Gerhart Hauptmann
Hamlet in Wittenberg
Gerhart Hauptmann

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Fünfter Akt

Erste Szene

Das hohe Schlafgemach mit Prunkbett in der Fachusburg wie in der ersten Szene des vierten Aktes.

Musik schallt zu den offenen Fenstern herein.

Eine schwüle Mondnacht.

Fachus, Wilhelm und Horatio.

Wilhelm. Keine Angst, meine Freunde! Es ist nicht zu befürchten, daß Hamida uns überrascht. Sie ist mit Felix bei der Musik und den Tänzen unten im Garten. Die Wendeltreppe zählt hundertfünfzig und mehr Stufen bis hierherauf.

Fachus. Ich kann mir nicht helfen, ich bin unruhig. Nicht wegen der Sommerlust, die nicht enden will; nicht wegen des ungeheuren Verbrauchs an Wachskerzen, der die Fachusburg Nacht für Nacht wie das Schloß eines Zauberers aus allen Fenstern und nach allen Himmelsrichtungen strahlen macht; auch nicht wegen des fahrenden Volks und der ab- und zuströmenden Wittenberger Studentenschaft, die mit Gesang pokuliert und mit ihren Eintagsbräuten im Tanz den Rasen zertritt: sondern aus vielen andern Gründen. Weder ist das Befinden des Prinzen danach, diese Unruhe zu beschwichtigen, noch das Verhalten dieser Zigeunerbraut noch der Ausgang, der bei diesem allem zu fürchten ist. Denn, so unglaublich es ist: Hamlet denkt das Mädchen zu heiraten.

Horatio. Ich kann euch sogar noch mehr sagen. Wenn Hamlet nach wenigen Augenblicken – von Wittenberg zurückgekehrt – das Schloß betritt, ist er bei Philipp Melanchthon gewesen, horribile dictu: um ihn zu seiner Trauung mit Hamida zu bewegen.

Wilhelm. Erinnern wir uns an den Schwur, den wir auf Horatios Schwert geleistet haben.

Fachus. Ja, erinnern wir uns, es tut not! Wer eine Witterung hat und übrigens auf das Verhalten von Rosenkranz und Güldenstern in einem tieferen Sinne zu achten fähig ist, der verhehlt sich nicht, daß der Prinz bald genug in die Lage kommen kann, einige achtsame Köpfe und entschlossene Degen zu brauchen.

Wilhelm. Die Königin, wie man sagt, sei im Anzuge, begleitet von dem Bruder des Königs, Claudius.

Horatio. Ich möchte einstweilen nicht glauben, daß es so ist. Wenn Rosenkranz davon spricht und die Ankunft von Hamlets Mutter in nahe Aussicht stellt, so bietet jedesmal Güldenstern heimlich beliebigen Zuschuß an Münze an, damit wir nicht etwa gehindert werden, das wüste Treiben fortzusetzen. Ich weiß leider zu genau, es gibt Leute am Hofe zu Helsingör, die hoffen, Prinz Hamlet gehe darin zugrunde.

Wilhelm. Darum: »Bis hierher und nicht weiter!« soll unser Wahlspruch sein.

Fachus. Ich habe zu allem die Hand geboten: aber bis hierher und nicht weiter, jawohl!

Horatio. Etwas ist übrigens faul im Staate Dänemark.

Wilhelm. Etwas ist faul, so dort wie hier. Laßt uns zunächst mit dem rücksichtslosen Messer des Feldschers die faule Stelle aus unsrer Gemeinschaft herausschneiden. Unsere Gesundheit und Hamlets Leben hängt davon ab.

Fachus. Kophetua und das Bettelmädchen; vergeßt nicht, daß er noch immer in diesem Märchentraume befangen ist, und nicht die Gefahren des jähen Erwachens.

Wilhelm. Träume muß man in der Gewalt haben, weil sie ohne das Krankheit sind. Wir müssen Proteus durchaus gesund machen. Und dazu gehört, wie gesagt, der Schnitt des Wundarztes. Es ist nicht zu ändern, wer, wenn hier der Prinz und dort die Ägypterin in Frage steht, zunächst bluten muß. Ich wette, daß sie Kophetua schmählich betrügt.

Fachus. Ich bezweifle es zwar, aber gib deine Anhalte.

Wilhelm. Soll ich euch eine Empfindung mitteilen? Nicht erst seit gestern kommt es mir vor, als ob unsre erdenferne, traum- und weinselige, liebestaumelige Fachusburg von bösen Teufelsaugen belauert würde und als mischten sich gelegentlich Diebspfiffe in die Unkenrufe des Schloßteiches. In der Stille machte ich diesen und jenen unsrer Diener darauf aufmerksam, aber sie konnten nichts herausbringen. Einmal – Proteus war nicht im Haus – sah ich etwas Körperloses im Gange vor mir vorbeihuschen. Als ich's aufs Korn nehmen wollte, war es nicht mehr.

Fachus. Demnach wäre es spurlos verschwunden?

Wilhelm. Spurlos wäre zuviel gesagt. Ein seltsamer Duft war zurückgeblieben, dem ähnlich, der einer Wolke gleich uns entgegenschlug, als – ihr erinnert euch – damals im Wirtshaus Zum Pilgerstab Zigeuner in die Gaststube eindrangen.

Fachus. Du behauptest also wie manche, es gäbe einen besonderen Zigeunerduft? Es ist aber außer Hamida nie und von niemand ein Mitglied dieser Nation in der Burg gesehen worden.

Wilhelm. Außer in einem unklaren Fall, der in jüngstvergangenen Tagen nach Mitternacht sich ereignet hat. Ein Wachtmann will eine Erscheinung gesehen haben, die hinter einem niederen Notpförtchen im hintern Wachtturm verschwand. Als er ihr nachdrang, schlüpfte ihm etwas aalglatt zwischen den Beinen ins Freie. Er beugt sich hinter das Kopfende des Prunkbettes und zieht eine lange seidne Strickleiter hervor. Und was ist dies? Wie soll man es ausdeuten?

Fachus. Ich kann dich beruhigen, lieber Freund. Dies ist eine seit fünfzig und mehr Jahren zum Schlosse gehörende seidne Strickleiter, die mein Vater verfertigen ließ. Er dachte an Schloßbrand und ähnliche Zufälle, bei denen nur noch die Flucht durch das Fenster möglich ist. Er schlief nicht, wenn er das Ding nicht bei der Hand hatte. Man hört Stimmen. Hamida! Legen wir das Gerät zurück.

Wilhelm. Ja, aber laßt uns die Ohren steifhalten!

Alle drei ab.

Hamida und Felix kommen. Hamida, prunkvoll gekleidet, sinkt auf einen Stuhl, hält die Hände vors Gesicht und weint.

Felix. Weinst du vor Glück, du Glücklichste der Menschen?

Hamida. Nicht! Weder Glück noch Unglück ist mein Los,
nur Gram.

Felix.               Was gäb' ich nicht für deinen Gram,
für deine Schwermut, die des Prinzen Liebe
nur immer mehr entflammt!

Hamida.                                       Oh, arme Felix!
Gern gäb' ich meine Reichtum ab an dir
mitsamt der edle Prinz. Was bin ich? Nichts.
Gefangne bin, ist auch voll Lärm mein Kerker.
Was geht mich Lärm an, der die Ohren weh tut?

Sie klopft mit dem Fingerknöchel an die Mauer.

Klopf hier, klopf da: Huh! dick die Mauer ist,
als wär' ganz Welt nur Mauer, Mauer, Mauer.

Felix. Der Prinz hat dir geschworen, wie er sagt,
du könntest gehn und kommen, wie du willst.

Hamida. Sind Worte, Felix. Doch wo sollte hingehn?
Bin ausgestoßen von dem »Eisernen«
und werde angespieen von mein Volk.
Mag's doch! wär' lieber mir zehntausendmal,
als Kavalier mir Hand küßt.

Felix.                                           Armes Ding!

Hamida. Wer ist, mit reden kann in diese Burg?
Spricht Stein? spricht Holz? spricht garstig bärt'ges Maulwerk?
Versteh' nix! Wenn versteh', so gut wie Bellen
von Hund. – O weh, wie schmerzt die samtne Sohle mich!
Und wieder dann ich froh bin, daß sie schmerzt:
denn nackte Füße lechzt nach spitzer Stein.
Und Straß', die nirgend endet, zieht mich, reißt mich
in Sonnebrand, nach heiße Staub, nach Guß.
Macht schmutzig mich Natur und wascht mich rein:
wie's kommt. Kein Ziel nicht! Ziel nur hinter Ziel.
Wo sind, sind fort; was hält, nur Stock und Galgen:
bei Karren bin ich auf die Welt gekommen,
und unter Karren will ich sterben, Felix.

Felix. Du weckst Erinnerungen in mir auf.
Auch ich lief meinen Eltern fort bei Nacht
und Nebel. Unbezwinglich war der Trieb
ins Weite und nach Deutschland, wo die Sterne,
die neuen, winkten und der große Stern
sich überm neuen Bethlehem erhob.
Zu Cordoba, wo ich geboren bin,
hat in der Vorstadt eine alte Frau
für Geld zu einem Mann mich umgezaubert.
Sie gab mir Hose, Hemd und Überrock,
färbte mir Haar und Antlitz schwarz und gelb,
bis ich für einen Spielmann gelten konnte
von eurem Volk. Und mit der Fiedel, die
ich leidlich strich, half ich mir leidlich fort.
Spricht man mit dir, so ist es fast, als zucke
einem die tote Wanderlust im Blut
und wolle wieder aufbegehren. Proteus
hat mir's bestätigt. Denn so geht's auch ihm:
es ist, als riss' ihn etwas mit sich fort
ins unsichtbare Flußbett deines Volkes.

Hamida. O arme junge Prinz! Denn Prinz ist jung,
ich alt. Ich tausend Jahre alt und mehr,
oder ganz ohne Jahre, ohne Zeit.
Er spei' mich aus wie wurmzerfreßne Frucht.

Unruhig

Was bellt die Hunde, Felix, sag, im Schloßhof?

Felix. Es mag der Prinz sein, der von Wittenberg
zurückkehrt.

Hamida.             Nicht die Prinz! Ist nicht die Prinz!
Er schwur mich: habe wichtige Geschäfte
und soll bis morgen abend mich gedulden.
Oh, liebste Felix, wie bin ich allein!

Felix. Sei ruhig, Freundin, denn ich bleibe bei dir,
solange dein Geliebter nicht erscheint.
Doch man erwartet ihn bestimmt, weil heut
der Namenstag des Königs Hamlet ist,
des Vaters unsres Prinzen, und mit einem
Bankett gefeiert werden soll im Remter.

Hamida. Will nicht kein Ende finden das Gelag.
Ich schließe Tür. Tu mir die Liebe, Felix,
und halte schwarze Prinz heut von mir weg.
Halt von mir weg die Prinz: will schlaf, bin müde.

Felix. Wer müßt' ich sein, sollt' ich die Macht besitzen,
es zu versprechen nicht nur – es zu tun.

Hamida. So tu zum mind'sten, was du kannst, mein Felix.

Felix. Vielleicht, daß seine eigne Neigung, Mädchen,
dem Wunsche, den du hast, entgegenkommt.
Es ist mir so, als wäre Hamlets Sinn
in letzter Zeit ein wenig abgewendet
und mehr dem großen Weltlauf zugekehrt.

Hamida. Hör, wie die Kauz revieren um der Burg:
bringt Unglück. Gestern brummte Schmetterling,
heißt Totenkopf, mir in das Haar:
bringt Unglück. Warf ihn weg durchs Fenster: brummt
heut morgen wieder bös auf meine Hand.
Huh! Schüttle ab, war abend wieder da.
Bringt Unglück. Fing in Nacht drei Fledermaus:
bringt Unglück. –
Ich will nicht sehen Mond! Macht wild, macht krank.
Zieh Vorhang zu.

Felix tut es.

Felix.                           Der Mond hat einen Hof,
wie seltsam. – Liebst du Hamlet?

Hamida.                                               Glaube schon.

Sie fällt plötzlich Felix zu Füßen und umklammert seine Knie.

Nur heut nicht, Felix. Felix, nein! nur heut nicht!

Felix. Was ist mit dir, du zitterst, fliegst, Hamida?
Dein ganzer Körper schluchzt.

Hamida.                                           Weil elend bin,
bin elend, elend, elend!

Felix.                                     Wie denn das?
Weil dich der edelste der Männer liebt,
ein Königssohn, ein Jüngling ohnegleichen?

Hamida faßt sich, beinahe trocken.
Hast recht! Nicht wert bin! Nur Zigeunerin,
nicht Vater hat, nicht Mutter, auch nicht Volk,
Geliebte nicht: warum? Weil nicht verdient.
Verdien' nur Schläge, Krallengriff und Rachen
von Raubtier. Gut. Laß mich allein.

Felix. Bleischweren Herzens, wenn es sein muß.
Doch schwör mir . . .

Hamida.                             Was?

Felix.                                             Nun, daß du nichts dir antust.

Hamida hebt die Hand.
Ich schwör'!

Felix.                   Du schwörst! Und so hab gute Nacht!

Felix geht.

Hamida ist allein, sie schließt sämtliche Türen und horcht an ihnen. Dann tritt sie in die Mitte des Zimmers, lockert ihre Kleider und dehnt sich. Dabei spricht sie, halb singend.

Hamida.
      Leute stehen hinter Tür,
      zu sehen, was wir tun.
      Ich hass' dich nicht,
      gelt's gleich den Tod.
      Und sind auch sieben Kavalier'
      und tanzt auf sieben Schwertern auch
      mein blutend Herze, siebenmal
      durchstochen, bleibt's doch dein.

Man hört ganz nahe vor dem Fenster den gewaltigen Schrei eines Uhus. Hamida schrickt zusammen.

Er ist!

Hastig und scheu zieht Hamida die Strickleiter hervor, macht sie fest und wirft das Ende aus dem Fenster. Sie selbst beugt sich darüber hinaus.

Lischka! – Er hat gelogen, er ist feig!
Leiter ich zieh' zurück! Es ist sein Tod! –
Nein, nein! – Was Tod! Bloß diese Nacht, dann tot! –
Die Nacht bloß! – Mag uns beide miteinander
Fachus ermorden oder Wilhelm! – Ich
hab' Furcht! Geh' Bett. Mag kommen, was da will!

Sie legt sich zu Bett und zieht die Decke über sich. Lischka, schattenhaft, steigt durchs Fenster ein. Er führt einen Dolch, nähert sich vorsichtig dem Bett.

Nein! Schatten! Nichts! Nein, nichts, du bist nicht Lischka!

Lischka, Ich bin's! Bin stumme Schatten, doch lebendig!
Allein?

Hamida.     Ich bin allein.

Sie springt aus dem Bett.

                                  Ist abgeriegelt!
Sind sicher!

Lischka und Hamida liegen einander in den Armen.

Lischka danach aufatmend.
Wir überrascht, tot mach' ich dich und mich!

Zeigt seinen Dolch.

Doch sonst heißt fliehn!

Hamida.                               Ich kann noch immer nicht!

Lischka. So vor fünf Tag gesagt, so vor drei Tag.
Heut oder nie! Ich muß aus Gegend fort,
weit fort, weit fort! Paulus hab' kaltgemacht,
tut Paulus dir nichts mehr. Ist schwarz von Fliegen.
und stinkt im Straßengraben Galgenhund.

Hamida. Hast mich erkauft, bin dein! Hast mich erkauft
mit Rachewort an Schurke. Komm zu Bett jetzt,
zu Bett, zu Bett. Lieb' niemand so wie dich!

Lischka. Hab' Plachenwagen, Mida, komm! und Pferd,
hübsch Gaul, hat Mutter Brakka mir vermacht,
viel Federbett, viel Kleid, viel schöne Schmuck!
Wird wohl sein, wenn du Räder knarren hörst.
Komm mit! Bin rein! Bin wieder Glied von Stamm!
und du mit mich, wenn endlich meine Frau.

Hamida. Greif hier hinein! nimm Hände voll Dukaten,
dann geh – und übermorgen komm' mit dir.

Lischka. Jetzt, jetzt, Hamida, oder . . .

Hamida.                                               Nein, noch nicht!

Es wird heftig gepocht.

Was wollt ihr? Hier ist Fraungemach, geht weiter!

Fachus' Stimme. Schätzchen Hamida, hast du wohl Besuch?
Schätzchen Hamida, schwarze Rosenbraut,
es wünscht der Prinz, du mögest uns beim Mahl
die Ehre geben und Fandango tanzen.

Hamida laut. Ist bei Verstande Prinz? Ich glaube, nein.
Bin todmüd, und ist Mitternacht vorüber.

Fachus' Stimme. Mach auf!

Hamida.                                 Ich rufen Hilfe, eh ich aufmach'!
Laßt mir mit Frieden! Ihr seid trunken, geht!

Fachus' Stimme. Mach auf! Ich hab' mir's in den Kopf gesetzt,
dein Elsternnest einmal zu inspizieren.

Wilhelms Stimme. Was tust du, Fachus! Rosenkönigin,
uns hat der Wein ein wenig toll gemacht!
Schlaf unbesorgt und ungestört! Gut' Nacht!

Fachus' Stimme. Zigeunerin, mach auf und schlaf dann weiter!
Die Rosenzeiten zwischen uns sind aus!
Ich bin der Burgherr! In den Gängen schnüffeln
die Rüden. 's ist nicht Alexanderduft,
den sie aufnehmen, sondern der von deinem
verfluchten Diebsvolk. Auch ich habe Wind
von ihm bekommen, und ich wittre Unheil.

Hamida. Ruf mich die Prinz! Er wird dich zeigen, Junker,
ob du mich so behandeln darf!

Fachus' Stimme.                             Der Prinz,
das ist es eben, ist mein Schutzbefohlner.
Es darf ihn niemand kränken. Wer ihn kränkt,
beleidigt zehnfach mich. Kein Ungeziefer
leid' ich im Haus, solang er es beehrt
mit seiner Gegenwart. Wer seinen Glauben,
wer sein Vertrauen, seine Liebe täuscht,
der muß es büßen. Also öffne! Zeig,
daß deine Kammer rein wie deine Seele
und deine Seele wie die Kammer ist.

Hamida. Ruf Hilfe Hamlet, wenn du nicht davongehst!

Fachus' Stimme. Und aus den Angeln hebe ich die Tür,
wo du nicht aufmachst und nicht kommst und tanzt!
Proteus willfahrend, dessen Düsternis
nach deiner Freude lechzt.

Hamida.                                     Ich werde kommen,
doch schweig jetzt still und geh!

Fachus' Stimme.                               Nicht ohne dich!

Wilhelms Stimme. Ich rate dir, tu auf, mein schönes Kind!
Denn eigensinnig macht ein guter Trunk,
hartnäckig bis zum Wahnsinn.

Fachus' Stimme.                           Und ich schlage
die Tür zu Splittern vor Hartnäckigkeit,
gebrauche Worte, Bübin, dich zu treffen,
ganz wie der Gottesmann in Wittenberg,
ob sie mich morgen reuen oder nicht!

Er schlägt gegen die Tür.

Lischka blitzschnell durch das Fenster über die Strickleiter ab. Hamida beugt sich hinaus und wirft ihm, nachdem sie weiß, daß er den Boden erreicht hat, die Strickleiter nach. Es wird fortgesetzt hartnäckig gepocht, und nun entriegelt Hamida die Tür. Fachus und Wilhelm treten ein. Sie blicken sich überall um, dann knien sie galant mit entblößten Degen.

Fachus. Nun, hohe Rosenkönigin, verzeiht,
denn unsre Furcht war Torheit. Narrheit war,
was an Verdacht sich in mir regte: Roheit
die Art, wie ich in Euren Schlummer eindrang
und Euch mit Wort und Tat begegnet bin.
Verzeiht und tut dem Prinzen seinen Willen!

Hamida. Ich komme, geht voran!

Fachus und Wilhelm erheben sich.

Wilhelm halblaut.                             Was sagst du, Fachus,
zu diesem Duft, der das Gemach erfüllt?
Als hätt' ein wildes Tier sich eingeschlichen
und eben erst vor uns davongemacht.

Fachus. Dich reiten Einbildungen, bester Wilhelm.

Wilhelm beugt sich zum Fenster hinaus.

Wilhelm. Wir wollen sehn!

Er ruft in die Tiefe

                                    Ist es im Lot?

Stimmen von unten.                                   Jawohl!

Wilhelm. Der Fuchs im Garn?

Stimmen von unten.                 Der Fuchs im Garn, jawohl!

Wilhelm. Wer ihn entwischen läßt, den holt der Tod!

Hamida. Was soll das alles heißen? Ruft der Prinz?
Ich will beklag mich vor die edle Herr
und mein Geliebter, was Ihr an mich legt
Hand an und mich besudelt mit Gemeinheit.

Wilhelm. Reich deine braunen langen Finger, Bübin,
und hier, zwei kühle Reifen, breit, von Eisen,
verbunden durch ein Kettlein, sollen dich
dem holden Brautbett des Verlieses sichern,
wo man dich schuldig findet des Verrats.

Hamida läßt sich fesseln.
Kein Wort mehr über meine Lippen geht,
wenn Lumpenpack von Ritter, was sich Mann nennt,
an einem schwachen Weibe sich vergreift.

Wilhelm. Es wird sich alles wenden, Königin,
wenn dennoch deine Unschuld sich erweist.

 

Zweite Szene

Der Remter der Fachusburg.

Eine Hufeisentafel ist gedeckt, nur an der äußeren Seite mit Gedecken belegt. Vom Inneren der Hufeisentafel aus wird später bedient.

Vor einem großen Kamin steht Hamlet. Er hält lange Holzsplitter ins Feuer und schärft dann mit dem Messer ihre verkohlten Spitzen. Nachdem er dies eine Weile fortgesetzt hat, erscheint Horatio.

Horatio. Welcher sonderbaren Beschäftigung unterziehst du dich da, mein Proteus? Schneidest du Kienspäne?

Hamlet. Nein, Speere für meine Myrmidonen.

Horatio. Mit wem willst du denn Krieg führen, Proteus?

Hamlet. Mit allen meinen zukünftigen Feinden. Ich werde deren genug haben!

Horatio. Komm zu dir, Proteus! Proteus, du träumst!

Hamlet. Mag sein. – Höre, Horatio! Mir ist eine große Ehre zuteil geworden: mein König und Vater sieht sich zum erstenmal nach mir um.

Horatio. Wie wäre das wohl zu verstehen, Prinz?

Hamlet. Nicht leicht. Es ist äußerst schwer zu verstehen. Meine Mutter wollte mich besuchen. Erinnere dich! Heut tat es dafür überraschenderweise mein Vater.

Horatio. Bei meinem Eid! Ich versteh' Euch wirklich nicht.

Hamlet. Freund, deine Hand! – Wir wollen dieser Spieße
im rechten Augenblicke uns erinnern!
Einstweilen mögen sie verlodern, zwecklos.

Er wirft sie ins Feuer.

Sei nicht erschreckt, wenn ich ein wenig wirr
und sprunghaft rede! Es tut wohl,
des Freundes Schulter sich im Arm zu fühlen.

Sie gehen Arm in Arm auf und ab.

Gewähr mir diese Wohltat: und noch mehr.
Ich muß dich sprechen, muß mich stützen können
auf dich, mit dem beladen, was wie Blei
sich meiner Seele auflud und sie fast
erdrückt. Seltsame Wandlung, wie der Sprung
von einem unsichtbaren Raubtier fast
so jäh. Man hört und riecht der Bestie Atem
und sieht und hört doch wiederum auch nichts.
Hör, Bruder, wie mein eigner Atem geht . . .
Und kurz, mir war noch nie so übel, nie
so anders als sonst, wie heut. –
Es traf mich auf der Straße, als ich mich
besprochen hatte mit dem Gottesmann
Melanchthon, traf mich, wie ich dir gesagt,
so daß ich bebend auf der Gasse stand
und weder vor- noch rückwärts einen Schritt
zu machen mir getraute. – Still! Wer kommt?
Niemand. Nun gut. Was war geschehn? Ich weiß nicht.
Die Gassen Wittenbergs erschienen mir
Ruinen einer ausgegrabnen Stadt,
seit tausend Jahren tot: die Fensterhöhlen
wie Wohnungen von Wesen andrer Art –
lemurisch faulend –, die in Gräbern leben.
Auch selbst dies Schloß, als ich's von ferne sah
mit seinen Fenstern in die Gegend leuchten,
schien mir Bewahrer einer Feuersbrunst
des Abgrunds, Freund. Was ist mit mir? Ich weiß nicht.
Zurück nach Wittenberg! Ich stieg aufs Pferd,
ich sprach zu meinen Dienern wirres Zeug.
Wo sind wir? fragt' ich. Habt ihr das gesehen?
und das? und das? Es waren alles Dinge,
die meine Phantasie mir vorgetäuscht.
Sie sagten: Nein! Ich schalt sie, schalt sie blind
und taub und töricht. Denke dir: mir war,
als wäre meine Jugend ein Paket,
ein Ballen Ware, den ein Schnapphahn mir
entwendet, ein behufter und geschwänzt.
Ich hörte seinen Karren in der Ferne
noch rumpeln, wo er gegen eine Wand
von schwarzen Wolken schwarze Pferde peitschte.
Oh, dies Geräusch! Ein Grausen packte mich.
»Seit wann sind denn die Lüfte so voll Rauch?«
fragt' ich ein Bäuerlein, das uns begegnet.
»Ihr seid und Euer Kopf mag wohl voll Rauch sein!«
gab er zur Antwort. Doch der Schatten um mich
ward tiefer nur und tiefer. Und ich wußte,
Horatio, wer dieser Schatten war.
Und wenn er kommt, so ist er da und ist
dann unentrinnbar. Denn er ist das Schicksal!
Nun ja, wie du mich siehst, ich bin gehüllt
in meines Schicksals Schatten, bin beschattet
von einem Dämon, der das Leid erzeugt
und Tode in die Welt setzt. Sieh mich an:
ich scheine dir wie sonst und habe doch –
geschworen bei Sankt Patricks Glöckchen, das
man aufbewahrt zu Dublin – nichts mehr in mir,
was ihr Geliebten einst in mir geliebt.
Denn was ich denk' und fühle, ist Verderben,
ist Nacht, ist Tod. Nun aber höre, Freund,
bevor sich des Bankettes Taumel regt
zum Namenstage meines fernen Vaters:
Ich sah ihn zweimal auf dem Weg hierher.
Geharnischt ritt der König mir entgegen,
bis er, auf Schwerteslänge nah, verschwand.
Doch willst du glauben: in der stillen Luft
hing wie ein Spinnweb jedesmal ein Wort
sich an mich und mit leis gehauchtem Klang,
so etwa wie: Ade, ade, ade,
gedenke mein!

Horatio                   Mein Proteus, du bist krank!
Verschieben wir das Gastmahl.

Hamlet.                                             Dieses nicht!
Noch nicht. Es nehme seinen Gang, es ist
der Leichenschmaus für irgendwen, für mich,
für meinen Vater oder meine Jugend.
Denn denk, Horatio, der geschiente Heros,
des Blick mich traf aus offenem Visier –
mir war, als troff ihm von den Schläfen Blut.

Er klatscht in die Hände.

Musik, Musik! Beginne das Gelag!

Die Bankettmusik setzt ein, der Saal füllt sich mit Gästen, die Platz nehmen.

Das erste Gericht ist aufgetragen, als ein junger Bakkalaureus im Talar sich erhebt.

Bakkalaureus. Mein Wort gilt Proteus! Proteus ist ein Prinz,
und was noch mehr, viel mehr ist, mehr als das:
es weht um ihn der Hauch aus einer Welt,
die da und noch nicht da ist. Die er atmet,
ist eine andre Luft aus reinrer Sphäre
als jener, die uns nährt. Schwer ruht der Geist,
dick und gewitterschwül, auf Wittenberg,
wie einst der Gottesgeist auf den Gewässern,
die annoch lichtlos waren. Doch dies Bild,
es fahre hin. Ich sehe eine Flut –
hat Gott sie aus den Himmeln ausgeschüttet?
stieg sie grundwasserartig, von den Mächten
der Nacht emporgetrieben, aus der Erde? –
sei's, wie es sei: sie wächst, sie überschwemmt uns.
Ist es ein Strafgericht wie einst die Sintflut?
Doch da steht Hamlet! Hamlet, unser Proteus,
der unter einer neuen Flagge segelt
nach einem neuen, unbekannten Ziel.

Hamlet springt auf.
Oh, dieses Ziel ist nicht so unbekannt!
Der mag'sche Dampf, der aus den Häuptern dringt,
der Geist der Geister, die sich widerfahren,
wird in ein Haßgespenst mit blut'gen Haaren
sich schwebend bilden, mit der Fratze Krieg,
der schreiend huldigen die blut'gen Scharen:
Der zahme Zauber wird zu Blitz und Schlag,
den Brand wird der Verzweiflung Regen löschen
und Nacht bebrüten jeden Sonnentag –
nur brand'gen Weizen wird man dann noch dreschen.
Die Trauer bin ich der verweinten Welt,
der schwarze Mantel überm Himmelszelt.

Horatio der neben Hamlet sitzt.
Was ist Euch, Prinz? Kommt zu Euch! Ihr seid krank.
Ich sagt' es schon. Verlassen wir das Gastmahl.
Bringt einen Trunk auf Euren Vater aus,
und dann . . . wir wollen gehn.

Hamlet erhebt den Pokal.                 Es gilt dem König!
Es gilt dem König, meinem hohen Vater,
den hier zu sehen wir das hohe Glück
genießen.

Horatio.           Proteus, wo denn starrst du hin?

Hamlet. Auf ihn! Auf ihn! Wen sonst? Den hohen Gast
aus einer fremden Welt!

Horatio.                                 Du siehst Gespenster!

Hamlet. Ich glaub' es selbst. Ruf mir . . .

Horatio.                                                   Hamida?

Hamlet.                                                                   Nein,
ruft Felix, meinen Famulus! Ruft Felix,
daß er mit seiner Seele Tau beschwinge
mich fächle und sein weißes Federkleid,
wie oft geschah, die bösen Geister bannt.

Schnell herbeigeeilt, steht Felix neben ihm.

Felix, Hier bin ich, Proteus.

Hamlet.                               Und der Spuk ist fort.
Ich fürchte, daß ein schweres Fieber mich
befallen wird, wenn's nicht schon in mir glüht.
Wein! Wein!

Er stürzt mehrere Becher.

                      Das labt! – Wer ist der brave Mann,
der Redner, der mich eben laut gelobt?
Er sei bedankt! Und schließt den tiefen Brunnen,
schließt die Zisterne unten in der Burg,
durch die geballt die Nacht des Todes aufquillt.
Stopft sie, wenn ihr nicht wollt, daß ich ersticke. –
Da ist es wieder!

Horatio.                     Was?

Hamlet.                               Das leere Bild,
und doch nicht leer: der Schemen meines Vaters!
Nein, mehr! So, ganz so, wie er leibt und lebt.
Du kommst, mich endlich zu besuchen, statt
der Mutter! Sage, Vater, was du irgend
von mir begehrst! Dein Wort wie mein Gehorsam
und meine Tat sind eins.

Horatio zu Felix.                     Er redet irre.
Das beste ist, wir bringen ihn zu Bett.

Felix. Ruht Euch ein wenig, kommt, kommt mit, mein Prinz!

Horatio, Wilhelm, Fachus und Felix leiten den Prinzen hinaus.

Unter den Tafelnden entsteht Unruhe. Viele erheben sich und bilden Gruppen, andere bleiben sitzen.

Erster Gast. In Wittenberg geht das Gerücht, der Vater
des Prinzen, König Hamlet, sei gestorben.

Rosenkranz und Güldenstern treten ein.

Zweiter Gast. Dort kommen Rosenkranz und Güldenstern,
in Kurialien Allwissende.
Ihr Ja und Nein ist Evangelium.

Dritter Gast. Könnt ihr uns sagen, ehrenwerte Männer –
wir sind Mitschüler des gelehrten Prinzen –,
ob das Gerücht nicht lügt, wonach sein Vater
nicht mehr am Leben ist?

Rosenkranz.                           Wir wissen's nicht.

Güldenstern. Mag sein, mag nicht sein. – Doch wo ist der Prinz?

Erster Gast. Ihm war nicht gut, und sein Betragen schien
recht fremd. Er hat sich nun zurückgezogen.

Horatio erscheint wieder.

Horatio. Der Prinz ist wieder ganz der alte, Freunde!
Er hat sich überanstrengt, weiter nichts.
Ah, da sind Rosenkranz und Güldenstern.

Rosenkranz. Wir würden gern den Prinzen Hamlet sprechen.

Horatio. Was bringt ihr?

Rosenkranz.                 Euch allein ins Ohr geraunt
wie in ein Grab: Zu Helsingör ist Trauer.
Der Tod hat König Hamlet hingerafft,
ganz plötzlich, und die Kön'gin trägt bereits
den Witwenschleier.

Horatio. Nicht möglich! Dieser Fall ist ungeheuer! –
Wieso, erfahrt ihr zu gelegner Zeit.
Er wächst ins Unbegreifliche hinüber
wie nichts, was ich erlebte. – Hört mich an . . .

Hamlet, zum Kraftvollen verändert, kehrt mit Begleitung wieder.

Zu spät! Dort eben kommt der Prinz zurück
und nimmt auf seinem alten Sitze Platz.
Schon hat er euch entdeckt, er winkt, er ruft euch!

Hamlet. Habt ihr an euren Kleidern schwarze Flöre?
Willkommen, Rosenkranz und Güldenstern.

Rosenkranz. Nein, noch verrät kein äußres Zeichen, Prinz,
die Trauer, welche unser Herz verdüstert.

Hamlet. Da irrt ihr euch, ich sehe mehr als ihr!

Fachus und Wilhelm treten ein, gefolgt von Soldaten, die Lischka gebunden hereinführen.

Was bringt ihr da?

Erster Soldat.               's ist ein Zigeunerbursch,
den wir am Fuß des großen Turms gegriffen.
Er stieg aus einem Fenster, und hier sind
die Stricke, die man ihm von dorther nachwarf.

Hamlet. Aus Spiel wird Ernst, aus Narretei wird Schicksal!
Wo sah ich, Knabe, dich zum erstenmal?

Lischka. Du sahst mich niemals, und nie sah ich dich.

Wilhelm. Es ist der Lischka, dem im Pilgerstab
das Armgelenk zerschlagen wurde, der,
den von den Stadtsoldaten du befreitest.

Lischka. Er lügt! der bin ich nicht!

Wilhelm.                                         Du sagtest, Prinz,
der Ernst beginne: mög' es dir gefallen,
König Kophetua, die Königin
zu fragen, ob der Bursche Lischka ist.

Hamlet. Nein, mordet ihren Schlaf nicht! Wenn wir wachen,
so tun wir's, weil im Schoß der schwarzen Nacht
der Geist Gestalt gewinnt mehr als am Tage.

Wilhelm. Dann frag' ich dich: Kennst du Hamida?

Lischka.                                                                 Nein.

Wilhelm. Nein? Hast sie nie gesehen?

Lischka.                                               Nie und niemals.

Fachus. Und legt man einen Strick dir um den Hals
und sagt: Wenn du die Wahrheit sprichst, so lauf,
sonst baumle! Was wird deine Antwort sein?

Lischka. Ich werde lügen, um zu leben, und
gestehn: Ich kenne sie.

Wilhelm.                               Durchtriebner Schuft,
du wirst trotzdem dem Stricke nicht entlaufen.

Hamlet. Genug! Vernehmt ihn zu gelegner Zeit.

Wilhelm. Nein, jetzt! Ich will, daß unserm edlen Proteus
die Schuppen von den Augen fallen und
er selbst dem Mummenschanz ein Ende macht.

Hamlet. Dem Mummenschanz ein Ende machen? Dies
geht über Menschenkraft und über meine.
Allein, ich bin in einen andren Bann
geraten und in einen andren Block,
im ungeheuren, blut'gen Faschingstreiben
der wirren Menschenwelt, in der wir atmen.

Fachus. Wir pflegen schnell zu richten auf der Burg
in solchen Fällen: Und so werft den Gaudieb
dort, wo er eingestiegen, aus dem Fenster.

Hamida stürzt herein und steht plötzlich neben Lischka.

Hamida. Ja, tut das! tut das! doch nicht ohne mich!
Nicht wahr ist! Lischka kennt mich, und ich kenn' ihn!
Wir sterb gemeinsam! Besser ist, als leben
in goldne Käfig die Gefangenschaft.

Trompetenstoß.

Der Schloßhauptmann tritt ein.

Schlosshauptmann. Der Wächter ruft vom Turm. Es kommen Reiter.

Ab.

Hamlet. Ich wette: Boten sind's von Dänemark.

Fachus. Vor allem sprich: Wie dünkt dich hier mein Richtspruch?

Hamlet. Wenn du das Fenster öffnest, Balthasar,
um beide in die Nacht hinauszustürzen,
so werden sie auf Flügeln dir entgleiten,
auf denen sie der Liebesgott entführt. –
Löscht dieses Bild von meiner Tafel aus,
die Leere schreckt mich nicht. Der aber zöge
sich meinen wilden Haß auf ewig zu,
der mich wortbrüchig machte und den Weg
Hamidas in die Freiheit ihr verlegte,
den meiner Liebe Jugend ihr verbürgte.

Hamlet bemerkt ihre Fesseln, geht zu Hamida, schließt die Handschellen auf und schleudert sie fort, ohne das Mädchen anzublicken.

Geht! Seid dem Raum, der Nacht, dem Nichts geschenkt,
ihr beiden, und lebt wohl auf ewig!

Hamida.                                                   Willst
du letzten Blick nicht schenken, schwarze Prinz?

Hamlet, im Weggehen, wendet sich nicht um.

Fachus. Hinaus mit euch! und laßt euch nicht mehr blicken!

Hamida und Lischka flüchten, die Soldaten verlassen den Saal.

Horatio. Gebt auf den Prinzen acht, mir bangt um ihn!

Der Schloßhauptmann tritt ein.

Schloßhauptmann. Boten aus Dänemark. Sie haben Nachricht,
Herrn, für euch, Rosenkranz und Güldenstern.

Beide erheben sich und gehen mit dem Schloßhauptmann hinaus.

Hamlet. Die Kerzen sind herabgebrannt. Es riecht
versengt, und so entlass' ich euch nun alle.
Ihr kamt und bliebt und hieltet aus – ich dank'
es euch, inwährend ich den Becher
der Jugendtorheit bis zur Neige leerte. –
Wär' süßer Wermut nicht ein Unding – bittren Honig
gibt's freilich in dem Haushalt der Natur –,
so würd' ich sagen: Es war süßer Wermut!
Und schon steht mir ein neuer Kelch gefüllt
mit einem schwarzen Trank, der gärt und raucht
und muß getrunken sein.

Alle.                                         Prinz, Gott beschütz' Euch!

Die meisten außer Horatio, Fachus und Wilhelm verlassen den Raum.

Hamlet. Nun wohl, im Sieb zurückgeblieben seid,
im traurigen Goldwäschersieb des Hamlet,
ihr goldnen drei! Bleibt bei mir! Und vernehmt:
Mein Vater lebt nicht mehr. Nein. Er ist tot.

Rosenkranz und Güldenstern, sehr bleich, treten ein.

Ein schnellrer Bote hat mich unterrichtet.
Macht's kurz! Bestätigt mir, was ich schon weiß.

Rosenkranz. Was wißt Ihr, Prinz?

Hamlet.                                           Nun, daß mein Vater tot ist.

Güldenstern. Es ist so. Euer Vater lebt nicht mehr.

Hamlet wankt.
Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem:
Ich werde seinesgleichen nimmer sehn.

Wilhelm. Nicht schwach, Prinz Hamlet, in dem Augenblick,
der alle, alle Eure Kraft verlangt!

Hamlet. Seltsam! Ich wußte, und ich wußte nicht.
Nun weiß ich. Und ich glaubte nur zu wissen.

Fachus. Größres als Trauer ziemt dir jetzt, Prinz Hamlet!

Hamlet. Mir das zu sagen, Freunde, tut nicht not.
Ich wollte andres, als mir Ahnung kündet.
Nicht Fäulnis schneiden aus des Staates Körper,
aufräumen nicht den Wust von Schuld und Blut,
vielmehr errichten einen neuen Bau:
mag sein, wie Romulus mit Schwert und Kelle,
doch mit dem Cherub Gottes an der Seite,
der seiner tiefsten Liebe Vollmacht trägt.

Fachus. Löst die Geschütze, denn die Fachusburg
beherbergt einen König, Dänenkönig!
Wir grüßen knieend als die ersten dich!
Verfüge über unser Schwert und Blut!
Zum Ruhme Dänmarks lebe König Hamlet!
Es lebe Hamlet! König Hamlet! Hoch!

 


 


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