Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Die Kinder.

Eins ist gewiß: erst, wenn man selbst Kinder hat, sieht man recht ein, wie sehr man von seinen Eltern geliebt worden ist. Elternliebe ist, um mich auf meine Weise poetisch auszudrücken, eine himmlische Anleihe, die der Schuldner dem wahren Gläubiger nie ordentlich zurückbezahlt. Nie im Leben wird Vater und Mutter das recht vergolten, was sie an Liebe, Nachsicht und Fürsorge an ihre Kinder verschwendet haben.

Man wächst heran, alle Gedanken, alle Interessen wenden sich der Zukunft zu, der Wissenschaft und der Freude, einem andern jungen Herzen und einem eigenen Heim. Die Eltern werden oft lange vergessen, oft wenigstens recht selten besucht, an sie schreibt der Sohn kaum anderthalb Seiten, während es ihm nicht schwer fällt, Stoff zu einem sechszehn bis zwanzig Seiten langen Brief an eine Dame, die er kaum ein paar Monate kennt, zu finden; die Eltern müssen immer mit dem vorlieb nehmen, was übrig bleibt.

Doch dann kommt auch die Stunde, da sie, die man mehr als sein eigenes Leben liebt, bleich und stöhnend lange, qualvolle Stunden zwischen Tod und Leben schwebt. Dann lernt man, was es heißt, für sein Theuerstes zittern. Und dann hörst du plötzlich ein Geschrei, das in den Ohren anderer heiser klingen mag, das für dich aber der schönste Jubelchor ist, und du hältst einen kleinen, fremden Reisenden im Arm, der doch ein Theil deiner selbst ist.

Das ist der oder diejenige, die die alten, halbvergessenen Eltern, für die du alles gewesen bist, an dir rächen wird. Dieses kleine Geschöpf wird das, was du ihnen, die dann vielleicht schon auf dem Kirchhofe ruhen, schuldig bist, bis auf den letzten Heller mit Zins und Zinseszins an Liebe, Nachsicht und Selbstverleugnung von dir fordern.

Wenn man eine solche Kindheit und Jugend hinter sich hat, wie ich, wird man weder schwärmerisch noch überspannt, aber ich kann doch sagen, daß mir die Brust zu enge wurde, als ich meinen Erstgeborenen in den Armen hielt.

Jetzt ist er es, der mein Manuskript durchsehen, die Fehler verbessern und es in Stockholm drucken lassen soll, wenn er, der Dr. med. und der Gelehrteste von uns allen ist, es nicht für gar zu unbedeutend hält!

Ja, ja, die Zeit vergeht.

Ich habe stets versucht, ein so aufmerksamer Ehemann zu sein, wie man es von einem Manne von meinem Bildungsgrade begehren kann, doch nie habe ich Hanna so hofirt, wie nach der Geburt unseres Ältesten. Sie hätte sagen können, was sie wollte, ich würde ihr gegenüber keinen Willen gehabt haben, außer in einer Sache, die ich mir gleich in den Kopf gesetzt hatte, als ich erfuhr, daß das Kind ein Junge sei.

Eines Tages rief Hanna mich und ich setzte mich zu ihr auf den Bettrand und ergriff so vorsichtig ihre kleine Hand, als wären wir Beide feine Leute.

»Höre, Nils, hast Du schon darüber nachgedacht, wie der Junge heißen soll?«

Ich erröthete verlegen.

»Ja, Hanna, das habe ich allerdings, aber erst will ich hören, was Du meinst.«

»Ich bin immer so von »Albert« entzückt gewesen. In zwei Büchern, die ich gelesen habe, hat der Beste von allen Albert geheißen.«

»Sei mir nicht böse, Hanna; Du hast ja am meisten Unbehagen von dem Jungen, und deshalb am meisten zu sagen. Doch ich hätte mich so gefreut, wenn Du dafür gewesen wärest, daß wir ihn nach meinem armen Vater Jöns nennen.«

Hanna wurde blutroth, erhob sich heftig auf dem Ellenbogen und sagte:

»Das ist ja ein schreck... ein vortrefflicher Name, meine ich ... kurz ... und leicht ... auszusprechen ...«

Meine liebe kleine Frau! Man konnte sehen, wie unangenehm ihr der Name Jöns war, aber sie gab aus Liebe sofort nach. Ich mußte mich überwinden und den Knaben Albert taufen lassen ich konnte ihr darin nicht zuwider sein.

Der Junge machte die Schule spielend durch, machte uns natürlich, wie alle andern Kinder, Unruhe und Sorgen, aber nicht eher wirklichen Kummer, als bis er sich für einen Beruf entscheiden sollte.

Die Beamten wollen gewöhnlich gern, daß ihre Söhne eine andere Laufbahn betreten sollen; sie kennen die Schwierigkeiten und Anstoßsteine ihres Berufes zu gut und hoffen, daß ein anderes Stück vom Brode der Krone weniger hart ist. Handwerker und Geschäftsleute dagegen wollen sich gern in ihrem ältesten Sohne ihren Nachfolger erziehen, denn sie können ihm die Wege ebenen, und eine gute Firma ist wahrhaftig nicht das schlechteste Erbe.

Doch es schien ebenso vergeblich zu sein; Albert hinter den Ladentisch zu stellen wie es unmöglich ist einen Pietisten zum Besuche eines Tingeltangels zu überreden. Er wollte Arzt werden, davon war er nicht abzubringen. Mama weinte und bat, und ich war so böse, daß ich wohl drei Monate lang kein Wort mit ihm sprach. Er war da Primaner und stand vor dem Abiturientenexamen. Er litt so unter dem gespannten Verhältnisse zwischen uns, daß er mager und blaß wurde. Meine Frau behauptete es wenigstens; ich meine aber, daß das angestrengte Arbeiten daran schuld war. Soviel ist gewiß, er sah mich bei Tische oft auf eine Weise an, daß es mir wie ein Stich durchs Herz ging.

Ich liebte meinen Beruf über alles – nur die kleine Welt unserer Häuslichkeit stellte ich noch höher – und Alberts Halsstarrigkeit hatte mich so gekränkt, daß ich an seinem Examentage nicht einmal auf den Schulhof ging.

Mein Herz schwoll und ich lief unruhig im Zimmer auf und ab, als die angehenden Studenten mit meinem Albert in der Mitte singend bei uns vorbei nach der Strandstraße zogen, um sich bei Kürschner Bengtsson die neuen weißen Mützen zu holen. Doch ich sagte mir: »Halte die Ohren steif, Jönsson, und laß Dich nicht von Deinen eigenen Kindern unterkriegen

Doch als er dann an meine Thür klopfte und zögernd und unentschlossen eintrat; als er, die weiße Mütze in der Hand, mir sein Zeugniß vorlegte und ich sah, daß er in allen Fächern das höchste Prädikat erhalten hatte; als er mich mit Thränen in seinen großen blauen Augen ansah und mit bebender Stimme sagte:

»Ich danke Dir, lieber Papa, daß Du mir eine so gute Erziehung gegeben hast!«

Da war es mit Nils Jönssons Festigkeit vorbei. Ich weinte wie eine alte Mamsell, hätte den Jungen beinahe todtgedrückt, küßte ihn und schluchzte:

»Mein lieber, lieber Junge! Werde in Gottes Namen, was Du willst, nur behalte Deinen Vater lieb!«

Und das hat er auch bisher gethan, und er ist nun Dr. med. und mit einer Malerin verlobt. Eine von der Sorte, wie sie zu Dutzenden im Nationalmuseum umhersitzen und copiren und dabei nicht einmal eine ordentliche Suppe kochen können. Und ich, der ich talentvolle Frauenzimmer im Allgemeinen verabscheue, bin so verliebt in sie, daß ich sie flehentlich gebeten habe, doch ja zu meinem 60. Geburtstage zu kommen.

Als unser zweiter Junge geboren wurde, sagte Hanna, sobald sie anfing, sich ein bißchen zu erholen:

»Höre, Nils, Du hast es mir nun einmal angewöhnt, daß ich die Namen der Kinder bestimmen darf. Sei mir nun nicht böse, wenn ich diesen Jungen auch so nenne, wie ich will.«

Ich empfand es wirklich, daß ich nun wieder nichts zu sagen haben sollte, aber ich antwortete doch:

»Du hast soviel Schmerzen mit ihm gehabt, Hanna, daß es unrecht wäre, Dir darin zuwider zu sein. Wie soll er denn heißen?«

»Ach, lieber Nils, es ist ein Einfall von mir, daß Du den Namen erst bei der Taufe hören sollst.«

Das war doch wirklich zu stark; aber was wollte ich machen? Die Frauen sind bei solchen Gelegenheiten schwach und können keine Aufregung vertragen, man muß ihnen also den Willen lassen. Doch als der Pastor die Taufformel gelesen hatte und nun zur Handlung schreiten wollte, dachte ich bei mir: »Sagt er nun Ossian, Erengisle, Edmund oder Willehard, so weiß ich nicht, was ich thue!« Der Pastor nannte aber keinen dieser »feinen« Namen, er sagte: »Ich taufe Dich im Namen u. s. w.

Jöns, Lars, Andreas.

»Jöns, Lars, Andreas!« Mein Vater, Händler-Lars und der Großvater in Bolsåkra!

»Jesus, küssen Sie die Frau nur nicht zu nichte!« sagte Frau Johansson, die den kleinen Jöns an das Licht dieser Welt befördert hatte, als ich Hanna gleich nach dem Taufakte mit einer Umarmung für die Namen dankte, die sie für unsern Sohn ausgesucht hatte.

Er wurde Jöns genannt und führt also den erzplebejischen Namen Jöns Jönsson. Doch könnt ihr glauben, daß er trotzalledem als Sekundaner brennende Lust verspürte, Husarenoffizier zu werden.

Da war ich ganz verzweifelt. Auch er wollte nicht in mein Geschäft eintreten! Da ich Albert nachgegeben hatte, konnte ich Jöns nicht zwingen, das sah ich ein. Ich schwieg also und litt. Doch eines Tages trat Jöns – der Junge hat ein sehr weiches Herz – zu mir ins Comptoir und sagte:

»Verzeihe mir, Papa, daß ich Dir soviel Sorge gemacht habe! Ich will Dir ein gehorsamer Sohn sein.«

»Höre, Jöns, was zieht Dich eigentlich so zu den verwünschten Husaren? Du wirst doch nicht blutdürstig sein?«

»Oh, nein, Papa, ich hoffe, daß wir keinen Krieg erleben,« antwortete Jöns.

»Denkst Du es Dir denn so schön, Dich wie ein unvernünftiges Thier commandiren und anfahren zu lassen, während Du Dein eigener Herr in Deinem Geschäfte sein kannst?«

»Oh nein, was die Selbstständigkeit betrifft, so ...«

»Oh Du mein Schöpfer, steht Dein Sinn denn nur nach dem bunten Rocke und dem lustigen Leben?«

»Ja, ein wenig und dann ... dann kann ich mir nichts Schöneres denken, als frei und froh auf einem stattlichen Renner über das Feld zu jagen. Sieh, Papa, ich liebe die Pferde zu sehr und möchte so gern gut reiten können ... aber ... nun wollen wir nicht mehr davon sprechen.«

»Ein unvernünftiges Vieh hätte also die Laufbahn meines Sohnes bestimmt! Höre mich an, Jöns! An dem Tage, da Du nach absolvirter Handelsschule und einem Volontärjahre in Lübeck, Deinen Platz in meinem Comptoir antrittst, soll ein Reitpferd für Dich in meinem Stalle stehen, ein Reitpferd, dessen sich kein Husarenofficier zu schämen braucht.«

»Ist das wirklich wahr, lieber, guter Papa? Ja, dann will ich gern Kaufmann werden!« sagte der Schlingel und fiel mir um den Hals.

Doch als Jöns Lars Andreas aus Lübeck zurückkam, wollte er gar kein Reitpferd mehr haben. Seine Lieblingswünsche waren nun, neue, zeitgemäße Veränderungen im Comptoire, eine Kassirerin und einen Controllapparat im Laden, neue Ladenfenster und eine andere Lagerbuchführung. Natürlich erfüllte ich diese Wünsche, und so war er zufrieden. Doch halt, es ist ja wahr, er wollte auch noch die Tochter von Levy & Sohn in Lübeck haben, der sein Geschäft vis-à-vis dem Comptoir hatte, in dem Jöns als Volontär beschäftigt gewesen war. Dieser letzte Wunsch gefiel Mama und mir nicht recht, doch wir meinten: »Der Wille des Herrn geschehe! Die Firma Levy & Sohn ist solide, und das Mädchen kann ja auch prächtig sein, obwohl sie eine Deutsche ist.« Doch als unser Jöns den Sommer darauf nach Lübeck reiste, um seine Werbung bei Levy & Sohn persönlich anzubringen, war Rebecka Levy schon mit einem Glaubensgenossen verlobt. Jetzt ist Jöns mit Emmy Lündström, deren Vater hier in Nålköping Rathsherr ist, verheirathet, und wir sind alle sehr glücklich über diese Partie. Ihr Vater ist mein bester Freund, Hanna hat bei ihr Gevatter gestanden, unsere Töchter waren ihre Schulfreundinnen und Jöns hat schon auf dem Tanzstundenball Dalkarlstanz, den man früher statt des Cotillons tanzte, mit ihr getanzt. So wissen wir also ganz genau, was wir an ihr haben, womit ich jedoch nichts gegen die deutsche Nation und die deutschen Frauen gesagt haben will.

Jetzt leitet er beinahe das ganze Geschäft und macht es besser, als ich es bei den Anforderungen der Neuzeit verstanden haben würde. Das verdankt er seiner gründlichen kaufmännischen Bildung, die er leichter erlangt hat, als ich das Bißchen, was ich kann, gelernt habe. Er übernimmt ein Detail nach dem andern unseres komplicirten Geschäftes; ich fühle mich in den unteren Räumen meines großen Hauses immer überflüssiger; ich fühle wie die vielen Fäden, die mich einst ans Comptoir und an den Laden banden, mit jedem Jahre loser werden. Nur ein Band zieht sich immer fester zusammen, das Band der Liebe zwischen dem Senior der Firma und dem jungen Geschäftsführer. Das Einzige, was ich an Jöns auszusetzen habe, ist, daß er bisweilen heftig wird. Nicht zu Hause; seine Emmy kann thun und lassen, was sie will. Auch nicht im Geschäfte; ein Kunde kann ihn stundenlang aufhalten, ohne daß er eine Miene verzieht, und er kann mit dem freundlichsten Lächeln auf der Welt alle möglichen Dummheiten und Grobheiten anhören. Aber ... ja, wie soll ich mich ausdrücken? Nun, ich will euch eine kleine Geschichte erzählen, damit ihr sehen könnt, was ich damit meine.

Es ist noch nicht lange her, daß die Sekundärbahn Snüsdala-Linkebo eingeweiht werden sollte. Ich war natürlich in den Aufsichtsrath der Actiengesellschaft gewählt worden, und – alles, was wahr ist – wäre ich nicht gewesen, so wäre aus dem ganzen Unternehmen nichts geworden und die Linkebo Gießereien könnten ihre Fabrikate ebenso wie die Tolagegend ihr Korn noch heute vermittelst Lastwagen weiter befördern.

Die Bahn sollte natürlich feierlich eröffnet werden. Festzug, fahnengeschmückte Locomotive, Blumenguirlanden auf allen Stationen, der Regierungspräsident in voller Uniform und Festdîner in Snüsdala; so lautete das Programm. Das Festdîner sollte im Güterschuppen auf dem Bahnhofe stattfinden, denn in ganz Snüsdala war kein so großer Saal. Auch der König kam und aß in allerhöchsteigner Person mit uns zu Mittag, und Niemand konnte sehen, daß das Lokal ein ordinärer Güterschuppen war. Denn an den Wänden war nicht ein Platz frei, auf den man seine Hand hinlegen konnte, die Damen von Nålköping, Linkebo und Snüsdala hatten sie vom Fußboden bis zur Decke mit Gardinen, Draperieen, Grün, Fahnen und Blumen dekorirt. Die Bürgermeisterin hatte ihren Salon-Gipskönig Oskar hinfahren lassen und ihn auf zwei großen, bemalten Drainröhren – wie wir sie in Nålköping als Piedestal für Könige, Heidengötter und Blumentöpfe benutzen – im Fond aufgestellt. Das Couvert kostete 30 Kronen, und die Rathskellerwirthin Frau Lünden aus Nålköping that ihr Bestes und briet und kochte mit ihrem Stabe in einer Bretterbude auf dem Bahnhofe, was das Zeug halten wollte. Draußen war es das herrlichste Juliwetter, das man sich nur wünschen kann.

Nun, so saßen denn Sr. Majestät, der Regierungspräsident, der Adjutant, die Bürgermeister, der Aufsichtsrath – darunter ich – und der alte Baron Sviskonkärna an einem Tische in der Mitte der südlichen Längswand, und der Schuppen war so voller Tische, daß ich nie so viele gesehen habe. In unserer Nähe waren sie so eng an einandergerückt, daß die Lohndiener sich nur mit Mühe zwischen ihnen durchwinden konnten, denn jeder treue Unterthan wollte natürlich so dicht wie möglich bei seinem Könige sitzen. Doch als wir vorher die Plätze arrangirten, blieb das eine Ende des Saales übrig, und der Bürgermeister fragte mich:

»Was fangen wir mit diesem freien Platze an, Jönsson? Unsere Frauen sehen uns durch die Glasfenster von der Güterexpedition aus.«

»Ja, lieber Trybom,« sagte ich, »wir ziehen eine Leine von einer Wand zur andern und lassen das arme, bedrückte Volk seinen König von da besehen.«

So geschah es auch, und die Leute betrugen sich sehr anständig. Der Regierungspräsident brachte ein Hoch auf den König aus, der König auf den District, der Bürgermeister auf die Bahn und ich hätte eigentlich die Aktionäre hoch leben lassen müssen, bat aber den Landessekretär, es statt meiner zu thun. Dann reichte der Kammerherr dem Könige ein kleines Packet und der König gab den Bürgermeistern eigenhändig den Nordsternorden und – mir den Wasaorden.

Ich warf einen Blick nach den Glasfenstern der Güterexpedition. Dort wischte sich Hanna die Augen, und unsere beiden Töchter waren roth wie Päonien. Sie fürchteten wahrscheinlich, ich würde eine Dummheit machen. Doch im Ganzen erging es ihnen wie den Weisen aus dem Morgenlande »als sie den Stern erblickten, freuten sie sich in ihrem Herzen.«

Während ich nun so dasitze und auf meinen Orden schiele, höre ich auf einmal eine laute Stimme mir zurufen:

»Prosit, Nisse! Glück zu!«

Ich blickte auf. Da steht Bruder Johannes hinter der Leine mitten unter dem armen, bedrückten Volke, winkt mir mit einer kleinen blauen Flasche zu, setzt sie darauf an den Mund und trinkt einen gehörigen Schluck.

Ich hatte sieben Weingläser und drei Flaschen vor mir und Bruder Johannes bezog sein Kraftmittel direkt aus der Tasche. Gott hat die Güter dieser Welt so ungleich vertheilt, und Johannes meinte es nicht böse. Doch ich war nicht nur betrübt darüber, daß mein Bruder hinter der Leine stand, während ich am Königstische saß, ich ärgerte mich vor allem über seinen angetrunkenen Zustand. Er war bereits in einer Verfassung, daß er sich bei einer solchen Gelegenheit garnicht hätte sehen lassen dürfen.

Da höre ich Lärm und Wortwechsel unter der Menge, und sehe meinen Jöns, der an einem der unteren Tische saß, Johannes beim Kragen ergreifen und – ihn wie einen Hund hinauswerfen. Als ich ihm nach Tische deshalb Vorwürfe machte, antwortete er:

»Wäre es nicht schnell gegangen, so hätte es Skandal gegeben, und ich habe ihn erst freundlich gebeten hinauszugehen, Papa.« Doch dabei sah Jöns so böse und wild aus, daß ich glaube, er wäre imstande gewesen, seinen leiblichen Onkel sogar zu schlagen. – Damals hatte Johannes noch eine Erbpachtstelle, die ich ihm verschafft hatte, aber leider mußte ich ihn später nach Minnesota schicken. Er liebte das Feuchte zu sehr, das Feuchte und das Starke, mein armer Bruder!

Nun wollte ich noch von unsern Töchtern sprechen; zwei von ihnen standen hinter dem Glasfenster der Güterexpedition und sahen ihren Vater an dem – von dem Zwischenfalle mit Johannes abgesehen – stolzesten Tage seines Lebens. Sie heißen Greta und Anna, sind groß und blond und alle beide verheirathet; Greta mit einem Assessor am Götahofgericht in Jönköping. Anna wartete fünf und ein halbes Jahr auf einen Architekten, der bei uns im zweiten Stocke wohnt und noch heute nicht viel verdient. Beide Greta und Anna sehen gut aus und sind einander so ähnlich, als wären sie Zwillinge. Den Haushalt führen sie ausgezeichnet, und Greta spielt sogar so gut Klavier, daß höfliche Gäste im Salon bleiben und sich nichts anmerken lassen. Doch wenn meine Anna singt: »Vierzehn Jahr, glaub' ich fast, daß ich war« ziehen meine Gäste sich gern in die Nebenzimmer zurück, das habe ich bemerkt.

Wenn ich sage, daß solche Mädchen heutzutage leider nur selten aus einem schwedischen Hause hervorgehen, so kann man einem Vater diese Behauptung wohl verzeihen. Reinen Herzens, mit ungetrübtem Blick und Gemüth, frisch wie die Wellen des Stromes traten sie ungeküßt, unbecourt vor den Altar, ohne vorher ein Dutzend Haarlocken und einen Stapel Liebesbriefe verbrennen zu müssen. Die Beiden sind Frauen, die durch ganz Schweden reisen können und nicht zu befürchten brauchen, daß ihnen an einer Straßenecke ein Mann begegnen könnte, vor dessen Blicken sie die Farbe wechseln oder die Augen niederschlagen müßten. Assessor Ründqvist und Architekt Blom haben sie ganz und gar, wie sie gingen und standen, bekommen, ohne Erfahrungen und Erinnerungen. Nun, der Assessor hat ein kleines Vermögen, und man prophezeit ihm eine gute Carrière, aber ein Adonis ist er nicht, denn seine Augen stehen mehr als erlaubt schief und sein Haar sticht ein wenig ins Rothe. Doch daß Anna für den Architekten viel zu gut war, fanden wir Alle. Keine Aufträge, keinen praktischen Sinn, keinen Holzverstand, keinen Begriff von Frachten, kann kaum Schmiedeeisen von Gußeisen unterscheiden, es ist ein Jammer! Er zeichnet freilich wunderschön und entwirft Pläne zu den entzückendsten Häusern, die unsere Nålköpinger sich aber leider nicht bauen lassen wollen. Nun, wenn unsere Anna nur zufrieden ist, müssen wir uns darein finden. Die Mädchen sollen ja einmal ihre eigene Häuslichkeit haben, aber es that mir doch weh, sie hergeben zu müssen. Wenn die Söhne sich verheirathen, fühlt man es nicht so sehr, das weiß ich an Jöns. Ein Mann bleibt immer ein Mann und bestimmt den Curs seines Lebens selbst. Ruinirt ihn seine Frau nicht und befleckt sie seinen Namen nicht, so wird er schon mit ihr fertig werden. Doch mit welchen Gefühlen giebt man seine Tochter einem fremden Manne, da man weiß, was sogar hinter den Besten steckt.

Dann kommt unsere kleine neunzehnjährige Jenny und darauf Karin, der der alte Hofmarschall einen Kuß und eine Leibrente schenkte. Sie sind Beide dunkel und zierlich und scheinen einer ganz andern Race anzugehören als unsere beiden Aeltesten. Jenny beschäftigt sich, zu meinem großen Aerger mit »den großen Zeitfragen.« Sie liest viel zu viel, redet, daß es mir wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht, und will eine Stelle annehmen, obgleich sie es wahrhaftig nicht nöthig hat. Aber »man muß einen Wirkungskreis haben und selbstständig werden!!« Als sie zuerst mit in Gesellschaft gehen durfte, war ich außer mir über das Mädchen. Sie fand nur an Herren Gefallen, plauderte, lachte und zankte sich mit ihnen, und zu welcher Tageszeit sie auch ausging, immer wurde sie von einem Cavalier nach Hause gebracht. Später erfuhr ich durch Jöns, daß Jenny spitz und naseweis, ja bisweilen sogar grob gegen die jungen Herren ist und von ihnen für ein richtiges kleines amüsantes Scheusal angesehen wird. Gott helfe dem Kinde! Wenn sie so bleibt, bekommt sie im Leben keinen Mann. Doch wenn wir auch versammelt sind und uns mit Kindern und Kindeskindern wohlbefinden, wenn auch alles so ist, wie es sein muß und wir nichts haben, was uns bedrückt und unruhig macht, so herrscht doch keine frohe Stimmung in unserm Kreise, sobald der Rollstuhl vor dem kleinen Tisch am mittleren Saalfenster leer steht.

Wir haben jetzt eine große Wohnung, Saal, elf Zimmer und Wirthschaftsräume, und wir sind eine lebhafte Familie, denn Annas und Jöns und Emmys Kinder machen schrecklichen Lärm wenn sie bei uns sind, und wenn in den Ferien noch Gretas Kinder dazu kommen, kann man kaum sein eigenes Wort hören. Doch wenn sie in die Nähe des blauen Cabinets kommen und die Thür desselben geschlossen ist, treten die kleinen Füße von selbst leiser auf, die Stimmen senken sich zu einem Flüstern herab und die Thür wird mit liebevollen Blicken angesehen.

Wenn bei uns etwas vorfällt, an Freude oder an Leid, wenn Briefe von Greta und Albert kommen, wenn wir etwas aus der Stadt oder von Freunden hören, erhebt sich stets Einer von uns, sieht nach, ob der Rollstuhl leer ist und eilt, wenn dies der Fall ist, in das blaue Cabinet, aus dem jeder Schall nur gedämpft in die andern Räume dringt.

Dort liegt hinter herabgelassenen Rouleaux auf dem weißen Kissen ein Gesicht, das einer schönen Frau angehört, doch der Körper, der dieses Köpfchen trägt ist verkrüppelt und nicht größer als der eines Kindes.

Das ist unsere Eva, unsere dritte Tochter, die ein schweres Leiden gebrochen und von aller Lebensfreude ausgeschlossen hat; sie, die eigentlich unser Sorgenkind sein sollte, und es doch, wie keines der andern, verstanden hat, unsere Blicke nach oben zu wenden.

Die Aerzte sagen – nun, es ist gleichgültig was sie sagen, da sie erklären, in diesem Falle machtlos zu sein. Alles ist gethan worden und Nichts hat geholfen. Sie hat weder Kinderlust, noch Jugendfreude kennen gelernt, von der Natur und dem Leben ist ihr nur wenig bekannt, und bisweilen verzerrt der Schmerz die schönen Züge; das Gesicht ist frisch und voll geblieben und die Augen glänzen lebhaft, man kann sich kaum denken, daß der Körper ein so abnormes Skelett ist.

Fühlt und denkt sie wie wir, obgleich sie nichts vom Leben zu erwarten und zu hoffen hat? Wir wissen es nicht. Wir haben nie bemerkt, daß der Hauch des Lebens, der in ihre kleine Freistatt dringt, sie wehmüthig oder sehnsuchtsvoll stimmt. Die Knaben haben ihr alle ihre Zukunftspläne anvertraut, die Mädchen haben mit ihr über ihre Herzensangelegenheiten gesprochen, ehe Mama nur eine Ahnung davon hatte, und Evas schöne Augen haben dabei voll Liebe geglänzt, sie hat mit Interesse zugehört und die Geschwister leise mit ihrer ausgemergelten Hand gestreichelt, aber nicht den geringsten Schmerz darüber verrathen, daß sie so vollständig von allem, was das Leben bietet, ausgeschlossen ist.

Ich glaube, daß die Wurzeln ihres Herzens sich allmälich von der Erde loslösen und ihr Sinn sich immermehr nach oben wendet. Eigentlich hält sie wohl nur noch ein Band hier fest, die Liebe zu uns Allen. Doch wie lange wird diese ihr noch die Flügel binden? Wie bald kann nicht dieses Band zerreißen, und sie von der Vergänglichkeit zur Ewigkeit eingehen? Es ist grausam und egoistisch, daß wir Gott bitten, sie uns zu lassen, und doch können wir nicht anders; das Sorgenkind ist der Sonnenschein unseres Hauses geworden, die kleine Hand der mißgestalteten Tochter stützt uns und richtet uns auf, und wenn das flackernde Lebenslicht erlöschen sollte, so würde das beinahe ein schwererer Schlag für uns sein, als wenn einer von uns andern in voller Lebenskraft und Gesundheit plötzlich dahingerafft würde.

Eva weiß um mein Vorhaben und sagte gestern zu mir:

»Papa, ich weiß nicht, ob auch Fremde Dein Buch lesen sollen oder ob es nur ein theueres Testament für Mama und uns sein wird; doch sage, es steht doch wohl viel von Gottes Güte und wunderbarer Gnade darin?«

Ich senkte den Kopf und mein altes Gesicht erglühte vor Scham.

»Leider nicht viel, Kind ...«

Ihre weichen, milden Züge verdüsterten sich und sie lag eine Weile still. Dann erheiterte sich ihr Gesicht wieder und sie lächelte:

»Das thut nichts, Vater. Seine Worte preisen ihn, und kein Mensch kann seine Lebensereignisse aufzeichnen, ohne damit einen Lobgesang zu Seiner Ehre zu schreiben!«

Und das sagte sie, die Er so hart geschlagen!

*

So nun ist die Uhr schon sechs, und in 20 Minuten kommt der Dampfer von Stockholm mit Mama, die mir morgen meinen 60. Geburtstag verschönern soll. Sie bringt Albert und sein Malerfräulein mit. Gott segne meine kleine Schwiegertochter, schmutzt sie uns aber das gelbe Zimmer, unser bestes Fremdenzimmer, mit Oelfarbe ein, so läuft es nicht gut ab.

Mama kommt! Was hilft es, daß man in einer Hütte geboren und alt und grau geworden ist. Man wird dadurch nicht vernünftiger. Sie, die, seit dem Frühlinge unseres Lebens allein in meinem Herzen geherrscht hat, kann die Saiten desselben noch ebenso tief erklingen machen wie damals, wenn auch die Ernte eingebracht ist und der Herbstwind um die eingefallenen Wangen weht.


 << zurück weiter >>