Gerhart Hauptmann
Indipohdi
Gerhart Hauptmann

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Zweiter Akt

Das Innere einer Felshöhle. Auf Laublagern, von Brettern begrenzt, liegen Astorre sowohl wie Lapo schwer krank. Elend sind die Kleiderreste, die sie am Leibe haben. Lumpen sind ihre Decken. Astorre ist ein Jüngling von edlen Gesichtszügen. Lapo schwarzhaarig und schwarzbärtig. Dello, ein untersetzter Kerl, mit dummpfiffigen Gesichtszügen. Er ist in den Vierzigern, Astorre etwa fünfundzwanzigjährig, Lapo hoch in den dreißiger Jahren. Die Höhle ist notdürftig bewohnbar gemacht. Irgendwo brennt ein kleines Feuer, nicht weit davon steht ein irdener Wasserkrug. Eine Armbrust, eine Donnerbüchse und einige Beile hängen an der Wand. Der Ausgang, ein mannshohes Loch, ist durch eine rohe Tür verschlossen. Ebenso roh ist ein Tisch zusammengeschlagen; als Sitzgelegenheit dienen einige Holzblöcke. Dello spaltet Holz.

Lapo (im Fieber).
Gold! Gold! Wascht! Körner! Klumpen! Barren! Gold!
Ein Sieb! Nehmt Siebe! Watet in den Fluß!
Fangt auf! Fangt auf! In Wolken kommt der Goldsand!
Herrgott: mein Tiegel! Mein Schmelztiegel! O
ihr Lumpenhunde habt ihn mir gestohlen!
Wie? Soll ich denn ersaufen? Rettung! Oh!

Dello.
Großfressiger Schuft: der Kerl ist am Verrecken
und nimmt trotzdem das Maul so voll wie je.

Astorre.
Wasser!

Dello.           Ja freilich, alles ward zu Wasser.
Ganz richtig, mein Vermögen ward zu Wasser.
Ein Schiffsraum Ware: Wasser! Nabobschätze,
Pläne, Projekte und Profite: Wasser!

Astorre.
Dello, gebt mir ein wenig Wasser! Hört Ihr?

Dello.
Was noch? Ein Faß Lacrimae Christi? Bitte!
Und wenn Euch etwa hungert, Prinz Astorre,
sagt: Teller! und schon liegt die Wurst darauf.

Astorre.
Ich kann kein Wort verstehen, Freund, was schwatzt Ihr?

Dello.
Und ich kann Euch kein Wasser schaffen, Herr!
Der Scherb ist leer, und draußen brennt die Hölle.

Lapo.
Ah, ha, ha, ha, da kracht's. Wir sitzen fest.
Die spitze Klippe steckt, wie'n Büffelhorn
in eines Gaules Wampe, fest im Mittschiff.
Verflucht! Ein Tau! Ein Boot! Jetzt mögt ihr pumpen.

Dello.
Brenn und verbrenne, schlechter Lumpenhund!
Gerechter Lohn für deine schwarzen Künste,
die uns zu dieser Unglücksfahrt verführt.

Lapo (stürzt sich in Fieberraserei auf Dello).
Mein Tiegel! Du hast meinen Tiegel, Schuft!
Im nassen Hut kann ich das Gold nicht schmelzen.

Dello (stößt ihn aufs Bett zurück).
Gereck! Willst du denn ewig leben, was?
Giftbrocken, räudiger Hund, lebendiger Leichnam!
Er war's, der den Matrosen Pierre erstach
und dann von seinem Fleische aß, das Scheusal.

Astorre.
Ist Euch mein Leben lieb, sprecht nicht davon.

Dello.
Meins ist mir lieber, Prinz, ich sag' es offen.
Springt mich das Pestgespenst noch einmal an,
so lüft' ich ihm mit diesem Dolch die Gurgel.

Astorre tut einen tiefen Seufzer und wird ohnmächtig. Dello tritt an sein Lager.

Was? Ist er tot? Hat ihn der Schreck getötet?
Nun, um so länger hält der Proviant. –
Ei, laß doch sehn: was hast du unterm Kissen?

Er untersucht das Laublager nach Wertsachen.

Astorre (wacht auf).
Gott sei uns gnädig, wir sind Kannibalen.

Dello.
Was sagt Ihr? Eure Augen schielten so,
beinahe dacht' ich schon, Ihr wärt hinüber.

Astorre.
Du willst mich morden, mich berauben, Dello.
Du wildes Tier, du willst mir tun wie Pierre.

Dello.
Wenn ich es wollte, könntet Ihr mich hindern?
Doch welchen Vorteil hätt' ich wohl davon?
Um zwanzigtausend Golddukaten habt
ihr Herren Kavaliere mich betrogen.
Kocht' ich auch nur ein Tausendstel davon
aus Euren Eiterlumpen mir heraus
oder aus Eurem pestgedunsnen Leichnam?

Astorre.
Du Unmensch!

Dello.                       Ach was, Unmensch, Unmensch, Unmensch.
Hat Gott und Teufel das aus mir gemacht,
was geht's mich an: wo hätte Ton die Kraft,
gegen die beiden Töpfer sich zu wehren?

Astorre.
Der Fürst wird wiederkommen und dich züchtigen.

Dello.
Als Geist wohl, als Gespenst! Ja, anders nicht.
Hätte der Tiger mir ein Bisamschwein
geraubt und käm' das Bisamschwein nicht wieder,
's wär' bitterer, als daß der Zieraff' ausbleibt.

Astorre.
Ich bin ohnmächtig.

Dello.                             Ja, bei Gott, Ihr seid's.

Astorre.
Ich ließe sonst dein Wort dir nicht so hingehn.
Doch Ormann kommt und wird dich züchtigen.

Dello.
Ich setz' Euch was darauf. Was macht mir das.
Mehr zücht'gen, als ich schon gezüchtigt bin,
ja, als wir alle sind, das kann kein Ormann.
Ein öder Strand, versprengt im Ozean,
Gewürm, Moskitos, Vipern. Mit Gefahr,
noch das elende Restchen Leben drauf-
zuzahlen, holt man sich ein Vogelei
zur Not herunter von den kahlen Klippen.
San Borondon! Ihr sagt: ein Fürst! ich sage
nur Schlingel, Schlingel! Mordet erst den Vater,
stürzt erst den Thron des Vaters um, treibt dann
Mißwirtschaft, bis man selber ihn davonjagt.
Läßt sich belehnen mit San Borondon
vom portugiesischen Re – ein Inselland,
das höchstens dort im Hirn des blatternarbigen
Schubiacks Lapo vorhanden ist. – Und wir,
mit sieben Kielen und fünfhundert Menschen,
haben nichts eiliger, als nur ja mit ihm
und allem, was wir haben, hier zu scheitern.
Gewürz, Zimt, Nelken, Onyx, Chalzedon,
Gold, Pfeffer: freilich ja, ich wühle drin.
In Perlen! In Dukaten! Ein Padrao!
Wir stecken ihn in Vogelmist. Er kann
zu Ehren Portugals dreitausend Jahr,
ohne daß je von jetzt ein Mensch hier landet,
in Frieden und Gemächlichkeit verfaulen.

Ormann kommt. Er ist ein ungewöhnlich nerviger und schöner Mann von noch nicht dreißig Jahren. Seine Bewegungen verraten Kraft und einen kühnen und freien Anstand. Rotblondes Haar fällt bis auf seine breiten Schultern. Blonder Bartflaum bedeckt seine Oberlippe, ein gepflegter kurzer Spitzbart sein Kinn. Wie Pyrrha, mit der er nach Hautfarbe, Gesichtszügen, Gestalt und Bewegung Ähnlichkeit hat, führt er Armbrust, Jagdspeer und Jagdmesser. Das blutende Fell eines frisch erlegten Tigers hängt über seiner Schulter.

Dello.
Ihr seid's?

Ormann.         Ja, wie du siehst, und noch am Leben.
Und wie geht's euch, Kam'raden?

Dello.                                                     Nun, soso,
lala!

Ormann.   Habt Ihr die Kranken gut gepflegt,
Patron?

Dello.           Ein wenig wohl, wie ich's verstehe.

Ormann.
Drei Tage war ich fort. Ich habe viel
gesehn und viel erlebt in den drei Tagen:
ein wunderreiches Eiland, sag' ich dir.

Dello.
Moskitos, ja Gewürm sechs Ellen lang.
Ameisen groß wie Mäuse! Mäuse groß
wie Ratten! Ratten wie Kaninchen groß.

Ormann.
Gut, das mag sein: doch hörtet ihr, wie ich,
das rumpelnde Gewitter in der Erde?
Nah am Gebirgsfuß gab es Stoß auf Stoß,
und Steine prellten ellenhoch vom Boden.

Dello.
Hier plumpsten Axt und Armbrust von der Wand.

Ormann.
Ich bin sehr hoch geklettert im Gebirge.

Dello.
Zu tollkühn waret Ihr von je, Erlaucht.

Ormann.
Ach was! Ihr dachtet wohl, der kommt nie wieder?
Unkraut verdirbt so leicht nicht. Merkt Euch das.
Auch weiß ich meistens, was die Uhr geschlagen,
und kehr' im rechten Augenblicke um.

Dello.
Erlaucht, was schlug dort oben für 'ne Uhr?

Ormann.
Hier drin, mein Herz, mein Puls, und zwar mit Hämmern!
Sie schlugen, daß mir übel ward davon
und beide Schläfen mir wie Glocken dröhnten.
Ihr sollt die Uhr auch schlagen hören, Dello,
wenn Ihr das nächstemal mit mir hinaufsteigt
bis dorthin, wo mein Mut zu Ende war.

Dello.
Mein Mut ist so schon auf der Neige, Herr,
ja mehr, ist fort, als wär' er fortgeblasen:
ich müßte, braucht' ich neuen, borgen gehn.

Ormann.
Echt Dello! Das ist echt! 'ne echte Antwort
und würdig Dellos, unsres Schiffspatrons.
Nun, kurz, mir trat auf beide Lippen Blut,
Schwindel ergriff mich, riß betäubt mich rückwärts
und zwang mich leider so, vom letzten Ziel,
den Gipfel zu erreichen, abzustehn.

Dello.
Und welchen Gipfel meint Ihr?

Ormann.                                         Nun, doch den,
der alle andern überragt, den Schneeberg.

Dello.
Den Höllenberg, den rauchenden Vulkan,
der nachts mit Feuersbrunst die Gegend hell macht?
Was war für einen Mann von Eurer Art
dort oben wohl zu krebsen und zu fischen?

Ormann.
Nun, davon später mehr und mancherlei.

Dello.
Ihr regnet Blut.

Ormann.                 Ja, und die Bestie hat,
schon nah beim Biwak, mich noch aufgehalten.

Dello.
Ein Tiger!

Ormann.         Ja, erst schoß ich den Fasan.
Der Tiger ist nicht weit, wo dieser nah ist.
Das wüßt' ich. Und so war's. Was sollt' ich tun,
als ihn mit meinem Spieß ein wenig kitzeln.
Auch dacht' ich mir: das Fell ist für Astorre,
der es am Ende jetzt gebrauchen kann.
Wie geht's ihm?

Dello.                       Ja, du heiliger Damian,
er fällt von einer Ohnmacht in die andre.

Ormann.
Gebt acht, bald rafft der Prinz sich wieder auf.
Und wie geht's mit Lapo?

Dello.                                       Nun, gebt nur acht,
er steht schon auf dem Punkt, es selbst zu sagen.

Lapo (hat Ormann, auf den Rand des Lagers gestützt, seit seinem Eintritt unverwandt angeglotzt. Nun beginnt er im Fieberwahnsinn).
Fürst Ormann, Diebe, Diebe! Meinen Tiegel!
Sucht mit mir. Sucht! Du Schuft hast ihn gefunden.
Und dabei fliegt der Staub: Gold! Alles Gold!
Am Himmel Gold! Ein Riesenklumpen Gold!
Schafft den Schmelztiegel her. Oh, Niedertracht,
wo ist er? Ihr versteckt ihn mir! Ich lag
darauf, und jetzt ist er verschwunden.
Ich renne, suche, ihr habgierigen Hunde
wollt mich aufhalten . . . renne, suche . . . packt
euch fort! Ihr freßt mein Gold! He, Gold!
Es regnet Gold. Die Ströme strömen Gold,
und in der Erde poltert's . . . donnert's: Gold!
Erlaucht, helft meinen Tiegel suchen, helft!
Ich bin verloren, ein verlorner Mann,
wenn mein Schmelztiegel . . . mein Schmelztiegel! Oh!

Ormann.
Gebt ihm doch irgendeinen Tiegel, Dello. –
Ein wenig graut's mir fast vor dir, Lapo,
doch mag es sein, du bist ein guter Bursche,
und morgen kommst du wieder zu Verstand.

Dello.
Dann, scheint mir, war' der Bursche übler dran
als so, Erlaucht; denn wie ist unsre Lage,
und welch Geschick erwartet uns, als hier
fern von der Menschheit langsam zu krepieren?

Ormann.
Meinst du? Vielleicht! Vielleicht auch nicht! Wer weiß!
Astorre, Herzensfreund, wie steht's, was machst du?

Astorre.
Oh, mein geliebter Fürst, jetzt steht es gut,
doch Höllenqualen litt ich, als du fort warst.

Dello.
Das Fieber hat ihn mörderisch geschüttelt.
Er weiß nicht, wo er ist; und was er sieht,
sind wüste Einbildungen und Gespenster.

Astorre.
Eh du noch einmal fortgehst, töte mich,
sonst bleib' ich unterm Messer dieses Schlächters,
dem ich für diesmal noch zur Not entging.

Ormann.
Was heißt das?

Dello.                       Tausend, Herr, ich rat' Euch, glaubt ihm!

Astorre.
Ich rede nicht von Euch! Rück näher! So!

Dello.
Er wird Euch Dinge in die Ohren raunen,
gruslig, daß Eurer Hoheit Hören und
Sehen vergehen wird, ich will darauf wetten.

Astorre.
Oh, Schurke! – Er hat recht, ich bin im Fieber,
ich rede irre. Eine Hölle tobt
in meinen Adern. Ich verbrenne in
den Flammen. Wasser! Wasser! Einen Trunk!

Dello.
Der Krug ist leer.

Ormann.                     So geh und schöpfe, Dello.

Dello.
Meint Ihr?

Ormann.         Du etwa nicht? Und spute dich!

Dello gehorcht, wenn auch tückisch und unwillig. Er nimmt den Krug und geht.

Astorre.
Er wollte mich verdursten lassen, Ormann.
Und dort im Winkel hat er Gift geschabt
von einem gelben Stein, mich zu vergiften.

Ormann.
Nun bin ich bei dir, sei ganz ruhig, Freund.

Astorre.
Du glaubst mir nicht.

Ormann.                         Gewissermaßen wohl.
Nur kenn' ich unsren braven Schiffspatron
bisher als biedre Haut und braven Seemann.

Astorre.
Er haßt uns, Ormann, sinnt auf Rache, schwört,
wir hätten um sein Leben ihn betrogen.
Und wenn der Augenblick ihm günstig dünkt,
wird er uns hinterrücks den Garaus machen.

Ormann (lachend).
Doch vorher knüpf ich ihn an einen Baum,
dort mag er mit den Geiern sich befreunden. –
Doch Gott verhüt's. Der brave alter Mann,
er ahnt wohl nicht, wes wir ihn hier bezicht'gen.
Schon kommt er mit dem Trunk. Trink und hör an.

Dello (kommt mit dem Wasserkrug).
Ich bin ein ausgepreßter Schwamm, ich habe
mein ganzes Körperwasser in den Kleidern.
Ja, Dello! Dello hier und Dello da!
Wäre er nicht, was würde aus euch allen.

Lapo (schreit).
Elftausend vollgewichtige Dukaten
nebst neun Realen, dreißig Maravedis
kommen auf mich, du Hund von Schiffspatron.
Gib sie heraus, sonst mach' ich dich zum Leichnam!

Dello.
Projektenmacher, Schwindler, Gauner! Schweig!
    (Zu Ormann)
Ihr seht, ich war nicht faul, dieweil Ihr weg wart.
Ist nur die Hälfte wahr von alledem,
was mir der Leumund dieser Höhle anhängt,
so bin ich nicht mehr der geplünderte
Schiffbrüchige, sondern bin ein schlauer Kaufherr,
der auf Dukaten und Schiffslasten sitzt,
Oxhoften Weines, Fässern Pökelfleisch
und feinster Mortadella da Bologna.

Ormann lacht heftig, während Astorre trinkt.

Astorre (nachdem er getrunken).
Das labt!

Ormann.       Und da nun dies schon dich gelabt,
laß dir noch mehr des Labenden erzählen:
denn davon wahrlich bring' ich mancherlei
von meiner Streife mit, sofern mir recht ist.

Astorre (nimmt heimlich flehend Ormanns Hand).
Ormann, mit mir ist's aus. Ich sterbe.

Ormann.                                                   Nicht doch!
Du wirst noch manchen Strauß mit mir bestehn
und manches lustige Abenteuer. Morgen
bist du wohlauf und guten Mutes, Freund.

Astorre.
Wo warst du?

Ormann.               In der Zone ewigen Schnees.

Astorre.
Glückseligster: griffst du und balltest ihn
und nahmst ihn in den Mund?

Ormann.                                         Das alles tat ich.
Es war wie auf dem Monte Generoso
oder sonstwo im Alpenwall daheim.
Wie weit wird auf den Höhen doch die Brust!
Ich spür' es noch in eurem dumpfen Glutbad.

Astorre.
Könnt' ich noch einmal dort hinauf mit dir,
eh ich im Tod erblinde, Ormann.

Ormann.                                             Morgen,
Liebster, nehm' ich dich huckepack mit mir.
Dort steht die Tanne unsres Apennins.
Du kannst lombardische Birkenreiser brechen
und Blümchen pflücken, so wie diese hier.

Astorre.
's ist Enzian, bei Gott.

Ormann.                             Gemach, hör weiter.
Das ist das einz'ge blaue Wunder nicht.
Du wirst dein blaues Wunder erst erleben:
denn von dort oben siehst du Kanaan,
siehst das Gelobte Land zu deinen Füßen.

Dello.
Luftspiegelung.

Ormann (Lachend).     Echt Dello! – Nun, laß gut sein.
So unfruchtbar, als diese Seite ist,
so üppig wuchert's jenseits des Gebirges,
das uns nicht eine Wasserader spendet
und drüben Bäche brausend niederschickt,
die sich zu Strömen breiten in der Tiefe. –
Ich zählte ihrer vier und nannte sie
im Geiste Pison, Gihon, Hiddekel
und Phrat, den Flüssen gleich im Garten Eden.

Dello.
San Borondon.

Ormann.                   Wieso San Borondon?

Dello.
Eure Hoheit hat sie mir doch oft geschildert,
die Wunderinsel, auf dem Admiralsschiff.
Sie schwamm im Himmelblauen vor uns her,
fast greifbar immer. Und wie manches Mal
sind wir in goldne Buchten eingesegelt
mit waldgekrönten Höhn und üppigen Triften,
doch leider, leider ohne Ankergrund.

Ormann.
Echt Dello! Er wird noch nicht glauben, wenn
ich Milch und Honig ihm zu trinken gebe.

Dello.
Seewasser war's, was wir zuletzt geschluckt.
An Honigmilch könnt' ich mich nicht erinnern.

Ormann.
Warum auch sich erinnern? Blick doch vorwärts!

Dello.
Doch hinter mir liegt all mein Geld und Gut,
Reichtum für Fische auf dem Grund des Weltmeers.
Und all das, weil ich vorwärts sah mit Euch
und das Geschwader, weil Ihr es so wolltet,
wider die Klippen dieser Küste trieb,
wo es denn krachend auch zersplitterte.

Ormann.
Nun, putziger Hamster Dello, nichts für ungut.
Doch sag, gingst du nicht auch der Nase nach,
als Wolken Duftes uns auf hoher See
die Luft aus irgendeinem Paradiese
mit lockender Musik getragen brachten?
Hast du nicht goldne Hesperidenäpfel
eifrig, von Bord aus, in der See gefischt,
weil sie sich häuften fast vor unserm Bug,
und viele köstlich süße, fremde Früchte,
dergleichen keiner von uns allen je
verzückt gekostet und entzückt geschaut?

Dello.
Es war der Satan selbst, der uns die Straße
nach diesem Teufelseiland so gepflastert.
Erst kam Brot, Frucht, Musik und Überfluß,
dann Hunger, Not und Menschenfleisch als Nahrung.

Ormann.
Schweig! Meine Langmut ist am Ende, Dello.
Du kennst mich. Ungefragt nur noch ein Wort . . .
du liegst geknebelt jappend auf der Erde!
    (Dello schleicht knurrend in den Hintergrund.)
Ungläubiger Narr! Er ruht nicht, bis man wild wird.
Er traut allein dem Beutel, der gespickt ist,
ich aber traue einzig meinem Stern! –
Du traue mir und dem, was ich berichte.

Astorre.
Sprich, Ormann, sprich: wem trauen, wenn nicht dir!

Ormann.
Zunächst vernimm: die Insel ist bewohnt,
nicht menschenleer, wie wir bis jetzt vermutet.
Auch muß ein Volk jenseits der Berge wohnen,
das mit dem Zirkel und dem Lot Bescheid weiß.

Dello.
Der Himmel gebe, daß Ihr hierin irrt;
wo nicht, so hausen drüben Kannibalen,
und deren Bauch wird sicher unser Grab.
Allein, ich alter Seemann weiß es besser.
Höchstens wohnt hier der Teufel Setebos
und zeugt Mondkälber mit verfluchten Bestien.

Astorre.
Antworte nicht, sprich weiter, Ormann!

Ormann.                                                       Wohl,
ich fand ein Hochtal, steinicht, und inmitten
fängt sich das Gletscherwasser. Zwischen Blöcken
von Flechten, grün wie altes Erz, liegt still,
als wie von Ewigkeiten unbewegt,
ein See, ein Teich! So tot, als bilde ihn
dieselbe Flut, die mit dem Ruderschlag
zu kräuseln, mit den Kielen zu belasten
dem heiligen Totenfährmann nur erlaubt ist.
Glaub mir, ich folgte nicht den Lockungen
der Lust, als ich beschloß, in diesen Abgrund,
in dieses Höllental hinabzuklettern
vom Grat, auf dem ich stand. Kein Lüftchen ging,
kein Vogellaut ward hörbar, selbst der Flug
des Schmetterlings, der Motte würde hier
geklungen haben. Als ich unten stand
und aufsah zwischen den Zyklopenwänden,
sah ich den glühnden Tageshimmel schwarz
und voller Sterne. Sterne spiegelte
der Teich, als ich am Ufer stand. Denk' ich
an jenen finstren Doppelabgrund, der
sich so mir auftat . . . Doch was red' ich: nur
das Auge kann das Auge fassen. Das
unendliche Gesicht allein umfaßt
die Welten des unendlichen Gesichts.
Des Schweigens ungeheure Majestät
allein erfaßt das Ewigschweigende.
Was ich dort oben wußte, sah, empfand,
macht' es mir furchtbar deutlich, daß ich stumm bin.

Astorre.
Wirst du mir zürnen, wenn die Tiefe dessen,
was du jetzt sprachst, an jemand mich erinnert?

Ormann.
Zürnt' ich dir je? Auch ahn' ich, wen du meinst.

Astorre.
Wer sprach so, außer dir, wenn nicht dein Vater?

Ormann.
Nun ja, um kurz zu sein: das Kesseltal
schien mir vertraut und fremd, wie eine Schwelle
zu einem fremden Hause, die ich oft
im Wachen wie im Traume überschritt.
Der See glich einer Platte schwarzen Stahles,
die ein abgründisches Geheimnis schließt,
es furchtbar ahnen läßt und drohend zudeckt.
Oh, welche fürchterliche Nähe mir
da eiseskalt ans Herz griff! Und zugleich
wie hoffnungslos stand ich im weiten Raum
des Alls. Nie war ich so verlassen. Niemals!
Und niemals doch so nah' hinangedrängt
mit jedem Puls ans ungeheure Schicksal
von Mensch und Welt. Hat sie vielleicht ein Gott
fluchend gerissen aus dem Nichts und, brüllend
wie Myriaden Donner, voller Wut
in ihre fürchterliche Bahn geschleudert?
Und wem, wem galt sein Haß? Uns Menschen? Und
was und von welchem Volke sind wir dann,
daß wir ihn auf uns ziehen konnten? Wer
ist unser König? Unser Herr und Gott?
Wo sind die Brüder unsres Blutes? Wo
die Schwestern? Bleibt der Rasende vielleicht
auf ewig unversöhnt? Ist er am Ende
versöhnt, und hat er seinen Zorn vergessen
und seine Tat und seine Welt, die ihm
entsprang und dann für immerdar entschwand?
Wer aber wird uns dann erlösen, wenn
wir so verschlossen, so vergessen sind
in diesen starren und vergeßnen Trümmern?
Was hilft es uns, zu unserm Vater beten,
wenn er nicht hindern konnte, daß ein Feind
so umsprang mit den Kindern seines Bluts?
Wann kommt der gute, wann der starke Hirte
mit der allmächt'gen Liebe in der Brust –
der Liebe, die zugleich allwissend ist –
und findet die versprengten Schafe wieder?
Der Allesfinder! Allversöhner! All-
vereiner! Allbeglücker! Allerleider!
Er, der zuerst ein Allbesieger ist?

Dello.
O Gott, Ihr macht mich melancholisch, Fürst,
Ihr neigt zum Tiefsinn. Rupfen wir die Hühner.
Ihr tragt die Schuld, wenn unser Stückfaß Rum
sich heute um ein volles Quart erleichtert.
Mir wird ganz wirblicht, welcher Mückentanz
von Fragen! Wenn mir recht ist, Prinz,
habt Ihr ein Dutzend Male Gott gelästert.
Und wärt Ihr nicht so weit vom Schuß, wahrhaftig,
Ihr müßtet auf dem Holzstoß schmoren. Nun,
auch darin seid Ihr Eures Vaters Sohn.

Ormann.
Sprich nicht von meinem Vater, Dello.

Astorre.                                                       Wirf
die Bestie doch vor die Türe, Ormann.

Ormann.
Nun wohl, ich fand an dieser Geisterstätte
voll lastender Magie ein Artefakt,
will sagen, fand ein kleines Heiligtum,
erbaut von Menschenhand.

Astorre.                                     Wie sah es aus, Freund?

Ormann.
Geduld! Es schien ein Haufen Steine mir,
zufälliges Geröll, wie alles andre
von weitem, das chaotisch an den See tritt.
Doch traf ich bald den schmalen Eingang zwischen
zwei unbehaunen Pfeilern von Basalt.
Ein Balken, eine Platte krönte sie
vom gleichen Urgestein. Ich trat ins Innre.
Zyklopenblöcke bildeten die Wände
des Hohlraums, unbehauen, ohne Mörtel,
doch nach dem Lot gefügt und nach dem Zirkel.
Fast kreisrund, eine runde Trommel, wie
der Splitter lehrte, von Obsidian,
aus einem mächt'gen Stück gemeißelt, fand ich
im Tempel aufgestellt. Ich schlug mir Licht.
Die Oberfläche trug das Bild der Sonne
vertieft. Ein rundes Becken war der Ball,
die Strahlen bis zum Trommelrande Rinnen.
Nur eine dieser Rinnen, tiefer als
die anderen, durchbrach den Limbusrand.
Hier fließt das heil'ge Opferblut herab
und schenkt sich übertretend an die arme
verdammte Menschheit, die es schaudernd auffängt.

Astorre.
Mich graust's ein wenig.

Ormann.                               Nun, dies war die dunkle,
nun kommt die heitre Seite des Berichts.
Ich will nicht von gehäuften Menschenschädeln
und Höhlen voll Gebein, die ich gesehn,
dich etwa noch zum Schlusse unterhalten,
sondern du sollst das Unbegreifliche,
das Unerhörte nun mit Staunen wissen,
das, wie ich's mir vergegenwärtige,
noch jetzt mir meine Brust fast springen macht.
Lache nun oder lache nicht: ich sah
dort oben . . . ja, was sah ich wohl? – Ein Weib!
Olivenfarben, meinst du? Weit gefehlt!
Du lächelst; lache frisch und frei heraus,
nenne mich toll! Denn ich beschwöre dir
die Wahrheit meiner Worte auf die Hostie.
Ich sah ein junges Weib von weißer Haut,
Punktum! War's eine von den Menschentöchtern? Das
entscheid' ich nicht. Mir wahrlich schien sie mehr.
Sag' ich Sandalen, Köcher, Bogen, denkst
du sicher an die Göttin Artemis
und meinst, mir sei ein Marmorbild erschienen,
wie sie die Säle schmücken im Palast
daheim. Jawohl. So ist's. Nur war's lebendig.
Es war von Fleisch und Blut und nicht von Stein,
Und das ist mehr, weil Leben mehr als Tod ist.
Und hier war kein Gebild aus Menschenhand,
sondern, ich würde etwa sagen mögen,
aus Götterlenden. Roten Haares Fülle,
das um den Kopf ihr saß als Helm von Gold,
schien auf den Sonnengott als ihren Vater,
auf Helios mir geradezu zu deuten.
Ich bin verrückt, nicht wahr? Zum mind'sten glaubst du's.
Dann bleib' ich auf dem Wege der Verrücktheit,
und wage keiner, mich zurückzurufen!
Mag sein, ich war erhitzt. Mühsames Steigen
hatte mein Blut erregt. Doch was ich sah,
war wirklich und nicht Ausgeburt des Fiebers.
Sprich nicht! Ich will jetzt nach der Schnur berichten.
Ein Punkt stand hoch im Blauen über mir,
und plötzlich ward er größer. Kam ganz nah
und ward zum riesenhaften Lämmergeier,
und plötzlich überschlug er sich und plumpste
mit dumpfer Wucht aufs Erdreich. – Da kam sie –
oh, welch ein leichter, königlicher Sprung!
Oh, welche Schenkel, welche herrlichen
Gelenke! Welches Knie und welcher Arm!
Mit einem Schrei erwürgte sie den Geier:
ein Schrei, den Echo hundertfach zurückgab.

Astorre.
Ormann, ich muß dich unterbrechen, Freund
und Bruder. Etwas tritt an mich heran,
ich fühl's, das streng und unerbittlich ist,
und was es fordert, duldet keinen Aufschub.

Ormann.
Astorre, Freund und Bruder, was bewegt dich?

Astorre.
Ich hätte dich nicht unterbrochen, Prinz,
Fürst, Freund und Bruder Ormann. Doch es ist
in mir das erzne Schlagwerk einer Uhr,
das unverbrüchlich mir mein Ende anzeigt.

Ormann.
Ja, nur nicht jetzt, in hundert Jahren.

Astorre.                                                     Ormann,
vergeblich ist's: laß das, du änderst nichts.
Du kämest froh von einem Tor zurück,
an dem sich abgeschiedne Seelen drängten
und Seelen solcher, die noch irdisch, doch
schon halb aus ihrer Haft entlassen sind:
die Seele deines Freundes war darunter.
Sieh mich so starr nicht, so erschrocken an,
denn grade darum geiz' ich mit der Zeit,
damit mein Ende sich nicht etwa dir
drückend, als Last, auf das Gewissen lege,
Selbstvorwurf oder Selbstanklage zeitige
und deines Geistes Sonnenflug behindre.
Wisse: ich lebte und war glücklich! Seit
du in mein Leben tratest: früher nicht.
Und wenn ich ungern scheide aus der Welt,
so ist es nur, weil du in ihr zurückbleibst.

Ormann.
Und was ist eine Welt, in der du nicht bist?

Astorre.
Bruder, dein sonnenhaftes Auge macht
das Finstre hell, das Nebelhafte klar,
ja, es durchbricht mit unbesiegbarm Strahl
die schwarze Wetterwolke unsres Schicksals.
Und sieh, im Lichte dieses Strahles nehme
ich Abschied. Glücklich! Aufwärts geht mein Weg
mit ihm! Ormann, nun seh' ich, was du nicht siehst.
Glaub mir, von Zaubern und von Wundern schwer
ist dieses Eiland. Die du heute sahst,
die Jägerin, wirst du bald selber jagen,
nur sie hast du von Jugend an gesucht.
Sie war das unbekannte Ziel, nach dem
dein ungestümes Wesen allezeit
hindrängte. Auch der Irrtum schwerster Schuld
vermochte nicht, mein Bruder, dich zu hindern,
zu landen am Gestade der Bestimmung.
Du bist am rechten Ort, am rechten Ziel.
Und wie ganz anders es dir immer scheine,
so ist's, wie ich es sage, anders nicht.

Ormann.
Stirb nicht, geh nicht von mir.

Astorre.                                         Ich bleibe bei dir,
auch wenn ich von dir gehe, Leuchtender.

Ormann.
Macht Gott zum Seher dich in dieser Stunde,
so sage: hat mein Vater mir verziehn,
bevor er starb?

Astorre.                   Ich sehe deinen Vater.

Er stirbt.

Ormann.
Wo?

Dello.     Lauter, Fürst, sonst kriegt Ihr keine Antwort.

Ormann.
Nein, leiser, leiser, ruf ihn nicht zurück. –
Wo war's, wo sah ich dich zum erstenmal?
Im vollen Glanze eines Frühlingsmorgens.
Aus allen Fenstern hingen Teppiche,
fast brachen die Balkone und die Dächer
unter des Volkes Last. Ein schwarzer Hengst
mit Augen eines Höllendämons trug dich:
das war, als unsre Häuser sich versöhnten.
Und dann wardst du mein Freund. Erteiltest selbst
dir deinen Ritterschlag in einer Nacht,
als ich bei Spiel und Trunk Gewalttat übte
und du sie ohne Wanken auf dich nahmst.
Mein ganzes wildes Schicksal nahmst du auf dich
und endest nun inmitten aller Wirrsal,
dem Lande der glückseligen Kindheit fern,
schiffbrüchig, arm, auf weltvergeßnem Eiland,
in einem Felsenloch auf faulem Stroh. –
Doch was ist das? Musik! Hörst du das, Dello?
Ein klingender Zauber, scheint's, erfüllt die Luft,
als wollte er den armen Resten huldigen,
die kläglich diese Lagerstatt jetzt aufweist.
Nein, denn nun weiß ich's anders! Wohl, mein Freund!
Du selber bist es, dessen freie Seele,
getrennt vom Körper, himmlisch musiziert
und mir das Zeichen bringt von deiner Nähe.

Man hört lautes Kampfgeheul von Indianern und ein gewaltiges Geräusch im Holz der Tür, das von hineingeschossenen Pfeilen und Speeren herrührt. Eine Speerspitze, die hindurchgedrungen ist, ragt herein.

Dello.
Hört Ihr was Himmlisches? Ich nicht, Fürst Ormann.
Oder die Hölle wittert Engel hier
und kommt mit Teufelsdreck, sie auszuräuchern.

Erneutes Geheul der Wilden.

Ormann.
Graunvoller Lärm, was ist das?

Dello.                                               Ziegenbock,
Katze und Wildsau, Ochse, Hund und Hahn
kommen mitsammen, scheint's, uns zu besuchen.
Im Ernst: wir sind nun fertig, es ist aus.
Denn dies Gebrüll und dies Getöse kenn' ich,
hört doch das Tamtam und das Muschelhorn!
Die Insel ist bewohnt von Kannibalen.
Sie haben uns erwittert: was denn mehr,
jetzt sind wir nur noch Fraß! Nun, prost die Mahlzeit!

Lapo.
Fürst Ormann, Mörder, Diebe, meinen Tiegel!
Mein Gold! Dämonen rauben meinen Tiegel!

Ormann.
Am Ende würd' ich zagen, hätt' ich nun,
Toter, nicht dein Orakel im Gemüt,
und sei es immerhin auch doppelsinnig,
denn am Gestade der Bestimmung landen
bedeutet wohl auch sterben, und ein Ziel
kann auch der Tod sein . . . Einerlei, du gabst
zugleich mit dem Orakel mir ein Beispiel,
daß ich für jeden Fall gerüstet bin.

Amaru (unsichtbar, von außen).
Ihr weißen Männer, hier steht Amaru.
Hier steht mit seinen Adlern Amaru.
Mit seinen Adlern, seinen Jaguaren.
Er ist ein Krieger, ist unüberwindlich.
Allein, euch bietet Frieden Amaru.
Es wünscht mit Eiden und Verträgen sich
euch zu verbinden Amaru. Gebt Antwort!

Dello.
Ich bin von Sinnen, fass' mir an den Kopf,
Prinz. Spricht der Schuft nicht unsre eigne Sprache?

Ormann.
Ein Wunder, Dello, beim allmächt'gen Gott!

Dello.
Dies Eiland ist verrückt, so wahr ich lebe!
Gebt acht! Schon brüllt der Schuft von neuem. Still!

Amaru (wie vorher).
Gebt Antwort! Meine Jaguare zittern
vor Blutdurst. Meine Königsadler schaudern
vor Jagdbegier. Sie werden euer Fleisch
zerreißen mit den Fängen und den Schnäbeln,
wenn ihr die Freundschaft Amarus nicht annehmt.

Ormann.
Was ist denn nun die Freundschaft Amarus?

Dello.
Die Insel hat sich losgerissen, Fürst,
und treibt in einem Weinmeer, das gewürzt ist
mit Zimmet, Kardamom und Malagueta,
wovon der Dunst uns wirr und trunken macht.

Ormann.
Mag sein. Laß die Gebilde unsres Wahnsinns
herein und öffne weit die Türe, Dello,
dem Rausch, den Träumen, den Kobolden, die
vor unsrer Festung lärmen. Nur herein!

Dello öffnet die Tür, und Amaru in prächtigem Kriegsschmuck seiner Federn, seiner Bemalung und seiner Waffen wird aufrecht stehend sichtbar. Hinter ihm die gedrängte Schar seiner Krieger.

Amaru.
Ja, du bist's, den ich suche, Tonatiuh!
Du bist der echte, bist der wahre Sohn
des goldnen Gottes in der Sonne. Doch
vielleicht ist Zauber hier im Spiel, o Gottheit.
Du überstrahlst zwar gleich dem Taggestirn
den gift'gen Stern, des Licht ich tödlich hasse,
allein, er ist verwandter Art, und du
im Glanze deines Hauptes bist ihm ähnlich.
Sei's: in Verehrung neig' ich mich vor dir.

Er beugt ein Knie.

Ormann.
Versteh' ich recht, lebt hier ein weißer Mann,
der deine Zunge unsre Sprache lehrte?
Ist's dir genehm, erzähl uns mehr von ihm.

Amaru.
Von ihm erzählen soll euch Amaru?
Er wird von ihm erzählen, Amaru
wird euch von ihm erzählen, doch zuvor
verbindet euch mit Eiden und Verträgen
dem Rachezuge Amarus.

Ormann.                                 An wem
will Amaru, der Krieger, Rache üben?

Amaru.
Er will die Priestermaske von der Stirn
des weißen Satans reißen, Amaru
will zeigen, daß er nicht ein Gottessohn,
vielmehr Sohn eines geilen Hundes ist.
Er will den geilen Hundesohn vom Thron
des Landes stoßen.
    (Er zieht ein hölzernes Götterbild hervor.)
                                Hier ist Nama,
ist die allmächt'ge Rachegottheit Nama.
Unüberwindlich ist der Dämon Nama.
Wie Sand am Meer sind meine Jaguare,
sind meine Adler, die zu Nama sich
verschworen haben. Ob du aus der Sonne
heraufgestiegen oder aus dem Meer
emporgetaucht oder du nur ein Mensch bist,
vermische Blut mit meinem Blut, sprich Nama,
vollziehe mit uns die Gebräuche und
führe uns wider den Verfluchten! Er
stürze köpflings ins Meer der Finsternis.
Und dann sei Herrscher dieses Landes, nimm
den leeren Thron für dich, sagt Amaru.

Die Krieger Amarus schlagen an die Schilde und erheben ein begeistertes Geschrei.

Ormann.
Affen und Papageien meines Schicksals:
wer treibt so fürchterlichen Spott mit mir?

Amaru.
Es ist nicht Spott, hier tröpfelt rotes Blut,
zum Schwure tropft's vom Arme Amarus.
Geritzt hat Amaru den Arm zum Schwur,
und Wolfsfraß oder Geierspeise wird,
wer nur um Haaresbreit' von solchem Eid
abweicht.

Dello.             Hier ist ein Messer, Prinz, nur flink,
und ritzt Euch. Wie man's macht, das wißt Ihr ja
vom ersten Male her noch sicherlich.
Was, Hölle, wäre hier zu überlegen?
Ihr lagt im Grab, die erste Schaufel Erde
kam schon herabgeschollert über Euch.
Ihr hörtet schon den Totengräber rülpsen
und seine Branntweinflasche glucksen. Ist's so?
Mit einem Ruck speit Euch der Tod ins Leben,
Ihr fliegt, Ihr brüllt im Flug vor Wonne auf
und sitzt auf einem Thron, wie festgenagelt.
Schön! Brav! Schon habt Ihr Euer Blut vereint.
Geschehn: Ihr seid für Tod und Leben Brüder.

Ormann.
Des Satans Macht ist furchtbar. Eben noch
dacht' ich, Gott habe mir mein Ziel gesetzt,
statt dessen setzt der Teufel mir ein andres.
Und Gott nahm eben einen Bruder mir –
Astorre, o Astorre, lichter Seraph! –,
damit der Platz für einen schwarzen Sohn
der Hölle frei wird.

Amaru.                         Sage Nama!

Ormann.                                             Ja!
Ich sage Nama, schwöre Nama, ja!

 


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