Gerhart Hauptmann
Hamlet in Wittenberg
Gerhart Hauptmann

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Zweiter Akt

Erste Szene

Der Ratssaal mit vielen Lichtern und buntem Gewimmel. Irgendwo, seitlich oder in weit geöffnetem Nebenraum, die Prunktafel des Kurfürsten. Man sieht ihn selbst daran sitzen und die geladenen Honoratioren. Musik.

Ein Erker. Im Erker Hamlet und Horatio.

Man tanzt gerade eine Art von Menuett.

Horatio. O Proteus, Proteus, schließen wir die Augen
vor so viel Festglanz!

Hamlet.                             Dies ist Blendung nur,
ein greller Stich ins Dunkel meiner Seele.
Ich blinzle, schließe beide Augen zu,
und beide schmerzen dennoch.

Horatio. So mancher Finsterling im Röm'schen Reich
hat Grund, vor dieser Sterne Licht zu flüchten,
vor Sonnen, die das Kerkerdunkel fegen
von Haupt und Herz der Menschen: doch nicht du,
der, voll dem Geist von Wittenberg ergeben,
zwar eines schwarzen Mantels sich bedient,
allein, nur um das eigne freie Licht
des Geists zu schützen. Fügen wir uns ein
ins Tanzspiel, in den Reigen des Jahrhunderts.
Wohlan!

Hamlet.         Ich mag nicht springen! Tanze nicht
in dem Jahrhundertreigen, wie du's nennst –
die Tänzer werfen allzu tiefe Schatten! –,
und wenn ich's täte, meine Sohlen träfen
auf Messerschneiden. Laß uns flüchten, komm,
Horatio!

Horatio.       Proteus, Proteus, nimm ein Tauchbad
in dieser Lethe, das Verdrossenheit
und alle Schwermut deines kranken Herzens,
ich schwör's, sogleich hinwegspült.

Rosenkranz herantretend.                       Gnäd'ger Prinz,
Ihr seht den Fürsten . . .

Hamlet.                                 Nein.

Rosenkranz.                                 Und doch, er hat
nach Eurer Hoheit umgefragt, eh Ihr
den Raum betratet.

Güldenstern.                 Prinz, der Kurfürst Friedrich
hat eben seinen Willen kundgetan,
auf Dänmarks hohes Königshaus zu trinken.
Der Mundschenk stellt die Humpen schon bereit.
Die Courtoisie, mein bester Prinz, gilt Euch.
Es geht nicht an, Ihr dürft dabei nicht fehlen.

Hamlet. Von was denn redest du? Ich war zerstreut:
Verzeih, mein Freund.

Güldenstern                     Der Kurfürst schickt sich an,
auf Dänmark und sein hohes Königshaus
zu trinken. Alles wartet nur auf Euch,
damit Ihr, Ehr' um Ehre, Zeuge seid
des ausgebrachten Trunks und Dänmarks Dank
und Eurer Eltern Dank dem Fürsten darbringt.

Wilhelm im Tanz mit seiner Tänzerin vorüber.
Tu mir die Lieb' und wechsle die Gestalt,
Proteus, auf kurze Zeit. Leg dein Idol
Hamida in die erste beste Truhe,
klapp zu den Deckel und verschließ das Schloß
und blick dann um dich, sieh, was hier sich tut:
wo hielt sich dieser Himmel schöner Frauen
verborgen hier im neuen Rom? Selbst mir
will dieses Wunder gar nicht in den Kopf.

Hamlet zu Fachus.
Komm heim!

Güldenstern.       Ihr müßt zum Fürsten, ihn begrüßen,
wenn Ihr nicht ganz und gar der guten Sitte
entsagt habt: schwerlich wollt Ihr doch
den Landesherrn beleid'gen, dessen Schutz
und Huld Ihr hier auf Schritt und Tritt genießt.

Hamlet. Und wer verriet mich ihm? Hier bin ich Proteus,
kein Prinz, nicht einmal Däne mehr, nur ein
Student. Dies war der Sprung ins Volk, zu dem's
mich trieb aus all dem Firlefanz des Hofes.
Doch freilich, du, mein lieber Rosenkranz,
und du, nicht minder lieb mir, Güldenstern,
befolgt den Auftrag meiner teuren Mutter,
mich immer wieder an mein Mißgeschick,
das mich zum Prinzen machte, zu erinnern. –
Wohlan, so bin ich also nun ein Prinz,
und wenn es sein muß, gehn wir denn zum Fürsten.

Er wird im vielen schönen Frauen im Vorübertanzen mit Blumen beworfen.

Erste schöne Frau.
O weh, der schönste Mann im ganzen Saal,
er prunkt mit einem Sargtuch um die Schultern.

Blumenwurf.

Erstes schönes Mädchen.
Ein Jüngling, schöner noch als Antonin,
steht kalt und finster da im Licht des Festes.

Blumenwurf.

Zweite schöne Frau.
Ein Fortunat, dem alle seine Wünsche
sich schon erfüllen, kaum, daß er sie hegt,
er steht inmitten allen Reichtums wunschlos.

Blumenwurf.

Zweites schönes Mädchen.
Ich sollte eine Nixe sein, ich zöge
den schönen Hylas bald zu mir herab.

Blumenwurf.

Dritte schöne Frau.
Ein herrlicher Apoll, jedoch in Wolken!

Blumenwurf.

Bärbe faßt Hamlet bei beiden Händen.
Mein Romeus: hier deine Julia.
Rom und Verona reichen sich die Hände.
Wo alles fleißig ist, steh du nicht faul,
mein süßer Montague. Nun, auf zum Tanz!

Sie wirbelt mit Hamlet davon. Das Paar wird allseitig mit Blumen beworfen.

Fachus tanzend.
Proteus im Blumenregen: Heil uns! Proteus!

Horatio ist im Erker zurückgeblieben. Don Pedro, festlich gekleidet, mit spanischem Kragen, kostbarem Wams, den Degen an der Seite, überaus elegant, tritt zu ihm.

Don Pedro. Was für ein Aufstand in der jungen Welt!
Was hat's gegeben, Herr, was ist geschehen?

Horatio. Ich wüßte eine Antwort nicht zu sagen:
ich müßte vorerst wissen, was Ihr meint.

Don Pedro. Ist's nicht der tränensel'ge schwarze Prinz,
den dort die kleine tolle Hohndorf umschwingt?

Horatio. Ein schwarzer Prinz, Herr, ist mir nicht bekannt,
ich weiß zu Wittenberg von keinem Neger,
von einem tränenseligen erst recht nicht.

Don Pedro. Ich meine Hamlet, Prinz von Dänemark.
Womit hat er das Hühnervolk bezaubert,
daß gackernd es mit Blumen ihn bewirft?

Horatio. Sahn wir uns schon einmal?

Don Pedro.                                         Ich wüßte nicht.
Ich heiße Juan Pedro de León.

Horatio. Und somit wäre unser Zwiegespräch
denn wohl zu Ende.

Don Pedro tritt Horatio dicht unter die Augen.
                                Seid Ihr dieser Meinung?
Wie heißt Ihr?

Horatio kehrt ihm den Rücken.

                      Herr, wie heißt Ihr? Nein, nicht Herr
Ihr könnt kein Herr sein, denn Ihr seid ein Flegel!

Horatio fährt herum, die Hand am Degengriff.

Ich heiße Juan Pedro de León.
Und wer seid Ihr?

Horatio.                       Nun wohl, ich gebe zu,
die Zwiesprach' muß nun doch ein Nachwort haben:
Ich stehe Euch zu Diensten morgen früh
am Flusse, wo des tauben Fährmanns Boot liegt.

Don Pedro. Gut, so erwartet dort den Gnadenstoß.
Der kleine Bub und Leichenbitter hier,
der wie ein Hampelmann mit Barbe wirbelt,
wird, wenn wir Euren Sarg zur Gruft begleiten,
mir sagen, daß Ihr eines Schneiders Sohn wart.
Somit: auf Wiedersehn!

Don Pedro taucht unter in der Menge.

Wilhelm tritt heftig erhitzt in den Erker.
                                        Wer war der Mensch?
Hast du den Kerl erkannt? Der Teufel soll
mich holen. Ist es nicht der Rastacouère
vom Pilgerstab?

Horatio.                     Wo hatt' ich meine Augen!
Er ist's, bei Gott! Was nun?

Wilhelm.                                     Was nun, was nun?
Zwar hab' ich Hamlet aus dem Bau gelockt
mit der Vermutung, daß er so den Räuber
des Sarazenenmädchens finden werde,
allein, ich log, in Wahrheit glaubt' ich's nicht
und war auch weit entfernt, es nur zu wünschen!

Horatio. Er haßt den Prinzen, und sein bloßes Dasein
ist ihm ein Dorn im Auge. Tun wir alles,
die beiden voneinander fernzuhalten,
denn dieser spanische Abenteurer ist
biegsam und scharf wie Toledaner Stahl
und schreckt, geübt in jedem blut'gen Handgriff,
vor niemand in der Welt und nichts zurück.

Wilhelm. Er muß mir vor die Klinge!

Horatio.                                             Zeit genug,
wenn's etwa einen Tod zu rächen gibt,
den meinen, Wilhelm. Denn mich reinzuwaschen
von der Besudlung durch sein freches Maul,
krank' ich vor Ungeduld!

Wilhelm.                               Wir führen Proteus
sogleich hinweg.

Horatio.                     Verständ'ge Rosenkranz
und Güldenstern. Nie war ich so besorgt
um des geliebten Jünglings teures Leben.

Horatio und Wilhelm verschwinden in der Menge.

Hamlet und Bärbe, vom Tanzen hochrot und erschöpft, kommen in den Erker. Bärbe nimmt Platz und fächelt sich mit einem Tuch.

Bärbe. Ihr seid ein Edelmann im kleinsten Zug,
doch besser walzen, Hoheit, müßt Ihr lernen.

Hamlet. Du bist das schönste Kind, das je ich sah,
holdsel'ge Kleine. Deine Mutter sei
gesegnet! Habe Dank für diesen Tanz,
der mich erfrischt hat, wie kein Bad es kann. –
Du trägst so schönen Schmuck: laß sehn, laß sehn! –
Die kalte Hand erwärmt sich süßen Hauchs
an deinem Hals. Wär' ich mit dir allein
doch in der Welt! Fast bin ich's ja, jedoch
so weit entring' ich noch mich der Betäubung,
um zu begreifen, Holde, wo wir sind. –
Wär' ich mit dir allein, ich brächte gleich
dem Perlmuttglanze deiner zarten Schultern,
dem süßen, meiner Lippen Huldigung.
So bleibt mir nichts, als diese tausend Blicke
zu hassen, die mich hindern.

Bärbe.                                           Tausend Augen
sind blind und sehen weniger als eins.
Dies sei Euch mein Beweis –

Sie umarmt ihn und küßt ihn inbrünstig auf den Mund.

                                                Wer sah das? Niemand!

Der Prinz ist leicht erschrocken. Sie blickt sich lachend um.

Hamlet. Du Tollkopf! Doch fast bin ich überzeugt –
nein, nicht nur fast, schon ganz! So laß uns denn
ein wenig schwelgen. Schenke deinen Arm,
den rechten, meiner Linken – und den linken
der Rechten: Himmelsglut dringt in mich ein.
Kein Zauber kommt dem sanften Spiele gleich
an Wonnen. O warum, du Holdeste,
erheb' ich dich nicht gleich zur Herzogin?
zu meiner Königin?

Er verwühlt seinen Mund in ihre Schulter, fährt dann aber scheu erschrocken zurück.

Bärbe.                           Es rast der Tanz,
und niemand kümmert sich um dich und mich,
mein schüchterner Geliebter.

Don Pedro hat sich mit dem Rücken gegen das Paar auf den Stufen zum Erker niedergelassen.

Don Pedro den Kopf wendend.
Ich lasse gern von dir mich Niemand nennen,
bildschöne Bärbe, und ich würde gern,
hätt' ich die Laute jetzt, wie oft, im Arm,
das Weiheliedchen deiner Buhlschaft klimpern.

Er steht auf und macht eine ironische Verbeugung.

Hamlet. Wer seid Ihr?

Don Pedro.                 Meinen Namen nenn' ich nicht.
Der Kreis um Euch verdient nicht, junger Mann,
daß ich nach Rittersitte ihm begegne:
und wie der Diener ist, so ist sein Herr.

Hamlet starrt ihn an.
Höchst seltsam ist der Zwiespalt meiner Seele:
In Eurem Antlitz liegt ein Widerschein
von Schönheit, der auf seine Art mich anzieht: –
sofern er schwindet, einer Maske gleich,
seh' ich das Grinsen nur des Gottseibeiuns.

Don Pedro. »Schreibtafel her! Ich muß mir's niederschreiben!«
Dafür seid Ihr bekannt.

Hamlet.                               Schreibtafel her!
Jawohl!

Er zieht das Täfelchen und den Griffel.

              Der Fall ist keineswegs alltäglich
und lohnt, ihn der Erinnerung zu bewahren,
wenn man, ein Sterblicher, den Bösen trifft.

Don Pedro drohend, die Hand am Degengriff.
Ja, sterblich seid Ihr!

Bärbe.                               Prinz, kommt fort, kommt fort!
Er hat den bösen Blick!

Don Pedro.                           Ganz recht: mit sieben
von solchen Blicken töt' ich Sankt Georgen
mitsamt dem Drachen. Doch nun, schöne Bärbe,
verlang' ich – ich verlange meinen Tanz.

Bärbe. Ich will nicht mit Euch tanzen; widerwillig
hab' ich mit Euch schon zweimal mich gedreht:
genug! Ihr tanzt nicht wie ein Kavalier.
Scham überfällt mich, wenn ich daran denke.

Don Pedro. Ein Weibsbild, das sich schämt? Dergleichen Ware
ist mir noch nie begegnet. Selbst Neuspanien
jenseit der Meere, wußte nichts davon.

Hamlet. Schwatzt wie ein Teufel oder wie ein Schalksnarr:
stultorum numerus infinitus est.
Verschweigt mir meinethalben, wie Ihr heißt,
doch seid Ihr jedenfalls der Mädchenräuber
vom Pilgerstab.

Don Pedro laut und höhnisch auflachend.
                          Ich weiß, wo Euch der Schuh drückt! –
Und weil Euch Freimut eingab, mir zu sagen,
ich sei ein Mädchenräuber, will ich gern
Freimut mit gleichem Freimut Euch vergelten:
Ihr seid kein Mädchenräuber, junger Fant,
dafür wird man grundgründlich Euch berauben!
Und das sehr bald. Denn eines ist gewiß:
Ihr seid der Mann, um alles zu verlieren.
Die Mantelfarbe habt Ihr gut gewählt,
Prinz Trauermantel, denn Ihr nehmt die Trauer
vorweg, die der Verlust von Thron und Reich
Euch binnen kurzen Monden auferlegt.
Man blickt Euch an und sieht und schmeckt und riecht,
vor allem fühlt es: Euer nahes Schicksal.
Dem Blinden drängt sich's auf. Es tut nicht not,
des Satans Sehergabe zu besitzen,
zu dem mich Euer Scharfblick stempelt, Prinz.
Dies ist nicht Euer ganzes Horoskop:
es steht viel andres noch darin zu lesen.
Doch folgst du mir, Scholar, so liest du's nicht!

Er verschwindet in der Menge.

Hamlet faßt sich ans Herz.
Verzeih mir, Kind, ich bin ein Schwächling und
ringe nach Atem in der finstren Luft,
die dieser Feind und Abgrundsgeist zurückließ.
Mir schwindet das Bewußtsein, fürcht' ich. Geh,
ruf meine Freunde.

Horatio kommt.

Horatio.                         Prinz, mein gnäd'ger Prinz!

 

Zweite Szene

Alte Gasse in Wittenberg. Nacht. Schlechtes Wetter. Hamlet, Horatio, Wilhelm, Balthasar von Fachus, Paulus und Achazius, mehr oder weniger betrunken.

Achazius. Hörst du die Wächter pfeifen, Paulus? Sie werden uns festsetzen.

Paulus. Bin ich nicht Grand-diable? Was? Bin ich nicht Paul mit der Hellebarde?

Achazius. Eben das könnte uns übel aufstoßen, wenn sie dahinterkommen.

Horatio. Kommilitonen, unsre Wege trennen sich, der unsre führt rechts, der eure links. Es sei genug, wir müssen nach Hause.

Paulus. Wir laufen euch nach wie treue Hunde. Wir begleiten euch bis ans Ende der Welt. Wir werden jedem die Hosen zerreißen, der sich euch im bösen nähern will.

Wilhelm. Wir sind unser vier; nicht nötig, Freunde.

Hamlet. Wie sind wir an diese trunkenen Vagabunden geraten, Horatio?

Horatio. Es sind die beiden Scholaren aus der Zigeunerherberge.

Fachus. Wir müssen diese Kanaillen jetzt loswerden, oder sie hängen uns wochenlang mit den Zähnen im Fleisch.

Hamlet. Gab es nicht ein Fest auf dem Rathaus zur Nacht?

Fachus. Gewiß! Und wir könnten dahin zurückkehren, da es noch immer im Gange ist. Davon raspelt und rauscht ja die ganze Stadt wie ein aufgestöckerter Ameisenhaufen.

Horatio. Wir verließen das Fest und begaben uns in den Bums, Proteus, wo wir leider die beiden Halunken auflasen. –

Wilhelm. Gib mir nun meinen Degen zurück, Bacchant.

Paulus. Einen Kuß zum Dank, aber nicht den Degen, Blutsbruder.

Wilhelm. Es ist ein Erbstück, ich schenke dir einen andern, gib!

Paulus. Nie, du müßtest denn Arm und Schulter mitnehmen! – Halt! Wir wollen die Adelheid aufstören. Hier ist, perbacco, das Freudenhaus!

Achazius. Und wo ist das Bierhaus hingekommen?

Das Pfeifen der Wächter nähert sich.

Paulus. Laßt sie pfeifen, kommt alle ins Bierhaus! Was wir saufen, zahlt der Prinz. – Wo ist es hin? Hier war immer ein Bierhaus. Wo ist es hin? Hier war doch immer ein Bierhaus!

Horatio. Kommt fort, Prinz!

Hamlet. Nein, ich muß sehen, wo es hinauswill, Horatio.

Im ersten Stock eines Hauses wird ein Fenster erleuchtet. Adelheid blickt heraus.

Adelheid. Pst, habt ihr Geld?

Achazius. Da sieh! Kann ein Kerl so gegen die Wand kotzen, alte Bettstelle, der nichts zu brechen und zu beißen hat?

Paulus mit der Stirn an der Wand. Mir ist übel!

Achazius. Soll dir nicht übel sein, Paulus, wo du von oben bis unten, innen und außen ein Übel bist?

Adelheid. Habt ihr Gulden, so will ich euch einlassen.

Hamlet. Was gibt es zu sehen in diesem Hause? Übrigens, dort aus dem Fenster hängt eine Strickleiter.

Wilhelm. Es ist eine Universität, Proteus, oder sagen wir lieber, eine Art von Lateinschule, wo man hauptsächlich über das Mal de Naples treffliche Studien machen kann.

Achazius rennt gegen die Tür. Weib, mach auf, oder ich ramme deine ganze Besatzung in den Grund!

Adelheid. Zeigt Geld, sonst kommt ihr nicht über die Schwelle.

Fachus. Unser Geld liegt bei der Alma mater pecuniarum in Rom.

Wilhelm. Wir sind von der geld- und brotlosen Fakultät, wollten gern bei dir eine Summe aufnehmen.

Adelheid. Man wird euch aufnehmen! Trillen, ihr Buben, wird man euch, daß keins von euren Schultergelenken je in die Pfanne zurückschnappen kann.

Achazius. Ich komme dir durch das Fenster hinein!

Er steigt die Strickleiter empor.

Adelheid bemerkt es und somit zum erstenmal die Strickleiter.

Adelheid. Was ist das? was ist das? was ist das? was ist das? Was bedeutet in Teufels Namen die Strickleiter?!

Wilhelm. Einen Liebhaber, der bei einer deiner Magdalenen im Bette liegt.

Fachus. Oder aber, es wäre dein keusches Schlafgemach, und dann wirst du vielleicht deine Geldkatze nicht mehr unter dem Strohsack finden. Es ist eine Nacht für Diebe und Einbrecher.

Adelheid ist verschwunden. Licht huscht an den Fenstern im Innern des Hauses hin und her. Heraus dringt wachsender Lärm und wachsende Unruhe.

Stimmen im Innern des Hauses. Hamida! Hamida! Sucht die Zigeunerin!

Adelheid erscheint am Strickleiterfenster, zieht die Strickleiter herauf, dabei schreit sie. Zu Hilfe! Einbruch! Mädchenraub! Ich bin verloren, bin ruiniert! – Habt ihr ein Mädchen gesehen, ihr Männer dort unten? Sie trägt wie die heilige Agnes offenes Haar. Wer sie zurückbringt, kann für nichts bei mir nächtigen.

Wilhelm unter allgemeinem Gelächter. Nicht für die Schätze Arabiens, Weib!

Fachus. Ist die heilige Agnes eine Zigeunerin?

Adelheid. Auf hundert Schritte kann man's ihr ansehen.

Achazius zu Fachus. Ich wette, es ist die Zigeunerin aus dem Pilgerstab.

Fachus. Wie heißt Euer Mädchen?

Adelheid. Sie heißt Hamida.

Fachus. Dort kommt ein Trupp bewaffneter Leute, treten wir in den Schatten, Prinz.

Es geschieht. Somit ist der Platz vor dem Freudenhaus leer. Ihn betreten nun in sachlichem Schritt der Stadtweibel und einige Sbirren, die Hamida und Lischka gefangen mit sich führen.

Adelheid. Gott lohn' es Euch, Herr Stadtweibel! Schon bringt Ihr die Wetterhexe zurück.

Stadtweibel. Was? Wohin bringen wir wen zurück?

Adelheid. Das sollt Ihr alles zu wissen bekommen. Seid beschworen, verzieht einen Augenblick!

Adelheid erscheint sogleich vor der Tür und stellt zunächst die Gefangene.

Adelheid. Du, du? dich seh' ich hier? Wo kommst du her?
Muß ich dich hier sehn, du? du? du? dich hier?!
Wo kommst du her? Wie kommst du her? wie? wo?
Du unterstehst dich? Bist du nicht mein Geld?!
Du stiehlst dich? Stiehlst dich deinem Herrn und mir?
Du Kesselflickerhausrat, krätziger!
Hielt man dich nicht wie eines Bischofs Nichte,
du Fratz? Ich hielt dich wie mein eignes Kind!
Warst du nicht Braut von einem Edelmann,
der nach Kastilien dich mitzunehmen
beinah entschlossen ist?

Stadtweibel.                           Genug, genug.
Wir müssen weiter, Adelheid. Hier liegt
ein Ding vor bei der Härte des Gesetzes,
das gegen dieses Volk erlassen ist,
das nur der Galgen sühnt. Und Bub und Bübin
wird heute noch der Sonne Wiederkehr
lieblich vermählt durchs hänfne Fenster grüßen.

Adelheid. Und wer ist dieser Bursch?

Stadtweibel.                                       Was sonst: ein Dieb.

Adelheid. Und wo habt Ihr die beiden aufgelesen?

Stadtweibel. Am Tor: um zu entschlüpfen, wann es aufging,
mit ihrer Beute. Denn das ist der Punkt:
wir haben ein Beträchtliches an Gold
und goldnem Schmuck bei ihnen aufgebracht.

Adelheid. Laßt Euch erklären, Weibel: Diese ist
von meinen Mädchen eine, die ein Kavalier
sich hält. Und dies ist Lischka, der ihr nachspürt:
ein Hund der Hündin. Diesem Lausekerl
ist sie verfallen. Art läßt nicht von Art.
Hier, seht den Arm, den linken: er ist steif,
den ihm der Häuptling, weil er seinen Sohn
mit dieser hier betrog, dreimal zerschlug.
Er hat ihr eine Leiter eingeschmuggelt,
und hier aus meinem Haus sind sie entflohn.
Der vorgefundne Schmuck stammt von Don Pedro.
Gestohlen ist er freilich, wenn sie fortläuft,
doch nicht, sofern sie bei dem Spanier bleibt.

Stadtweibel. Mag sein, trotz allem muß sie in den Turm
und wird die Strafe leiden, die ihr zukommt.

Hamlet tritt vor.

Hamlet. Halt!

Hamida. Rettet, Herr! Lischka und ich niemals keinen Einbruch verübt, niemals nicht nur rostigen Nagel gestohlen!

Lischka. Hat nicht nötig! Schwester nicht nötig und nicht ich. Arbeitet auf Seil, Schwester, tanzt Eiertanz auf Fußboden. Viel Geld, wenn sie will, mehr als genug!

Hamlet. Wenn du das, was die beiden beteuern, mit dem zusammenhältst, was diese Mutter Ziehmichaus, Habmichlieb, Zahlmichgut dir eben erzählt hat, Stadtweibel, ist da der Fall noch irgendwie zweifelhaft?

Stadtweibel. Wer seid Ihr? Was wollt Ihr? Geht aus dem Wege! Finten, Räubergeschichten! Als ob man dergleichen nicht schon gewohnt wäre.

Hamlet. Was hätten also die beiden getan?

Stadtweibel. Das werden die peinlichen Fragen herausbringen.

Hamida. Nichts, gar nichts Böses getan, mein Herr! Hat mir ein Mann gefangengehalten, hat mir die Hurenmutter gefangengehalten!

Adelheid. Maulaff, wer hat dich gefangengehalten?

Hamida. Hat mich Bruder Lischka befreit.

Hamlet. Alles das ist doch sonnenklar. Und so mußt du denn doch diese beiden freigeben.

Achazius. Will dem Weibel die Wahrheit nicht anders eingehen, machen wir ihm ein Loch in den Kopf.

Stadtweibel. Laßt uns passieren, oder – zu den Sbirren – Hand an die Waffen! mir reißt die Geduld.

Hamlet. Ich befehle Euch, Weibel, sie freizugeben!

Stadtweibel. Ebenso könnte der Pudel dem Kirchturm befehlen, weil er an der Mauer sein Wasser gelassen hat.

Fachus. Willst du wissen, mit wem du sprichst, Weibel?

Stadtweibel. Trunkne Scholaren, verlumpte Vaganten, versoffene Bacchanten: wunder was Neues in Wittenberg!

Fachus. Ich bin Balthasar von Fachus von der Fachusburg.

Hamlet wie vorher. Ich befehle Euch: gebt sie frei!

Paulus mit gezogenem Degen. Oder ich renne dich über den Haufen.

Hamlet faßt Hamida am linken Handgelenk, während der Weibel das rechte hält, zu Paulus. Tier, mische dich nicht in meine Anliegen! Zum Weibel. Nun sage ich es nur noch zum letztenmal . . .

Wilhelm. Halt, und laß mich's auf meine Art sagen!

Er schlägt dem Weibel mit der flachen Klinge über die Hand. Dieser läßt los.

Stadtweibel Verbrechen gegen die Obrigkeit! Widerstand gegen die Staatsgewalt! Das werdet ihr auf dem Rade büßen!

Don Pedro erscheint. Adelheid erblickt ihn und eilt auf ihn zu.

Don Pedro. Was ist hier im Gange, Adelheid?

Adelheid. Ein schreckliches Unglück, wenn Ihr es nicht noch zu wenden wißt.

Hamlet und die Seinen haben die Degen gezogen.

Don Pedro. Mir scheint, es ist zu Wittenberg mehr Degenblitzen als in Lissabon und Madrid. So will ich nur gleich meinen toledanischen Krötenstecher ebenfalls an die Luft bringen. – Wer ist der Mensch, der die Dirne beim Gelenke hat?

Hamida. Rette mich, schwarze Prinz, vor die spanische Mordbube!

Don Pedro zu den Sbirren. Hol einer von euch den Bürgermeister, das unnütze Schwein walzt noch auf dem Rathaus herum!

Hamida. Rette mich, rette mich, ich bin unschuldig!

Don Pedro indem er die Lage erkennt. Wie? was? Trog mich denn meine Ahnung nicht, als ich mich einer Art Nachspiel mit dem prinzlichen Moribundus gewärtig hielt. Hier ist die Erwartung noch übertroffen. Er tritt vor. Zu Hamlet. Ich salutiere nicht Eurem Kreis von Raufbolden, wenn ich nun doch meinen Namen nenne, aber ich fühle dazu die Notwendigkeit. Ich bin Juan Pedro de León, zum Ritter geschlagen von Kaiser Karl. Ich sage mit seinem Wahlspruch: Nondum, noch nicht. Ihr werdet mein Eigentum freiwillig zurückgeben! Das Mädchen an Eurer Hand ist mein Eigentum.

Wilhelm, Horatio, Fachus zugleich. Überlaß mir den Handel, Proteus!

Hamlet. Wer eine von meinen Bewegungen hemmt oder unterstützt, ist mein Feind. Zu Don Pedro. Ihr habt die Dirne gefangengehalten.

Don Pedro. Das, Bürschchen, schreib dir auf deine Schreibtafel! Aber das Nondum hole der Teufel, wenn Ihr nicht im Augenblick Eure tintenbeklecksten Finger von dem Handgelenk meines Mädchens nehmt!

Hamlet. Kommt nicht zu nah mit Eurem Flederwisch,
Tanzbodenseher! Du Teiresias
im Hurenhaus! Wahrsager der Spelunke!
Herzu! Ich pfeife auf dein Horoskop!
Und macht der Richtspruch der Planeten sich
mit dir gemein, die Wahrheit so entweihend,
so fahr zum mindesten vor mir dahin
zum Orkus!

Don Pedro.         Einfaltspinsel! Hundesohn!
Hijo de mala madre! Wehre dich!

Hamlet. Da nimm sie, Astrolog, nun, die Bezahlung!

Sie fechten hitzig. Don Pedro wankt, bricht zusammen.

Don Pedro. Was, was? Der Tod? Ein Knabe kommt gelaufen
mit seinem Schulsack, und er springt heraus,
der Tod, wie eine Maus? Don Pedro stirbt
an einer Schulmaus?

Horatio.                             Fort, mein Prinz, fort, fort!

Horatio zieht Hamlet aus dem Kreise der fechtenden zwei Parteien, die nun aufeinander eingedrungen sind und fechtend vom Platze schwinden. Paulus hat sich inzwischen mit Hamida davongemacht. Der verwundete Don Pedro, auf der Erde liegend, bleibt zurück. Adelheid, die sich ins Haus geflüchtet hatte, kommt wieder heraus.

Adelheid mit der Laterne. Um Gottes willen, liegt Ihr da, Don Pedro?
Seid Ihr wohl gar verwundet?

Don Pedro.                                     Keineswegs!
Man muß sich nicht mit Weibervolk behängen.
Es rächt sich.

Adelheid.             Ich bin völlig schuldlos, Herr.

Don Pedro. Sei schuldlos oder nicht, was geht's mich an.
Mich dürstet. Bring mir Wasser.

Adelheid.                                           Wer denn war
der Mordgeselle, der Euch überfiel?

Don Pedro. Ich weiß nicht. Will's nicht wissen. – Teufel auch!
Es war, als führt' er fünfundzwanzig Degen,
nicht einen nur.

Adelheid.                 Wo sitzt die Wunde?

Don Pedro.                                                 Hier
die eine! hier die andre! eine hier!
die andre dort! wie viele, mag Gott wissen!
Schaff mir den Bader! Schnell! Bring mich ins Haus!

 

Dritte Szene

Wittenberg, Hof in der Herberge Zum Strohsackl.

Nacht, gegen Morgen.

Bohnenmilch, Gastwirt und Garkoch, hantiert herum. Durch das halb offenstehende Tor nach der Straße kommt ein Nachtwächter.

Wächter. Das Fest auf dem Rathaus hat ganz Wittenberg toll gemacht. Guten Morgen, Bohnenmilch! Ein Glas Branntwein täte mir gut, wenn du eins in der Nähe hast.

Bohnenmilch. Vor dem Muhmenhaus der Adelheid hat's eine Schlägerei gegeben, wie es heißt.

Wächter. Sag nur lieber gleich, eine Schlacht, Bohnenmilch. Papisten, Lutheraner, Wiedertäufer und was weiß ich haben einander eimerweise Blut abgezapft. An verschiedenen Plätzen ist Lärm gewesen, keinen Augenblick hat die Stadtwache Ruhe gehabt.

Bohnenmilch kratzt sich hinterm Ohr. Na ja, die neue Lehr', die neue Lehr'! und dergleichen.

Wächter. Man ist einer Bande Zigeuner auf der Spur.

Bohnenmilch. Was ein ortsansässiger Gauner vertuschen will, schiebt er natürlich auf die Zigeuner. Na, der hohe Herr auf dem Rathaus wird sich gefreut haben über sein Wittenberg.

Wächter. Wie es scheint sogar, ist was recht Übles dabei, das dem Kurfürsten Friedrich am Ende noch gratis aufstoßen wird: ein spanischer Grande ist umgekommen.

Bohnenmilch. O weh! der spanische Karl zu Madrid versteht keinen Spaß. Für einen erschlagenen spanischen Erzbösewicht muß man ihm drei oder vier ehrliche deutsche Ritter auf die Fleischbank liefern.

Wächter trinkt den gebotenen Schnaps aus. So, das labt. Mag kommen, was will, jetzt geh' ich zu Bett und zieh' mir die Decke über die Ohren.

Geht ab.

Achazius kommt durchs Tor.

Achazius. Der leibhaftige Gottseibeiuns geht um in Wittenberg! Ist Paulus schon im Haus, Bohnenmilch?

Bohnenmilch. Geh zum Brunnen, wasch dich ab. Es tropft dir ja schwarz von der Stirn herunter.

Achazius faßt nach der Stirn. Wirklich? So hätt' ich also doch bei dem Zahlaus was abgekriegt. Macht nichts! hab' ja ein leidliches Kranium. Immerhin ist etwas geschehen, was noch ein Weilchen die Stadt in Atem halten wird: der prinzliche Schulfuchs aus Dänemark hat einen spanischen Sollicitator beim hiesigen Hof kaltgemacht.

Bohnenmilch. Hopsa! Seitensprünge ist man von ihm gewöhnt, dieser muß ihm viele Freunde machen. Ich fürchte nur, der Kurfürst wird ihn nicht halten können in Wittenberg.

Achazius. Paulus ist also noch nicht herein?

Bohnenmilch. Ich wünschte, er bliebe für immer draußen.

Achazius. Das könnte sein, wenn er, was sehr wohl möglich ist, irgendwo steif und starr auf der Straße liegt. Eine hübsche Zahl Leichen ist heute nacht fabriziert worden.

Paulus stößt Hamida vor sich durch das halb geöffnete Tor herein.

Hamida. Laß mich! Geh nicht weiter mit dir! Will nicht! Mag nicht!

Paulus. Willst du mucksen, Diebin, verfluchte, so liefre ich dich den Stadtknechten aus, und du kannst, noch bevor es Tag wird, deine Gaillarde am Galgen tanzen!

Hamida. Lieber am Galgen als mit dir!

Paulus. Lieb, lieber, am liebsten: das ist mir gleichgültig. Weißt du nicht: du bist vogelfrei! Man kann mit euch machen, was man will! mit euch Aasverschlingern, Igelfressern und Menschenfleischeinpöklern! Ungestraft kann man euch totschlagen, wo ihr einem auch immer von ungefähr in die Quere kommt. Notate hoc oraculum! Wenn mir so um die Mütze ist, mache ich dich zu meinem Fußboden, meiner Fußritsche, meinem Spucknapf, meiner Sitzbank, meiner Matratze, meiner Schindmähre – oder ich mache dich zur Leiche!

Hamida. Helft! helft! Mensch ist verrückt! Mensch ist böse Teufel besessen!

Bohnenmilch. Was ist? Was gibt's?

Paulus. Da ist ein Gassenmensch, das ich den Stadtknechten mit Gefahr meines Lebens aus den Klauen gerissen habe, Penneboß! Aus dem Folterkeller, unterm Beil, unterm Rad hab' ich das Unflat hervorgeholt. Dafür schreit sie nun: Hilfe, Hilfe!

Hamida. Ist nicht wahr! Ist mich nachgeschlichen, hat mich im Finstern aufgelauert, hervorgezogen, mit Fäusten gepufft ärger wie Stadtknechte! Mich gestoßen an Wand und vor sich her.

Bohnenmilch. Was willst du mit ihr anstellen, Paulus?

Paulus. Frag nicht, was du weißt und wofür du dein Geld bekommst und womit du deinen Schmerbauch bezahlst! Halt's Maul! Hier ist ein Dukate, alter Kochlöffel!

Bohnenmilch. Paulus und ein Dukate? Wo hast du ihn her?

Achazius. Aus einem königlich dänischen Geldbeutel.

Hamida. Du Untier, verdammtiges, mach mich tot, oder mach' ich dich tot! Beiß' dir die Gurgel durch . . . Ungeheuer!

Bohnenmilch zu Paulus. Genug, oder ich schick' aufs Rathaus und lasse dich festnehmen!

Paulus. Geschwätz, Geschwätz! Steck deine Nase in deine Knoblauchbrühe, deine Schweinekutteln, deine Tonnen voll gepökeltem Pferdefleisch, alter Sudelkoch! Miste deine eignen Ställe aus, elender Roßtäuscher!

Achazius zu Bohnenmilch. An dieser Geschichte bin ich unschuldig.

Bohnenmilch. Mach dich von diesem schlechten Halunken los, Achazius. Auf die Hostie schwör' ich's dir: er ist ein fertiges Fressen für den Scharfrichter.

Hamida schreit. Lischka, Lischka! Er will mich umbringen! Hilfe, Hilfe, schwarze Prinz!

Paulus. Hilfe, Herr Kaiser! Herr Kurfürst! Herr Prinz! Herr Rotzlöffel! Wer kann mir was? Gott und der Teufel nicht, wenn ich dich aufs Stroh werfen will! Da! da! Er traktiert sie mit Tritten. Willst du nicht, daß ich dich auf meine honette Art kitzle? – Da! da! – Da hast du ein Hufeisen zwischen die Beine!

Hamida schlägt ohnmächtig nieder.

Ohne daß es jemand der auf dem Hofe Anwesenden bemerkt hat, ist Lischka hereingeschlichen. Er hat alles versucht, um von rückwärts an Paulus heranzukommen. Er ist nun in seinem Rücken und holt eben mit dem Dolch zum Stoße aus. Da hat ihn Achazius bemerkt und fällt ihm in den Arm.

Achazius. Paulus, Paulus! Nimm dich in acht, Paulus!

Paulus. Wovor sollte sich Grand-diable in acht nehmen?

Achazius hat mit beiden Fäusten den Arm Lischkas geschüttelt, und dieser hat den Dolch willig ins Dunkel fliegen und verschwinden lassen.

Achazius zu Paulus. Mensch, du bist blind wie ein Hirsch in der Brunft. Du siehst den Wald vor Bäumen nicht! Ein Haar, und du wärst nicht mehr am Leben.

Paulus. Ah, bah! Der Stahl ist noch nicht geschmiedet, der Grand-diable den Tod geben kann.

Lischka. Nicht wahr! ist Lüge! hab' nichts in der Hand.

Achazius. Das ist deine Rechte, zeig deine Linke.

Lischka. Linke steif, gebrochen Gelenk.

Achazius. Er hat einen Dolch in der Hand gehabt, oder ich will nicht selig werden.

Paulus zu Lischka. Wolltest du stechen?! Bezahl' dir's Gott, kleine Stechmücke!

Er haut ihm eine Maulschelle, so daß er umfliegt. Bohnenmilch hat der betäubten Hamida aufgeholfen.

Bohnenmilch. Zeit, Paulus, daß du nüchtern wirst!

Achazius. Du hast den Koller. Geh unter den Brunnen.

Paulus. Wer seid ihr? wo bin ich? was hab' ich getan? – Ich hab' einen teuren Ablaßzettel! Er nimmt ihn heraus und küßt ihn. – Komm, Kleine, du sollst es bei mir gut haben.

Paulus führt die betäubte Hamida ins Haus.

Achazius. Kannst du sie ihm nicht aus den Klauen schmuggeln, Bohnenmilch?

Bohnenmilch. Getraue mir's nicht. Könnte von neuem zu rasen anfangen.

Achazius. Und, Bohnenmilch, der Kerl, der hier liegt?

Bohnenmilch in Betrachtung des wie tot daliegenden Lischka. Der Bursche darf nicht hier liegenbleiben.

Achazius. Wo Paulus zuschlägt, da wächst kein Gras.

Bohnenmilch. Ist er tot, kriegen wir Schererei.

Achazius. Der Bursche lebt, Vater Bohnenmilch. Sollen wir ihn dem Amte ausliefern? Er hat umhergesucht und findet plötzlich den Dolch. Hatte ich recht, oder ist es kein Dolch? Er weist die Waffe und tritt mit Bohnenmilch ins Dunkel. Er zielte gut, er hatte gut angesetzt. Ohne mich läge Paulus in seinem Blute.

Bohnenmilch. Wär' kein Schade, Achazius.

Ganz leise hatte sich Lischka gerührt, ein wenig gelauert und tut dann einen gewaltigen Sprung gegen das halb offene Tor durch das er blitzschnell verschwindet.

Bohnenmilch. Was war das?

Achazius. Fort wie ein Licht! – Zigeuner können mehr als Brot essen!

 


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