Ulrich Hegner
Auch ich war in Paris
Ulrich Hegner

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Erster Theil.

Der erste Theil dieser Reise war, wie man wohl sehen wird, nur für Freunde geschrieben; diese wünschten aber, daß er auch gedruckt würde, und – hier ist er. Ich weiß wohl, daß bei dem Publikum keine Entschuldigung solcher Art gilt, indessen bin ich diese wahrhafte Aeußerung mir selber schuldig.

 

Nachdem ich mich im Anfange dieses Jahres 1801 endlich von meiner politischen Bürde, die weniger groß als drückend war, losgemacht hatte, wurde die Begierde in mir rege, die erhaltene Muße (das ersparte Geld kann ich nicht sagen) zu einer Reise nach Paris zu nutzen. Schon seit mehrern Jahren trug ich mich immer mit einer Reise nach Rom, und meine Phantasie machte in dieser Zeit manchen Zug dahin, aber die Wirklichkeit wollte sich niemals geben, und nun war es zu spät; was wollte ich jetzt in diesem Lande thun, da seine beßten Kunstwerke, der Hauptgegenstand meiner Reise, von der großen Nation hinwegerobert worden, und bei der allgemeinen Unordnung die zurückgebliebnen schwerlich zu sehen seyn werden! Um den Charakter des Volkes kennen zu lernen möchte ich nicht hingehen, ich kenne ein besseres; und um Staatsverfassungen zu prüfen käme auch der Liebhaber dieses Studiums heut zu Tage wohl zu spät, weil man keine mehr findet, sondern allenthalben nur auf zusammenstürzende Trümmer von alten, oder rohe Baumaterialien zu neuen stößt.

4 Es bleibt dem berühmten Lande freylich noch seine schöne Natur, die keine schlechte Regierung verkrüppeln und kein Eroberer hinwegführen kann, und seine durch Geschichte und Kunst bedeutenden Ruinen des Alterthums. Allein wenn man einmal auf einem gewissen Alter ist, so macht man nicht mehr gern weite Reisen bloß für das poetische Gefühl, ob es gleich gut läßt und vornehme Sitte in Deutschland ist, von »den im jungen Sonnenstrahl aus Nebelhüllen emporsteigenden Hügeln der ernsten hohen Roma« mit der Wehmuth eines aller Freude abgeschiednen Geistes zu sprechen; oder die »Zypressen des Janiculus und Pinien des Montorio« wie Heilige anzurufen und demüthig zu bedauern, in den Sandwüsten und Nebelländern des Nordens geboren zu seyn; oder dem Publikum zu erzählen, wie man oben auf dem Capitol gestanden und »seine Thränen rinnen lassen auf die heilige Asche der Helden, zusammenschauernd in der Unwürdigkeit, wozu man vom Schicksale verdammt sey« – Große Worte und erhabene Empfindungen, nur Schade, daß sie mehrentheils mühsam zusammengelesene opera posthuma sind! Zudem bin ich nicht in dem kalten Norden geboren, der jedoch eben so glückliche Einwohner zu ernähren scheint, als das heiße Italien, von dessen brennenden Südwinden jene Schönempfinder nichts sagen, sondern in der Schweiz, wo die Natur in ihrer concentrirten Mannigfaltigkeit wenigstens erträglich ist; auch hab' ich schon lange 5 verlernt, Empfindungen nachzulaufen, weil ich aus Erfahrung weiß, daß die gemachten nicht die ächten sind.

Nach Paris also soll meine Reise gehen, und zwar vorzüglich darum, weil dort so viele Schätze der Kunst vereinigt sind, die ehedem in den Kirchen, Gallerieen und Kabineten Frankreichs, Hollands, Deutschlands und Italiens zerstreut waren. – Ohne gerade ein Künstler oder Kenner geworden zu seyn, habe ich, schon von meiner ersten Jugend an, so viel Liebhaberey zur Kunst gehabt, so viel damit getändelt, darüber gelesen, gesammelt und sprechen gehört, und so wenig Schönes vom ersten Range gesehen, daß ich es zu meiner Ausbildung unumgänglich erforderlich halte, dahin zu gehen, wo das Beßte dieser Art zu finden, und, wie man versichert, so leicht zu genießen ist.

Meine Freunde, für die ich diese Reise beschreibe, werden nicht fragen, wozu eine an Geld und Zeit kostbare weitere Ausbildung in einem Fache, zu dem man keinen öffentlichen Beruf hat? Sie sind mit mir überzeugt, daß ein Mann, der über die Jugendjahre hinaus ist, nicht mehr wählen kann, was er sich für eine Bildung geben wolle, sondern daß er sich's zur Pflicht machen muß, das, was er bereits hat, zu bearbeiten; habe er's nun durch Erziehung oder Liebhaberey, auf ebnem oder holperigem Wege erhalten. Ist es nur einmal sein erworbenes Eigenthum und kein unedles Gut, so darf und soll er es benutzen und vermehren, und dem Schicksale danken, wenn es ihm leichte 6 Mittel an die Hand gibt, seine geistige Ausbildung so gut als möglich zu vollenden.

Aber nun ging es mir wie einem Verliebten, der in dem Anschauen seines Mädchens täglich neue Rechtfertigungen seiner Liebe findet, denn da ich einmal diesen Entschluß gefaßt und in das günstigste Licht gesetzt hatte, gesellten sich bald zu dem angegebenen Bewegungsgrunde noch eine Menge anderer. Das muß ein sehr reiner oder sehr blöder Mensch seyn, der nur Einen Grund zu einer Handlung hat. – Wer wird aber die Nebengründe alle angeben können oder wollen, welche einen gebilligten Vorsatz begleiten? Die Hauptstadt Europas wollt' ich sehen, den Mittelpunkt der neuen weltumschaffenden Politik, die hohe Schule der sinnlichen Kultur, das französische Paradies – ich wollte mich selbst überzeugen, wie eine Million Menschen in einem Umfange von sechs bis sieben Stunden beisammen wohnen können, ohne einander aufzureiben oder zu verpesten – das Treibehaus der leichten Höflichkeit wollt' ich besuchen, und sehen, was von diesem zarten Gewächse sich etwa noch auf einen alten Stamm pfropfen lasse; zugleich gedachte ich die Vortheile des einsamen Lebens in großen Städten zu prüfen – und endlich (wer wirft den ersten Stein auf mich?) wollt' ich sagen können: Ich bin auch da gewesen.

Empörendes Sittenverderbniß, himmelschreyende Verschwendung und verworfene Armuth, werde ich sehen, aber eben deßwegen muß auch große und stille 7 Tugend da zu finden seyn. Man weiß ja, daß, wo die Versunkenheit der Sitten am tiefsten ist, musterhafte Tugend sich auch am kräftigsten emporhebt, so wie unter den lasterhaftesten Kaisern Roms der erhabenste Stoicismus blühte.

So faßte ich mein Vorhaben auf mancherlei Art in Rahmen und Glas, und war sehr erfinderisch, die Bedenklichkeiten zu heben, welche mir die weite Entfernung von den Meinigen verursachte.


Ich fing nun an, meinen Entschluß einigen Bekannten zu eröffnen, in der Hoffnung, Reisegefährten unter ihnen zu finden, die mir die besorgliche lange Weile der Wirthshäuser verkürzen, und ihre Bemerkungen mit mir theilen könnten.

So lange ich noch von meiner Reise, als von etwas ungewissem, wozu ich wohl Lust hätte, sprach, wollte mich jeder begleiten. Jeder fand den Einfall vortrefflich, die Kosten unerheblich und ein paar Monathe wohl zu entbehren. Als ich aber die Zeit meiner Abreise bestimmte, und die Sache nicht mehr blos ein Luftzug der Einbildung war, sondern zur Wirklichkeit werden sollte, traten alle zurück und keiner wollte mehr mit. Ich sahe nun, daß es mit solchen schnellen Zusagen wie mit jeder Bekehrung ist. Der neue Mensch beschäftigt sich zuerst nur mit dem Gefälligen seines veränderten Zustandes, und vergleicht denselben mit 8 der bisherigen langen Weile der Alltäglichkeit, er schmeichelt sich mit der Wichtigkeit, die er, bey sich selbst wenigstens, durch den ungewöhnlichen Entschluß erhält, und glaubt auch die Leute sehen ihn bedeutender dafür an; wenn es aber Ernst gilt und Hand an's Werk gelegt werden soll, dann zeigen sich erst die Schwierigkeiten und Mühseligkeiten, über deren Anblick der Reiz der Neuheit sich verliert, und der Gelust verschwindet, so daß dann die erste Liebe bald erkaltet, und der alte Sauerteig wieder wirksam wird.

Endlich gelang es mir doch einen, mir zwar persönlich unbekannten, Gefährten an Herrn G. von R. zu bekommen, zu dem sich nachher noch Herr St. von B. gesellte, welches mir sehr lieb war, weil ich mich anfänglich fast scheute, allein zu reisen. Ich hab' es auch nie bereut, indem ich an beyden Männern schätzbare Bekanntschaften machte; gleichwohl soll dem alten Sprichworte: qui a compagnon a maître, seine Wahrheit nicht benommen seyn. Für einen Mann, der mehr Welterfahrung hat, und nicht äußerlicher noch innerlicher Unterstützung bedarf, mag das Alleinreisen allerdings seine Vorzüge haben.


Nichts ist peinlicher, als jemand ein Vorhaben eröffnen, wenn man voraus weiß, daß er's nicht billigen wird. So ging es mir mit meiner alten Mutter; ich war zwar fest zur Reise entschlossen und wußte 9 wohl, daß sie kein erklärtes Nein dazu sagen würde, aber ich fürchtete die geheimen Mutterthränen, wobey einem Sohne jede Entschuldigung auf der Zunge erstirbt; und so vermochte mich endlich nur die Furcht, sie möchte es aus fremdem Munde erfahren, und mir darüber gerechte Vorwürfe machen, daß ich meine, vielleicht kindische, Scheu vor der älterlichen Autorität überwand, und mit dem Geheimnisse herausrückte.

Da ich diese Reise nicht unternommen, um die Welt, sondern um mich selbst zu unterrichten, so bin ich mir auch selbst zuweilen ein Gegenstand der Beobachtung gewesen, daher werden es mir meine Freunde auch zu gut halten, wenn ich etwa solcher persönlicher Angelegenheiten erwähne, oder wider meine Gewohnheit so oft von mir selbst rede. Unterdessen bin ich überzeugt, wer von sich selbst mit Wahrheit spricht, und aufrichtig die Eindrücke schildert, welche die Begegnisse (scheinen diese auch noch so geringfügig) auf ihn selbst machen, der spricht unter seinem eignen Namen von tausend andern, und darf das Mutato nomine de te getrost als einen Spiegel gegen Freund' und Feinde wenden.

Es ist daher nicht immer Eitelkeit, von sich selbst zu sprechen, und es mag wohl mancher es wagen, sein eignes Ich einen Augenblick zum Gegenstande der Aufmerksamkeit zu machen, der dabey mehr Selbstverläugnung zeigt und weniger um Beyfall buhlt, als ein 10 anderer, der kein Wort von sich selbst sagt, und nur Könige und Fürsten zurechtweist.

So würde ich auch noch gerne zwey mächtiger Anfechtungen gedenken, die sich mir in den Weg stellten, wenn ich es nur einzukleiden wüßte, ohne von neuem den guten Ton zu beleidigen; denn diese Hindernisse bestanden in zwey politischen Stellen, die mir in meinem unruhigen Vaterlande angetragen wurden. Wenn ich mir schon vorstelle, daß ich meine Reise nur einer Gesellschaft von Bekannten erzähle, wo man wohl etwas über die Schnur hinaus sprechen darf, ohne in den Schein egoistischer Abschweifung zu fallen, so fühle ich doch, daß es gewagt ist, von seinem Benehmen bei angetragenen Ehrenstellen (wenn man sie auch für keine halten sollte) viel zu sprechen. Man langweilt die Freunde, und die welche keine sind mögen es gar nicht vertragen. Es gibt Privatangelegenheiten, besonders von dieser Art, über die man seine Empfindungen niemals laut werden lassen soll, auch in das Ohr des vertrautesten Freundes nicht, weil jedes menschliche Gebrechen, das unsrer verkehrten Natur anklebt, eher seines Gleichen um sich leidet, als die erbsündliche Eitelkeit, die, wenn sie im Busen zweyer Freunde sich auch nur leise berührt, sogleich eine kleine Entfernung erzeuget, wovon die Wirkung oft noch fortdauert, wenn man nicht mehr an die Ursache denkt. Es schaden daher solche kleine, auch nur momentane, Zurückstoßungen und fliegende Antipathieen der Freundschaft 11 unendlich, und thun ihr oft mehr Abbruch, als aufsehenerregende Schwachheiten.

Nicht daß ich damit den Aristoteles unterstützen wolle, wenn er ausruft: Ach, meine Freunde, es gibt keinen Freund! – sondern ich möchte nur auf die zarte Gebrechlichkeit des reinsten und edelsten menschlichen Gefühls, welches wir Freundschaft nennen, aufmerksam machen – und mit dieser Warnung mich selbst entschuldigen.


So wie der neue Schweizer in mancher Rücksicht mehr geschoren ist als der alte, so ist er's auch mit den Pässen, und was das kränkendste ist, so sind auch an dieser Schererei abermals unsre Befreier schuld. Ehemals konnte einer mit einem altväterischen Passe von seiner altväterischen Obrigkeit durch ganz Europa reisen; jetzt muß man sich erst wie ein Rekrut messen und wie ein Schelm signalisiren lassen, und dann warten, bis der Regierungsstatthalter noch seine Unterschrift dazu gegeben. Kommt man nun mit so einem Passe nach Deutschland, so wird man, wenn's noch gutgeht, mit seinem Wilhelm Tell (auf dem Siegel) ausgelacht, von dem sie sogar behaupten, er habe niemals gelebt. Will man aber die Mutterrepublik besuchen, so nimmt sie einen aus zärtlicher Vorsorge nicht auf, es sey denn, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten habe 12 sein Certifikat und der französische Gesandte sein Visa beygesetzt, welch letzterer dann noch beyfügt, daß man sich bey dem Präfect der ersten französischen Grenzstadt vorzeigen solle.

Welche fatale Weitläuftigkeit, besonders für den, der dringende Geschäfte hat – und welche sclavische Dependenz würd' ich sagen, wenn Frankreich nicht seine guten Gründe dazu hätte! Da wir aber unabhängige Verbündete sind, so hätte das höfliche Frankreich uns wenigstens diese Gründe erklären, oder nach dem heiligen Rechte der Gleichheit uns auch gestatten sollen, keinen Franzosen in die Schweiz zu lassen, dessen Paß nicht vom helvetischen Minister in Paris unterzeichnet wäre – so hätte doch dieser Minister auch was zu thun gehabt!

Das Beßte ist noch, daß mir diese ganze, vielfach unterschriebene, besiegelte und bestempelte Erlaubniß in das gelobte Land zu reisen, nicht mehr als drey Batzen kostete.

Auch war ich in Verlegenheit, einen bürgerlichen Charakter, wie die Pässe fordern, anzugeben. Als Kaufmann, sagte man mir, könne ich am sichersten durchkommen; aber das bin ich nicht. Einen Gelehrten mag ich mich auch nicht nennen lassen, weil ich zwar vieles weiß, aber gemeiniglich das nicht, was man mich fragt. Am liebsten hätte ich noch für einen Mahler passirt, weil ich mit Darlegung meiner historischen Kunstkenntnisse der Mahlerzunft und mir selbst hätte 13 Ehre machen können; aber ich besorgte, die scharfen Wächter der Verrätherey in Frankreich möchten auf einen praktischen Beweis dringen, wo ich dann als ein gemeiner Pinsel zum Vorschein käme. –

Wie man oft über Kleinigkeiten in stärkerer Verlegenheit ist, als über große Dinge, so wußte ich mir auch hierin nicht zu helfen, bis mir endlich ein mitleidiger Freund das natürlichste und zweckmäßigste rieth: ich sollte mich als amateur des arts präsentiren.


Gerne hätte ich nun auch noch Reisebeschreibungen nachgelesen und mir Notizen gesammelt, ich konnte aber nicht mehr dazu kommen. Nun, so sehe ich was sich darbietet, dachte ich, und sehe es desto unbefangener, wenn es mir von keinem Weltverbesserer vorgeleyert wird. Zwar bestrebte sich auch mancher meiner Bekannten, die in Paris gewesen, mir einen Vorschmack der dortigen Seligkeit beyzubringen. Alles thut sich darauf zu gut, dort gewesen zu seyn; daher erzählte mir jeder was er wußte, ja oft noch mehr. Wenn man aber, wie es manchmal geschieht, nur bey dem unbestimmten ersten Eindrucke, den das ungewohnte Große und Schöne macht, stehen bleibt, ohne denselben weiter mit Verstand zu entwickeln, oder sich das Gesehene durch Nachdenken eigen zu machen, oder sich an das Einzelne mit liebevoller Aufmerksamkeit zu hängen, so geht es einem mit seinen Reminiscenzen 14 bald wie dem Apuleius, als er in einer bekannten Lage alle seine Empfindungen nur durch einen gewissen eignen Schrey ausdrücken konnte. Bey manchem meiner Erzähler glaubte ich etwas ähnliches zu hören.

Eben so mußte ich, wie einer der das Zahnweh hat, und dem von jedem Vorübergehenden ein Mittel empfohlen wird, auch manchen wohlmeinenden Rath über die ökonomischen und Fuhrwerksangelegenheiten meiner Reise anhören, ohne daß ich darum fragte. Ein ungebethener Rath aber ist mir so wenig willkommen, als es mir seit unsrer Staatsveränderung die ungebethenen Gäste sind, weil beyde die gleichen Ansprüche auf unverdiente Aufmerksamkeit machen, und dem, der den Frieden liebt, einen unerträglichen Zwang der Höflichkeit gebieten. – Man gibt sich auch durch nichts so bloß, und verräth so seine Particularneigungen und Leidenschaftlichkeiten, als wenn man unaufgefordert sich in fremde Angelegenheiten mischt, und Leuten, von denen vorauszusetzen ist, daß sie über ihre eignen Sachen selbst nachdenken oder fragen werden, wenn sie eines Rathes bedürfen, geschwind seine vorübergehende Ueberzeugung beybringen will. Wenigstens sollte man es machen wie die nordamerikanischen Wilden, die, wenn sie ein Vorhaben für gefährlich halten, ihre Warnung in eine Allegorie kleiden, so gäbe es doch auch was sinnreiches zu hören. Ueberhaupt sollte man bedenken, daß selbst ein erbethener Rath selten haftet, und sich 15 diese Sache dem Menschen nicht so geschwind anhängen läßt, wie man einen Hut an die Wand hängt.

Im gegenwärtigen Falle galt es nun freylich so ernsthaft nicht; ich wurde nur dadurch an diese allgemeine Rathgeberey erinnert, gegen welche ich jetzt selbst einen ungebethenen Rath ertheile.


Empfehlungsschreiben, die mir ungesucht angeboten wurden, wies ich nicht von der Hand, weiter aber gab ich mir auch keine Mühe darum, weil ich niemals weder bey mir selbst noch bey andern viel vortheilhafte Wirkung davon verspürt habe. Ich rede von den Empfehlungsschreiben, die uns bey angesehenen Personen oder in die feine Welt einführen sollen, wenn wir noch schwach genug sind, solchen Alltäglichkeiten nachzugehen.

Man gibt solche Recommandationen zuweilen aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß man auch auswärts bedeutende Bekanntschaften habe; diese sind gar oft die feurigsten, weil man, was an der Bekanntschaft abgeht, durch das hohe Lob des Empfohlenen zu ersetzen sucht, aber sie sind selten die kräftigsten, eben um ihres Ursprungs willen; und wehe dem vernünftigen Manne, der mit Posaunenton aufgeweckten Erwartungen entsprechen soll!

Oder man gibt sie auch, wie sie ehmals einer meiner Freunde gab, weil es in der Schrift heißt: gib dem, der dich bittet. Diese werden sehr ungleich 16 aufgenommen, je nachdem sie in gläubige oder ungläubige Hände fallen.

Haben sie aber auch wirklich freundschaftliche Gesinnungen zum Grunde, so kommt doch immer das meiste auf den empfohlenen Gegenstand selbst an. Auch das beßte Prädikat kann einem gemeinen Subjekte nicht lange helfen; man fühlt Fremden gewöhnlich mehr auf den Puls als Bekannten. Und wenn auch die Empfehlung einen würdigen Mann getroffen hat, so ist äußere Höflichkeit und selten etwas mehreres die Folge derselben. Man wird zum Essen und in Gesellschaften eingeladen, und, wofern das nicht Zweck der Reise ist, bey kurzem Aufenthalte nur um seine Zeit gebracht.

Man könnte es zum Erfahrungssatze machen, daß der Freund unsers Freundes selten auch unser Freund wird, und daß die beßten und dauerhaftesten Verbindungen immer die unempfohlenen sind.

Für Reisende, die auf die Heirath, sey es nun der Mädchen oder der Meinungen, ausgehen, ist es allerdings ein Gewinn, sogleich in einem Hause Zutritt zu haben, wo verheiräthliche Frauenzimmer sind, oder in gelehrten und politischen Gesellschaften produzirt zu werden, wo sie sich orientiren können; oder sich einem großen Manne zu nähern, um ihm mit Hülfe der Recommandation Worte der Vertraulichkeit abzulocken und sich seine Geberden als Maximen des Betragens zu abstrahiren (oder zu perhorresciren). Ohne diese Vortheile würde auch manche Reisebeschreibung nicht 17 an das Tageslicht gekommen seyn, worin jetzt der »Herr Urian« viel Wesens von seiner günstigen Aufnahm aller Orten, den Folgen seiner Empfehlungen, macht, und so umständlich über die wechselseitigen Gefälligkeiten und seinen Gespräche ist, wie Don Quixote über seine Abentheuer in der Höhle von Sierra Morena. Ja es scheint allmählich in dem schreibseligen Deutschland Sitte zu werden, seiner eignen und Andrer guten Lebensart und Urbanität ein solches Monument zu stiften. Ob aber diese Denkmale deutscher Art und Kunst, die heute gelesen und morgen vergessen werden, als eine Widerlegung meiner ungefälligen Bemerkungen gelten können, ist noch die Frage.

Unterdessen möchte ich niemand seine Freude verderben; wenn einer gern seinen Zeitvertreib bey der langen Weile sucht, so kann er sich meinetwegen immerhin mancher sogenannten guten Gesellschaft durch Recommandationen aufdringen. Ich gebe nur meine eignen Beobachtungen und Erfahrungen an, und die haben mich immer gelehrt, daß verständige Reisende, denen nicht mit dem leeren Aeußern gedient war, eben nicht viel Werth auf ihre Empfehlungen legten, und die davon abhängenden Besuche zwar gutmüthig mitmachten, jedoch selten ohne den geheimen Seufzer der Lästigkeit.

Hierfür spricht auch das Beyspiel des heiligen Howards, der wohl nicht zum Zeitvertreib reiste, und gewiß nichts zu benutzen unterließ, was er zu seinem 18 Zwecke dienlich fand, und der dennoch auf seinen Reisen selten von Empfehlungsschreiben Gebrauch gemacht und behauptet haben soll, daß er in seinen Nachforschungen glücklicher sey, wenn er sich selbst überlassen bleibe.

Dem Guten und Edlen, dem Großen und Schönen beyzukommen, gibt es jedoch ein Mittel, das zwar im Anfang einige Selbstüberwindung kostet, aber kräftiger wirkt, und tiefer eingreifende Bekanntschaften macht, als alle Empfehlungen. Es besteht darin, daß man es wage, sich selbst zu empfehlen, daß man sich nicht scheue, einem Menschen, oder jedem andern merkwürdigen Gegenstande, wenn die Neigung zu ihm aus reiner Quelle fließt, ohne anderes Geleit, als die Einfalt und Klugheit, die einem gebildeten Manne geziemt, entgegen zu gehen, und man wird Wunder sehen, wenn man diesem Charakter getreu bleibt, mit welcher Leichtigkeit und welchem erhöheten Selbstgefühl man seinen Zweck erreicht; denn, wenn es einen »wahren Glauben, dem alles möglich ist,« gibt, so besteht er in dem Zutrauen auf die Reinigkeit der Absicht und dem weisen Benehmen dabey. Und wenn auch nicht alles nach Absicht gelingen sollte, so macht man doch andre brauchbare Erfahrungen, die immer das Handeln aus eigner Kraft begleiten.

Es ist möglich, daß man zuweilen auf diesem Wege der Verspottung begegnet, oder sie anfänglich wenigstens befürchtet, allein das halte uns nicht ab; der Spott haftet nicht an einem reinen Vorsatze, und eben 19 diese Selbstüberwindung lehrt uns das wahre Glück des Lebens kennen. Nondum felix es si nondum turba te irriserit, sagte mehr als Ein alter Weiser.

Freylich mißbraucht auch oft die Frechheit dieses Betragen, das nimmt aber seinem Werthe nichts; man weiß ja, daß das Beßte immer dem schlimmsten Mißbrauch ausgesetzt ist.


Meine Abschiedsbesuche waren bald gemacht. Die theilnehmende Freundlichkeit meiner wenigen Freunde freute mich; ich kann aber nicht sagen, sie versüßte mir das Bittere des Abschieds, denn ich fühle diese Bitterkeit selten; ich habe wenig Sinn für die Trennung, und keinen Maßstab in meinem Herzen für ihre Dauer; gewöhnlich kann ich das Liebste verlassen, ohne eine Spur von Trauer in mir selbst zu entdecken, hingegen rührt mich in ähnlichen Fällen oft die Wehmuth anderer zu einer mitleidigen Zähre, jedoch meistens in umgekehrtem Verhältnisse ihres lauten Ausbruchs, so wie der stille Seufzer gottergebener Demuth niemahls ohne Wirkung an meinem Herzen vorübergeht.

Wenn ich indessen auch in dem Momente der Trennung nichts fühle, so kenne ich doch die Sehnsucht der abwesenden Liebe, und treue Anhänglichkeit an meine Freunde verläßt mich in der Ferne so wenig als in der Nähe. Es sind mir schon Freunde gestorben, die mein Herz selbst gewählt hatte, die mein 20 ganzes Vertrauen besaßen, an die ich immer mit der reinsten Freude dachte, ja einer starb plötzlich – und ich fühlte nichts bey ihrem Tode, meine Empfindung blieb ungerührt, ich trauerte weder um sie noch um mich, aber mich ergriff die Trauer der Ihrigen, daß ich mein Auge voll Thränen wegwenden mußte, und wenn diese Verstorbenen nach Jahren wiederkommen könnten, ich liebte sie noch mit der alten Treue, denn für die Treue kann ein rechtlicher Mann immer stehen; etwas anderes aber ist es mit der Zärtlichkeit in der Freundschaft, diese richtet sich, wie ich schon bey berühmten Verbindungen dieser Art gesehen habe, nach dem Thermometer unsers Wissens und Glaubens überhaupt.

Freundschaft ist nicht ein Geschäft des Herzens allein, und hängt nicht bloß vom Willen ab, sondern eben so sehr von der Uebereinstimmung der Gesinnungen und von der Richtung der Verstandeskräfte; so lange wir aber hierin noch wandelbar befunden werden, sollen wir nicht von der Unsterblichkeit der Freundschaft sprechen.

Ueberdieß ist die Trauer beym Abschied, so wie die Freude beym Gruß und die Empfindung beym Dank, so selten ganz rein und unvermischt von eigner und fremder Täuschung, daß, wer die Welt und sich selbst kennt, auf die Aeußerungen dieser Gefühle gern Verzicht thut, und zuletzt, wie Montaigne, nicht gern mehr grüßt, und nicht gern Abschied nimmt, nicht gern danket, und nicht gern hat, daß man ihm danke.

21 In solcher Sinnesart herrscht freylich Mangel an scheinbarer Gefälligkeit, aber darum noch kein Mangel an wohlwollender Liebe, denn diese kann mit der Wahrheit bestehen, auch mit derjenigen Wahrheit, welche unsre Gebrechlichkeit aufdeckt.

So mögen wohl auch meine Erfahrungen viel zu dieser Kälte der Empfindung beygetragen haben. Wie oft sah ich, daß jene schluchzende und händeringende Abschiedszärtlichkeit nichts weiter war, als momentane oberflächliche Reizbarkeit, die sich, ach wie schnell! in Gleichgültigkeit und Vergessenheit auflöste. Saepe videtur esse charitas, et est magis carnalitas: sagt der herzenskundige Thomas a Kempis.

Ich sah ein zärtliches Ehepaar Abschied auf eine Reise von etlichen Tagen nehmen; sie umarmten sich, weinten, hingen sich wieder um den Hals, exclamirten, kehrten zurück, konnten sich nicht lassen, gestikulirten noch von weitem – Ich schämte mich meiner Kälte – Und diese empfindsamen Personen konnten keine Woche ohne groben Zank hinbringen, wollten sich immer scheiden lassen, und verwünschten sich in der Abwesenheit.

Ich sah einen Bruder, der seine zwey Geschwister, indessen er sie um ihr Erbtheil schändlich betrog, nie anders verließ, als in zärtlichen Thränen zerschwimmend.

Hingegen welche wohlwollende Aufmerksamkeit leuchtete mir oft aus den kaltscheinenden Aeußerungen ernsthafter und gesetzter Menschen entgegen!

22 Der Abscheu vor dem Empfindeln macht, daß man oft seine wahre Empfindung zurückhält, und diese Zurückhaltung kann bald zur Gewohnheit, und Gewohnheit nach und nach zur Natur werden.


An dem schönsten Frühlingsmorgen reiste ich den 13. May 1801 von Hause ab, und tröstete noch die Meinigen mit der kurzen Dauer meiner Reise und dem nicht unedeln Zwecke derselben, Menschen und menschliche Künste zu sehen.

Hierzu fand ich wirklich schon in Zürich Gelegenheit, wo eine Ausstellung von Kunstwerken lebender schweizerischer Künstler, ein französischer Kunstreuter, und ein deutscher Tonkünstler, also Kunst und Kunststücke nach Belieben, zu sehen und zu hören waren.

Die Gemählde-Ausstellung war gerade zum letzten Mahle sichtbar, und wurde noch stark vom geschmackliebenden Publikum besucht. Es fanden sich Gemählde und Zeichnungen da von Bidermann, Geßner, Lips, Rieter, Wocher und einigen andern, die allerdings eines öftern Besuchs werth waren, wenn auch das Publikum noch geschmackvoller gewesen wäre; Stücke, die sich auf jeder Gemähldeausstellung hätten zeigen dürfen. Freylich wurde von Kunstverständigen auch an diesen verschiedenes getadelt, zum Beispiel (ich nenne gerade die vorzüglichsten) an Bidermann, der in seinen Viehstücken mit dem größten Erfolge die Bahn 23 der berühmten Niederländer betritt, fand man das Colorit seiner Landschaften etwas zu wasserfarbig und bunt, und schrieb solches den vielen Arbeiten in Aquarell zu, womit er sich bey Verfertigung seiner Schweizeraussichten (den ersten übrigens in ihrer Art) beschäftigt. – An den mit scharfem Verstande gedachten und mit unermüdlicher Kunst behandelten Gemählden Rieters tadelten sie, bey aller Kraft des Pinsels, noch eine gewisse Härte und Mangel an Harmonie, an andern anderes.

Wenn man indessen auch zugibt, daß der Tadel an sich nicht ungerecht war, so prädominirten doch die Schönheiten weit über die Fehler, und es ist nicht zu vergessen, daß der Forderungen so viele sind, die man an ein Gemählde machen kann, mehr als an jedes andere Kunstwerk, daß selbst der Meister aller Meister nicht vor dem Richterstuhle der Vollkommenheit besteht.

Hätten meine Wünsche auch Kraft, so gäbe ich jenen noch etwas von Geßners größrem Style, und diesem wünschte ich die Reinheit der Farben und klare Lieblichkeit jener. Wochern bäthe ich, sein außerordentliches Talent nicht an Copien in Wasserfarbe und Auflösung schwerer aber kleinlicher Probleme zu verschwenden, und den kunstgerechten Zeichner Heinrich Lips würde ich zuweilen an seine geliebten und ehemahls so glücklich nachgeahmten Vorbilder Italiens erinnern, um nicht von dem Geiste kleinstädtischer Aengstlichkeit und unbedeutsamer Nettigkeit befangen zu werden; 24 auch um des begründeten Ruhms willen, den er sich durch seinen Grabstichel erworben, glaubte ich ihm rathen zu dürfen, sich nicht ganz kleinern Arbeiten hinzugeben, sondern daneben immer ein großes Werk an der Hand zu haben, an dem er sich erhohlen und erheben könne.

Man hätte kaum erwarten dürfen, daß in Helvetien, wo es den Künsten jetzt so ganz an aller Unterstützung fehlt, noch solche treffliche Werke zum Vorschein kämen. Freylich sind viele dieser Kunstwerke noch aus den vorigen Zeiten, aber auch damahls war die Unterstützung nur kärglich, denn die Kunst bedarf großer Herren, und solche gab es in der Schweiz nicht, obwohl einige glaubten, es zu seyn. Doch gab es von Zeit zu Zeit vornehme Reisende, die ein Andenken jener glücklichen Gegenden oder schönen Ansichten mit sich nehmen wollten, und so das Talent unterstützten; jetzt aber sind die vornehmen Reisenden und das Glück der Gegenden verschwunden, und der Künstler hat nichts mehr als die schönen Ansichten, die noch die heilige Flamme seines Geistes beleben.

Schade ist es übrigens, daß die Vorsteher dieser Ausstellung nicht etwas strenger in der Auswahl gewesen sind, und so viel schülerhafte Produkte aufgenommen haben, von denen sich der gute Geschmack wegwendet. Es ist nicht Aufmunterung für Ungeschickte, wenn sie ihre Werke neben den Arbeiten großer Meister ausgestellt sehen, es ist vielmehr ihr Verderben. 25 Künstler von der untern Klasse haben ohnehin die Gewohnheit, ihre Werke so lange mit amorosen Blicken und in jedem Lichte anzuschauen, bis sie das Verdienst, das nicht in der Wirklichkeit da ist, wenigstens hinein imaginirt haben. Sehen sie sich nun wirklich ausgestellt, so verschieben sie auch den wahren Gesichtspunkt der Ausstellung, und horchen auf nichts als auf die günstigen Worte des begaffenden Pöbels, der das schlechte zu loben verdammt ist, oder sie halten sich an den Trost, in dem gedruckten Verzeichnisse zu figuriren. Man wird sagen, ich rede nur von Thoren, aber ich antworte: hätten sie Verstand, so würden sie besser mahlen, oder ihre Werke nicht auf die Ausstellung geben.

Ich bin aber überzeugt, daß es nicht so wohl um der Aufmunterung willen geschah, daß solche Gegenstände aufgenommen wurden, als aus Mangel an Besserm, und um die Wände voll zu machen; hauptsächlich aber ist es eine Wirkung der schweizerischen Gefälligkeit. – Schweizerische Gefälligkeit, ist denn die so groß? Ja, sie ist so groß, daß sie zur moralischen Schwäche geworden ist. Es ist eine Ohnmacht der dreistgeäußerten Erwartung andrer zu widerstehen, die wenigstens die Städtebewohner unsers Vaterlandes auszeichnet, und sich auch hier im Kleinen äußerte, so wie sie im Großen an mancher unsrer gegenwärtigen Unannehmlichkeiten Schuld ist.

Nachdem ich auch hier noch von einigen Bekannten Abschied genommen, und von freundschaftlicher 26 Hand ein Empfehlungsschreiben nach Paris erhalten hatte, eilte ich von Zürich wegzukommen, denn es wurde mir da so viel von der traurigen Lage des Vaterlandes und seiner Nichtunabhängigkeit erzählt, daß mir der anwesende französische General und die Menge lustiger Offiziere, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, ein Dorn im Auge waren, und mir alle Freude vergällten.


Den 14. May reiste ich in der Basler Landkutsche mit vier Passagieren, worunter zwey Offiziere waren, von Zürich ab. Ich fahre nicht gern in Einem Wagen mit Leuten, die nicht meine Vertrauten sind; man ist sich zu nahe. Ueberdieß klebt mir von der Einsamkeit meiner Kinderjahre her die Unart der Verlegenheit an, dagegen kein Zwang und kein Sträuben hilft, bis ich mit dem Unbekannten nach und nach bekannter werde; ich habe keine Ruhe, so lange ich nicht die individuelle Seite dessen, der mir gegenüber ist, zu treffen weiß. Es ist Mangel an gutem Ton, Ungeduld der Beobachtung, ich weiß es wohl, kann es aber nicht ändern, und tröste mich dann am beßten mit Schweigen, und mit dem Gedanken, daß ich allein darunter leide. Schwerlich aber werde ich, auch im Sitze der feinen Lebensart selbst, dieser Ungeschicklichkeit mehr ganz los werden.

Von Zürich bis Baden war mir die Fahrt sehr unangenehm, weil sie durch die Gegend ging, welche 27 so lange der Schauplatz des Krieges und soldatischer Zügellosigkeit war. Noch sahe man die Hütten der Soldaten an den Hügeln; auf der Stirne des armen Landmanns glaubte ich noch den Schweiß geplagter Mühseligkeit und die Thräne des Kummers auf seiner Wange zu erblicken. Auch die abgebrannte Brücke und die Trümmer der Häuser zu Wettingen erregten keine fröhliche Erinnerungen, und ich hörte ungern die Offiziere von der Schande der Menschheit, dem Kriege, sprechen.

Freylich hat sich schon manches wieder erholet, vieles steht noch zu hoffen, am meisten aber ist zu wünschen übrig. Auch fehlt es in meinem rathlosen Vaterlande weder an Hoffnungen noch an Wünschen, das schlimmste aber ist, daß jeder seine eignen hat; die meinigen beschränken sich post tot discrimina rerum einzig noch auf zwey Punkte, nämlich auf die Eintracht, sey dann das Object der Uebereinstimmung was es wolle, und auf die Entfernung der fremden Truppen, die zwar die äußerliche Ruhe des Staates zu erhalten scheinen, die innerliche der Häuser aber stören. Doch wenn nur einmahl die Eintracht da wäre, mit der Entfernung der Truppen würde es sich dann schon geben. Aber das ist eben die schlimmste Folge einer Revolution, daß den Leuten dadurch die Augen nicht auf- sondern zugehen, und Freunde und Feinde derselben, wie Pharao bey der Revolution Mosis, anstatt sich zu nähern immer verstockter werden. Die einen wollen 28 lieber alle zehen Plagen Egyptens ausstehen; als sich in die Zeichen der Zeit schicken, die andern aber legen es darauf an, vierzig Jahre in einer Wüste zu leben.

Diese unangenehme Stimmung machte, daß ich auch das alte Schloß zu Baden, dessen Ruinen mir nie gefielen, mit neuem Widerwillen ansahe. Es ist nicht nur ein Denkmahl des Kriegs und zwar eines, freylich kürzern, aber noch unsinnigern als der letzte war, sondern es ist zugleich ein Denkmahl der kleinlichen Eitelkeit gewisser hoher Stände, die bey der Schleifung desselben darauf sahen, daß es ja nicht ganz niedergerissen werde, sondern als ein immerwährender Triumphbogen in eidgenossischem Geschmack zum Schrecken ihrer Feinde zur Hälfte stehen bleibe.


In Arau waren wegen des heutigen Himmelfahrtsfestes alle Wirthshäuser mit tanzenden und singenden Bauern angefüllt, und auch in den Gassen standen sie in Menge mit ihren Mädchen umher. Ein munteres Volk, das, der geringen Entfernung ungeachtet, durch blühendere Gesundheit und leichtere Haltung des Körpers sehr von den lederfarben Landleuten eines benachbarten Kantons absticht, die voll Hypochondrie und neidischen Mißmuths kaum noch das Kegelspiel als eine Ergetzung treiben mögen, und wenn sie mit ihren Unschönen gesellschaftlich zusammen kommen, keinen andern Lebensgenuß kennen, als sich 29 unterm Abschreyen alberner Lobwasserscher Psalmen zu betrinken.So war es noch 1801. Seitdem sind andre Lieder aufgekommen, wogegen man jene Psalmen als ein Heiligthum zurückwünschen möchte. Doch ist zu hoffen, daß die neuentstehenden Sängervereine bald einen für Sitte und Kunst angemessenern Ton zu Stadt und Land einführen werden, wenn die Sache nicht bis zur Ostentation getrieben, und dadurch wieder abschreckend wird. 1826. Ein sittlicher Verfall, wovon es nicht schwer, und vielleicht heilsam wäre, die Ursachen anzugeben, wenn einer es wagen wollte, seine Haut dem Stich ergrimmter Wespen und seine Ohren dem Gesumme geistlicher Hummeln preis zu geben.

Beym Nachtessen ließ sich ein armer Musikant mit seinem Weibe und zwey Knaben hören. Schon der Vortheil, daß ich während dieser Zeit nichts sprechen muß, und doch etwas nachzusinnen habe, macht mir diese Tafelmusiken erwünscht. Darf ich aber noch hinzufügen, daß in der Musik solcher fahrender Spielleute etwas anziehendes und rührendes für mich ist, das oft mein Gefühl stärker ergreift, als das künstlichste Concert, zu dem man sich in Putz und Pracht, und mit gespitzten Ohren versammelt. Diese Rührung mag ihren Grund zum Theil in der romantischen Vorstellung von ihrem Leben, hauptsächlich aber in der Musik selbst haben. Die Tänze und Volksgesänge, welche sie spielen, sind meistens allbeliebte Melodien, die nicht durch Protection, sondern durch ihre eigne Trefflichkeit, sich in die Kreise des fröhlichen Lebens 30 eingedrungen und erhalten haben, und in reicherm Maße von dem wahren Geiste der Tonkunst angehaucht sind, und deßwegen auch mehr reelle Wirkung auf die unverfälschte Empfindung haben, als so manches modisches Meisterstück gelehrter Harmonie.

Man sollte also diese Leute nie schnöde abweisen, noch weniger sie während ihres Spieles lächerlich machen; man beleidigt in ihnen die himmlische Kunst, deren Zweck es ist, uns mit allem, also auch mit armen Musikanten, in Harmonie zu setzen.


Man stößt zwar allenthalben auf kleine Spuren unsrer Staatsveränderung, doch kann man nicht von gar allen mit Fug sagen_ Vestigia terrent. So begegnete uns heute (15. May) auf offener Landstraße eine katholische Procession, die ganz bescheiden und demüthig, wie es sich für bethende Christen geziemt, an uns vorbey zog, und nicht, wie es wohl ehedem, wo nicht hier doch anderswo, geschah, aus Eifer für die Ehre Gottes mit Steinen nach dem Wagen warf, oder ihn umzuschmeißen drohte, weil der Aberglaube auf den Mienen der Reisenden Ketzerey las. Ehre dem Ehre gebührt! Daß das Pfaffenthum nicht mehr aus den gastfreundlichsten Menschen zu gewissen Zeiten wilde Thiere machen kann, ist eine wohlthätige Folge der Revolution.

Hingegen gewährt etwas anders, das neu, obgleich an sich unschuldig ist, den reisenden Schweizer einen 31 sehr unangenehmen Anblick; ich meine die Zahlen der Häuser, welche ihm die Erinnerung so vieler lästiger Einquartierungen aufregen, die seine häusliche Bequemlichkeit störten, oder seinen kleinen Vorrath aufzehrten, oder, wenn sie's gut meinten, ihm das langweiligste Detail von Scharmützeln vortönten, oder sonst mit eingebildeter Ueberlegenheit ihre Unwissenheit auskramten, und er bey allem dem noch die sclavische Miene der Erkenntlichkeit annehmen mußte.

Diese Nummern sind auch an den niedrigsten Hütten der Armuth angebracht, und wer kann sich dabey enthalten, an die Drangsale des dürftigen Bewohners zu denken, die er von den rohen Gästen hülflos erdulden mußte! – Wenn auch diese Gäste nicht wirklich vorhanden sind, so ist doch die Nummer der Titel dazu, und also dem ungewohnten Schweizer immer ein drückender Anblick.

Den Nutzen möchten jedoch diese Zahlen haben, daß man sie als den Maßstab der ästhetischen Kultur eines Ortes betrachten kann; denn in Arau waren sie schon besser gemahlt als in Olten, und da besser als auf dem Lande; in einigen Dörfern aber so schlecht, daß sie auch auf der dienstfertigsten Gemähldeausstellung kaum einen Platz gefunden hätten.


Im Kanton Basel herrscht schon wieder eine ganz andere Bauart der Häuser, als im Kanton Argau und 32 Solothurn, und dort eine andere als im Kanton Baden und Zürich. Hiervon aber ist der Grund wohl nicht leicht anzugeben; ich glaube indessen, daß er mehr in der Anhänglichkeit der Landleute an die Gewohnheiten ihrer Väter, und in ihren eingeschränkten Geistesbedürfnissen, als in der Verschiedenheit des Klima und des Landbaues, wie man gewöhnlich behauptet, zu suchen sey, denn hierin ist ja keine Verschiedenheit, wenigstens keine so große, daß sie Ursach einer solchen Wirkung seyn könnte. Die gleiche Bewandtniß, wie mit der Bauart, hat es auch mit der Kleidung, der Sprache und der körperlichen Bildung, worin sich wohl in keinem Lande so viel Abänderung in einem so kleinen Raume zeigt, wie in der Schweiz, obwohl der Schweizer bey allem dem doch einen allgemeinen Nationalcharakter hat. Diese verschiedenen ausgezeichneten Modifikationen desselben Charakters aber mögen wahrscheinlich eine Folge der Freyheit und der mannigfaltigen Kraft der Nation seyn, denn je despotischer ein Staat ist, desto einförmiger ist der Schnitt der Leute. Zudem, so wie in Familien sich oft etwas, nicht nur von der sittlichen und physischen Kraft des Vaters, sondern auch von seinen Gewohnheiten, unerklärlich auf eine lange Descendenz forterbt, so kann auch unter der in wechselseitigem Einfluß gegen einander stehenden Menge zuweilen ein Mann auftreten, an dem irgend eine Eigenschaft seines Lebens so entschieden hervorleuchtet, oder von dessen Worten und 33 Werken eines so treffend geräth, daß dadurch der Geschmack der ihn umgebenden Zeitgenossen unwillkührlich und unaufhaltsam bestimmt, und von diesen auf ihre Nachkommen fortgepflanzt wird.

Mehrern Generationen aber eine bleibende Richtung zu geben, ist allerdings große eigenthümliche Kraft (wo nicht ein geheimer Segen) erforderlich; und ich wäre eben so begierig den Mann zu sehen, der vor seinen Zeitgenossen so viel zum Voraus hatte, daß sein sittlicher Charakter nicht nur auf sie bleibend wirkte, sondern sich auch Jahrhunderte durch bey spätern Geschlechtern erhielt, als ich mit Ehrfurcht den großen Schriftsteller oder Künstler betrachte, der bey seiner Nation Epoche macht.


Am Abende meiner Ankunft in Basel zog mich eine zwanzigjährige Erinnerung nach der Terrasse des Münsters und nach der Rheinbrücke hin; zwey Plätze, sehr angenehm durch ihre Lage an und über dem schönen lautern Flusse, der sich hier noch in Einem Strome, ohne durch steinige Inseln unterbrochen zu seyn, fortwälzt, und nun seine vaterländischen Berge und Hügel verläßt, und, wie der Dichter sagt, unaufhaltsam nach der Ebene dringt, um Ländern Nahmen und Städten Leben zu geben.

Für Reisende, die sich irgendwo aufhalten müssen, ist ein solcher Lustgang unentbehrlich, um sich von der 34 Zerstreuung der Gesellschaft und der langen Weile des Wirthshauses zu sammeln. Auch große Brücken mitten in den Städten haben für Fremde viel Anziehendes, weil man da fast alle Klassen von Einwohnern zu sehen bekommt, und in Begleitung eines Bekannten leicht neue Bekanntschaften machen kann, denn wie die alten Israeliten unter die Stadtthore saßen, so scheinen die Städter in der Schweiz den Aufenthalt auf ihren Brücken zu lieben, und viele haben dazu ihre bestimmten Stunden, wo sie sich unfehlbar einfinden, um sich von Neuigkeiten (die für sie mehr Reiz haben als Neuerungen) zu unterhalten, und die Wünschenswürdigkeit derselben, mehr noch als ihre Wahrheit, zu beherzigen.


Da ich einen Tag in Basel auf die Abfahrt der Diligence warten mußte, so hatte ich unterdessen das Vergnügen, die reiche und schöne Gemähldesammlung des Mahlers Birrmann zu sehen, die er der französischen Revolution und den Assignaten verdankt. Unstreitig eine herrliche Collection für einen Privatmann, in der sich Bilder von den ersten Mahlern aller Schulen befinden; ein unbezahlbarer Schatz für einen Liebhaber, der seinen ästhetischen Sinn nähren und ausbilden, und allenfalls durch Mittheilung jungen Künstlern nützlich seyn will. Ob aber dem jungen Künstler selbst ein ganzes großes Kabinet ersprießlich sey, ist 35 eine andre Frage. Für einen erfahrnen Meister, der seinen Ruhm schon gegründet hat, mag es eine nützliche Erhohlung seyn, unter so mannigfaltigen Gegenständen der Kunst herumzuwandeln, und ihre Verschiedenheiten, die doch alle nach einem Zwecke streben, zu bemerken, zu vergleichen und zu benutzen; aber für junge Leute ist es, wie zehen Erfahrungen gegen Eine lehren, höchst gefährlich, wenn sie zu viele Muster vor sich haben, weil gerade das, was man glauben sollte, daß es ihnen die Augen öffnen würde, dazu dient, ihren Blick zu verwirren. Sie werden durch das kritische Aussuchen unnachahmlicher großer Eigenschaften zu gelehrt, oder durch den Widerspruch mancher Reminiscenzen zu ängstlich bey ihrer eignen Arbeit, und gewöhnen sich, die Natur nicht mehr mit eignen klaren Augen, sondern durch das glänzende Prisma ihrer Sammlung anzusehen, wodurch sie in eine zusammengeflickte Regelgerechtigkeit verfallen, der nichts als die Hauptsache, Geist und Leben, fehlt.

Es ist daher auch nicht immer Eifersucht und Eigendünkel, sondern oft wahre Klugheit, wenn Meister nicht wollen, daß ihre Schüler zu häufig die Gallerieen besuchen. Indessen hat dieses unzeitige Studium doch einen negativen Nutzen, indem es den Künstler zu einem Kenner mißbildet, der auch ein nothwendiges Glied der ästhetischen Gesellschaft ist, ohne welches weder Künstler noch Liebhaber recht fortkommen können, weil der Kenner oft beyde durch seinen Verstand 36 zurechtweist. Freylich ist er auch oft beyden verhaßt, wenn er sich durch seine unfruchtbare Kennerschaft (wie sie's dann nennen) emporschwingt und stolz wird, indessen die wahre Kunst dürftig ums Brod arbeitet.

Von dem Gesagten möchte ich jedoch keine Anwendung auf den geschickten Besitzer dieser Sammlung machen, denn, ehe er sie anfing, hatte er es schon weit in der Landschaftzeichnung gebracht, und sich sichere Grundsätze gemacht. Wenn man jedoch seine vormahligen römischen Landschaften betrachtet, so muß man sagen, daß sie seinen jetzigen an geistiger Freyheit und Wahrheit der Farben nichts nachstehen. Ist er aber kein Beyspiel meiner Bemerkungen, wie er auch keines seyn soll, so möchte es doch nicht schwer seyn, ein lebendiges in der Nähe zu finden.


Ueber die Verschiedenheit der Mundarten in der Schweiz und ihren besondern Gang könnte ein müßiger Gelehrter (oder ein vacirender Gesetzgeber) unterhaltende Beobachtungen anstellen, und sich um das Vaterland verdient machen, wenn nur die ökonomisch-philanthropisch-patriotisch-literarischen Gesellschaften noch beständen, die aber leider verschwanden, die Mutter samt den Kindern, ehe man noch über ihren Nahmen recht einig war. – Es würde indessen dem Gelehrten schwer fallen, den Grund anzugeben, warum der Dialekt von Basel mehr Aehnlichkeit mit dem von 37 Zürich habe, als der von den Gegenden jenseit der Thur, welche doch unmittelbar an Zürich grenzen, und wo gleichwohl in der Aussprache der zwey ersten Vokalen und der Diphthongen eine so jählinge Verschiedenheit sich zeiget, die selbst in den entferntern südlichen kleinen Kantonen nicht so groß ist. Eben so untersuchenswerth und schwer anzugeben wäre die Entstehung der geschmeidigen Weichlichkeit der Bernerischen Sprechart, oder der Ursprung der sonderbaren so stark accentuirten Nasensprache der Appenzeller, welche beyde Arten so sehr von der tonlosen Trockenheit der Zürcherischen abstehen.


Auch hier lernte ich wieder aus der persönlichen Bekanntschaft mit einem trefflichen Manne, wie sehr man sich oft in dem Bilde irren kann, das man sich von einem Menschen, wenn man ihn nach seinen Schriften beurtheilt, macht. Ich hatte einige Vorurtheile gegen ihn wegen seiner politischen und belletristischen Schriftstellerey, indem mir dünkte, er lasse sich als Politiker zu schnell von dem günstigen Scheine des Augenblicks und als Schriftsteller zu sehr von dem Glanze fremder Autorität hinreißen, und opfere seinem lebhaften Sinne für fremdes Verdienst und seiner Gabe der schnellen Vollendung zu oft die Originalität der Wahrheit und den guten Geschmack auf. Aber mancher kann noch kein Glück mit seinen Büchern 38 gemacht haben, weil er seine eigentliche Bestimmung noch nicht kennt, und doch voll großer Eigenschaften seyn, so wie dieser, der sich mir im Umgange bald als einen Mann von eigenthümlichem Geiste, großem Verstand und kräftigem Willen zeigte, dessen jugendlicher Enthusiasmus, abgekühlt durch die lehrreichen Erfahrungen der Revolution, einer wohlmeinenden Klugheit Platz gemacht zu haben scheint, welche, durch seinen emporstrebenden Geist getrieben, seinen politischen Wirkungskreis in unserm Vaterlande noch mehr erweitern könnte, als er es gegenwärtig schon ist, wofern ihm nicht der unauslöschliche Haß der aristokratischen Partey gegen alle homines novos, und die damit verbundene leidenschaftliche Verkleinerung alles Guten, das nicht der alten Quell enttröpfelt, im Wege steht. Aber ach! so lange noch auf der einen Seite dieser blinde Haß des aristokratischen Haufens, nicht nur gegen Sachen sondern auch gegen persönliches Verdienst, fortdauert, und auf der andern Seite die krasseste Selbstsucht die Schritte der Demagogen leitet, so steht es noch schlecht um das Vaterland, und es ist zu befürchten, daß wenn nicht bald ein erfahrner Gärtner kommt, der dieses Unkraut auszutilgen vermag, oder ein treuer Hirt, der sich der wenigen noch unangesteckten Schafe erbarmet, gar alles zu Grunde gehe, und das viele Böse auch das Gute mit sich ins Verderben ziehe.


39 Von dem künstlichen Wocher sah ich eine Copie in Wasserfarbe von einem großen Rembrandischen Gemählde, Simeon im Tempel, das er selbst besitzt. Jedermann muß gestehen, daß es beynahe unmöglich sey, mehr Wärme der Farben und zierliche Reinlichkeit in diesem Fache zu zeigen, aber eben deßwegen ist es zu bedauern, daß dieser edle und denkende Mann seine ausnehmende Geschicklichkeit diesem zeitraubenden und weder bleibenden Ruhm noch Geld bringenden in Wasserfarben mahlen aufopfert, das den Künstler immer nur zu neuen Schwierigkeiten führt, und wobey er, wenn er sie auch alle überwunden hat, doch nur ein Werk liefert, das kalt und todt ist gegen die Wärme und Durchsichtigkeit des Oelgemähldes, wovon eben diese sonst so verdienstliche Rembrandische Copie den besten Beweis gibt.


Es geht alle zwey Tage eine Diligence von Basel nach Paris ab, so daß der Reisende nie lange aufgehalten wird. Das Büreau derselben hält der Gastwirth zum Storche, wo ich logirte. Ich hatte also den nicht geringen Vortheil, sogleich im Hause selbst meine Bezahlung zu berichtigen, und mein Gepäck nicht lange herumschleppen lassen zu müssen. Die ganze Fahrt bezahlte ich zum Voraus mit 106 Livres 7 Sous; dabey darf man 15 Pfund Gepäck umsonst mitnehmen, jedes Pfund darüber aber wird mit 7 Sous 40 bezahlt. Dem Conducteur gibt man einen Laubthaler Trinkgeld, und wenn man ihm noch einen dazu gibt, so besorgt er auch unter Weges die Trinkgelder der Postknechte.


In diesem Gasthofe hielt sich auch eine Menge französischer Emigranten auf, die theils auf Pässe, theils sonst auf eine günstige Gelegenheit warteten, in das liebe Vaterland zurückzukehren. Da ihre Rückkehr nicht mehr so scharf beobachtet wird, und sie dabey nichts wagen, als wieder an die Grenze geführt zu werden, so drängen sie sich jetzt haufenweise unter allen Gestalten zurück nach dem lange vermißten Glücke des heimischen Lebens. Es waren aber sehr verschiedene Leute. Einige, welche aus Dürftigkeit altmodische deutsche Kleider trugen, zeichneten sich nur noch durch ihre leichte Manier als Franzosen aus, und waren übrigens sehr stille, indem sie vermuthlich durch langen und abhängigen Aufenthalt im Ausland etwas von der Demuth angenommen, die dort der Vornehme fordert, und der Gemeine ausübt. Andere aber sahen aus, als wenn sie geraden Weges aus Frankreich kämen, und thaten auch so: das heißt, sie schrieen und aßen. Wer Theil an ihrem Gespräche (von Hazardspielen) nehmen wollte, dem wurde höflich geantwortet; wer aber schwieg, von dem nahm man keine, weder beleidigende noch unbeleidigende, Notiz, welches 41 ich als eine der löblichen Umgangsmanieren der Franzosen, worin sie es den andern Nationen zuvorthun, ansahe. Die Engländer nehmen zwar noch weniger Kenntniß von dem Unbekannten, aber sie thun es entweder aus Stolz oder aus hölzerner Unbehülflichkeit, denn sie antworten dem kaum, der mitsprechen will. Der Deutsche hingegen sieht es nicht gern, wenn ein Schweigender neben ihm sitzt; sein gesellschaftlicher Tafelwitz hat Ansprüche, und sieht sich nach Beyfall um; gebt ihr den nicht, so mißt er nach Landesart aus euerm Aeußerlichen euern Stand ab, und neckt euch, wenn ihr geringer, oder zieht sich zurück, wenn ihr bedeutend seyd. Der ehrliche bescheidene Deutsche aber (und das ist der Wahre, denn der, so an Wirthstafeln witzig ist, ist schon eine Abart) hat es gerne, wenn man an seinem ehrbaren Gespräche Theil nimmt, und ihm die Ehre erweist, mitzusprechen. Auch der lebhafte Italiäner besitzt nicht die Conversationstoleranz des Franzosen, weil er eben so viel schwatzt als dieser, aber nicht den feinen Takt für das, was sich sagen und nicht sagen läßt, hat, sondern in seinem angebornen Affekte oft ein Wort zu viel spricht, und ihm dann ein schweigender Horcher zum plagenden Vorwurf wird.


Als ich nun endlich in der Diligence saß (17. May) und ehe ich noch zurecht sitzen konnte, schon aus der 42 Schweiz heraus war, sah ich es für den ersten Vortheil an, zugleich mit meinem Vaterlande auch die staatsklugen Räsonnements, die mich immer umtönten, verlassen, und nun eine Zeit lang ohne Sorgen mir selbst leben zu können, welches zu Hause unmöglich ist, denn niemand kannegießert mehr als der Schweizer; er war es von jeher gewohnt, weil er selbst mehr oder minder Antheil an den Staatsgeschäften hatte, und also um so viel mehr Interesse in alle neuen Ereignisse legen mußte. Seit der Revolution aber ist gar kein Maß und Ziel mehr darin; man hört nichts als unfruchtbare Wünsche und leere Hoffnungen, die je leerer sie sind, desto lauter tönen, lahmen Tadel, viel Fluchen und wenig Segnen, von Leuten über die bösen Zeiten schimpfen, die dabey essen und trinken und sich lustig machen, und gerade von diesen am meisten; kaum glaubt man ein tobender Lerm sey vorbey, so folgt ein andrer noch unerträglicherer. Diesem allem nun für eine Weile zu entgehen, pries ich mich glücklich, indem die Erfahrung mich hinlänglich belehrt hat, daß das Anhören spießbürgerischer Politik nicht lange belustigt, und man sich, ungeachtet aller Mühe, bey guter Laune zu bleiben, doch bald kläglich ennüirt, und was das schlimmste ist, sich selbst in die Länge nicht vor Ansteckung bewahren kann, denn es ist unmöglich, ohne ein Menschenfeind zu seyn, dem Geiste, dem Tone und der Lebensweise des Zirkels, womit man umgeben ist, lange Zeit widerstehen zu können, ohne 43 nach und nach, auch wider seinen Willen, einen Anstrich davon zu bekommen.


Außer einem jungen französischen Staabsoffiziere waren lauter deutschsprechende Personen in dem Wagen, welches ich nicht ungern sah; es ist besonders im Anfang einer Reise in mehr als einer Rücksicht angenehm, unter Bekannten oder wenigstens unter Landsleuten zu seyn, und da, wo eine fremde Sprache gesprochen wird und fremde Sitten herrschen, hat es so was heimliches, in seiner Landessprache ungehört und ungestört Bemerkungen darüber machen zu können.

Auch die Gegenwart des Kriegsmannes war mir nicht unbeliebig; er kennt die Gebräuche des Landes, dachte ich, er kann uns rathen. Er fing aber gleich an, nach Art der Kriegsleute uns Großthaten zu erzählen, und nach Art der Franzosen sich in der Bewunderung von Paris zu verlieren, und beydes auf Kosten unsers armen Vaterlandes. Je n'aime pas votre païs, sagte er ganz unbefangen, tenez quand vous aurez vu Paris, vous detesterez votre patrie. Und als wir ihn um die Vorzüge von Paris befragten, sprach er weniger von großen und gelehrten Leuten daselbst als von Mädchen, weniger von Künsten und Wissenschaften und Lehranstalten als von den Restaurateurs und Kaffehäusern des Palais Royal, weniger von der Opera und ihren Zauberkünsten als 44 von dem Reiz ihrer Tänzerinnen; besonders empfahl er uns das Theater Montansier, wo zwar kein rechtliches Frauenzimmer hingehe, aber in dessen Foyer die elegantesten Filles anzutreffen seyen. Er sang uns auch zugleich eine Menge der neuesten Vaudevilles, die auf diesem Theater ihr Glück gemacht haben. Alles dieses geschah an dem ersten Nachmittag, und je mehr wir über alle diese Wunderdinge erstaunten, desto bereitwilliger wurde er, uns immer mit mehrern bekannt zu machen, so daß es uns zuletzt fast graute, in unsrer Unschuld dieß neue Babylon zu besuchen. Uebrigens sagte und that er alles das nicht aus Bösartigkeit, um uns zu beleidigen, sondern weil es so seine sinnliche Ueberzeugung war, und er nichts bessers zu kennen schien.


In Bourglibre mußten wir aussteigen und lange warten, wegen der Visitation der Diligence. Ich hatte mich schon in die übliche Verfassung gegen die Untersuchung meines Mantelsackes gesetzt, aber es fragte kein Mensch darnach. Diese Leute scheinen die Mühseligkeit und die lange Weile vergeblicher Durchsuchungen eben so sehr zu scheuen, als die Reisenden selbst, und da sie sonst alle Hände voll zu thun haben, so lassen sie gern einen unverdächtigen Fremden im Frieden hinfahren, wiewohl sie übrigens nicht sehr freundlich aussehen.

45 Bourglibre hat seinen Nahmen in der republikanischen Taufe erhalten; er schickt sich aber schlecht für einen Ort, wo kein Mensch frey passiren kann. Diesen Widerspruch zwischen Wort und Sache bemerkt man indessen bey vielen durch die Revolution an die Tagesordnung gekommenen Redensarten. Es wäre schon ein schöner Beytrag zur Revolutionsgeschichte Frankreichs, und seiner Trabanten, der übrigen neuen Republiken, wenn man nur ein Verzeichniß der großen und heiligen Wörter, die sie hervorgebracht hat, und der daraus hergeleiteten Erwartungen und Versprechungen aufstellte, und dann die Wirklichkeit damit vergliche, ja jeder Wirklichkeit ihren wahren Nahmen gäbe; man erhielte so eine Philosophia definitiva, woraus man inductionsweise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erklären könnte.


Welch ein schönes und fruchtbares Land ist das Elsaß! Aus den großen und wohlgebauten Dörfern zu schließen, muß viel Wohlstand unter dem Landvolke herrschen. Auch sah ich wider meine Erwartung allenthalben die Kirchen noch in gutem Stande und die Kirchhöfe mit Kreuzen besetzt.

In Habsheim, wo wir übernachteten, trafen wir auf ein großes Fest. Junge Leute beyderley Geschlechts tanzten um einen Baum herum, und die Alten sahen ihnen zu; auf Weinfässern unter dem Baume saßen 46 die Spielleute. Auch in den Häusern wurde getanzt. Ich hielt es für ein Freyheitsfest, besonders wegen des mit Bändern ausgeschmückten Baumes; man belehrte mich aber, daß es die Kirchweihe sey. Ob bey diesem Anlaß auch eine Feyerlichkeit in der Kirche gehalten worden, konnt' ich nicht erfahren; wenigstens scheint doch die Freyheit des Gottesdienstes so weit wieder hergestellt zu seyn, daß man an der Kirchweihe tanzen darf, wobey freylich schwer zu bestimmen ist, welchem Gotte gedienet werde.

Dieser Ort soll in alten Zeiten von den Schweizern verbrannt worden seyn; ich hatte aber keine Lust, meine Vorfahren deshalb bey den Einwohnern zu entschuldigen, und dachte, die elsässischen Husaren haben es uns in den neuen Zeiten hinlänglich vergolten.


Frühmorgens (den 18. May) ging es wieder durch große Ebenen weiter. Mich ergötzte der heitere Himmel und die schöne Aussicht mehr als die martialischen und erotischen Gespräche des Offiziers, der uns von dem Römer Marius erzählte, welcher seinen Sohn habe füsilliren lassen, weil er sich gegen des Vaters Verboth mit dem Feinde geschlagen. – Dieß soll indessen nicht zum Beweise französischer Unwissenheit dienen, denn auch von deutschen Kriegsleuten läßt sich eben nicht historische Genauigkeit erwarten; nur hätte ein Deutscher schwerlich ein solches Zutrauen auf seine Ueberlegenheit, Unbekannten dergleichen Schnitzer 47 aufzutischen; aber eben dieses Ueberlegenheitsgefühl ist es, das nicht nur meinem Reisegefährten, sondern auch einem großen Theile seiner Landsleute eigen ist, und wodurch die liebenswürdige Nation Fremdlingen so oft ein Lächeln ablockt. – Er erzählte uns auch von seinen Bekanntschaften in Paris, worunter besonders mehr als hundert Opernmädchen seyen, die ihn alle gern hätten, und die er uns mit Nahmen und Zunahmen nannte. – Das Ende vom Lied war dann: J'ai diablement voyagé (er hatte den Feldzug in Oberitalien mitgemacht, und war unter Vandamme in Schwaben gewesen) mais il n'y a que Paris dans le monde!

In Aspach aßen wir in einer elenden Herberge elend zu Mittag. Die Wände waren da, als wenn keine Revolution und Bilderstürmerey vorgegangen wäre, mit heiligen Kupferstichen und Kreuzen behangen; allein der Offizier ließ bald merken, daß nicht mehr jedermann diesen traurigen Bildern die alte Achtung erweisen müsse; er sagte zur Wirthstochter, als er das beschmutzte Kruzifix ansah: Mademoiselle, les mouches ont * * sur votre bon Dieu. – Welchen Beytrag zu den Nachrichten über den gegenwärtigen Religionszustand in Frankreich ich meinen Lesern nicht entziehen darf, weil sie daraus, so gut als aus den weitläuftigsten Aktenstücken ersehen, daß die von der römisch-katholischen Religion kaum trennbaren Uebel, grober Aberglaube und grober Unglaube, hier noch wie anderswo herrschen.


48 Ich weiß nicht, war es Vorliebe oder Wahrheit, daß ich dem Städtchen Mühlhausen und seinen Einwohnern noch so offenbare Spuren von dem Charakter schweizerischer Handelsstädte, die sich durch Sauberkeit der Häuser, öffentliche Reinlichkeit und vertrauliche Bürgerlichkeit auszeichnen, anzusehen glaubte; wenigstens fielen mir die netten Gartenhäuser, die fruchtbaren Gärtchen, die reinlichen Gassen, die Kleidung und das Betragen der Einwohner durch ihre Aehnlichkeit mit dem, was ich zu Hause sah, auf, und erregten in mir ein leises Heimweh, wodurch mir der kurze Aufenthalt in dieser noch unlängst verbündeten Schweizerstadt sehr angenehm wurde.

Schade wäre es, wenn dieser alte gute Geist reinlicher Häuslichkeit und treuherziger Beschränktheit, durch den alles verschlingenden Dämon der neuern Politik vertrieben, der feinen Allgefälligkeit der neuen Landsleute Platz machen müßte; es wäre dabey wahrlich für diese Stadt mehr verloren als gewonnen, weil letztere Eigenschaft unter dem Scheine der Humanität so oft gräßlichen Egoismus verbirgt, womit sich weder häusliches noch öffentliches Glück verträgt, hingegen jene weitläuftige und sparsame Ehrbarkeit bey aller Härte im Umgang doch Treu und Glauben hält, und damit auffallenden Wohlstand seit Jahrhunderten über die Einwohner gebracht hat. Und doch ist zu befürchten, daß diese Veränderung allmählich vorgehen möchte, da 49 die Verfassung eines Staats den vorzüglichsten Einfluß auf die Sitten der Bürger hat.


Nunmehr war unsre Diligence recht beladen; sechs Personen saßen darin, und vier oben auf der Decke, und hinten war ein ganzer Berg von Gepäck. Es ging daher auch mit keiner großen Diligenz, sondern so langsam, als immer eine Schweizerlandkutsche. Inwendig sitzt man gut, vornehmlich auf den vier ersten Plätzen, denn die Sitze sind breit und weich, da aber drey und drey Personen zusammensitzen, so haben es die zwey letzten, so die Mitte einnehmen, schlimm, weil sie sich nirgends anlehnen können, welches besonders bey Nacht, wenn man gerne schlafen möchte, unbequem ist. Wie man oben in dem Korbe fährt, hab' ich nicht versucht, es muß aber dem Anschein nach eine unsanfte Wiege seyn; zwar ist der Platz mit einem schuhhohen Rande eingefaßt, indessen hat man doch schon Beyspiele, daß Leute heruntergeworfen wurden. Bey Nacht und Regenwetter kann man daselbst liegen, und sich mit einer ledernen Decke schützen.

Mit einer jeden dieser großen Diligencen geht ein Conducteur, der zu der lebendigen und todten Ladung Sorge tragen muß, und dem man seine Sachen sicher überlassen darf. Er wacht auch von seinem Himmel herab über die Postillione, welches wir heute zu unserm Glücke erfuhren, denn ein müder Postknecht fuhr 50 schlafend uns bergab, und schon waren wir an dem äußersten Rande eines tiefen Grabens, worein sich das ungeheure Fuhrwerk bereits zu senken anfing, als der behende Conducteur schnell hinunter sprang und die Pferde mit Mühe noch ins Geleise brachte.


In Befort war mein erstes, einen französischen Unteroffizier aufzusuchen, der sich als Verwundeter lange in meinem Hause aufgehalten hatte, und dessen Compagnie gerade hier lag. Ich hoffte ihn auf der Straße anzutreffen, und mich an seinem Erstaunen und seiner Freude bey meinem unvermutheten Anblicke zu ergetzen, und durchzog deßwegen das ganze Städtchen, das einen schönen Platz und hübsche Gebäude hat, selbst die Kasernengasse ließ ich nicht aus, obschon mir der Anblick einer Kaserne, als der Wohnung des unwissenden Gehorsams, der Wäschetrocknenden Armuth und der Hundabrichtenden langen Weile, unerträglich ist; aber mein Franzose war nirgends zu finden, und ich erfuhr endlich von seinen Kameraden, daß er just heute Morgen als krank ins Hospital abgereist sey. Diese betrogene Erwartung kränkte mich desto mehr, je lebhafter sich mein Geist mit der Scene des Wiedersehens und seinen Folgen beschäftigt hatte.

Hier war es mir, als wenn ich auf ein Mahl hundert Stunden weiter fortgerückt wäre, weil ich nunmehr rings um mich nichts als französisch sprechen 51 hörte; in dem Wirthshause wurde französisch befohlen, auf der Straße französisch gesungen und gezankt, auch die Kinder vor den Häusern spielten und schwatzten französisch. Es war das erste Mahl in meinem Leben, daß ich persönlich diese Erfahrung machte, daher hatte ich meine Freude daran. Eine kindische Freude zwar, ich konnte ja vorher vermuthen, daß man in Frankreich französisch reden würde; allein es ist, Gott sey Dank, in jeder Freude etwas kindisches, darum hab' ich darüber weniger Bedenken, als über das Lautwerdenlassen derselben, weil mit dergleichen Unmerkwürdigkeiten manchem, auch noch so geneigten, Leser wenig gedient seyn mag. Unterdessen macht ein jeder seine Durchflüge wie ihm die Federn gewachsen sind, und wenn ich die meinigen mit andern zum Heil der Welt ans Licht getretenen Reisebetrachtungen vergleiche, so wird zwar dadurch das Gefühl meines Splitters nicht gehoben, allein ich entdecke doch so beträchtliche Balken von dem gleichen Holze in den Augen meiner cosmopolitischen Vorgänger, daß mir die Sünde desto leichter wird;

»Und so sporn ich meinen Lauf
»Nach der Wanderer Exempel«

getrost fort, und hoffe, meine Freunde werden gegen mich eben so nachsichtig seyn, als das lesende Publikum gegen die ist, welche sich die seinigen nennen.

Diese Veränderung der Sprache machte nun auch, daß ich schon eine große Verschiedenheit der Sitten zu 52 bemerken glaubte; wenigstens schien es mir, als ob die Alten munterer sprächen, die Jungen sich gefälliger bewegten und die Kinder mit leichterem Anstande spielten. Es kann aber seyn, daß ich mehr sah als wirklich war, darum weil ich es zu sehen erwartete, und daß mein nunmehriger Eintritt in Frankreich, den ich erst von hieraus berechnete, der herrliche Frühlingsabend und die schöne Lage des Posthauses, wo ich logirte, vieles zu dieser vortheilhaften Ansicht beytrug. Denn wer ist auf Reisen von dergleichen äußerlichen Bestimmungen seiner Vorstellungsart frey, wenn er auch noch so ein großer Weiser zu Hause ist!

Auf dem Schlosse saßen vor einem Jahre die Schweizerdeportirten, die vermuthlich bey ihrer gewaltthätigen Entfernung von Weib und Kindern, und dem bittern Leiden des Unrechts, durch ihre papiernen Fenster, die man uns von fern wies, alles düster und trübe sahen, was jetzt mir, im Gefühle der Gesundheit und Freyheit, durch die Strahlen der Abendsonne voll hüpfenden Lebens und goldener Fröhlichkeit erschien.


Wir fuhren nun (den 19. May) durch bergiges Land, schlechte oft gefährliche Straßen und elende Dörfer. Das immerwährende Geschrey und Jauchzen der französischen Postillione sticht sehr gegen die schnappsbegierliche Taciturnität der deutschen Schwäger ab; sie laufen oft lange Zeit zu Fuß neben dem Wagen hin, 53 und necken sich mit der Peitsche, oder stoßen muthwillig einander von der Straße hinunter. An Barmherzigkeit gegen die Pferde aber haben sie keinen Vorzug, denn es ist manchmahl nicht zuzusehen, wie diese armen Thiere leiden müssen. Da die Einrichtung der Diligencen eine eigne von den Posten unabhängige Unternehmung ist, so werden auch die Pferde nicht bey jeder Poststation gewechselt, sondern müssen oft sechs bis sieben Stunden die ungeheure Last unausgesetzt fortziehen, ja sie werden oft nach einer kurzen Rast noch weiter eingespannt. Hierzu kommen noch die bergigen und zu Grunde gerichteten Straßen, die so schlecht sind, daß einige Mahle acht Hengste uns kaum von der Stelle bringen konnten. Daher ist es ein Jammer, die Wunden und das Stöhnen dieser Geschöpfe zu sehen, wenn sie ausgespannt werden, und man muß mit Wahrheit bekennen, daß das verbotene Heu, welches ihre ersten Eltern, wie ein Gelehrter behauptet, einst gefressen haben, ihnen theuer zu stehen kommt.

Die bessern Häuser in den Dörfern, deren es aber wenige gibt, sind von Steinen gebaut; meistentheils sah ich diese steinernen Häuser da, wo vormahls Edelsitze oder Klöster waren, dergleichen wir einige, aber in großem Verfalle, antrafen. Alles aber ist schlecht unterhalten und höchst unreinlich, und so ist es auch in den kleinen Städten. Zum Beyspiel in Lüre, wo 54 wir zu Mittag aßen, sahen Straßen und Häuser so schmutzig aus, wie eine Judengasse.

Der Offizier, welcher sonst jeden Anlaß ergriff, uns auf die Vorzüge seines Vaterlandes aufmerksam zu machen, bey jedem schönen Weitzenfelde unsre unfruchtbaren Berge, und bey jedem Froschschenkel das ewige Rindfleisch anführte, das man in Z. essen müsse, ließ uns wenigstens an solchen Orten Ruhe, und gab sich dann mit den Mädchen ab, die unstreitig Munterkeit und Witz vor vielen Ausländerinnen zum Voraus haben.

Elende Hütten, von deren Armseligkeit man kaum in dem ärmsten Winkel der Schweiz einen Begriff hat, sah ich hier in Menge; aus Baumästen geflochtene und mit Lehm verbundene mannshohe Wohnungen, die keine Oeffnung haben, als die niedrige Thüre, zu der man hineinkriechen muß. Doch man kennt sie auch in Helvetien, seitdem unsre Freymacher auf Kosten unsrer Waldungen kampirt haben; denn kaum etwas kleiner, aber sonst ähnlicher Natur waren ihre Baraken, so daß mir nun auf Ein Mahl klar wurde, daß ihnen diese von einigen meiner Landsleuten so bewunderte Bauweisheit nicht von oben herab eingegeben worden, sondern daß sie sich von Kindesbeinen an am väterlichen Heerde darin geübt haben.


In Vesoul, wo wir Abends ankamen, um daselbst zu übernachten, saßen vor allen Häusern Weiber, 55 Mädchen und Kinder, die arbeiteten, plauderten und spielten, welches der Straße ein gar lebhaftes Ansehen gab. Die hiesigen Schönen stehen im Lobe der Artigkeit und Gefälligkeit, und scheinen es auch allerdings zu verdienen, wie wir Reisende uns dessen beym Herumgehen in der Stadt überzeugten. Sie thaten nicht so einfältig spröde, wie ich wohl auch schon gesehen, sondern wagten es zu antworten, wenn man sie fragte, und lachten nicht eher, als wenn was Lächerliches gesprochen wurde; sie waren sogar frey genug, muntere Fragen an uns zu thun. Daß wir aber mit ihnen sprechen konnten, hatten wir dem Offizier zu danken, der sogleich nach französischer Art sich zu denen, so vor dem Gasthofe saßen, gesellte, und zu scherzen anhob. Mädchen, die vor den Häusern sitzen, müssen sich das wohl gefallen lassen; es ist aber auch nichts Böses daran, so bedenklich es anderswo scheinen möchte, sondern eine löbliche, gesellschaftliche Sitte; sie haben ihre Mütter und Nachbarn um sich, und es ist ja ausgemacht, daß der Engel der Finsterniß, der jungen Mädchen so aufsätzig seyn soll, seine bösen Künste weniger auf offener Straße treibt, als im abgelegenen Zimmer, wo ihm kein Schlüsselloch zu enge und kein Riegel zu fest ist.


Die Unterschrift des französischen Ministers in meinem Passe forderte, daß ich mich bey dem Präfect 56 der ersten Grenzstadt zeigen solle. Da aber in den Städten, wo ich bisher durchgekommen, keiner war, so wies mich jetzt der Conducteur an den hiesigen; allein es kam mir seltsam vor, mich noch einem Präfect vorzustellen, da ich schon drey Tagereisen in Frankreich gemacht hatte, und ich besorgte, es möchten mir eben um deßwillen Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden, wie auch schon Reisenden vor mir begegnet ist; ich erkundigte mich deshalb vorher noch in dem Büreau der Messagerieen, wo man es rathsamer fand, daß ich nicht hingehe – es werde wahrscheinlich niemand darnach fragen, weil diese Vorsicht nur um der Emigranten willen genommen werde; sollte es aber auch geschehen, so dürfe ich nur sagen, ich sey spät in Vesoul angekommen, als die Präfectur schon geschlossen gewesen.

Bis hieher hatte wirklich noch kein Mensch, nicht einmahl beym Eintritt in Frankreich, sich um meinen so stattlich legalisirten Paß bekümmert, und die mancherley Vorsichtsanstalten, womit ein Fremder geplagt ist, ehe er einen Paß nach Frankreich erhalten kann, scheinen nur noch als Schreckmittel für die zu gelten, die nicht hinein kommen sollen. Ueberhaupt aber sind die Franzosen nicht nur hurtiger, sondern auch liberaler über dergleichen Visitationsangelegenheiten, als die gewissenhaften Deutschen, weil sie mehr Blick haben, und besser unterscheiden können, und sich weniger aus der Verantwortlichkeit machen. Freylich sind sie dann 57 auch grausamer, wenn sie plagen wollen, und laden oft an einem einzigen unschuldigen Gegenstande mehr Sünde auf sich, als sie an hundert andern durch ihre Leichtigkeit gut machen.


Bey einer Kirche, in die ich hineintrat, entsprach das Inwendige der schönen Außenseite nicht. Es war zwar aufgeräumt, aber so wohl im bösen als guten Sinne des Worts; denn das Silber und Gold hatten, wie ein Küster sagte, unselige neue Heliodore (denen es jedoch besser gelang als jenem alten) aufgeräumt, und treugebliebene Christen hatten seitdem die nackten Altäre wieder mit dem nothwendigsten Geräthe bedeckt, und die kahlen Wände dürftig bekleidet; aber wo vor dem heidnischer Reichthum prangte, schmiegte sich jetzt die gottgefälligere Armuth.

So sieht es auch in den meisten Dorfkirchen aus, die ich bisher gesehen. Alle sind wieder zum Gottesdienste eingerichtet, aber noch wüst und leer, und statt der ehemahligen Pracht (Geschmack war in katholischen Kirchen jederzeit selten) ist nur unreinliche Dürftigkeit zu finden. Auch das Auswendige dieser Kirchen findet man mehr vernachlässigt, je weiter man kommt, und weit weniger ehrbar als im Elsaß, – Kreuze auf den Gräbern trifft man keine mehr an, und die großen steinernen Kruzifixe liegen zerschlagen auf den Kirchhöfen umher.


58 Hier zu Lande bekommt man in den Wirthshäusern nur Löffel und Gabeln zu Tische, und keine Messer mehr, sondern man muß sich mit seinem oder seines Nachbars Taschenmesser behelfen. Ich konnte die Ursache dieses lächerlichen Gebrauchs weder erfahren noch erdenken. C'est l'usage, antwortet der Franzose mit ernsthafter Miene, wenn man gerade wissen möchte, woher dieser usage komme, und es kommt ihm kein Sinn daran, etwas dagegen einzuwenden, eben parceque c'est l'usage en France. Wär' es aber nicht in Frankreich sondern in einem andern Lande so der Brauch, alsdann würde er mit Verächtlichkeit fragen, ob man hier das Fleisch mit den Fingern schneide? Der ungewohnte Fremdling vergißt dabey oft sein Taschenmesser zurückzunehmen, doch sind gemeiniglich die Wirthsleute so ehrlich, daß sie ihn daran erinnern, so daß man das Zurücklassen der Messer nicht wohl als den Grund dieser Unsitte angeben kann.


Langsam wie einen Frachtwagen schleppten heute (20. May) acht Pferde die Diligence durch schlechte Straßen fort. Es lagen zwar schon allenthalben Haufen dünner viereckiger Steine zur Ausbesserung der Chaussee beysammen, aber das Werk war noch nicht angefangen. Von der gleichen Art Steine werden auch die Bauernhäuser gebaut und die Dächer gedeckt, das gibt diesen Hütten zwar ein etwas 59 besseres Aussehen, als jenem Faschinenwerk, das ich gestern gesehen, doch scheinen auch sie größten Theils die Wohnung der Armuth und sorgenloser Dumpfheit zu seyn.

Allenthalben wo die Diligence anhält, kommen Bettler zum Vorschein; es sind aber meistens alte hülflose Leute, da hingegen in der Schweiz mehrentheils die Kinder betteln. Hieraus läßt sich der Schluß machen, daß am einen Orte für die Alten und am andern für die Jungen besser gesorgt sey; denn wenn auch in der Schweiz die Kinder öfters nur aus Muthwillen den Reisewagen nachlaufen, und also das Betteln des mühsamen Alters mehr Verlassenheit und Armuth verräth, so zeiget sich doch darin wenig sittliche Sorgfalt für den zarten Charakter der Kinder, daß man sie so dieser alles Ehrgefühl lähmenden Gewohnheit überläßt, wovor sich, wie es scheint, die Franzosen zu ihrem Vortheil in Acht zu nehmen wissen.

In Combeaufontaine, wo wir über Mittag anhielten, wollte einer von der Reisegesellschaft einem armen Marketenderjungen, der, weil ihm sein Vater in Schwaben ermordet worden, nun (oben im Korbe der Diligence) die Reise nach Paris zu seinen Verwandten macht, ein Stück Geld geben, weil er beständig weinte, und wenn man essen sollte verschwand; er war aber nicht zu bewegen, etwas anzunehmen; ich habe schon gegessen, war des armen Jungen beständige Antwort. Wir konnten diese Weigerung nicht anders erklären, als aus dem französischen Nationalcharakter, 60 der sich durch ungebethene Almosen erniedrigt glaubt. Dieß bestätigt auch die Erfahrung, die wir in der Schweiz häufig den Anlaß hatten zu machen, daß die französischen Soldaten niemahls Almosen bathen, sie mochten auch noch so bedürftig seyn; ja es sind Beyspiele genug bekannt, daß nicht einmahl Blessirte in den Hospitälern Geld, das ihnen gebothen wurde, annahmen, da hingegen Kaiserliche und Russen nur zu häufig unsre Mildthätigkeit ansprachen, und niemand einen Fehlgriff thun ließen, der ihnen unaufgefordert etwas geben wollte.

Diese heroische Ehrliebe nun, die lieber darbt als Almosen empfängt (freylich auch in ihrer Ausartung lieber nimmt als bittet), zeigte sich schon in dem zerlumpten Knaben, und ist eine der Eigenthümlichkeiten der französischen Nation, die ihre edle Seite bezeichnen.


Es war acht Uhr Abends, als wir bey einem Gewitter in Langres ankamen. Der Weg führte uns bey einer Promenade vorbey, die wegen der hohen Lage der Stadt und der großen Bäume nicht anders als schön seyn kann; der Regen verstattete uns aber nicht sie zu besuchen – desto schöner mahlte sie sich indessen meine Phantasie aus.

Diese Vorsorge für die unschuldigste und nothwendigste Art des öffentlichen Vergnügens trifft man hier zu Land allenthalben an. Es gibt kein 61 Städtchen, so unbedeutend es sonst auch sey, das nicht seinen öffentlichen wohlunterhaltenen Schattenplatz habe, gewöhnlich der Länge des Flusses nach, oder auf einer kleinen Anhöhe, oft auch an einem anmuthigen Orte dicht vor den Mauern der Stadt. Auch die kleinsten bestehen doch aus einigen Gängen von Linden oder wilden Kastanienbäumen; dieß gereicht dem Orte zur Zierde und seinen Vorstehern zur Ehre.

Ich weiß aber ein Land, oder Bezirke eines Landes, wo diese Zierde der Städte seltener ist, und die Vorsteher weniger Ehre darin zu suchen scheinen, obgleich die Natur durch ihre Anmuth laut darauf hinweist, und auch die flüchtigsten Anlagen, wie die Erfahrung hier und da augenscheinlich lehrt, über Erwartung zu belohnen verspricht; allein bisher wollte die an sich löbliche, nur oft allzu eifrige Sorge für das öffentliche und besondere Eigenthum dem Gedanken fast nirgends Platz machen, daß der bürgerliche Wohlstand auch Pflichten für das Schöne der Natur und Kunst habe, und heutiges Tages würde ein solches Werkchen, wenn auch die Kosten zu gering wären, um in Erwägung zu kommen, wohl gar als eine Folge der verderblichen Aufklärung angesehen werden, durch welche so manches Unheil über das Land gekommen seyn soll. Man ist daher allezeit mit der Einwendung gegen solche Vorschläge gefaßt: es sey besser, daß man arbeite als spazieren gehe, und vortheilhafter, daß der Boden zum Anbau als zum Müßiggange bestimmt 62 sey, und fügt noch wohl hinzu, unsre Vorfahren haben sich auch ohne dieß behelfen können.

Das mag auch alles wahr seyn, nur paßt es nicht als Einwendung, weil nicht vom Müßiggange, sondern von einer unschuldigen Annehmlichkeit des Lebens die Rede ist. Aber so spricht hier wie allenthalben das Vorurtheil der Gewohnheit, das sich für unfehlbar hält und unheilbar ist; es waffnet sich nähmlich mit stumpfen Gemeinplätzen, der Dialektik der Armen am Geiste, und führt damit seine Freunde an der Nase herum, und findet um so viel mehr Beyfall, jemehr dergleichen Aussprüche aus patriotischer Selbstverläugnung zu entspringen scheinen, und als heilige Grundsätze gegen das Verderbniß der Zeit aufgestellt werden, ob sie gleich im Grunde so leer sind, als die Importanz der Herren, denen man sie abhorcht. – Tragen sich denn Eure Frauen und Töchter auch noch wie Eure Mütter und Großmütter? Bauet Ihr noch wie Eure Vorfahren das Feld mit eigner Hand und hackt im Weinberge? Geht Ihr nicht auch dem Zeitvertreibe nach, und welchen habt Ihr, der nur eines Spaziergangs unter blühenden Linden werth wäre? Oder sind Eure Mitbürger etwa so arbeitsam, daß sie keine Stunde des Feyerabends übrig hätten, um mit ihren Familien im Schatten und in der frischen Luft auszuruhen; wäre das nicht vortheilhafter und gesunder, als wenn sie den Erwerb des Tages in der dumpfen Weinstube vertrinken? – Allein mit Leuten, die sich mit 63 Gemeinörtern wehren, ist nicht gut streiten, sie sind unüberwindlich weil sie unüberzeugbar sind.

Zum Glücke hat jeder Mensch auch seine Gönner, die bisweilen für ihn, und seine Freunde, die bisweilen nicht wider ihn sind, und so hoffe ich, die meinigen werden der Behauptung ihren Beyfall, ja vielleicht ihre Unterstützung nicht versagen, daß der Grund und Boden, auf dem ein öffentlicher Spaziergang angelegt wird, keine nutzlose Bestimmung habe, und daß nicht Feld und Wald und Wiesen, so reizende Partien sie darbieten, und so oft mit Recht das Lustwandeln in denselben, künstlichen Schattengängen vorgezogen wird, jemahls als allgemeiner Ersatz dafür gelten können. Wie oft führen wir einen Gast noch gern ins Freye, indessen die Hausfrau für das Mittagessen besorgt ist; wie oft geben sich nicht Freunde einen Rendezvous, um über Angelegenheiten zu sprechen, die sie nicht gern zu Hause abthun; wer fühlt nicht oft den Trieb, sich von einem Verdruß oder einer Grille, die ihn auf seinem Zimmer quält, unter freyem Himmel loszumachen; kann man dieses alles an der heißen Sonne? Kranken, die sich erhohlen, wie erwünscht ist ihnen oft des Morgens ein Schattenplatz in frischer Luft, wo sie ihre wiederkehrenden Kräfte prüfen können! Eine muntere Gesellschaft von beyderley Geschlecht ginge manchmahl gern ins Grüne, um dem öden Spieltische auszuweichen, oder der in kleinen Städten so oft stockenden Conversation wieder Leben 64 zu geben, wo soll sie hingehen – in den Staub der Landstraßen, oder in den Feldern herum, um den Wohlgeruch des Düngers einzuathmen? Mahlerische Kindergruppen, wo können sie lieblicher spielen, wo schöne Mädchen sich gefälliger zeigen, ja auch Eure alternden Hälften, Ihr sorgebeladenen Väter des Volks, wo können sie mehr Munterkeit und gute Laune für Euch sammeln, wo durch geschmackvollen Putz Euern Wohlstand lauter preisen, als auf dem frohen, alles im vortheilhaften Lichte darstellenden Platze, der zur Ergetzung und Erhohlung für Junge und Alte bestimmt ist?Auf Oertlichkeiten zu Anfange dieses Jahrhunderts bezüglich.


So sehr mir aber die Promenade in Langres, die ich nicht sahe, gefiel, so abscheulich kam es mir hingegen vor, daß hart an der Landstraße und vor den Thoren der Stadt das Aas eines Pferdes lag, von dem ein Hund fraß. – Wie können die Franzosen sich vorzugsweise feine und zartfühlende Leute nennen, so lange sie in den Zugängen einer Stadt wie Langres solche Greuel dulden! Darüber herrscht denn doch in dem Lande, wo weniger Kunstalleen sind, eine bessre Ordnung. Wie würden auch ihre Offiziere über Mangel an Polizey schreyen, wenn sie so was nur außer ihren Grenzen anträfen! – Der unsrige sagte dieß 65 Mahl nichts, als ich ihn fragte, ob er das todte Pferd gesehen habe, als: Ja.


Ganz unvermuthet hatte ich hier das Vergnügen, einen Offizier anzutreffen, der da, wo ich zu Hause bin, ein junges Frauenzimmer geheyrathet, sie aber durch einen plötzlichen Tod verloren hatte. Schon damahls war mir seine ungeheuchelte Trauer und sein bescheidenes Mitmachen unsrer bürgerlichen Leichengebräuche, und sein nachheriges stilles und edles Betragen um so viel merkwürdiger, da man ihn vorher nur als einen jungen Mann von der lebhaftesten Lustigkeit gekannt hatte; auch jetzt gefiel mir wieder die Theilnahme, mit der er von der Schweiz (wogegen unser Vandammische Kriegsmann sich jetzt kein Wort zu sagen getraute), und die zarte Empfindung, womit er von seiner verstorbenen Gattin sprach. Er kam von Paris und war doch noch ganz in Trauer gekleidet, auch aß und trank er beynahe nichts, indem er sagte: Je ne vis que d'eau et d'amour. So sehr ich nun von der Aufrichtigkeit seiner Klagen überzeugt und selbst davon gerührt war, so bemerkte ich doch mit Verwunderung das auffallende Nationale in seiner Schmerzensäußerung. Wo der Deutsche im gleichen Falle stumm und in sich gekehrt sein Schicksal beseufzt hätte, führte hier der Pariser an der Wirthstafel das Wort, um mir seine Leiden zu erzählen, und wußte 66 durch die Eleganz seines Wesens und seiner Ausdrücke die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ja er äußerte so viel zuvorkommende Verbindlichkeit gegen ein Frauenzimmer das neben ihm saß, daß, wer nur dieß bemerkt hätte, leicht hätte glauben mögen, ihr gelte seine Liebe. – Wir Nichtfranzosen machten wirklich nachher unter uns aus, es sey nicht gegen die Natur und Moralität eines echten Franzosen, sich auch im untröstbarsten Leide über den Tod seiner Geliebten einer vorübergehenden momentanen Liebschaft zu überlassen.


Zum Schlafen wies man mir ein Zimmer an, das ehemahls mag schön gewesen seyn, aber jetzt in häßlichem Verfall war; Boden, Wände, Decke, alles war äußerst unreinlich, der große Spiegel gespalten und nichts weniger als spiegelhell, um die modischen Betten hingen die schmutzigsten Gardinen und ihr Zustand ließ befürchten, daß nicht bloß Menschen darin nisten; durch den Kamin fiel der Regen in Strömen herunter. – In diesem Zimmer rauchte ich noch mit meinem Reisegefährten eine Pfeife, weil uns nicht sehr nach den Betten gelüstete, als eilend eine Magd hereintrat, die Fenster aufriß und zornig ausrief; Ouvrés au moins la fenêtre, Messieurs, vous empestés la chambre! – Es herrschte zwar ein gewisser Geruch in der Kammer, der unsern Toback noch übertraf, der 67 ist aber einheimisch in den französischen Wirthshäusern (c'est l'usage, wie der Mangel an Messern bey Tische), daher darf niemand etwas sagen, hingegen Tobakrauchen: fi donc, das verpestet die Luft!

Wir waren noch nicht recht zu Bette, so kam das Frauenzimmer, welches mit uns zu Nacht gegessen hatte, ins Zimmer: Messieurs, j'ai perdu mon ridicule, n'est-il pas dans votre chambre par hasard? – Hätt' ich nicht unlängst zum Glück erfahren, was ein Ridicule sey, so wären wir noch in die Verlegenheit gekommen, uns eine Definition davon auszubitten, jetzt aber konnt' ich ihr versichern, daß wir davon nichts wüßten. Sie schien es aber nicht recht glauben zu wollen, weil sie noch immer stehen blieb; vielleicht hielt sie uns wegen des niederträchtigen Tobakgeruchs desto eher des Sakrilegiums fähig, den Hasard ihres Verlusts begünstiget zu haben. Doch als sie sahe, daß sie keinen nähern Aufschluß von uns erhalten konnte, ging sie endlich seufzend weg.


In Chaumont und Bar-sur-Aube sah ich auch wieder mit Lust die schönen Alleen von Linden, wofür man bey uns noch so wenig Sinn hat.

Wir kamen (den 21. May) durch wenige Dörfer und langweilige Gegenden ohne Bäume, wo ich zum ersten Mahle recht die immerwährende Abwechslung der grünen Berge und anmuthigen Thäler meines 68 Vaterlandes vermißte. Freylich gewähren diese flachen Felder einen Ueberfluß an Getreide, wenn unsre armen Hügel und Berge nur Gras hervorbringen, oder nur nackte Felsen zeigen; sie haben also den Vorzug der Fruchtbarkeit, die den Leib nähret, und jene den der Schönheit, die die Seele erfreut und auch in der Armuth gefällt.

Bar scheint ein armes altes Städtchen zu seyn, das, so wie alle Städte in Frankreich, Paris etwa ausgenommen, die Nachtheile der Revolution empfindet und ihre Vortheile erst noch erwartet. Leere Palläste und zertrümmerte Kirchen, die man immer häufiger antrifft, je weiter man in Frankreich hinein kommt, sind dem Wanderer Fingerzeige der Armuth, die kein Geschwätz des neugesinnten Einwohners von anderweitigen Vortheilen zu verhüllen vermag. Es begehren aber auch nicht alle Einwohner das Unglück Glück zu nennen, wenn man es ihnen nur nicht zum Nationalvorwurf macht, denn in dem Falle würde der Franzose mit der Göttin der Wahrheit selbst hadern. Ich hörte in einem öffentlichen Hause, wo von der Revolution die Rede war, laut sagen: Personne n'y a gagné que ceux qui n'avaient rien a perdre, und kein Mensch hatte etwas dagegen; als aber ein Fremder daraus den Schluß zog, sie mache also Frankreich keine Ehre, belehrten ihn sogleich zehen Stimmen, daß die Revolution ein großes Werk, und nur durch die Selbstsucht einiger Bösewichter ausgeartet sey. – 69 Auch auf dem Lande sah ich mich oft nach Spuren von neuem Glück um, da ich aber den Zustand vor der Revolution nicht gekannt habe, so konnte ich hierüber kein sicheres Urtheil fällen; indessen, wenn sich der Wohlstand des Bauers durch große neue Häuser bezeichnet, wie das in mehrern Schweizergegenden der Fall ist, so fand ich bisher noch wenig Merkmahle davon. Vielleicht würde sich aber mancher Neufranke mit der großen Wahrheit des IV. Artikels der ersten helvetischen Constitution zu trösten wissen, daß »Aufklärung besser sey als Reichthum,« wenn nur erst die kleine Schwierigkeit überwunden wäre, ihm eben diese Aufklärung beyzubringen, und nicht oft das Beyspiel des Lehrers selbst dem seligmachenden Glauben im Wege stände!

Man hatte mir auch zu Hause viel von der Entvölkerung Frankreichs durch seine großen Kriege vorgesagt, und behauptet, man sehe auf den Feldern nur alte Leute und Weiber arbeiten. Leider mag der schreckliche Krieg wohl viele Menschen verschlungen haben, ich muß aber gestehen, daß mir die Merkmahle davon eben nicht so sichtbar aufgefallen sind, allenthalben war noch Jugend genug vorhanden; freylich sah ich auch Alte und Weibspersonen auf den Gütern schaffen, aber wer daraus sogleich den Schluß auf Mangel an Jungen machen wollte, könnte sich irren. Sieht man nicht auch oft bey uns zehen und mehr Weiber und Mädchen beysammen auf dem Felde hacken, und würde 70 nicht der Fremdling ausgelacht werden, der behaupten wollte, es geschehe aus Mangel an Mannspersonen?

Allerdings beweinen manche Eltern ihre verlornen Kinder; aber solche Thränen fließen nicht öffentlich unter diesem Volke, das außer dem Hause nur der Fröhlichkeit huldigt, und so gerne noch die Wolke liebkoset, wenn die Göttin schon lange seinen Umarmungen entflohen ist.


Was man hier zu Lande häufig und bey uns nicht sieht, das sind die Holzschuhe, welche schon die kleinsten Kinder tragen. Die Franzosen behaupten, diese schwere Bekleidung mache die Beine gelenksam und leicht, welches beym ersten Anblick widersprechend scheint, zumahl da bekannt ist, mit welcher Vorliebe und Geschicklichkeit diese Nation über ihre Blößen einen Flor der Zweckwäßigkeit zu werfen weiß; gleichwohl könnte etwas Wahres daran seyn, denn die am Fuße angebrachte Last zieht das Bein gerade und macht den Schwung desselben, den Schritt, gleichförmiger und sicher. Die leichtere Beweglichkeit der französischen Füße ist dieser Muthmaßung wenigstens nicht entgegen. So hörte ich auch von einem der ersten Operntänzer in Paris versichern, daß er den ganzen Tag in Holzschuhen herumgehe, wenn er Abends eine wichtige Rolle in einen Ballette zu tanzen habe, welches wohl am stärksten für diese Behauptung sprechen 71 möchte. Er gab als Grund an, daß er seine Füße, wenn er sie von der Last der Holzschuhe befreye, noch einmahl so leicht fühle.


In diesem Städtchen sah ich einen Mann in einem kurzen Schlafrocke mit einer weißen Mütze Abends unter seiner Hausthüre stehen, dessen Anzug ihm so sehr das Ansehen eines bürgerlichen Schweizerbürgers aus dem Geschlechte, welches Adelung von den Balistariis der mittlern Zeiten herleitet, gab, daß ich fast darüber erschrack, denn ich war mir diese Tracht in Frankreich gar nicht vermuthen, und glaubte, meinen alten Nachbar aus der väterlichen Heimath zu erblicken, der sein Leben ruhig und unschädlich, aber auch unnützlich, auf dem Pflaster vor seinem Hause verträumt, und die wenigen vorübergehenden Menschen besieht – betrachten erforderte schon zu viel Anstrengung und zum Beobachten fehlt ihm der Sinn – oder die vorbeyfahrenden Kutschen ehrerbiethig grüßt, oder mit seines Gleichen den Werth der Neuigkeiten, nach dem eignen Nutzen, wie sich das in der ganzen Welt versteht, bestimmt, und nicht gern daran denkt, daß über seinem Horizonte noch wohl ein andrer seyn möchte, und außer seinen Bedürfnissen noch andre nach Befriedigung schreyn; der mir so oft beneidens- und oft bedauernswerth vorgekommen, weil er nicht fühlt, 72 was ihm fehlt, und nur so, wie Ennius sagt, praeterpropter lebt.Gewissen Leuten damahls (1801) zur Beherzigung gesagt; aber was hilft dem Blinden der Spiegel!


Unser Nachtessen in Bar-sur-Aube war sehr lustig. Da wir von hier aus zum ersten Mahle die ganze Nacht durch fahren sollten, so ließen wir uns den guten Wein wohl schmecken, um die Kälte und lange Weile der Nacht desto leichter zu überstehen, vornehmlich aber, um uns Herz zu machen, weil die Gegend für unsicher gehalten wurde, und uns deßwegen schon den Tag über zwey Gensd'armes begleitet hatten. Der Conducteur (der immer mit den Reisenden speist), erzählte uns nun auf Begehren des Offiziers, wie die Diligence vor vier Wochen unweit Paris sey angegriffen worden, und wie er es nicht habe wagen dürfen, sich zu wehren, weil die Anzahl der Räuber zu groß gewesen, und die Frauenzimmer in dem Wagen ein klägliches Angstgeschrey erhoben. Da die Räuber keinen Widerstand gefunden, so haben sie alle Passagiere heißen aussteigen und sich der Länge nach auf den Boden hinlegen, ihn aber gezwungen, das Geld, welches für die Regierung aufgeladen war, auszuliefern. Hierauf haben sie die Reisenden, deren Gepäck nicht berührt wurde, wieder in den Wagen steigen lassen, ja die Höflichkeit so weit getrieben, daß sie den 73 Frauenzimmern selbst hineingeholfen, mit der Abbitte: de les avoir derangées un moment.

Er erzählte uns auch, wie nicht lange vorher die Passagiere selbst die Diligence bey hellem Tage ausgeplündert haben. Unter dem Vorwand, einen Augenblick auszusteigen, haben sie sich seiner und des Postillions bemächtigt, und ihn genöthigt, alles herzugeben.

So ein Gespräch einmahl angefangen zieht einen ganzen Schwarm von Historien nach sich; jeder erzählte nun was er von Räubergeschichten wußte, und der Offizier schwur, daß er sich wehren werde, wenn auch die Menge der Spitzbuben noch so groß seyn sollte; was man wohl in Paris von ihm sagen würde, wenn er in einem solchen Falle seine Waffen nicht gebrauchte? Diese Erklärung war uns aber nicht willkommen, denn vertheidigt er sich, sagten wir, so schießen sie in den Wagen herein und treffen uns auch. – Darum floß der Wein, um unsern Muth zu beleben, und wir erreichten vollkommen unsre Absicht, denn nach und nach verschwand das Schauerliche unsrer Vorstellungen und wir scherzten muthwillig über die Begegnisse, die sich ereignen könnten.

Mit dem Geleite der Gensd'armes ist es aber nicht viel. Sie haben gar kein kriegerisches Aussehen und sind commode Herren, die Nachts lieber schlafen, als sich den Unannehmlichkeiten des Wetters und der Gefahr aussetzen. Daher finden sie sich vermuthlich mit den Conducteurs ab, denn sie reiten, wie ich auch 74 in der Folge erfuhr, des Nachts gewöhnlich nur eine kurze Strecke mit, und verschwinden nachher.

Früher bestand die Begleitung aus Soldaten, die oben auf der Decke des Wagens saßen, und durch ihre Tapferkeit einige Mahle die Anfälle von Räubern abtrieben. Man fand es aber zu gefährlich für die Reisenden, weil sie dem Feuer auf diese Art ganz ausgesetzt waren.


Für Reisende, welche das Scire tuum nihil est nisi te scire et sciat alter, zum Leitfaden ihrer Reise und Reisebeschreibung machen, ist es erwünscht, wenn sie in eine große Stadt kommen, weil sie da mehr als anderswo Stoff zu Bemerkungen finden, die ihren Kenntnissen Ehre machen und von der gelehrten Welt mit Dank aufgenommen werden. Ich war demnach zu bedauern, daß mein Aufenthalt in Troyes, der Hauptstadt des Departements de l'Aube, nur über das Mittagessen dauerte, und ich also nicht Gelegenheit hatte, für meine Freunde einen belehrenden Vorrath von statistischen und litterarischen Nachrichten über die Volksmenge und Manufakturen der Stadt, oder über die Bibliothek des berühmten Franz Pithou und die Servellatwürste, welche hier vorzüglich gut seyn sollen, zu sammeln, oder von dem großen Schatze der Collegiatkirche St. Stephani etwas mehreres sagen zu können, als daß er wahrscheinlich nicht mehr vorhanden 75 seyn wird, oder die gute Gesellschaft des Orts zu schildern, und so das erforderliche Utile dulci zu mischen, womit man sich bey dem leselustigen Publikum einen Nahmen und allenfalls seine Reise bezahlt machen kann.

Leider verspüre ich aber auch in meiner Natur keinen starken Zug nach dergleichen Erkundigungen, und werde meistens nicht eher aufmerksam, bis ich andre mit der abschreckenden Zuversicht des Wissens darüber sprechen höre, und ich dann erst mit meinen Fragen aufzutreten mich scheue, und es also zum Erkundigen für mich zu spät ist. So wie aber der Mensch, wenn er sich selbst mit andern vergleicht, gemeiniglich nichts angelegeners hat, als sich selbst zu trösten, so entschuldige ich in solchen Fällen meine Unwissenheit mit meiner Abneigung und meine Abneigung mit der Erfahrung, daß die Quelle solcher imponirender Nachrichten oft eben so unlauter, als der Strom ihrer Wirkung seicht ist; und meine Gleichgültigkeit gegen die gute Gesellschaft schreibe ich dann der langen Weile zu, die ich so oft in eleganter Unterhaltung gefunden habe.

Indessen kann ich doch so viel von Troyes sagen, daß es angenehme und mahlerische Zugänge hat, und eine alte meist aus Riegelwerk gebaute Stadt ist, obgleich auch manche große und steinerne Gebäude und Palläste zu sehen sind, welche aber als Nationalgüter jetzt größten Theils in Verfall gerathen, und von Handwerksleuten und Kaffewirthen bewohnt werden; denn unter manchem Fenster, wo ehedem ein königlicher 76 Gouverneur oder General, ein Bischof oder vornehmer Prälat neben einer in Schönheit und Pracht glänzenden Dame mag gestanden, und die Augen des bewundernden Volkes auf sich gezogen haben, hing jetzt die dürftige Wäsche einer Schusters- oder Schneidersfrau zum Trocknen heraus. – An der Kathedralkirche waren alle Bildsäulen, welche der alte Aberglaube zur Ehre der Heiligen stattlich und zahlreich hingepflanzt hatte, nun von dem neuen Unglauben der Vernunft zu Ehren (und zur Schande) der Menschlichkeit verwüstet und zerschlagen.

Die Stadt soll aber auch vor der Revolution schon in Abnahme gekommen seyn, welches man der Nähe der ungeheuren Hauptstadt zuschreibt, die, je größer sie anwächst, desto sicherer die Lebenskraft der Provinzialstädte zu ersticken droht; wie ein großes Feuer ein kleines, das in der Nähe ist, entweder mit sich vereinigt oder auslischt.


In den Städten stehen gewöhnlich bey den Gasthöfen, wo man absteigt, Friseurs unter der Thüre, die ihre Dienste anbiethen. Eine solche Gelegenheit, meinen Kopf, der von der nächtlichen Reise übel mitgenommen worden, wenigstens äußerlich wieder herzustellen, war mir erwünscht.

Diese Leute haben sich hier auch der Herrschaft über den Bart angemaßt, welches zwar der 77 Bequemlichkeit des Reisenden willkommen ist, aber sie üben ihre Gewalt so usurpatorisch aus, und behandeln den armen Unterthan mit so unerträglicher Rohigkeit, daß das glimpfliche Benehmen der medizinisch-chirurgischen Fakultät, die in meinem Vaterlande von jeher im Besitze dieses Zweiges der menschlichen Kultur war, weit vorzuziehen und zu wünschen ist, daß sie dieses Recht beständig behaupten möge, wenn es schon Salzmann unter die Quellen des menschlichen Elends zählt, und Feinde der Zunft bedenklich oder Weichlinge beleidigend für ihr Zartgefühl finden wollen, daß Leute, die meistens nur an unlautere Begriffe a posteriori gewöhnt sind, sich auch mit Gegenständen reinerer Anschauung befassen.

Dieser Friseur erzählte mir noch mit tonsorischer Gesprächigkeit ein weites und ein breites von der Zwietracht, welche die Rückkehr des Bischofs und einiger ungeschworner Priester in der hiesigen Bürgerschaft, ja selbst im Innern der Familien verursache, so daß neue Verfolgungen daraus entstehen, gleich als wenn jene nicht kämen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. – Hätte ich nur die Nahmen und Sachen behalten und mir etwa ein consularisches Rescript darüber verschaffen können, so wollte ich dann noch ein paar angesehene Personen mit hereinziehen, und so eine stattliche Erzählung bilden, die meiner Reisebeschreibung Ehre machen, und vielleicht hier und da im Vaterlande als merkwürdiges Belege der neuen 78 französischen Geschichte angeführt würde; aber so muß ich es dem der nach mir kommen, und in die Hände dieses Balbiers fallen wird, überlassen, seine Nachrichten mit mehr Geschicklichkeit zu benutzen. Mir blieb nur der Eindruck davon, daß es partout comme chez nous und das Menschengeschlecht allenthalben das gleiche ist; über jeden Vorfall theilt man sich in Parteyen, und dann sucht jede nur die Demüthigung der andern, keine aber das Eine das Noth ist: Frieden und Ordnung.


Auch hier war der Gasthof, wie allenthalben, wo ich durchgekommen, äußerst schmutzig und die Bedienung sehr nachlässig. Ich möchte nicht denen beygezählt werden, die alles tadeln, was sie nicht ihrer wunderlichen Erwartung gemäß finden, sondern übe mich vielmehr mit allem fürlieb zu nehmen, ohne ein Wort der Ungeduld zu sagen, so daß ich unter Weges oft meine Unzufriedenheit über den lauten Tadel meiner Reisegefährten äußerte; deßwegen trete ich auch in keine Smelfungusische Klage über den unerträglichen Wust der öffentlichen und geheimen Zimmer ein, und sage nichts von dem Mangel an Aufmerksamkeit für den Reisenden, aber um der Ruhmredigkeit derjenigen Franzosen willen, welche uns weis machen wollen, ihrem Lande fehle nichts und andern Ländern alles, um der Großsprecherey so vieler Krieger willen, die so gar 79 die Reinlichkeit unsrer Wirthshäuser verachteten, weil sie auf ihrem eigenen Miste nicht so gedeihet, und die schnellste Bedienung nicht schnell genug fanden, weil ein Eroberer das Unmögliche verlangen darf, um dieses einheimischen Eigendünkels willen sage ich, was die Wahrheit ist und behaupte, daß man in unsern kleinen Städten, ja in manchen Dörfern besser eingerichtete Gasthöfe antrifft, als in den großen Städten Frankreichs. Daß diese wohlfeiler sind, ist ein Vorzug, so von der größern Fruchtbarkeit des Landes herrührt, aber eben das sollte den Wirthsleuten die Mühe erleichtern, ihren Häusern die erforderliche Reinlichkeit und Bequemlichkeit zu verschaffen. Es gibt viele reiche Leute in Frankreich, aber die Nation ist arm, pflegte man ehedem zu sagen; entweder ist also dieser Mangel an öffentlichem Wohlstande Schuld, warum das gepriesene Land keine Wirthshäuser wie England, Holland und die ehemahlige Schweiz hat, oder der Geschmack an öffentlicher und häuslicher Sauberkeit liegt sonst nicht in dem Charakter des Volks.


Bis hieher, weiter aber nicht, traf ich immer noch schweizerische Scheidemünze an. Größeres Geld anzutreffen, hätte mich weniger befremdet; wer gedenkt nicht noch jener Zeit, wo die langersparten Nothpfennige unsers Vaterlandes nach Frankreich hinflogen, wie die Nägel aus dem in Trümmer stürzenden Schiffe 80 nach dem Magnetberge! Aber sogar die Schillinge meines Kantons, die schmutzigste aller Münzsorten, begegneten mir allenthalben und galten nicht nur ihren Werth, sondern noch darüber, weil sie für Halbbatzenstücke angesehen wurden. Diese Freude, so oft Landeskraft, wie es der Schweizer nennt, anzutreffen, soll er den französischen Truppen zu danken haben, die bekanntermaßen zuweilen im Schweizergeld ausbezahlt wurden, und solches nach und nach in ihr Land verpflanzten.

Mich wundert, daß noch kein Schweizerbothe, oder anderer gemeinnütziger Schriftsteller den Ungläubigen diesen offenbaren Vortheil der Staatsumwälzung zu Gemüth geführt hat, daß, jemehr Schillinge in fremde Länder kommen, man sich zu Hause desto weniger die Finger daran beschmutze, und auch durch die Exportation an jedem Stück einen Pfennig gewinnen könne; oder daß nicht Rapinat, der in seiner Schutzschrift etwas um Thatsachen verlegen zu seyn scheint, diese als das Juwel in der Krone seiner Ehrenrettung aufgestellt hat.


Von Troyes aus ist nunmehr die Straße bis nach Paris hin größten Theils in der Mitte gepflastert, das rumpelt und rasselt aber so gewaltig, daß man kaum sein eigenes Wort hört, und die Postknechte deßwegen gewöhnlich neben dem Pflaster hinfahren, denn die 81 Chausseen sind sehr breit und müssen ehedem wirklich königlich gewesen seyn; jetzt sind sie zwar etwas im Verfall, doch nicht so sehr, wie in Franche-Comté, auch werden sie hier und da wieder hergestellt.

Heute hatte ich nun zum ersten Mahle Gelegenheit, im langsamen Vorbeyfahren das Auswendige eines der großen französischen Landgüter zu betrachten, und meine Phantasie mit dem Inwendigen desselben zu beschäftigen. Dieses prächtige Schloß und dieser unendliche Umfang von Ländereyen, dergleichen man in meinem armen Vaterlande gar nicht kennt, gehörte vielleicht ehemahls einem ausschweifenden fürstlichen Prasser, oder einem blutsaugerischen Generalpächter, oder auch einem reichen, gebildeten und wohlthätigen Landedelmanne, der, müde des Geräusches und eiteln Lebens der Hauptstadt, seine Tage der Weisheit und seinen Reichthum dem Glücke seiner Unterthanen weihte. Mir einen solchen seltenen Mann zu denken, lud mich jetzt der heitere Himmel und die schöne Gegend ein, und ich stellte mir ihn vor, bald in wissenschaftlichen Unterredungen mit gelehrten Freunden, die ihn aus der Stadt besuchten, bald auf einsamen Spaziergängen an Frühlingsmorgen, oder beym zierlich reinlichen Mahle mit seiner liebenswürdigen Familie, bald wie er selbst seine Kinder unterrichtet, oder sich mit seinen Pächtern unterhält, bald wie er sich mit seinem Pfarrer über die sittlichen Angelegenheiten des Dorfs beräth, oder freundlich mit dem Alter spricht 82 und die lächelnde Jugend grüßet, oder mit einem alten treuen Diener seinen Garten bearbeitet; bald wie er vornehme Gesellschaft aus Paris empfängt und unterhält, oder Gott dankt, wenn sie wieder geht; und zuweilen auch, wie er den bey aufgeklärten Männern, die auf dem Lande leben, nie ganz erlöschenden Gedanken an bedeutendere Thätigkeit von sich abwehrt, oder durch Handlungen der Wohlthätigkeit, ja wohl gar durch Rosenfeste, zu unterdrücken sucht.

In allen diesen Situationen konnt' ich mir den guten Mann sehr leicht als weise, aber schwerer als glücklich denken; denn in meiner Vorstellung gesellte sich immer die Empfindung einer gewissen Leerheit zu diesem Zustande selbstgemachter Pflichten, und es fiel mir ein, was der vortreffliche Marillac, Siegelbewahrer unter Ludwig XIII., freylich allzuscharf zu sagen pflegte: wer sein Leben in Geistesruhe auf dem Lande zubringen, und seine Zeit geflissen zwischen Gott, Freunde und Bücher theilen wolle, ohne dem Publikum zu nützen, der führe das Leben d'un bon mouton.

So strenge möchte ich gleichwohl über meinen weisen, das Glück in dem was er Natur heißt suchenden, reichen Mann nicht urtheilen; er mag himmlische Stunden haben, die ich lieber in erwünschter Bequemlichkeit mit ihm theilen würde, als mit dem Siegelbewahrer seine mühsame und schlüpfrige Stelle. Aber ob nicht ein Mann von Kopf und Herz, der seine Indolenz oder Empfindsamkeit überwinden und eine 83 öffentliche Stelle von bestimmter Wirksamkeit annehmen kann, mehr wahren Genuß am Leben habe, als der Weise auf dem Lande (oder auch der Christ in der Einsamkeit) – solches ließ ich für dieß Mahl dahin gestellt seyn, weil der Wagen indessen weiter fuhr, und mich auf andere Gegenstände aufmerksam machte.


Durch unübersehbare Fruchtfelder führte uns der Weg am schönsten Abend nach Nogent.

Hier prangte oben auf der zerstümmelten Kirche die Göttin der Freyheit mit Speer und Mütze. Ein Bild das nun allenthalben angebracht ist, wo ehemahls der eitele Sonnenkopf mit dem Nec pluribus impar strahlte, oder Heilige sich in demüthiger Andacht krümmten. Es ist auch nicht zu läugnen, daß solches nicht in beßrer Form dargestellt sey, als jene alten Sinnbilder; nur scheint meines Erachtens der ernste altgriechische Styl, worin diese allegorische Göttin allenthalben gearbeitet ist, nicht recht zur Frivolität und Weichlichkeit der Nation zu passen, so groß und schön er an sich selbst seyn mag, und so sehr er gegenwärtig unter den französischen Künstlern als das Gegentheil des vormahligen theatralischen Geschmacks an der Tagesordnung ist; er steht zu einsam und dem Geiste des Volkes zu fremde da, um das sympathetische Wohlgefallen zu erregen, ohne welches alle Kunst wirkungslos bleibt. Denn ein Kunstwerk ist um der 84 Bewunderung einzelner Kenner willen, die ihre Forderungen nach Ideen des Alterthums bestimmen, noch nicht geeignet, dem Volke, das nur sich selbst kennt, als ein Gegenstand ästhetischer oder sinnlicher Verehrung aufgedrungen zu werden. Die Kunst muß sich weise den Sitten nähern (ich sage nicht, unterwerfen), wenn sie an wohlthätigen Einfluß auf die Menge Anspruch machen will; durch allzu große Entfernung davon wird sie nur angestaunt, nicht empfunden.

Uebrigens weiß man nicht, soll man lachen oder weinen, wenn man die Göttin der Freyheit in griechischem Costüme oben auf der Spitze eines römisch-katholischen Kirchthurms angebracht sieht. Soll es, da jede Allegorie noch eine Nebendeutung zuläßt, etwa die schwindelnde Höhe anzeigen, worauf sich die wilden Anbether dieser Göttin, Recht und Wahrheit zum Trotze, geschwungen haben? – Heiliger Petrus auf der trajanischen Säule, bitte für sie und alle ihre sittlichen Ideen!


Mein neugieriges Herumwandern in dieser ruhigen und lermlosen Stadt, die hierin sehr von Vesoul absticht, machte mich das Nachtessen versäumen. Wir wurden sogleich wieder in unsern Käfich gesperrt und fuhren unter dem Geleite von zwey Gensd'armes weiter, die uns aber bald unserm Schicksal überließen, weil sie, wie es geht, ihre eigene Ruhe mehr liebten, 85 als die Sorge für unbekannte Reisende, oder vielmehr für das Geld der Regierung. – Meinetwegen! wir hatten die Furcht vor Räubern überstanden, aber ich litt nun viel stärker von der Angst, umgeworfen zu werden; denn wir fuhren eine Zeit lang dicht an der Seine hin, und der Postknecht, der so eben von einer Reise von neun Stunden zurückgekommen war, und jetzt schon wieder mit uns fahren mußte, schlief entweder oder lief hinter dem Wagen her; auch der Conducteur war eingeschlafen, und ich konnte mich nicht erwehren, alle Augenblicke zum Schlage hinauszusehn, ob wir auch auf rechtem Pfade führen, und mir immer das Umwerfen des Wagens und seine fürchterlichen Folgen zu mahlen. so daß mir diese Schwachheit den schönen Mondschein verdunkelte und die Ruhe der Nacht raubte, indeß meine Gefährten sorgenlos schliefen, und ihnen ihre Gleichgültigkeit besser half, als mir meine ängstliche Vorsicht. Was wollt' ich machen, wenn auch Gefahr vorhanden gewesen wäre, die Kutschenschläge ließen sich von innen nicht aufmachen, also konnt' ich der Gefahr doch nicht entrinnen, und gewann durch mein Brüten über traurigen Bildern nichts, als daß ich ein Unglück empfand, ehe es geschah, und welches sogar ungeschehen bleiben konnte. Weiß ich doch, daß die Gefahr, ja das Uebel selbst, oft weniger leiden machen, als die Erwartung derselben.

Solchen sorglichen Einbildungen, wo nicht dieser, doch ähnlicher Art, welche jeden, der kein Held ist, 86 vielleicht auch diese, zuweilen anfechten, muß man schweigend ertragen, weil sie keine warme Theilnahme, sondern nur kaltes Bedauren, womit niemand gedient ist, erregen. So ließ auch ich die Anwandlung still vorüber gehen, und konnte zuletzt gelassen mich an Bildern im Mondscheine ergetzen und schlafend dem anbrechenden Tage zueilen.


Je näher man Paris kommt, desto stärker ist das Land bewohnt, folglich auch desto besser angebaut; die Bauernhäuser haben ein netteres Ansehen, und in den Flecken und Dörfern laden Kramläden zum Kaufen ein. Schon trifft man auch die großen viel versprechenden Aufschriften an den Häusern an. In einem Dorfe war an einem kleinen Häuschen eine große Sonne gemahlt und darunter stand mit ellenlangen Buchstaben: Ici le soleil luit pour tout le monde, on y loge à pied et à cheval. Und an einem andern, das kaum drey Fenster hatte: C'est ici le rendez-vous des danseurs de la nation. – So üben sich die Kleinen wie die Großen, ihren Schöpfungen glänzende Nahmen zu geben, sollte auch oft der Nahme vorzüglicher seyn als das Werk.

In Grosbois wurde (den 23. May) zu Mittag gespeist, aber die Nähe von Paris hatte allen den Appetit genommen, nur dem Offiziere nicht, der dabey sehr über seinen geschwollenen Fuß fluchte, welcher 87 ihn verhindern werde, die neuen knappen Halbstiefel anzuziehen, die seiner warten.

Wir rechneten hier auch zusammen ab, was wir unter Weges von einander geborgt hatten. Ich möchte aber keinem, der sein Geld schonen muß, und dabei keine Freude am Aufzeichnen jedes Groschens hat, rathen, auf Reisen zu viel Gefälligkeit im Leihen zu zeigen. Ueber dem vielen Geldwechseln vergißt man diese kleinen Schulden leicht, manchmal auch gern – und fordern ist an sich schon eine widrige Sache und zieht oft Unannehmlichkeiten nach sich. Auf Reisen muß man insonderheit drey Dinge geheim halten: seinen Beutel, um der leichtsinnigen Borger willen; seine Empfehlungsbriefe, um der zudringlichen Begleiter willen; und seinen Tadel um des Widerspruchs willen, dem man so oft nicht gewachsen ist, und der mehr beschämt, wenn er den Tadel als wenn er das Lob trifft, ja auch deßwegen empfindlicher fällt, weil der Tadel gewöhnlich mehr von Herzen geht.


Je zierlicher die Straßen und je lebhafter die Dörfer wurden, desto lauter ließ sich nun auch wieder die Nationaleitelkeit unsers Offiziers hören. Aus dem Ueberflusse seines Herzens entquoll seinen Lippen das Lob der Schönen von Paris, mit deren Wohnungen er uns im Vorbeyfahren bekannt zu machen versprach; wir sahen aber wohl, daß wir aus dieser 88 Anweisung keinen großen Vortheil ziehen würden, weil er zugleich versicherte, die Postillione fahren so schnell durch die Stadt, daß einem Hören und Sehen vergehe. Seine freudige Redseligkeit gieng zuletzt so weit, daß er mit uns auf eine Art von Paris sprach, als wären wir selbst schon Jahr und Tag da zu Hause. Nun, das hätte noch hingehen können, es machte uns lachen. Aber jetzt verfiel er wieder in die eben so unerträgliche, als leider in der Welt gewöhnliche Unart des Vergleichens wo nichts zu vergleichen ist, und lobte Paris auf Kosten der Schweiz und besonders einer ihrer Hauptstädte; als ob man nichts loben könnte, ohne etwas anderes zu tadeln, und die Vorzüge einer Sache immer mit den Mängeln einer anderen gemessen werden müßten! Und that auf solche Weise diesem Hauptstädtchen (Stadt darf ich sie in der Nähe von Paris nicht mehr nennen) himmelschreyendes Unrecht. Ueberhaupt sollten die höflichen Franzosen einem Lande, das sie nicht glücklich gemacht haben, lieber segnen als fluchen, vorzüglich aber einer Stadt, die mehr als irgend eine andere durch sie gelitten, und mehr als irgend eine andere den Feinden Gutes gethan hat. Wo wurden ungerechtere Contributionen gefordert, und wo wurden die Truppen besser verpflegt! Welche von den Franzosen selbst gerühmte Wohlthaten erzeigte die Bürgerschaft auf die menschlichste Weise den so zahlreichen zu Wasser und zu Land ankommenden Verwundeten! Und doch erschallt die 89 Stimme des Undanks nicht bloß von diesem Offiziere, sondern von dem halben Heere.

Der Grund hievon mag zum Theil in beleidigter Eitelkeit liegen, weil die Bewohner dieser Stadt bey der Ankunft der deutschen Macht so laut (und etwas voreilig) die sichtbare Hand der Vorsehung priesen, welche nun die strafende Ruthe über die Rücken ihrer Feinde schwänge; mehr aber noch in der nationalen Art und Unart beyder Theile. In den alten aristokratischen Republiken bildete nach und nach das angestammte Souveränitätsgefühl und die feyerliche Wichtigkeit, welche man in die Behandlung von öffentlichen Geschäften, wenn sie auch von der kleinsten Bedeutung waren, legen zu müssen glaubte, bey den Herren des Regiments und folglich auch bey ihren Nachahmern und Klienten, eine gewisse bedächtige Förmlichkeit des Leibs und der Seele, die sie auch im Umgange nicht verließ, manche treffliche Eigenschaft verhüllte, manchen Fremden verscheuchte, und besonders den geschmeidigen Franzosen langweilig seyn mußte, denen Worte mehr gelten als Werke, und die, da sie für jede Empfindung und That eine eigne konventionelle Manier haben, auch in allem auf die Manier sehen, und ohne diese auch die edelsten Handlungen nur als halbes Menschenwerk beurtheilen. Wenn nun hier dieser steife Ernst oft aus guten Gründen noch in verdrießliche Worte und Blicke überging, wie konnte da die französische Anmaßung, die sich nie überlästig 90 glaubt, geduldig seyn, ohne in die Antipathie auszuarten, die keinen Werth mehr auf Wohlthaten legt!

So beschäftigte mich das Andenken meines lieben Vaterlandes bis an die Mauern von Paris; ich hätte es nicht geglaubt. Aber wir sind so innig mit Frankreich verbunden, daß man allenthalben auf Ringe der Kette stößt, die uns festhält. Wenn die Fesseln klirren, was ist natürlicher als der Gedanke an die Schuld oder Unschuld, und was ersprießlicher, als sich dabey warnende Winke für die künftige Freyheit zu merken!


Endlich sah ich die Kuppel des Pantheons aus Wolken von Häusern emporsteigen. Nun verschwanden alle Beschwerden des zweynächtigen Fahrens und des siebentägigen Herumrüttelns – ich setzte mich zurecht, nahm keinen Antheil mehr an dem Gespräche, und überließ mich dem freudigen Gedanken, so nahe dem Gegenstande meiner Wünsche, so nahe dieser neuen Welt zu seyn.

Der Conducteur setzte sich jetzt selbst auf die Pferde und flog mit uns durch Charenton, und nachdem wir bey der Barriere einen Augenblick unsere Pässe gewiesen, durch die Fauxbourg St. Antoine über die Boulevards und durch die Gassen von Paris eine halbe Stunde lang, als wenn der Feind uns jagte.


Sed quid ego haec memoro?
Si quid me fuerit humanitus, ut teneatis.
                                 
Ennius.

 


 


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