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Vierter Akt

Die Wohnung des Maurerpoliers John, wie im zweiten Akt. Es ist früh gegen acht Uhr sonntags.

Maurerpolier John befindet sich unsichtbar hinter dem Verschlage. Man kann aus seinem Planschen und Prusten entnehmen, daß er bei der Morgenwäsche ist. Quaquaro ist eben eingetreten und hat die Klinke der Flurtür in der Hand.

Quaquaro. Sache ma, is deine Frau zu Hause, Paul?

John, hinterm Verschlag. Noch nich, Emil. Meine Frau is mit den Jungen bei meine verheirate Schwester in Hangelsberg. Will aber heut morjen noch wiederkomm. John erscheint, sich abtrocknend, in der Tür des Verschlages. Scheen juten Morjen, Emil.

Quaquaro. Morjen, Paul.

John. Na, wat jibt et Neies? Ick bin vor 'ne halbe Stunde erst von de Bahn aus Hamburch jekomm.

Quaquaro. Ick sah dir ins Haus jehn un Treppe ruffsteijen.

John, aufgeräumt. Na ja, Emil, du bist eben so'n richtijer Zerberus.

Quaquaro. Sache ma, Paul: wie lange is deine Frau mit det Kleene in Hangelsberg?

John. I, det muß so um die acht Dache so rum sind, Emil. Wiste wat von ehr? Miete hat se doch woll richtich abjeführt. Iebrigens kann ick jleich kindigen, Emil. Denn et is nu soweit: wir ziehn an erschten Oktober. Ick ha Muttern nu endlich breitjekricht, det wir aus det olle wacklige Staatsjebäude raus und in 'ne beßre Jejend ziehn.

Quaquaro. Nach Altona wiste nu nich mehr zurick?

John. Nee! bleibe in Lande und nähre dir redlich! Ick jeh' nich mehr auswärts! Nich in die Hand! – Schon erstlich: immer uff Schlafstelle rumdricken! und denn ooch: jinger wird eener nich! De Mächens wolln ooch all nich mehr recht mehr so anbeißen ... Nee nee, et is jut so, det ma det ewije Wanderleben zu Ende is.

Quaquaro. Deine Frau hat et jut anjeschlachen, Paul.

John, gut gelaunt. Na, junge Ehe, wo ebent erst Kindchen jekomm is!? Ick ha zum Meester jesacht: ick bin jung verheirat! Denn hat er jefracht, ob meine erschte Frau jestorben is? O konträr! Janz in't Jejenteil, hab' ick jeantwort: die is so lebendig und quietschfidel, die hat sojar noch'n quietschfidelen kleenen Berliner zujekricht! – Wie ick heute morjen, Berlin–Hamburg–Stendal–Uelzen, zum letztenmal uff'n Lehrter Bahnhof mit mein janzes Zeug aus de vierte Klasse jestiegen bin, hab' ick'n lieben Jott, der Deibel hol mir! so alt wie ick bin, mit een Seufzer jedankt. Er wird ihm wohl bei den Lärm uff'n Lehrter nich jeheert haben.

Quaquaro. Haste jeheert, Paul, det drieben de Knobbe ihr Jüngstes ooch wieder mit Dot abjejang is?

John. Nee! Wie soll ick davon wat jeheert haben. Aber wenn et dot is, denn is et doch jut, Emil. Als ick det Wurm vor acht Dache jesehn habe, wo Krämpfe hatte und Selma jekomm is und ick und Mutter haben ihm noch'n Löffel Zuckerwasser injejossen, da war et doch schon reichlich reif for't Himmelreich.

Quaquaro. Sache ma, haste denn von die Umstände jar nich jeheert, wie und wo det Kindchen zu Dode jekomm is?

John. Nee! Er zieht eine lange Tabakspfeife hinter dem Sofa hervor. Wart ma! ick brenne mir erst ma 'ne Piepe an. Nee! wo soll ick davon wat jeheert haben.

Quaquaro. Ick verwunder' mir aber doch, det deine Frau dir nischt von jeschrieben hat.

John. I, mit Jette und mit die Knobbekinder is det, seit det mir'n eejnet Kind haben, bei Muttern uff eema wie abjeschnappt.

Quaquaro, lauernd. Deine Frau wollte ja doch immer brennend jerne'n Sohn haben.

John. Na, det is ooch! Meenste woll etwa, ick nich? For wat rackert eens denn? For wat schind' ick mir denn? Det is doch wat anders, wenn 'n scheenet rundet Stück Jeld for'n eejnen Sohn oder for Schwesterkinder uffjespart bleiben dut.

Quaquaro. Weeste denn nich, det'n fremdet Mächen jekomm is, Paul, und hat behauptet, det det Kind von de Knobbe jar nich ihr eejnet, sondern det Kind von det fremde Mächen jewesen is?

John. Nanu? De Knobben und Kinder stehlen? Wenn't Mutter wär'! aber de Knobben doch nich. Sach ma, Emil, wat is denn det for 'ne Jeschichte.

Quaquaro. Na, nu, d'r eene sagt so, d'r andre sagt so. De Knobben sagt, det von een Komplott mit Detektivs aus jewisse Kreise det kleene Balch nachjestellt worden is. Un det is nu ja ooch richtig janz festjestellt: et war det Kind von de Knobben jewesen! – Kannst du mich irgendeenen Wink jeben, wo de letzten Dache dein Schwager is?

John. Meenste dem Schlachtermeester in Hangelsberg?

Quaquaro. I nee, durchaus nich wat der Mann von deine Schwester, sondern von deine Frau der Bruder is.

John. Da meenst du Brunon?

Quaquaro. Jewiß doch.

John. Na, noch wat, da kimmere ick mir noch wat eher drum, ob de Hunde noch immer bei Prellsteine jehn. Von Brunon will ick weiter nischt wissen.

Quaquaro. Heer mich ma zu, Paul. Ärjer dir nich. Nämlich uff Polizeistelle is bekannt, det Bruno mit det polnische Mächen, wo uff det Kindeken Anspruch machen wollte, jleich neulich hier vor de Haustür und dann ooch an eene jewisse Stelle von de Uferstraße, wo de Jerber de Felle wegschwimmen, jemeinsam jesichtet is. Nu is det Mächen janz jänzlich verschwunden. Weiter wat Näheres weeß ick nu freilich nich! Bloß, det se von Polizei wejen det Mächen suchen.

John stellt entschlossen die lange Pfeife weg, die er sich angesteckt hatte. Ick weeß nich, ick ha keen Justo heut morjen! – Ick weeß nich, wat in mir jefahren hat, ick war so verjnügt wie'n Eckensteher. Uff eemal is mich so kodderig zumut, det ick an liebsten jleich wieder nach Hamburg mechte un jar nischt weiter heeren und sehn! – Wat kommst de denn mir, Emil, mit so 'ne Jeschichten?

Quaquaro. Ick wollte dir man bloß bißken uffklären, wat inzwischen, wo ja du un wohl ja ooch deine Frau auswärts jewesen is, in deine Behausung jeschehn is.

John. In meine Behausung?

Quaquaro. Det is ja! Jawoll! Selma hatte ja, heeßt et, det Knobbesche Jungchen in Kinderwachen hier rieberjeschoben, wo et det fremde Frauenzimmer mit ihre Begleitung aus deine Wohnung jenommen und wechjetragen hat. Oben bei de Kamedienspieler is se ja dann noch jlicklich jestellt worden.

John. Wat is se?

Quaquaro. Und da haben sich ooch de Knobbe un det fremde Mächen ieber det dote Kind bei de Haare jekricht.

John. Wenn ick man wißte, wat mir det soll, Emil, wo doch alle Oochenblicke hier mit Frauenzimmer een Jewürge is. Laß se man kampeln! Mir is det jleichjiltig! Nämlich, Emil, wenn da nich sonst wat dahinter is!?

Quaquaro. Deshalb komm' ick ja, Paul! Et is wat dahinter! Det Mächen hat nämlich mehrmals vor Zeujen ausjesacht: erstlich, det Wurm von de Knobbe, det wär' ihr Kind und det hätt' se ausdricklich bei deine Frau, Paul, in de Fleje jejeben.

John stutzt, lacht befreit. Der pickt et! der is woll ma nich janz unwohl jeworden!

Erich Spitta kommt.

Spitta. Guten Morgen, Herr John.

John. Juten Morjen, Herr Spitta. Zu Quaquaro, der noch in der geöffneten Tür steht. 's jut, Emil! Ick wer mir wissen zu richten nach. Quaquaro ab. John fährt fort. Nu sehn Se ma so'n Männeken, Herr Spitta! Mit een Fuß steht er in't Jefängnis, mit'n andern is er Liebkind beim Bezirkskommissar uff't Polizeibüro! un denn jeht er bei ehrliche Leute rumschnüffeln.

Spitta. Hat Fräulein Walburga Hassenreuter nach mir gefragt, Herr John?

John. Bis jetzt noch nich. Nee, det ick nich wißte! Er öffnet die Flurtür. Selma! – Entschuldjen Se mir ma'n Oochenblick. – Selma! – Ick muß ma det Mächen wat aushorchen.

Selma Knobbe kommt.

Selma, noch in der Tür. Wat is?

John. Mach ma de Tier zu, komm ma'n bißken rin! Un nu sach mal, Mächen, wat det hier in de Stube mit dein kleenet verstorbenem Briederchen und mit det fremde Weibsbild jewesen is.

Selma, die, mit merkbar schlechtem Gewissen, lauernd näher getreten ist, jetzt sehr wortgewandt. Ick hatte den Kinderwachen hier rieberjeschoben. Ihre Frau war nich da, und da dacht' ick, det hier drieben, wo doch det Briederken sowieso krank war und immer schrie, det hier drieben bei Sie mehr Ruhe is. Nu kam een Herr un kam eene Dame un noch 'ne Frau kam uff eemal hier rin. Und denn ham se det Kindeken hier aus'n Wachen raus, frische Wäsche jewickelt un mit fortjenomm.

John. Und denn hat die Dame jesacht, et wär' ihr Kind und se hätt' et bei Muttern, als wie det meine Olle is, hätt' se's, sagt se, in Fleje jejeben?

Selma lügt. I, jar keene Ahnung, da wißt' ick wat von.

John schlägt auf den Tisch. Na zum Kreuzdonnerwetter, det wär' ja ooch bleedsinnig!

Spitta. Erlauben Sie mal, das hat sie gesagt: wenn nämlich von dem Vorfall zwischen den beiden Frauen oben bei Direktor Hassenreuter die Rede ist.

John. Det haben Se mit anjesehn, Herr Spitta, wo de Knobben und de andere um det Würmchen jezerjelt hat?

Spitta. Allerdings. Das hab' ich mit angesehn.

Selma. Weiter kann ick nischt sachen, und wenn mir ooch Schutzmann Schierke und meinswejen der lange Polizeileitnam janzem zwee Stunden und länger verhören dut. Ick weeß eben nischt. Ick kann eben nischt sachen.

John. 'n Polizeileitnam hat dir ausjefracht?

Selma knutscht. Se wollen doch Maman in Kasten bringen, weil et Leute anjezeicht un jelogen haben, det unser Kindeken vahungert is.

John. Ach! so! – Na, Selma, jeh, laß ma'n Kaffee durchloofen.

Selma begibt sich an den Herd, wo sie den Kaffee für John zubereitet. John selbst geht an den Arbeitstisch, nimmt den Zirkel und zieht dann mit der Schiene einige Linien.

Spitta, mit Überwindung. Eigentlich hoffte ich Ihre Frau hier zu treffen, Herr John. Mir hat jemand gesagt, Ihre Frau hätte gegen Sicherheit mitunter kleine Beträge an Studenten geliehen. Ich bin nämlich in Verlegenheit.

John. Det mag sind. Aber det is Mutterns Sache, Herr Spitta.

Spitta. Ganz offen gesagt, wenn ich bis heute abend kein Geld schaffe, werden meine paar Bücher und Habseligkeiten von meiner Zimmerwirtin mit Beschlag belegt, und man setzt mich eigentlich auf die Straße.

John. Ick denke, Ihr Vater ist Paster, Herr Spitta.

Spitta. Das ist er. Aber gerade deshalb, und weil ich selber nicht Pastor werden mag, habe ich gestern abend einen furchtbaren Krach mit meinem Vater gehabt. Ich werde von ihm keinen Pfennig mehr annehmen.

John, arbeitend. Det jeschieht Vatern recht, wenn ick verhungern tu' oder'n Hals breche.

Spitta. Ein Mensch wie ich wird nicht verhungern, Herr John. Geh' ich aber zugrunde, so ist mir's auch gleichgültig.

John. Det jloobt eener nich, wat unter euch Studenten for ausjehungerte arme Ludersch sind. Aber keener will wat Reelles anfassen. Ferner Donner. John blickt durchs Fenster. Heute wird schwule. Et donnert schon.

Spitta. Von mir dürfen Sie das nicht sagen, Herr John, daß ich etwas Reelles nicht anfassen möchte: Stunden geben! für Geschäfte Adressen schreiben! Ich habe das alles schon durchgemacht und damit, wie mit manchem anderen Versuch, nicht nur Tage, sondern auch Nächte um die Ohren geschlagen. Dabei hab' ich gebüffelt und Bücher gewälzt.

John. Mensch, jeh nach Hamburg und laß dir als Maurer instellen! Wie ick so alt war wie Sie, ha ick in Altona in Akkord schon bis zwelf Mark täglich verdient.

Spitta. Das mag sein. Aber ich bin Geistesarbeiter.

John. Det kennt man.

Spitta. So?! Mir scheint nicht, daß Sie das kennen, Herr John. Vergessen Sie aber bitte nicht: Ihre Herrn Bebel und Liebknecht sind auch Geistesarbeiter.

John. Na jut! Denn komm Se! denn wollen wir man wenigstens frühstücken. Allens sieht sich janz andersch an, wenn det eener'n Happenpappen jefrühstückt hat. Se haben woll noch nich jefrühstückt, Herr Spitta?

Spitta. Nein, offen gestanden, heute noch nicht.

John. Na, denn machen Se man, det Se wat Warmes in Leib kriejen.

Spitta. Das hat Zeit.

John. I nee, Se sehen sehr vakatert aus. Und ick ha ooch die Nacht uff de Bahn jelejen. Zu Selma, die ein Leinwandsäckchen mit Semmeln hereingeholt hat. Bring ma schnell noch 'ne Tasse ran. Er hat breit auf dem Sofa Platz genommen, tunkt Semmel ein und trinkt Kaffee.

Spitta, der noch nicht Platz nimmt. Eine Sommernacht bringt man doch lieber im Freien zu, wenn man im übrigen doch nicht schlafen kann. Und ich habe nicht eine Minute geschlafen.

John. Dem wollt' ick ma sehn, der in Dalles is und jut schlafen kann! Wer in Dalles is, hat ooch in Freien de meeste Jesellschaft. Er vergißt plötzlich zu kauen. Komm ma her, Selma, sache noch ma janz jenau, wie det mit det fremde Mächen und det fremde Kind, det se hier aus de Stube jeholt hat, jewesen is.

Selma. Ick weeß nich, det frächt mich'n jeder, frächt mir Mama jetzt 'n lieben langen Dach! ob ick Brunon Mechelke jesehn habe! ob ick wissen soll, wer oben uff'n Boden bei de Kamedienspieler Kleider jestohlen hat! Wenn det so fort jeht ...

John, energisch. Mächen, wat haste nich Lärm jeschlagen, wie der Herr und det Freilein dir dein Brüderken aus'n Wachen jenommen hat?

Selma. Jeschieht ihm ja nischt, dacht' ick! krist ma reene Wäsche.

John faßt Selma beim Handgelenk. Na, nu komm ma mit, wollen ma rieber bei deine Mutter jehn. John mit Selma an der Hand ab.

Sobald John verschwunden ist, fällt Spitta über das Frühstück her. Bald darauf erscheint Walburga. Sie ist in großer Eile und sehr aufgeregt.

Walburga. Bist du allein?

Spitta. Augenblicklich ja. Guten Morgen, Walburga.

Walburga. Komm' ich zu spät? Ich habe mich ja nur mit der allergrößten Schlauheit, mit der allergrößten Entschlossenheit, mit der allergrößten Rücksichtslosigkeit, komme was wolle, von Hause losgemacht. Meine jüngere Schwester hat mir die Tür vertreten. Das Dienstmädchen! Ich sagte aber zu Mama, wenn sie mich nicht durch das Entree hinausließen, so möchten sie nur die Fenster vergittern: sonst würde ich drei Stock hoch durchs Fenster direkt auf die Straße gehn. Ich fliege. Ich bin mehr tot wie lebendig. Aber ich bin zum Letzten bereit. Wie war es mit deinem Vater, Erich?

Spitta. Wir sind auseinander. Er meinte, ich würde Treber fressen wie weiland der verlorene Sohn, und ich möchte mir ja nicht einfallen lassen, als Luftspringer oder Kunstreiter, wie er sich auszudrücken beliebt, jemals wieder die Schwelle des Vaterhauses betreten zu wollen. Für Gesindel öffne sich seine Haustür nicht. Ich werd's verwinden! Nur meine arme gute Mutter bedaure ich. – Du kannst dir nicht denken, mit welchem abgrundtiefen Haß ein solcher Mann gegen alles und alles, was mit dem Theater zusammenhängt, geladen ist! Der schrecklichste Fluch ist ihm nicht stark genug. Ein Schauspieler ist in seinen Augen von vornherein der allerverächtlichste, schlechteste Lumpenhund, der sich denken läßt.

Walburga. Ich habe auch nun herausgekriegt, wie Papa dahintergekommen ist.

Spitta. Mein Vater hat ihm dein Bild gegeben.

Walburga. Erich, Erich, wenn du wüßtest, mit welchen schrecklichen, mit welchen grauenvollen Ausdrücken mich Papa in der Wut überschüttet hat, und ich mußte zu allem stillschweigen. Ich hätte ihm etwas sagen können, das hätte ihn vielleicht mit seinen Tiraden von hoher Moral stumm und hilflos vor mir gemacht. Beinahe wollt' ich es auch: doch ich schämte mich so entsetzlich für ihn! Meine Zunge versagte! Ich konnte nicht, Erich! Mama mußte schließlich dazwischentreten. Er hat mich geschlagen. Er hat mich acht oder neun Stunden lang in den finsteren Alkoven eingesperrt, um meinen Trotz zu brechen, wie er sagt, Erich. Nun, das gelingt ihm nicht, Erich! Er bricht ihn nicht.

Spitta nimmt Walburga in den Arm. Du Brave! du Tapfere! Siehst du, jetzt weiß ich erst, was ich an dir besitze! weiß ich erst, was für ein Schatz du eigentlich bist. Heiß. Und wie schön du aussiehst, Walburga.

Walburga. Nicht! Nicht! – Ich vertraue dir, Erich, weiter ist es doch nichts.

Spitta. Und du sollst dich nicht täuschen, süße Walburga. Sieh mal, ein Mensch wie ich, in dem es gärt und der was Besonderes, Dunkles, Großes will, was er einstweilen noch nicht recht deutlich machen kann, hat mit zwanzig Jahren die ganze Welt gegen sich und ist aller Welt lästig und lächerlich. Aber glaub mir: einst wird das anders werden. In uns liegen die Keime. Der Boden lockert sich schon! Wir sind, wenn auch noch unterirdisch, die künftige Ernte! Wir sind die Zukunft! Die Zeit muß kommen, da wird die ganze weite, schöne Welt unser sein.

Walburga. Sprich weiter, Erich, das ist mir so wohltätig.

Spitta. Walburga, ich habe gestern abend meinem Vater auch von der Leber weg die Anklage des Verbrechens an meiner Schwester ins Gesicht geschleudert. Das hat den Bruch unheilbar gemacht. Er sagte verstockt: von einer Tochter wie der von mir geschilderten wisse er nichts. Sie existiere in seiner Seele nicht, und wie es den Anschein habe, werde auch bald sein Sohn dort nicht mehr existieren. O diese Christen! O diese Diener des guten Hirten, der das verlorene Schaf doppelt zärtlich in seine Arme nahm! O du lieber Heiland, wie sind deine Worte verkehrt, deine ewigen Lehren in ihr Gegenteil umgefälscht worden. Aber als ich heut nacht bei Donnerrollen und Wetterleuchten auf einer Bank im Tiergarten saß und gewisse Berliner Hyänen um mich herumschlichen, da fühlte ich die ruhelose und zertretene Seele meiner Schwester neben mir. Wie oft mag sie selbst im Leben Nächte hindurch obdachlos auf solchen Bänken und vielleicht auf derselben Tiergartenbank gesessen haben, um in ihrer Verlassenheit, Ausgestoßenheit und Entwürdigung darüber nachzudenken, wie triefend von Menschenliebe, triefend von Christentum zweitausend Jahre nach Christi Geburt diese allerchristlichste Welt sich manifestiert. Aber was sie auch dachte, ich denke so: Die arme Dirne, die Sünderin, die vor neunundneunzig Gerechten geht, die von dem Drucke der Sünde der Welt belastet ist, die arme Aussätzige und ihre fürchterliche Anklage soll in meinem Inneren lebendig sein! Und alles Elend, allen Jammer der Gemißhandelten und Entrechteten werfen wir mit in die Flamme hinein! Und so soll die Schwester leben, Walburga, und soll Herrlicheres wirken vor Gott durch das Ethos, das meine Seele beflügelt, als die ganze kalte, herzlos böse Moralpfafferei der Welt nicht vermag.

Walburga. Du warst die Nacht im Tiergarten, Erich? Deshalb sind deine Finger noch so eiskalt, und du siehst so entsetzlich müde aus. Erich, du mußt mein Portemonnaie nehmen! Erich! nein bitte, du mußt! Ich versichere dich! Was mein ist, ist dein! Sonst liebst du mich nicht, Erich! Erich, du darbst! Wenn du meine paar Groschen nicht nimmst, verweigere ich zu Hause jede Nahrung! bei Gott, ich tu's! bis du vernünftig wirst.

Spitta würgt Tränen hinunter. Muß sich setzen. Ich bin nur nervös. Ich bin abgespannt.

Walburga steckt ihr Portemonnaie in seine Hosentasche. Nun sieh mal, Erich, deshalb habe ich dich eigentlich hier zu Frau John bestellt. Zu allem Unglück bekomme ich gestern noch hier diese gerichtliche Vorladung.

Spitta betrachtet ein Schriftstück, das sie ihm gereicht hat. Du? Und weshalb denn das, sag mal, Walburga.

Walburga. Ich bin mir sicher, daß es mit den gestohlenen Sachen auf dem Oberboden zusammenhängt. Aber es macht mich furchtbar unruhig. Wenn Papa das erfährt ... ja, was tu' ich dann?

Frau John, das Kind auf dem Arm, straßenmäßig angezogen, sehr gehetzt, sehr verstaubt, kommt herein.

Frau John, erschrocken, mißtrauisch, halblaut. Nu? Wat wollt ihr hier? Is Paul schon zu Hause? Ick war eben ma'n bißken mit det Kindken uff de Jasse jejang'n. Sie trägt das Kind hinter den Verschlag.

Walburga. Bitte, Erich, sprich doch mal über meine Vorladung mit Frau John.

Frau John. Paul is ja zu Hause, da liejen ja seine Sachen.

Spitta. Fräulein Hassenreuter wollte Sie gern mal sprechen. Sie hat nämlich, wahrscheinlich wegen der gestohlenen Sachen, Sie wissen ja, auf dem Oberboden, eine gerichtliche Vorladung.

Frau John tritt aus dem Verschlage. Wat? Eene Vorladung ham Sie jekricht, Freilein Walburga? Na, denn nehm sich in Obacht! ick spaße nich! un phantasieren Se womeechlich von Schwarzen Mann.

Spitta. Was Sie da sagen, Frau John, ist unverständlich.

Frau John, zur häuslichen Beschäftigung übergehend. Habt ihr jeheert, det draußen in eene Laubenkolonie vor't Hallesche Tor der Blitz heute morjen Mann, Frau und 'n Mächen von sieben unter eene hohe Pappel erschlagen hat?

Spitta. Nein, Frau John.

Frau John. Et pladdert schon wieder.

Man hört, wie ein Regenschauer niedergeht.

Walburga, ängstlich. Komm, Erich, wir wollen trotzdem ins Freie gehn.

Frau John, lauter und lauter werdend. Und wissen Se wat: ick habe die Frau kurz vorher noch jesprochen, wo nachher von Blitze erschlachen is. Die hat jesacht – nu heern Se ma zu, Herr Spitta ... een dotet Kindeken, det man in Kinderwachen legt und raus in die warme Sonne rickt – det muß aber Sommersonne und Mittagssonne sind, Herr Spitta! –, det zieht Atem! det schreit! det is wieder lebendig! – Det jlooben Se nich? wat? det ha ick mit meine Oochen jesehn. Sie geht in eigentümlicher Weise im Kreise herum, ohne scheinbar mehr etwas von der Gegenwart der beiden jungen Leute zu wissen.

Walburga. Du, die John ist unheimlich, komm!

Frau John, noch lauter. Det jlooben Se nich, det det wieder lebendig is? Denn kann Mutter kommen und nehmen. Denn muß et jleich Brust kriejen.

Spitta. Adieu, Frau John.

Frau John, noch lauter, bringt, seltsam aufgeregt, die beiden jungen Leute bis zur Tür. Sie jlooben det nich! Det is aber heilig so, Herr Spitta. Spitta und Walburga ab. Frau John hält die Tür in der Hand, ruft noch auf den Flur hinaus. Wer det nich jloobt, der weeß von det janze Jeheimnis, wo ick entdeckt habe, nischt.

Maurerpolier John steht in der Tür und tritt gleich darauf ein.

John. I, da bist du ja, Mutter! Scheen Willkomm! Von wat for'n Jeheimnis sprichst du denn?

Frau John, wie aufwachend, faßt sich an den Kopf. Ick? – Ha ick denn von 'n Jeheimnis jesprochen?

John. Na, ick denke doch, wenn ick nich schwerheerig bin. Biste nu'n Jeist oder bist et wirklich?

Frau John, befremdet, ängstlich. Woso soll ick'n Jeist sind?

John schlägt seine Frau gutmütig auf den Rücken. Jette, beiß mir man nich. Ick freu' mir ja reichlich deswejen, det de nu wieder mit dein Patenjeschenk bei mich bist! Er geht hinter den Verschlag. Et sieht aber'n bißken miserich aus, Jette.

Frau John. Et vertrug de Milch nich. Det kommt, weil draußen uff'n Lande de Kühe schon jrienet Futter kriejen. Hier von de Vereinichte Molkerei ha ick wieder welche, wo trocken jefüttert is.

John erscheint wieder. Ick sag's ja, was biste erst mit det Kind uff de Bahn und raus aus de Stadt jeturnt! Ick spreche, die Stadt is an allerjesindsten.

Frau John. Nu bleib' ick ooch wieder zu Hause, Paul.

John. In Altona, Jette, is ooch nu allet in't reene jebracht. Jejen Mittag treff ick mit Karln zusamm, und denn will er mir Sachen, wenn ick beim neuen Meester antreten kann! – Hör ma: ick ha ooch wat mitjebracht. Er schüttelt eine kleine Kinderklapper, die er aus der Hosentasche nimmt.

Frau John. Wat denn?

John. Det Leben wird in de Kinderstube, weil et doch in Berlin manchma immer'n bißken zu stille is! – Horch ma, wie't kräht! Man hört das Kindchen allerlei vergnügte Geräusche machen. Nee, Mutter, wenn so'n Kindeken kräht, dafor jeb' ick Amerika.

Frau John. Haste schonn jemand jesprochen, Paul?

John. Nee! – Ick ha heechstens heut morjen Quaquaron jesprochen.

Frau John, scheu, gespannt. Nu? und?

John. I, laß man, jar nischt, et war weiter nischt.

Frau John, wie vorher. Wat hat er jesacht?

John. Wat soll er jesacht haben? – Na, wenn de schon keene Ruhe jeben dust – wat soll det nitzen an Sonntagmorjen? –, er hat mir ma wieder nach Brunon jefracht.

Frau John, hastig, bleich. Wat soll denn Bruno wieder jemacht haben?

John. Jar nischt! – Hier komm und trink 'n Schluck Kaffee, Jette, und ärjer dir nich! – Wat kannst de dafür, wenn eener so'n sauberet Brüderken hat? – Wat brauchen wir uns um andre bekimmern?

Frau John. Det mecht' ick wissen, wat so 'ne olle dußliche Dromlade, wo'n janzen Tag spionieren dut, immer von Brunon zu quasseln hat.

John. Jette, mit Brunon laß mir in Frieden! – – – Sieh ma ... i wat denn? ... lieber nich! ... Aber wenn ick da wieder wat sollte von sachen: det soll mir nich wundern, wo mit Bruno ma jelejentlich in Jefängnishof, haste nich jesehn! ma'n schnellet Ende is. Frau John läßt sich am Tisch nieder, wird grau im Gesicht, stützt sich auf beide Ellenbogen und atmet schwer. Vielleicht ooch nich! nimm et dir man nich jleich so zu Herzen! – – Wat macht denn de Schwester?

Frau John. Ick weeß et nich.

John. Na, ick denke, de bist bei se draußen jewesen.

Frau John sieht ihn geistesabwesend an. Wo bin ick jewesen?

John. Siehste woll, Jette, det is mit euch Weiber! de schudderst ja! bein Arzt und bein Doktor wiste nich hinjehn! womeechlich det de noch nachträglich zum Liejen kommst. Det is, wenn eens die Natur vernachlässigt.

Frau John fällt ihrem Mann um den Hals. Paul, du wist mir verlassen! Jott im Himmel, Paul, sach et! sach et bloß, tu mir nich hinters Licht fiehren! Sach et! Fiehr mir nich hinters Licht.

John. Wat is mit dich heute los, Hennerjette?

Frau John, plötzlich verändert. Hör man nich druff, Paul, wat ick so herschwatze. Ick ha wieder die Nacht keene Ruhe jehat! Und denn war ick früh uff, und denn is et nich anders, als wie det ick'n bißken von Kräfte bin.

John. Denn leg dir man lang und ruh dir'n bißken. Frau John wirft sich lang auf das Sofa und starrt gegen die Decke. Kannst dir dann ooch ma'n bißken kämmen, Jette! – – Uff de Bahn war et wohl sehr staubig jewesen, det de so ieber und ieber mit Sand injepulvert bist? – – Frau John antwortet nicht, sie starrt gegen die Decke. Ick muß ma det Bengelchen 'n bißken an't Licht holen. Er begibt sich hinter den Verschlag.

Frau John. Wie lange sind wir verheirat, Paul?

John. Die Kinderklapper geht hinterm Verschlag, dann. Det war achtzehnhundertundzweeundsiebzig, jleich wie ick bin aus'n Kriege jekomm.

Frau John. Nich, denn kamst de zu Vater hin? – und denn hast de in Positur jestanden? – und denn hast de't Eiserne Kreuz an de linke Brust jehat.

John erscheint, das Kind im Steckkissen auf dem Arme, die Kinderklapper schwingend. Er sagt lustig. Jawoll! det ha ick ooch heute noch, Mutter! Und wenn de't sehn willst, denn stech' ick's mir an.

Frau John, noch immer lang ausgestreckt. Und denn kamst de zu mich, und denn hast de jesacht: ick sollte nich immer so fleißig ... nich immer so hin und her, treppuff, treppab ... ick sollte ma'n bißken pomadich sind.

John. Det sach' ick so jut ooch heute noch, Jette.

Frau John. Und denn haste mir mit dein Schnurrbart jekitzelt und hast mir links hinter't Ohr jeküßt! – Und denn ...

John. Denn sind wir wohl einig jeworden? –

Frau John. Denn ha ick jelacht und ha mir nach und nach, apee apee von oben bis unten in alle Uniformknöppe abjespiejelt. Und da ha ick noch anders ausjesehn! – Und denn haste jesacht ...

John. I Mutter, de kannst dir wahrhaftig sehn lassen, det jloobt eener nich, wat du for'n Jedächtnis hast.

Frau John. Und denn haste jesacht: wenn ick nu bald 'n Jungen krieje, der soll ooch ma mit Jott für Keenich und Vaterland und Wacht am Rhein hinter de Fahne her zu Felde ziehn.

John singt, über das Kindchen, zur Klapper.

Er blickt hinauf in Himmels Aun,
wo Heldenväter niederschaun:
zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! ...

Nu ha ick so'n Kerlchen, und nu bin ick wahrhaftig jar nich so wilde druff, det ick ihm mechte womeechlich als Kanonenfutter in Krieg schicken. Er geht mit dem Kindchen in den Verschlag.

Frau John, wie vorher. Paulicken, Paulicken, det allens is hundert Jahre her!

John kommt, ohne das Kind, wieder aus dem Verschlag. Janz so lange woll doch nich, Jette.

Frau John. Sach ma, wie wär' det? du nähmst mir mit und jingst mit mich und mein Kindeken jingst du fort nach Amerika?

John. Na, nu heer ma, Jette: wat is mit dich? Wat is det? Bin ick denn hier von Jespenster umjeben? Du weeßt, det ick uff'n Bau, wenn de Arbeeter mit Klamotten iebereinander her sind, ieberhaupt mir nich uffreje und, wat se mir nennen, Paul is immer jemietlich, bin! Aber nu: wat is det? De Sonne scheint! et is hellichter Tag! ick weeß nich: sehen kann ick et nich! Det kichert, det wispert, det kommt jeschlichen! und wenn ick nach jreife, denn is et nischt. Nu will ick ma wissen, wat an die Jeschichte mit det fremde Mächen hier in de Stube Wahret is.

Frau John. Paul, du hast jeheert, det Freilein is ieberhaupt jar nich mehr wiederjekomm. Dadraus kannst de sehn ...

John. Det sachst de zu mich mit blaue Lippen und machst Augen, wie wennste jerädert bist.

Frau John, verändert. Jawoll! Wat läßte mir jahrelang alleene, Paul? wo ick in mein Käfije sitzen muß und keen Mensch nich is, mir ma auszusprechen. Manch liebet Mal hab' ick hier jesessen und jefracht, warum det ick immer rackern du', warum det mir abdarbe, Jroschens mühsam zusammenscharre, dein Verdienst jut anleje und wie ick uff jede Art wat zuzuverdien mir abjrübeln du'. Warum denn? Det soll allens for fremde Leite sind? Paul, du hast mir zujrunde jerichtet! Sie legt den Kopf auf den Tisch und bricht in Schluchzen aus.

In diesem Augenblick ist, katzenartig leise, Bruno Mechelke eingetreten. Er hat seine Sonntagskluft an, hat Flieder an der Mütze und einen großen Fliederzweig in der Hand. John trommelt ans Fenster und bemerkt ihn nicht.

Frau John hat Bruno wie eine Geistererscheinung nach und nach ins Auge gefaßt. Bruno, bist du's?

Bruno, der blitzschnell den Maurerpolier erkannt hat, leise. Na jewiß doch, Jette.

Frau John. Wo kommst de denn her? Wat wiste denn?

Bruno. Na, ick habe de Nacht durchjescherbelt, Jette. Det siehste doch, det ick bei jute Laune bin.

John hat Bruno bis jetzt unverwandt angesehen, wobei eine gefährliche Blässe sein Gesicht überzogen hat. Jetzt geht er langsam zu einem kleinen Schrank und zieht einen alten Kommißrevolver hervor, den er ladet. Dies wird von Frau John nicht beobachtet. Du! – Hör ma! – Nu will ick dir ma wat sachen! – Wat, wat de vielleicht verjessen hast – det de weiter nu keene Ausrede hast, wenn ick det Dinges hier uff dir abdricke! – Du Lump! Unter Menschen jeheerst du nich! Ick ha dir jesacht, det ick dir niederknalle, det war vorichten Herbst, wo du mich jemals wieder uff meine Schwelle unter de Oochen trittst. – Nu jeh! sonst kracht et! – Hast de verstanden?

Bruno. Vor deine Musspritze furcht' ick mir nich.

Frau John, die bemerkt, daß John, seiner selbst nicht mächtig, den Revolver langsam gegen Bruno erhebt. Denn mach mir dot, Paul! Et is mein Bruder! Sie ist John in den Arm gefallen, so daß sein Revolver gegen sie gerichtet ist.

John sieht sie lange an, scheint zu erwachen, wird anderen Sinnes. Jut! Er legt den Revolver wieder sorgfältig in das Schränkchen. Hast ooch recht, Jette! – Pfui Deibel, Jette, det dein Name ooch in de Fresse von so'n Schubiack is! – Jut! – Det Pulver wär' ooch zu schade! – Det Dinges hat Blut von zwee franzeesche Reiter jekost! Zwee Helden! – Nu soll et am Ende Dreck saufen.

Bruno. Det kann immer sind, det Dreck ... in dein Schädel is! Und wenn du nich jerade, det de bei meine Schwester uff Schlafstelle wärscht, denn hätt' ick dir woll ma wat Luft jemacht, Rotzjunge, det de häst vierzehn Dache 't Loofen jekricht.

John gewaltsam ruhig. Sach noch ma, Jette, det det dein Bruder is.

Frau John. Paul, jeh man, ick wer ihm schon wieder fortschaffen! Det weeßt de doch, det ick et nu ma doch nich ändern kann, det Bruno von mich der Bruder is.

John. Na, denn bin ick hier iebrig, denn schnäbelt euch man. Er ist fertig gekleidet und schickt sich zum Gehen an. Dicht bei Bruno steht er still. Schuft! du hast deinem Vater im Jrabe jeärjert! Deine Schwester hätte dir sollen hinterm Zaune in Jraben verhungern lassen, statt jroßjezogen, und det eene Lumpenkanaille mehr uff de Erde is. In eene halbe Stunde komm' ick zurück! aber nich alleene! Ick komm' mit'n Wachmeester! John geht durch die Flurtür ab, seinen Kalabreser aufstülpend. Bruno wendet sich, sowie John hinaus ist, und spuckt ihm nach, gegen die Eingangstür.

Bruno. Wenn ick dir ma in de Wuhlheide hätte.

Frau John. Woso kommste nu, Bruno? Sache, wat is!

Bruno. Pinke mußte mich jeben, sonst jeh' ick verschütt, Jette.

Frau John verschließt und verriegelt die Flurtür. Wacht ma, ick schließe die Diere zu! – Nanu, wat is? – Wo kommste her? Wo biste jewesen?

Bruno. Jetanzt ha ick, Jette, de halbe Nacht, und denn wa ick 'n bißken jejen Morjenjrauen in't Jrüne jejang.

Frau John. Hat dir Quaquaro sehn reinkomm, Bruno? Denn nimm dir in Obacht, det de nich in de Falle sitzt.

Bruno. I Jott bewahre. Ick bin iebern Hof, denn bei mein Freind durch'n Knochenkeller und hernach iebern Oberboden rinjekomm.

Frau John. Na? Und wat is nu jewesen, Bruno?

Bruno. Wuddel nich, Jette. Jieb Reisejeld! Ick jeh' verschütt, oder ick muß abtippeln.

Frau John. Und wat haste nu mit det Mächen jemacht?

Bruno. I, et hat Rat jejeben, Jette.

Frau John. Wat heeßt det?

Bruno. Ick ha ihr soweit wenigstens bißken jefiege jemacht.

Frau John. Und det se nich wiederkommt, is nu sicher?

Bruno. Jawoll! Det se nu noch ma kommt, jloob' ick nich! Aber det wa keen leichtet Stick Arbeet, Jette. Du hast mich mit deine verdammte Pillenkrajerei – ick ha Durscht, Jette, jieb mich zu saufen, Jette! ... hast du mir kochend heeß jemacht. Er trinkt eine Wasserflasche leer.

Frau John. Se haben dir vor de Diere jesehn mit det Mächen.

Bruno. Ick ha mir mit Artur verabred, Jette. Von mich wollt' se nischt wissen. Denn is Artur in feine Kluft anjetänzelt jekomm und hat ihr ooch richtig verschleppt in Bolljongkeller. Det hat se jejloobt, uff dem Leim is se jekrochen, det ihr Breitjam dort warten tut! Er trällert und tänzelt krampfhaft.

Unser janzet Leben lang
von det eene Ristorang
in det andre Ristorang.

Frau John. Na und denn?

Bruno. Denn wollt' se fort, weil Adolf jesacht hat, det ihr Breitjam jejangen is! Denn ha ick wollen ihr noch'n Stickchen bejleiten, Artur und Adolf sind mitjejang. Denn sind wir bei Kalinich in de Hinterstube injefallen, und denn is se ja ooch von den vielen Nippen an Groch und Schnäpse molum jeworn. Und denn hat se in'n Bullenwinkel bei eene jenächtigt, wo Arturn seine Jeliebte is. Den nächsten Dach sind wir immer zwee, drei Jungs hinterher jewesen, nich losjelassen, immer von frischen Quinten jemacht, und in de Schublade is et ja nu ooch lustig zujejang. Die Kirchenglocken des Sonntagmorgens beginnen zu läuten. Bruno fährt fort. Aber't Jeld is futsch. Ick brauche Märker und Pfennije, Jette.

Frau John kramt nach Geld. Wieviel mußte haben?

Bruno lauscht den Glocken. Wat denn?

Frau John. Jeld!

Bruno. Der olle Verkümmler unten in Knochenkeller meent, det ick an liebsten muß ieber de russische Jrenze jehn! – Heer ma, Jette, de Jlocken läuten.

Frau John. Weshalb mußte denn ieber de Jrenze jehn?

Bruno. Nimm ma'n nasses Handtuch, Jette, un du ooch'n bißken Essig druff. Ick weeß nich, wat mich det Nasenbluten janze Nacht schon jeärjert hat. Er drückt sein Taschentuch an die Nase.

Frau John holt ein Handtuch, atmet krampfhaft. Wer hat dir an Handjelenk so 'ne Striemen jekratzt, Bruno?

Bruno lauscht den Glocken. Heute morjen halb viere hätt' se det Jlockenläuten noch heeren jekonnt.

Frau John. O Jesus, mein Heiland, det is ja nich wahr! det kann ja nich menschenmeechlich sein! Det ha ick dir nich jeheeßen, Bruno! Bruno! ick muß mir setzen, Bruno. Sie tut es. Det hat ja Vater noch uff'n Sterbebette zu mich vorausjesacht.

Bruno. Mit Brunon is nich zu spaßen, Jette. Wenn de zu Minnan hinjehst, denn sache, det ick ma ooch uff so wat vastehe und det mit Karin und Fritzen det Jehänsel'n Ende hat.

Frau John. Bruno, wenn se dir aber festsetzen.

Bruno. Na jut, denn mache ick Bammelmann, und denn ham se uff Charité wieder ma wat zum Sezieren.

Frau John gibt ihm Geld. Det is ja nich wahr! Wat hast du jetan, Bruno?

Bruno. Du bist 'ne oll vadrehte Person, Jette. Er faßt sie nicht ohne Gemütsanwandlung. Ihr sagt immer, det ick zu jar nischt nitze bin, aber wenn't jar nich mehr jeht, denn braucht ihr mir, Jette.

Frau John. Na, und wie denn? Haste den Mächen jedroht, det se soll nich mehr blicken lassen? – Det haste jesollt, Bruno. Haste det nich?

Bruno. De halbe Nacht hab' ick mit ihr jetanzt. Nu sind wir uff de Straße jejang. Denn war'n Herr mitjekomm, vastehste! Und wie det ick jesacht habe, det ick von meinswejen mit die Dame 'n Hiehnchen zu pflicken habe und'n Schneiderring aus de Buxen jezogen, hat er natierlich Reißaus jenomm. – Nu ha ick zu ihr jesacht: »Ängsten sich nich, Freilein! wo jutwillig sind und wo keen Lärm schlachen und nie nich mehr bei meine Schwester nachfrachen nach Ihr Kind, soll allet janz jietlich in juten vereinigt sind!« Und denn is se mit mich jejondelt 'n Sticksken.

Frau John. Na und?

Bruno. Na und? – Und da wollte se nich! – Und da fuhr se mit eemal nach meine Jurjel, det ick denke ... wie'n Beller, der toll jeworden is! und hat noch Saft in de Knochen jehat ... det ick jleich denke, det ick soll alle werden! Na, und da ... da war ick nu ooch'n bißken frisch – und denn war et – denn war et halt so jekomm.

Frau John, in Grauen versunken. Um welche Zeit war et?

Bruno. So rum zwischen vier und drei. Der Mond hat'n jroßen Hof jehat. Uff'n Zimmerplatz hinter de Planken is een Luder von Hund immer ruffjesprung und anjeschlagen. Denn dreppelte et, und denn is'n Jewitter niederjejang.

Frau John, verändert, gefaßt. 's jut! Nu jeh! Die verdient et nich besser.

Bruno. Atje! Na, nu sehn wa uns ville Jahre nich.

Frau John. Wo wiste denn hin?

Bruno. Erst muß ick ma Stunde zweee längelang uff'n Ricken liejen. Ick ooch! Ick jeh' zu Fritzen, wo eene Kammer in't olle Polizeijefängnis jejenieber de Fischerbrücke zu Miete hat. Dort bin ick sicher. Wo Uffstoß is, kannste mich Nachrich zukomm lassen.

Frau John. Wiste det Kindeken noch ma ankieken?

Bruno zittert. Nee.

Frau John. Warum nich?

Bruno. Nee, Jette, in diesen Leben nich! Atje, Jette! – Wacht ma, Jette: hier is noch'n Hufeisen! Er legt ein Hufeisen auf den Tisch. Det ha ick jefunden! Det bringt Glick! Ick brauche ihm nich.

Bruno Mechelke, katzenartig, wie er gekommen, ab. Frau John blickt mit entsetzt aufgerissenen Augen nach der Stelle, wo er verschwunden ist, wankt dann einige Schritte zurück, preßt die wie zum Gebet verkrampften Hände gegen den Mund und sinkt in sich zusammen, immer mit dem vergeblichen Versuch, Gebetsworte gegen den Himmel zu richten.

Frau John. Ick bin keen Merder! ick bin keen Merder! det wollt' ick nich!


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