Gerhart Hauptmann
Kaiser Karls Geisel
Gerhart Hauptmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Auf einem Landsitz Karls in der Nähe von Aachen. Eine offene Kolonnade mit Eingangstür ins Haus, vom Garten aus. Breite Stufen führen herab in den Garten, dessen alte Laubbäume herbstlich gelb sind. Den Hintergrund bildet eine besonnte Böschung, mit Weinreben bepflanzt. Es ist ein klarer Herbstmorgen, einige Tage nach jenem, an dem die Vorgänge des ersten Aktes geschehen sind. Der Kanzler Ercambald schreitet zwischen den Säulen der Halle erregt auf und ab. Graf Rorico tritt aus dem Hause.

Ercambald (hastig)
Nun, Graf?

Rorico               Hochmögender, es ist vergebens.

Ercambald
Er will mich nicht empfangen? wieder nicht
empfangen? jetzt, wo die Geschäfte drängen, sich
zu Bergen häufen, läßt er mich nicht vor?
Steh' ich nicht mehr in seiner Gnade, gut!
schlimm, wollt' ich sagen! aber nicht zu ändern!
ich habe sein Vertrauen nicht mißbraucht,
und also: unbeschwert in meiner Seele,
kann ich die Last auf andere Schultern tun.
Doch irgend jemand muß sie tragen, Graf,
wenn nicht der Weltlauf sich verwirren soll.
Was gibt's? erklär dich offen, sag die Wahrheit.

Rorico
Ich wüßte nichts zu sagen, außer daß
ich nichts zu sagen weiß. Der Kaiser ist
hierher geflohn beinah, will niemand sehn
noch sprechen, spricht selbst nichts, spricht kaum ein Wort,
vergräbt sich, streichelt seine Hunde, reicht
dem Damwildkälbchen junges Grün und fängt
Eidechsen. Als ich neulich zu ihm sagte:
»Das wilde Roß der Welt läuft ohne Zaum!«,
gab er zur Antwort: »Laß es laufen! Niemand
hat was verloren, rennt der Gaul davon!«

Ercambald
Dies will mir nicht so ganz genügen, Graf,
womit du meine Unruh' abzuspeisen
für gut befindest. Im geringsten nicht!
Wenn du mir wohlwillst, Graf, und willst's beweisen,
tu dies mir an! tu dies: sag offen mir,
an welchem Tag ich etwa, schlecht beraten –
ich meine im Verkehr mit unserm Herrn –,
die rechte Art, den rechten Ton nicht fand.

Rorico
Vielleicht bei jenem Vorfall mit der Geisel.

Ercambald
Halt! Geisel? Geisel? Geisel? – hilf mir denn!

Rorico
Nimm es für nichts. Es ist nichts, edler Herr.
Ein Haupt, erfüllt von großen Dingen, hat
das Nichtige nicht zu achten guten Grund:
doch sag' ich dir, im Haupt des großen Karl,
im Haupt des Herrschers, wie wir's kennen, das
wohl hinter breiter Stirne Größeres trägt
als irgendwer – verzeih mir! – hierzulande . . .
im Haupte Karls schlug dieses Nichtige Wurzel
und nimmt, gleichwie ein Unkraut, überhand.

Ercambald
Erklär mir das – du meinst . . .?

Rorico                                             Denk an Gersuind.

Ercambald
Potz Füllen! dacht' ich's doch! – dies ist, mein Graf,
der rechte Augenblick, nun klär mich auf:
Gersuind! was ist es nun mit diesem Kinde?

Rorico
Nichts, außer daß sie ihm im Sinne liegt.

Ercambald
In welchem Sinne liegt sie ihm im Sinne?

Rorico
Vielleicht, daß, wenn du einen Weiseren fragst
als mich – etwa den britischen Magister –,
er dir in jedem Sinne Antwort weiß.

Ercambald
Du weichst mir aus, Graf. Was du jedenfalls
doch wissen mußt, ist dies: aus welchem Grund
hieß man die sächsische Geisel, der doch kurz
zuvor der König wahrhaft gnädig schien,
ihr Bündel schnüren, ließ die frommen Schwestern
nicht vor, die für sie bitten wollten, trieb
mit Grausamkeit, von der ich fern mich weiß,
das Mägdlein hilflos aus, in Nacht und Dunkel.

Rorico
Der Herr der Welt ist manchmal gut gelaunt!
und wenn er sie hinausstieß, wilden Tieren
zum Fraß: er tat nur, was sie selbst erbat.
Vergib mir, Herr, ich höre seine Schritte.

Ercambald
Der erste Mann im Reich, nächst seinem Herrn,
muß, mit des Landes und des Herrschers Sorgen
beladen, dem ertappten Dieb gleich fliehn.

Er eilt davon. Bald darauf tritt Karl, in ländlicher Kleidung, ein Gartenmesser in der Hand, aufrecht und hochgebietend aus den laubigen Gartenwegen hervor. Er hat etwas an sich von einem großen und edlen Wild, das sichert. Als er Rorico erkannt hat, schreitet er langsam und ohne ihn anzusehen näher. Rorico verharrt in abwartender Haltung.

Karl (dicht vor Rorico, ihm Kastanienblätter hinhaltend)
Liebst du den bittren Duft der gelben Blätter,
Rorico?

Rorico         Ja. Mit Vorbehalt! und nicht,
wenn gelbe Primeln in den Feldern stehn.

Karl
Gelbschnabel.

Rorico                   Willst du diesen Titel mir
verleihen, König Karl?

Karl                                   Zu deinen Titeln,
wie Leichtfuß, Taubenstößer, Springinsfeld?

Rorico
Auch diese Titel, unverdient wie alle,
Herr, trag' ich mit Geduld: doch jener kommt mir
zu wie keiner, wenn ich deiner Majestät,
dem Herrn der Welt, ins Antlitz blicke.

Karl                                                             Hm!
Ein wenig Ehrfurcht schadet weder dir
noch mir, mein Sohn! nur nicht zuviel davon!
sonst schmiedet ihr an meinen Thron mich fest
und lötet diesen Kopf in eine Krone,
ja unternehmt es, mit Gebeten mich
zu mästen wie den Götzen in Byzanz.
Ich bin kein Gott! Gott zu verehren, bin
ich da, dem letzten Hörigen gleich im Volk,
bin gleich dem Hörigen müde, hungrig, durstig
zu seiner Zeit und sündhaft ganz wie du! –
Ein Rätsel! rate! was bedeutet das:
du schlägst die Augen auf – es ist bei dir!
und nicht bei dir! du jagst es fort – es flieht
und zieht, im Fliehn, dich hinter sich! du willst
es fangen – es entschlüpft! es von dir schütteln –
es nistet sich nur immer fester ein!
du brennst es – um so wilder brennt es dich!
du willst im Eismeer es ertränken – siehe,
das Eismeer siedet! Eis von sechzig Wintern
und mehr zerbirst, zerschmilzt, verdampft in Glut! –
Es ist kein Rätsel: 's ist 'ne Krankheit, Freund!

Rorico (nach längerem Stillschweigen)
Nun, meine Pflicht, vor aller Welt, ist die,
den Medikus, sofern du unpaß dich
auch nur im mindsten fühlst, Herr, zu verständigen.
Befiehl, so ruf' ich Winter, deinen Arzt.

Karl
Muß einer krank sein, der von Krankheit spricht?
und wär' ich krank an dieser Krankheit: Winter,
wie meines Scheitels Schnee dich lehren sollte,
ist für dies Fieber nicht der rechte Arzt.
Genug von Rätseln. – Was gibt's Neues, drüben
zu Aachen in der Pfalz?

Rorico                                   Es fehlt das Haupt,
und also sind die Glieder kopflos.

Karl                                                     Laß
sie zappeln und den Kopf ein wenig ruhn.

Rorico
Gesandte warten, sagen sie, Nachrichten
vom Dänenkönig, drohende, treffen ein.
Der Kanzler drängt fast flehentlich zum Vortrag.

Karl
Laßt den großmäuligen Dänen drohn und mich,
wie er, deswegen ungeschoren.
Inzwischen schneid' ich Trauben, weil sie reif!
So drohte der Avarenfürst und schwur,
geharnischt über mich hinwegzuschreiten –
und mancher mit ihm, der mir späterhin
durch meine breitgestellten Beine kroch:
so daß ich, über ihn hinwegzukommen,
nichts brauchte, als auf eigenen Füßen stehn.
's ist schal, zu herrschen, schal, zu siegen, schal,
den Schild zu halten wider Schwächlinge
und über Schwächlinge! du, sorge mir,
daß niemand unsere Wachen mir durchbricht! –
Jetzt sage – dann verlaß mich, denn ich will
allein sein! –, kannst du dich erinnern, was
das Schicksal jener Geisel war – du weißt! –,
die ich dich vor mich bringen hieß? es mögen
fünf Tage her sein oder sechs! Es war
die Tochter eines widerspenstigen Sachsen . . .
ist sie ins Kloster bald zurückgekehrt?

Rorico (nach kurzem Zögern)
Nein, Herr!

Karl                   Nicht? –

Rorico                             Nein!

Karl                                           Und also blieb sie aus?

Rorico
Ins Kloster ist sie nicht zurückgekehrt.

Karl
Und wie ich's ausgesonnen, so geschah's?

Rorico
Genau! man machte ihr ein Bündel, gab
ihr Brot, Wein, Zehrung, auch in gutem Gold,
und schärft' ihr ein, des Klosters Pforten stünden
geöffnet, wartend ihrer Wiederkehr.

Karl
Sie hatte, als sie ging, Rorico – dies
scheint mir der Punkt! –, Gewißheit oder nicht,
daß sie bei Tag und Nacht, zu jeder Stunde
der Umkehr, hochwillkommen sei?

Rorico                                                   Sie hatte
Gewißheit!

Karl                   Und sie kam nicht wieder?

Rorico                                                         Nein!

Karl
Fahr wohl denn, Fürwitz: Friede seiner Asche! –
Eh ich's vergesse: laß den Speer mir bringen.
Wir wollen nach der Scheibe schießen. Eng
ist mir mein Wams, zu eng für meine Brust,
darin was quillt, um Panzer zu zerdehnen.
Rorico! sieh hier meinen Arm: er ist
gedrungen und fest wie einer! – Falten, wohl,
im Antlitz: doch mein Blick ist ungetrübt.

Auf einen Wink Roricos sind Jäger mit Speeren aus den Büschen hervorgetreten. Karl, einem der Leute den Spieß aus der Hand nehmend, fährt fort

Gib her den Spieß, und Herzwurf will ich treffen
so brav wie du: soweit ist alles gut:
nur daß, wo dich ein junges Weib besucht,
mich das Gespenst des Alters quält. Es hüstelt
an meiner Seite, kriecht mir unters Deckbett
zur Nacht, berührt mich kalt, droht nörgelnd mir,
von unten auf in Stein mich zu verwandeln!
Von unten auf, in Stein, und nach und nach,
lebendigen Leibs! Rorico, hörst du das?
Doch was: Gespenst hie und hie König Karl!
versteint ist zwar bereits sein linkes Bein,
doch nicht sein Herz, noch weniger seine Rechte.
Stirb, alte Vettel! . . .
    (Er schleudert mit Macht den Speer)
                                  . . . soll mein Wahlspruch sein.

Rorico (an der Scheibe stehend, die inzwischen aufgestellt wurde und in deren Zentrum die Waffe Karls steckt)
Ein Wurf der Kraft; im Kern sitzt das Geschoß
und lobt den Meister bebend. –

Karl (schnell)                                       Ist sie tot?

Rorico
Wer?

Karl         Ob die Heilige tot ist, will ich wissen.

Rorico
Die Heilige? welche Heilige?

Karl                                               Nun, jene,
von der ich rede, die ein Dämon mir
riet – weil vernichten Wollust ist –:
vernichten!

Rorico               Herr, sie lebt.

Karl                                         Sie lebt?

Rorico                                                   Gewiß.
Doch leider, wahrlich, ist sie keine Heilige.

Karl
Nun komm, Rorico, komm, hier ist ein Platz
für Knaben wie geschaffen, die, gleich uns,
der Schul' entlaufen, Kurzweil sinnen. Sprich,
erzähle: lebt sie noch? wie lebt sie? wo?
gerupft? zerzaust? wie? eingeschüchtert?

Rorico                                                               Schwerlich.

Karl
Stülp um den Ranzen, Freund, gib, was du hast.
Ich bin dein Gast, erspare mir das Bitten!
das Fragen auch! Es geht ein licht Gewölke
von Wohltat durch mein Innres hin, es regnet
den lauen Regen, der die Bäche fließen,
die Auen sprießen und in allen Büschen
die kleinen Drosseln jauchzen macht. Sie lebt!
zwar ein geringes Leben ohne Wert –
ganz andere Ernten fressen Jahr um Jahr
die Sicheln meiner Schnitter! –, doch mein Herz
lobt, eigensinnig wie es ist, den Himmel
für dieses armen Kinderherzens Schlag: –
und daß er meiner Härte es entzog.

Rorico
So laß mich offen sein – denn weil ich merke,
daß unerhörte Gnade meines Herrn
auf unerhört Unwürdiges trifft, so wird
Wahrhaftigkeit zwiefache Pflicht. Gersuind,
die sächsische Geisel, die du, sagen wir –
töricht, fürwitzig, doch unschuldig nennst,
ist reich an Fürwitz, reich an Torheit, wahrlich,
doch reicher noch an Schuld! 's ist wahr: noch nie
sah ich ein Blendwerk diesem gleich, noch nie
die Glorie der Reinheit so getreu –
erlogen. Denn man meint, die Hostie,
in dieses Gnadenbildes Mund gelegt,
sie sollte blühen, so bewahrt, im Schrein
der Unschuld, unbefleckt, nach tausend Jahren!
Wie Läuterströme rinnt's von dieser Stirn:
was doch nur Gifthauch, Graun, Verderbnis ist.
Herr . . .

Karl               Wart! Eins um das andre! nach und nach!
Zu neu und zu gestrüppreich ist dein Weg,
geh langsam! – ist sie eine Sünderin,
'ne Irmin-Trud, wie unser Kanzler predigt,
womit denn, rede – daß wir sie dran strafen –:
mit welchem Gliede sündigt sie zumeist?

Rorico
Mit welchem Gliede? nimm die Tugend, die
beinahe keine ist in ihren Jahren,
und dann nimm jenes Laster – jenes, das
sich immer auf dem Grab der Keuschheit mästet,
schamlos, in Geilheit wuchernd –, und du weißt's.

Karl
Gut, Rico! und woher hast du dein Wissen?

Rorico
Zum größten Teil aus ihrem eignen Mund.

Karl
Ei, ei, Herr Graf Rorico, um Vergebung . . .

Rorico
Beschämst du mich? was hätt' ich zu vergeben?
Hinwiederum, was sonst auch König Karl
mir Jahr um Jahr in grenzenloser Huld
langmütig zu verzeihen Ursach' hat:
bin ich doch frei von Schuld in dieser Sache. –
Sie lief mir nach – ich sag' es frei! –, sie hing
sich an mich, stieß ich sie gleich hart zurück.
Sie ließ nicht nach, doch, gradheraus, es kam –
sosehr ich sonst ein Mann bin! – über mich
wie Abscheu . . . mehr wie Abscheu noch: wie Furcht!
Fremd schien ihr Wesen mir! aus Fremdem mächtig!
so zwar, daß ich nicht nahm, was preis sich gab.

Karl (erbleichend)
Nun, sieh mich an, Rorico!

Rorico (tut es offen und furchtlos)     König Karl?

Karl
Erzähle weiter.

Rorico                     Zugegeben, daß
ein Mann, der dies tut, seltsam ist, und doch . . .
ich wagte manchen Sturm auf mindere Reize.
Ich bin kein Unmann und nicht feig. – Allein,
trotzdem hier nichts zu schonen war, noch zu
erobern etwas außer meinem Nacken,
sooft er ihren Armen sich entzog,
blieb ich, was man nicht gern sich nennen hört
in diesem heiklen Sinn: ein Held.

Karl                                                     Und weiter!?

Rorico
Ja, weiter trug sich dies noch zu mit ihr,
erst gestern: Reif, du weißt, fiel diese Nacht
und lag noch morgens, bis die Sonn' ihn wegnahm . . .
kurzum, ich griff sie gestern abend auf.
Genau gesagt, sie war's, die mich eräugte,
mich anrief und mir nachlief unentwegt,
bis an des Gartenhäuschens Schwelle, wo
ich abstieg . . .

Karl                         Hinter deinem Pferde lief
das Kind?

Rorico             Drei Milien weit, ja! Kurzgalopp
hielt ich den Schecken, und so flog sie mit.

Karl
Hat sie beschwingte Sohlen?

Rorico                                           Herr, sie ist
leichtfüßiger als ein Schmaltier vor der Meute,
flink, unbegreiflich, federleicht im Lauf. –
Doch endlich kam mich Mitleid an. Ich rief:
»Dirne, wem jagst du nach?« – »Dir!« kam die Antwort.
Ich gab zurück: »Dem Satan mehr als mir!« –
»Nein, dir! nur dir!« – »Dem Aas, wie Hündinnen«,
schrie ich, und dann pariert' ich meinen Gaul.
»Du brichst zusammen«, sagt' ich. »Steh! du fährst –
dein Herz steht still, es bricht! –, in deiner Sünde
fährst du dahin, wo du nicht Atem holst.«

Karl
Und sie?

Rorico           Sie schlug 'ne wilde Lache auf,
durchdringend, wie ein Specht lacht. »Packe dich
ins Kloster!« brüllt' ich, »oder kriech zurück
in deine Gosse, deinen Hurenwinkel
zu Aachen, wo mein Schecke selbst mit Schaudern
mich trug, und in die Nüstern schnaubend, und
ich leider Gotts dich auflas!«

Karl                                               Gut. Du warst
nicht fein mit ihr, Rorico.

Rorico                                   Nein, nicht fein.
Mit ihr so wenig als mit mir, Herr, wahrlich!
doch mocht' ich sie nicht schlagen, mochte sie
im Feld nicht liegen lassen! und ich nahm,
nachdem ich erst mich gründlich ausgetobt,
sie, eingedenk des guten Samariters,
sogar in meinen Mantel eingewickelt,
nach Hause mit: so daß der alte Mann
am Tor, als wir – das Roß am Zügel haltend
ich, sie vermummt darauf – ankamen, sich
bekreuzigte.

Karl                     Wo kamt ihr an?

Rorico                                           Hier.

Karl                                                         Wo?

Rorico
Beim alten Seneschalk am Gartentor.

Karl
Und also ist sie . . .

Rorico                           . . . leider Gottes hier:
vorläufig in des Weinbergwächters Hut
und einquartiert im Häuschen an der Mauer.

Karl (erhebt sich, sieht Rorico lange und fest an und bricht dann in ein nicht ganz gesund klingendes Lachen aus)
Und so verbrämst du einen wilden Streich,
Rorico, toll wie wenige seinesgleichen?
Mit so viel Worten? Vogelsteller! Gab
ich deshalb diesem Vögelchen die Freiheit,
damit dein Bolz ein flaumig Bette trifft?
Beinah, tollköpfiger Graf, ist dies zuviel
für meine Langmut, Rothtrauts, meiner Tochter,
Nachsicht, die, wie du besser weißt als ich,
auf reine Sitte hält an unserm Hof.

Rorico
Es schmerzt mich, daß du deinen Diener so
mißkennst . . .

Karl                         . . . und mich, daß du mißbrauchst und eben
Mißbrauchtes schmähen magst mit kühner Stirne!
Sprich nichts mehr! – was geschah, ist meine Schuld! –
doch daß ich neue Schuld nicht auf mich häufe,
will ich dem offenbaren Fingerzeig
der Vorsehung, die dich zum Werkzeug nahm,
um mir das Kind aufs neue zuzuführen,
gehorchen und das Mägdlein wiedersehn.
Und zu erproben ist das andere Mal,
ob recht erwogener Rat, mit Macht gepaart,
gutmachen kann, was Übereilung fehlte. –
Du zuckst zusammen? – ist denn dir der Sprung
von der Subura in des Königs Gnade
ganz unbekannt? –
                                So steht die Laune mir:
man soll sie in den Garten bringen, zwischen
die Beete und Gebüsche, ahnungslos –
dort sie verlassen, ohne Wink, und ich
will, wie durch Zufall, ihr begegnen.

Rorico entfernt sich nach einer Verbeugung. Karl bleibt stehen, grübelt einen Augenblick, läßt dann den Blick umherschweifen, prüfend, ob er auch allein sei, und bemerkt so die beiden Jäger, die, in der Entfernung aufgepflanzt, weiterer Befehle warten.

                                                        Tragt
die Spieße fort!

Die Jäger ziehen Karls Speer aus der Scheibe und nehmen die Scheibe selbst weg.

                          He, Jäger, sag mir, wer
kniet überm Buchsbaum, dort, am Gärtnerhaus?

Erster Jäger
Ein Kind.

Karl               Vielleicht des Gärtners Enkeltochter?

Erster Jäger
Des Gärtners Enkeltochter, ja – nur hat
sie rabendunkles Haar und jene lichtes.

Karl
Erkunde, wer sie ist! – Nein, fort mit euch.

Die Jäger entfernen sich. Man hört das laute Gelächter Gersuinds. Karl erbleicht, steht unbeweglich und blickt unverwandt nach einer Richtung, in der Gersuind endlich erscheint, und zwar in heftiger Verfolgung eines Schmetterlings. Sie kommt bis in die nächste Nähe Karls, scheinbar ohne ihn zu bemerken.

Was treibst du hier?

Gersuind (nach leichtem Aufschrei)
                                Ich fange Schmetterlinge.

Karl
Wo und auf wessen Grunde tust du das?

Gersuind
Er heißt Rorico, glaub' ich, Graf von Maine.

Karl
Du meinst, daß hier Roricos, Grafen Maine,
Besitztum ist?

Gersuind               Ich weiß nicht. Oder Rothtrauts
vielleicht! mir ist es einerlei, ob sie,
des Kaisers Tochter, ob ihr Liebster hier
die Beete jätet und Gemüse baut.
Sie haben schwerlich ihre Kohlweißlinge
gezählt noch ihre Trauermäntel – und
wen kränkt's, wenn ein Eidechschen weniger ist.

In diesem Augenblick hascht sie eine Eidechse, die scheinbar ihr ganzes Interesse sogleich in Anspruch nimmt.

Karl
Übel bekäm' es dir, dächt' ich wie du. –
Nun, richte, wenn es sein kann, einen Blick
auf mich: du siehst mich heut zum drittenmal.
Denk nach! der Greis, mit jenem Blicke des
Ertrinkenden, der dir die Freiheit gab,
er ist's – noch immer atmend! nicht ertrunken! –,
und wieder kreuzt er deinen Weg. Vielleicht
tut heut sein Blick dir weniger weh, ist heut
dir eine starke Hand willkommener
als damals, nun du weißt, was Freiheit ist?

Gersuind
Still! sieh doch, sieh, wie niedlich ist das Tier!

Karl
Ja – in der Tat, Gersuind. Doch der hier steht,
ist nicht gewohnt, an taube Ohren Worte
zu richten, und ich widerrat' es dir,
in diesem Augenblicke taub zu sein. –
Ich tat dir unrecht! denn ich war's, es war
die Laune des Gebietenden, die dich
hinunterstieß in jenen Abgrund, den
ich kannte: unrein, wimmelnd von Geschmeiß.
Ich war's und reiche heut dir meine Rechte,
um aus dem tiefen Elend, das du nun
ermessen hast, dich an das Licht zu ziehn.
Verstehst du das?

Gersuind (lachend)       Bei Irmins Golde, nein!

Karl
Gersuind, was wagst du! das verstockte Volk,
dem du entstammst mit deinen wirren Sinnen,
kennt, ist es gleich verflucht in Finsternis,
für dich und deinesgleichen eines nur:
den Strick! man gibt der Jungfrau, die sich wegwarf,
die Wahl, sich eigenhändig zu erdrosseln,
oder die Weiber peitschen sie durch Flecken
und Höfe, nackt, bis sie in Schmach verzuckt.

Gersuind (mit unschöner Heftigkeit)
Jawohl! und tun das gleiche tausendmal
mit ihren Männern, geile Wölfinnen,
in Mordbrunst wilder als in Liebesgier,
wofür sie jene töten.

Karl                                 – Wessen Worte
sind's, Gersuind, die du hier mir wiederholst?

Gersuind (stutzig, ungezogen)
Die Worte meiner Sprache sind es.

Karl                                                         Und
wessen Gedanken?

Gersuind                         Wer es mir gesagt,
daß Weiber hirnlos sind und Hündinnen?
Weiß doch der dümmste Mann, daß es so ist!

Karl
Gersuind, wer bist du? meine Augen trauen
den Ohren nicht und jene nicht den Augen.
Mein Auge sagt zu mir: sie ist ein Kind,
du magst ihr eine Puppe schenken! – wo
mein Ohr hingegen meint: sie ist ein Weib
und jedes schwersten Weiberschicksals kundig!
Sag, welchen Sinnes Meinung teil' ich nun?

Gersuind (lachend)
Schenk mir ein Püppchen! Schenk mir eins! Ei wohl.
Nur denke nicht, daß fünfzehn junge Jahre
nur fünfzehn katzenblinde Tage sind.

Karl
Was soll geschehn? Ich sehe freilich nun,
daß du gedankenlos und blind nicht handelst,
vielmehr mit Vorsatz, Kühnheit und Entschluß
das Böse suchst. Vielleicht hat Ercambald
recht, und es wohnt in dir ein Dämon, wohnt
im köstlichen Goldelfenbeingehäus' Gersuind:
den wahren Hausherrn, Gott, daraus verdrängend.
Doch wenn ich dich betrachte, fass' ich's nicht!
Warum muß dies Gehäuse rein und lieblich,
statt Köstliches zu bergen, Köstlichstes,
ein schreckliches Gefäß der Greueln sein.

Gersuind
Seltsam. Ihr Männer seid doch wunderlich:
ein jeder, der mich nahm, sagt mir das gleiche
und klagt mich an, für das, was ich ihm gab.

Sie blickt Karl kurz von der Seite an und hängt plötzlich an seinem Halse.

Sei doch nicht närrisch, Alter!

Karl (ohne sich zu bewegen)             Wär' ich nun
Rico, Graf Maine, so löst' ich deine Arme
von meinem Nacken, kleine Hure! Doch
da ich Karolus nur, der Kaiser, bin,
vermag ich's ihm nicht nachzutun.

Gersuind (auf einem Säulenschaft stehend, noch immer die Arme um Karls Nacken gelegt)
                                                        Ihr redet
zu viel, ihr Männer! schweigt doch still und nehmt
nur schweigsam hin und fromm, was man euch gibt.

Karl
Schweig, Bastard einer Heiligen! Empfangen
im Schlaf von einem Satyros, der sie beschlief!
Geh! habe Mitleid! denn Vernunft erstickt
und jede Macht der Majestät vor dir
und in dem Lächeln deines dünnen Mundes!
Wer hindert mich, daß ich, so, mit dem Daumen,
du Salamander, deine weiße Kehle
eindrücke, bis auch deine Macht erstickt
und nur der reine, süße, keusche Leib,
nicht mehr mißbraucht von der verfluchten Seele,
in meinen Händen bleibt!?

Im leidenschaftlichen Kampf mit sich selbst stößt er, nahe am Erliegen, sie von sich.

Gersuind                                     Aï, aï!
Du tust mir weh mit deinen groben Fäusten.

Das Gesicht von ihr abgekehrt, steht Karl tief aufatmend, bestrebt, sich zu beruhigen. Gersuind, entfernt von ihm, beobachtet ihn schlau und reibt ihre Gelenke. Nach kurzem beginnt Karl wieder.

Karl
Gewalt muß helfen, wo Ermahnung nicht
fruchtet! Gewalt! zwar väterlich geübt,
doch unentrinnbar! Du bleibst straflos, denn
ich gab dir die Gewähr ruchlosen Tuns,
nicht aber sie, die dich mißbrauchten: und
so finden meine Häscher Arbeit, meine
Henker für ihre Galgen was zu tun. –
Namen! nenn mir die Namen! hier: der Griffel!
und hier: ein Täfelchen mit frischem Wachs!
Namen! die Namen jener Wüstlinge,
die dort, im Schutze meiner Pfalz, im Schatten
der Dome, ruchlos mit dir sündigten!
die Namen, Gersuind, will ich wissen! schnörkeln
will ich, mit schwerer Hand, sie in mein Wachs
und hinter jeden setzen: tot! tot! tot!

Gersuind (außer Fassung, aber heftig, mit dem Mute der Angst)
Das wirst du nicht tun! Nein! du tust das nicht!
auch werd' ich keinen je dir nennen, der
aus gutem Herzen meinen Willen tat.

Karl
So will ich Rico schreiben, Graf von Maine!

Gersuind (gewöhnlich)
Ja, schreib nur diesen; mir kann's recht sein, wenn
des Blinden Stockhieb einen Blinden trifft.

Karl
Gut denn, Gersuind. Lass' ich die Meute los,
so weiß sie mir mein Wild schon auszufinden.
Statt vieler nenne jetzt den einen mir,
der mehr dir war und gab als all die andern.

Gersuind
Warum? den nagelst du wohl an ein Kreuz?

Karl
Ich hoffe nicht, wenn ich ihn dir vermähle.

Gersuind (schnell, erschrocken)
Oh, wie? für alle einen mag ich nicht.

Karl (merklich entlastet)
So kennst du weder Männer noch den Mann,
Gersuind, und nun zum erstenmal
scheint mir der junge Flaum um deine Schläfe
am rechten Ort zu sein. Zum erstenmal
hebt sich von deiner armen Seele mir
der böse Nebel, der sie mir versteckte.
    (Immer mehr groß und väterlich)
Noch dringt dein eigner Blick nicht zu mir, denn
noch blinzelt deine Seele, halb erwacht
erst, und du tappst im Zwielicht. Laß den Strahl
des jungen Tags, der dir beschieden ist,
erst voll und hell aus seiner Knospe brechen,
so wird im reinen, morgendlichen Licht
dein wahrer Frühling sich entschleiern. – Hab
Geduld, Gersuind! wer nicht will warten, bis
die Traube reif und schwer vom Stocke prangt,
genießt nur sauren Wein! Glaub mir, du weißt
nicht, wer du bist – noch weniger, wer ich bin:
doch beides weiß ich, weiß es, und ich lasse
dennoch, bedenke, nicht die Hand von dir!
warum nicht? hält Magister Alcuin
doch die Ameise langen Grübelns nicht
für unwert, und auf einem Strohhalm trägt
er sorglich sie zwei Milien weit nach Haus.
Nun gut. Fürcht' ich mich etwa? sind Ameisen
mir furchtbar? setz' ich denn nicht meinen Fuß
auf ganze Völker von Ameisen? Rang
ich denn nicht alle Männer deines Bluts
nieder, und sollte nun vor dir entfliehn? –
Hier dieser Edelsitz ist dein, Gersuind!
In diesem Garten sollst du wurzeln, du
Entwurzelte! sollst langsam wachsen, blühn,
Früchte zur Reife treiben, wohlgepflegt
von Gärtnerhänden! Fröhlich magst du sein
im Schutze deiner Mauern, unbetrübt!
als Herrin deiner Kammerfraun, bedient
mit köstlichen Gewändern, goldnem Schmuck
und jeder Lustbarkeit, die du befiehlst:
nur eins . . .

Gersuind (schnell)   Ich muß nur, wie die Lieblingsblume
des Kaisers Karl, stockstill im Beete stehn.

Karl
Kennst du denn seine Lieblingsblume?

Gersuind                                                       Freilich!
Pflanzt' ich als kleines Ding von sieben Jahren
doch selbst, voll Ehrfurcht, Karols Malven ein.

Karl (immer mehr groß, rein, väterlich)
Heut liegt die Ehrfurcht ferne! Läge dir
Ehrfurcht nicht fern, du hättest sie vor dir:
erwiesest Ehre dir, so mein' ich, scheuchtest
Unehre von dem reinen Spiegelbilde
der Gnadenmutter, das du bist! in Furcht
den keuschen Schatz der Himmelskönigin
bewahrend vor dem Tasten ekler Finger,
unheiliger Berührungen. – Gersuind:
in diesem Hause sprudeln heiße Quellen,
die ziehn aus dem verderbten Körper Gift,
das Blut entsühnend! heiße Quellen sind
auch hier, in meiner Brust, entquollen! Quellen
der väterlichen Liebe, spür' ich, rinnen
dir unaufhaltsam! Eile! deine Seele
entsühne, bade sie von Flecken rein!
denn wärst du gleich mit Makeln übersät,
so will ich eines Tags doch zu dir sagen –
wenn du dich meinem reinen Willen fügst –:
geh hin und zeige dich den Priestern! Und
an jenem Tag sollst du vor aller Welt
rein wie die keusche Himmelsblume, wie
die Lilie in Mariens Händen sein.

Er hat seine Rechte auf Gersuinds Scheitel gelegt; sie küßt seine herabhängende Linke.


 << zurück weiter >>