trinkgeld; Leute, die nie allein und für sich empfinden können, und nicht aus Freundschaft, sondern aus Anmaßung verlangen, man soll alle ihre Affecten mit ihnen theilen, und mit ihnen lieben und hassen. Dergleichen gibt es eine Menge, die, wenn sie euch ihre Angelegenheiten erzählt haben, und ihr nicht sogleich in ihren Ton einstimmt, weil ihr noch ansteht, ob es der rechte Ton sey, euch für kalt und unempfindlich ausschreyen.

Hauptsächlich aber bewahre einen Gott, daß seine Empfindungswärme nicht in Revolutionen auf die Probe gesetzt werde, wo böser Wille sich Freyheitsliebe, und kurzsichtiger Eigensinn sich alte Treue nennt; wo Schwärmer und heuchlerische Laurer ein thermometrisches Register über jeden selbstdenkenden Mann führen, nach welchem aller Wahrheit zum Trotze sein Werth und Unwerth bestimmt werden soll; wo man die schwache Seite am politischen Freunde nicht einmahl mehr leise berühren, vielweniger das Gute am Feinde gut nennen darf; wo zwey Parteyen, jede aus Liebe zum Vaterlande, das Vaterland zu Grunde richten, und dabey wechselsweise in schaalen Proclamationen den Gott ihrer Väter anrufen, als wenn jede unter dem besondern Schutz eines eignen Jehovah stände; und man dieses alles noch rührend und schön finden sollte. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen! Denn wer da noch kalt bleibt, und sich nicht hinreißen läßt zu den Jubeltönen der siegenden, oder 237 den Verwünschungen der unterliegenden Partey, wer nicht in jeder Wolke den Vorbothen des allgemeinen Untergangs, und in jedem Sonnenstrahl, der durch die Wolke bricht, den Anfang eines ewigen Freudenlichts erblicken kann, der lasse sich gefallen, als ein lauer Freund des Vaterlandes angesehen, und durch die nächste Gnadenwahl von jeder bedeutenden Wirksamkeit entfernt zu werden. (1801 u. s. w.)


So vertrieb ich meinen Landsleuten die Neugier, und mir die Zeit, bis die Stunde des Schauspiels kam, wo ich heute das Vaudevilletheater besuchte.

Das Anziehende dieses Schauspiels scheint mehr auf besondern Anspielungen, oberflächlichem Witze, und vorübergehenden Anecdoten zu beruhen, als auf treffenden Charakter- und Sittengemählden, und jenen gewaltigen Blicken in das menschliche Herz, die wie Blitze die Nacht erhellen; gleichwohl sagen sie: C'est le genre d'Aristophane, fügen aber hinzu: adouci par la politesse française, das heißt in ihrer höflichen Sprache: von den griechischen Unreinigkeiten gesäubert und also vervollkommnet, obschon der Ausländer es anders übersetzen möchte. Züchtiger in Worten sind freylich diese Spiele, aber wo ist die Aehnlichkeit mit Aristophanes? Gallicismen sind noch keine Atticismen – Wenn ich etwas Französisches mit jenem Griechen vergleichen wollte, so wären es eher einzelne Scenen 238 aus dem alten Théatre Italien von Gherardi, wo die herrschenden Fehler der Zeit und der Großen eben so scharf, und öfters mit eben der witzigen Ungezogenheit gezüchtigt werden. Wenigstens kam in den drey Stücken, die heute aufgeführt wurden, eben so wenig von des Aristophanes herrlicher Laune, als von seinem zerreißenden Grimme gegen alle Anmaßung der Hohen und Niedern zum Vorschein, aber wohl manche leichte Späße, wovon jedoch die meisten ihr Daseyn mehr der Kunst des Schauspielers als des Dichters zu danken hatten. Conventionelle Naivetät (übereinkünftliche Unbefangenheit sollte ich nach der Sprachbereinigung sagen, wenn diese französische Eigenschaft sich in gezwungenem Deutsch bezeichnen ließ) und gewandte Fröhlichkeit war das auszeichnende Merkmahl dieser jolies riens, wie sie bisweilen auch genannt werden, wenn ihre Schwäche die Vergleichung mit etwas besserm nicht zuläßt.

Ob es gleich einem Fremden unbegreiflich seyn mag, wie sich der Geist des Lustspiels in die Form von Vaudevilles anders, als durch eine schnell vorbeyziehende Mode, bannen lasse, so sind es doch die Vaudevilles, die diesem Theater seinen Ruf gegeben haben, und diese Mode hat sich unter dem so flüchtigen Volke schon so lange erhalten, daß man ihr kaum mehr diesen Nahmen geben darf. Das mag wohl daher kommen, weil diese Art von Liedern der eigenthümliche und einzige Vorzug ist, worin die 239 Französische nicht von der Poesie andrer Völker übertroffen wird. In die Vaudevilles haben die Franzosen ihren feinen Witz, die eigne Wendung ihres Geistes, und so nach und nach ihren ganzen Nationalcharakter, und einen merkwürdigen Theil ihrer Geschichte zu legen gewußt. Eine chronologische Sammlung solcher Blumen wäre, kein Heldengedicht zwar, aber ein Nationalepos voll wahrer lebendiger Darstellung, wo der immer jugendliche Geist dieses Volkes unter allen Gestalten der Munterkeit, des Leichtsinns, der Galanterie und des Ehrgefühls – zuweilen auch der Barbarey – vor uns hingaukelt, und in fröhlichen Bildern die Gegenstände seiner Liebe und seines Hasses offenbart. Wenn die Franzosen auch noch so viel Wesens mit ihrem Trauerspiel, sey es nun mit Recht oder Unrecht, machen, so ist die Liebe zu demselben doch nur im Verstande, allein ihr natürlicher Hang und ihre Zärtlichkeit ist für das Vaudeville. Manches Schauspiel hat schon großen Lärm in Paris gemacht, gewöhnlich aber war es mehr der Lärm zwischen zwey Parteyen, die sich in Gunst und Ungunst theilten, als eine allgemeine Begeisterung des Wohlgefallens; wie manches Vaudeville hingegen ist in dieser unermeßlichen Stadt mit der Schnelligkeit des Windes von Ohr zu Ohr geflogen, und vom Throne bis zur Hütte der Armuth von allen Lippen gelallt worden!

Das helle oder dunkle Gefühl von dieser seiner wahresten Poesie macht, daß das Volk derselben, und 240 alles dessen was aus ihrem unerschöpflichen Quelle fließt, nie müde wird. Daher vermag nicht nur dieses Theater sich immer noch zu behaupten, sondern seine Manier ist sogar auf andre übergegangen, ohne daß man sich zu bekümmern scheint, was der gute Geschmack dazu sage, wenn das Vaudeville als ein Gegenstand musikalischer Verehrung aufgestellt, oder zum Vehikel der dramatischen Poesie gemacht wird.


Meine Zeit beginnt nun nach und nach eine regelmäßigere Eintheilung zu bekommen; die unruhigen Triebe herumschweifender Neugier machen von selbst einer vernünftigen Beschränkung Platz. Welcher Fremdling wollte es auch aushalten, vom Morgen bis an den späten Abend auf Entdeckungen in dieser kleinen Welt auszugehen, und seine Aufmerksamkeit allen den Neuheiten, die ihm jeden Schritt begegnen, zu schenken! Fürwahr, wenn es auch sein Körper aushielte, der Geist nähme dabey Schaden; denn nichts schwächt das Gedächtniß so sehr, und bringt die Seele unvermerkt um ihr größtes Gut, die Kraft sich zu anhaltender Betrachtung zu sammeln, als diese Art von Geistesgenuß, die man in beständiger Abwechselung neuer pikanter Vorstellungen sucht. Wenn auch der Witz durch solche Zerstreuungen Nahrung erhält, weil es leicht ist, an so viel vorüberziehenden Bildern einige auffallende Aehnlichkeiten zu haschen, oder wenn 241 die Empfindsamkeit sich dabey behagt, weil bey dem schnellen Wechsel der Gegenstände sich viel Stoff zu schönen Gefühlen, und wenig Zeit zur lebendigen That findet, so ist doch eine solche Art sich zu beschäftigen, wenn man sein Hauptwerk daraus macht, nicht nur auf Reisen, sondern in jeder Lage des Lebens, eine höchst verderbliche Schwelgerey, die sich in Ueberdruß, Schaalheit des Witzes und Ohnmacht der Vernunft endigt.

Wenn man mich aber fragt, was denn nun meine ernsten Beschäftigungen seyen, und ich antworte: Museum und Theater, so dürfte mancher lächeln, der seine Seelenkräfte in Obere und Untere zu theilen gelernt hat, und nun jurans in verba aus überreiner Hochachtung für die höhere Erkenntniß alles gering schätzt, was er nur mit der sinnlichen zusammenhängend glaubt. Nach meiner Meinung aber ist nicht nur jedes Ding voll Spaß (der Einbildungskraft), wie der feinste Spaßmacher behauptete, sondern auch voll Ernst (des Verstandes), und ich werde Gott danken, wenn es mir gegeben ist, nur einen Theil von der hohen menschlichen Kraft, die mich aus den Geisteswerken jener schönen Künste ahndungsvoll anspricht, deutlich zu erkennen.


Heute standen zwey neue Bildersäle offen, die sogenannte Galerie d'Apollon, ein herrlicher wohl 242 hundert Schritte langer Saal, der mit den vornehmsten Handzeichnungen berühmter Meister angefüllt ist. Die Decke ist reich mit Gemählden und goldner Stukarbeit geziert, und die beyden Enden des Saals sind mit übergroßen Spiegeln gedeckt, wodurch derselbe den Schein einer unübersehbaren Länge erhält. In dem andern Saale, le grand Salon, dessen Licht nur aus dem offenen Dache von weiter Höhe herunter fällt, und so nicht nur die gefälligste Beleuchtung für die Kunstsachen gibt, sondern aus den Zuschauern selbst wandelnde Gemählde macht, hangen die Meisterstücke von Paul Veronese und andern großen Künstlern, die theils zu groß für den gewöhnlichen Platz, theils so eben angekommen waren, und wegen ihrer Berühmtheit an diesem vorzüglichen Orte dem neugierigen Publicum zur Schau gestellt wurden.

Hier bedurfte es keiner Anrufung der Musen, um zu wissen, was man zuerst und was zuletzt betrachten solle. Alle Augen, die herein kamen, wandten sich sogleich zu der Hochzeit von Cana des Meister Pauls, und alle Blicke blieben daran hängen.

Es ist ein bloßes Prachtstück ohne Verstand, sagen zwar die Bücher, ein Blendwerk für die Phantasie des Pöbels, Schein der Wahrheit nur für das Auge. So kam es mir auch vor, so lang ich es nur aus der Beschreibung kannte; allein ich lernte bescheidner urtheilen, als ich das große Kunsterzeugniß selbst vor mir hatte; denn nicht nur der Pöbel, sondern 243 Künstler, Kenner und Gelehrte sah ich vor demselben verweilen, und ihm Bewunderung zollen. Nicht Le Bruns Schlachten mit aller Kunstrichtigkeit, nicht die feurigen Rubens (dessen Colorit dagegen wie pure Affectation erscheint), nicht der berühmte heilige Romuald des Sacchi, die alle da herum hingen, vermochten ihm den Vorzug streitig zu machen, man fing bey ihm an, und hörte bey ihm auf. Das muß doch wohl mehr seyn als bloßes Blendwerk der Sinne; ein hoher geistiger Werth muß in dem Gemählde liegen, der ihm so lange seinen Ruf erhalten, und immer aufs neue wieder geben kann. Allgemein anerkannt ist die Schönheit des Colorits, die Vortrefflichkeit der mahlerischen Anordnung, die Leichtigkeit und Sicherheit des Pinsels. Nur einmahl eine so vorzügliche Kunst der Färbung, die so selten sich findet, als Raphaels Zeichnung und Correggios Harmonie, ist schon eine außerordentliche Gabe, die keinem bloß durch mechanisches Studium, ohne Genie, zu Theil wird, die mithin Kennern schon als große Eigenschaft respectabel seyn muß, zudem daß sie noch in der Wirklichkeit unmittelbarer zu dem Auge spricht, als jede andre.

Wem springt aber nicht die Originalität in die Augen, der eigne Styl ohne Nachahmung, das lebendige schöpferische Talent, das keiner fremden Studien und keines künstlichen Borgens bedarf, um Auftritte des Lebens mit alle der sinnlichen Schönheit, Heiterkeit und freudigen Bewegung bleibend sichtbar zu 244 machen, wie sie vor der feurigen Einbildung des Künstlers schwebten!

Diese viel umfassende, prächtige Ansicht des Lebens, und die Kraft, so eine Ansicht rein wiederzugeben, diese eigne, ungelernte, selbstständige Kraft ist es, die uns Ehrfurcht gebiethet, oder Liebe einflößt, hier wie allenthalben, wo sie sich findet, wenn wir es gleich oft selbst nicht haben wollen, und lieber an den vorgefaßten Meinungen hängen, oder gar, wenn wir uns genug an dem Anblick geweidet haben, nach der Verkehrtheit unsrer Natur die Regungen des Herzens unterdrücken, und, eingedenk tadelnder Kunstrichterey, das Gesehene verkleinern, um unserm vermeintlichen Verstand Ehre zu machen. Mit was für Recht und Wahrheit aber das geschehe, zeigen wir dadurch, daß wir uns doch von dem nächsten ähnlichen Kunstgegenstande wieder hinreißen lassen.

Es ward dem Mahler ein Raum von dreißig Fuß angewiesen, um darauf die Hochzeit von Cana vorzustellen. Die Wahrheit der Geschichte erforderte eine dürftige Mahlzeit armer Leute, die nicht einmahl Wein genug für eine Hochzeit hatten, was wollte er nun stattliches daraus machen, zumahl ein Wunder keine mahlerische Handlung ist, und wie wollte er den großen Raum mit der wahren Geschichte allein ausfüllen? Er mußte nothwendig die Hülfsmittel ergreifen, die ihm seine reiche Einbildungskraft darboth; und diese mahlte ihm ein herrliches Gastmahl vor, prachtvoll 245 und fröhlich, an welchem sie Theil nehmen ließ, was die Zierde des Adels, der Schönheit, und der Kunst seiner Zeit war, zu Ehren dem himmlischen Gaste, und zum Staunen des Volkes, das sich von allen Seiten her zwischen den Säulen des hohen Pallastes hinzudrängt. Diese große Conception stellte er nun mit so sicherer Kunst dar, daß man nicht weiß, soll man die Mannigfaltigkeit in den Formen, Bewegungen und Farben mehr bewundern, oder die Harmonie, womit er dieß alles, ohne Zerstreuung, in der natürlichsten Beleuchtung, und ohne den willkührlichen Behelf der Schlagschatten und gekünstelter Contraste, zusammen hält. Es ist wahr, er vernachläßigte das Costume und den strengern Styl der Alten; wer aber so einen Ersatz zu geben weiß, dessen glänzende Sünden darf man wohl als Tugenden ehren.

Man ist heut zu Tage viel zu strenge gegen diese Kunstart, und legt, verleitet durch übelverstandene Wünsche der Kenner, und schief angewandte Philosophie, dem Geschmack allmählich einen Zwang an, der bald zu einer gelehrten Trockenheit idealischer Kritik führen, und manche geistvolle Anlage unersetzlich lähmen muß. Es ist recht, morsche Lehr- und Geschmacksgebäude über den Haufen zu stoßen, nur sollte sich der Deutsche vor seiner alten Schwachheit hüthen, um jedes neugepriesenen Mörtels willen sogleich wieder auf die alten Trümmer einen eben so unsichern Bau aufzuführen! – Welches Gemählde leistet denn euern 246 scharfen Verstandesregeln ein Genüge? Selbst Raphaels allanerkannte Meisterstücke, die Verklärung, die Schule von Athen und andre, wären sie nicht schon da, und euch zum Kanon aufgestellt, wie würdet ihr darüber herfahren, wenn ein neuer Künstler sie gerade so machte, wie sie sind. Versucht es, und hängt die besten Arbeiten des verständigen, und sonst so trefflichen Poussin neben diesen Paul Verones, sie werden vor dessen Gewalt verschwinden, und ihr werdet die Ursache davon leicht entdecken; Poussin studierte und ordnete seine Werke langsam zusammen, aus Antiken, Modellen und kalten Ueberlegungen, hier aber schuf ein Genius aus eigner Fülle, und mit einer das Ganze auf Ein Mahl umfassenden Anschauung.

So wenig als die Mahlerey der Ueppigkeit dienen soll, darf sie bloß eine demüthige Magd der Geschichte seyn, und noch weniger nur in die Schranken einer mit andern schönen Künsten gemeinschaftlichen Theorie gebannt werden; sondern sie darf und soll noch ihre eigne Poesie, ein freyes Spiel eigner Schöpfung haben, und die Abweichungen von der kunstrichterlichen Normalidee, die sie sich bisweilen, wenn sie der Genius treibt, erlaubt, sollten nicht gleich als Ausschweifungen getadelt werden. Warum will man allein in der Historienmahlerey eine so strenge Disciplin einführen, in die sich andre Künste doch auch nicht fügen? Soll Homers Gesang allein die Gesetze des 247 Heldengedichts bestimmen, und ist Ariost nicht auch ein Meister?

Diesem Geisteszwang könnte am beßten ein Mann steuern, der sich als einen eben so großen Kunstkenner wie Dichter bewiesen hat, und in seiner Jugend es wagte, öffentlich zu sagen, er habe in einem Krebse von de Heem mehr Poesie gefunden, als in einer Cleopatra von Tischbein. Zwar scheint er beynahe mit dem Wechsel der Jahre auch anderes Sinnes geworden zu seyn; wenigstens hat er durch einige neuere Aeußerungen, die, wie fast alle Urtheile großer Köpfe, nur halb verstanden, oder unmäßig ausgedehnt werden, manchen wiederum bestärkt in dem Vornehmthun gegen alles, was nicht antik und Raphael ist. Ganz kann er jedoch seinen Glauben nicht geändert haben, und da alle auf ihn horchen, so bedürfte es nur einer freyen Erklärung von ihm, worin das wahre Verdienst in der Mahlerey, vorzüglich auch das poetische, welches so oft leeren Anmaßungen seinen Nahmen leihen muß, entwickelt, gewürdigt und geordnet würde, so wie er die Verschiedenheiten des Styls launig geordnet hat, um mit Einem Mahle die verirrten Bäche trüber Meinungen zum hellen Quelle der Wahrheit zurückzuleiten.

Fast eben so schwer als es mir wurde, diesen Saal zu verlassen, wird es mir jetzt davon zu schweigen. Wer erzählt nicht gern von dem, was sein Gemüth in Bewegung setzte! Doch muß man zu 248 schweigen wissen, ehe der Zuhörer nur noch mit der Miene satter Gefälligkeit horcht, welches eine große Demüthigung ist. Nur ein herrliches Bild des Rubens kann ich nicht stillschweigend verlassen, wo er sich, seinen Bruder (der auch kein gemeiner Mensch muß gewesen seyn, aber doch in dieser berühmten Gesellschaft zu kurz kömmt), den Hugo Grotius und Justus Lipsius, zusammen um einen Tisch herum, gemahlt hat. Man denke sich dieses Kleeblatt trefflicher Männer, in Lebensgröße vorgestellt, mit Rubens Geist und Kunstfertigkeit, Kühnheit und Kraft der Farben, und großer Zeichnung, die aber hier der Natur treu zu bleiben gezwungen war, so kann man sich eine Vorstellung von dem Interesse dieses Stücks machen. Man sagt, der Erste Consul wolle es nach seiner Wohnung verpflanzen, was schon mehrern Gemählden widerfahren seyn soll; die Leute führen darüber großes Bedauern, und ich auch, wir bedenken aber nicht, was wir selbst thun würden, wenn wir Meister wären. –


In dem Saale der Handzeichnungen ist die Höhe der Wand mit Cartons von Julio Romano und Pellegrino Tibaldi sehr gut besetzt. Diese großen Zeichnungen von Tibaldi sind mit dem Carton der Schule von Athen aus der Ambrosianischen Bibliothek zu Mayland hierher gebracht worden, der Raphaelische Carton aber hat sehr gelitten, wiewohl mehr von der 249 Zeit als von der Reise. Man hat sich zwar sichtbare Mühe gegeben, ihn wieder dauerhaft zu flicken, dessen ungeachtet ist er jetzt leider mehr als Reliquie, denn als Werk der Kunst zu verehren.

Es finden sich hier auch einige schöne Pastellgemählde von Vivien, die mir weit besser gefallen, als Rosalba. Das liebste dieser Art aber war mir ein Kopf von Nanteuil, der den vortrefflichen Türenne vorstellt, in dem ich noch mehr den edelsten Menschen, als den größten Feldherrn seiner Zeit verehre. So warm ich die Kunst liebe, so geht mir doch das schöne und wahre Bild eines großen Mannes über hundert gepriesene Sachen, so die Erfindung hervorgebracht hat, so daß man mir auch einen der Cartons von Julio Romano neben diesem Turenne, oder einen der großen Rubens aus der Gallerie neben seinem Gemählde von Grotius und Lipsius biethen könnte, ich würde die Porträte wählen.

Nicht zu vergessen ist auch eine Gesellschaft der schönsten und geistreichsten Gesichter vom Hofe Ludwigs XIV. in Miniatur und Schmelzarbeit, meistens von Petitot, mit unendlicher Kunst wie hingeblasen. Man kann sich von der aus mehr als fünfzig Stücken bestehenden, in einem großen Rahmen begriffenen Sammlung, fast nicht mehr trennen.

Um ihres berühmten Nahmens willen muß ich auch zwey Wassergemählde von Correggio erwähnen. Das eine soll die kriegrische Tugend, und das andre 250 die Sinnlichkeit vorstellen; sie gehören aber zu denjenigen Allegorien aus welchen niemand klug wird. Ehe ich erfuhr, von wem sie wären, hielt ich sie für kraftlose Erzeugnisse der französischen Schule, bis mich das Verzeichniß zurecht wies, und mir durch den Stammbaum ihres Besitzes allen Zweifel benahm, denn sie gingen aus einer fürstlichen Hand in die andre. Bey allem Respect für den großen Meister bin ich aber überzeugt, wenn diese Stücke jetzt ein gemeiner Mann besäße, ohne daß man von einem vorigen Eigenthümer etwas wüßte, so würde jedermann über ihre Echtheit die Achsel zucken, und vielleicht aus Gefälligkeit schweigen, um dem guten Manne die Freude nicht zu verderben, Correggios zu haben, aber im Weggehen bey sich ausmachen, ein Liebhaber, der mit Wasserfarben umzugehen wußte, habe sich mit wenig glänzendem Erfolg an einem Correggio versuchen wollen. Nun sind sie aber von erprobtem Adel, und dieser gilt auch hier für Verdienst. Wenn der Meister noch an Etwas kenntlich ist, so ist es an der guten Anordnung, einigen gelungenen Verkürzungen, und der falschen Grazie der Mienen. Wie stark sprechen auch diese Gemählde gegen die Mahlerey in Wasserfarben! Hätte der uuvergleichliche Correggio nur so gemahlt, so ruhten seine Werke und sein Nahme schon lange in der Vergessenheit.

Den übrigen Raum des Saales nehmen Handzeichnungen ein, worunter die französischen weit aus 251 die beträchtlichsten sind, denn die besten Stücke der alten italiänischen Mahler sollen sich in dem Strudel der Revolution auf eine geheimnißvolle Art verloren haben. Von jenen findet sich hier ein großer Schatz, und ich muß gestehen, daß mir diese Handrisse französischer Künstler sehr wohl und meistens besser gefallen, als ihre Gemählde. Das Ungezwungene, Freye und Flüchtige derselben nimmt sich hier, bey richtiger Zeichnung, und gutem Verstand in der practischen Behandlung, besser aus, und kündigt mehr Geist an, als in den ausgeführten Oehlgemählden, wo es durch umständlichere Beleuchtung mit Farben leicht zur flachen Manier wird. Es sind Zeichnungen da von la Hire, le Brun, le Sueur, Mignard und andern Franzosen, die durch edle Composition, und vornehmlich durch die Art und Weise der Ausführung, ähnlichen Arbeiten der berühmtesten Italiäner den Rang streitig zu machen scheinen, mit denen sie, in Farben gebracht, nachher keine Vergleichung mehr aushalten.

Große, und zierlich vollendete Rubensische Zeichnungen von seinen berühmtesten Gemählden, finden sich auch in Menge; sie scheinen mir aber um ihrer detaillirten Ausführlichkeit willen eher von den geschickten Männern zu seyn, die nach ihm in Kupfer gestochen haben.

Tizian und Claude zeigen sich mir auch hier als die Meister in Landschaften, und sind nicht nur durch die großen Ideen ihrer Entwürfe merkwürdig, sondern 252 vorzüglich durch die genialische Einfalt, womit sie diese Ideen zu versinnlichen wußten. Hier ist weder unbestimmte Flüchtigkeit, noch gezierter Fleiß, und nichts von allen den mannigfaltigen Manieren, die oft so unbesonnen der Wahrheit und Schönheit widersprechen, und dann gerade deßwegen Geist genannt werden. Es sind zwar nur leichte Umrisse mit der Feder, wenige Striche, aber so viel umfassend und in großen Formen darstellend, und jeder Zug ist so richtig an seinem Platz, und ein so nothwendiger Theil zum Ganzen, daß man erstaunt, wie ein so großer Reichthum von Gedanken in so wenig Grenzlinien habe gebracht werden können. Und doch sind es nicht bloße Gerippe ohne Styl, sondern sie haben Seele und Leben, und sprechen zu jedem Auge, und leiten uns schneller in arkadische Träume, als so manches Prangstück mit antiken Tempeln und Figuren, deren anmaßliche Größe nichts ist, wenn wir ihr nicht mit eigenen Reminiscenzen gutmüthig zu Hülfe kommen.

Diese zweckmäßige Einfalt in leichten und sichern Umrissen ist freylich nicht jedem gegeben, jeder sollte sich aber derselben befleißigen; sie ist das A und O der Kunst, der Weg zur Wahrheit, den der Meister nie verlassen, und auf den er den Schüler zuerst führen sollte; sie allein gibt und lehrt den reinen Charakter der Formen, der die Grundlage von aller Zeichnung und wichtiger ist, als die Kunst der Wirkungen und die Geheimnisse des Colorits. So zeichneten die Alten!

253 Unter die Gegenstände, die mir hier besonders auffielen, gehört endlich auch noch das entsetzliche Gesicht der höllischen Giftmischerin Brinvilliers, welches Le Brun in der Stunde ihrer Todesmarter mit Farben nach der Natur zeichnete. Alle Schrecken der verzweifelnden Sünde mahlen sich in den wilden rollenden Augen, die keinen Blick mehr haben, keinen Ruhepunkt, sondern vor Gott und Menschen und dem eignen Selbst zurückbeben – und in dem offenen Munde, der nichts mehr spricht als das Geheul des Schmerzes. Ein fürchterliches Bild! Hätte Le Brun in seinen Passionen die Verzweiflung also gezeichnet, sie wäre treffender gewesen, als das Fratzengesicht, so er dafür gegeben.


Die Plaideurs von Racine waren heute für das Théatre français angekündigt. Diese Komödie gehörte ehmahls unter die Schriften, welche ich dazu bestimmt hatte, sie bey festlichen Anlässen, an denen ich nicht gern Theil nahm, zur Schadloshaltung der Ergetzlichkeit zu lesen. Ich glaubte sie also schon lange zu kennen, und konnte den Spaß kaum erwarten, sie an ihrem berühmten Geburtsorte selbst wirklich aufführen zu sehen. Daher theilte ich die Freude auch einigen Bekannten mit, und steckte sie mit meiner Erwartung an. Aber – minuit praesentia famam; das Stück taugt nicht mehr für das Theater, noch das 254 Theater für das Stück. Ich hatte das Mißvergnügen, nicht nur meine Erwartung betrogen zu sehen, sondern, was noch empfindlicher ist, auch das Achselzucken meiner Freunde über meinen Geschmack zu ahnen, die mir zu gefallen hingegangen waren, und nun die Zeit bereuten, so sie darüber verloren. Daran ist aber Racine nicht Schuld, sein Stück ist witzig genug, sondern ich, der ich etwas lobte, bevor ich es gesehen, und die Zeit, welche dem treffenden Spotte seinen Stachel genommen, und die Schauspieler, welche nicht mehr recht in den Geist des Stückes eintreten wollten oder konnten. Es wurde in der Aufführung zum groben Possenspiele, wobey alle Ironie sich zwecklos verlor, weil die Gebräuche des Gerichtshauses nicht mehr die nähmlichen, und die närrischen Personen, die der Dichter meinte, und sein Publicum kannte, längst vergessen sind. Der Auftritt, wo die beyden Bedienten vor dem kindischen Herrn über den Hund plädiren, und der Intimé mit läppischer Wichtigkeit die Manieren der bekanntesten damahligen Advokaten nachäfft, verlor in dem überladenen Spiele alle Bedeutung und Anmuth. Da auch von den Zuschauern nur wenige mit der Geschichte, und den nöthigen Prämissen dieses Lustspiels bekannt zu seyn schienen, so kann man denken, wie gering die allgemeine Lust war. Auch mir verging die Freude um so mehr, da ich niemand um mich herum recht vergnügt sah, und mich nicht recht über etwas freuen kann, wobey ich andere gleichgültig 255 sehe. Ich lernte nun, daß ein Stück auf der Bühne ausgelebt haben kann, wenn es noch lange im Lesen Wirkung thut; so wie es hingegen Schauspiele gibt, die man nicht lesen kann, und die sich auf der Bühne doch ganz ordentlich ausnehmen. Dieses hier wird wohl nur darum noch aufgeführt, weil Ludwig XIV, der als König sonst nicht viel lachen zu dürfen glaubte, sich über der komischen Kraft desselben so vergaß, que la cour en fut étonnée und es also in dem »goldnen Zeitalter des Geschmacks« sein Glück machte, welchem Geschmack man noch immer scheinbar huldigen zu müssen glaubt.


Heute (31. May) ist es Sonntag. Von Jugend auf hat sich in meiner Seele eine feyerliche und poetische Ansicht dieses Tages festgesetzt, deren ich durch keine spätere Belehrungen des Unglaubens los werden konnte, und es jetzt nicht mehr werden mag. Als Knabe hatte ich Ferien, das Sonntagskleid, aß zu Gaste, und die Unlust an der Predigt wurde mir durch den vierstimmigen Choralgesang wieder gut gemacht, der, wenn er am lautesten ertönte, mich so oft in jene jugendlich schwärmerischen Ahnungen versetzte, deren Erfüllung uns in spätern Zeiten bisweilen noch wie ein Schimmer aus dem verlornen Paradiese trifft. Auch an den Glocken hatte ich meine Lust, und oft versuche ich jetzt noch, wie damahls, aus ihrem Klang ihre Anzahl zu errathen. Die Reinlichkeit und Stille der Straßen weckte meine Ordnungsliebe, und machte, 256 nebst dem Putze der Leute und ihrem ruhigern Betragen, daß ich heute alles für glücklicher und besser hielt als gewöhnlich. Des Abends flößte mir die ehrenveste Bürgerlichkeit, mit welcher man sich auf dem Spaziergange zeigte, Achtung für meine Vaterstadt ein. Kurz alles trug dazu bey, mir diesen Tag festlich zu machen. Selbst den Gesang der Handwerksbursche, wenn es dunkel ward, wußte ich mit den angenehmen Empfindungen des Tages in Einklang zu bringen.

Glückliche Zeit der Kindheit, die das Kleine durch Innigkeit groß zu machen weiß! Verschwinden auch deine Eindrücke eine Zeit lang vor dem Blendlichte der Welt, so ruft sie doch, wer die Einfalt liebt und die Wahrheit sucht, bey Zeiten zurück, und auch das zitternde Alter, an dessen schwachem Sinne die Gegenwart nicht mehr haftet, labt sich noch an deinen freundlichen Erinnerungen!

Selbst das freyere Leben der Jugend tilgte nicht die Liebe zu der stillen Feyerlichkeit dieses Tages, und jetzt noch freue ich mich desselben, wo ich immer bin, und seine Ruhe von weltlichen und ökonomischen Geschäften wahrnehme, und in dem stillern, reinlichern und gesetztern Wesen der Leute wenigstens eine scheinbare Spur entdecke.

»Wie sich der Mensch noch seiner erinnere, daß er verständig
»Sey, ein empfindender Geist, nicht ein gefräßiger Bauch!«

257 Zu Hause würde ich jetzt an diesem schönen Morgen aus dem Thore gehen, und auf die Sabbathsstille der Natur horchen, die, wenn sie auch nicht außer mir ist, doch bald in meinem Gemüthe sich bildet, wenn der Schall der Glocken von den benachbarten Dörfern über unser friedliches Thal sich ergießt, und nichts sich regt, als der Vogel auf dem Zweige, und das zarte Laub der Bäume, mit dem ein Hauch des Frühlings spielt. Hier und da sehe ich in der Ferne einen einsamen Bauersmann an den Grenzen seines Ackers hinwandeln, er freut sich heute ausruhend der sichtbaren Früchte seines Schweißes, mit Wohlgefallen an seinem kleinen Eigenthum, und zeigt mir einen Genuß, dessen Reinigkeit der reichste Müßiggang nie wird erkaufen können.

Ach! auch in den wilden Kriegszeiten war mir dieser seltengewordene Sonntagsanblick der Natur noch manchmahl tröstlich. Die Krieger werden endlich weichen, hoffte ich, und dann treten diese stillen waldbekränzten Hügel, diese wohlbekannten Fluren, die ich in schmerzvergessender Phantasie so gern durchirre, wieder in ihren alten Schmuck, und in ihr ewiges Recht, das sehnsuchtsvolle Gemüth, gleichwie sie der Thau erquickt, mit ihrem Frieden zu beseligen.

Unglücklich ist eine Stadt, die keinen Sonntag kennt! Auch hier ist mir, ich müsse den Leuten dieß Sonntagsgefühl anblicken; aber es will nicht gehen, der Lärm überstimmt meine Phantasie. Da der 258 Gottesdienst einstweilen nur noch geduldet, und niemand an den Sonntag zur Feyer gebunden ist, hingegen der Dekadi noch wie ein scheidendes Gespenst dem erschrockenen Volk eine furchtbare Miene zeigt, so entstehet daraus ein unsauberer Dualismus, der dem Guten und Bösen huldigt, und ein wilder Unglaube, der nach beydem nichts fragt, und dieß verursacht zusammen eine unbestimmte Halbheit dieses Tages, die ihn als Sonntag ungenießbar macht. Man hofft aber, dieser Dekadi, über den schon Lieder erscheinen, und der noch da liegt wie ein Stück Eis im Lenze, werde bald gänzlich verschwinden. Unterdessen sehe ich doch heute viele Gewölbe geschlossen, und was diesen Leuten, meiner Meinung nach, viel Verdienst um ihre Religion gibt, sogar im Palais Royal, wo doch ein Gedräng ist wie an andern Tagen, und ähnliche Läden offen stehen, die unterdessen den Gewinn wegschnappen, und wo die Einnahme eines Tages wegen der großen Miethe, so sie bezahlen, gewiß sehr in Betrachtung kommen muß. Es ladet mich Einsamen niemand ein, aber in einem solchen Hause möchte ich wohl zu Mittag essen, wo dem Mammon gerade dann ein Opfer versagt wird, wenn er die reichste Erhörung verspricht; wohl würde ich mich noch manches edeln Zuges dort zu freuen haben.

Wie wenig Achtung aber noch im Allgemeinen die sichtbare Kirche genieße,Nemlich im Jahr 1801. Olim meminisse juvabit – Jetzt steht es freylich besser damit, indessen kann es nicht schaden, wenn auch noch öffentliche Zeugnisse vorhanden sind, wie lange die Gottesvergessene Directorialregierung die Religion in der abscheulichen Erniedrigung gelassen, wohin sie die Revolution gestürzt hatte. Diese elende Regierung, die auch das Glück auswärtiger Völker zu lenken vorgab, indem sie es zerstörte, wußte nicht einmahl, daß das Volk so gut religiöse Bedürfnisse hat als physische, und daß, wenn eine Regierung schlecht handelt, welche dieselben bis ins Ungereimte sich verirren läßt, diejenige noch viel weniger ihre Pflicht thut, welche ihrer gar nicht achtet. Zugleich mag diese kurze Beschreibung mit zum Beweise dienen, wie schnell die spätere Gewalt, durch Klugheit und Ansehen, den Geist des Volks von religioser Anarchie wieder bis an die Grenzen der Hierarchie habe führen können, und was es demnach mit dem Geiste des Volks für eine Bewandniß habe. sah ich heute auf dem Platze 259 vor St. Germain l'Auxerrois, wo einige Schritte von dem Gottesdienste ein Taschenspieler mit einem Hanswurst seine Possen trieb. Dieser rief mit lauter Trompete, die bis in die Kirche erschallte, sein Publicum herbey, da hingegen zur christlichen Versammlung nicht einmahl mit einem Glöckchen geläutet werden durfte. Es ist wohl noch nicht wie es seyn sollte, wenn ein Gaukler mehr tolerirt wird, als die Kirche. Die berühmte hiesige Policey muß ihre besondern Gründe haben, eine solche Unsittlichkeit zu dulden; unter ihrer Aufmerksamkeit kann die Sache unmöglich, vielleicht aber noch darüber hinaus seyn.

Ich bemerkte auch niemand, der sich darüber ungehalten bezeigte. Sie haben aber schon ganz andre Dinge erfahren, wenn es wahr ist, was man mir bey diesem Anlaß erzählte, daß in der Schreckenszeit unweit der mordenden Guillotine ein Harlekin sein 260 Gerüst aufgeschlagen hatte, und unterm Zuruf der Menge jeden blutigen Auftritt mit einer kleinen Köpfmaschine parodirte. Läßt sich wohl eine tiefere Versunkenheit denken, als wenn man die Lust an der Grausamkeit durch öffentliche Possenspiele reizt! Vordem machte man doch nur Trauerspiele daraus.

Man sollte wirklich glauben, die Pariser hätten in den Zeiten, als sie die Vernunft über den Altar setzten, den Teufel angebethet, so gräßliche Spuren von Wuth gegen den alten Gottesdienst trifft man noch in allen Kirchen an. Noch sind die meisten Altäre zerschlagen, die Bildsäulen von ihren Gestellen heruntergerissen, die Verzierungen verstümmelt, und die Wände wie eine Mauer an der Landstraße versudelt. Hin und wieder ist ein schwarzer Stein eingemauert mit der Inschrift: Cette pierre vient d'un des cachots de la Bastille. Eine neue Reliquie statt der alten! – Sie könnten doch wohl mit ihrem Tadel an dem Geschmacke andrer Nationen etwas sparsamer seyn, so lange sie selbst Steine der Bastille in den Kirchen zur Schau aufstellen. Jene Heiligengebeine und Wunderdinge waren doch noch Ueberbleibsel einst verdienter und verehrter Menschen, und das Volk glaubte, heilsame Kräfte aus ihrem Anblicke zu schöpfen, aber was soll es vor so einem unförmlichen Stücke von seinem alten Gefängnisse denken und empfinden? Die Franzosen erzählen von Harlekin, er habe einen Stein von seinem Hause zum Muster für Liebhaber 261 herumgetragen, handeln sie hier nicht ungefehr in gleichem Sinne?

Indessen fängt man wieder spärlich an auszubessern, aus Beyträgen, wozu man durch Affichen in den Kirchen eingeladen wird. Ich ging neulich in Saint Sulpice hinein, wo die Vernunftschwärmerey am unvernünftigsten gewüthet zu haben scheint; da sah man vorn in der Kirche Arbeitsleute, die Gerüste befestigten, Steine herunterwarfen, und hämmerten, daß einem die Ohren gellten, in der Mitte waren die Maschinereyen der Gott und Menschen Langeweile machenden Theophilanthropen aufgepflanzt, und tiefhinten im Chore standen bescheidene Priester, mit ärmlichem Meßgeräthe umgeben, und betheten.

Unter einer solchen Duldung (hier ist das unschickliche Wort noch am besten an seinem Platze) hebt nun die Römisch-katholische Religion ihr ehemahls so stolzes Haupt demüthig wieder aus dem Staub auf, und es ist gewiß eine interessante Erwartung, nachdem die Pforten der Hölle geschlossen sind, zu sehen, wie weit sie die ihrigen wieder öffne, und mit welchem Erfolge das so jämmerlich zersprengte Heer der Heiligen sich wieder unter seine alten Fahnen sammeln werde.


Da der Boulevard am Sonntage ganz dem gemeinen Manne überlassen ist, so wollte ich nun auch sehen, wie dieser seinen Ruhetag feyre, und ging 262 deßhalb von der Porte St. Martin langsam bis zum Eintrachtsplatz hinunter. Der breite Weg in der Mitte dieses aus sechs Reihen Bäumen bestehenden prächtigen Lustgangs war voll Wagen und Reuter, die sehen, und gesehen werden wollten, oder sonst bestimmt waren, heute die Hauptfiguren in diesem beweglichen Gemählde auszumachen. In den Seitenalleen aber gingen die, so ich suchte, in unzählbarer Menge, die Handwerker und kleinen Krämer mit ihren Familien, und alles was man hier la petite bourgeoisie nennt. Ich folgte nun bald dem bald diesem Häuflein nach, und horchte auf ihre Rede, und betrachtete ihr Thun und Lassen. Größten Theils fand ich sie vergnügt wie die Fische im Wasser, aber ehrbarer, aber noch gesprächiger, als ich erwartet hatte.Nunc quoque in alitibus facundia prisca remansit,
Raucaque garrulitas, studiumque immane loquendi.
                            Ovid. Met. Libr. V.
Diese Gesprächigkeit ist unerschöpflich, und ergießt sich mit fast kindischer Vergnügsamkeit und Beschränktheit über alles, was ihnen in diesem Gewimmel vor die Augen kömmt, und einen Moment unter der Windklappe ihrer Vorstellungen halten mag. Der Vater erklärt der gefällig horchenden Frau ihre Beobachtungen, und sucht bisweilen auch die Kinder zu belehren; allein der Junge ist zu zerstreut, und das Mädchen zu sehr mit seinem Putze, und der zierlichen Haltung des Körpers, des 263 Gewandes, der niedlichen Füße, und mit allem dem, was es den Vorübergehenden absieht, beschäftigt, um lange auf die Lehren des Vaters zu horchen; ja viele dieser kleinen Mädchen sind schon so sehr in das Studium und die Representation ihrer Eleganz vertieft, de tenero meditantur ungui, daß sie sich nicht einmahl Zeit nehmen, nach der Lockspeise der allenthalben ausgestellten Kramläden zu schauen, welches sonst ein unwiderstehlicher Zauber für die Augen der Kinder ist. Wenn oft zwey bekannte Familien sich treffen, so fließen sie schnell in Eine Gesellschaft zusammen, wo man sich dann wechselseits die Ehehälften zu galanter Unterhaltung abtritt. Wer aber die Kleinstädterey kennt, und meint, daß es in Paris nichts davon gebe, darf nur einer solchen Gruppe eine Strecke weit nachfolgen, oder sich auf einer Bank neben ihr niederlassen, um sich eines andern zu belehren, und bald eben die Klatscherey, die Achtung für das Unwürdige, und die halbweg sich schon verstehende Convenienz im Selbstbetrug anzutreffen, wie zu Hause. Nur die unnachahmliche Zuversicht, womit sie hier alles thun, der kleine Bürger wie der große, unterscheidet diese Parisischen Kleingässer vor den auswärtigen Kleinstädtern; denn nicht nur sprechen sie von allem, als könnten gerade sie darüber die beste Auskunft geben, sondern sagen es auch noch so laut, als müßte alle Welt es hören. Neulich sah ich an einem öffentlichen Tage in dem Antikensaal zwey solche Männer vor den 264 Laocoon treten, und sogleich über die Schlange, und das Land wo es dergleichen gebe, sich unter einander so redselig verständigen, daß neben ihnen zwey Gelehrte, die sich ihre Gedanken über das Kunstwerk mittheilten, verstummen mußten.

Diese laute Unfehlbarkeit, die sich der Pariser zutraut, und die Erheblichkeit, die er sich über die Provinz und das Ausland so sichtbar gibt, wenn er sie auch nicht ausspricht, ist es vornehmlich, was ihn auch vor andern Hauptstädtebewohnern unterscheidet. Ihm fällt kein Zweifel ein, daß Paris nicht die Hauptstadt der Welt sey, und sich dessen zu rühmen, scheint ihm bloße Gerechtigkeit zu seyn; so wie hingegen jene, wenn sie gleich ebenfalls ihre Manieren für die besten, ihre Herkunft für die reinste, ihre Statuten für die weisesten, und ihre Neuigkeiten, obgleich sonst niemand viel daraus macht, für die merkwürdigsten halten; sich dessen meistens nur unter sich selbst, oder gegen ihre Untern rühmen, in zweifelhaften Fällen aber lieber das Decorum eines kalten Stillschweigens beobachten. – Wer bey dem Gemeinen feyerlich stehen bleibt, und das Bedeutende nachlässig vorüber geht, und keine beßre Weisung annehmen will noch kann, der ist ein Philister, er sey vornehm oder gering, aus der Hauptstadt oder vom Lande her.

Und so findet man bey etwas mehr oder weniger conventionellem Anstrich, den man Lebensart nennt, die Leute, das ist, die Menschen im Umgang, 265 allenthalben ziemlich einerley. Wer den Firniß, dessen alle bedürfen, am besten aufträgt, heißt der feinere, aber ein gesundes Auge sieht bald, was der Firniß decken soll, so wie eine gute Nase oft hinter Wohlgerüchen das Gegentheil riecht. Die feinste Lebensart besteht zuletzt darin, Geduld mit einander zu haben.

Ich kehre wieder auf den Boulevard zurück, wo ich neben dieser geschwätzigen Plattheit des Geistes viel leichte Geschmeidigkeit in den körperlichen Formen, und unbefangene Liebenswürdigkeit in den Mienen sah, besonders fiel mir häufiger, als ich sie noch nirgends antraf, die heitere Freundlichkeit alter Personen auf. Zuweilen glaubte ich auch bey jungen Leuten die Bescheidenheit im Bunde mit der Schönheit zu erblicken, ja vielleicht ist diese Tugend weniger selten, als ich dachte, aber sie gibt sich nicht so schnell im Vorbeygehen zu erkennen. Nie mißte ich sie mehr, als da ein Frauenzimmer, das vor mir her ging, sich umsah, und zu ihrem Begleiter sagte: Allons vite, je vois la figure de mon chien de mari!

Vor diesem hatte ich geglaubt, man dürfe sich in Paris nicht sehen lassen, ohne nach der neuesten Mode gekleidet zu seyn, und jetzt stoßen mir hier auf dem Boulevard solche altväterische Trachten auf, die ich kaum mehr in einem alten Reichsstädtchen gesucht hatte. Ich sehe noch Männer mit Haarbeutelperrucken und Chapeaubashüten, langen Westen, Hosen die kaum an die Knie reichen, und kleinen Schnallen mit 266 heraushängenden Riemen in den Schuhen; bey uns würden ihnen die Kinder nachlaufen, hier läßt man sie aber gehen, wie sie wollen, und ich merke nicht, daß man sie auch nur mit einem Blicke zu kränken suche. Dieß ist jetzt doch etwas, das andrer gemeinschaftlichen Kleinigkeiten ungeachtet, einen höhern Grad von Bildung verräth, daß nehmlich hier die Leute unter sich das unbescheidene Fixiren der Unvollkommenheiten nicht zu kennen scheinen, womit man anderswo seine Beobachtungsgabe beweist, und daß jeder ungehinderter im Sonnenschein auf den volkreichsten Plätzen sich zeigen, als dort am Regentage nur über die Gasse gehen kann. Was ihren Anzug betrifft, scheinen diese Bürgersleute nur einer Uebereinkunft zu folgen, daß er nehmlich am Sonntage nicht werktäglich sey, über dessen Art und Gestalt aber eine durchgängige Verträglichkeit angenommen zu haben.

Diese Verträglichkeit herrscht auch, wie mich dünkt, in den höhern Ständen, denn nirgends seh ich, auch da, wo sich die Vornehmsten zeigen, die modische Einförmigkeit des Putzes, die man an Prunktagen im Auslande sieht. Das hiesige schöne Geschlecht würdigt die Moden nicht bloß nach ihrer Herkunft, wie da, wo man glaubt, was von Paris kömmt, müsse unverändert für alle passen, sondern auch nach dem, was sie vortheilhaftes für das Eigenthümliche der Gestalt haben, und weiß daraus mit Geschmack zu wählen. Bey Mannspersonen sind reine und feine Zeuge 267 die Hauptsache, und selbst die wohlerzogene Jugend ist gar nicht gezwungen, sich sogleich in die Erfindungen zu fügen, womit die Zierlinge des Tages Epoche zu machen suchen. Alles dieses sollte man in der Ferne auch bedenken, und die, welche den Tand der Franzosen so sclavisch nachahmen, und nach ihren Puppen und Modejournalen dürsten »wie nach der Auferstehung verdorrtes Gebein,« sollten diese freye Sitte auch nicht aus der Acht lassen – Wenn nur Nachäffung mit Freyheit bestände! Aber auch in diesem Theile der Aesthetik übt der deutsche Schüler stracks in gläubiger Praxis, was der wagsame Meister kaum hypothetisch hingestellt hat.

Die Boulevards sind auf beyden Seiten mit niedlichen Häusern begrenzt, von sehr mannigfaltiger, öfters nach dem reichsten Styl des Alterthums gebildeter Architectur, der aber in dieser starken Verjüngung, denn die Gebäude sind oft sehr klein, zuerst etwas sonderbar auffällt; doch versöhnt diese kleinere Wirklichkeit bald durch ihr geschmackvolles Ebenmaß unsern höhern Begriff, und wir nennen mit Recht niedlich, was wir nicht mehr groß finden können. So wie ehemals die Kupferstecher pour la réception à l'Académie stachen, und Meisterwerke lieferten, die sie mit Einem Mahle berühmt machten, so dienen solche Gebäude jungen Architecten zur Aufnahme in die Reihe der Künstler, von welchen die gute Gesellschaft spricht, und die Prachtliebe sich zinsbar macht. Daher mag auch 268 die Verschiedenheit dieser architectonischen Probestücke kommen, weil jeder neue Baumeister es dem alten an Kunstsinn zuvorthun will. Wenn es wahr ist, daß die hiesigen Baukünstler mit der Zierlichkeit auch innere Bequemlichkeit vorzüglich gut zu verbinden wissen, so sind diese antikisirten Wohn- und Lusthäuser, deren es nicht nur auf den Boulevards, sondern auch in den Hauptstraßen eine Menge gibt, die charakteristische Zierde von Paris, mehr als die Palläste der Großen und die Kirchen, selbst das vorn so geschmückte und hinten so kahle Pantheon nicht ausgenommen; denn sie haben eine bestimmte Bedeutung, indem der Geist der Nation in ihnen anschaulich ist, der die Eleganz im Kleinen liebt, und den Geschmack durch l'art de se connaître en petites choses erklärt.

Vor vielen Häusern sind Schranken angebracht, hinter welchen die Bewohner sitzen, und das sonntägliche Heer zur Schau an ihnen vorüberziehen lassen.

Es fing schon an dunkel zu werden, als ich unvermerkt auf die Elisäischen Felder herausgekommen war. Hier sah ich viele Leute nach einem anstoßenden Garten, über dessen Thüre Le Hameau de Chantilly geschrieben stand, wie zu einem Spectakel hingehen. Ich folgte ihnen nach, und mußte zwanzig Sous bezahlen, wofür ich einen Einlaßzettel bekam, welcher mir für funfzehen Sous Erfrischungen unentgeltlich zu nehmen erlaubte, die ich aber nicht erhalten konnte. Ich meinte da auszuruhen, und meine heutige 269 Wanderschaft zu überdenken, aber ich trat in eine Feenwelt hinein, wo ich Sonntag und Boulevard und alles vergessen mußte. Der ganze Garten mit seinen Alleen, Nebengängen, Lustgebüschen, Pavillons, und freyen Plätzen, bis zum Hauptgebäude war mit unzähligen Lampen erleuchtet, und Menschen jedes Geschlechts und Alters wandelten, saßen und lagen da herum, als lebten sie noch in der goldenen Zeit. Das große Haus glänzte von Lichtern wie ein Zauberschloß, und auf seiner Terrasse ertönte eine prächtige Harmonie. Von da aus verbreitete sich die fröhliche Menge durch den labyrinthischen Bezirk des Gartens; hier saßen Weiber und Männer, vergnügt wie die seligen Götter, an Tischen herum, und leichte Ganymeden eilten sie zu bedienen; dort übten sich kraftvolle Jünglinge in künstlichen Sprüngen, oder schaukelten ihre Mädchen; muthwillig ruderten andre in kleinen Kähnen auf Teichen herum, weiter sah ich amazonische Jungfraun Carroussel reiten, und in schnellstem Fluge (Galopp kann man von hölzernen Pferden nicht sagen) mit geübter Hand Ringe herunter stechen; sodann verlor ich mich in ein matt erleuchtetes Gebüsche, wohin aber schon zwey Liebende ihre Zuflucht genommen, um in stiller Abgeschiedenheit die Welt, und vielleicht sich selber, zu vergessen; nun begegnete ich einem einsamen Denker, dem ich, aus Furcht er möchte an meinen Geldbeutel denken, bescheiden auswich; plötzlich war wieder alles helle, Pfeifen und Hörner ertönten, und in langen 270 Reihen herunter tanzten die Kinder der Freude. – Welch ein hochzeitliches Leben, das dieser Tempel der Fröhlichkeit einschließt! Und das alles hat man um zwanzig Sous; kann man sich wohlfeiler in Hellas jugendliche Zeiten oder in das Schlaraffenland versetzen! Nur muß man nicht, wie ich einfältigerweise that, bis auf die Letzte bleiben, sonst erstirbt alle Illusion über dem bloßen Anblick des Caput mortuum, das diese sublimirten Freuden zurücklassen.


Es ist mir in dem Museum, mitten unter den größten Kunstwerken der Jahrhunderte, manchmahl zu Muthe, wie auf den Gipfeln der Berge meines Vaterlandes, wo unter dem reinen Himmel, und hoch über der sorgenvollen Erde, alle weltliche Furcht und Begierde verschwanden, und Frieden, Freyheit und ursprüngliche Einfalt in die Seele zurückkehrten. Was dort die Majestät der Natur bewirkte, das thut hier die heilige Kraft der Kunst. Wenn ich von der Bank am Eingange über den unabsehbaren Saal hinschaue, und mein Auge nach immer neuen Gegenständen der Verehrung hingezogen wird, und die geliebten Meister aus ihren ewig rühmlichen Werken zu mir sprechen, so vertiefe ich mich in der Ansicht von der unerschöpflichen Fülle des menschlichen Geistes mit eben der Andacht, wie auf den Bergen im Gefühle des Unermeßlichen; ich vergesse Paris, das Vaterland und mein 271 eignes Schicksal, und bin glücklich in vollkommener Genügsamkeit; mein Daseyn wird mir zu einem lieblichen Traume, wo die unbefangene Seele die Fesseln des gewohnten Lebens abstreift, und sich geheimnißvoll in seligere Höhen emporschwingt.

Es hält aber schwer, die wahre Empfindung einer solchen Lage späterhin auszusprechen, weil die Einbildungskraft sich gar zu gerne in die Beschreibung mischt, und in bildliche Anrufungen ausartet, deren Feuer nicht von dem Lichte der Wahrheit brennt, und daher meistens auch den Leser kalt läßt. Zwar ist es eben auch nicht rathsam, von irgend einer höhern Lust des Lebens laut zu reden, denn die Zeit ist noch nicht ganz vorüber, wo das für Schwärmerey galt, und in einem Buche so wenig erlaubt war, als im Umgange; die harte Zeit, wo man alle Empfindung unter den Gehorsam des Verstands gefangen nehmen mußte, um vor den gesetzlichen Kunstgerichten Gnade zu finden, die kein Evangelium der bessern Sinnlichkeit erkannten.

Das Gefühl seiner eignen Wenigkeit kann man freylich in diesem Bildersaal, unter so viel Ruhm und Größe, schwerlich von sich abhalten. Allein die stille Größe der Todten, ohne Anspruch und Ziererey, ist weniger drückender Art, als die der Zeitgenossen mit ihrem lebendigen Geräusche, wobey man jene Begleitungen nur zu oft findet oder zu finden glaubt; sie ist entschieden, und steht uns auch nicht mehr im Wege, sondern leitet uns vielmehr auf eine weise Schätzung 272 dessen, was uns in der wirklichen Welt umgibt; die Demuth, so sie bewirkt, ist ohne Neid und heilsam, denn ihre Folge ist die Zuversicht der Geduld, welche uns ehrwürdiger macht, als das Selbstgefühl, so uns bisweilen, wie den Pharisäer im Tempel, vor den Zöllnern und Sündern, die uns aufstoßen, anwandelt. Und wie ich mir ein fremdes Gastmahl besser schmecken lasse, als das so ich selbst geben, und dabey die eßlustraubenden Honneurs machen muß, so liegt auch für mich ein ungetrübteres Vergnügen in der Freyheit, hier in der großen Gallerie des berühmten Louvres, unter dieser Beute der Nationen, dem was ehemahls Könige königlich verwahrten, oder zu besitzen vergeblich wünschten, ungestört und unbekümmert herumwandeln zu können, zwar als unbemerkter Homuncio, aber doch mit dem befriedigenden Bewußtseyn, die Geschichte und den Werth dieser Umgebungen zu kennen und zu schätzen – als wenn ich diese unermeßlichen Schätze selbst erobert hätte, oder sie sonst als mühsames Eigenthum besäße.


Gleichsam wider meinen Willen geht ein großer Theil meiner Aufmerksamkeit auf den technischen Charakter der großen Meister, in so weit ihn Manier der Zeichnung, der mechanische Pinsel, und was zur Art und Weise der Ausführung gehört, bestimmen. Ich gebe gern zu, daß das Haupterforderniß bey jedem 273 Kunstwerk auf die Richtigkeit der Idee, den Schwung der Phantasie, kurz auf die Summe von Geisteskraft, so sich darin zeigt, gründe, und man also darauf vorzüglich sehen müsse; ich weiß auch, daß man darüber schon ohne nähere Kunstkenntniß ein langes und breites sprechen, und dem Künstler, der diesem Erforderniß entspricht, noch eine Menge Motive andichten kann, an die er nicht einmal gedachte. Aber wie keiner Mahler wird, der seine Kunst nicht handwerkmäßig gelernt hat, so sehe ich jetzt nur zu deutlich, daß zur wahren Schätzung eines Gemähldes nicht nur eine gelehrte Erkenntniß seiner geistigen Eigenschaften, wie man sie schon aus Büchern und Kupferstichen abstrahiren kann, sondern auch der Sinn für das Medium gehöre, wodurch sich solche Eigenschaften uns vorbilden. Man sollte freylich denken, wer Verstand hat werde auch den Verstand der Composition fassen, dem Empfindsamen werde auch die Empfindung nicht entgehen und die Phantasie des Künstlers werde auch die des Zuschauers in Bewegung setzen; allerdings – aber mit dem größten Verstande, dem feinsten Gefühle, und der regsamsten Imagination ist man doch kein Kenner, oder selbstständiger Richter über den vollen Werth eines Kunstwerks. Ich habe Männer gekannt, (um ihrer Berühmtheit willen darf ich ihre Namen nicht nennen) die dieß alles hatten, und sogar über die Kunst schrieben, aber über unbekannte Gemählde gar nicht oder ganz schief urtheilten, bevor sie den Meister kannten, oder etwas von der Meinung Kunsterfahrner darüber ausgespürt hatten; es mangelte ihnen der Kunstsinn. Wie niemand richtig über Musik urtheilt, dem Natur und Studium nicht das Ohr gebildet, so ist es auch mit den Urtheilen des Auges in der Mahlerey, kein anderweitiger Scharfsinn und keine Gelehrsamkeit ersetzt den sichern Blick für das Ebenmaß der Formen, und die Wahl und Harmonie der Farben, der eine Gabe der Natur ist, und allein durch das Studium der technischen Regeln ausgebildet werden kann.

Ich weiß wohl, daß ich hiermit manchem unerträgliche Dinge sage, weil heut zu Tage fast jeder schöne Geist auch glaubt, ein Kenner zu seyn, wenn er nur die Geschichte der vornehmsten Mahler, oder einige pikante Lebensumstände von ihnen weiß, und ihm geistige Ausdrücke zu Gebote stehen. Ich hörte es auch unlängst selbst nicht gerne, allein da ich es jetzt als Wahrheit anerkenne, so muß ich es auch bekennen. Es ist ein Unterschied, über ein Gemählde zu phantasiren, oder seinen wahren Gehalt zu bestimmen: es ist auch ein Unterschied, nach historischen Vorkenntnissen zu schließen, oder aus eigner Kraft zu urtheilen. Man stelle nur einen unbefangenen Künstler und einen gelehrten Liebhaber vor ein Gemählde, und höre, aus welchem Munde ein klareres Urtheil fließe; oder man gebe Acht, auf welches Urtheil der Meister selbst, wenn er gegenwärtig ist, mehr Gewicht lege, und man wird 275 sehen, daß ihm, wenn er es auch schon zu verhehlen sucht, ein einsilbiges kaltes Wort des Künstlers mehr Nachdenken verursacht, als aller Lessingsche Scharfsinn des Philosophen, oder der beredte Erguß des bewundernden Gelehrten. – Wer ohne praktische Kenntniß, oder ohne zu Mahlern seine Zuflucht zu nehmen, findet auch nur die Ausdrücke, womit er sein Wohlgefallen an einem Rembrandt deutlich machen könnte? Mich in diesen nothwendigen Principien des echten Kunstgeschmacks zu üben, hat nun einen besondern Reiz für mich, und deswegen halte ich mich gern an Kunstverwandte, die hier arbeiten; die großen Worte der räsonnirenden Empfindung sind dann bald gelernt. Nur bemerke ich mit Verdruß, daß, wie Kenner und Liebhaber öfters affectiren, mehr von dem mechanischen der Kunst zu sprechen und zu wissen, so viele Künstler mit denen, welche nicht von der Kunst sind, gerade von dem zu reden vermeiden, was sie üben und am besten verstehen, und ihren Verstand lieber in aufgefangenen Geschmacksurtheilen zeigen wollen.


Man trifft weniger arbeitende Künstler in dem Museum an, als die berühmte Sammlung erwarten läßt. Einen alten Mann sehe ich immer zuerst und zuletzt, der unermüdlich kopirt, und vermuthlich seine schwache Arbeit für geringe Kunsthändler ums Brodt macht. Niemand fällt es indessen ein, ihn zu tadeln; 276 ist seine Arbeit nicht lobenswerth, so verdient der Bewegungsgrund derselben Schonung, sagen die Franzosen, und zeigen darin einen edlen Sinn. Desto lauter spotten sie aber über ein paar Deutsche, die unlängst hierher gekommen, und mit einer Wuth, wie der Wolf das Lamm zerreißt, über alles herfallen, was einen Namen hat, und Rubens und Rembrandt zu Dutzenden wegpinseln, mit einer Practik, die ganz Paris in Erstaunen setzen sollte.

Es sind auch mehrere junge Frauenzimmer da, die mahlen, ich kann aber bey keiner dazu kommen, zu sehen was sie mache; denn durch das seltsame Ungefähr, welches beym schönen Geschlechte so oft andre Gründe vertritt, arbeiten sie jetzt alle in der Höhe, wo sie auf eigens dazu eingerichteten Gerüsten sitzen. Sieht man indessen ihre Arbeit nicht, so gewährt doch einiger Maaßen die mahlerische Lage, die sie sich auf dieser leichten Bühne zu geben wissen, einen schadloshaltenden Anblick. Es geschieht dann freylich manchmahl, auch von Ungefähr, daß sie in der Zerstreuung des Nachdenkens etwa ein niedliches Füßchen über das Bodenbret hinaus strecken, wodurch manches Auge irre geleitet wird, das nur gemahlte Formen zu betrachten hierher kam; allein keine Schnecke zieht ihre Hörner schneller ein, als sie das Füßchen, so bald sie sich ihrer Zerstreuung bewußt werden. Gewöhnlich steht bey jedem dieser Palladischen Mädchen ein Bekannter, der sich mit nachlässigem Liebreiz auf den Stufen des 277 Gerüstchens ausbreitet, und ihr in leichter Unterhaltung die Zeit verkürzt, wozu wohl auch die Vorbeygehenden, wie ich selbst erfuhr, den Stoff geben müssen; denn als ich in ihrer Nähe mich aufhielt, merkte ich, daß von mir die Rede war, und als ich in Gedanken die Augen, wie Eumolpus beym Petron, ad arcessendos sensus in die Ferne heftete, hörte ich sagen maintenant il cherche, si on le regarde; welches meine Erfahrung bestätigte, daß einen die Leute am liebsten dessen beschuldigen, wozu sie selbst am meisten geneigt sind.

Einer ist hier, der Niederländer copirt, um wieder Originale daraus zu machen; ein geschickter Mann. Er hat gerade jetzt einen Tenier in der Arbeit, den er mit unglaublichem Fleiß und äußerster Wahrheit Strich für Strich nachbildet, und der vermuthlich in ein paar Jahren in einer auswärtigen Bildersammlung einen bedeutenden Platz einnehmen wird. Ich hätte nicht geglaubt, daß man die Nachahmung so weit treiben könnte, und will mir jetzt lieber das Daseyn so vieler gleicher und ähnlicher Gemählde, die sich um die Ehre der Originalität streiten, auf diese Weise erklären, als annehmen, daß sich große Meister selbst mit so pedantischer Genauigkeit copiren könnten, wenn sie auch noch so große Liebe zu ihrem Werke hätten – kömmt es doch schon unser einem sauer genug an, seine eignen Erzeugnisse abzuschreiben!


In Landschaften wird meistens nach Berghem und Vernet studiert, selten nach Dujardin und Potter, mehr noch nach Ruysdael, nicht nach Schwanevelt, Both, Poussin, nicht nach Claude; warum nach dem Schönsten nicht? – Weil das Schönste jederzeit mehr Bewunderer als Nachahmer gefunden hat, und der Mensch in seinen materiellen Neigungen nicht gern über den Comparativ hinaus geht. Zudem mögen Berghem und Vernet, von denen jener sich durch einen geistreichen, und dieser durch einen zierlichen Styl auszeichnet, am meisten mit der französischen Gemüthsart übereinstimmen, und dieser homogene Zug des Charakters, der in der Welt so oft die stattlichsten Gründe aufwiegt, scheint auch hier die Vorliebe, welche sie zwar nicht mit Worten bekennen, aber durch die That offenbaren, zu bestimmen. Claude Lorrain gehört zu den seltenen Menschen, die ihr Glück nur in der Stille finden, und deren Kraft in der Einfalt ist; sie wissen im Leben und in der Kunst wenig von Regeln zu schwatzen, aber ihre schöpferische Geisteskraft erwacht im Handeln, und sie stellen Werte dar, die selbst zur Regel werden. Seine Gelehrigkeit war langsam, und ihm ward nichts von den oberflächlichen Vorzügen zu Theil, welche die große Welt protegirt; aber seine Seele war ein klarer Spiegel, in dem sich die stille Herrlichkeit der Natur offenbarte, er schaute sie mit der Kraft des reinsten Dichtergefühls, und ruhte nicht in Ernst und Fleiß, bis ihm zuletzt auch die Hand gehorsam war, und er 279 seine seligen Anschauungen in eben der erhabenen Wahrheit sinnlich darzustellen vermochte, wie er sie fühlte.

Aber man wagt es nicht, sich nachahmend an dieser natürlichen Harmonie, diesem Sommerduft, dieser friedlichen Vereinigung von Himmel und Erde zu versuchen. Doch hat Vernet, obgleich Stürme seine Lust waren, diesem Mahler paradiesischer Ruhe viel zu verdanken. Vernet scheint eine große Leichtigkeit besessen, und die Manieren aller Meister sich bekannt gemacht, vorzüglich aber von Claude vieles angenommen zu haben, welches die Seehäfen, die Aussichten von Rom und die Tageszeiten, welche hier vortrefflich von ihm gemahlt sind, deutlich beweisen; jedoch ist alles viel neumodiger, brillanter, episodischer als bey jenem. Dort ist die heilige Einfalt der wahren Poesie, die nur Eins aber das Größte ausspricht. Hier ist die Gabe mannigfaltiger Unterhaltung, auffallende Kunst, gesuchter Effect und zierliche Anordnung; darum, ob es gleich jener hohen Schönheit nicht am lautesten Lobe fehlt, hält man sich heimlich doch lieber an den pikantern Reiz des Letztern. Zudem hat Vernet in der Durchsichtigkeit und Lebendigkeit des Wassers, und in den Sturmwolken, niemand seines gleichen als Backhuysen, der ihn noch in der Natürlichkeit übertrifft, aber Vernet hat mehr Geschmack in der Composition.

Ich habe neben ihm noch den Berghem als ein Lieblingsmuster der jungen Leute genannt, weil man 280 bey demselben mehr als irgendwo vereinigt findet, was junge Künstler zu ihren Studien nöthig zu haben glauben, eine glückliche Fertigkeit des Pinsels, richtige Zeichnung, gewagtes Spiel mit Schatten und Licht, künstliche Widerscheine, die Geschicklichkeit alte Ideen immer wieder neu zu ordnen, und was dergleichen Verdienstlichkeiten mehr sind, die Verstand und Witz in der Kunstmanier verrathen, und die man zusammengenommen mit Recht Geist, und mit Unrecht Genie zu nennen pflegt. Wie aus Claudes stiller Seele seine großen Schöpfungen als ein reines Ganze flossen, dem, ohne den reinen Einklang zu stören, nichts gegeben und nichts genommen werden kann, so gestatten hingegen Berghems Gemählde, weil sie selbst mehr zusammengesetzt als aus Einer Idee geschaffen sind, den Vortheil, daß auch einzelne daraus genommene Partien schon ein artiges Ding an sich ausmachen; hierzu kommen noch die Künste des Details, die bey diesem Meister so mannigfaltig und besonders auffallend sind, daß davon auch in der schülerhaften Nachbildung noch etwas charakteristisches bleibt. Da nun jeder Schüler seinen Studien gern die möglichste Ostensibilität gibt, womit gewöhnlich auch dem Meister gedient ist, und Berghem hierzu den kürzesten Weg weist, so ist es begreiflich, daß er auch am öftersten zum Vorbild und Lehrer für junge Landschaftsmahler gewählt wird.

Nicht daß man darum Berghem und Vernet ausschließlich oder am lautesten preise, weil sie am meisten 281 copirt werden; andre Nahmen genießen auch einer gerechten Verehrung. So werden, wie man mir sagt, Potter und Dujardin bey Versteigerungen noch mehr gesucht; aber Potters unmanierirte Natürlichkeit und Dujardins sanfte Transparenz, und ihre einfachen Compositionen, sind schwerer nachzuahmen, und fallen auch in der Nachbildung weniger vortheilhaft in die Augen, als jene, wie man glaubt, geistreicheren Stücke. Die vornehme Liebhaberey aber, so sich bei Versteigerungen zeigt, ist aus zu verschiedenen und zu individuellen Concupiszenzen zusammengesetzt, als daß sich daraus der allgemeine Geschmack bestimmen lasse; sie kauft meistens berühmte Nahmen, Gegenstücke, Empfehlungen, Ergänzungen ihrer Sammlung, selten etwas das ihr unmittelbar gefällt.


Wenn die Stimme des Volkes in Kunstsachen etwas gilt, und Gültigkeit kann man ihr nirgends absprechen, wo sie nicht vorgefaßte Meinung und fremde Einwirkung, sondern unverstellter Ausdruck der natürlichen Empfindung ist, so haben die kleinen Niederländer allerdings einen hohen Werth; denn ich sehe immer die große Menge der Beschauer sich am längsten vor denselben aufhalten, und wenn sie auch den ganzen Saal durchgegangen haben, doch noch einmahl zu ihnen zurückkehren, als wenn sie vorzüglich ihren Eindruck mit sich nehmen wollten. Diesen Vorzug, dem 282 großen Haufen zu gefallen, wird die Niederländische Schule auch behalten, so lange es einen großen Haufen gibt, der von der Mahlerey zuerst und zuletzt Wirkung aufs Auge fordert, und an dem Sinnenschein seine Freude hat, und nicht so vornehm denken kann, wie Ludwig XIV, der die drolligen Bauern Teniers nicht vor sich sehen mochte, vermuthlich weil sie seiner königlichen Gegenwart nichts nachzufragen schienen; oder so lange dieser große Haufe nichts von der Reflexion weiß, die von dem Unsichtbaren zu sprechen anfängt, ehe er noch das Sichtbare erkannt hat; so lange er auch nicht in allen Künsten nur eine idealische Poesie sucht, wie jetzt von sonst verdienstvollen Männern mit eben der Einseitigkeit geschieht, womit man vor dreyßig Jahren noch die Tugend zum Hauptzweck des Schönen machen zu müssen glaubte. Douw, Netscher, Terburg, Le Duc und alle die Meister, welche anständige Handlungen aus der bürgerlichen Gesellschaft mit dem einzigen Fleiß, Colorit, reizendem Lichte und der Ründung der Niederländer darstellen, sind es, die auch dem hiesigen Volke gefallen; aber anständig müssen sie seyn, denn Ostades Tobakgesellschaften und Brouwers abscheuliche Fratzenbilder finden keinen Beyfall.

Und wodurch gefallen sie anders, als daß sie für den uncultivirten Sinn am meisten Wahrheit haben, so wohl in der Bedeutung als in der Ausführung. Der gemeine Mann findet mehr Individualität in den 283 Figuren, in ihren Handlungen mehr Analogie mit den seinigen, und auch in den Nebenwerken mehr Vertraulichkeit; und dieß alles mit dem reinlichsten Fleiß, der gewähltesten Beleuchtung, und der schönsten Harmonie der Farben ausgeführt. Was er sieht, faßt er sogleich ohne Belehrung und mühsames Nachdenken, und ohne sich in die Empfindung hineinarbeiten zu müssen; da hingegen so viele der großen historischen Stücke, die da herumhängen, für die meisten Beschauer erst noch eines Commentars über ihre geistigen und materiellen Schönheiten bedürfen. Zudem fragt es sich noch, ob es wahr sey, daß diese Niederländer so ganz nur die erste beste Natur, wie sie ihnen vor die Augen kam, auffaßten, und ohne alles poetische Verdienst seyen? Dasselbe kündigt sich zwar nicht mit dem Trompetenton grandioser Manier an, aber auch die bescheidene Flöte weiß die geheimen Accorde der Seele zu treffen, oft thut es ja der Dudelsack. Gerard Douws wassersüchtige Frau ist gewiß nicht ohne Dichtungskraft geschaffen; seine Familie, wo die Mutter in der Bibel liest, und der Vater zuhorcht, hat er doch mit Empfindung so zusammengesetzt; Mieris kleiner Seifenblaser ist nicht nur das Werk des zierlichen Künstlers, sondern auch einer gebildeten Phantasie; und so sehe ich noch eine Menge Gemählde ähnlicher Art, die dichterische Anschauungen der Welt und des Menschen sein und kräftig, wenn schon ohne griechische Formen, aussprechen, vom eleganten Conversationsstücke an bis 284 zu dem Kerl der Tobak raucht in Teniers Verläugnung Petri, dessen Wahrheit im pathognomischen Ausdruck so trefflich ist, daß sie die Geschmacklosigkeit der Erfindung vergessen macht. Auch ernste Gegenstände haben sie edel zu behandeln gewußt; hat je ein Dichter oder Mahler ein wahreres Bild von der abgeschiedensten Einsamkeit vor menschliche Augen gestellt, als es Rembrandt mit wenigen Farben und wunderbarer Lufttransparenz in den zwey kleinen Stücken gethan hat, so man die meditirenden Philosophen nennt? man glaubt sich jenseit des Grabes, wo die Stille der Ewigkeit herrscht, oder in die Märchenwelt zu einem unterirdischen, schon seit Jahrhunderten dem Weltgeräusche entflohenen Weisen versetzt, wenn man diese Gemählde eine Zeit lang betrachtet hat.

Innigkeit des Gefühls ist die Seele der Poesie, und wenn in dem idealischsten Prachtgebäude der Einbildungskraft dieser Herr nicht zu Hause ist – er ist aber nicht selten über Feld – wer wird ihn nicht lieber da aufsuchen, wo er sich niedergelassen hat, sollte es auch nur ein kleines vertrauliches Landhäuschen seyn! Wer wird nicht einen Bauerntanz von Tenier dem ganzen Parnassus von Guibal gemahlt vorziehen! Wenn Asmus seinen Geburtstag mit Reißbrey und einer kleinen Kanone feyert, und das Fest mit der Wandoper Ahasuerus und Mardochai beschließt, so ist vielleicht mehr wahre Poesie darin, als in manchem fürstlichen Hoffeste eines Landesvaters bey ähnlichen 285 Gelegenheiten, wenn auch alle neun Musen in eigner Person dabey auftreten. Das ländliche Stück Philemon und Baucis ist das beste im ganzen Ovid; und wie sehr würde das Reich des Shakespeare zusammenschmelzen, wenn man den unclassischen Pöbel daraus verbannte!

Sollte aber auch manchmahl der Geist der Poesie nicht in die Formen dieser kleinen Meister passen, so verstehen sie sich darauf, ihn desto vortheilhafter in der Beleuchtung zu zeigen, wodurch sie öfters auch leblosen Gegenständen einen Reiz zu geben wissen, der die Seele des Zuschauers in idealische Höhen erhebt. Rembrandt ist hier nicht der einzige. Fast alle Stücke von Breughel, besonders unter seinen vier Elementen die Erde, haben dieß magische Licht. Von Dujardin ist ein Crucifix mit vielen Figuren hier, das in Ansehung des dichterischen Gehalts in der Beleuchtung seines gleichen nicht hat. Van der Heyden und Van de Velde, wie konnten sie langweilige Gassen, und öde Gegenden, durch ihre Lufttöne zu Lieblingsplätzen der Phantasie umschaffen! Welch ein heiliges Licht zittert durch die erhabenen Gewölbe der Kirchen Neefs! In dem Sonnenstrahle, der sich über ein Grabmahl hingießt, in einer Kirche von Emanuel de Witte, ist (sicherer noch wie in jenem Krebse von de Heem) mehr poetische Geisteskraft, als in mancher dramatischen Composition, die ich nicht nennen mag. So sollte es mir nicht schwer seyn, noch mehrere anzuführen, die 286 dieses Verdienst magischer Beleuchtung, das gewiß nicht bloß ein mechanisches ist, in einem hohen Grade besitzen.

Dieß mag der Grund seyn, warum das Volk, welches die Kunstwerke lieber mit den Augen als mit der Vernunft beleuchtet, einen besondern Zug zu den Niederländern hat; ich möchte, weil sie mir auch gefallen, diesen Zug rechtfertigen; um so viel mehr, da man wieder einmahl anfängt, welches hauptsächlich von den hiesigen Geschmackstongebern geschieht, diese Schule gar zu gering zu schätzen, und nichts für gut und schön anerkennen will, was nicht in dem sogenannten höhern und reinern Styl zum Vorschein kömmt, als wenn sich bald die ganze Welt und ihre Bilder nur in antiken Formen bewegen müßten. Ich wünsche indessen nichts mehr, als daß jedem Gerechtigkeit widerfahre, und werde mich wohl selbst vor dem Fehler hüthen müssen, ein Verdienst auf Kosten des andern zu loben. Auch kann ich nicht sagen, daß diese Bilder meine eigne Aufmerksamkeit ausschließlich vor der französischen Schule, mit welcher sie hier vereinigt sind, und andern größern Werken, gefesselt haben. Mir sind aus der Künstlergeschichte besonders Poussin, Le Brun, Rubens und andre, deren große Werke die Hauptgemählde dieses Saals ausmachen, merkwürdig, und meine, mehr als mahlerische Neugier ist stärker noch auf diese gerichtet.

Vorzüglich hat Poussin seine eigne Wirkung auf mich. Zuerst kamen mir seine stillen Gemählde, 287 neben der Unruhe im Colorit und in der Composition so vieler andrer ihn umgebenden Franzosen, und neben der Vortrefflichkeit des niederländischen Pinsels, sehr unbedeutend und leblos vor, und jetzt sind sie mir so lieb, daß ich nie den Saal verlasse, ohne mich noch bey ihnen zu verweilen. Wenn man lange genug in den Höhen und Tiefen der Einbildungskraft herumgeirrt, oder in dem Nebel leerer Anmaßung sich geängstigt hat, so ist einem der feste Boden des Verstandes, und die richtige Bahn ernster Genügsamkeit auch wieder willkommen. Ich wußte, daß der edle Mann diese Bahn im Leben betreten hatte, und freue mich, sie nun auch in seiner Kunst zu entdecken. Man sieht, daß er sich zum Gesetze gemacht hatte, alles was er für bloße Blüthen der Imagination hielt, von seinen Schöpfungen abzusondern, und sich nur an das Wesentliche in der historischen Bedeutung zu halten. Er vernachlässigte daher allzustrenge die Reize der Farben, und alle moderne Grazie, um nur, wie er meinte, für den Verstand zu mahlen. Der denkende Mann hatte sich, von der Größe der Alten auf immer hingerissen, aus ihren wenigen Resten gewiße Grundsätze über die Wahl in der Empfindung, und über die edle Richtigkeit, mehr als über die naive Wahrheit, im Ausdruck zu eigen gemacht, welche er den Modus nannte, den er als den Zaum seiner Einbildungskraft ansah, und ihm allenthalben, auch wenn er une certaine médiocrité geböthe, folgen zu müssen glaubte; 288 wodurch er zwar der Besonnenste aller Mahler wurde, aber auch die Furia di Diavolo, die Marino noch in dem Jünglinge fand, nur zu sehr bezwang. Eben so hatte er sich auch im Leben diese Schranken der Enthaltsamkeit gesetzt, und selbst in den Tagen seines Ruhmes, als Geld und Ehre ihm zuströmte, sich davon so wenig irre machen lassen, daß er nichts an der philosophischen Lebensart änderte, die er zu der Zeit als er noch gering geschätzt wurde, ergriffen hatte.

Aber eben diese Uebereinstimmung seines menschlichen und künstlerischen Charakters, hat meiner Meinung nach nicht wenig zu dem großen und bleibenden Ruhme beygetragen, der ihm zu Theil geworden, ob er gleich nie keinen Schüler gemacht haben soll, und auch jetzt noch so wenig Nachahmer findet. Kaum hätte seine correcte Zeichnung, sein reiner Styl und klassisches Studium, allein dieß bewirken können, denn man kann sich doch nicht verhehlen, daß nicht Magerkeit des Colorits, und zu prosaischer Ausdruck der Handlung ein alle diese Vorzüge begleitender Mangel sey. Aber sein Styl war wie sein Leben, man liest seinen Charakter aus seinen Werken; er mag die unter den Philistern wüthende Pest, oder das idyllische Brunnengespräch zwischen Rebecca und Elieser mahlen, allenthalben ahnet und findet man seinen hohen Geist, seine Liebe zur Einfalt, seinen Sinn für Ordnung, seine Geringschätzung des Ueberflüssigen, seine Unabhängigkeit von der großen Welt, seine ruhige 289 Ueberlegung. Er ist ein Türennischer Charakter, der nicht durch einzelne schöne Partien glänzt, aber durch die Continuität edler Grundsätze, die er in alle seine Werke bringt, eine rechtmäßige Ueberlegenheit über seine Zeitgenossen die es ihm, wie Le Brün und Noel Coypel, sonst in manchem zuvor thaten, erworben hat. Nil sine consilio war seine Maxime. Diese zusammensetzende Ueberlegsamkeit gefällt, weil sie leicht zu entwickeln ist; ob man gleich in seinen historischen Compositionen nicht immer den glücklich ergriffenen Hauptmoment antrifft, worin die Handlung durch sich selbst erklärt wird, so ist doch, wenn man ihre Geschichte weiß, kein Zug mehr ohne Bedeutung, und alles Einzelne hat geschmackvollen und richtigen Ausdruck.

Der Tempel des Ruhms hat nicht nur eine Thüre, und wenn schon die schönste dem Genie offen steht, so findet doch auch das Talent, welches mit einem edeln Willen verbunden ist, und ein festgehaltener Zweck in einem wohlgeordneten Leben, oftmahls einen ehrenvollen Eingang. Man hat Respect für das, was den meisten mangelt. Wenn auch Poussin, wie ich glaube, durch diese Pforte zu der irdischen Ewigkeit eingegangen ist, so war er nicht der erste noch der letzte. In allen Ständen des menschlichen Lebens lehrt uns die Geschichte dergleichen verehrliche Personen kennen, von William Penn an bis zum – Professor Pütter, dessen Selbstbiographie ich so eben 290 lese, hinab. Um aber nur aus der Kunstgeschichte ein Beyspiel anzuführen, so mag auch Albrecht Dürer in diese Classe gezählt werden; der ausgebreitete Ruf, den dieser eigentlich durch seine Verbesserungen in der Kupferstecherkunst erlangt hatte, und durch seine vielumfassenden Kenntnisse, und ununterbrochene Wirksamkeit für seine Kunst unterhielt, wurde auch auf seine Gemählde übergetragen, und er als der erste deutsche Künstler gepriesen, ob es gleich damahls schon beßre Zeichner und Mahler gab, als er war; denn ausser dem natürlichen und mannigfaltigen Ausdruck seiner Köpfe ist wenig vorzügliches an ihm. Aber er hatte bey unbestrittenem Talent jene seltene Consistenz des Charakters und Ueberlegenheit der Individualität, wodurch er sich allenthalben persönliche Achtung zu verschaffen wußte, die man dann auch unvermerkt in das Urtheil über seine Kunst mit einwirken ließ. Wenn, wie der alte Herr Shandy meint, schon die Art, wie einer den Hut nimmt, seinen Charakter verräth, sollte es nicht eine solche Menge von Kunstwerken thun, die alle Einem Geiste und einer Hand entsprungen sind? – Zweifelt auch niemand hieran, so wird doch die Wirkung lange nicht genugsam beobachtet und erwogen, welche diese Geistessprache, diese unvermerkten, jedes Werk (und jede That) begleitenden Einflüsse nicht nur auf die subjective Stimmung des Mannes von Gefühl, sondern auf das menschliche Gemüth überhaupt haben.

291 Poussins erhabener Geist zeigt sich vielleicht am schönsten in seinen Landschaften, wo er frey war vom Zwange der Antiken, die er in historischen Werken als das unentbehrliche Medium zur Erläuterung seiner productiven Phantasie zu betrachten sich angewöhnt hatte. Hier hingegen war nichts zwischen ihm und der Natur, das den eigenthümlichen Flug seiner Ideen hemmte, nichts das seinem Hange, nur das Größte darzustellen, hinderlich war; und so gingen aus seinem beseelten Pinsel jene idealischen Gefilde hervor, in die er so oft seine handelnden Personen versetzte, das liebliche Thal, wo Diogenes seine Schale wegwirft, und die über meine Beschreibung erhabene Darstellung der Sündfluth, die er noch in seinem hohen Alter mit zitternder Hand mahlte, das Monument seiner Größe, der Adelsbrief seiner Dichtungsgabe.

Ich habe von Albrecht Dürer gesprochen, den ich, wenn auch nicht für den ersten Mahler, doch für eine der ersten Zierden Deutschlands halte, weil ich mir in ihm die schönsten Eigenschaften der Nation ihren Ernst und ihre Rechtlichkeit, so wie ihren Kunstfleiß und ihren Empfindungsgeist, auf das trefflichste personificirt denken kann, ohne die Schwächen, welche spätere Zeiten ihrem edeln Grundcharakter anhängen. Auch darin vorzüglich, daß er die Kunst nicht blos, wie die meisten seiner Zeitgenossen und Landsleute als Handwerk, sondern als Wissenschaft trieb, und alle ihre verschiedenen Theile umfaßte, war er ein 292 verdienstlicher Priester in dem Tempel der Göttin, der jedoch nie ganz in ihr Allerheiligstes eindrang, weil seinem meßkundigen Geiste die Flügel der Phantasie fehlten, oder diese Flügel ihn meistens in das Land geschmackloser Hirngespinste trugen. Ein Zeuge dessen ist auch das große Crucifix, das von ihm gemahlt sich hier befindet; eine wunderbare Zusammensetzung von Weibern, Heiligen, Königen und Göttern, deren zusammenhängender Sinn, wenn sie einen hat, erst mühsam wie ein mathematisches Problem aufgelöst werden muß, und dann doch außer den Grenzen mahlerischer Dichtung liegt; übrigens voll Verdienst im Einzelnen, in Farbe, Zeichnung und Perspectiv. Aber eine Kreuzabnehmung von Lucas von Leyden, die neben diesem Dürerischen Gemählde steht, thut ihm nicht so wohl durch den goldnen Grund, der die Farben prächtig heraushebt, Abbruch, sondern übertrifft es vornehmlich an beßrer Anordnung und Zusammenstimmung und hervortretender Ründung. Freylich sind die Falten auch steif, und die Hände spinnenartig; aber eine zarte Empfindung, die diesem Meister charakteristisch eigen zu seyn scheint, vereinigt und belebt die Handlung, und eine unübertreffliche Menschlichkeit liegt im Ausdruck der Gesichter, gleich entfernt vom italiänischen Ideal und von holländischer Gemeinheit. Ich finde, daß weder Annibal Caracci noch Rubens die Traurigkeit der Maria so bedeutungsvoll und edel dargestellt haben, als hier in dem Gottergebenen 293 Gesichte voll Blässe der Ohnmacht geschehen ist; jene drücken den Schmerz der heiligen Mutter zu sinnlich aus, wie wenn sie das Schwert im Leibe hätte, hier geht es ihr wirklich durch die Seele.

Es hängen auch zwei Porträte von Dürer hier, sie sind aber zu flach und dünne gemahlt, um die Vergleichung mit den Meisterstücken Holbeins auszuhalten, dem bey seinem feinen, weichen und markigen Pinsel nichts fehlt, als gelindere Umrisse, und bey seiner Kraft die Natur aufzufassen, nur noch etwas mehr Sinn für das Ideal des Charakters.

In die ehrwürdige Schule der alten steifen Treue verdient auch noch Quintin Messis gezählt zu werden, von dem hier einige heilige Familien sind. Ob er gleich alle Hände zu klein, und die Köpfe von geringerer Bedeutung macht, als Dürer und Lucas von Leyden, so mahlte er dafür die Gewänder schöner und freyer, und hat mit ihnen jene zarte Jungfräulichkeit und heilige Klösterlichkeit der weiblichen Gestalten gemein, und den Ernst der Unschuld, die schlichte Demuth und die weltfremde Einfalt der Jünglinge und Männer, welches alles so schön zu der sanft- und demüthigen Lebensweise des friedlichen Königes paßt, dessen Reich nicht von dieser Welt war. Zwar werden diese Eigenschaften heut zu Tage, besonders auch hier zu Lande, wo man das Schöne immer idealisch haben will, das Ideal aber sehr unidealisch nach einem modischen System zuschneidet, nicht mehr als 294 gültiger Styl anerkannt; es ist aber doch merkwürdig, wie sehr sie schon den alten Italiänern aufgefallen seyn müssen, da nicht nur Dürers Passion, die diesen Charakter an sich trägt, theuer von ihnen gekauft und von einem ihrer ersten Künstler nachgestochen wurde, auch Dürer selbst bey Raphael in großer Achtung stand, sondern selbst große Florentinische Meister so sehr von diesem nordischen Style (wenn ich ihn so nennen darf) eingenommen wurden, daß sie so gar ihre schönern Landesformen dieser altdeutschen Natur aufopferten, und sie auf eine nicht zu entschuldigende Art zu ihrer Manier machten.

Ich kann nicht anders, als hier noch zwey alter Gemählde, die einem Anton Claissens zugeschrieben werden, und das Urtheil des Cambyses vorstellen, gedenken, weil in ihnen jener altväterische trockene Fleiß bis zum lächerlichsten Extrem seelenloser Dürre übertrieben ist. Eine Menge Figuren stehen wie unbewegliche Stöcke um den Menschen herum, der lebendig geschunden wird, ohne mit Mienen oder Geberden den mindesten Antheil zu bezeugen, und erregen durch ihre hölzerne Gleichgültigkeit, statt Mitleidens oder Abscheus über die grausame Handlung, bey jedem Beschauer unfehlbares Lachen. Besonders gesegnen sich die Franzosen über diese ihrem ganzen Wesen so fremdartige Steifigkeit, und preisen sich glücklich, daß auch ihre gemeinen Mahler doch noch der Anmuth huldigen. Indessen haben auch diese alten 295 Werke mehr noch als bloß geschichtlichen Werth; das böse Gewissen drückt sich in dem Gesichte des Richters nicht übel aus, die Hände sind gut gezeichnet, die Haltung gut geordnet, alles ist mit einem reinen Pinsel gemahlt, und der Fleiß dabey ist so groß, daß man in dem Helm eines Kriegers den Widerschein eines Kirchthurms entdeckt. Freylich ist alle Anmuth daraus verbannt; aber denjenigen Franzosen, welche diesen Mangel zu einem Triumph ihrer Grazie, und andern zu einem Nationalvorwurf machen wollen, sollten wir, statt ihnen sclavischen Beyfall zu geben, keck Vanloos kraftlose Theaterzierlichkeit, oder Wateaus galante Salbadereyen vorhalten, wogegen jene alte ängstliche Wahrheitstreue ein wahres Verdienst ist.

Vor allen diesen alten Deutschen und Niederländern aber gebe ich die Palme dem ältesten von ihnen, dem Johann van Eyck. Er ist nicht nur in der Wärme des Colorits vorzüglich, welche er auf den höchsten Grad zu treiben wußte, ohne daß sie bunte Manier wurde, nicht nur in edlern Formen und weniger Trockenheit bey der gewissenhaftesten Vollendung der Gesichter, Gewänder, und alles dessen, was man sonst als Nebenwerke vernachlässigen zu müssen glaubt (bey ihm ist nichts Nebenwerk), bis auf das geringste Gräschen herunter; sondern in allem zusammengenommen, was jene alte Kunst auszeichnet und preiswürdig macht. In dieser Hinsicht verdient seine Hochzeit zu Cana, vorzüglich aber seine Anbethung des Lammes, 296 einen ehrenvollen Platz neben dem Höchsten, was die Kunst aller Zeiten hervorgebracht hat. Wer das mystische Sujet vertragen mag, wird den innern Geistesgehalt dieses Werks eben so groß finden, als die practische Kunst, wenn schon keine Spur classischer Alterthümlichkeit darin anzutreffen ist, und der außerordentliche Fleiß in der Ausführung eher die geistige Bedeutung zu schwächen als herauszuheben scheint. Aber die Apocalypse ist eine zu verrufene Quelle, als daß nicht die gewöhnlichen Leute von Geschmack ein Vorurtheil gegen alles haben sollten, was aus ihr herfließt; wenigstens sehe ich niemand sich lange vor diesem Gemählde verweilen, und wenn ich jemand darauf aufmerksam mache, gibt man mir nur mit Kaltsinn Recht. Ich dächte jedoch, der echte Kunstsinn sollte sich wohl auch eine kurze Zeit in die christliche Mythologie mit Wohlgefallen hineindenken, und ihre Ideen mit dem Plastischschönen vereinbar finden können, wenn ihn, wie hier der Genius dieser Mythologie, in Werken die er selbst eingehaucht zu haben scheint, sichtlich dahin leitet. Es ist mehr ein Beweis von der Einseitigkeit des Geschmacks, als von seinem wahren Fortschritte, daß man das unendliche Reich der bildenden Phantasie so beschränkt, und nicht nur alle ihre Wirksamkeit in griechische Verhältnisse bannen will, ohne Scheu vor den schreyenden Idiotismen, welche die Folge davon sind, sondern ihr auch bald keinen Stoff mehr gestattet, der nicht aus Griechenland 297 herkömmt. Ist doch auch aus jenen alten hebräischen Mythen ein gewaltiger Geist hervorgetreten, der an Kraft und Ausdehnung keinem weicht, und sich in allen bildlichen und unbildlichen menschlichen Schicksalen durchgreifend und schön zu zeigen im Stande ist! Zwar hat der Künstler noch nicht gelebt, der diesen Genius in seiner reinen Originalität gefaßt, und in ganzer Wahrheit dargestellt hätte; den Italiänern lagen die Antiken zu nahe, deren Gräcität diesem Geiste zu vornehm ist, oder sie hingen zu sehr am Materiellen; und die Deutschen faßten wohl seine Innigkeit und Demuth, aber nicht den leichtern Schwung und die feinere Lebendigkeit des Morgenlandes, und mischten zu viel von ihrer Nationalität darunter. Aber die Zeit, welche nicht ruht, bis sie alles mögliche Schöne und Gute geweckt hat, wird auch noch diesen christlichen Künstler hervorzubringen wissen, der das Eigenthümliche des Geistes der Bibel in den Darstellungen ihrer Geschichten anschaulich machen, und zur bleibenden, ja vielleicht zur vorzüglichsten Idealität stempeln wird, und wenn er kömmt, so wird er sich in diesem nordischen Style mehr vorgearbeitet finden, als irgend anderswo.

Dieß Gemählde voll auffallender und verborgener Schönheiten würde sich, auch von dem himmlischen Kleide der Farben entblößt, noch im Kupferstiche gut ausnehmen, und verdiente diese Auszeichnung (wenn sie nicht schon geschehen ist) auch um seines Alters, 298 und des Ruhmes seines Meisters, also um der Kunstgeschichte willen; aber es möchte schwer halten, einen Grabstichel zu finden, der dieser ernsten Vollendung getreu bliebe, ohne von dem saftigen und kräftigen Tone, den das Original hat, abzuweichen! Es ist noch sehr gut erhalten; die Farben müssen mit außerordentlicher Reinigkeit und Kenntniß gemischt worden seyn, um diese Frischheit nicht zu verlieren, die auch dem Wiesengrunde, durch den das Wasser des Lebens fließt, zur geistigen Bedeutung nothwendig ist. Diese paradiesisch grüne Flur dient zugleich zum Grunde für die glänzenden Gewande, und bringt sie in eine unblendende Harmonie.

Es stand ehemals in der St. Johannes-Kirche zu Gent, und wurde, wie Sandrart im zierlichen Tone der fruchtbringenden Gesellschaft sagt, »daselbst wohl verwahrt und verdeckt, und nur von den höchsten Potentaten der Welt mit ihren Gnadenblicken bestrahlet, oder um große Verehrungen und auf hohe Feste gezeiget, dabey allezeit ein solch Gedräng von Kunstliebenden entstanden, daß es nicht anders geschienen, als ob die Kunstbegierigen Immen, bey diesem Immenkorb umschwärmend, sich über die Süßigkeit des Kunsthonigs ergötzten.«

Außer diesem berühmten Gemählde sind noch einige andre von dem gleichen Meister, als ein St. Johannes, eine heilige Jungfrau, und ein Gott Vater, hier, die dasselbe in meinen Augen noch übertreffen, 299 und zu dem erhabensten gehören, was die Gallerie besitzt, und die zugleich ein Beytrag sind zu meiner obigen Bemerkung, daß der Geist der Bibel große Bilder erlaube und eingebe, ohne sie in griechische Manier zu kleiden.

Die Neuheit der glühenden und doch harmonischen Farbenpracht, worein die Gebrüder van Eyck ihre ohnedieß schon über das Gewöhnliche erhabenen Gebilde kleideten, und welche beym ersten Entstehen der Oehlmahlerey gleich so auffallend rein und kräftig war, daß dadurch alle vorhergegangenen Versuche, von denen man noch jetzt Spuren hat, verdunkelt wurden, mag es seyn, die ihnen den Ruhm der Erfindung dieser Kunst erwarb, so wie Klopstock, (zwischen dem und unserm Künstler sich auch noch in andrer Hinsicht eine zusammentreffende Vergleichung anstellen ließe) mit Recht für den Erfinder des deutschen Hexameters gilt, wenn schon vor ihm und mit ihm auch andre sich daran geübt haben. – Wenn ich übrigens bey diesen und andern gleichzeitigen Bildern das Feuer der Farben in den Gewändern, und das damit nicht ganz harmonische Matte in der Carnation betrachte, so kann ich mich der Vermuthung nicht enthalten, als hätten jene Künstler diesen Farbeneffect weniger nach der Natur, als nach Glasgemählden studiert. Mit gemahlten Fensterscheiben waren damahls alle Kirchen und öffentlichen Gebäude verziert; wie oft mag beym Gottesdienst, oder bey einem Bankett, der schauende Sinn 300 des Meisters auf diesen hohen Farben geruht haben, wogegen andre Schildereyen nur Schatten waren; wie natürlich entstand der Vorsatz, auch auf Holz und Tuch sich daran zu versuchen, und von dem glücklichen Erfolge war es ein kleiner Schritt zur um sich greifenden Annahme. Dieß Studium führte nun freylich weniger zur Kenntniß des Helldunkels und der Haltung u. s. w., als zu dem überirdischen Glanze, der feurigen Transparenz, und ähnlichen Vorzügen, welche unter den alten Mahlern so gemein sind, deren Erreichung aber sie zu der reinen Farbenmischung zwang, die unsrer Zeit fast eben so fremd scheint geworden zu seyn, als die Glasmahlerey, und die doch jene vierhundertjährigen Gemählde noch so frisch erhalten hat, wie sie unter dem Pinsel hervorgegangen sind.


So bin ich von Poussin unvermerkt auf den wärmsten, nicht auf den größten, Coloristen gekommen. Aber die Gerechtigkeit und der gesunde Verstand bewahren mich, jetzt etwa beyde gegen einander messen und abwägen zu wollen! Denn wenn ich nun von diesem heiligen Glanze wieder zu dem farbenlosen Poussin übergehen, oder nach Poussins antikisirten Gestalten diese kirchlich-strengen Heiligen beurtheilen wollte, so könnte ich kaum anders, als einem von beyden Unrecht thun, weil sie zwey Ende ausmachen, und doch jeder, allein betrachtet, so viel lobenswürdiges hat. Wer 301 gern richten will, muß sich hüthen, es nicht bis zur Wärme der Empfindung für die eine Partey kommen zu lassen, weil, wenn in diesem Zustande ein Urtheil gesprochen wird, das momentane Gefühl des Wohlgefallens sich unaufhaltsam neben die Erkenntniß auf den Richterstuhl drängt, und dann nothwendig der gegenüberstehenden Partey zu viel geschieht. Wer wird aber unter dieser Bedingung richten wollen, möchte ich fragen, wenn nicht die Erfahrung lehrte, daß dieß ausschließliche Absprechen nur zu gewöhnlich sey, weil man jetzt über alles Theorien ausspinnt, und jeder auch die Wissenschaft der Kunstregeln in der seinigen zu finden glaubt, dem zufolge dann Gegenstände, die ganz verschiedene Principien haben, unter Eine Norm des Urtheils gezwungen werden, und man auf diese Weise wenigstens einem von ihnen so gewiß zu nahe tritt, als man nicht zwey Körper, die einen verschiedenen Gesichtspunct erfordern, unter Ein Glas bringen kann, ohne den einen verstellt zu sehen.


In den Sälen des Museums, unter den Gemählden, und im Apollosaale bey den Hand-Zeichnungen, wo ich, manchmahl fast allein, auf den königlichen Polstersitzen, die noch da sind, ausruhe; eben so in dem Heiligthume der Antiken ist mir hier am wohlsten. Nicht so an den öffentlichen Plätzen, nicht im Palais royal; ich bin zu alt, zu lange in einfacher 302 Schweizersitte aufgewachsen, zu sehr im Widerspruch mit allem sittlichen und physischen Lärm und Geräusche, als daß ich an dergleichen, wenn die Neugier befriedigt ist, viel Wohlgefallen finden könnte. Ich sehne mich daher öfters zurück nach der ländlichen Stille zu Hause. Nicht selten komme ich mir selbst als der einsamste und unbekannteste Mensch in ganz Paris vor; meine Reisegefährten haben ihre Bekanntschaften, deren Häuser sie abends besuchen – ich habe keine, ungeachtet meiner Recommandationen, so daß es mir oft vorkömmt, ich müsse in meiner Persönlichkeit etwas abstoßendes haben, weil mich die laute Welt und ich sie nicht mag. Ich kann das aber nicht mehr ändern, und komme am besten fort, wenn ich im Stillen Geduld mit mir selbst und andern habe.

Zwey Männer habe ich indessen besucht ohne Empfehlung und Einführung. Der Eine ist Mercier, von dem als Verfasser des Tableau de Paris ich mannigfaltige Belehrung über diese Stadt zu erhalten hoffte. Eine noch ziemlich junge Person, die ihn mon bon ami nannte, öffnete, und führte mich bey ihm ein, wo mir eine etwas unordentliche Haushaltung auffiel. Es war nach zehen Uhr des Morgens, und noch lagen zwey Knaben von zehen bis zwölf Jahren nackt im Bette, und ein kleines Kind wurde in der Stube herumgeführt. Er fragte mich gleich, wie es jetzt in der Schweiz stehe, und als ich antwortete, wir leben noch bloß von der Hoffnung, es werde uns aber bald 303 gehen, wie ich gestern im Misanthrope gehört habe: on deséspere lorsqu'on espére toujours, fing er an von unsern Regierungen und ihrer Tiranney zu sprechen, um deretwillen es so habe kommen müssen; er rühmte die milden Gesinnungen der französischen Generale gegen unser Land: c'est avec regret, habe ihm sein Freund, der General Brune mit Thränen im Auge gesagt, que je vais faire la guerre dans ce pays la, das sey jedoch nothwendig gewesen. In diesem proclamatorischen Tone des ehmaligen Directoriums ging es noch lange fort; ich bekam nur zu hören, was ich nicht gern mochte, und von Bemerkungen über das neue Paris war nicht die Rede. Um ihn darauf zu bringen, sagte ich, die Schönheit ländlicher Natur sey doch auch etwas, und das sey das Einzige, was ich hier vermisse; über den Charakter der Stadt selbst aber finde ich, ungeachtet der neuen Zeit, noch immer den besten Aufschluß in seinem Gemählde von Paris. Das werde schon lange nicht mehr gelesen, antwortete er mit anscheinender Gleichgültigkeit, das beste Buch könne hier auf kein Jahrelanges Leben zählen, alles sey nur Mode, so auch das Aufheben, welches man jetzt von dem Schweizerlande mache, die Alten haben das nicht gethan; er kenne die Schweiz wohl, da er vier Jahre in Neufschatel gelebt habe; die Freude an der Natur im Kleinen sey der wahre Genuß, und diese gewähren ihm hier seine zwey Bäume im Garten, auf die er hinwies, so gut als eine Gegend voll 304 Berge. – Ich ließ ihm die Freude, ob er mir gleich die meinige verdarb, und empfahl mich. Uebrigens war er von natürlichem Betragen, scheint aber nicht gewohnt zu seyn, daß viele Fremde ihn besuchen. Er sey hier vergessen und verrochen, sagen die Pariser mit Undank, der Mann hatte doch einst viel Verdienst, das man nicht hätte vergessen sollen.

Mehr befriedigt war ich einige Tage nachher von einem Besuche, den ich bey dem Mahler David zu machen wagte. Ich hatte zu wiederhohlten Mahlen sein Gemählde der Sabinerinnen, das zur Schau ausgestellt ist, gesehen, ja sogar eine Beschreibung davon versucht,Zu finden in dem helvetischen Journal für Litteratur und Kunst. Zürich 1802. und konnte dem Triebe nicht widerstehen, wenn ich gleich schon lange nicht mehr berühmten Männern nachzugehen gewohnt bin, den Mann zu sprechen. Nach dem Spruche: loquere ut te videam, wollte ich ihn ganz sehen. Ich ließ mich also melden, mit nicht minder ehrerbietiger Gesinnung als wenn es bey einem großen Herrn gewesen wäre, und wurde sogleich in sein Wohnzimmer eingeführt, wo es wider mein Erwarten an Möblen und Wänden nicht vornehmer aussah als bey uns in ehrbaren Wohnstuben. Er rückte mir einen Stuhl zu sich hin, und so war die Bekanntschaft gemacht. Noch ein Mahler, 305 wahrscheinlich einer seiner Schüler, saß bey ihm, und häusliche Frauen gingen im Zimmer hin und her; das einfache Wesen gefiel mir. Als ich den Blick nach einigen Bildern warf, die herumhingen, und mir ganz gewöhnliche Pastellporträte zu seyn schienen, äußerte er, ich müsse dahin nicht sehen, diese Bilder haben nur Bedeutung für ihn, es seyen seine nächsten Verwandten.

Noch nahm ich den großen Meister nicht wahr, sondern nur einen schlichten kräftigen Mann, den ich mehr für einen außer Landes gebildeten ernsten Bildhauer oder Architekten hätte ansehen mögen, als für einen französischen Mahler. Auch sprach er gleich mit vieler Theilnahme von der Schweiz und unsrer vor gänzlicher Unterdrückung schützenden politischen Lage; warnte aber, da er mich anfänglich für einen patriotischen Künstler hielt, vor Einmischung in öffentliche Geschäfte; das sey, sagte er ganz unverhohlen, (wahrscheinlich seiner selbst eingedenk) eine Beschäftigung, die sich nicht mit den schönen Künsten vertrage, denn glänzende Ideale seyen in der Politik gerade so verderblich, wie graue Nebel in der Mahlerey. Von dem schönen Sommer, bemerkte er, werde ich in Paris weniger sehen, als in meinem Lande, worüber er auch ganz anders sprach, als Mercier der die Schweiz zu einer französischen Provinz gemacht, und seinen ärmlichen Garten dem Lande der Alpen vorgezogen hatte. Ueberhaupt hätte man diesen beyden Männern nach ihren jetzigen Reden die ganz entgegengesetzte politische 306 Rolle zuschreiben sollen, mit der die sie vormahls gespielt hatten; so unhaltbar ist jeder Enthusiasmus.

Da Vinci's Abendmahl von Morghen war erst vor einigen Tagen öffentlich geworden, stand in allen Kupferstichbuden voran, und war noch das Kunstgespräch der Stadt. Ich lobte es, David aber wollte nicht in mein Lob einstimmen, der Kupferstich sey schlecht, sagte er, und gebe gar keine Idee von dem großen Gemählde, das er unter die vorzüglichsten der Welt setze, habe auch nicht nach dem Originale gemacht werden können, weil man dort von den Füßen unterm Tische gar nichts mehr sehe. Wenn Mahler wie David kein großes Wohlgefallen an Kupferstichen haben, so ist das wohl zu begreifen, denn auch der beste Stich steht gar zu weit hinter dem, was sie in einem so vorzüglichen gemahlten Bilde sehen. – Er setzte Lenardo als Mahler noch über Michelangelo; die Kränkung, sich diesen vorgezogen zu sehen, habe den Lenardo aus Italien nach Paris getrieben, wo er sich zu sehr dem Vergnügen überlassen, daher man auch so wenig Arbeit von ihm sehe. – Er verschwendete sein Leben in Versuchen, sagte ich (nach Fuseli), und David fügte hinzu, seine Schönheit und sein Universalgenie haben ihn immer von beharrlicher Arbeit abgezogen.

Als ich des großen von oben beleuchteten Saales des Museums erwähnte, wo die Bilder von größerm Umfange aufgehangen sind, rühmte er vor allem aus 307 die Hochzeit von Canna des Paul Veronese, und sprach mit großer Bewunderung davon, welches ich um so viel lieber hörte, weil ich schon früher dieser Meinung war. Die daneben aufgestellten Rubensischen Bilder stehen gegen die technische Wahrheit dieses Gemähldes im Schatten, sagte er, und verglich Rubens Colorit mit dem Tone der großen Welt, es sey kein bon sens darin; wer nur bon sens spreche, gelte nichts, man verlange Esprit, dadurch blende Rubens, und werde deßhalb so erhoben.

Von Correggio sagte er unter andern; er habe immer als ein reicher Künstler angefangen, und als ein armer aufgehört, in den meisten seiner Gemählde zeige sich auffallend die häusliche Dürftigkeit, die ihn zu schneller Vollendung in den untergeordneten Theilen gezwungen. Oft sey auch etwas pastellfarbig widerliches in seinen Stücken. Gleichwohl müsse er ihn, der sich durchaus selbst gebildet, unter die Mahler vom ersten Range zählen. Raphael habe vieles von Masaccio und Fra Bartholomeo angenommen; diesen jedoch ertheilte er großes Lob, so wie er überhaupt von den alten Florentinern mit vieler Achtung sprach. – Tiziane seyen wenige hier, nur Ein Guter.

Gegen Lebrun, dessen große Schlachten auch in diesem Saale angebracht sind, hier aber neben dem glänzenden Farbenspiele der Rubens und Paul Veronese etwas flach und braun erscheinen, war er nicht so ungerecht wie manche Neuere; er schrieb ihm einen 308 edeln, wenn auch nicht großen Styl zu, und sagte, Lebrun habe in seinem Leben zu viel aus sich selbst gemacht, jetzt nach seinen Tode mache man zu wenig aus ihm.

Seine Rede war gelassen und ernst, natürlich und offen, er sprach nicht wie mancher deutsche Professor, der immer dociren will, noch wie ein redseliger Franzose, der sich selbst gefällt. – Da seine linke Backe durch ein Gewächs sehr verstellt ist, so sucht er in der Unterhaltung sich gern im Profil zu zeigen, jedoch ungezwungen und, wie man deutlich sieht, nicht um den Schaden zu verbergen, sondern dem Fremden den unangenehmen Anblick zu ersparen. Uebrigens ist er ein wohlgewachsener Mann von freyem kühnen Anstand und feurigem schwarzen Auge.

Auf die Restaurationen, die mit den eroberten Kunstsachen (denen er, wie alle Künstler die in Italien gewesen, lieber den alten Platz in ihrem Vaterlande gegönnt hätte) vorgenommen werden, war er übel zu sprechen: C'est comme si l'on m'egratignait le visage, quand je vois cela; man hätte sie lassen sollen wie sie sind, meinte er, man sey nicht einmahl mit dem bloßen Ausbessern zufrieden, ils les peignent, die Domenichine haben sie ganz übermahlt; in zehen Jahren werde man den Schaden erst sehen. So mache man es auch mit den Statuen, den Apollo sogar haben sie geseifet und gekratzt (savonné et gratté). um das Röthliche des Alterthums, das sich an den 309 Marmor setze, und das man so gerne darauf sehe, wegzubringen. Er habe es dem Consul und dem Minister gesagt, aber es helfe nichts.

Sehr bereitwillig gewährte er meinen Wunsch, seine ältern Gemählde zu sehen. Er ließ mich von seinem Schüler durch die dunkeln Gänge und Treppen des Louvre in ein Zimmer führen, wo mehrere seiner Bilder waren, unter denen mich aber die unsterblichen Meisterstücke, Horazier und Brutus, so beschäftigten, daß ich für Einmahl von andern keine Kunde nehmen mochte, um mir den großen Eindruck nicht zu verderben.

David erschien mir weder als Franzose, noch als einer andern Nation angehörig, sondern als ein in sich selbst ruhender, gediegener Mann, der den Bessern jeder europäischen Völkerschaft zugezählt werden könnte. Aus seinen politischen Verirrungen hat er sich längst wieder zu recht gefunden, und sich, wie er nicht verhehlen kann, durch Scham und Schmerz gereinigt; wiewohl er noch jetzt in dem Urtheile der Welt dafür büßen muß.


Das unaufhörliche Herumwandern, Umherblicken und Beschauen hatte meinen Geist so ermüdet, daß mich auch das Bedeutende wenig mehr anzog, und manches, dem ich zu Hause stundenweit nachgegangen wäre, mir kaum noch eines Blickes werth schien. Ich 310 konnte mir nun die Gleichgültigkeit der Pariser erklären, die das Alte nicht mehr beachten, und nur Neues wollen. Aber bey mir war es Erschlaffung, ich empfand, daß ich die Anstrengung unterbrechen und frische Luft suchen müsse, und setzte mich deßhalb mit ein paar Bekannten in eines der immer bereitstehenden Cabriolete, um nach St. Germain zu fahren. Das sind zwar wohlfeile, aber keine ergetzlichen Fuhrwerke.

Wir kamen bey Malmaison vorbey, wo jetzt der Erste Consul wohnt. Das Schloß gewährt von außen keinen großen Anblick, inwendig aber soll es sehr ausgeschmückt seyn. Einige Garden bewahren die Eingänge, das ist alles. Man sollte nicht denken, daß hier der wohnt, der gegenwärtig das Schicksal von Europa lenkt; man könnte es mit der einsamen Wohnung Friedrich des Großen vergleichen, wenn nicht andre Umstände die Vergleichung wieder störten. Es heißt auch schon, daß der kleine Raum dem großen Manne nicht mehr genüge. Was wird ihm genügen?

Bey Marly hielten wir einen Augenblick an, um das ehemahls so berühmte Werk zu sehen, welches das Wasser aus der Seine nach Versailles treibt. Es ist zu künstlich, als daß ich seinen Bau verstehen konnte, ich sah nur die ungeheure Gewalt, womit das Wasser fortgestoßen wird, welches in den Leitungen so schnell strömt, daß es wie Holz anzufühlen ist. Neu war mir das schauerliche Spiel der vierzehen ungeheuren schwarzen Wasserräder, die sich in chaotischer Wirre 311 durch einander treiben, und den Geist erschrecken, wie die heutigen Staatenumschwunge; nur daß sie zu einem geordneten Zweck arbeiten.

In St. Germain wollten wir übernachten; nachdem wir aber die Anmuth der Gegend bewundert, das alterthümliche, ehrwürdige, nunmehr vernachläßigte Schloß betrachtet, die lieblichen Terrassen sattsam durchwandert, und die Schwachheit Ludwigs XIV. bemitleidet hatten, der von hier aus, wo er sich zuerst anbauen wollte, die ferne Ansicht der Königsgräber in St. Denis scheute, und deßwegen die öde Landschaft von Versailles vorzog, – war es noch früh am Abend, und wir entschlossen uns, zwey Stunden weiter zu Fuß nach Versailles zu gehen. Prächtig war der Abend, mild und lieblich das Land, mahlerisch schön das grüne Laubgehölze, da wir zu Hause meist nur schwarze Tannenwälder vor uns haben.

Als wir aber auf die Anhöhe kamen, von der man in das weite Thal hinab sieht, wo Stadt und Schloß von Versailles und der große Park liegen, so verschwanden alle andern Eindrücke vor dem ganz neuen Anblick, der uns in der Frist von wenigen Minuten lange Tage der Vergangenheit vor Augen legte, denn die letzten Strahlen der Sonne ruhten noch glänzend auf dem königlichen Schlosse, goldenes Licht und breite Abendschatten, die aus dieser Ferne alles Kleinliche verhüllten, gaben dem großmächtigen Gebäude ein so heiteres und majestätisches Ansehen, daß man sich leicht 312 der Täuschung hingeben konnte, noch sey alles in seinem vormahligen Zustande, und das Hoflager des prangenden Königs walte noch in seiner ganzen Herrlichkeit da. – Doch kaum hatten wir uns in dieß schimmernde Leben hineinzudenken angefangen, als der Glanz der Sonne wich, und die graue Dunkelheit der Dämmerung sich schnell über alles verbreitete, so daß jede Zauberwirkung der Beleuchtung verschwand, und der stolze Pallast in leerer Unbedeutsamkeit, nur noch wie das Gerippe des so eben gesehenen da lag; ein sprechendes, ja erschütterndes Bild von Jetzt und Vormahls, dem wir nun bald noch näher kommen sollten.

Zum Wirthshause mußten wir durch den Schloßhof gehen, wo mir das Düstere, sich einengende der Bauart, und noch mehr das Gras auf dem Pflaster widerlich auffiel, die Betttücher meines Nachtlagers waren mit dem königlichen Wappen bezeichnet.

Beym Erwachen spürte ich, daß ich mir gestern durch Erkältung eine Unpäßlichkeit zugezogen; sie begleitete mich den ganzen Tag, und hinderte mich mancher Merkwürdigkeit nachzugehen, mag vielleicht auch Ursache mancher mißlaunigen Bemerkung gewesen seyn.

Da es noch zu frühe war, um im Schloß eingelassen zu werden, wanderten wir in dem Garten und Park herum, fanden alles, wie zu erwarten war, sehr vernachläßigt und nur zum Scheine noch ein wenig unterhalten. Zwar stehen noch Bildsäulen von Marmor und Erz in Menge umher, auch noch recht gute 313 Copien der Antiken, die besten jedoch sollen nach den Tuillerien gebracht worden seyn; aber was sonst diesen kunstgeordneten Räumen das Leben gab, die springenden Wasser, fehlen ihnen; es gibt einen traurigen Anblick, allenthalben die großen Bassins kaum zur Hälfte mit schlammigem Wasser angefüllt, und die wasserspeyenden Bilder in Trockenheit und Müßiggang verschmachtend daliegen zu sehen.

Dieser Park scheint auf eine beständige Fülle von Menschen berechnet zu seyn, denn ohne sie ist er jetzt das langweiligste Schaffwerk, so man sehen kann, bestehend aus Alleen, Bosketten, und dem schwarzen trocknen Gestein geschmackloser Cascadenstufen. Und was für Alleen? Schnurgerade, hohe Heckengänge von unausstehlicher Einförmigkeit, man meint immer den gleichen Gang zu gehen, und wenn die Sonne hoch steht, hat man nicht einmahl Schatten. Dazwischen stehen die Lustgebüsche; will man zu diesen hinein, muß man erst von einem Wärter den Schlüssel haben, dann kömmt man auf enge Pfade, die zur Mitte führen, wo ein kleiner Tempel mit Säulen und einem französirten Götterbilde steht, oder Marmorgruppen von Girardon, Coisevox und andern die mehr Verdienst im Einzelnen als im Ganzen haben, oder Springbrunnen die nicht springen. Erquicklich fanden wir indeß die kühlen Schatten, und den Morgengesang der Vögel, die sich in dieser Finsterniß der Bäume aufhalten.

314 Da mich mein Uebelseyn hinderte, meine Gefährten nach Trianon zu begleiten, das man als den lieblichsten Aufenthalt schildert, setzte ich mich auf eine Bank im Garten, dem Schlosse gegenüber, das von dieser Seite die Wohnung eines großen Königes würdiger vorstellt, als von der andern. Ich versuchte, mich in seine vorigen Zeiten zu versetzen, wo Könige und Fürsten mit glänzendem Gefolge aus diesem Prachtgebäude heraustraten, sich zahlreich in den Garten und um die Bassins ergossen, und alles mit schimmerndem Leben erfüllten; alle aufmerksam auf die Winke des Herrschers sich bemühten, im gefälligsten Anstande zu erscheinen, und ihm ein unvergeßliches Wort des Wohlgefallens abzuhorchen; wo die Wasserwerke überströmten, und niemand der kein hochzeitliches Kleid anhatte, sich nahen durfte, und wie ist es jetzt? Spielende Gassenjungen tummeln sich auf diesen Terrassen und marmornen Treppen herum. Einige tausend neuere Invaliden, die man hieher zu verlegen genöthigt war, weil sie sich mit den alten Kriegsmännern zu Paris nicht vertrugen, und jetzt in die Zimmer des untersten Stockwerkes, welche vormahls der unglückliche König inne hatte, vertheilt sind, erfrischen sich spazierend in der Morgenluft der Gärten. Unter ihnen sind viele, die in Egypten ihr Gesicht verloren haben, diese wandeln mit einem leitenden Hündchen an der Schnure in den Gängen herum, und beseufzen stille ihr Elend, oder singen es mit leichtem Muthe hinweg. Wieder 315 andre hört man auf erbärmlichen Geigen kratzen, da wo vordem die ausgesuchtesten Harmonien entzückten, und aus den königlichen Fenstern hängt die ärmlichste Wäsche heraus.

War dieser unendliche Contrast im Zeitraum einiger Jahre möglich, wen könnte irgend ein menschliches Schicksal mehr befremden! und so wie der Wechsel ins Schlimme möglich war, ist auch der ins Bessere wieder möglich, wünschen, hoffen und sagen jetzt die hiesigen Einwohner laut, wenn sie gleich, wie man weiß, anfänglich eifrige Republikaner waren. Aber weder die jetzige noch die vorige Gesinnung soll dem Consul angenehm seyn; er will weder König noch Republik, sondern Sich selbst.

Mich dem Schlosse wieder nähernd, kam ich auf die Terrasse vor demselben, wo ich von ziemlicher Höhe auf das Parterre der Orangerie hinabsahe. Dieß ist der schönste Standpunkt, den ich hier gefunden, er weiset auf ein großes Wasserbecken und viele hundert der schönsten Orangenbäume herunter, die ein edles Gebäude toscanischer Ordnung umgibt. Wie sich diese Partie allmählig verlängert, endiget sie in einen kleinen See, la pièce des Suisses genannt, welcher rings mit einer doppelten Baumallee bekränzt, und am Ende mit einem waldigen Hügel beschlossen ist, an dessen Fuß ein großes Ritterbild schimmert, das anfänglich zu einem Louis XIV. bestimmt war, und da es dessen Beyfall nicht hatte, aller Analogie zum Trotz in 316 einen M. Curtius umgeändert wurde, der sich für das Vaterland opfert. Mag auch diese ganze Partie etwas künstliches und altmodisches haben, so gewährt doch das Abgeschlossene derselben, welches wie ein übersehbares Gemählde zu unsern Füßen liegt, ihr etwas anziehend liebliches.

Um 10 Uhr wurden die Säle für das Publicum aufgethan. Gleich beym Eintritt ins Schloß drängten mir männliche und weibliche Cicerone ihre Dienste auf, um mir die choses sublimes, die ich sehen werde, begreiflich zu machen; ich konnte sie aber bald durch eine geringe Pränumeration los werden, und nun mit Muße die labyrintischen Zimmer durchgehen, wo noch genug zu sehen ist, so wohl an allerley Geräthe, besonders an zierlichen Gefäßen aus kostbarem Gestein als an Kunstwerken der französischen Schule, die man noch zu einigem Trost für die Stadt hier gelassen hat. Diese Kunstwerke füllen noch acht große Säle. Hier ließ sich Claude Lorrain in günstigerer Beleuchtung noch besser schätzen als im Museum; fast noch wohlgefälliger als seine großen mit Architektur und Ruinen gezierten Bilder fielen mir einige kleinere Landschaften auf, die mit vielen niedlichen Figuren (von Callot, wie man mir sagte) staffirt sind. Auch herrliche Vernets sind da, deren geistiges Leben aber gegen Claudes seelenvolle Stille auch hier wieder zu kurz kömmt; man verliert sich bey diesem nur in den Gegenstand, den man vor sich hat, bey Vernet wird 317 einem immer, ich weiß nicht wie, der Mahler erinnerlich.

Von Lesueur traf ich in einem eignen Zimmer die berühmte Folge von zwey und zwanzig Bildern aus dem Leben des heiligen Bruno aus dem Kartheuser Kloster zu Paris an, worin ich bey unverkennbarem Adel des Gedankens und der Darstellung doch viel Farbenschwäche und unerwartete Zaghaftigkeit in der Zeichnung fand; wie können ihn seine Landsleute mit Raphael vergleichen?

Viele vortreffliche Bildnisse, worin die Franzosen Meister sind, fand ich hin und her zerstreut; als ich zu einigen derselben, die in einer Vertiefung des Zimmers noch ungeordnet standen, treten wollte, wies mich ein wohlgekleideter Aufseher freundlich zurück, und da ich gegen meinen Gefährten bedauerte, sie nicht sehen zu können, und der Mann unsre Schweizersprache hörte, gab er sich sogleich als einen Landsmann zu erkennen, wir mußten ihm von der Heimath, die er lange nicht gesehen, erzählen; er war der Sohn eines ehmaligen Cent Suisse, und zur Schadloshaltung hieher versetzt worden; aus Uthnach gebürtig. Er hat uns nachher noch mehrere Gefälligkeiten erwiesen.

Lebrun nimmt sich auch hier, so wie im Museum als ein guter Zeichner von reicher Erfindung aus, und gefiel mir mehr noch in einigen kleinen Compositionen, zum Beyspiel in dem sogenannten Benedicite, als in 318 den großen. Die wohlbeleibte theatralische Magdalena, die Edelink so schön gestochen hat, fand ich auch hier; immerhin ein schönes Gemählde, und noch frisch in Farben. Am auffallendsten aber hat sich Lebrun hervorgethan in dem großen Saale, la grade gallerie genannt, wo er alle seine mannigfaltige Kunst und seinen vornehmen Geschmack zur Vergötterung seines Monarchen verschwendete oder verschwenden mußte; denn man kann sich nichts reicheres und prächtigeres denken, als die Decke dieses Saales in Hinsicht auf Architektur, Verzierungen und Mahlereyen, welches alles von ihm oder nach seiner Erfindung geschaffen wurde. Sich so wie hier Ludwig XIV. vorgestellt zu sehen, müßte ein Gott selbst für eine Ehre halten; die ganze Mythologie huldigt ihm, bald steht er da wie ein Apollo in göttlicher Genügsamkeit, und vor ihm her wüthet Hercules schrecklich mit seiner Keule gegen einige Dutzende moderner Allegorien aus der Moral und Heraldik; bald sitzt der König auf einem himmlischen Triumphwagen von Wolken getragen in antiker Rüstung und mit einer Allongenperucke, und schleudert Blitze, man weiß nicht, ob auf die Franche-Comté, oder auf seine Feinde, die sich unterstanden, ihm diese Eroberung zu wehren. Welch eine Leerheit mag in dem Kopfe gewaltet haben, den man mit solchen Schmeicheleyen füllen mußte! übrigens gehen alle diese Plafonds in den meisten Sälen ihrem Ende entgegen, sie werden schwarz, 319 zerbröckeln, fallen herunter, in manchen hat es schon große Löcher, einige kann man gar nicht mehr sehen.

Da ich mich zu krank fühlte, um weiter herum zu gehen, blieb ich allein in einem runden Saale, der an die königliche Capelle stößt, in welche ich durch eine geöffnete Flügelthür hinabsah, und saß da wohl eine Stunde. Welch andre Gedanken konnten mir hier zu Sinne kommen, als an das Jetzt und Ehemahls? Was hätte vor diesem mancher Fremdling darum gegeben, von hier aus Könige und Königinnen mit ihren Großen in Andacht knien, und sich vor dem Herrn der Herren demüthigen zu sehen, die Herrlichkeit der Priester und Cardinäle zu schauen, und dieß alles noch durch die feyerlichen Klänge der Orgel gerührt, sich in dichterischen Zauber zu stellen. Von diesem allem sah ich nun freylich nichts als den kunstgeschmückten Tempel, aber ich saß ruhiger da, als wenn mir ehmahls die hohe Ehre des Schauens zu Theil geworden wäre, und ich nunmehr diese Verlassenheit vor mir hätte.


Unser Rückweg ging über Seve, einen Mitbürger zu besuchen, welcher Vorsteher der dortigen Porzellanfabrik ist. Der Tag wurde bey ihm zugebracht, da wir durch seine Hülfe die Einrichtung der Ofen, die Zeichnungen und den ganzen Vorrath fertiger Sachen sehen konnten. Letzterer ist noch sehr groß und kostbar, obgleich die Anstalt in den neuern Zeiten sehr 320 gelitten hat, so daß anstatt dreyhundert ehmaliger Arbeiter jetzt nicht mehr hundert da sind. Dennoch sahen wir ganze Säle voll schimmernder Gefäße von dem größten bis zum kleinsten; große Urnen, worin sich ein Mann verbergen könnte, von übermäßig kostbarer Vollendung, die jedoch zu nichts als zur Verzierung glänzender Gemächer dienen können, auch nur zu Geschenken an große Herren bestimmt sind. Andre Vasen kleinern Umfangs, Schalen, Schüsseln, und Service aller Arten; alles dieses von der prächtigsten Vergoldung, wofür diese Manufaktur besonders berühmt ist, mehr als für die Formen, die noch zu viel von dem altfranzösischen Geschmacke haben. Auch mehrere kleine Stand- und Brustbilder waren zu sehen, allein in Statuen und Köpfen hat das Porzellan immer etwas hartes und stumpfes und am unrechten Orte glänzendes. Man macht auch ganze Gemählde auf große Tafeln, diejenigen aber, welche wir sahen, waren kleinlich, manierirt und hart in Farben.

Am meisten aber zog uns der alte Vorsteher selbst an; Herr Hetlinger unser Mitbürger hat von Jugend auf so besondere Schicksale gehabt, so viele Lebensarten durchgegangen, und ist so manchen Gefährlichkeiten entronnen, daß die ungeschmückte Wahrheit der Erzählung schon eine unterhaltende, ja lehrreiche Geschichte gäbe; und ob er gleich in früher Jugend eine kurze Zeit sogar mit Führern fremder Thiere herumgezogen ,muß man ihn doch, so bald man ihn sieht, 321 unter die Pectora lacte et non calcata candidiora nive zählen, er hat eine Unschuld des Gemüths, eine Einfalt der Seele beybehalten, die zu allen menschlichen Herzen sich einen leichten Zugang öffnet. Wiewohl er schon über dreyßig Jahre von seinem Vaterlande entfernt lebt, war es mir doch, wenn ich beym Mittagessen die Augen schloß, und seine Sprache und Redensarten hörte, als säß ich bey Hause mit einem gebildeten Freunde zu Tische. Er war mir ein Beweis, wie man sich sittlich verfeinern, und doch im Grunde den Charakter seines Geburtsortes beybehalten kann, und daß Unschuld des Herzens mit unbefangner Vernunft die wahreste feine Lebensart ist, die keiner weitern Politur bedarf. – Durch eine traurige Gefangenschaft unter Robespierre ist er um sein Vermögen und seine Gesundheit, ja bey einem Haar um das Leben gekommen. Von seinen Kenntnissen in dem Fache, dem er vorstehet, zeuget seine Wiederanstellung nach den Schreckenstagen. Aus der deutschen Litteratur kennt er nur die Schriftsteller seiner Jugendzeit, und hat eine kleine Bibliothek derselben in seinem Zimmer, aus welcher er mir Gellert und Rabener wies und freundlich rühmte. Hätte ich sie tadeln sollen? So wenig als ich einem Katholiken seine Heiligen tadle, oder einem Reformirten seinen Zwingli!

Als treuer Mitbürger hatte er unsrer Stadtbibliothek früher schon eine lebensgroße Büste Ludwigs XVI. von unverglasetem Porzellan zur Verehrung gegeben, 322 ein kostbares Werk, wovon vier einzige Exemplare gemacht worden, eines für Versailles, zwey für fremde Potentaten, und das vierte, das einen unmerklichen Fehler hat, schenkte der König Hetlingern. Auch finden sich noch viele in Wachs eingelassene kleine Vögel und Blumen von ihm, in zierlichen Farben, nach eigener Behandlung, worin er eine besondere Geschicklichkeit besaß.starb 1804.

Nachdem ich noch durch höhere Begünstigung den ersten Consul mitten im Gepränge seiner Generale, Minister und auswärtiger Großbotschafter geistlichen und weltlichen Standes, alle außer ihm in reichster Pracht, ganz in der Nähe zu schauen Gelegenheit gehabt, auch in der nämlichen Stunde, als ob es so seyn müßte, seine Gemahlin bey einer Putzhändlerin, vor deren Hause ich mit einem Bekannten sprach, hatte abtreten sehen, und nun unverzüglich zu den Antiken eilte, ihnen meinen letzten Besuch zu machen – wollte es mit dem Anschauen dieser todten Steine jetzt gar nicht gehen; der lebendige Bonaparte mit seinem Gefolge, seinen Kriegern, und allen Neugierigen, welche sich zu seinem Anblicke drängten, ja die benachbarten Dächer füllten, stand mir wie ein Blendlicht vor der Seele. Ich mußte mich auf einen Ruhesitz nieder- 323 und den Sturm der Eindrücke vorüber lassen; siehe, da saß ich von ungefähr (das aber wie alle ungefähr wohl auch so seyn mußte) vor den Büsten des herrlichen römischen Ehepaars, welches man Cato und Porcia nennt, das ich früher schon nie ohne inniges Verweilen vorbeygehen konnte. Es that auch jetzt eine gute Wirkung; diese so klar ausgesprochene Menschlichkeit, wie aus dem Paradiese hervorgegangen, oder vielmehr durch ein ganzes Leben der Prüfung rein bewährt, in deren Betrachtung ich mich nach und nach vertiefte, brachte mich wieder zu mir selbst und auf den rechten Standpunkt, um die wahre Höhe der Menschheit anschaulich zu erkennen. Das ging so weit, daß wenn ich mir im Geiste die Bilder von B. und seiner Frau, wären sie auch von Phidias gehauen, dieser Gruppe gegenüber gestellt dachte, ich ohne Bedenken dem Römischen Paare den Vorzug gegeben hätte.


Abschied war nun auch genommen von dem Museum, dem Pflanzengarten, und den Tuilerien, meinen liebsten Plätzen, dergleichen ich in der armen Schweiz nicht mehr sehen werde. Ein gleiches nun ebenfalls mit Einem Ueberblick von der großen Stadt selbst zu thun, bestieg ich des Morgens frühe, das heißt hier nach Neun, die Höhe von Montmartre, wo ich schon unterweges einen Vorschmack der Heimath 324 hatte, indem mir aus einer Kneipe der Vorstadt ein Gesang deutscher Handwerksbursche entgegen schallte, wie ein Traum, der mich gleich auf hundert Stunden von Paris wegsetzte.

Bey Windmühlen vorbey und kleinen Schenken, die mit windigen Inschriften die Nation zum Lebensgenuß einladen, denn dieß bisherige Zauberwort scheint sich nach und nach in solche Winkel zurückzuziehen, kam ich zu der Kirche hinauf, an der noch die aufgeblasene Inschrift prahlte: Le peuple français reconnait un être supreme et l'immortalité de l'ame. Hier hat aber dieß höchste Wesen einen armseligen zurückschreckenden Tempel voll Unrath und Schmutz, mit den erbärmlichsten Schildereyen unordentlich behangen. Man kann freylich allenthalben bethen, wer wollte aber seinen Gott nicht lieber draußen auf dem weitumsehenden Hügel verehren!

Zwey junge Männer kamen, die den auf der Kirche angebrachten Telegraphen sehen wollten; daran hatte ich nicht gedacht, und ging mit ihnen hinauf. Als wir an einer Thüre klingelten, wurde sie aufgemacht, ohne daß sich jemand zeigte; oben auf dem flachen Dache, um das eine Galerie geht, war der Telegraph angebracht, und unter demselben ein rings mit Fenstern erleuchtetes Zimmer, in welches Schnüre herabhingen, vermittelst derer durch Walzen der Kunstbau geleitet wird. Zwey Männer saßen da, die gar gefällig erlaubten, alles zu besichtigen und außen 325 herumzugehen nur die Maschinen nicht zu berühren, und die Fernröhre nicht zu verrücken, deren eines nach dem Louvre, das andre nach St. Denis gerichtet war. Da gegenwärtig der Telegraph ruhig und sein Spiel nicht zu sehen war, so fand ich Schadloshaltung an der weitreichenden Aussicht dieser Anhöhe, zu deren Füßen die unermeßliche Stadt mit ihren Kuppeln und Pallästen vor mir lag, so stille, als ob das dumpfe Donnergetöse ihrer Menschenwogen ganz verhallt wäre, so ruhig als ob kein Treiben der Leidenschaften sich mehr darin regte. So war auf diese geringe Entfernung schon alle menschliche Unruhe verschwunden, ist es ein Wunder, insofern dem fortlebenden Geiste sich noch eine höhere Ferne aufschließt, wenn er von dem Wirrwarr unter ihm nichts mehr vernimmt noch vernehmen will? – und wenn nun dieß Menschennest mit seinen vielen hunderttausend Bewohnern und allen ihren Herrlichkeiten von dem Erdboden verschlungen würde, welch eine Bewegung, welch Entsetzen in allen Welttheilen; und doch welch ein kleiner physischer Theil verschwände, ich will nicht sagen, von der Erde, sondern nur von dem beschränkten Raume, der den hiesigen Horizont ausmacht; so relativ ist jede Vergänglichkeit. Auch die noch größre Babylon ist verschwunden, daß man nicht einmahl die Stätte weiß, wo sie gestanden.

Und wer ist nun der Lobenswürdigste unter diesem wimmelnden Haufen, wer der Glücklichste? Ist 326 es der Ehrgeizige, der alles daran setzt, und seine ganze Ruhe und die von Millionen andern aufopfert, die Höhe, auf welche er gestiegen ist, zu behaupten, und die noch steilere, die sich immer neu vor ihm aufthürmt, zu erklimmen? – Ja, wenn er sich erhaben fühlt im Geiste über seine Mitmenschen, wenn er nicht sich selbst, sondern die allgemeine Wohlfahrt zur Absicht hat, und die Vorbestimmung in sich fühlt, den übermenschlichen Zweck zu erreichen, ohne auszuweichen und im eiteln Versuche zu erliegen, so ist er es, so laßt uns ihm die Krone geben! – Oder ist es der verlassene Elende, der auf den Stufen des Pallastes sitzt, und flehende Hände zu Gott und Menschen emporhebt, und nicht weiß wo er sein Haupt hinlegen solle? – Ja, wenn er die seltene Kraft übt, nie zu vergessen des Funkens der Gottheit, der ihn belebt, und im Vertrauen auf eine ewige Ordnung, auf einen Vater im Himmel, sich mit stillem Muthe Hülfe oder den Tod erringt, so hat auch er gerechte Ansprüche auf den Namen des Guten und Würdigen. Auch des Glücklichen? Wenigstens so gut als Jener.

Ungern stieg ich wieder von dieser einsamen Höhe herab, wo ich eine Zeitlang hätte wohnen mögen, kam in die Straßen der Stadt, die nach und nach volkreicher wurden, bis ich mich endlich wieder mitten im Getümmel befand, wo jedoch die auf dem stillen Berge höher gespannten Saiten der Seele noch eine gute Weile nachklangen.

327 Noch einige Tage ging ich öffentlichen Merkwürdigkeiten nach; den Menschenwerken, die ich zu Hause nicht sehen kann, mehr als den Menschen selbst, denn diese sehe ich im Vaterlande auch. Aber wäre auch die Stunde meiner Rückkehr nicht vorhanden, so müßte ich doch, um mich von der Zerstreuung wieder zu sammeln, eine Zeitlang mich einbannen, und eine bestimmte Arbeit vornehmen, um so viel mehr, da jetzt das Museum auf einen Monath geschlossen werden soll. Für einen, den nichts nach der Heimath zieht, muß sich hier doch ein ganz angenehmer Aufenthalt machen lassen, wenn er mäßig zu leben hat, und sich einen minder geräuschvollen Theil der Stadt zur Wohnung wählt, nahe bey einem schönen Spaziergange, dergleichen es hier so viele gibt, und nahe derjenigen öffentlichen Anstalt, deren Hülfsmittel er zu seiner Beschäftigung benutzen möchte; ein paar gute Bekannte finden sich dann bald. Aber arbeiten muß er, denn der Müßiggang ist hier verderblicher als anderswo.

Und wenn man mich nun fraget: was thatest du denn in Paris? so ist die Antwort: ich weidete meine Augen.

 


 

Est aliquid patriis vicinum finibus esse.

 


 


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