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Vierter Akt

Erste Szene

Der Meierhof des Prinzen Peter. Alles wie in der zweiten Szene des zweiten Aktes. Es ist gegen vier Uhr morgens, aber heller Tag. Lerchen in den Feldern. Glockenläuten.

Prinz Paul hat ein Bad im See genommen und ist dabei, sich anzukleiden. Das Glöckchen schweigt. Gleich darauf tritt der Mönch Bonifaz aus der Kapelle.

Bonifaz nimmt einen Besen mit langem Besenstiel, der neben dem Kirchenpförtchen lehnt, schwingt sich darauf und reitet im Galopp bis an den Ziehbrunnen.

Bonifaz

Brr! Halt! Und nun den Kopf ins kalte Wasser!

Er taucht den Kopf in einen bereitstehenden, mit Wasser gefüllten Eimer und wäscht ihn prustend.

Prinz Paul

hat den Vorgang bemerkt, starrt auf den Mönch.

Nimmt die verdammte Hexerei kein Ende?
Auch nicht im lichten Morgen nach dem Bad?
Das Metteglöcklein scholl und nahm den Graus
der wilden Zaubernacht aus meiner Seele:
allein, der Teufel selber las die Messe!

Er schlägt drei Kreuze in Richtung des Mönchs.

Bonifaz

Du schlägst drei Kreuze: warum tust du das?

Prinz Paul

Es kam mir vor, du seist der Gottseibeiuns.

Bonifaz

Du irrst. Ich bin so fromm wie irgendwer.
Nur hab' ich noch den Übermut von gestern
im Blute, denn es wurde scharf gezecht
bis spät nach Mitternacht. Wo aber kommst
du her, mein Sohn, um diese frühe Stunde,
wo nur die Lerche in den Feldern wacht?

Prinz Paul

Ich komme aus dem Wald von Brezilian.

Bonifaz

Nicht übel! Und so siehst du aus, mein Freund!
Wer dorther kommt, ist wie Methusalem
so alt entweder oder noch nicht flügge.
O Gott, wie rast mein Kopf! In Wahrheit denn,
Nestküken: sage, wo der Wind dich herweht!

Prinz Paul

Ihr kennt die Menschen gründlich, heiliger Mann!

Bonifaz

Das hast nun wiederum du recht erkannt!
's ist eine rare Kunst! Wer Meister ist
in dieser Kunst, ist auch der Menschen Meister.

Prinz Paul

Ihr seid's! Doch da ich langsam nun erkenne,
daß Ihr kein Teufel seid, hätt' ich nicht ungern
am Beichtstuhl Euch gesprochen, wenn ich nicht
nun wüßte, daß Ihr alles von mir wißt,
auch ohne Beichte.

Bonifaz

Dies, bei deiner Jugend,
bedarf nicht einmal der genannten Kunst.
Du merkst an deinem Körper Sonderbares
und bist verdutzt. Du wirst in deinen Träumen
besucht und tust mit den Besuchern Dinge,
recht lustige Dinge, die im wachen Leben
für dich verboten sind. In dir rumoren
die Säfte und die Kräfte der Natur.
Des ist dein Lager Zeuge, wenn du aufwachst,
und dann der ganze Tag. Dies alles hältst du
für Sünde. Doch ich nenn's mit einem Wort:
du stehst ganz einfach in der Pubertät.

Prinz Paul

Ich müßte lachen, überschliche mich
nicht Seelenangst vor solchem Seherblick.
Doch spür' ich eins zum Troste:
vom Richter, der am Jüngsten Tag uns richtet,
habt Ihr den gnadenlosen Blick, allein,
Ihr würdet seine Hölle nicht bevölkern.
Wollt Ihr am Beichtstuhl mich empfangen?

Bonifaz

Nein!
Was brauchen wir den Beichtstuhl? Die Kapelle
ist kühl und finster. Haben wir nicht hier
als Wölbung über uns den Himmel Gottes,
erfüllt von Gottes Licht? Und außerdem
ist in dem Kirchlein eine Beterin,
die wir nicht stören dürfen.

Prinz Paul

springt auf

Beterin?

Bonifaz

Nicht grade von Beruf, wie alte Weibchen
mit ihrem Rosenkranz, denn sie ist jung.

Prinz Paul

Mann! Mann! ich bin verwirrt, mich packt der Wahnsinn!

Er stürzt wie flüchtend gegen den Mönch, fällt nieder und umarmt seine Knie.

Bonifaz

Dir ist das Baden schlecht bekommen, denn
es hat dir, scheint's, ein Fieber eingetragen.
Im Kloster war ich halb und halb ein Arzt.
Die Schläfen pochen dir, die Zähne klappern!
Wo ist dein Puls – erlaub –, er rennt, er jagt!

Prinz Paul

Ich glaube selbst, daß ich gefährlich krank bin.
Ich unterscheide nicht mehr Sein und Schein.
Ein heiliger Mann in jüngst verwichner Nacht
scheint mir in dir gehässig nachgezeichnet.
Er stand wie du vor seinem Gotteshaus,
das eine sonderbare Beterin
– wie eine andre deines hier – bewohnte.
Bewaffnet war die Maid mit Schild und Speer.
Ich, ohne Waffen, nahm sie mir gefangen.
Ich trug sie in ihr Haus und auf ihr Bett,
dort nahm ich ihr, wodurch sie Jungfrau war,
und machte sie zur Frau, zu meinem Weibe.
Da hast du meine Beichte!

Bonifaz

Brav, mein Sohn!
Nun sage selbst, ob ich nicht recht vermutet:
das Fieber deiner Jahre schüttelt dich.
Die niedre Minne macht dir viel zu schaffen,
ihr Traumgift aber raubt dir den Verstand.

Prinz Paul

Du meinst, was ich erlebte, war nur Traum?

Bonifaz

Was sonst? Mein Pulver wird es bald dich lehren,
wenn du ernüchtert und gesundet bist.
Gefährlich, Kleiner, ist dein Leiden nicht,
wenn es ein kluger Arzt wie ich behandelt. –
Mein Gott! Mein Heiland! Oh, wie schmerzt mein Kopf! –
's ist Minnehusten, Minneschnupfen! auch
wohl Minnemumps und Minnestaupe nennen's
die Medici. Dein Fall ist völlig harmlos.
Es hat mit Minnecholera nichts zu tun
und anderen schlimmen Dingen.

Prinz Paul

steht auf, geht umher

Um so mehr
hat dann dein Redefluß damit zu tun!
Hör auf mit Schwätzen! Wem gehört der Hof?
Steh Rede, Pater! Denn ich will es wissen:
auch wer die Bet'rin ist in deiner Kirche.

Bonifaz

Zum mindesten, mein Freund, kein Wild für dich!

Prinz Paul

Nun laß uns ernsthaft reden, alter Schalksnarr!
Dein Dünkel hat von mir so viel begriffen
als je ein Auge unterm schwarzen Star,
so viel dein taubes Ohr von meinen Worten!
Und was die Wittrung, den Geruch, betrifft,
steht dir dein Kolben nutzlos im Gesicht.
Du hast nicht so viel Flöhe umgebracht
wie ich in meinem jungen Leben Feinde.
Denn: glaub es oder nicht, der vor dir steht,
Hellseher, ist kein andrer als Prinz Paul!

Bonifaz

kommt vor, läßt den Eimer fallen, den er ergriffen hatte, und so den Besen und starrt Paul zitternd an

Mir saß der Schlaf im Nacken noch! Vergebt, Prinz!

Prinz Paul

Du hast mich wieder zu mir selbst gebracht,
und dies Verdienst vernichtet deine Unart.
Von hoher Minne bleib' ich zwar berührt,
die werter mir als alle Kronen ist.
Auch bin ich ohne Helm und Schild und Waffen,
betrachtet obenhin. In Wahrheit steh' ich
vom Knappen Schicksal wiederum gewappnet
und eins mit mir. Ich heiße wieder Paul
und fliehe weder mich noch meinen Namen.
Jetzt stelle mir den Herrn des Hofes vor,
des ich sogleich bedarf.

Bonifaz

Du siehst ihn, denn
dort drüben trat er eben aus dem Hause!

Prinz Peter erscheint in Bauerntracht.

Prinz Paul

Ist dies der Bauer, dem der Hof gehört?

Bonifaz

Er ist es.

Prinz Paul

Oder aber bist du doch
der Hexer, Magier und Besenreiter,
der wieder mir Gespenster auf den Hals hetzt?

Bonifaz

Die Geisterstunde wäre schlecht gewählt,
mein Prinz, im hellen Morgen.

Prinz Paul

Einerlei:
der junge Mann, der Bauer dort, er maßt
sich eines Fürstensohnes Hülle an,
äfft meinen Bruder nach in jedem Schritt
und jedem Zug.

Bonifaz

Hier irrt Ihr!

Prinz Paul

Ich will nicht selig werden, wenn ich irre.

Prinz Peter

Wo schneist du her? Gesegnet sei dein Kommen!
Geliebter Herzensbruder! Bruder Paul!

Prinz Paul

Peter?

Prinz Peter

Wer sonst?

Prinz Paul

Kein Trugbild meiner Seele?

Prinz Peter

Du hältst die Hand abblendend vor die Stirn,
als wollt'st du blinde Flecken dir vertreiben
vom Auge. Bruder! Schau mir ins Gesicht!
Cœur de Lion wie Richard einst von England,
komm an mein Herz!

Die Brüder fliegen einander in die Arme.

Prinz Paul

Ich werd' es brauchen, Peter,
dein weiches Herz und auch mein Löwenherz!
Und schon indem ich deines pochen fühle
und deine Kräfte meine Kraft verdoppeln,
zu meinem Willen deinen Willen treten,
mit meinem Glauben deinen sich verbinden:
wird's in mir hell und klar und hoffnungsvoll.
Die Zweifel lösen sich in Zuversicht,
der Zukunft Wohltat wird mir zur Gewißheit,
und dieser Zufall, der mich zu dir führte,
er ist so fühlbar ungeheure Fügung
der gnadenreichen Mächte, daß ich fast
schon nah dem überseligen Ziele bin.

Prinz Peter

Du gießest, Bruder, wie aus Eimern Fische,
über mich Rätsel aus.

Prinz Paul

Geduld!

Prinz Peter

Was ist
dein überseliges Ziel?

Prinz Paul

Kein anderes
als das von dir erreichte! Außer wenn
du selbst es nicht so nennen magst.

Prinz Peter

Ich nenn'
es dreimal überselig! Ja, bei Gott!

Prinz Paul

Es liegt ein Abenteuer hinter mir,
so groß, daß nichts, was ich bisher erlebte,
noch wahrhaft ist. Ich habe unsre Eltern
verloren, die ich doch so innig liebte:
sie sind mir fremd geworden. Eine Nacht
in einem Walde und in einer Burg
hab' ich erlebt, die mich nicht leben läßt,
wenn sich nicht das, was mich darin beglückte,
mir immer wieder schenken kann. Doch die
Geliebte ward auf rätselhafte Art
von mir genommen. Pferdehufe schollen,
es klirrten Waffen in den weiten Gängen
der Burg. Da sprang sie auf und lief hinaus.
Als ich mir Licht geschlagen, war sie fort
und ich in unserer Kammer eingeschlossen.
Nun gibt es nur ein Leben noch für mich:
denn alles andre ist nur Höllenmarter,
die selbst den Tod nicht zuläßt, nicht den Glauben
an Gott und auch nicht an ein Paradies,
das selbst zur Hölle wird: zu jeder Stunde
der Tage und der Nächte sie zu suchen.

Prinz Peter

legt die Hand um Pauls Schulter und zieht ihn, hin und her schreitend, mit sich

Nicht weidwund, Paul, wohl aber minnewund
bist du, geliebter Bruder! Und so sei
willkommen in der Gilde der Templeisen!
Ich frage nicht, wie solch ein Abenteuer,
wie du's erlebt, dich überkommen konnte.
Und um das zu erraten, waren wir
zu lange und zu weit getrennt, als Bürger
von zwei einander fremden Welten. Doch
du wirst mir alles melden, Punkt für Punkt,
und dann: ich werde raten, suchen, kämpfen
an deiner Seite und für deine Liebe!
Allein zunächst: wie steht es zu Andorra?

Prinz Paul

Du weißt ja, wie der Abt vom Maultier fiel
auf Gottes unsichtbaren Wink, nachdem
derselbe Gott mir einen Sieg geschenkt
über die Streitmacht Wilhelms, so daß er,
der Herzog, seine Unterhändler schickte
und uns um Frieden anging. Daß ich wider
den Frieden raste, ist dir auch bekannt,
und unser armer Vater mehr als ich.
Doch als der Abt den Hals gebrochen hatte,
hob unsre Mutter um so stolzer ihren
empor, wie ich es nie bei ihr erlebt.
Sie hat der Herrschaft Zügel fest ergriffen
und hält, als wär' es immer so gewesen,
allein des Staates Führung in der Hand.
Der Mann der Stunde ist Graf Trossebof,
von jeher ihr Vertrauter, heut jedoch
das auserwählte Werkzeug ihrer Macht.
Er reiset hin und her und ist zu Foix
zu Hause, sagt man, fast wie in Andorra.
Bei seiner Art, die stets zum Frieden riet,
ist drum der Friedensschluß so gut wie sicher.

Prinz Peter

Das gleicht so ziemlich dem, was ich erfuhr.
Doch ward hier ein Gerücht damit verquickt:
du, Paul, Inhaber nun der Erstgeburt
und künft'ger Erbe von Andorra, würdest
mit Herzog Wilhelms Tochter dich vermählen
und einstmals Herrscher beider Reiche sein.

Prinz Paul

Das ist's! Und hier beginnt der Krieg aufs neue!
Denn nie und nimmermehr kann das geschehn!

Prinz Peter

Oh, Bruder ...

Prinz Paul

Nochmals: nie und nimmermehr!

Prinz Peter

Oh, Bruder ...

Prinz Paul

Beim lebend'gen Gotte: niemals!

Prinz Peter

Oh, Bruder ...

Prinz Paul

Dein »Oh, Bruder« macht mich wild!
Es ist die Art, die mich als Knabe schon
in Harnisch brachte, unversehens mich
mit einem Schwerte oder Spieß versah
und zur Gewalttat hinriß!

Prinz Peter

legt sanft die Hand auf Pauls Handgelenk

Ruhig, Paul!
Verlange nicht, daß ich dich weniger
bewundre, als ich's tue! Denn mein Stolz
auf dich als Bruder, wenn du auf dem Streithengst
die Stadt durchrittst an deiner Helden Spitze,
war größer, als du ahnst! Nie hab' ich anders
gedacht als: ihm, ihm, Paul gebührt die Herrschaft!
Und nun: vereint in einer Gloriole
erscheinen unter deinem Szepter mir
Romaniens schönste Reiche. Kannst du mir
verargen, daß mich solch ein Anblick stolz macht?

Prinz Paul

Du übst Verrat! Noch eben sagtest du,
du wolltest unentwegt an meiner Seite
nach meinem Glücke, dem verlornen, suchen.
Du selbst genießest geizig solch ein Glück.
Und nun?

Prinz Peter

Was liegt an mir?

Prinz Paul

Komm her, du Mönch!
Damit von meinem Richtplatz, meinen Henkern
und von dem Beil, dem ich mich opfern soll,
nicht mehr die Rede sei ... damit der Angriff
– ein solcher scheint mir der Vermählungsplan! –
auf meine ewige Seligkeit für immer
als abgeschlagen gelten kann ... Ich schwöre,
ich lege ein Gelübde ab vor Gott,
vor der Dreieinigkeit und allen Heiligen:
Ich achte Herzog Wilhelms Tochter so,
als wär's ein Sukkubus, mich zu verderben!
Und eher will ich einen toten Hund
zu mir ins Bette legen als dies Weib.

Bonifaz

Im Namen dessen, der auf Petri Stuhl
zu binden und zu lösen Macht hat, Prinz,
entbind' ich Euch von all und jedem, was
Euch dieser Eidschwur irgend auferlegt.

Aus der Kapelle tritt Frene.

Und des zu göttlicher Bekräftigung
tritt unsere liebe Heilige aus der Kirche.

Prinz Paul

erblickt Frene und erstarrt in ihrem Anblick

Oh, Bruder ...

Prinz Peter

Dies ist Frene, meine Frau!

Prinz Paul

Oh, Bruder ...

Prinz Peter

Meines Lebens alles
steht nun vor dir. Komm, Frene! Dies ist Paul.

Prinz Paul

Oh, Bruder ... nun bin ich's, dem sich die Sprache
verschließt. Denn dies ist allzu wunderbar.
Es ist durch Menschenwitz nicht zu erklären.

Prinz Peter

Was ist so wunderbar an meiner Liebsten?

Prinz Paul

Es ist genau die, die ich nachts verlor!
Bei Gott! Genau! Sie ist's in jedem Zuge!

Er tritt ihr entgegen.

Kennst du mich, Kind? Wir sahn uns diese Nacht!

Prinz Peter

Paul – ruh! ruh aus! Wir bringen dich zur Ruhe!
Du, Bonifaz, bringst ihm den linden Trank,
der mir so oft den Schlaf gebracht und mich
in sorgenschwerer Zeit erquickt hat. – Frene!
dies ist mein Bruder Paul.

Frene

Du sagst es, Peter.
Und ich erinnre mich von manchem Blick,
den wir aus unsern Klosterfenstern warfen,
wenn die Trompeten schmetterten und er
vorüberritt.

Prinz Paul

Wir sahn uns diese Nacht!
Kennst du mich, Kind? Wir sahn uns diese Nacht!

Prinz Peter

Ich weiß nicht, wie ein Irrtum, diesem gleich,
sich bilden kann. Es mag sich alles noch
auf eine harmlos heitere Art erklären:
allein, dies ist ein Irrtum, Paul, gewiß.
Denn wo mein Weib in dieser Nacht geruht hat,
das weiß kein andrer so bestimmt als ich!

Prinz Paul

Dann, Dirne, bist du eine Zauberin,
die an zwei Orten sich zugleich verbuhlt!

Prinz Peter

Nicht weiter! Nun genug!

Prinz Paul wird ohnmächtig.

Was ihm widerfuhr,
ist dunkel.

Zu Bonifaz

Deinen Trank! – Vergib ihm, Frene!
So Gott es will: wir werden es erfahren,
wenn er sich ausgeruht. Und dann wird Paul
Verzeihung ritterlich von dir erbitten
und ganz der alte sein!

Zweite Szene

Hohes Gemach im Schlosse von Andorra. Herzogin Heurodis und Graf Trossebof im Gespräch.

Trossebof

Wie geht es unserm Herrn, dem Herzog Otto?

Heurodis

Es geht ihm nicht zufriedenstellend, Graf:
das Volk darf nichts von seinem Zustand wissen.
Die Ärzte meinen, daß er lange schon
darin gelebt. Die Unversöhnlichkeit,
der immer gleiche Haß auf Ermelind,
die Herzogin, die zähe Forderung,
sie gnadenlos und furchtbar hinzurichten,
sei dieser blinden Krankheit ein Symptom.
Da andere dergleichen Zeichen sich
als keinesweges harmlos uns erweisen,
könnt' ich nichts anderes tun, als die Barone
berufen und mit ihnen und den Ärzten
den schmerzlich-bittren Krankheitsfall beraten.
Da wurden Dinge festgestellt, die zeigten: –
ich selbst, mein Leben, sei durch ihn gefährdet.
Was er Ermlinden vorwirft, ist Verleumdung,
mich aber will er heimlich töten lassen,
weil er mich innerlich der Untreu' zeiht
und widersinnig so Ermlinden recht gibt.
Er ist unschädlich: im Gewand von Dienern
umgeben ihn die Wärter. Das bewirkte
in unserm Rat einstimmiger Beschluß.
Doch halten wir dabei uns jetzt nicht auf.
Mir ist der bittre Unglücksfall nicht neu,
neu nur das Gute, daß er jetzt erkannt ward
und nicht mehr Unheil um sich wirken kann.
Nun sprecht Euch aus: was bringt Ihr mit von Foix?

Trossebof

Wo fang ich an? Der Herzog Wilhelm legt
sich Euch zu Füßen. Immer ist er noch
der alte, liebenswerte, schöne Mann.
Er habe nie in sechzehnjähriger Kriegszeit
wider Andorra wahren Groll gefühlt.
Erst recht nicht wider Euch. Das törichte
Geschwätz Ermlindens, Zwillinge betreffend,
und daß die Mutter solcher ihren Mann
betrogen haben müsse: er verlacht es,
und zwar von ganzem Herzen. Hohe Frau,
Ihr wißt, ob er von Herzen lachen kann.
Ihr wißt, wie sein Gelächter alles hinreißt.

Heurodis

Gewiß, gewiß! Es waren heitre Tage,
als beide Höfe noch in Freundschaft lebten,
der Hof Andorra und der Hof zu Foix.

Trossebof

Nun, Herzog Wilhelm lacht noch heut wie je,
obgleich er für dies Lachen wenig Grund hat.
Denn erstlich hat der Krieg sein Land verheert,
alsdann hat er um Frieden betteln müssen,
und schließlich – was das Bitter-Ärgste ist –
ist Ermlind, seine Gattin, in dem Fall
wie hier der Herzog, Euer hoher Gatte.
Ihr werdet sehen, Herzogin Heurodis,
wie sich bei ihr der Fehltritt selbst bestraft,
der so viel Gram und Weh heraufbeschwor
über zwei Reiche.

Heurodis

Sprecht! Ich bin ganz Ohr.
Wenn Ihr zu Ende seid – doch nehmt Euch Zeit! –
hab' ich Euch leider manches mitzuteilen,
was Euch zur Überzeugung bringen wird,
auch in Andorra gäb' es wunde Punkte.

Trossebof

Ich ahne sie, doch hör' ich eine Stimme,
die mich belehrt: unheilbar sind sie nicht. –
Mit Festen, mit Gelagen fing es an.
Die Lyren rauschten, die Theorben brummten,
Gesang und Quinkelieren riß nicht ab.
Es brauchte lange Zeit, eh Herzog Wilhelm
davon gesättigt war und nun geneigt schien,
sich mir in ernstem Sinne zuzuwenden.
Nun freilich zeigt' es sich: das Um und An
der Friedensfragen und des Friedensschlusses
war vorbedacht und auch ins Werk gesetzt.
Vor allem hatte man die Herzogin
Ermlind aus ihrem Pyrenäenschlosse,
wo sie sich selber eingekerkert hielt,
zur Stadt gebracht, samt ihrer Tochter Gerald,
die – wie ich Eurer Hoheit nicht verhehle –
ein ziemlich sonderbares Mädchen ist.
Geduld! Dies später! Eines um das andere.
Der Herzog brachte mich zur Herzogin.
Und hier erlebt' ich, was mich bis ins Mark
erschüttert hat. Die stolze Frau von einst
ist heut nicht mehr als ein Zigeunerweib,
ein altes, das gebückt am Stocke schleicht,
sich weder kämmt noch wäscht, es sei denn, daß
mit Müh' dazu Gerald sie überredet.
Den ganzen Tag läuft sie im Kreise oder
fährt ruhlos hin und her durch die Gemächer.
Damit sie schläft, muß sie der Arzt betäuben
durch einen Trank. Und was, was höhlt sie aus?
verbrennt sie innerlich, verdorrt ihr Mark? –
Sie schwört, sie habe Zwillinge geboren
und eines von den beiden ausgesetzt:
zwei Mädchen statt des einen, und sie jammert
mit Seelenmartern ohne alles Maß
dem ausgesetzten, dem entschwundnen nach.

Heurodis

Sie hätte Zwillinge geboren, Graf,
wie ich?

Trossebof

Ihr Gatte nennt es einen Wahn.
Die Wehemutter ebenso, doch ist
sie heute tot. Die Ärzte nannten mir
die Geisteskrankheit, die Ermlind beherrscht,
den bösen Dämon gleichsam, der sie reitet,
darin ein solcher Wahn gewöhnlich sei.
Ihr solltet hören, wie die arme Mutter
sich selbst bezichtigt, wie sie Richter wünscht
und Henker über sich – wie sie den Strafen
der Hölle zulechzt, ganz, als wenn ihr Feuer
das kühlen könnte, was sie selbst verbrennt.
In ihrem Waldschloß stehn zwei goldne Wiegen ...

Heurodis

Oh, sprecht nicht mehr! Was sollte wohl Ermlind
bewogen haben, von zwei Zwillingstöchtern
das eine auszusetzen?

Trossebof

Wie sie sagt,
die Scham vor Euch und aller Welt, weil sie
nun in dem gleichen Falle war wie Ihr.

Heurodis

faßt sich an die Stirn und geht auf und ab

Es ist ein wunderliches Wesen rings
um unsere beiden Höfe. Könnte wohl
in Ermlinds Wahn Wahrheit verborgen sein?

Trossebof

Das wunderliche Wesen, Herzogin,
es hat auch mich mit einemmal berührt,
geheimnisvoll, mit dunklen Rätseln schwanger.

Heurodis

Die Berge stehen klar, die Luft ist rein:
und doch sind Mächte drin, die, wie es scheint,
der Menschen Hirn vergiften. Trossebof!
Mich kommt ein Grauen an! Nun ist auch Paul
den Weg gegangen meines Erstgebornen!
Er ist verschwunden, zeigt sich nicht am Hof;
man sagt, er rase blutig in den Bergen
und morde Tiere, was ihm vor den Spieß läuft.
So raste Ajax, Roland, wer noch sonst,
berührt von schwarzen Mächten ...

Trossebof

Hohe Frau:
er rast nicht mehr. Insoweit kann ich Euch
– und auch in weiterem Sinne noch! – beruhigen.
Bei mir erschien der Spielmann Watriquet,
ein Mann, der für Prinz Peter lebt und stirbt,
Ihr wißt es. Er berichtet, wie Prinz Paul
auf Peters fernem Meierhof erschienen
und wie man dort mit sanftem Zwang ihn festhält.

Heurodis

Nun – beim allmächt'gen Gott! –, was soll mir das?
Vermißt Ermlinda eines von zwei Mädchen,
so bin ich noch weit ärger dran als sie,
da von zwei Söhnen beide ich vermisse.
Ihr Mägdlein ist gehorsam, dient ihr treu,
doch meine Söhne spotten ihrer Mutter
und wissen von Gehorsam, scheint mir, nichts.
Man müht sich ab, schickt Boten hin und her,
zermartert sich das Hirn, um einen Frieden
zu schließen und zu sichern: doch man plant
ins Blaue! Unzurechnungsfähig ist
der Gatte, sind die beiden Söhne auch!
Denn eine Teilnahmslosigkeit, wie sie
jetzt auch Prinz Paul ergriff, läßt wenig hoffen
für die geplante Heirat.

Trossebof

In der Tat,
hier in der Heirat liegt die Schwierigkeit.
Schönfärberei in diesem Punkt zu treiben
entspräche nicht dem Ernst des Augenblicks.
Weshalb, warum, aus welchem Grund: wer weiß?
Doch Watriquet behauptet, daß Prinz Paul
bei Höll' und Himmel sich verschworen habe,
die Hand zum Ehebunde mit Gerald
niemals zu bieten.

Heurodis

erbleichend

Sagt dies noch einmal!
Zum zweiten und zum dritten! Bis ich mir's
mit erznem Griffel ins Gemüt geprägt!
Dann mag er wissen – sag' es ihm, wer will –,
daß Mutterliebe in dem Maße, wie
sie eben liebt, auch unnachsichtig sein kann!
Dem ich das Leben gab: ich nehm' es ihm,
wofern er den Gehorsam weigert, wo
die höchste aller Pflichten es verlangt.

Trossebof

Geduld! Er wird sich fügen, Herzogin.
Seltsamerweise zeigt der Hof von Foix,
wie hier, den gleichen Fall. Ja, Herzog Wilhelm
wies von Beginn an auf den Trotz Geraldens
mich hin: und hier ist mehr noch zu berichten.
In Furcht, daß man zur Heirat mit Prinz Paul
sie zwingen könnte, floh Gerald aus Foix.
Sie warf auf ihren schnellen Schecken sich
und ritt tagaus, tagein, wie man es richtig
vermutet hat, zurück in ihre Wälder,
Berge und Klüfte, wo auch jene Burg
sich finster türmt, wo sie mit ihrer Mutter
Ermlind gelebt. Denn, müßt Ihr wissen,
sie ist ein Kind der Wildnis. Niemand würde
es wundern, hätten Wölfe sie gesäugt.
Allein, nun kommt ein heikler Punkt: ein Punkt,
nicht zu verschweigen. Der Prinzessin Flucht
hat ganz gewiß noch einen andern Grund
als nur die Angst vor der geplanten Ehe.
Schlechthin gesagt, Eur' Hoheit: eine Liebschaft.
Dieses Naturkind hat wahrscheinlich sich
an irgendeinen Försterssohn verloren,
mit dem sie etwa schon als Kind gespielt
und der jahraus, jahrein ihr Kamerad war.
So viel steht fest: die Ritter Herzog Wilhelms,
von ihm beauftragt, sie zurückzuführen,
ließen zwar ihre Kammer undurchsucht,
doch nur, weil man sie nicht beschämen wollte:
dagegen waren sie des ganz gewiß,
daß sich ein junger Bursch darin befunden.

Heurodis

O ungeratne Töchter! Söhne! Enkel!
Wer ist vom Schicksal mehr geschlagen, als
wer ungeratne Kinder hat.

Trossebof

Erlaubt,
Frau Herzogin, daß ich zum Trost Euch sage:
ein also schwer Geschlagner, wär' es so,
steht neben Euch, der trotzdem immer noch
der Herrscher Himmels und der Erden ist.
Kennt der wohl andre, der die Menschen schuf,
als ungeratne Kinder?

Heurodis

Possen sind
– mir ist danach wahrhaftig nicht zumut! –
hier nicht am Platz! Das Försterliebchen ist
zurück in Foix?

Trossebof

Beinah in strenger Haft!

Heurodis

Mein Vorschlag, feierlich auf unsrer Feste
Bergfried den Friedenspakt zu unterzeichnen,
ist angenommen?

Trossebof

Ja, von Herzen! Ja!

Heurodis

Und Ermelind erscheint mit Herzog Wilhelm,
wie ich's verlangt? Erst wenn die Frauen ganz
versöhnt sind, gibt es ganz und wahrhaft Frieden.

Trossebof

Auch dieser Punkt wird wunschgemäß erfüllt.

Heurodis

Und so bleibt Euch – Ihr bürgt mit Eurem Kopf! –
der Auftrag, meine Söhne herzuschaffen
ins Schloß Andorra am bestimmten Tag!
Der unsichtbare Unfugstifter soll
den Willen eines Weibes achten lernen!

Trossebof

Der unsichtbare Unfugstifter, sagt
der Sänger Watriquet, sei auch bei Paul
nunmehr im Spiel: es ist der kleine Gott,
der älter ist als Zeus und Uranos –
und mächtiger als sie und alle Götter!


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