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Vierter Akt

Wie im zweiten Akt: der Gutshof. Zeit: eine Viertelstunde nach Helenens Liebeserklärung.

Marie und Golisch, der Kuhjunge, schleppen sich mit einer hölzernen Lade die Bodentreppe herunter. Loth kommt reisefertig aus dem Hause und geht langsam und nachdenklich quer über den Hof. Bevor er in den Wirtshaussteg einbiegt, stößt er auf Hoffmann, der mit ziemlicher Eile durch den Hofeingang ihm entgegenkommt.

Hoffmann, Zylinder, Glacéhandschuhe. Sei mir nicht böse. Er verstellt Loth den Weg und faßt seine beiden Hände. Ich nehme hiermit alles zurück! ... Nenne mir eine Genugtuung! ... Ich bin zu jeder Genugtuung bereit! ... Ich bereue, bereue alles aufrichtig.

Loth. Das hilft dir und mir wenig.

Hoffmann. Ach! – wenn du doch ... sieh mal ...! mehr kann man doch eigentlich nicht tun. – – Ich sage dir: mein Gewissen hat mir keine Ruhe gelassen. Dicht vor Jauer bin ich umgekehrt ... daran solltest du doch schon erkennen, daß es mir Ernst ist. – Wo wolltest du hin ...?

Loth. Ins Wirtshaus – einstweilen.

Hoffmann. Ach, das darfst du mir nicht antun ...! das tu mir nur nicht an! Ich glaube ja, daß es dich tief kränken mußte, 's ist ja auch vielleicht nicht so – mit ein paar Worten wiedergutzumachen. Nur nimm mir nicht jede Gelegenheit ... jede Möglichkeit, dir zu beweisen ... hörst du? Kehr um! ... Bleib wenigstens bis ... bis morgen. Oder bis ... bis ich zurückkomme. Ich muß mich noch einmal in Muße mit dir aussprechen darüber; – das kannst du mir nicht abschlagen.

Loth. Wenn dir daran besonders viel gelegen ist ...

Hoffmann. Alles! ... auf Ehre! – ist mir daran gelegen, alles! ... Also komm! ... komm!! Kneif ja nicht aus! – komm! Er führt Loth, der sich nun nicht mehr sträubt, in das Haus zurück. Beide ab.

Die entlassene Magd und der Kuhjunge haben inzwischen die Lade auf den Schubkarren gesetzt, Golisch hat die Traggurte umgenommen.

Marie, während sie Golisch etwas in die Hand drückt. Doo! Gooschla! hust a woas!

Der Junge weist es ab. Behaal denn Biehma!

Marie. Ä! tumme Dare!

Der Junge. Na, wegen menner. Er nimmt das Geld und tut es in seinen ledernen Geldbeutel.

Frau Spiller, von einem der Wohnhausfenster aus, ruft. Marie!

Marie. Woas wullt er noo?

Frau Spiller, nach einer Minute aus der Haustür tretend. Die gnädige Frau will dich behalten, wenn du versprichst ...

Marie. Dreck war ich er versprecha! – Foahr zu, Goosch!

Frau Spiller, näher tretend. Die gnädige Frau will dir auch etwas am Lohn zulegen, wenn du ... Plötzlich flüsternd. Mach der nischt draus, Moad! se werd ock manchmal so'n bißken kullerig.

Marie, wütend. Se maag siich ihre poar Greschla fer siich behaaln! – Weinerlich. Ehnder derhingern! Sie folgt Golisch, der mit dem Schubkarren vorangefahren ist. Nee, asu woas oaber oo! – Do sool eens do glei ... Ab. Frau Spiller ihr nach. Ab.

Durch den Haupteingang kommt Baer, genannt Hopslabaer. Ein langer Mensch mit einem Geierhalse und Kropfe dran. Er geht barfuß und ohne Kopfbedeckung; die Beinkleider reichen, unten stark ausgefranst, bis wenig unter die Knie herab. Er hat eine Glatze; das vorhandene braune, verstaubte und verklebte Haar reicht ihm bis über die Schulter. Sein Gang ist straußenartig. An einer Schnur führt er ein Kinderwägelchen voll Sand mit sich. Sein Gesicht ist bartlos, die ganze Erscheinung deutet auf einen einige Zwanzig alten, verwahrlosten Bauernburschen.

Baer, mit merkwürdig blökender Stimme. Saaa–a–and! Saa–and!

Er geht durch den Hof und verschwindet zwischen Wohnhaus und Stallgebäude. Hoffmann und Helene aus dem Wohnhaus. Helene sieht bleich aus und trägt ein leeres Wasserglas in der Hand.

Hoffmann, zu Helene. Unterhalt ihn bissel! verstehst du? – Laß ihn nicht fort – es liegt mir sehr viel daran. – So'n beleidigter Ehrgeiz ... Adieu! – Ach! Soll ich am Ende nicht fahren? – Wie geht's mit Martha? – Ich hab' so'n eigentümliches Gefühl, als ob's bald ... Unsinn! – Adieu! ... höchste Eile. Ruft. Franz! Was die Pferde laufen können! Schnell ab durch den Haupteingang.

Helene geht zur Pumpe, pumpt das leere Glas voll und leert es auf einen Zug. Ein zweites Glas Wasser leert sie zur Hälfte. Das Glas setzt sie dann auf das Pumpenrohr und schlendert langsam, von Zeit zu Zeit rückwärts schauend, durch den Torweg hinaus. Baer kommt zwischen Wohnhaus und Stallung hervor und hält mit seinem Wagen vor der Wohnhaustür still, wo Miele ihm Sand abnimmt. Indes ist Kahl von rechts innerhalb des Grenzzaunes sichtbar geworden, im Gespräch mit Frau Spiller, die außerhalb des Zaunes, also auf dem Terrain des Hofeingangs, sich befindet. Beide bewegen sich im Gespräch langsam längs des Zaunes hin.

Frau Spiller, leidend. Ach ja -m-, gnädiger Herr Kahl! Ich hab' -m- manchmal so an Sie -m- gedacht -m-, wenn ... wenn das gnädige Freilein ... sie ist doch nun mal -m- sozusagen -m- mit Sie verlobt, und da ... ach! -m- zu meiner Zeit ...!

Kahl steigt auf die Bank unter der Eiche und befestigt einen Meisenkasten auf dem untersten Ast. W... wenn werd denn d...dd...doas D...d...d...dukterluder amol sssenner W...wwwege giehn? hä?

Frau Spiller. Ach, Herr Kahl! ich glaube -m-, nicht so bald. – A ... ach, Herr -m- Kahl, ich bin zwar sozusagen -m- etwas -m- herabjekommen, aber ich weiß sozusagen -m-, was Bildung ist. In dieser Hinsicht, Herr Kahl ... das Freilein -m -, das gnädige Freilein ... das handeln nicht gut gegen Ihnen, – nein! -m- darin, sozusagen -m- habe ich mir nie etwas zuschulden kommen lassen -m-, mein Gewissen -m-, gnädiger Herr Kahl, ist darin so rein ... sozusagen, wie reiner Schnee.

Baer hat sein Sandgeschäft abgewickelt und verläßt in diesem Augenblick, an Kahl vorübergehend, den Hof.

Kahl entdeckt Baer und ruft. Hopslabaer, hops amool! Baer macht einen riesigen Luftsprung. Kahl, vor Lachen wiehernd, ruft ein zweites Mal. Hopslabaer, hops amool!

Frau Spiller. Nun da -m- ja, Herr Kahl! ... ich meine es nur gut mit Sie. Sie müssen Obacht geben -m-, gnädiger Herr! Es -m-, es ist was im Gange mit dem gnädigen Fräulein und -m-m-

Kahl. D... doas Dukterluder ... ock bbbblußig emool vor a Hunden – blußig e...e...e...emool!

Frau Spiller, geheimnisvoll. Und was das nun noch -m- für ein Indifidium ist. Ach -m- das gnädige Freilein tut mir auch soo leid. Die Frau -m- vom Polizeidiener, die hat's vom Amte, glaub' ich. Es soll ein ganz -m- gefährlicher Mensch sein. Ihr Mann -m- soll ihn sozusagen -m-, denken Sie nur, soll ihn -m- geradezu im Auge behalten. Loth aus dem Hause. Sieht sich um. Sehn Sie, nun jeht er dem gnädigen Freilein nach -m-. Aa ... ach, zuu leid tut es einem.

Kahl. Na wart! Ab.

Frau Spiller geht nach der Haustüre. Als sie an Loth vorbeikommt, macht sie eine tiefe Verbeugung. Ab in das Haus.

Loth langsam durch den Torweg ab. Die Kutschenfrau, eine magere, abgehärmte und ausgehungerte Frauensperson, kommt zwischen Stallgebäude und Wohnhaus hervor. Sie trägt einen großen Topf unter ihrer Schürze versteckt und schleicht damit, sich überall ängstlich umblickend, nach dem Kuhstall. Ab in die Kuhstalltür. Die beiden Mägde, jede eine Schubkarre, hoch mit Klee beladen, vor sich herstoßend, kommen durch den Torweg herein. Beibst, die Sense über der Schulter, die kurze Pfeife im Munde, folgt ihnen nach. Liese hat ihre Schubkarre vor die linke, Auguste vor die rechte Stalltür gefahren, und beide Mädchen beginnen große Arme voll Klee in den Stall hineinzuschaffen.

Liese, leer aus dem Stalle herauskommend. Du, Guste! de Marie iis furt.

Auguste. Joa wull doch?!

Liese. Gieh nei! freu die Kutscha-Franzen, se milkt er an Truppen Milch ei.

Beibst hängt seine Sense an der Wand auf. Na! doa lußt ock de Spillern nee ernt derzunekumma.

Auguste. O jechtich! nee ock nee! beileibe nich!

Liese. Asu a oarm Weib miit achta.

Auguste. Acht kleene Bälge! – die wulln laba.

Liese. Nee amool an Truppen Milch tun s' er ginn'n ... meschant iis doas.

Auguste. Wu milkt se denn?

Liese. Ganz derhinga, de neumalke Fenus!

Beibst stopft seine Pfeife; den Tabaksbeutel mit den Zähnen festhaltend, nuschelt er. De Marie wär' weg?

Liese. Ju, ju, 's iis fer gewiß! – der Pfaarknecht hot glee bei ner geschloofa.

Beibst, den Tabaksbeutel in die Tasche steckend. Amool wiil jedes! – au de Frau. Er zündet sich die Pfeife an, darauf durch den Haupteingang ab. Im Abgehen. Ich gieh' a wing friehsticka!

Die Kutschenfrau, den Topf voll Milch vorsichtig unter der Schürze, guckt aus der Stalltür heraus. Sitt ma jemanda?

Liese. Koanst kumma, Kutschen, ma sitt kenn. Kumm! kumm schnell!

Die Kutschenfrau, im Vorübergehen zu den Mägden. Ock fersch Pappekindla.

Liese, ihr nachrufend. Schnell! 's kimmt jemand. Kutschenfrau zwischen Wohnhaus und Stallung ab.

Auguste. Blußig ock inse Frele.

Die Mägde räumen nun weiter die Schubkarren ab und schieben sie, wenn sie leer sind, unter den Torweg, hierauf beide ab in den Kuhstall. Loth und Helene kommen zum Torweg herein.

Loth. Widerlicher Mensch! dieser Kahl – frecher Spion!

Helene. In der Laube vorn, glaub' ich ... Sie gehen durch das Pförtchen in das Gartenstückchen links vorn und in die Laube daselbst. Es ist mein Lieblingsplatz. – Hier bin ich noch am ungestörtesten, wenn ich mal was lesen will.

Loth. Ein hübscher Platz hier. – Wirklich! Beide setzen sich, ein wenig voneinander getrennt, in der Laube nieder. Schweigen. Darauf Loth. Sie haben so sehr schönes und reiches Haar, Fräulein!

Helene. Ach ja, mein Schwager sagt das auch. Er meinte, er hätte es kaum so gesehen – auch in der Stadt nicht ... Der Zopf ist oben so dick wie mein Handgelenk ... Wenn ich es losmache, dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie mal –! Es fühlt sich wie Seide an, gelt?

Loth. Ganz wie Seide. Ein Zittern durchläuft ihn, er beugt sich und küßt das Haar.

Helene, erschreckt. Ach nicht doch! Wenn ...

Loth. Helene –! War das vorhin nicht dein Ernst?

Helene. Ach! – ich schäme mich so schrecklich. Was habe ich nur gemacht? – Dir ... Ihnen an den Hals geworfen habe ich mich. – Für was müssen Sie mich halten ...!

Loth rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die seine. Wenn Sie sich doch darüber beruhigen wollten!

Helene, seufzend. Ach, das müßte Schwester Schmittgen wissen ... ich sehe gar nicht hin!

Loth. Wer ist Schwester Schmittgen?

Helene. Eine Lehrerin aus der Pension.

Loth. Wie können Sie sich nur über Schwester Schmittgen Gedanken machen!

Helene. Sie war sehr gut ...! Sie lacht plötzlich heftig in sich hinein.

Loth. Warum lachst du denn so auf einmal?

Helene, zwischen Pietät und Laune. Ach! ... Wenn sie auf dem Chor stand und sang ... Sie hatte nur noch einen einzigen, langen Zahn ... da sollte es immer heißen: Tröste, tröste mein Volk! und es kam immer heraus: Röste, röste mein Volk! Das war zu drollig ... da mußten wir immer so lachen ... wenn sie so durch den Saal ... röste! röste! Sie kann sich vor Lachen nicht lassen, Loth ist von ihrer Heiterkeit angesteckt. Sie kommt ihm dabei so lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um sie zu legen. Helene wehrt es ab. Ach nein doch ...! Ich habe mich dir ... Ihnen an den Hals geworfen.

Loth. Ach! sagen Sie doch nicht so etwas.

Helene. Aber ich bin nicht schuld, Sie haben sich's selbst zuzuschreiben. Warum verlangen Sie ...

Loth legt nochmals seinen Arm um sie, zieht sie fester an sich. Anfangs sträubt sie sich ein wenig, dann gibt sie sich drein und blickt nun mit freier Glückseligkeit in Loths glücktrunkenes Gesicht, das sich über das ihre beugt. Unversehens, aus einer gewissen Schüchternheit heraus, küßt sie ihn zuerst auf den Mund. Beide werden rot, dann gibt Loth ihr den Kuß zurück; lang, innig, fest drückt sich sein Mund auf den ihren. Ein Geben und Nehmen von Küssen ist eine Zeit hindurch die einzige Unterhaltung – stumm und beredt zugleich – der beiden. Loth spricht dann zuerst.

Loth. Lene, nicht? Lene heißt du hier so?

Helene küßt ihn. Nenn mich anders ... Nenne mich, wie du gern möcht'st.

Loth. Liebste! ...

Das Spiel mit dem Küssetauschen und Sich-gegenseitig-Betrachten wiederholt sich.

Helene, von Loths Armen fest umschlungen, ihren Kopf an seiner Brust, mit verschleierten, glückseligen Augen, flüstert im Überschwang. Ach! – wie schön! Wie schön! –

Loth. So mit dir sterben!

Helene, mit Inbrunst. Leben! ... Sie löst sich aus seinen Armen. Warum denn jetzt sterben? ... jetzt ...

Loth. Das mußt du nicht falsch auffassen. Von jeher berausche ich mich ... besonders in glücklichen Momenten berausche ich mich in dem Bewußtsein, es in der Hand zu haben, weißt du!

Helene. Den Tod in der Hand zu haben?

Loth, ohne jede Sentimentalität. Ja! und so hat er gar nichts Grausiges, im Gegenteil, so etwas Freundschaftliches hat er für mich. Man ruft und weiß bestimmt, daß er kommt. Man kann sich dadurch über alles mögliche hinwegheben, Vergangenes – und Zukünftiges ... Helenens Hand betrachtend. Du hast eine so wunderhübsche Hand. Er streichelt sie.

Helene. Ach ja! – so ... Sie drückt sich aufs neue in seine Arme.

Loth. Nein, weißt du! ich hab' nicht gelebt! ... bisher nicht!

Helene. Denkst du, ich? ... Mir ist fast taumlig ... taumelig bin ich vor Glück. Gott! wie ist das – nur so auf einmal ...

Loth. Ja, so auf ein- mal ...

Helene. Hör mal! so ist mir: die ganze Zeit meines Lebens – ein Tag! – gestern und heut – ein Jahr! gelt?

Loth. Erst gestern bin ich gekommen?

Helene. Ganz gewiß! – eben! – natürlich! ... Ach, ach! du weißt es nicht mal!

Loth. Es kommt mir wahrhaftig auch vor ...

Helene. Nicht –? Wie'n ganzes geschlagnes Jahr! – Nicht –? Halb aufspringend. Wart ...! – Kommt – da nicht ... Sie rücken auseinander. Ach! es ist mir auch – egal. Ich bin jetzt – so mutig. Sie bleibt sitzen und muntert Loth mit einem Blick auf, näherzurücken, was dieser sogleich tut.

Helene, in Loths Armen. Du! – Was tun wir denn nu zuerst?

Loth. Deine Stiefmutter würde mich wohl – abweisen.

Helene. Ach, meine Stiefmutter ... das wird wohl gar nicht ... gar nichts geht's die an! Ich mache, was ich will ... Ich hab' mein mütterliches Erbteil, mußt du wissen.

Loth. Deshalb meinst du ...

Helene. Ich bin majorenn, Vater muß mir's auszahlen.

Loth. Du stehst wohl nicht gut – mit allen hier? – Wohin ist denn dein Vater verreist?

Helene. Verr... Du hast ...? Ach, du hast Vater noch nicht gesehen?

Loth. Nein! Hoffmann sagte mir ...

Helene. Doch! ... hast du ihn schon einmal gesehen.

Loth. Ich wüßte nicht! ... Wo denn, Liebste?

Helene. Ich ... Sie bricht in Tränen aus. Nein, ich kann – kann dir's noch nicht sagen ... zu furchtbar schrecklich ist das.

Loth. Furchtbar schrecklich? Aber Helene! ist denn deinem Vater etwas ...

Helene. Ach! – frag mich nicht! jetzt nicht! später!

Loth. Was du mir nicht freiwillig sagen willst, danach werde ich dich auch gewiß nicht mehr fragen ... Sieh mal, was das Geld anlangt ... im schlimmsten Falle ... ich verdiene ja mit dem Artikelschreiben nicht gerade überflüssig viel, aber ich denke, es müßte am Ende für uns beide ganz leidlich hinreichen.

Helene. Und ich würde doch auch nicht müßig sein. Aber besser ist besser. Das Erbteil ist vollauf genug. – Und du sollst deine Aufgabe ... nein, die sollst du unter keiner Bedingung aufgeben, jetzt erst recht ...! jetzt sollst du erst recht die Hände freibekommen.

Loth, sie innig küssend. Liebes, edles Geschöpf! ...

Helene. Hast du mich wirklich lieb ...? ... Wirklich? ... wirklich?

Loth. Wirklich.

Helene. Sag hundertmal wirklich!

Loth. Wirklich, wirklich und wahrhaftig.

Helene. Ach, weißt du! du schummelst!

Loth. Das Wahrhaftig gilt hundert Wirklich.

Helene. Soo!? wohl in Berlin?

Loth. Nein, eben in Witzdorf.

Helene. Ach, du! ... Sieh meinen kleinen Finger an und lache nicht.

Loth. Gern.

Helene. Hast du au-ßer dei-ner er-sten Braut noch andere ge ...? Du! du lachst.

Loth. Ich will dir was im Ernst sagen, Liebste, ich halte es für meine Pflicht ... Ich habe mit einer großen Anzahl Frauen ...

Helene, schnell und heftig auffahrend, drückt ihm den Mund zu. Um Gott ...! sag mir das einmal – später – wenn wir alt sind ... nach Jahren – wenn ich dir sagen werde: jetzt – hörst du! nicht eher.

Loth. Gut! wie du willst.

Helene. Lieber was Schönes jetzt! ... Paß auf: sprich mir mal das nach!

Loth. Was?

Helene. Ich hab' dich ...

Loth. »Ich hab' dich ...«

Helene. ... und nur immer dich ...

Loth. »... und nur immer dich ...«

Helene. ... geliebt – geliebt zeit meines Lebens ...

Loth. »... geliebt – geliebt zeit meines Lebens ...«

Helene. ... und werde nur dich allein zeit meines Lebens lieben.

Loth. »... und werde nur dich allein zeit meines Lebens lieben«, und das ist wahr, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin.

Helene, freudig. Das hab' ich nicht gesagt.

Loth. Aber ich. Küsse.

Helene summt ganz leise. »Du, du liegst mir im Her-zen ...«

Loth. Jetzt sollst du auch beichten.

Helene. Alles, was du willst.

Loth. Beichte! Bin ich der erste?

Helene. Nein.

Loth. Wer?

Helene, übermütig herauslachend. Koahl Willem!

Loth, lachend. Wer noch?

Helene. Ach nein! weiter ist es wirklich keiner. Du mußt mir glauben ... Wirklich nicht. Warum sollte ich denn lügen ...?

Loth. Also doch noch jemand?

Helene, heftig. Bitte, bitte, bitte, bitte, frag mich jetzt nicht darum. Versteckt das Gesicht in den Händen, weint scheinbar ganz unvermittelt.

Loth. Aber ... aber Lenchen! ich dringe ja durchaus nicht in dich.

Helene. Später! alles, alles später.

Loth. Wie gesagt, Liebste ...

Helene. 's war jemand – mußt du wissen – den ich ... weil ... weil er unter Schlechten mir weniger schlecht vorkam. Jetzt ist das ganz anders. Weinend an Loths Halse, stürmisch. Ach, wenn ich doch gar nicht mehr von dir fortmüßte! Am liebsten ginge ich gleich auf der Stelle mit dir.

Loth. Du hast es wohl sehr schlimm hier im Hause?

Helene. Ach, du! – Es ist ganz entsetzlich, wie es hier zugeht; ein Leben wie – das ... wie das liebe Vieh – ich wäre darin umgekommen ohne dich – mich schaudert's!

Loth. Ich glaube, es würde dich beruhigen, wenn du mir alles offen sagtest, Liebste!

Helene. Ja freilich! aber – ich bring's nicht über mich. Jetzt nicht ... jetzt noch nicht! – Ich fürcht' mich förmlich.

Loth. Du warst in der Pension?!

Helene. Die Mutter hat es bestimmt – auf dem Sterbebett noch.

Loth. Auch deine Schwester war ...?

Helene. Nein! – die war immer zu Hause ... Und als ich dann nun vor vier Jahren wiederkam, da fand ich – einen Vater – der ... eine Stiefmutter – die ... eine Schwester ... Rat mal, was ich meine!

Loth. Deine Stiefmutter ist zänkisch. – Nicht? – Vielleicht eifersüchtig? – lieblos?

Helene. Der Vater ...?

Loth. Nun! – der wird aller Wahrscheinlichkeit nach in ihr Horn blasen. – Tyrannisiert sie ihn vielleicht?

Helene. Wenn's weiter nichts wär' ... Nein! ... es ist zu entsetzlich! – Du kannst nicht darauf kommen – daß ... daß der – mein Vater ... daß es mein Vater war – den – du ...

Loth. Weine nur nicht, Lenchen! ... siehst du – nun möcht' ich beinah ernstlich darauf dringen, daß du mir ...

Helene. Nein! es geht nicht! Ich habe noch nicht die Kraft – es – dir ...

Loth. Du reibst dich auf, so.

Helene. Ich schäme mich zu bodenlos! – Du ... du wirst mich fortstoßen, fortjagen ...! Es ist über alle Begriffe ... Ekelhaft ist es!

Loth. Lenchen, du kennst mich nicht – sonst würdst du mir so etwas nicht zutrauen. – Fortstoßen! fortjagen! Komm' ich dir denn wirklich so brutal vor?

Helene. Schwager Hoffmann sagte: du würdest – kaltblütig ... Ach nein! nein! nein! das tust du doch nicht! gelt? – Du schreitest nicht über mich weg? tu es nicht!! – Ich weiß nicht – was – dann noch aus – mir werden sollte.

Loth. Ja, aber das ist ja Unsinn! Ich hätte ja gar keinen Grund dazu.

Helene. Also du hältst es doch für möglich?!

Loth. Nein! – eben nicht.

Helene. Aber wenn du dir einen Grund ausdenken kannst.

Loth. Es gäbe allerdings Gründe, aber – die stehen nicht in Frage.

Helene. Und solche Gründe?

Loth. Nur wer mich zum Verräter meiner selbst machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.

Helene. Das will ich gewiß nicht – aber ich werde halt das Gefühl nicht los.

Loth. Was für ein Gefühl, Liebste?

Helene. Es kommt vielleicht daher: ich bin so dumm! – Ich hab' gar nichts in mir. Ich weiß nicht mal, was das ist, Grundsätze. – Gelt? das ist doch schrecklich. Ich lieb' dich nur so einfach! – aber du bist so gut, so groß – und hast so viel in dir. Ich habe solche Angst, du könntest doch noch mal merken – wenn ich was Dummes sage – oder mache – daß es doch nicht geht ... daß ich doch viel zu einfältig für dich bin ... Ich bin wirklich schlecht und dumm wie Bohnenstroh.

Loth. Was soll ich dazu sagen?! Du bist mir alles in allem! Alles in allem bist du mir. Mehr weiß ich nicht.

Helene. Und gesund bin ich ja auch ...

Loth. Sag mal! sind deine Eltern gesund?

Helene. Ja, das wohl! das heißt: die Mutter ist am Kindbettfieber gestorben. Vater ist noch gesund; er muß sogar eine sehr starke Natur haben. Aber ...

Loth. Na! – siehst du! also ...

Helene. Und wenn die Eltern nun nicht gesund wären –?

Loth küßt Helene. Sie sind's ja doch, Lenchen.

Helene. Aber wenn sie es nicht wären –?

Frau Krause stößt ein Wohnhausfenster auf und ruft in den Hof.

Frau Krause. Ihr Madel! Ihr Maa-del!!

Liese, aus dem Kuhstall. Frau Krausen!?

Frau Krause. Renn zur Müllern! 's gieht luus!

Liese. Wa–a, zur Hebomme Millern, meen Se?

Frau Krause. Na? leist uff a Uhrn? Sie schlägt das Fenster zu. Liese rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf zum Hofe hinaus. Frau Spiller erscheint in der Haustür.

Frau Spiller ruft. Fräulein Helene! ... Gnädiges Fräulein Helene!

Helene. Was nur da los sein mag?

Frau Spiller, sich der Laube nähernd. Fräulein Helene.

Helene. Ach! das wird's sein! – die Schwester. Geh fort! da herum. Loth schnell links vorn ab. Helene tritt aus der Laube.

Frau Spiller. Fräulein ...! Ach da sind Sie endlich.

Helene. Was is denn?

Frau Spiller. Aach -m- bei Frau Schwester – flüstert ihr etwas ins Ohr – -m-m-

Helene. Mein Schwager hat anbefohlen, für den Fall, sofort nach dem Arzt zu schicken.

Frau Spiller. Gnädiges Fräulein -m-, sie will doch aber -m-, will doch aber keinen Arzt -m-. Die Ärzte, aach die -m- Ärzte! -m- mit Gottes Beistand ...

Miele kommt aus dem Hause.

Helene. Miele! gehen Sie augenblicklich zum Dr. Schimmelpfennig.

Frau Spiller. Aber Fräulein ...

Frau Krause, aus dem Fenster, gebieterisch. Miele! Du kimmst ruff!

Helene, ebenso. Sie gehen zum Arzt, Miele. Miele zieht sich ins Haus zurück. Nun, dann will ich selbst ... Sie geht ins Haus und kommt, den Strohhut am Arm, sogleich zurück.

Frau Spiller. Dann -m- wird es schlimm. Wenn Sie den Arzt holen -m-, gnädiges Fräulein, dann -m- wird es gewiß schlimm.

Helene geht an ihr vorüber. Frau Spiller zieht sich kopfschüttelnd ins Haus zurück. Als Helene in die Hofeinfahrt biegt, steht Kahl am Grenzzaun.

Kahl ruft Helenen zu. Woas iis denn bei eich luus? Helene hält im Lauf nicht inne, noch würdigt sie Kahl eines Blickes oder einer Antwort. Kahl, lachend. Ihr hat wull Schweinschlachta?


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