Friedrich Hebbel
Schnock
Friedrich Hebbel

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Auf Lene machte dies freilich Eindruck, aber er war anderer Art, als ich beabsichtigt hatte. Statt vor mir, wir vor einer gefüllten Pulvertonne, zurückzuschaudern, schien sie immer mehr Geschmack an mir zu finden: ich glaube, ich hätte der Teufel selbst sein können, ihr wär's recht gewesen, sie mochte sich's zutrauen, selbst den Teufel zu bändigen. So war mir's denn ziemlich gleichgültig, als der Plan, den ich eines Sonntagsmittags – Sonntags mußt' ich sie spazieren führen – auf einen großen, uns begegnenden Pudel baute, zu Wasser ging. Sie hatte mir nach ihrer Unart eben ins Ohr gesagt: »Ich hab' dich doch recht lieb, Christoph!« – »Der Pudel da,« dacht' ich, »soll dich von der verdammten Liebe etwas kurieren und dir einigen Respekt vor deinem künftigen Man einflößen; ich will dir's zeigen, daß ich's nicht bloß mit Mäusen und Kätzchen aufnehme, sondern, seines giftigen Gebisses ungeachtet, auch mit einem Hund.« Also schritt ich, ohne ihm, wie sonst, auszuweichen, frisch auf den Pudel zu. Es war eine drückende Hitze; der Pudel, halsstarrig bis zur Faulheit, verfolgte, zwar noch nicht knurrend, aber doch schon frech und unverschämt zu mir aufblickend, in gerader Linie seinen Weg. Lene wollte ausbiegen. »Ei was!« rief ich, sie festhaltend, »du wirst doch den niederträchtigen Köter nicht fürchten?« Ich holte wie vom Teufel besessen mit dem Spazierstöckchen aus zum Schlag. Der Pudel zieht sich nicht zurück, herausfordernd die Zähne fletschend sieht er mich an. Gereizt schlage ich wirklich zu. Sollte man's glauben? Die aufsätzige Bestie schnappt mir nach den Waden, statt sich auf die Flucht zu begeben. Da überwältigt mich meine Natur, ich reiße mich von meiner Braut los und springe über den Graben. Scham ergreift mich, als ich mir des unwillkürlichen Ausreißens bewußt werde, ich wage kaum, mich umzusehen. »Die Gefahr ist vorüber!« ruft laut lachend Lene mir zu; zu meinem großen Ärger bemerke ich, daß sie den Hund richtig mit Steinwürfen vertrieben hat und ihm, mir zum offenbaren Hohn, noch einige nachsenden will. »Liebes Kind,« sag' ich, »nimm dich in acht, bedenkst du denn nicht, daß wir in den Hundstagen sind? Er ist ja toll!« – »Was?« ruft sie, plötzlich erschreckend, aus und läßt ihre Steine zu Boden fallen. »Allerdings,« versetze ich und kehre wieder an ihre Seite und; »bemerktest du nicht, wie ihm der Schaum vorm Maul stand, wie er den Schwanz zwischen die Beine klemmte, wie häßlich rot seine Augen waren, welch unnatürlich Gelüst er zum Menschenfleisch trug?« In diesem Augenblick ging der abscheuliche Pudel, heiß, wie er vom Rennen sein mochte, zu Wasser, mich in seiner tierischen Dummheit Lügen strafend. Doch Lene ward es nicht gewahr; sie schoß einen wütenden Blick auf mich, den ersten, wenn mir recht ist, und rief mit vor Zorn und Schreck fast erstickter Stimme: »Und das sagtest du mir nicht gleich?« Wunderbar ist meine Gabe, die Lüge spitz zu kriegen, wenn's darauf ankommt, mich herauszulügen. »Kind,« antwort' ich und pflücke für sie, um mich ihren, gleich zwei geladenen Pistolen, auf mich gerichteten Augen zu entziehen, am Rand des Grabens ein Vergißmeinnicht, »konnt' ich's denn wissen, daß du's nicht gelesen hast, was im Kalender über tolle Hunde steht?« – »Nun,« erwidert wie mit der ihr eigenen, unweiblichen Gefaßtheit und steckt die Blume, die ich ihr galant überreiche, an die Brust,»den Hals hat's ja nicht gekostet. Hoffentlich hast du bei dem kühnen Sprung die Knochen nicht verrenkt?« Dies war Spott, ich merkt' es gleich und antwortete nichts.

»Im Wein ist Wahrheit!« sagt das Sprichwort. Es gilt aber nur von der einen Hälfte des menschlichen Geschlechts, von der männlichen; die Weiber beichten niemals, auch nicht dem Wein. Das hab' ich noch an demselben Sonntag erfahren. Mit List bracht' ich Lene in den Hinckeldeyschen Garten. »Wir können dort Kaffee oder Tee trinken«, sagt' ich, ich wußte aber wohl, daß außer Wein, Rum und ähnlichen Mauerbrechern nichts zu haben war. Als der herbeigerufene Kellner dies erklärte, stellt' ich mich verwundert und sah Lene mit einem verdrießlichen Gesicht an. »Nun,« sagte sie, »so lass' Wein bringen, aber für mich Wasser dabei.« – »Herrlich geht's«, dacht' ich und rieb mir vergnügt die Hände; dann bestellt' ich Vierundachtziger, der, wie ich wußte, stark und schnell zu Kopfe stieg, auch eine reichliche Portion Zucker; denn durch den verführt man die Weiber am leichtesten zum Trinken. »Deine Gesundheit!« rief ich, ihr das volle Glas, in das ich viel Wein und wenig Wasser gegossen hatte, hinreichend. Sie wollte es nur halb austrinken, ich ließ das aber nicht gelten, und weil die letzte Hälfte wegen des Bodensatzes von Zucker süßer war, als die erste, so ließ sie nicht gar zu lange in sich dringen. Höflich, ich hatt' es erwartet, sagte sie dann: »Jetzt aber auch deine!« Rasch schenkte ich die Gläser wieder voll. »Unmöglich,« rief sie, »kann ich's ganz leeren, mir wird schon so wunderlich!« – »Dann«, versetzte ich, »hast du mich auch nicht lieb.« Einen Augenblick sah sie vor sich nieder in den Schoß; dann trank sie langsam, mir die Hand über den Tisch gebend, – ich saß nicht an ihrer Seite, sondern ihr gegenüber – und mich fest ansehend, das Glas aus. Es ward ihr schwer, das sah ich. »Nun wird sie bald übersprudeln,« dacht' ich, »saubere Dinge werd' ich erfahren, aber gut ist's, wenn man's weiß, woher der Wind weht, man kann sich danach richten.« Ich trat ihr, wie aus Versehen, auf den Fuß und hoffte, sie sollte's übelnehmen; sie hielt's, angetrunken, wie sie war, für ein Liebeszeichen. »'s tut nichts,« dacht' ich, »die Bosheit wird wohl zum Vorschein kommen, wenn die Besinnung noch mehr schwindet; schon tritt ihr ein verdächtiges Rot auf die Wangen, ihre Augen schwimmen.« – »Aber meine Mutter!« sagt' ich und schenkte noch einmal die Gläser voll. »Ja, deine Mutter,« erwiderte sie lebhaft, »aber ich nippe nur ein wenig!« – »Besser etwas, als gar nichts!« dacht' ich und ließ es dabei bewenden. Jetzt sah sie fast gar nicht mehr auf, sondern lächelte in einem fort still vor sich hin. Aufmerksam paßt' ich auf jede ihrer Bewegungen. Recht zur glücklichsten Stunde stellte sich, schnüffelnd im Garten herumkreuzend, ein Pudel ein. »Der wird die Mühle in Gang bringen«, dacht' ich und pfiff dem Hund. Nicht ganz hatte ich mich verrechnet. »Nimm dich doch in acht, mein Schatz,« rief sie, sowie sie bemerkte, daß ich den Hund lockte, »er kann toll sein, oder es werden.« Dabei lachte sie, daß ihr Tränen in die Augen traten. Aber es erfolgte weiter nichts. Aus Unvorsichtigkeit stieß ich die Wasserflasche um, das Wasser, an allen Seiten vom Tisch herabströmend, näßte, bevor sie ausweichen konnte, ihr Kleid ein. »Ach, Herr Jesus!« rief sie und flog von ihrem Sitz auf. »Nun kommt's!« dacht' ich und spitzte die Ohren; doch der Herr Jesus war der bloße Vorläufer eines gutmütigen »Es tut nichts, es ist ja kein Wein!« Ärgerlich mich in die Lippen beißend, begann ich, auf mich selbst zu schimpfen und mich herabzusetzen. »Ungeschickt«, fing ich an, »bin ich, wie ein Schulkind. Als ich – dies war nicht erlogen – das letztemal zum Abendmahl ging, plumpte ich, solltest du's glauben, vor dem Altar, da ich eben aus dem Kelch nippen sollte, nieder, wie ein zu schwer beladener Mülleresel.« – »Pfui!« unterbrach sie mich und rümpfte die Nase. »Ja,« fuhr ich mit Lebhaftigkeit fort, »als ich das Kind meines Vetters zur Taufe hielt, ließ ich den armen Wurm aus den Kissen gleiten und auf den Taufstein fallen, wo er sich an einer Ecke jämmerlich den Kopf zerstieß.« – »Wie? was sagst du?« fragte sie, als ich ihr, verächtliche Blicke, Kopf schüttelnd u. dgl. mehr erwartend, keck und mit Lüsternheit in die Augen sah. Mit Übertreibungen wiederholte ich die ohnehin nur halbwahre Taufgeschichte. »Ach,« seufzte sie, »ich hab' so viel Kopfweh, hätt' ich doch den Wein nicht getrunken!« Ich ward immer hitziger, wie ein Jäger, wenn er oft abdrückt und niemals trifft, und warf mich nun ganz in die Lüge. »In Bremen«, erzählt' ich, »stieß ich einem Bäckergesellen, mit dem ich zusammenschlief, nachts beim Umwenden im Schlaf mit dem Ellbogen das Auge aus.« – »Das ist ja fürchterlich!« fuhr sie auf. »Du könnt'st ja wohl, wenn du schläfst und träumst, das Haus in Brand stecken!« – »Gewiß!« fuhr ich heuchlerisch-ruhig fort, »nachtwandelnd hab' ich mich in Frankfurt a. M. ohne irgendeinen vernünftigen Grund einmal erhenkt. Der Strick war mürbe und zerriß; sonst säß' ich hier wohl nicht und tränke auf deine Gesundheit.« – »Du treibst Possen!« sagte sie, laut auflachend, und hielt mir die Hand vor den Mund. »Es ist die reine Wahrheit,« versetzt' ich mit einem Ernst, dem sie Glauben schenken mußte, ich bin nun einmal solche in Unglücksmensch; was mir passiert, passiert so leicht keinem zweiten.« Ich seufzte kläglich, dann fragt' ich schlau: »Nicht wahr, Lene, wenn du gewußt hättest, wie's eigentlich um mich stünde, du würdest dich für einen solchen Mann bedankt haben?« – »So etwas ist freilich schlimm,« gab sie zur Antwort, »doch das wollen wir schon kriegen!« – »Wieso? wie meinst du?« fragt' ich schnell und lauernd. »Ach was!« sagte sie, stand auf und gab mir, worum es mir am wenigsten zu tun war, einen Kuß. Und zu Loch war die Schlange und ließ sich nicht wieder heraustreiben. Nichts erfuhr ich von ihren Tücken und Ränken, nichts von den Plagen und Quälereien, die sie mir in so reichlichem Maße zugedacht; ja, gefallen mußt' ich mir's lassen, daß sie mir, als ob sie so nüchtern gewesen wäre, wie sonst, gleich nach dem Kuß ins Ohr flüsterte: »Ich hab' dich dessenungeachtet doch lieb!« Ich hatte ihr Herz, wie einen Wetterkalender, aufzuschlagen gehofft und wurde abgespeist mit dem schönen Einband.

An dem Abend jenes nämlichen Tags hab' ich zum ersten- und letztenmal in meinem Leben einen Geist gesehen. Ich sage das nicht, weil ich mir was drauf einbilde, sondern nur, weil es doch immer eine Merkwürdigkeit ist. Es war gegen elf Uhr, da ging ich über den Magdalenenkirchhof, um für meine Mutter, die von einem leichten Fieber befallen war, Kamillen zu holen. Man muß nämlich über diesen Kirchhof gehen, wenn man zur Apotheke will. Ich dachte – ich kann's beschwören – nicht an Geister und Gespenster, sondern nur daran, wie angenehm es sein würde, wenn ich erst wieder zu Hause wäre; ich lief, als ob meine Mutter zu Tod daniederläge, und sah nicht links noch rechts. Dennoch erblickt' ich plötzlich etwas Weißes, was lang und sonderbar in die Höhe ragte; ich wurde zu Eis, und doch – so ist der Mensch – blieb ich stehen; hätte der Geist mir gewinkt, ich wäre – das glaub' ich – gehorsam, wie ein Hund, zu ihm herangekommen. Aber, er bekümmerte sich nicht um mich, sondern schwebte, ohne nach Art der Geister ein Zeichen oder einen gräßlichen Ton von sich zu geben, langsam, langsam über die Gräber fort. Wird man's begreifen? Erst, wie er verschwunden war, kam mir die eigentliche Angst, da erst fiel mir's ein, wieviel Unheil er mir bei bösartigerer Gemütsbeschaffenheit hätte zufügen können. Kalter Schweiß brach mir aus, nun ich ihn nirgends mehr sah, glaubte ich ihn allenthalben zu sehen, wenn der Westwind mir in den Nacken blies, hielt ich's für einen Hauch von ihm und erwartete ärgere Mißhandlungen. Als ich das greuliche Ereignis am andern Morgen erzählte, fand sich gleich, wie das denn nie ausbleibt, ein Mann, der den Schlüssel dazu hatte. Der Prahlhans, der versoffene Barbier, der zuletzt im Hospital verreckt ist, wollte nämlich auf dem Magdalenenkirchhof – er nannte ihn seinen Garten, weil er daran wohnte – der Abendkühle wegen im Schlafrock und in der Nachtmütze spazieren gegangen sein. Es war dem Kerl bloß um die Ehre, er wollte sich rühmen können, für einen Geist angesehen worden zu sein; man wird's mir aber wohl glauben, daß ich auch im Dämmerlicht einen Barbier von einem Geist zu unterscheiden weiß; denn das ist keine Kunst! Übrigens war selbst diese Geistererscheinung noch nicht das letzte Abenteuer jenes merkwürdigen Tages. Wie ich von der Apotheke zurückkehrte, vermied ich natürlich den mir doppelt unheimlich gewordenen Kirchhof und machte einen Umweg, der mich an einem tiefen Teich vorbeiführte. Wie ich mich dem Teich näherte, kam auf einmal ein Mensch dahergerannt, der, soweit ich beim schwachen Mondlicht darüber klar werden konnte, mit nichts als seinem Hemde bekleidet war und sich höchst sonderbar gebärdete. Bald starrte er ins Wasser hinein, dann sah er zum Himmel empor, endlich brach er in ein wildes Gelächter aus und sprang, wie unsinnig, in den Teich. »Was soll das?« rief ich ihm in einer wahren Todesangst zu oder vielmehr nach, »nehmt Euch in acht, niemand ist in der Nähe, der Euch wieder herauszieht!« Keine Antwort. Ich schritt bis an den Rand des Teichs vor, das Wasser bewegte sich in großen Kreisen, der Wind flüsterte im Schilf, von dem Menschen war nichts mehr zu sehen. »Ist das Spaß oder Ernst?« rief ich, die Zähne klapperten mir, ich vermochte kaum noch zu stehen. »Heda! Ihr dort unten, steigt herauf!« Stille, wie vorher! »Gott im Himmel! es ist richtig ein Selbstmörder!« brach ich jetzt aus, als ob ich den Menschen bisher für einen Taucher gehalten hätte, »wer ein Christ ist, springt ihm nach und holt ihn mit Gewalt wieder herauf!« Wenig fehlte und ich hätt' es getan! man hat in solchen Augenblicken ein Gefühl, als ob man's nicht lassen dürfte. Ich nahm auch wirklich einen Anlauf, da aber fiel mir ein, daß er ja jedenfalls schon tot sei, und daß nur ein Narr sein Leben eines Kadavers wegen aussetze. Gedanken anderer Art drängten sich mir auf. »Wer ist's?« fragt' ich mich. Antwort: »Vielleicht dein Gesell!« Das kam mir bald äußerst wahrscheinlich vor, und was knüpfte sich nicht alles daran! »Wird man nicht glauben,« dacht' ich, »du hast ihn hineingestürzt? Wird man nicht wenigstens behaupten, daß du, der du ihm fast zur Seite standest, aus absichtlicher Bosheit nichts für seine Rettung getan hast? Und hat das eine nicht Grund, wie das andere?« Ich sah mich nach allen Seiten um, ob noch außer mir jemand Zeuge dieses Selbstmordes gewesen sei, und beschloß, als ich mich des Gegenteils versichert hatte, den Vorfall zu verschweigen, um allen Verfänglichkeiten zu entgehen. Nun entfernte ich mich rasch, ward aber gleich, sowie ich am ersten Wirtshaus vorüberkam, von der schwersten meiner Befürchtungen befreit; denn mein Gesell saß drinnen bei einer Kanne Bier und schwur eben mit lauter Stimme, daß er sich an meinem Hochzeitstage schon vor Sonnenaufgang betrinken und mir jeden Schabernack spielen wolle, der ihm während des Rausches in den Sinn käme. Den nächsten Morgen klärte sich das Ereignis auf. Der kranke Müller war seinem Wärter, dem man schuld gab, daß er fahrlässig gewesen und eingeschlafen sei, entkommen und hatte seinem Leben in einem Anfall von Verzweiflung ein Ende gemacht. Man sagte, er habe vom Krankenbett aus Dinge von seiner Frau gesehen, die er nicht wieder hätte vergessen können. Ich zweifle nicht daran.


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