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Erster Gesang

Der zu mir kam des Nachts, der mich besuchte
im Sturm und aufrecht stand an meinem Bette –
nicht der Versucher, der mich oft versuchte!

nein, jener, der an einer goldnen Kette
des heiligen Kreuzes Zeichen trug zum Schmucke,
als ob er Lust an Jesu Leiden hätte –,

er rief mich auf: ich stand mit einem Rucke
bereit, mit ihm durch jede Nacht zu schreiten,
ob tödlich auch die Luft von Blitzen zucke.

»Nun bist du«, sprach er, »reif, mich zu begleiten
und alles, was geschah und wird geschehen,
mit mir zu heben aus den Dunkelheiten.

Und also laß uns ruhig fürder gehen
des Weges, den nur wenige beschritten,
bis wir des Wanderns Ziel vor Augen sehen.

Es ist ein Quell in dunklen Forstes Mitten,
von Riesenwipfeln immerdar geborgen,
der des Gemeinen Trübung nie erlitten.

Es ist ein Quell, benannt der Frühe Morgen,
aus dem dereinst die Welt hervorgegangen
mit Tag und Nacht, mit Wonnen und mit Sorgen.

Dort wird sich endlich stillen ein Verlangen,
mit dir verbunden schmerzlich süßer Treue,
seit du die Pilgerreise angefangen.

Du brauchst nicht fürchten, daß es sich erneue
und wieder dich zu andren Zielen locke,
in Irrtum, Täuschung, Sündenschuld und Reue.« –

Ich sprach und griff den Saum von dessen Rocke,
der mir so heil'gen Weges Ziel gewiesen:
»Oh, stütze mich, daß ich im Lauf nicht stocke.

Ihn sucht' ich längst, den Quell, den du gepriesen,
doch ihn zu finden wollte nie mir glücken,
in Höllen nicht und nicht in Paradiesen.

In immer neue Fernen mich verzücken
war meines Fortschritts tägliches Beteuern.« –
»Du irrtest, denn die Quelle liegt im Rücken.

Den Fuß gewendet, laß uns rückwärts steuern:
gelaßnen Wandels schreiten wir zurücke,
Geschehnes bis zum Urgrund zu erneuern.«

Und ich empfand den Hauch von solchem Glücke
so rein und voll, wie ich noch nichts empfunden,
ganz mit mir einig und in jedem Stücke.

Wir schritten, freundlich Hand in Hand gebunden,
vom Lager fort, durch Tür und Tor ins Freie:
mir war, als wäre schon das Ziel gefunden.

Und vor uns brauste eine lange Reihe
von Pappeln, schräg vom nächt'gen Sturm gebogen,
das Erdreich lag in einer finstren Weihe.

Dem Mond vorüber bleiche Wolken zogen,
und drunter glänzten Gipfel ewigen Schneees
wie schaumgekrönt-erstarrte Meereswogen.

Dies alles schien mir eine Welt des Wehes,
das Starre tot, voll Jammer die Bewegung.
Da standen wir am Ufer eines Seees.

Umzirkt von einer dornigen Umhegung,
schien er das Bild der Trübsal zu verdoppeln,
voll Schauder selbst in seiner Fläche Regung.

Wir gingen zwischen Gräben hin und Stoppeln
auf düstrer Straße, die sich grade streckte,
durch tote Dörfer und verlassene Koppeln,

bis daß der Tempel, den ein Wald versteckte,
ob dunklen Wipfeln seine Kuppel zeigte,
die, selbst ein Halbmond, Mondeslicht beleckte.

Und hügelan, von wo der Wald sich neigte,
verlor sich unser Pfad durch seine Bäume
hinan, und als er endlich sich verzweigte,

da schien's, wir traten in ein Land der Träume
und vor das Haus und Heiligtum von denen,
die sich gleich schwarzen Wolken durch die Räume

der armen schlafbefangenen Seele dehnen.
Und mein Begleiter trat nun an die Pforte,
durch die auch mich anzog geheimes Sehnen,

als wäre sie ein Zugang zu dem Horte,
den ich besessen, ohne zu besitzen.
Er sprach mit lautem Seufzer diese Worte:

»Komm, laß uns hier ein wenig niedersitzen
und auf den schwarzen Marmor dieser Schwelle
den liebsten unsrer toten Namen ritzen.«

Da schrieb ich »Mary« hin an meiner Stelle,
und alsogleich entschwebte buntes Rauschen
wie Windesharfen der verborgnen Zelle.

Und solchen Tönen hätt' ich mögen lauschen
ohn' Unterlaß mit hingegebnem Ohre
und meine Seele mit den Klängen tauschen.

Wie lange wir gesessen an dem Tore,
aus dem so süßes Weh sich uns vereinte,
ich weiß es nicht! Dann schritten wir durch Flore

ins Innre fort, und mein Begleiter weinte,
indem er sie mit leisen Händen teilte,
und so, als er sie schloß, wie ich vermeinte.

»Hier triffst du eine, deren Seele heilte«,
so sprach er weiter, und vor unsren Blicken
lag sie, die nun schon lange hier verweilte –

lag, bei des Totenwurmes leisem Ticken,
als habe sie das Schweigen zu verwalten
und in die Ewigkeiten zu verschicken –

lag, unter ihres Totenhemdes Falten,
auf hohem Katafalke, zwischen Kerzen,
im Kuppelraum, der Nacht emporgehalten.

Auf ihrem Antlitz lagen alle Schmerzen
gleichwie in grauen Marmor eingeschlagen,
von einem Trotz gebunden, hart und erzen.

Ich stand erschreckt, ich wollte etwas sagen,
und wo nichts sagen, wollt' ich etwas fühlen,
und wo nichts fühlen, wollt' ich etwas fragen:

»Du, die so strenge schlummert hier im Kühlen,
gehüllt in lichten Dämmer statt in Erde,
Genossin mir dereinst auf heißen Pfühlen,

warum – o sprich, damit ich ruhig werde! –
drang die Versöhnung nicht in deine Züge
statt dieser unversöhnlichen Gebärde?

Gewiß, dir war das Leben eine Lüge,
doch der da kam, vom Leben dich zu lösen,
er kam mitnichten, daß er dich betrüge.

Warum mit hartem Hohn und allem Bösen
scheint Lipp' und Nüster hämisch dir umgrämet,
als wollt'st du vom Erlöser selbst dich lösen?

Und jene Harmonie ist, wie gelähmet,
stumm, die uns lockend ist hereingedrungen,
weil dein Empfang sie gleichwie uns beschämet.«

Und mein Begleiter sprach: »Sie hat gerungen
um mehr als dich und was ihr ward versaget.
Nicht Siegerin, blieb sie dennoch unbezwungen.

Und wenn dereinst der Tag der Tage taget,
so wird ihr Trotz vor dem Gericht bestehen,
das höchstes Recht in heiligen Sprüchen saget.«

Als er dies sprach, da hörten wir im Wehen
der Luft von fern getragen dumpfes Grollen,
wie wenn Gewitter um den Himmel gehen.

Und in der Erde bebte leises Rollen,
wovon der Totentempel einsam tönte.
Drauf mein Begleiter: »Horch, was angeschwollen

von allen Seiten ruhlos dröhnt und dröhnte,
es ist die ungeheure Flut des Krieges,
es ist der Haß, der Mord, den nichts versöhnte.

Und als die Zwietracht, sicher ihres Sieges,
um Friedensinseln stieg im Feuermeere,
da unterlag ihr Menschenherz, da schwieg es,

da brach sie nieder von der eignen Schwere,
die nun hier liegt und nicht mehr wird betroffen
von Liebe, Haß, Verachtung oder Ehre:

versteinter Hohn auf alles irdische Hoffen.«

 

Zweiter Gesang

Und als wir nun das Totenhaus verlassen,
da überdrang uns allgemeine Helle.
Wir sahen Auen, Wälder, Bergesmassen,

und hinter uns versank die Grabkapelle
und zog die Nacht wie eine schwarze Schleppe
mit sich hinab. Und weit an ihrer Stelle

lag nun ein See, ein Meer mit Flut und Ebbe.
Die Flut schwoll auf und leckte unsre Füße;
doch wir entstiegen ihr auf goldner Treppe.

Zum Abschied klang sie wie von weher Süße.
Und nun erkannt' ich plötzlich den Begleiter:
wir tauschten Aug' in Auge ernste Grüße.

Doch nicht nur ernst, sie waren ernst und heiter,
so wie es einem Freundespaar gebühret.
Wir schritten, Arm in Arm geschlungen, weiter.

»Satanael, du bist es, der mich führet,
du ältester von Gottes beiden Söhnen,
und hast zu deinesgleichen mich erküret.

Horch, wie die Wälder, Auen, Ströme tönen!
Sie sind das Werk von deinen Sünderhänden,
das du bevölkert hast mit Brudersöhnen,

ruchloser Schöpferkraft, aus Götterlenden.
Du buhltest mit dem Ton, daß er gebäre,
erweckt von Küssen und belebt von Bränden.

Sieh, deine Schöpfung nun erweist dir Ehre
und jubiliert dein Lob mit allen Stimmen.
Die Sonne selber glänzt dir Ruhm, die hehre,

von Abgrundstiefen bis zu allen Kimmen …«
Hier unterbrach mich freundlich mein Genosse:
»Die Vögel fliegen und die Fische schwimmen;

was immer jubiliere, rausche, sprosse,
sich selber sproßt's, sich selber jubiliert es.
Was ist ein Schütz, entließ er die Geschosse?

Was immer farbig gleißt, sich selber ziert es.
Der alles schuf, hat alles hingegeben,
wer Goldes sich entäußert, der verliert es.

So, wisse, gab ich hin mein höchstes Leben
und bin nun selber darin nur zu Gaste,
dem Bettler gleich, Almosen aufzuheben.

Doch klag' ich nicht, selbst wenn ich darbend faste.
Denn, was ich gab und so verlor, verlieren:
das war mein Wille und fällt mir zu Laste.

Die Perle mag des Buddhas Stirne zieren.
Ich will den Irrtum und ich will das Leiden
in Not und Mühsal unter Mensch und Tieren.

So kam's, daß ich vom Vater mich zu scheiden
beschloß, mit seinem Zorne dann beladen,
in Gram, in Schmerz, in Wollust mich zu kleiden,

zu wandern auf chaotisch dunklen Pfaden,
zu fliehn, zu suchen, endlich auch zu finden,
Gefundnes im Triumphe heimzutragen,

Gebundenes befrein, Befreites binden,
des Unvollkommnen froh bei jedem Schritte
im Unterliegen und im Überwinden.

So bin ich, wollt' ich sein, was ich auch litte.
So, Lieber, sieh empor zu meiner Sonne,
den Lichtbrunn über uns in Himmelsmitte.

Nenn sie den Born-des Wehs, den Born der Wonne:
sie wird uns keins von beiden rein kredenzen,
sie mischt mit Wonne Weh, mit Weh die Wonne.

Komm, laß zum Trinkgelage uns bekränzen,
denn nie empfand ich Durst zu andrem Tranke,
in dem die Strahlen nicht durch Tränen glänzen.«

Und heiter bot sich eine Blätterlaube
sogleich uns dar mit gastlich schlichtem Tische.
Schwer hing auf ihn herab die schwarze Traube.

Wir tranken kühlen Wein und aßen Fische,
gezogen aus dem Meer, dem wir entstiegen.
Es hauchte zu uns her mit salziger Frische.

Wir sahen's blau sich in der Sonne wiegen
und dachten an die Nacht, die drin versunken,
und an die Tote, die so stolz geschwiegen.

In unsren Wimpern blitzten Tränenfunken,
als wir die schlichten Becher beide hoben:
dann ward der Feuerwein hinabgetrunken.

Wir saßen, Efeu um die Stirn gewoben,
und huldigten ihm, dem die Ranke heilig,
dem Gotte, dem des Tmolos Höhen toben.

Und mein Begleiter sprach: »Nicht übereilig
laß uns den Weg durch unsre Welt beginnen.«
Ich drauf: »Befiehl, so geh' ich, so verweil' ich.

Wie hab' ich mögen solchen Freund gewinnen?«
sprach ich dann weiter, ihn berauscht betrachtend.
Er war ein Labsal allen meinen Sinnen.

Sein Blick, wie Kohle unter Wimpern nachtend,
die ihn bedeckten wie mit goldnem Schleier,
war heiter, kühn, begehrend und verachtend.

Sonst ganz Apoll – nur fehlte ihm die Leier –
nach Wuchs und Haltung, Sonnengold der Locken
war dieser Jüngling-Mann! Und heiter-freier

mit jedem Wort – wie Licht von goldnem Wocken
entfloß die Rede ihm! – ward seine Seele:
die Laute klangen wie Gesang und Glocken.

Er sah mich an und sprach: »Trink! ich befehle.
Frag nicht, warum und wie du mich gefunden,
laß Lebensblut durchrinnen deine Kehle!

Ein Heiltrank ist der Wein für Herzenswunden;
doch wie in allem, was ich je geschaffen,
wird freilich auch das Gift darin gefunden.

Du weißt, ein Märchen wird erzählt von Pfaffen,
wie Eva durch die Schlange ward verführet
im Paradies der Lämmlein und der Affen.

Der Vorfall hat dereinst auch mich berühret,
im Sinne solcher Fabelei gesprochen:
die Schlange straft' ich, wie es sich gebühret.

›Du Giftgewürm, was hast du hier verbrochen,
und wie beschlichest du dies heilige Eden?‹
rief ich ihr zu. ›Du hast das Weib gestochen!‹

Und schon ergriff ich sie mit wilden Reden,
sooft sie mich auch biß und nach mir fauchte,
noch heute spür' ich ihrer Stacheln jeden.

Und in die Hölle, die um Eden rauchte,
warf ich die Viper mit gewalt'gem Schwunge: –
als Gottes Odem durch den Garten hauchte.

Und jeder Baum und jede Blätterzunge
schien mir ein Lispeln, bange und beklommen,
bis der Uralte, dennoch Ewig-Junge

Gestalt, gestaltlos, in mir dann genommen.
›Dir schien mein Werk voll Makel‹, sprach er leise,
›es war dir fehlerhaft und unvollkommen.

Geh nun, versuch es ganz auf deine Weise,
und mögen diese beiden dich begleiten,
des Wurms Gelüsten und der Würmer Speise.

Du hast die Weiten, hast die Ewigkeiten,
hast Kraft von meiner Kraft, Blut meines Blutes,
vielleicht gelingt's dir, Beßres zu bereiten.

Ich wollte Schlechtes nicht, noch wollt' ich Gutes.
Ihr aßt vom Baum des Guten und des Bösen:
das Gute und das Böse, geht und tut es.

Der Schlaf, der Tod, um euch aus Kampfgetösen
zurückzunehmen in das Ungeborne,
sei mit euch: und er wird euch einst erlösen.‹

Sieh, dein Gefundener ist der Verlorne«,
so schloß Satanael. Ich aber dachte:
nein, du bist der Allmächt'ge, Glanzerkorne.

Worauf er hell aus voller Seele lachte.
Und Antwort alsogleich auf dieses Lachen
gab rings ein Laut, als ob die Welt erwachte.

Das Wache schien von neuem aufzuwachen.
Aus Leben schien sich Leben zu gebären,
aus Licht sich Licht unendlich zu entfachen.

Ich hörte Brandung wie von tausend Meeren,
wo immer eins das andre überrauschte,
um höher stets das Sel'ge zu verehren,

mit dem es wonnevolle Grüße tauschte.
»Nun aber laß uns unsre Becher stürzen«,
sprach jetzt Satanael, der fröhlich lauschte.

Er tat's, und etwas schien den Trank zu würzen
auch mir, das in mich stach gleich süßem Dorne.
»Woher stammt dies Gewürz, drin sich verschürzen,

was Stärkstes sich gebar aus Lieb' und Zorne?«
so sprach ich. Er darauf mit heitrem Brüten:
»Der Zauber stammt von einem Hirsekorne

aus jenem Garten voller Wunderblüten,
den ich verließ. Es hing an meinem Kleide
vorwitzig, als der frühsten Höllen Wüten

ich unternahm zu dämpfen. Und wir beide,
das Korn aus schlechtbewachten Paradiesen
und ich, wir blieben eins in Lust und Leide.«

Ich drauf: »So sei dies Hirsekorn gepriesen!«
Und er: »Mit Lobgesängen ohne Ende,
und der, der volle Scheuern hat von diesen!

Der höchste Zauber meiner Schöpferhände
und meiner Schöpfung stammt von diesem einen
der lebt nicht, der von ihm ein zweites fände.

Vergebens würden Tag und Nächte scheinen
mit Sonne, Mond und Myriaden Sternen:
sie würden nichts als Seufzen sehn und Weinen.«

Er trank und starrte wie in fernste Fernen.

 

Dritter Gesang

Und mein Begleiter starrte lang ins Weite,
indes sein Blick sich mehr und mehr umflorte.
Es schien, als ob durchs Tor des Lichtes schreite

sein Geist und sich in Nacht und Nächte bohrte.
Ein Graun befiel mich. Er begann zu zittern,
wie wenn der Wein in seinem Kopf rumorte

und Schwindel ihn befalle: zu verbittern
schien jeder Tropfen sich, den er genossen.
Er glich dem Schacher hinter Kerkergittern.

Von seinem Scheitel kam herabgeflossen
langsam ein Bächlein, furchtbar mich erschreckend.
Und etwas schien darüber aufzusprossen

gleich blätterlosem Kranz, sein Haupt bedeckend,
mit Krallen greifend durch die goldnen Strähne
des Scheitels, reichre Purpurquellen weckend.

Und nun mit Tropfen Blutes rann die Träne.
Der schien miteins gemartert und gerichtet
und fletschte sterbend seine weißen Zähne,

der kaum so strahlend sich emporgerichtet.
Der Becher fiel und rollte auf die Erde.
O Haupt, von namenlosem Schmerz vernichtet,

wer schlug in dich die Folterqualgebärde
mit hartem Stempel grauenvollster Prägung,
auf daß ein Jammerbild vollendet werde?

Jetzt sank das Haupt mit zuckender Bewegung
und schellte wie ein Stein mit dumpfem Schlage
zum Tische. Danach lag es ohne Regung.

Und alsogleich im wolkenlosen Tage
erstarb der Glanz, wie wenn der Himmel welke,
ein Etwas alles Leben untersage.

Es war, als ob der Tod die Sonne melke:
da blieb nur Nacht, und blutige Brunst zurücke,
der Weltbau bebte, schwankte im Gebälke.

Vereinsamt stand ich nun in jedem Stücke.
Seevögel kamen kreischend angeflogen,
und rings ward alles Feindschaft, Haß und Tücke.

Wie graue Wölfe sprangen Meereswogen
und setzten heulend über weiße Dünen.
Am Haupthaar fühlt' ich mich emporgezogen.

Aus ihren Gräbern stiegen nackte Hünen.
Sie hielten in den Fäusten erzne Keulen.
Ein Strafgericht! Was gab es hier zu sühnen?

Doch plötzlich in der Elemente Heulen
scholl tiefes Erzgetöne wie von Türmen.
Aus grauem Meere stieg auf Silbersäulen

der Totentempel in das schwarze Stürmen.
Und aus ihm kam der Klang und kam gesprungen
ein Knäblein. Mag der Himmel ihn beschirmen!

Wie golden kam das Kind einhergesungen,
mutwillig tänzelnd überm Wassergrause,
ins Safranhaar den Efeukranz geschlungen.

In allem Schrecknis schien es wie zu Hause,
ja, alle Schrecken schienen es zu kosen.
Zärtliches Locken drang durchs Luftgebrause.

Er nahte sich. Ein Duft von frischen Rosen
umhauchte mich, noch eh er mich begrüßte,
und blieb bei mir trotz salziger Lüfte Tosen.

Und Glück durchdrang mich, als er dann mich küßte
und rief: »Du kennst mich, Vater, mußt mich kennen.«
Mir war, als ob ich ihn erkennen müßte.

In seinen Augen sah ich Feuer brennen
von einem allerseligsten Gestirne.
Kein Weiser wüßte dessen Ort zu nennen.

Und seine Helle drang mir ins Gehirne,
doch so vermischt: das Fremde und Bekannte
entrunzelte mir nicht die Grüblerstirne.

Ich preßt' ihn an mich, der mich Vater nannte:
»Du Sohn der großen Mutter Herzeleide,
mit Tränen fühl' ich es, wir sind Verwandte.

Du neu, ich alt: verstoßen sind wir beide,
nur bist du noch der ewigen Wonne näher
und hast den Hauch des Ursprungs noch im Kleide.« –

»Sieh!« rief der Knabe, »dort den goldnen Mäher,
er mäht Smaragd! hör, wie die Blüten klingeln!
Und dorten sieh den purpurfarbnen Häher,

sein Purpurschatten spiegelt in den Schwingeln
und gleitet fliehend ob den Himmelsgräsern,
um die, wie Krönlein, Ambradüfte ringeln.

Die Büsche, Haine, Hügel scheinen gläsern,
und Engel ganz aus Silber seh' ich schreiten,
gelassenen Gangs gleich heiligen Reichsverwesern,

rubingeäugt. Sie leuchten Nähn und Weiten.
Und Falter im Rubin- und Silberlichte
genießen taumelnd tausend Seligkeiten.«

Ich sprach: »Wohin ich meine Blicke richte,
ist Nacht und Wirrnis, Wut und bittres Wehe;
wo siehst du solche wonnigen Gesichte?« –

»Allüberall, wo ich nur geh' und stehe …«,
sprach er und ließ mich los und sprang von hinnen,
wie wenn ihn leichter Frühlingshauch verwehe.

Und jählings wie in plötzlichem Besinnen
ward ich entrückt. Ich schritt auf weißer Straße,
und das Erlebte fühlte ich zerrinnen

in mir wie Traum und Schaum: und in dem Maße,
als Mittag heißer auf mich niederbrannte,
sehnt' ich nach Schatten mich in kühler Gasse.

Ich strebte einer Stadt zu, die ich kannte,
sie lag vor mir als eine Häuserwüste
und hieß … ich nenne sie die Ungenannte.

Nicht Babel war's, nicht Rom. Ihr Lärm begrüßte
mich bald, und fortgerissen im Gebrause
der Menschen, schien's, daß ich ertrinken müßte.

Es wehte Flaggenschmuck von jedem Hause
schwarz-weiß und schwarz-weiß-rot im Sommerwinde,
Karossen, Wagen rollten ohne Pause,

auf breiter Avenue stand Lind' an Linde.
Sieg! schwoll ein Ruf heran vom Säulentore.
Und so, als ob ein Feuer Nahrung finde,

flammt' er gewaltig auf zu wildem Chore.
Sieg! heulten ohrbetäubend alle Kehlen.
Sieg! knatterte die neue Trikolore,

als wollten Macht und Freude sich vermählen.

 

Vierter Gesang

Und Pauken dröhnten, Messingbecken klirrten
durchs Dorertor mit grünlicher Quadrige,
Trompeten gellten, und auf goldgeschirrten

Schlachtrossen kam der Sieger her vom Siege;
auf Silberhelmen goldne Adler nickten,
stolz träumend noch vom ruhmgekrönten Kriege.

Des neuen Cäsars blaue Augen blickten
gar liebreich um sich überm greisen Barte.
Zwei andre Augen andre Blicke schickten:

des Paladins, um den sich alles scharte
von Helden, die das blutige Feld gezeuget;
es waren Blicke, drinnen Stahl sich paarte

mit Hundetreue. Solchem Blick gebeuget
lag jetzt Europa, lag die Welt im Staube.
Du Mann, den eine Löwin großgesäuget,

Germaniens letzte Kraft und letzter Glaube!
Macht und Gewalt vereint von deiner Braue
herzucken, und der Adler wird zur Taube.

Ich kenne dich, und wie ich staunend schaue,
entsteht ein peinlich Fühlen mir im Innern,
mir ist, als wenn ich einem Trug vertraue.

Sind es Geschlagne, die ich zu Gewinnern
umdeute? Sind die Jubelrufe Flüche,
im Unglück alles nur ein Glückserinnern?

Doch nein, bekränztes Heer und Wohlgerüche
von Rosen, Veilchen, Nelken, drin es schreitet,
belehrt mich. Nicht ein Rauch der Hexenküche

betäubt mich. Was mir hier die Seele weitet,
das Herz berauscht, triumphhaft mich entzücket,
ist wahrhaft vom Geschicke zubereitet.

Ein Reich, Jahrhunderte entzweit, zerstücket,
es ward in Glut und Glück zu eins verschweißet,
doch freilich auch mit Blut. Es ward geschmücket

mit dem, was golden nun sein Haupt umgleißet,
Borussiens Herrscher: Deutschlands Kaiserkrone!
Heil ihm, der jetzt des Deutschen Kaiser heißet!

Inmitten Galliens, dem Feind zum Hohne,
im Schlosse zu Versailles ward sie besiegelt,
des Landes Einheit, die heut jeder preiset.

Und alles Volk ist selig aufgewiegelt,
weil Heißersehntes endlich nun gediehen
und stolz im stolzen Werk sich jeder spiegelt.

Durchs gleiche Tor, durch das ins Innere ziehen
die Sieger, seh' ich einen Knaben kommen,
um dessen Schläfe goldne Locken fliehen.

»Wer ist es?« fragt' ich zweifelnd und benommen.
»Du selbst«, sprach eine Stimme voller Treue,
die ich nun ach wie lange nicht vernommen.

»Du bist es, Vater?« Er drauf: »Ja, ich scheue
die helle Luft nicht deines magischen Traumes,
sie macht, daß ich aus Moder mich erneue.

Du bist der Knabe!« Und er sagte kaum es,
als ich mich in dem Kinde schon erkannte,
das mit dem Siegesstrome schwamm. Des Raumes

erhabener Festglanz, der uns rings umbrannte,
trank meine Tränen, die dem Knaben flossen:
mir selbst, als ich des Vaters Hand umspannte.

»Wie hat doch Gott sein Füllhorn ausgegossen
ob unsrem Lande!« sprach bewegt der Vater.
»In welchem Glanz bist du emporgesprossen!«

Ich rief den Knaben: »Komm zu mir!« Das tat er.
Dann sprach ich: »Sieh auf seiner Augen Grunde
die wehe Nacht, mein Vater, mein Berater!«

Er trug in seinem Herzen eine Wunde,
die der Triumph nur schmerzlicher entflammte;
Leid, Leid spielt lächelnd ihm am Kindesmunde.

Er litt die Qual, die aus der Liebe stammte.
Es blieb die ewige Not ihm nicht verschlossen,
das Glanzverstoßne, immerdar Verdammte.

Oft schien ihm aller eitle Prunk ein Possen,
ein grelles Narrenkleid aus bunten Flicken,
die ein Gebild aus Raub und Fraß umschlossen.

Wer gab die Mitgift solchen Kindesblicken
und gab dem Kinde jene andre Gabe,
den Dunst, die Brunst des Bösen zu ersticken

und sich wie jener meergeborne Knabe
in einem nacht- und sturmdurchtosten Leben
gleichsam im Wink von einem Zauberstabe

mit Paradiesesgärten zu umgeben?
Der Knabe schwand, kaum daß ich so geendet,
er schien in Klang und Düften zu verschweben.

Der Vater, dem Triumphe zugewendet,
sprach so, als sei ich der, der nun entschwunden:
»Du warst von Gott zur rechten Zeit gesendet,

des deutschen Wesens Tiefe zu bekunden,
du Spätling in der Reihe meiner Kinder!
Du hast Triumph und doch noch mehr empfunden:

Erniedrigung. Du wardst zum Überwinder
der Überwinder. Ja, selbst den, der dorten
wie Mars strahlt, überwandest du nicht minder.«

Noch dröhnte rings der Taktschritt der Kohorten;
von Zinken, Trommeln und Kanonenschlägen
betäubt fast, rangen alle wir nach Worten.

Doch plötzlich schwand die Sonne. Schwarz von Regen
erscholl die Luft. Es war ein fernes Zischen
von Schloßenmassen, die den Raum durchsägen.

Wir fühlten Körner sich mit Tropfen mischen.
Wir hörten sie um uns am Boden tollen
und klingeln, Münzen gleich auf Spielertischen.

Und wie wir jetzt uns überzeugen wollen,
da ist es wirklich Gold, was wir ergreifen,
Goldstücke sind's, die durcheinanderrollen.

Wir hören sie am Ohr vorüberpfeifen,
aufschlagen, sehn sie matt am Boden schimmern
und allenthalben klingen, hüpfen, schweifen.

Nun steigt der Boden, weitet sich das Flimmern,
wie sich bei Schneefall alles übermummet
und die Natur erstirbt mit schwachem Wimmern.

Von roten Motten ganz umsaust, umsummet,
so mußten mühsam wir durchs Münzgold waten;
Triumph und Festlärm waren ganz verstummet.

Wir hätten gern so vielen Golds entraten,
allein, es schoß von Dächern und durch Traufen
bachweis und stromweis. Wo wir immer traten,

da bildeten sich neue Goldeshaufen:
das Gold der Welt – und wir sind seine Erben –,
genug, um Erd' und Himmel auszukaufen!

So dacht' ich bei mir. Wie ein Lärm von Scherben
umraste uns der Goldorkan. Es schwollen
Sintflutgewässer. Wie ein goldnes Sterben

war's. Alles, golden überquollen,
versank: Paläste, Kirchen, höchste Türme,
der Menschen Seelen und ihr heiliges Wollen.

Und weiter rasten goldne Bö'n und Stürme.

 

Fünfter Gesang

Wie wenn ein Alp uns lähmt im Traum und wir
uns aufzuwachen mühn mit schwerem Ächzen,
so ging es plötzlich mir und ging es hier!

Wenn wir nach Anruf, nach Berührung lechzen
und niemand lösen will des Hirnes Klammer
– schon hören wir die Totenvögel krächzen –,

da trifft's uns plötzlich wie ein lichter Hammer
– Berührung oder Anruf eines Retters! –,
sein Schlag zerschmettert unsre Grabeskammer.

Und so geschah mir's: aus des goldnen Wetters
höllischem Lärme, dem ich nicht mehr traute,
aus der Beängstigung des Goldgetätters

befreiten mich Berührung, Freundeslaute.
Und jemand griff mich kraftvoll ums Gelenke,
daß sich mein Blut fast in den Adern staute.

Mein Führer war's. »Was läufst du aus der Schenke?
Es ist nicht gut, den Führer zu verlassen!
Dein Ziel erreichst du nur, wenn ich dich lenke.«

So sprach er. »Bin ich Hans auf allen Gassen,
beschreit' ich nimmermehr die Bahn der Bahnen
und werde sicher Ziel wie Weg verpassen.«

Ich sprach: »Du hättest recht, mich zu vermahnen,
allein, ich sah dich sinken, dich verbleichen:
wie sollt' ich deine Auferstehung ahnen?«

Er sagte: »Blick dich um in meinen Reichen!
Wer kann die Wesen zählen, welche starben,
doch wie du um dich blickst, wo gibt es Leichen?«

Verändert war Satanael. Es warben
um seine Mienen Ernst und leises Spotten.
Nicht mehr ein Jüngling schien er. Aller Farben

wie auf den Flügeln schillernd bunter Motten
ein Durcheinander gab's auf dem Talar,
den er nun trug: er schien ihn zu vergotten,

zumal ein Strahlenlimbus ihm ums Haar
in einem rosenfarbnen Lichte glühte
und seine Sohle nicht am Boden war.

Am lichten Regenhimmel aber sprühte
vielfarbig auf des zornigen Gottes Bogen
zum Zeichen, daß er nun nicht weiter wüte.

Und wieder kamen Klänge hergezogen,
die ewigen Friedens Seligkeit versprachen.
Schon das Versprechen glättete die Wogen

Still ward's und klar und hell. Ein schlichtes Wachen
kam in mich: da geschah's, daß wir uns hoben
wie Geister, die vom Irdischen frei sich machen.

Vereinigt stiegen beide wir nach oben,
senkrecht, bis wir in großer Höhe standen,
so fest, als sei ein Berg uns unterschoben.

Wir blickten weithin ob Europens Landen,
flach wie ein Kuchenblech dahingebreitet,
brosamenklein die Städt' und Dörfer standen.

Wir sahn zum Ost- und Nordmeer hingeleitet
die Ströme und zum offnen Weltgewässer
und alles, was ins Mittelmeer entgleitet.

Der Ister schnitt sich wie mit scharfem Messer
den Pfad nach Osten durch zum Schwarzen Meere.
Mein Führer aber sagte, unterdes er

sich senkte: »Daß man Irdisches verehre,
ist nötig, daß es einem größer scheine;
was ist uns diese Fläche kahler Leere?«

Da stieg sie gegen uns in buntem Scheine,
ward farbig, faltig, streckte weiße Spitzen,
groß ward und vielgestalt das Winzig-Kleine.

Wir sahn der Pyrenäen Gipfel blitzen,
die Alpen leuchten und die Meere blauen,
Schiffskiele ihre glatten Fluten ritzen.

Wir sahn Iberiens und Galliens Auen,
Erin, das grüne, neben Großbritannien
und endlich, eingeengt, die deutschen Gauen.

Mein Führer sprach: »Vom Lande der Kastanien
bis gen Damaskus und von dort zur Spitze
des Nordkaps und von hier zurück nach Spanien

zieh Linien. Dieses Dreieck ward zum Sitze
der stärksten Völker und der ärgsten Kämpfe
und meines Bruders, der regiert die Blitze.

Er litt, du weißt, am Kreuze Todeskrämpfe.
Noch lebend ward er dann herabgenommen.
Auf daß sich seine Leidenswollust dämpfe,

hat ihn, mir scheint, die Prüfung überkommen.
Er litt, er weinte um Jerusalem;
doch bald von seinen Tränen überschwommen

glänzte Europa, deren Diadem,
den Dornenkranz, er in die Stirn sich drückte.
Und Geißelhiebe litt er außerdem

derselben Geißel, die mit Striemen schmückte
Europens heiligen, marterseligen Leib.
Vielleicht, daß nichts ihn so im Schmerz beglückte,

als daß er litt für dieses schönste Weib.
Er starb am Hermon einsam und vergessen,
und keines Jüngers Stimme sprach: Herr, bleib!

Allein, er ward vollendet unterdessen:
er ging dahin, zum Leiden einst geboren
– vermischt mit Schmach ward es ihm zugemessen! –,

doch nun zur Nimmerwiederkehr erkoren.
Allein, Europa leidet weiter Schmerzen
und scheint für Zeit und Ewigkeit verloren.«

Da sprach ich, als es dunkelte, die Kerzen
der Himmelskuppel mählich sich entfachten:
»Der Heiland starb wohl am gebrochnen Herzen.«

Wir sahn die Tiefe langsam sich umnachten.
Ich faßte meines Führers Hand erbangend,
es schien mir, daß wir beide Schlimmes dachten.

»Wie grausam zäh an ihrer Feindschaft hangend
sind dieser reichsten Brudervölker Seelen,
blutgierig, rachedurstig, mordverlangend.

Das deutsche darf in diesem Bund nicht fehlen
der Feindschaft, den vergoßnes Blut nur kittet,
wir wollen seine Sünden nicht verhehlen.«

So sprach ich und fuhr fort: »Wie hoch gesittet
sind dennoch diese Völker und begnadet!
Was immer nur ein Wünschender erbittet,

besitzen sie. In Fruchtbarkeit gebadet
gleich Paradiesen duftende Gelände
sind ihre, denen Brand und Frost nicht schadet.

Ihr Geist wie hell, wie kunstreich ihre Hände!
Nichts beugte ihren Mut auf Ozeanen.
Wo ist die Faust, die es sich unterstände,

Vasco da Gamas und Kolumbus' Bahnen
zu hemmen, als sie neue Welten suchten,
von Wassern sie ertrotzend und Orkanen?

Und die auf andren Wegen sich versuchten,
wie viele gibt es derer! Die Erlauchten,
wer nennt sie, welche Kleios Finger buchten?

Homer, der alte, und die niedertauchten
ins Unergründliche, so Heraklit,
so der, in den die eigne Seele hauchte

Platon: der weise Sokrates. Kein Schritt,
wo du nicht Staub von einem Halbgott rührtest,
der hier einst Menschenlos und -leid erlitt.

Und wenn du sie an mir vorüberführtest,
fast endlos wäre die erlauchte Reihe.
Und ob du ihrer den, ob den erkürtest,

ein jeder trägt der Menschheit höchste Weihe.
Sprich Pheidias, sprich Seneca und sprich
Vergil, der zweimal lebte, weil aufs neue

nach dreizehnhundert Todesjahren sich
sein Grab durch Dantes Schöpferwort erschlossen.
Wen nenn' ich mehr noch? Ich bescheide mich.

Sei's Michelangelo, der in Stein geschlossen
erhabner Bildung alle tiefsten Leiden.
Wer kennt nicht seine göttlichen Genossen!

Beethoven nenn' ich, Bach! Und diesen beiden
gesellt ein Kranz sich, der im Lichtgedränge
um Gottes Thron einst musiziert. Zu weiden

des Höchsten Seele, dienen ihre Klänge.
Ich nenne Calderon, Shakespeare. Das Heer
von Gottesmännern bildet eine Menge.

Auch ihre Feinde nenn' ich, so Voltaire,
und jene, die den Kräften der Natur
Zügel anlegten, ihre Gegenwehr

zerbrachen und sie banden wie durch Schwur.
Allein, was red' ich, solch Geschlecht zu preisen?
Mein armer Lobgesang ist Stammeln nur.

Von höchsten Geistern wimmelt und von Weisen
Europa, doch es ward dadurch nicht weise.
Sein Genius konnte Fremde unterweisen:

Zeit ist's, daß er sich selber unterweise.«
Und mein Begleiter sprach: »Wohl hast du recht.
Allein, du hast nur recht auf deine Weise.

Die Einigkeit auf Erden ist nicht echt,
und immer müssen Brüder sich befehden,
so wollte Gott das menschliche Geschlecht.

Von Einigkeit und Frieden läßt sich reden,
doch selber spricht die Zwietracht und der Krieg:
sie überschreien jedes Wort und jeden,

der nicht aus sich von Fried' und Eintracht schwieg.
Auch uns laß also lieber davon schweigen.«
Er schloß, als schon ein Laut von unten stieg,

ein dumpfes Schüttern, wunderlich und eigen.
Einmal begonnen, fand das düstre Brummen
kein Ende. Als wir diesem Klang uns neigen,

scheint sich die Erde unten zu vermummen.
Sie quillt Gewölke, krachend, wie aus Nacht,
und dumpfe Schläge wollen nicht verstummen.

Und wie es immer weiter dröhnt und kracht,
ist mir wie dem nach tiefem Schlaf zumute,
der in der Folterkammer neu erwacht.

Auf seinen Rücken saust des Henkers Rute.
Sein Traum entrückte ihn ins Paradies.
Hier wälzt er sich in Qual und schwimmt im Blute.

»Du träumtest Höheres, und nun träumst du dies«,
sprach mein Begleiter. – »Nein, dies sind nicht Träume!«
dagegen ich. »Ich liege im Verlies,

und wie ich immer mich dagegen bäume,
was hier geschieht, dem wollte ich entfliehn
in bilderreiche Tiefen blinder Räume.

Nun hat der Schlaf mich wieder ausgespien.
Erbarmungslos zerreißt der Wahn der Weihe.
Aus tausend Mäulern wird mir zugeschrien

mein Schicksal, hör' ich Deutschlands Schmerzensschreie.« –
Mein Führer nahm mich stützend bei der Hand.
»Nun kommt des Satans schlimmste Narreteie,

nun erst betrittst du das verfluchte Land«,
so mein Begleiter jetzt. »Hier überschlagen
Unsinn und Wahnsinn sich im Höllenbrand

bajazzohaft. Hier denkt der große Magen.
Hier brüstet schamlos sich die große Gier.
Hier hört man nie der Wahrheit Stunde schlagen.«

Und über rote Wüste schritten wir
– sie wimmelte von kleinen schwarzen Schlangen
dem Jahrmarkt zu. Dort saß ein zottiges Tier,

ein riesenhafter Bock. Er war behangen
blaurot mit seinem widerlichen Schmuck:
nie sah ich's so auf offnem Markte prangen.

Zuweilen tat die Bestie einen Zuck
und drehte Höllengrün in ihrem Blicke!
Kurzum, es war ein schauerlicher Spuk.

Ein schwarzer Kater saß ihr im Genicke.
Ein Pöbel wütete und schrie: »Jalla!« –
»Hier gibt's kein Hexenaas, das ich nicht …«

rief uns der erste Kerl an, der uns sah.
»Der Sabbat ist im Gang und große Sachen,
der Sieg ist unser und der Himmel nah!«

Da hörte man zuerst das große Lachen.
Es war, als schüttelte sich Berg und Gruft,
des Weltalls Bänder fingen an zu krachen.

Es schossen kreischend Sterne aus der Luft,
wie um dabeizusein bei solchem Feste,
und jetzo boll uns an ein andrer Schuft:

»Erzlügner, beide, seid willkommne Gäste!
Doch denke jeder beim Allmächt'gen dran,
daß er mit Wahrheit nicht den Markt verpeste!

Grüßt nun den Heiland, Meister Urian!
Im Knieen küßt man seine schwarzen Zotten,
die rechten Stellen gibt er selbst euch an.

Er schwor, den Krieg vom Erdreich auszurotten.
Jalla! Jalla! Welch ungeheure Tat!
Vier Sünder sitzen vor ihm, hartgesotten.

Sie bilden gleichsam seinen hohen Rat,
den Friedensbund der Menschheit zu begründen,
gleichsam des Augustini Gottesstaat.«

Da scholl ein Lachen wie aus tausend Schlünden,
es wackelte die Erde tief und breit,
mir schnürte sich die Kehle zu, aus Gründen.

Vier Räte saßen dort in weißem Kleid,
sie sprachen ruhig salbungsvollen Tones.
Doch auf und ab, mit Höllenheiterkeit,

umsausten sie unzählige Soplones:
mit Schwingen einer Riesenfledermaus
versehn die Schultern jedes Höllensohnes!

Sie stießen Abgrundsluft in Pfiffen aus,
durchs Ohr der Richter rotes Herz verfärbend,
daß schwarz es schlug durchs weiße Kleid heraus,

und ihnen gleichsam Leib und Seele gerbend,
damit sie undurchdringlich sei dem Strahl
der Menschlichkeit, sie und ihr Werk verderbend.

Und einer hob sich aus der Richter Zahl,
urbi et orbi solches zu entdecken:
»Es war die Welt bis heut ein Jammertal.

Wir wollen sie zum ewigen Frühling wecken!«
Da heulte eine Stimme durch den Raum:
»Du meinst, ihr wollt sie in die Tasche stecken!«

Nun lachte, als dies Wort verschollen kaum,
der Hund, das Pferd, der Esel auf dem Markte:
wie bestialisch war doch dieser Traum!

Als das Gelächter zum Orkan erstarkte,
da sprachen die vier Richter ein Gebet,
wobei man nicht mit Händeringen kargte.

Sie wandten sich dabei an Baphomet.
Der schlägt mit seinem Klöppel – eine Glocke
am zott'gen Halse –, der von unten steht.

»Sieh doch, sie beten zu dem stink'gen Bocke«,
sprach ich. Und mein Begleiter: »Rate, was?!«
Ich sprach: »Es näseln die im weißen Rocke:

›Ora pro nobis, Sancte Satanas!‹«
Mein Führer drauf: »Ganz recht hast du verstanden,
und euer Martin Luther lehrte das.« –

»So läge denn so tief in Teufels Banden,
was die sechs heil'gen Tagewerke einst
vollendeten und als sehr gut erfanden?« –

»So ist es; und kein Wunder, daß du weinst!«
mein Führer sprach. »Du mußt noch tiefer loten,
denn Schlimmres wartet deiner, als du meinst.« –

»Ich füge mich dem Traum, den du geboten.«
Dies aber war das letzte, was ich sprach,
dann hört' ich nur noch schmerzlich scharfe Noten

in meinem Hirn. Sie schwanden nach und nach,
bis ich bewußtlos lag. Wie viele Stunden?
Dann sagte jemand: »Oh, welch Ungemach!

Du fielst, von Erdenschwere überwunden,
und meine Rechte war nicht stark genug,
dich dort zu halten, wo wir beide stunden,

und deinem Sturz versagte, die uns trug,
die alte Traumeskraft: du schossest nieder
jählings zur Tiefe wie ein Stein im Flug.

Doch nun steh auf, denn heil sind deine Glieder!«

 

Sechster Gesang

Kaum, daß er es gesagt, so stand ich heil,
wie er's verheißen, da auf beiden Füßen.
Herausgerissen war der Schmerzenspfeil.

Mein Retter rief: »Vom Bitteren zum Süßen
dich hinzuwenden, hofft nun mein Geleit.« –
»Ich habe oft«, sprach ich, »erwachen müssen,

durch solchen Sturz vom Traumesalp befreit.«
Er drauf: »Still! noch gehörst du unsrem Traume.
Nur eine Woge voller Bitterkeit

trat über, netzte dich mit blut'gem Schaume
aus dem Bereiche deiner wachen Not.«
Wir waren plötzlich unter einem Baume.

Sein Riesenwipfel stand im Abendrot;
in seinen Zweigen hingen goldne Harfen,
die nun ertönten wie auf Machtgebot

und, wie mir vorkam, klingend Strahlen warfen.
Durch ihren Zauber wiederum vermählt
ward weichster Schmelz mit allem schneidend-scharfen

Verlust und Wiederfinden. Und erwählt
schien ich aufs neue, selig zu umarmen,
was doch als immerdar verloren zählt.

»Du fühlst mit dir ein schmerzliches Erbarmen.
Das ist der Hauch von einem höchsten Glück«,
hub wieder nun mein Führer an. »Den Armen

schenkt sich im Traum Vergeßnes gern zurück,
was, weil vergänglich, sie doch nie besaßen.
Von Täuschung leben wir in jedem Stück.«

Doch als wir nun am Stamme niedersaßen,
lacht' ich des andren, der von Täuschung sprach,
denn wirklich rings war, über alle Maßen,

was ich ersehn, betastet nach und nach:
Baumrinde, Gräser, Erdreich und so fort,
bis jäh aus hohlem Stamm ein Schimmer brach.

Ein namenloses Klingen kam von dort,
wie Silbergrillen ihre Beinchen reiben.
Auf einmal trat ein langvergeßnes Wort

auf meine Zunge: »Freund, die goldnen Scheiben!«
Und mächtig weitete sich meine Brust,
in meinem Blute gor ein seliges Treiben.

Mit einem Griff, mir selbst fast unbewußt,
holt' ich den ersten Diskus aus dem Stamme,
beim zweiten Diskus lacht' ich auf vor Lust.

Der dritte Diskus, eine goldne Flamme,
schien ein Fanal für ein unsterblich Fest,
ein ewig Licht, das Not und Nacht verdamme.

In mir verbrannt war jeder Erdenrest,
Europa, das von Raub und Mord geplagte,
ganz ins Verlies der Brust hinabgepreßt.

Kein Gift, das noch an meiner Seele nagte!
Der Götterspiele heiliges Gerät
vernichtete das Morsche und Verzagte.

Mein Führer stand voll heitrer Majestät.
Er sprach: »Man möchte sagen, Abendstunde
ist Morgenstunde. Und wer frühe sät,

dem hat die Abendstunde Gold im Munde.
Mich wundert nur, daß du die goldnen runden
Spielzeuge kennst. Woher hast du die Kunde?

Du weißt doch wohl, mein Freund, was du gefunden?«
Ich sann und sprach: »Ich weiß es – und auch nicht.
Mein Fühlen weiß, mein Denken ist gebunden.

Doch wehe dem, der sich den Kopf zerbricht,
wenn ihn die ewige Liebe so begnadet!
Drei Würfe muß ich tun im Abendlicht.

Nie haben solche Würfe je geschadet,
mit solchem Wurfgeschoß nach seligem Ziel!« –
»Wohin voraus es stürmt, wohin es ladet,

dort welket wenig und dort blühet viel.«
So sprach Satanael. »Doch sollst du wissen:
es ist der Kinder Gottes frühstes Spiel.

Dann freilich mußten sie es lange missen.
Auch dir ist es nur kurze Zeit geliehn.
Es zu benützen sei nun auch beflissen.«

Den Diskus griff ich, und dann warf ich ihn,
den ich zuerst entdeckt; er war entflogen,
doch ließ uns nicht zurücke, wie es schien.

Und wo zu Ende war des Fluges Bogen,
standen auch wir vor einem schlichten Tor
in einer Mauer, nach der Schnur gezogen.

Das goldne Wurfgeschoß lag nicht davor,
vielmehr, es war darüber hin verschwunden.
Und hinter Tor und Mauer stieg empor

ein Park, von gelbem Wegenetz durchwunden.
Laubmassen fieberten von Vogelsang,
als wäre Himmelsfreude hier entbunden.

Mein Mentor sprach: »Der grüne Gartenhang
ist ein Bereich, das du mit niemand teilest
– ich weiß! –, und darum trennt sich unser Gang

auf kurze Zeit, die du darin verweilest.«
Er war verschwunden wie die Hand voll Staub,
die du mit schnellem Wurf in Luft verteilest.

Vielleicht indes war ich nur blind und taub
für alles außer das, was meiner harrte
dort drinnen unterm grünen Lindenlaub.

Schon hört' ich, wie im Tor der Schlüssel knarrte.
Der alte Gärtner zog den Flügel an.
Heil dem, was er entfernt' und offenbarte!

O Mary, Mary, was hast du getan,
du Liebliche, mich so emporzuheben:
mich Hungerleider, Nichtsnutz, Scharlatan!

Dies dacht' ich, sagt' ich nicht. Entgegenschweben
sah ich die Liebliche mit weichem Fuß,
wie Wellen leis sich senken, leis sich heben.

Ein leises Nicken war ihr süßer Gruß;
von zarter Scham das Antlitz übergossen,
scheu, liebreich bot sie ihren Mund zum Kuß.

Die Rosen pflückt' ich, welche da entsprossen.
Allein, kein irdisch Fühlen je ermißt,
Weis ich mit beiden Armen dann umschlossen.

Wie wenn ein Bettler du am Tore bist,
demütig harrend der geringsten Krume,
und jene, die des Schlosses Herrin ist,

dich bei der Hand nimmt und zum Heiligtume
des Fraungemaches deine Schritte lenkt
und sich und alles dir zum Eigentume,

zehn Himmelreiche, dir errötend schenkt –
so tat mir Mary. Doch als wenn empfinge
die Geb'rin, war es jetzt, nun wir verschränkt

dem Schloß zu wandelten. Und alle Dinge
rings standen ganz in einem Zauberglast,
als ob ein fremdes Licht vom Himmel dringe.

Kaum, süße Mary, dachte dies dein Gast;
Duftwolken trinkend blühender Holunder,
ward er von seligem Staunen ganz erfaßt.

Im Himmelsgrün ein tausendfarbiges Wunder,
als unsre eigne Sonne, blendend ganz
stand er, mein kaum gefundner, golden runder

Diskus. Wir atmeten in seinem Glanz.
»Sieh, unsre Sohlen knirschen auf Türkisen!«
sprach ich. »Betäubt dich nicht der Strahlentanz?«

Sie sprach: »Es ist nur Schatten schlichter Wiesen« –
und führte weiter mich geliebten Steg
und Stufen zu bekannten Paradiesen:

die Pergola entlang dem Weingeheg'
auf Glasbergs, Zauberberges halber Steile. –
Im Tale rollt der Elbstrom seinen Weg.

Wer ganz am Ziel ist, der hat keine Eile
So Liebende, in Wonne eingehüllt,
wir dachten nur: O Augenblick, verweile!

Bald unter Brombeerranken ward enthüllt
ein Felsgewölb', genannt die Muschelgrotte.
Von heimlich-feuchtem Dämmer war's erfüllt,

mit Malerei geschmückt, dem Traubengotte
gewidmet. Spielende Eroten wies
die Wand, mit Winzermesser, Faß und Botte.

Sei mir bedankt, glückseliges Verlies,
wo Aphroditens Sohn uns hold belehrte
und jedes liebliche Geheimnis wies!

Süß war, was ich gewann, was ich entbehrte;
kühl und versagend schien die Priesterin,
obgleich verzehrend Feuer an ihr zehrte.

Oft schmolz in Tränen dann ihr stolzer Sinn.
Sie sprach: »O wüßt' ich doch, wie ich dich tröste!
Ich fühle, daß ich hart und grausam bin.«

O wieviel neue Glut sie in mich flößte
mit solchem Wort, das schwersten Kampf verriet,
ihr drängend Herz verhüllte und entblößte!

Demütig folgsam hab' ich dann gekniet,
wohl unterwiesen von des Knäbleins Tücke,
weil oft Verzicht Gewährung nach sich zieht

Allein, was red' ich noch von unsrem Glücke!
Kein Becher und kein Wort erschöpft den Born
der jungen Liebe. Als wir nun zurücke

gekehrt ins Licht, da hing des Mondes Horn
am Himmel, den die Sonne schon verlassen,
und Abschied schmerzte wie ein leiser Dorn,

den keines Arztes Werkzeug kann erfassen.
Mary, du selber glichst dem Mond: es floß
die Träne dir vom Angesicht, dem blassen!

Du glichst der Nacht: denn blauschwarz dir umgoß
das Haupt dein Haar. So jung du warst an Jahren,
es glich der Nacht, was dir im Auge sproß!

In Nacht und Schmerzen schienest du erfahren
gleich einem milden Cherub, der am Rand
von Eden sieht der Ausgestoßnen Scharen:

zu Hause selber im Gelobten Land. –
Und wieder schritten innigst wir vereinet
hin ob der Gartenwege gelbem Sand.

Und Mary sprach: »Gott weiß, warum man weinet,
wo man doch allerhöchstes Glück genießt
und jeder letzte Wunsch erfüllt erscheinet.

Kein Wachen ist so wach, kein Traumbild gießt
so heiße Düfte fremder Spezereien
aus als der Augenblick, der uns umschließt.« –

»Ja«, sprach ich, »wir genießen alle Weihen!
Und wenn wir sterben, haben wir gelebt.
Nichts Größres hat der Himmel zu verleihen.«

Mein Mädchen war dem Schlosse zugeschwebt,
des Glücks Herberge, fest in alten Zeiten
errichtet, nun von Jugendlust durchbebt.

Die reichsten Tafeln sah man zubereiten,
Fruchtschalen lockten, golden perlte Wein,
Festklänge schwollen her von allen Seiten,

Demanten funkelten im Kerzenschein.
Da sah man Marys reiche Freier sitzen.
Mir aber sprach ihr Auge: Ewig dein!

Welch ein Triumph, alleine zu besitzen,
wonach vergeblich jeder Wunsch sich drängt,
dich Neid und Haß ohnmächtig rings umblitzen.

Doch warum fühlst du plötzlich dich beengt
im Glück, dem du noch eben ew'ge Dauer
brünstig erfleht, und wirst hinausgedrängt

ins Freie? irrst im Garten voller Trauer
wie ein Gefangner, der den Ausgang sucht?
Allein dich hemmt, dich hält die hohe Mauer.

Bist du vor deinem Glücke auf der Flucht?
Nun wohl, nicht Tür noch Tor sind mehr zu finden,
wie immer du die Mauer untersucht.

Berührst du sie, so weicht sie. Dich zu binden
scheint ihre Absicht nicht: schreit immer zu,
so dehnt sie sich, doch ohne zu verschwinden.

Ich wandre Monde, Jahre ohne Ruh',
und weiter immer werden meine Ringe,
weiter der Garten, doch stets bleibt er zu.

Und Mary fragt mich oft, wohin ich ginge,
die Zaub'rin, deren Zauberkreis mich hält,
heimlich gewiß, daß ich ihr nicht entspringe.

Ich sprach: »Da draußen liegt die ganze Welt.
Ein Labyrinth von Wegen lockt ins Weite.« –
»So wäre dir der Garten denn vergällt?«

sprach sie. »Nun gut, ich bleibe dir zur Seite,
obgleich die Wirrsal, die du suchst, mich schreckt.«
Und also gab mir Mary das Geleite.

Oft ward ich nachts von Stimmen aufgeweckt,
die nach mir riefen und von jenseit kamen.
»Geliebter, bleib!« sprach sie, »du wirst geneckt.

Nichts ruft!« Allein, schon hing ich fest im Hamen,
sprang auf und irrte draußen wild umher,
und Marys müde, weiche Füße kamen

dicht hinter mir. Die Arme seufzte schwer
in Herzensangst: »Wer ruft dich, Liebster? – Eile
doch nicht so rastlos! Sieh, ich kann nicht mehr!«

Doch an der Ferse mir noch manche Meile
verzweifelt hing sie, blut'gen Fußes, fest,
flehend, beschwörend, daß ich doch verweile.

Allein ich schrie: »Verweilen ist die Pest!
Ich hasse ruheselige Verwesung!
Luft! oder nimm den Dolch, gib mir den Rest!«

Wie blühte einst der Wein! War dies die Lesung? –
»Denk unsrer Kinder!« ächzte sie in Qual.
Ich aber tobte: »Freiheit! Licht! Genesung!«

Da zuckte, wie von unsichtbarem Strahl
getroffen, Mary: und, verkohlt in Flammen,
zur Schlacke, schien's, ward sie mit einemmal.

Schwärzlich entstellt brach Mary dann zusammen,
die Zunge beißend, Schaum vor blut'gem Mund:
Nun wohl, ich schwanke nicht, mich zu verdammen

Doch Schauder und Entsetzen traf mich, und
von Graun gewirbelt wie von wilden Winden
floh ich, als hetze mich der Höllenhund.

Da klang ein Wort: »Du kannst das Tor nicht finden
Hierher! Hierher zu mir, betrogner Wicht!
Der dich gefesselt, kann dich auch entbinden.«

Es war Satanael, der, lauter Licht,
am Tore lachend stand mit heitren Wangen.
Ich wollte folgen, doch vermocht' ich's nicht.

Zwiespältig war nun plötzlich mein Verlangen.
Mein Führer aber wuchs und griff nach mir,
und seine Fäuste packten mich wie Zangen,

und herrlich goldner Schwingen spreizt' er vier.
Schon hört' ich sie im Fluge schrecklich sausen.
»Dein erster Wurf, sag, wie gefiel er dir?«

sprach, der nun Cherub war, mit Odembrausen.
Ich stieß hervor: »Gut, gut!« – »War's ein Gewinn?«
so er. Ich schwieg. »Gegönnt sind dir die Pausen!«

warf, der mich trug, mit wildem Lachen hin.
Ich drauf: »Den zweiten Wurf, ich will den zweiten!«
Er: »Wer zu End' ist, wünscht den Anbeginn.

Allein, läßt du die zweite dir entgleiten
der Scheiben, wie die erste dir zerging,
wird wenig Freude dir dies Spiel bereiten,

das einst den Göttern über alles ging.«
Ich sprach: »Ich sehne mich nach jenem Baume,
allwo der goldne Fund im Stamme hing.

Nun führst du mich unendlich fort im Raume,
wo wurfweit nahe das Ersehnte doch.
Mich quält dein Flug wie Flug im Fiebertraume.« –

»Schlaf«, sprach er, »denn nicht Monde: Jahre noch
muß dieser starken Flügel Kraft sich regen
die Wurfbahn rückwärts, ehe wir das Loch

im hohlen Stamm, wo du den Göttersegen
entdeckt hast, und die Scheiben wiedersehn,
die höchstes Hoffnungsglück in dir erregen.

Ertrage dieser mächt'gen Flügel Wehn,
die freilich einstmals andre Räume kannten.
Unmöglich ist's, den Weg zu Fuß zu gehn.«

Und plötzlich fühlt' ich klar den Ungenannten,
der in der höchsten Schar der Höchste war,
eh seine Schöpfertaten ihn verbannten.

Sternwirbel waren sein ambrosisch Haar,
wie Goldstaub schimmerten in seinen Brauen
Lichtwelten, unaussprechlich wunderbar.

Er sah nicht, nein, sein Auge war das Schauen.
Er war nicht schön, er war die Schönheit ganz.
Doch wie wenn Blitze sich im hellen Blauen

freizünden, grell, in eigenwilligem Glanz,
so zuckten Blitze hier aus Blick und Mienen,
oft knisterte ein ganzer Funkentanz,

höllische Schwärme stechend gelber Bienen,
um ihn. Ein Lichtschweif, der sich fern verlor,
die Tief und Höhe war davon durchschienen.

Satanael, du Gottesmeteor,
verlorner Sohn, zeitlich und ewig mächtig!
allwissend Weiser und bewußter Tor!

Du, von der höchsten Gottheit Sünden trächtig
und sündlos doch im unberührten Kern,
dem Höllen- und dem Himmelreich verdächtig,

den Himmeln allerschönster Morgenstern!
Was war' die Hölle, wär' er nicht gefallen?
Ein Schandpfuhl, Flüche kreischend Gott dem Herrn!

Du Cherub ließest deine Stimme hallen,
erfüllt von deines Vaters Schöpferkraft,
und allgewaltig formten deine Krallen

aus Feuer: Erde, Liebe, Leidenschaft.
Du buhltest tollkühn-heimisch im Verruchten
mit Höllentöchtern. Deiner Zeugung Saft

schuf Zwitter aus den Leibern der Verfluchten:
die Bürger deiner neu geformten Erde,
erlöste Teufel, die den Himmel suchten.

Und nie ermüdet hallt dein Ruf: Es werde!
Nie darfst du wie dein ew'ger Vater ruhn,
sonst würgten Abgrundswölfe deine Herde.

Denn immer ist's ein unvollkommnes Tun
und also Arbeit, mühevoll und sauer,
gelingend gestern und mißlingend nun!

Doch du erhabner Teufelskirchenbauer,
du ruhst nicht, eh das ganze Werk gelingt
und nach vollkommnen Leidens langer Dauer

der Sieg aus allen Glockentürmen dringt.
Dann ist der Tag, wo sich dein Wirken krönet
und wieder sich ins Ungeborne schwingt.

Wie wenn ein Orgelwerk gewaltig tönet,
vernahm ich immer noch des Führers Flug.
Er sprach: »Du bist des Reisens nicht gewöhnet!«

Ich fuhr wie einstmals, wenn die Glocke schlug,
empor und merkte nun, ich war entschlafen,
indes mein Vogel mich noch immer trug,

und große Träume gaben mir zu schaffen.
Ich fragte schläfrig: »Wann sind wir am Ziel?« –
»Geduld«, sprach er, »wir dürfen nicht erschlaffen.

Was tut's, schlaf weiter! Du verschliefst zwar viel,
denn sieh, kein Kranich segelt solche Bahnen.
Doch schlaf, ich schaffe dir dein altes Spiel!«

Mir schien zur Munterkeit das ein Ermahnen.
Zu mächtig fast war das Gesicht um mich
von Weltenräumen, Sternen-Ozeanen.

Und in mir spürt' ich's wie der Schlange Stich,
die vielfach einst Satanael gebissen.
»Was ist, was schmerzt dich?« sprach mein Dämon, »sprich!« –

»Ich habe einen Stachel im Gewissen.« –
»Würd' ich dich tragen«, rief er, »könnt'st du gehn?
Doch Leib und Seele sind dir ganz zerrissen.

Nun aber kannst du deine Eiche sehn
und bald zum neuen Wurf dich vorbereiten.«
Wir sanken, fanden Grund und blieben stehn.

Mich packte Schwindel, Übelkeit im Gleiten.
Drum sank ich wie gelähmt alsbald ins Gras.
Ach, mich und Mary trennten Ewigkeiten!

Mein Führer rief: »Das ist ein übler Spaß,
hier hat der alte Vogel Greif gehauset.
Du weißt, er liebt den Raub und liebt den Fraß.

Das Glänzende wird gern von ihm gemauset,
sein Adlerblick ersah dein Diskuspaar!
Du siehst, die Äste haben ihn gezauset,

er ließ hier Federn, doch ein solcher Aar
besitzt wohl ungezählte Federkleider.
Und was er stiehlt – soviel ist einmal wahr,

daß es für lange Zeit verloren leider!«

 

Siebenter Gesang

Ganz ohne Anteil traf mich der Verlust,
den mir mein eigner Vogel Greif berichtet.
»Mir schwindelt«, sprach ich, »und in meiner Brust

hat Überdruß am Dasein sich verdichtet.« –
»So ruh dich aus, du wirst ein Weilchen liegen«,
drauf er, der sich zum Führer mir verpflichtet.

Und ich: »Nein, nein, nicht schreiten mehr noch fliegen
mag ich durch diesen uferlosen Traum!
Schlaf! Schlaf! Gib mir den Schlaf, ihn zu besiegen!

Wenn du es kannst, nimm mich aus Zeit und Raum,
denn überdrüssig bin ich des Bewegens,
ich hasse Götterspiel und Harfenbaum.

Nicht mehr als Opfer grellen Bildersegens
laß mit dem Tod mich ringen: wie im Meer
der Sinkende, zum Grunde unterwegens,

es tut, nur Wasser, Wasser um ihn her!
Wer hat in diese Tiefe mich gezogen?
Wer, frag' ich, hält mich drin gebunden, wer?

im toten Bildermeere ohne Wogen,
durch das kein Auge mehr ins Freie blickt,
wo immer doch ihm jedes Bild gelogen.

Außer mit Qual, in die es uns verstrickt,
beschenkt uns keines, was es immer lüge:
im Meer der Täuschung werden wir erstickt.«

Nun wieder menschlich meines Cherubs Zug«,
Gestalt und Haltung, trat er sanft zu mir
und sprach zu mir im Tone leiser Rüge:

»Im Wandern ruhn, im Ruhen wandern wir.
Ich kann von Bildern zwar dich nicht erlösen,
denn eben um zu sehen sind wir hier.

Ein Größerer ward einst versucht vom ›Bösen‹
– so nannt' er mich, der ihn wie dich geführt! –,
und es gelang ihm, sich von mir zu lösen.

Er sprach: ›Du hast ein Feuer angeschürt,
Maro, an dem ich mich nicht mehr entzünde!‹
Auch nannt' er mich Maro, wie mir gebührt.

Die Schöpfung war ihm nur die große Sünde. –
Als ich Tanha, Arati und Raga
ihm, meine Töchter, zeigte: ›Ich verbünde

mich nicht mit Lügengöttern‹, rief er da!
Und doch, der so mich schmähte und verkannte
und gleichsam nicht, den Wald vor Bäumen sah,

das Allerschaffne in das Nichts verbannte,
er blieb ein nimmermüder Wandersmann,
der kein Verweilen hier auf Erden kannte.« –

Befremdet sah ich meinen Führer an
und sprach: »Wie viele Namen magst du tragen,
der diese Leidenswelt ertragen kann?

An allen Gliedern bin ich wie zerschlagen.
Schlaf! Gib mir Schlaf, dem kein Erwachen droht,
selbst selige Himmel werden mir zu Plagen.

In deinen Händen ist des Lebens Brot.
Mich hungert nicht mehr. Was ich heiß begehre,
ist, was du mehr zu geben hast: der Tod!« –

»O Freund, bedenke, daß ich dich belehre.
Nur Schattens Schatten ist ja, was du siehst.
Du hast's durchlebt in einer andern Sphäre.

Was Schein ist, ist nicht wert, daß du es fliehst,
gedenk des Tempels und der Aufgebahrten,
um die du doch nur träumend Kreise ziehst.«

Und als ich nun gedachte jener harten,
versteinten Toten und des Tempels, drin
sich mir so heilige Dinge offenbarten,

befreite sich vom Druck mein trüber Sinn.
Es war, wie wenn der Täuschung Schleier wiche
und sich mir böte ewiger Gewinn.

Mein Meister hat gar wunderliche Schliche,
dacht' ich, schon hangend wieder ihm am Arm,
hinwandernd durch bekannte Länderstriche.

»Deutschland!« so sprach ich, und mir wurde warm;
und plötzlich hört' ich Festtagsglocken schlagen,
der großen Dome heiligen Alarm.

Die Sonnenluft schien seliges Erz zu tragen,
schwer war der Raum und wogte weit vom Klang.
Sein ist die Macht, die Kraft, schien er zu sagen,

und seiner Herrlichkeit gilt mein Gesang.
Er herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeiten,
er lebt Äonen von Äonen lang.

Ich sprach: »Gottselig sind doch diese Zeiten,
wo alles gleichsam ganz vom Geist erbebt.«
Er sagte nur: »Nun, laß uns weiterschreiten!

Gewiß ist's Macht, was in den Klängen lebt
– sie strömt herab von allen Kathedralen –,
doch Macht, die mehr erdrückt, als sie erhebt.

Dein Deutschland mußte diese Macht bezahlen
mit vielem äußren, vielem innren Gut,
sein bester Weizen ward zu Rom vermahlen.

Fürwahr, die heilige Mühle mahlte gut.
Der Bäck' verbuk das Mehl zu röm'schem Brote,
gewalkt mit deutschen Tränen, deutschem Blut.

Nie stak mein Fleisch und Blut so tief im Kote,
nie ward's in meinem Bruder so entehrt,
als wo man es genoß mit Spott und Zote.

Was ward von diesem Abgrund nicht verzehrt
gleichwie von einem nimmersatten Bauche!
Und wie und was ward wieder ausgeleert!

Ich meine Rom, das wie aus einem Schlauche
ausgoß den Unrat seiner Völlerei,
der Pest verbreitete mit gift'gem Hauche

dorthin, wo zynisch seine Räuberei
vorher der Länder Reichtum ausgefeget.
Die Gegengabe war nun sein Gespei.«

Er schwieg wie der, den so der Groll beweget,
daß ihm die Bitterkeit das Wort verschlägt.
Dann fuhr er fort: »Ich weiß, wer unentweget

mir Fäulnisgift in meine Schöpfung trägt.
Die Schlange ist's, die ich vergeblich suche,
seit ich dereinst das Handwerk ihr gelegt

im Paradies und sie mit meinem Fluche
vorausgeschleudert in den Höllensumpf.« –
Jetzt schritt entgegen uns, in einem Buche

lesend, ein Mann mit einem schlanken Rumpf,
das bartlos edle Antlitz ernst, ja strenge.
Und plötzlich sah er auf wie im Triumph.

»Alighieri!« sprach ich. Und als senge
ein dunkler Blitz uns, traf sein Blick uns nun.
Mir war, als ob Gewalt mich niederzwänge,

und also stürzt' ich hin, wie Beter tun.
Er hob mich auf wie einer, der mich kannte,
wenn auch vom Hörensagen nur, und ruhn

ließ er sein Aug' auf mir, und endlich nannte
er mich mit leiser Stimme Theophron:
ein Name, der mir heiß im Herzen brannte,

als taufte so ein Vater seinen Sohn.
Danach ward ich von sanfter Hand berühret.
Verhieß mir je das Leben solchen Lohn?

Er sprach: »Wer, Liebster, hat dich hergeführet?«
Ich sah mich um, doch der war nicht mehr da,
der eben noch so argen Haß geschüret.

»Es ist das alte Wunder, das geschah«,
sprach der Erhabne, »wie sich's oft begeben:
eins macht aus zwein des Lebens Kabbala.« –

»Doch ward ein neuer Führer mir gegeben,
der wie der erste Höll' und Himmel kennt«,
sprach ich, »und seine Hand berührt mich eben.«

Er blickte schweigend auf zum Firmament,
von dem die Sonne senkrecht niederglühte,
wie jemand, der zur Pflicht sich schnell bekennt.

Und wandte sich ausschauend voller Güte
dann westwärts, wie auch meine Straße ging:
als ob er zu erinnern sich bemühte,

wo man hier sei, in welchem Reich und Ring.
Und nun ward klar, er habe es ergründet.
Er sprach: »Kind, führen ist kein leichtes Ding.

Allein, da mich Geschick mit dir verbündet
und dich der große Zauberer mir schickt,
so laß uns sehn, wo deine Straße mündet.

Ihr sprächet von dem römischen Delikt.
Ich kenn' es wohl«, schloß er mit hartem Liehen,
»doch hat's die reine Lilie nicht geknickt.«

Und neben ihm, der in den Höllenrachen
furchtlos gestiegen war, ein andrer Christ,
schritt ich voll Furcht, ungnädig ihn zu machen.

Ich dachte, wer wie du ein Herrscher ist,
dem nicht das Herz zerbrochen noch versteinet,
wenn es der Höllen letztes Graun durchmißt,

wer dort nicht alle Adern ausgeweinet,
der ist ein Paladin an Gottes Thron,
so schlicht er auch an Gang und Wort erscheinet.

Als in den Abgrund fuhr der Gottessohn,
da schmolz sein Mitleid alle Höllenfeuer –
er hatte noch für die Verdammten Hohn.

Ja, wie der Knecht in eines Bauern Scheuer
das Strohseil windet um die Hand, so sich
– ein Höllenknecht, an Härte ungeheuer –

des Bocca Haar der Dichter, schauerlich
entmenscht wie irgend nur ein Malepranke,
um seine Faust wand. »Sei doch offen, sprich,

denn nicht verborgen ist mir dein Gedanke«,
begann der Dichter. »Dort ist Hassen Pflicht,
auf daß nicht Zions seliger Gipfel wanke,

dort ›sei die Liebe tot, sonst lebt sie nicht!‹
Nicht ich nur bin berufen zu verdammen –
wer richtet, hält auch über sich Gericht.

In diesem Punkte passen wir zusammen.
Auch du bist grausam wie ein Mensch nur je!
Wölfinnen waren oft der Menschen Ammen.«

Da packte mich ein ungeheures Weh
ob all des Jammers, den ich selbst verbreitet. –
»Denk an den Dulder in Gethsemane

und wer ihm seine Martern zubereitet!«
sprach er. Jetzt traten wir durch ein Portal,
begrüßt von einem Mesner und geleitet,

in einen weihrauchduftigen Pfeilersaal.
Lupus in fabula, so mußt' ich denken,
als ich vor mir in einem bunten Strahl

das Opfer Gottes sah am Galgen hänken,
Jesum! – »Laß«, sprach der Dichter, »unser Leid
in diesem Meer des Leidens uns versenken!«

Auch dieses Meer, wie jedes, machet weit
die Seele, dacht' ich, als wir schweigend stunden.
Und des, der übertragen das Geleit

und vor dem neuen Führer war verschwunden,
gedacht' ich: nun verstand ich seine Flucht,
ungern hätt' er den Bruder so gefunden.

»Hier ahnst du Petri Schifflein und die Wucht
des Höllensturmes, dem es widerstanden,
und wo es Anker warf, in welcher Bucht«,

so jetzt der Dichter. »Es ward nicht zuschanden.
Zwar kam der Retter lebend übers Meer,
allein, sie legten ihn in Kreuzesbanden.

Sein heilig Grabgewölbe und auch mehr
ist Christi wahre Kirche! Und wir sagen:
als sein Begräbnis ist dies Grab doch leer!

Wir werden seinen Leichnam nicht erfragen,
sowenig wie an seiner ersten Gruft
die heiligen Fraun. Wie viele Krypten ragen

erfüllt vom Heiligen Geist doch in die Luft
Europens – so in deinen reichen Gauen –
und mischen Grabesduft mit Himmelsduft.

Wie viele zeugen auf Hesperiens Auen
im Geist von des Erbauers Majestät.
Von ihm allein ward jeder Stein behauen,

ein jeder Dom ein steinernes Gebet,
worin die ewige Liebe sich vereinigt
mit sich, sich so erneuernd früh und spät.

In Pein geboren und doch nicht gepeinigt,
ein' feste Burg, doch jedem offenbar,
von Stein bedecket und doch nicht gesteinigt,

so stellt sich uns der Liebe Kleinod dar,
geheimnisvoll das Brot wie die Patene,
geheimnisvoll so Opfer wie Altar.

Des ewigen Lebens Quell aus heiliger Vene
springt hier geheimnisvoll in Gottes Schacht.
Du kennst die täglich wiederholte Szene.

Von hier aus dringt das Licht in unsre Nacht.
Denk doch, wie viele solcher Wunderquellen
die Kirche Christi hat zutag' gebracht.

Von Ulm, von Speyer fließen ihre Wellen,
Köln, Straßburg, Kalkar, Xanten fluten ein,
die Flüsse rauschen, heilige Ströme schwellen.

Nicht mangelt es an solchem Lebenswein
auf irgendeiner unsrer Welteninseln.
Wer wollte da, mein Sohn, nicht dankbar sein.«

Er schwieg. Ich aber nun begann mit Blinzeln;
ein schwer Erinnern quoll ins Auge mir,
und unterm Fuß vernahm ich leises Winseln:

»Meister, gewiß, das Heiligste ist hier,
doch harte Quadern konnten nicht verhüten,
daß drin der Wurm sitzt, das verfluchte Tier,

um seine Hölleneier auszubrüten.
Warum sagt Gott nicht: Ite, missa est!
und läßt das Gift der Schlange heimlich wüten?

Vater im Himmel, säubre doch das Nest!«
Der Dichter sah mich an mit ernster Braue,
und seine Mienen waren kalt und fest:

»Der Schlange Gift mischt mit dem reinen Taue
sich nicht der Lilie, die hier ewig blüht.«
Ich aber sagte: »Meister, komm und schaue.

Der Boden dieses Gotteshauses glüht.
Zur Krypte, Meister, laß uns niedersteigen,
und tiefer sei zum Qualenort bemüht.« –

»Du wirst mir schwerlich etwas Neues zeigen«,
so warf er ein. Und ich fuhr fort: »So ist's.
Die Stätte nur der Bolge scheint mir eigen,

wie wenn sich bei der Höllenfahrt des Christs
ein Unrat ihm geheftet an die Sohle,
ein pestverbreitend Krümlein Teufelsmists,

auch wohl ein fressend Stäublein Höllenkohle,
so daß, wo seine gütige Gotteshand
ein Senfkorn pflanzte uns zum ewigen Wohle,

der Fuß eindrückte schwarzen Tod und Brand.«
Der Himmel weiß, noch kann ich nicht begreifen,
wie ich den Mut zu solcher Rede fand.

Schon hört' ich keifen, pfeifen, Ketten schleifen.

 

Achter Gesang

Abwärts die Stufen stieg ich, aufeinander
die Zähne beißend, denn mir wurde bang.
Schon fiel zu Füßen uns der erste Brander.

In einem engen, feuchten Kellergang
war's, wo der Fackelstumpf vor uns verglimmte,
den Gott weiß wer jüngst in den Händen schwang.

Wir hörten Schreie, Rasseln und ergrimmte
Befehle wie aus schrecklicher Fabrik,
indes der Pechstumpf auf und nieder flimmte.

Wir standen horchend still im blutigen Schlick
und sahn im Flackerschein die Wände triefen,
mich trafen Eisesschauer im Genick.

Zwo schmale Bächlein uns entgegenliefen:
erinnernd an ein blechernes Geläut
von Herden war ihr Ton, die ferne riefen.

Die Wellchen sprangen, hüpften wie erfreut
und schienen graue Dämpfe auszuhauchen.
Und ich, wie jemand, dem ein Zwang gebeut,

ergriff mein Sacktuch, um es einzutauchen.
Und tat's und zog's hervor und sagte: »Blut!« –
»Das hättest du mir nicht zu sagen brauchen«,

sprach, der einst unversehrt aus Höllenglut
zurückgekehrt. »Des Hakeldama Scholle
ist fruchtbar, seine Winzer keltern gut.«

Schier endlos schien der Gang. Doch durch das tolle
Gelärm' der Ferne stampfte plötzlich her –
ein Mensch? ein Tier? Wie wenn ein Donner rolle,

brüllte der Unhold, heiser, qualvoll schwer,
ein Wort, das wir nicht alsogleich verstanden.
Dann schrie er laut: »Steht still! Wer seid ihr? Wer?

Mit einem Hauche mach' ich euch zuschanden.
Ich bin des Heilands heiliger Prophet.
Bleibt fort! Hier winselt er in Kreuzesbanden.«

Dann schrie er laut und siebenmal: »Topheth!«
Und nun sich wendend, trollte er von dannen.
»He, sage mir, wo das geschrieben steht«,

so Dante, dessen Augen finster sannen.
Und weiter: »Höllenmaulwurf, wirrer Hund,
wie kommt dies Volk hierher, kaum sieben Spannen

unter der Kathedrale heiligen Grund?
Blut, Unrat, Kot, tödliche Gase dringen
in Schwaden durch der Kellergänge Schlund.« –

»Meister, nur vorwärts jetzt vor allen Dingen«,
sprach ich. »Wir sind dem bittren Ort nicht fern.
Das Wort, von dem uns noch die Ohren klingen:

›Topheth!‹, hat ihn verkündigt. Gott dem Herrn
ein Abscheu, eine Greuel, will es sagen,
Stätte des Unflats und verjauchter Kern.

Hier bleibt es finster, wird es niemals tagen,
außer von Höllenschmerz und Eiterbrand.
Der oben lebt, wird täglich hier erschlagen.«

Da plötzlich hob der Meister seine Hand
und wies auf eines Felsentores Stirne,
wo, wie mit Phosphor, Schrift geschrieben stand.

Die Worte bohrten sich in sein Gehirne,
so schien es, ihm so fremd als wie vertraut:
»Hier dringt man in den Leib der großen Dirne,

hier dringt man in den Schoß der Höllenbraut,
hier dringt man in den Bauch der großen Hure,
dem Abgrundstier für ewig angetraut.

Der Rückweg ist verwahrt mit einem Schwure.
Mantis religiosa …« Hier verschwamm
das Ende dieser schauerlichen Sure

des Tors, das klaffte wie ein Spalt im Stamm.
Wir standen, wollten rückwärts uns besinnen,
schon aber glitschend, wie durch eklen Schwamm,

durchkrochen wir das Tor und waren innen.
Wie das? Wir wußten kaum, wie das geschehn.
Wo waren wir? Laßt langsam uns beginnen:

Vor Glutdampf war im Anfang nichts zu sehn.
Lärm tobte so von Stimmen, Ketten, Hämmern
und Funkenstürme, kaum zu widerstehn.

Doch bald begann ein Glutbild aufzudämmern,
Moloch, der Gott, von Hitze weiß wie Schnee.
Vielfältiges Blöken wie von Opferlämmern

und Gillen, Kreischen, Heulen, Ach und Weh
scholl nah, scholl ferne, scholl aus fernsten Fernen.
»Ihr seht das ewige Autodafé!«

sprach eine Stimme. »Hier sind die Kavernen
des Heils. Gerecht und heilig straft man hier
die, so nicht wollen Christum kennenlernen.«

Der Dichter sprach darauf: »Wie heißet Ihr?«
Es war ein Predigtmönch, der uns belehrte:
»Sprenger und Krämer, Meister, heißen wir!«

Drauf: »Ihr seid euer zwei?« der Hochverehrte.
Ein zweiter Mönch drauf: »Du, den jeder preist
als gottgelehrt, auch wir sind Gottgelehrte.

Erleuchtet wurden wir vom Heiligen Geist.
Du durftest dein Gesicht der Hölle dichten,
uns ist gelungen, was du siehst und weißt:

die Hölle selber neu ins Werk zu richten.
Wir machten ihre Foltern offenbar
schon hier, die Feinde Christi zu vernichten.

Wir Hunde Gottes treiben Schar auf Schar
aus allen Gauen unsres Vaterlandes
herbei zu jenem glühenden Altar.

Fraun, Männer, jeden Alters, jeden Standes,
wir legen sie dem Moloch an die Brust
und freuen uns des gottgefäll'gen Brandes.«

Da aber tat ich etwas unbewußt.
Mein Speichel troff dem Sprecher vom Gesichte.
»Gezücht!« stieß ich hervor, »tu, was du mußt,

Pestbeule unsrer heimischen Geschichte!«
Da, plötzlich, wie ein höllischer Bovist,
schoß aus der Luft zum Beistand diesem Wichte,

schwarz und geflügelt, ein geschwänzter Christ,
halb Hahn, halb Katze, krähend und miauend,
ein Vater, der sein Kind vor Liebe frißt.

Von allen Seiten winselnd ihn beschauend,
den, der zuletzt sprach, dann den andern auch,
pfiff er miteins, in Wut die Luft durchhauend

mit seinem Schweif. Da beizte uns ein Rauch
und bald darauf ein stinkend Gift die Augen.
Rückwärts aus einer Drüse schoß der Gauch.

Fast ganz erblindet durch die Höllenlaugen,
sucht' ich und fand des Dichters Hand und Arm.
Wie soll ein Blinder wohl zum Führer taugen?

Jetzt aber blies der Maleprank Alarm,
worauf Gehenna vor Entzücken raste
und doch nicht überschrie den Teufelsdarm.

Es war, als ob sich ihr Triumph vergaste
und aller Abgrundsbestien Hohn und Grimm,
als der geschwänzte Christ so stinkend spaßte.

Der Dichter aber sprach zu mir: »Da, nimm!«
und hielt ein Etwas unter meine Nase;
da ward so Lärm als Pesthauch weniger schlimm.

Viel tausend Stimmen brüllten: »Blase! blase!«
Allein, verschwunden war der Maleprank.
Ich sah gleichwie mit ungetrübtem Glase

und wie gestärkt von einem klaren Trank,
so arg es war, was alles uns umringte.
Und eine Perle hielt ich, kühl und blank,

die Sicherheit und Ruhe mir bedingte.
Der Fürst der Dichter sprach: »Sie stammt dort her,
wo ew'ge Wonne kreist, die höchstbeschwingte.«

Auch unsre Mönche sahen wir nicht mehr,
dafür den Moloch glühn in allen Farben,
der innen hohl war, aber nimmer leer.

»Der Menschen, die in seinem Bauche starben«,
spricht neben uns ein seltsam schlichter Mann,
»sind mehr als je durch Pest und Krieg verdarben.«

Mönche und Nonnen schleppten Holz heran,
gebietend standen rote Kardinäle,
dem schlechten Christen winkend dann und wann:

Hier einem, daß er einen langsam pfähle,
nicht etwa kürze die verdiente Qual,
dort einem, daß er nochmals richtig zähle,

weil zu gering der Rutenstreiche Zahl,
bald einem Henker, einem Henkersknechte,
daß er noch fester an den Marterpfahl

den armen Sünder schließe. Radebrechte
ein andrer dort zu schnell ein altes Weib:
»Langsam, daß man dich selbst aufs Rad nicht flechte!«

erklang es dann. Ein heitrer Zeitvertreib
derer, die sich des Heilands Diener nennen.
»So deuten sie das ›Nimm, dies ist mein Leib!‹«

Dies Wort entfuhr mir. Und wir sahen rennen
Dominikaner, einen wüsten Knäul.
Als Führer war ein Bischof zu erkennen.

Ihr Kyrie glich einem Wolfsgeheul,
sie schleppten eine Bettstatt, und gebettet
auf ihr lag eine Greisin. In die Greul

blickte sie irren Lächelns. »Rettet, rettet
die Kirche!« schrien die Kutten von Toulouse.
»Der stinkige Satan hat sich losgekettet!«

Und jeder stampfte mit dem Pferdefuß.
Der Bischof aber winkte plötzlich Stille,
und sprechend spie er Funken, Rauch und Ruß:

»Ich schlich zu dieser sterbenden Sibylle
als Beichtiger. Gott krönte meine List.
Sie zu entlarven war sein heil'ger Wille,

Denkt, sie bekannte sich zu Jesus Christ …« –
»Zum Holzstoß!« tobte es von allen Seiten,
»eilt, eh das Hexenaas gestorben ist!«

Und so geschah's. Bald stand sie auf den Scheiten
samt ihrem Bett und brannte lichterloh.
»Du Vettel wirst nicht mehr auf Besen reiten!«

Sie wand sich, bog sich in des Bettes Stroh.
Sie krümmte wie ein Haken sich zusammen.
Der Bischof aber wies ihr den Popo.

Und endlos sahn wir Scheiterhaufen flammen,
in Reihen, deren Ende sich verlor,
umtanzt von einem jauchzenden Verdammen.

In aller Glut: ich schauderte, ich fror.
Hinschreitend an des Molochs heiligen Feuern,
durch dieser Schmiede höllischen Rumor,

sahn wir das gleiche Schauspiel sich erneuern:
die ungekrönten Könige der Welt
gemartert und verbrannt von Ungeheuern.

Doch ein Gekrönter stand vor seinem Zelt,
ein Spanier, umringt von hohen Damen,
und sprach: »Das ist's, was uns und Gott gefällt.

Hier tilgt Europas höchsterlauchte Namen,
geboren jeder aus dem Heiligen Geist,
man aus wie Frucht von gift'gem Teufelssamen.«

Der Dichter sprach: »Wahrlich, hier ist verwaist,
was je einmal das wahre Kreuz berühret,
und alles, was nicht Haß und Wahnwitz heißt

und was nicht fluchend Höllenfeuer schüret.
Ohnmächtig ist Gottvater hier und Sohn,
von beider Geist wird keiner hier verspüret.

Die Gnade selber ward zu Asche schon.«
Nun sahn wir etwas gräßlich sich bewegen
und hörten einen fürchterlichen Ton,

wie ihn des Wolfes Kiefer von sich geben,
wenn er beim Fraße ist und Knochen malmt.
Doch freilich müßten Riesenwölfe leben,

um dem Insekt zu gleichen, das umqualmt
hochbeinig stand und fraß mit vollem Rachen.
Mit langem Oberleibe wie behalmt,

schien's der Giraffe Künste nachzumachen,
vom Boden grasend und vom höchsten Baum,
fortwährend hörten wir Gebeine krachen.

Vor des Insektes Maul stand weißer Schaum.
Es klirrten seines Riesenleibes Ringe,
mit dem es lüstern spielte durch den Raum.

Waagrecht von jeder Schulter eine Schwinge
ging aus, die dauernd bebte vor Begier.
Zwei andre, jede eine scharfe Klinge,

klirrten steil senkrecht in die Luft, und wir
hörten dies henkerhafte Klirrn und Wetzen.
Zwei Vorderarme hatte dieses Tier

mit Sicheln, welche fürchterlich verletzen,
anstatt der Hände. Wie Harpunen sie
vorschleudernd, sehn wir schrecklich sie zerfetzen,

was vor ihr liegt und betet auf dem Knie:
zahllose Pilger, weit herbeigezogen.
Die Kirche hatte beßre Kinder nie.

Allein, der Mantis Mörderarme flogen,
und Beter ward auf Beter liebevoll
zum Kusse an ihr tödlich Maul gezogen.

Ein jeder ward dem Tier ein Rachenvoll,
worauf sie, ihre Arme gleichsam ringend,
inbrünstig betete, indes sie schwoll

vom Fraß. Doch gleich die Arme wieder schwingend,
ruhte sie nicht in toller Liebeswut,
Knochen zerkrachend, Christenleiber schlingend.

Da plötzlich ein Choral voll Glaubensglut
aufrauschend kündigte das Höchstgeweihte:
der Bräut'gam naht, das heilige Fleisch und Blut.

Da nahte schreitend der Gebenedeite,
der erst zur Hölle, dann zum Himmel fuhr,
auf daß er beide ineinanderleite.

Und wieder schritt er durch die Abgrundsflur
lieblich einher, Erlösergrüße schenkend,
als ihm der Mantis Brunst entgegenfuhr.

Voll geiler Mordlust ihren Leib verrenkend,
die Augen weidend an dem Opferlamm,
dann brünstig ihre Sicheln in ihn senkend,

umarmte sie und schlang den Bräutigam.

 

Neunter Gesang

Zurück! so dachten wir, und schon ward Handeln
das Denken beider, Blick in Blick getaucht:
mir so wie dem Begleiter. Rückwärtswandeln

indessen war nicht leicht. Sogleich umfaucht
von Affen, Katzen und umbellt von Hunden
und schwarz umqualmt von finstrem Höllenrauch

wer hätte da den Rückweg leicht gefunden?
Allein, so schwer das Schreiten immer war,
wir schritten mühsam, aber ungebunden.

Von Schritt zu Schritte mehrte sich die Schar
von Haß- und Wutgeburten dieser Tiefe.
Wir glaubten uns in schrecklicher Gefahr.

Von Kot und Jauche gab es ein Getriefe,
kaum sahn wir düster noch die Feuer lohn.
Mir war, als ob ich ganz vergeblich liefe.

»Du bist im Schlafe manchmal so geflohn«,
sprach ich zu mir, »und bliebst doch festgekettet!«
Im Ohre gellte uns ein Höllenhohn:

»Verdammt, verdammt! die Gnadenfrist verwettet!
Verfluchte Seelen, Frevler, Ketzer, steht!
Aus unsren Klauen wird man nicht errettet.

Seht doch, wie ihr auf Haifischzähnen geht,
auf giftgeschwollnen Ottern nackten Fußes!
Ergebt euch, glaubt nun endlich, was ihr seht!«

So heulte rings die Schar. »Des Judaskusses
ruchlose Kinder ihr!« rief ich sie an.
»Verräter ihr des heiligen Friedensschlusses,

den einst am Kreuze schloß der Schmerzensmann!
Gebt Raum den Unberührbaren, Gefeiten!« –
»Seht zu, wie man zu Fall sie bringen kann!«

schrie alles. Und wir fingen an zu gleiten,
zu stolpern. Ja, mit einem Male stand
vor uns ein Greis, ein Mönch, der mit zwei Scheiten,

zwo lodernden, je eins in einer Hand,
uns drohend stellte mit dem Ruf: »Verfluchte!
zum Holzstoß! Der Gerechte wird verbrannt.«

Doch nun verschwand auf einmal das verruchte
Höllengelichter, frei ward unser Tritt,
und um uns schwoll, was unsre Seele suchte.

Verzweiflungsweh, das unser Herz zerschnitt,
schmolz rein dahin in weihevollen Klängen,
anbetend ihn, der für uns alle litt.

Wir sahn den Heiland überm Altar hängen,
denn wieder stunden wir im Gotteshaus,
von Orgelklang durchläutert und Gesängen.

Nichts mehr verriet den unterird'schen Graus.
In dieser hochgewölbten Pfeilerhalle
sprach nichts mehr von der Mantis Liebesschmaus.

Durch die drei Schiffe floß in tiefem Schwalle
die heilige Inbrunst des Tedeums hin,
fortspülend alle Bitterkeit und Galle.

Und so zerschmolzen ward mein trotziger Sinn,
daß ich mich heißer Tränen nicht erwehrte
und mich des Abstiegs wegen von vorhin

Reue und eigner Vorwurf arg beschwerte.
»Nun hast du mich geleitet; wiederum
in seine Rechte tritt das Umgekehrte«,

sprach jetzt der Dichter. Und er kniete stumm
am Gitter auf des hohen Chores Stufe.
Ich tat ihm nach und wußte wohl, warum.

Er betete: »Wir folgen deinem Rufe
zur Reinheit, der du selbst die Reinheit bist,
und sei die Erde auch des Satans Hufe.«

Auch ich hob meine Augen auf zu Christ.
Allein, da mußt' ich etwas klar erblicken,
was leicht zu sagen, schwer zu glauben ist:

aufringeln sah ich sich den schwarzen, dicken
Leib eines Riesenwurmes. Würgend schlang
er sich ums Kreuz mit schauerlichem Nicken

des Kopfs, der leise hin und wider schwang.
Kein Zweifel mehr: dies war die rätselhafte
Urfeindin, die in Gottes Eden drang!

Wie rot ihr Rachen auseinanderklaffte
und ruchlos züngelnd ihre Zunge ging
und an der Lüge Teufelswerken schaffte!

Sie war's, die selbst mit ihm am Kreuze hing,
dem Gottessohn – des Vater sie verfluchte –,
und zärtlich ihn umbuhlte Ring an Ring.

War's, daß auch sie bei ihm Erlösung suchte
von ihrer dunklen Herkunft, ihrer Macht,
die gottlos-gottfern immerdar Verruchte?

Auch jetzt hast du die Macht zunicht' gemacht,
die Allmacht heißt und doch nicht kann bestehen
vor dir, du allgewalt'ge Niedertracht.

Wo kommst du her, wo hast du dein Entstehen?
Der Dichter hob sich auf, er sah sie nicht.
Er sagte: »Komm, wir wollen weitergehen!«

Wir traten durchs Portal ins Tageslicht:
ich nun erst ganz erlöst von den Gesichten
der Qual. Nun gab sich wieder menschlich-schlicht

die Welt und ließ sich nüchtern-einfach sichten:
vor uns ein weiter Plan, von Häusern rings
umstellt, ehrwürdig wie versteinte Pflichten.

Wir traten in die Mitte dieses Rings
und wandten uns und sahn mit einem Male
vor uns den Dom, die ungeheure Sphinx.

Es führten drei spitzbögige Portale
hinein in seinen weihrauchschwangren Schoß.
Wie düster-fremd erschien die Kathedrale!

Sie stand, in jedem tiefsten Sinne groß,
ein Werk der rätselhaftesten Termite:
versteinter Irrwahn, göttlich-nackt und bloß!

Nein, diese ungeheure Stalagmite
schoß auf und an aus grenzenloser Nacht,
aufhungernd in die lichteren Gebiete!

Und noch verriet die unentschiedne Schlacht
der lichten und der finsteren Gewalten
der Fluß der Formen und der Steine Pracht.

Maria, Heilige, englische Gestalten,
Asketen und der sanfte Jesus hier
in Ahnung ew'ger Wonne sich entfalten:

darüber thront die Fratze, thront die Gier,
der Affenschwanz, die Klaue und der Hauer,
das Bockshorn, Hund und Eber: kurz, das Tier.

Der Dichter aber sprach mit leiser Trauer:
»Wer bin ich, daß ich dir nun diese Stadt
eröffne? Deutscher Sinn ist ihr Erbauer.

Es ist die Stadt, die hundert Schwestern hat.
Du bist ein Deutscher, ich ein Florentiner.
Da! nimm aus meinem Buch ein leeres Blatt!

Du bist wie ich der höchsten Wahrheit Diener,
so zeuge nun, wie ich, nach heil'ger Pflicht
für sie, ein freigeborner Theatiner.

Mein Feuergriffel schrieb das Weltgericht.
Mein Auftrag ist, dir Eigenstes zu weisen
und anzuzünden dir dein eignes Licht.

So schreib auch du! Wohlan, folg meinen Gleisen!
Ich lebe mehr in dir als du in mir;
allein, wie Ich und Du sich unterweisen,

so sind in einem Geiste einig wir.
Sieh hier des deutschen Rheines rauschend Bette!
Welch heilige Stätte seiner Ufer Zier!

Von Münstern welche feierliche Kette!
Wir setzen durch sie alle unsern Stab,
empfangen überall die heil'ge Mette.

In einer jeden ist das Heilige Grab.
Es sproßte jede aus verflognem Samen,
der von der Blume aller Städte ab-

gestäubt, gesät in Jesu Christi Namen.
Zion ist ihre Mutter, und sie schwebt
im Geiste über allen Töchtern, Amen!

Auch diese Stadt ist Davids Stadt. Es hebt
der heilige Berg sich über ihre Zinnen,
der Menschheit höhrer, neuer Ararat,

auf dem gelang der Menschheit, zu entrinnen
der Flut, als endlich neuen Boden fand
die Arche. Hier war alles zu gewinnen.«

Er sprach, zum Himmel auf den Blick gewandt:
»Wahrlich, wo wäre nicht der heilige Schatten?
Ob jedem Weichbild hat er seinen Stand!

Das Urbild, Schutt für Schlangen und für Ratten,
wirkt solcher Täuschung lockende Magie;
ein Spiegel macht aus Wüste blumige Matten.

Es ist der Wunderspiegel Phantasie.
Die Sehnsucht haucht ihn an, und so verwandelt
ein Chaos er in reinste Harmonie.«

Ich dachte: Der an meiner Seite wandelt,
schrieb Hölle, Fegefeuer, Paradies.
Hat er die Wahrheit denn dabei vertändelt?

War es nicht Täuschung, die er jetzt mir wies
als heiligsten Besitz der Erdenkinder,
anstatt daß er nur Wahrheit, Wahrheit pries?

In diesem Augenblicke sprang ein Blinder
heran die Straße, schreiend, winkend, nackt.
Er rief: »Tut Buße, ihr verworfnen Sünder!«

Ihm nach das Volk. »Seht, wie der Geist ihn packt,
ihn beutelt, schüttelt wie der Hund den Hasen,
daß jeder Knochen ihm im Leibe knackt!«

so rief die Menge. – »Hört ihr, wie sie blasen,
die schrecklichen Posaunen des Gerichts!«
so schrie der Geistbeseßne fort im Rasen.

»Ich sehe Wolken schwefelgelben Lichts
und drüber eine schwarze Marmorschwelle …«
Da höhnte jemand: »Narr, du siehst ein Nichts!«

Das Volk zerriß den Spötter auf der Stelle
und warf sich heulend mit dem blut'gen Fleisch.
Der Blinde rief: »Wie blendend wird die Helle!« –

»Nur weiter, weiter!« klang des Volks Geheisch. –
»Ich sehe auf dem Marmor Engelscharen
sich sammeln!« – »Mehr! Nur mehr!« erscholl Gekreisch.

Der Blinde schäumte, wälzte sich mit Stammeln:
»Gott Vater, Vater, Vater auf dem Thron!«
Da klang ein Blöken wie von tausend Hammeln.

»Dreieinig seh' ich Vater, Geist und Sohn
hochthronend über englischem Gewimmel,
die Tiefen donnern und die Höhen lohn.

Vergeltung bricht aus dem geborstnen Himmel.
Das sind die Offenbarungen des Zorns. –
Wer reitet dort auf seinem magren Schimmel?

Es regnet Blut vom Stiche seines Dorns.
Verwesung schnaubt aus seines Gaules Nüstern,
zerstampfte Breiten liegen goldnen Korns.«

Nun aber ging ein feierliches Flüstern:
»Gebt acht, gebt acht, er sieht den letzten Kampf!
Schon naht das Licht, das nichts mehr kann verdüstern.«

Den Blinden aber packte neuer Krampf:
»Ich sehe Zion aus den Himmeln sinken,
vergeblich speit die Hölle schwarzen Dampf.

Es jauchzt Gesang, es tönen Harfen, Zinken,
vorbei ist Hunger, Krankheit, Mord und Brand.
Vom Quell des ewigen Lebens laßt uns trinken!«

Die Menge schrie: »Nun sinkt die letzte Wand,
und Zion schwebt mit Jubelchören nieder.
Nun wird die Erde zum Gelobten Land!«

Ich sprach: »Da hätten wir den Spiegel wieder,
o Meister! Doch sein Zauber quält mich nur.
Mich schmerzt die Brust, mich schmerzen alle Glieder.

Was soll mir diese fürchterliche Kur?
Du zeigst den Blinden mir als Blindenleiter,
Verdammte, schleppend sich auf seiner Spur.« –

»Komm«, gab mir wortkarg Antwort mein Begleiter.
Und wie man eine Tafel wischt, so war
alles verschwunden – und wir schritten weiter.

»Wer sticht dem großen Blinden wohl den Star?«
sprach ich, als wir die Gottesstadt verließen,
wo Irrtum herrscht und nur die Täuschung wahr.

»Gott nütze, was er so ins Kraut läßt schießen«,
gab er zurück. »Oft folgt die echte Saat
den Wucherkräutern und gedüngt von diesen.«

Ich drauf: »Wer sprach ›Am Anfang war die Tat‹,
der mochte wohl mit gleichem Rechte sprechen:
Am Anfang, wie sich nun erwiesen hat,

war der Verbrecher und war das Verbrechen.«

 

Zehnter Gesang

Wie Donnerworte weckend mir ins Ohr
erscholl die Lästrung, die ich selbst gesprochen.
Sie riß, mir schien, vom Schlummer mich empor.

Allein, die Macht des Traums war nicht gebrochen,
ich blieb im Zwange meiner heil'gen Bahn.
Wann brach ich auf? Vor Jahren oder Wochen?

Nachts, als zuerst dich meine Augen sahn,
Satanael? Was wolltest du mir weisen:
die ew'ge Wahrheit oder ew'gen Wahn?

O Herr, ich bin bereit, mit dir zu reisen
mit Inbrunst an dein mir bestimmtes Ziel,
doch nenne mir das Licht, um das wir kreisen!

Du treibst kein müßiges, treibst kein leeres Spiel
als Freund und Feind der Lüste und der Leiden,
du, der weit höher steht, als tief er fiel.

Dein Bruder kam, um abermals zu scheiden
die Böck' und Lämmer, wie die Sintflut tat.
Du aber wirkst mit Liebeskraft in beiden.

Täglich erneust du die Erlösertat,
nie müde über Welt und Himmel brütend,
so trotzend dem, der sie verworfen hat.

Ich sehe dich die Böck' und Lämmer hütend,
den beßren Hirten, als dein Bruder war. –
»Doch traf ihn Gottes Zorn nicht weniger wütend«,

sprach jemand deutlich, aber unsichtbar.
»Schwer ist es hier, das Rechte zu begreifen.
Er war mein Blut und starb in meiner Schar.«

Vergebens ließ ich meine Blicke schweifen
nach ihm, der so gesprochen, und ich griff
umher, den Heißgeliebten zu ergreifen.

»Du wahrer Steuermann in Petri Schiff,
tritt ein und führe mich auf neuem Meere,
so fürcht ich weder Sturm noch Felsenriff,

ich warte deiner letzten, größten Lehre,
die von dem Irrtum Gottes uns erlöst
und unser Leid in eitel Freude kehre.« –

»Gib acht, daß du dich höher nicht erhöhst
als dir auf unsrer Ebne hier beschieden
und so dich selber in die tiefre stößt.

Gib mit dem Leidenswege dich zufrieden,
entrinnen wirst du dann dem Erdenweh,
wenn du erst ganz durchläutert bist hienieden.«

So Dante und schritt hin durch roten Klee
– schon außerhalb der fieberlauten Gassen –,
er schien von Blut mir ein bewegter See.

Das Blinden-Zion, weit zurückgelassen,
drang uns zu Ohren noch mit Sturmgeläut
und fernen Lauten aufgeregter Massen.

Da wurde öder um uns das Gereut.
Die Sonne blutete am Horizonte.
»Wo, lieber Meister«, sprach ich, »ruhn wir heut?«

Er stand in düstrer Glut, die ihn besonnte,
und sprach statt aller Antwort nur: »Ade!
Du hast empfangen, was ich geben konnte.«

Der Abend rauschte um uns kalt und weh
und weinte in des Dichterkleides Falten,
als ränge Christus in Gethsemane.

Der Dichter schwand. So schwinden Dunstgestalten.
Ich blieb allein mit mir und meiner Welt
und allen ihren Bildern und Gewalten.

Und in mir rief's: Der dich hineingestellt,
nun, da sich dunkle Nacht um mich verbreitet,
er zeige seinen Stern am Himmelszelt.

Wie er drei Könige dereinst geleitet,
so folg' ich ihm mit Glauben und Vertraun.
Und siehe da, schon ward mein Weg bereitet.

Am Himmel – kaum den Augen konnt' ich traun –
quoll hell ein Fixstern auf mit kaltem Flimmern;
ihm nahten hurtig, herrlich anzuschaun,

Jupiter und Saturn mit warmen Schimmern,
dreieinig leuchtend plötzlich, heiliger Kraft,
nach einem kurzen Flackern, Zucken, Glimmern.

Mit Freuden ward ich nun emporgerafft! –
Wie lang ich pilgerte nach diesem Sterne,
stets unermüdet und mit Leidenschaft,

ich weiß es nicht und wüßt' es selber gerne.
Noch heut, noch jetzt, er leuchtet mir getreu
und zieht mich nach sich in die heilige Ferne.

In jener Nacht kam ich an ein Gebäu
im deutschen Wald, das ich alsbald erkannte
als Wartburg. Ich betrat sie sonder Scheu,

dieweil mein Stern sie köstlich überbrannte.
Hier rauschten Harfen einst im Sängerstreit,
hier brütete der deutsche Gottgesandte.

Wie wurde mir die Brust da plötzlich weit
und doch auch wiederum wie quälend enge!
Es schwoll mein Herz von süßer Bitterkeit.

Von Engeln war ein heiliges Gedränge
auf jeder morschen Stufe zum Gemach
– und bis hinan nach ihrer ganzen Länge –,

in dem er saß und sich den Kopf zerbrach,
der Junker Görg, den härtesten der Köpfe.
Ich sah ihn, hörte, wie er knirschend sprach:

»Zerschlage mich, den schlechtesten der Töpfe,
mein Schöpfer, wo er dir nichts nütze ist
in einer Welt der Schurken und der Tröpfe!

Mach mich nicht zum Gefäß des Widerchrist!
Laß deinen Geist, o Herr, bei mir einkehren,
dieweil dein Buch vor mir eröffnet ist.

Dreifaltiger, wolle mich mit Kraft bewehren
wie Simson, zu zerschmettern das Geschmeiß
der Lügner, die dein klares Wort verkehren!«

Da sangen alle Engel: »Lob und Preis!«
Klang füllte an des Zimmers Kerzenhelle.
Da, an der dunklen Wand erschien ein Kreis,

und lichter Dampf von dort durchquoll die Zelle:
ein runder Spiegel schien es von Metall.
Des Mönches Auge starrte auf die Stelle.

Und nun, mit einem fürchterlichen Knall,
stand da das Bildnis eines Gottesmannes,
dem Luthers gleichend ganz und überall.

Wie vor der Wirkung eines Zauberbannes,
stand dieser jetzt vor seinem Ebenbild,
und hinter seiner Grüblerstirne sann es:

»Du bist wie ich! Es sträubt dein Haar sich wild,
und doch erkenn' ich Mosen in dir wieder!
Fort, Satan, in dein höllisches Gefild'!«

Allein, das Bildnis straffte seine Glieder;
stiernackig vorgebeugt, im Auge Blut,
Grimm keuchend, schoß es Haß durch seine Lider:

»Totschläger ward dein Vater einst vor Wut.
Ich bin nicht Satan: der von Gott Erweckte,
ich bin's! der des Allmächt'gen Willen tut.«

So schrie das Bild. – »Du bist der Blutbefleckte,
der schwarze Höllendiener und nicht ich!
Bin ich's, der den Ägypter niederstreckte?«

rief Luthers Stimme laut und fürchterlich.
»Sei Moses selber, aber mache nimmer
ein Mörder sich zum Richter über mich!«

Da drang der Engel Weinen in das Zimmer.
Allein, mit einem Feueratemstoß
aus Mosens Brust verstummte das Gewimmer.

Er wuchs zum Gotte, thronte breit und groß,
mit Blicken blitzend, knirschend mit den Zähnen,
und rauschend floß sein Bart in seinen Schoß.

Stierhörner quollen aus des Hauptes Mähnen:
»Nun, Menschlein, Mönchlein, Männlein, sieh mich an!«
Rauchdonnernd drang's aus seines Schlundes Gähnen.

»Nun rede, wer mit mir sich messen kann.
Wo warst du, da ich gründete die Erde
und ihren ungeheuren Bau begann?

Bin ich es nicht, der sprach das große ›Werde!‹
und Mose seinen Engel einst gesandt
zum Horeb, wo er hütete der Herde?!

Nun bete an, Geschöpf von meiner Hand,
erkenne deinen Herrn und deinen Richter!«
Da ward es grabstill zwischen Wand und Wand.

Doch Luther drauf: »Dämonisches Gelichter,
Jupiter Ammon, Fratze Gottes, Tier
mit Hörnern, Christi Erbfeind und Vernichter!

Erst glichst du Mosen, vorher glichst du mir,
nun blähst du dich zum Gott auf, schmähst den Schöpfer.
Fort! Ich verehre weder Kalb noch Stier!

Du bist der Weltenvampir, Weltenschröpfer,
und deine falsche Wahrheit seh' ich klar:
Mose sei des Jehovabildes Töpfer,

und Mosen wieder glich' ich ganz und gar,
meinst du, und weiter dann wir alle dreie,
dreieinig, machten Höllenlügen wahr!

Erlaube, daß ich dir ins Antlitz speie,
weil du die Heilige Dreieinigkeit
so sehr befleckst mit deiner Teufelsweihe.«

Er griff sein Tintenfaß und holte weit
nach hinten aus. Er warf es nach dem Spiegel,
aus dem die Bilder kamen: »Christenheit!

Dem Feinde schmettre ich auf sein schwarzes Siegel!«
So rief er laut. Das Jahvebild verschwand,
und hallend wie von schwerem Eisenriegel

ging auf die tintenklecksbeschmutzte Wand –
und morgendlich, ja überweltlich heiter
trat ein, der sich Satanael genannt:

er, mein Erwecker, Lehrer und Begleiter.
Er bot mir seinen lebensvollen Mund
und sagte dann: »Nun komm, wir wollen weiter!«

Ich aber fühlte frischen Lebensgrund
und neuen Mut in zweifelsbanger Helle,
als mir der Engel nun zur Seite stund,

gleichwie erquickt aus morgendlicher Quelle.

 

Elfter Gesang

Genug! Nenn alles Traum! Des Traumes Schoß
schenkt unsrem Durste nun wohl beßre Bilder,
nicht weniger leidvoll, aber süß und groß.

Die Wälder dufteten, die Luft ward milder,
gleichsam ein milder Geist zog in uns ein,
nicht der der Schwerter oder Wappenschilder.

Im Rücken schwand die stolze Burg von Stein,
es schwanden ihre rindenduft'gen Wälder,
und wir betraten einen stillen Hain.

Es grüßten Dörfer, abgemähte Felder,
es wurde etwa eine Grille laut;
ein Unkenruf, so schien's, war unser Melder

in einer Welt, die, stiller Nacht vertraut
sowie dem Tag, ein wartendes Hienieden!
Und hier, umgrünt von Asphodeloskraut,

erhoben Gräber sich und hauchten Frieden.
Dazwischen stand ein heiliges Kreuzesmal,
uns schien es, weltvergessen und gemieden.

Es hingen Kutten drüber, zwei an Zahl,
wie Luther auf der Wartburg sie getragen:
Rüstungen, dacht' ich, für ein Jammertal!

Wir nahmen sie, zweieinig, ohne Zagen
und standen jeder bald im Mönchsgewand:
seltsam, uns überkam ein süß Entsagen!

Da hob mein Führer weisend seine Hand,
und augenblicklich ward ich tief verwandelt
und mit mir alle Himmel, alles Land.

Was kam dort zögernd durch die Nacht gewandelt?
Ein Kind. Wie Silber glänzte sein Gesicht.
»Wer bist du?« – »Je nachdem ihr mich behandelt:

ein Licht, wenn's euch an solchem Licht gebricht«,
sprach sie. Und weiter dann, die Schritte hemmend
– in ihrem Auge blinkte Mondeslicht –,

ihr Stirnhaar leicht mit blasser Rechte kämmend:
»Ihr frommen, friedeseligen Väter scheint,
die Welt des Jammers und der Sünde dämmend,

zu einem heilig-stillen Gang vereint.
Ich hörte eure Tritte leise rufen,
mir war: nach mir, der Toten, die versteint

stand an der Kathedrale toten Stufen.
Da wacht' ich auf, vom Liebeshauch geweckt.
Hier bin ich: euer, die mich neu erschufen!«

Ein Silberhalm, stand sie emporgestreckt.
»Abseitige, folgt herab zum stillen Bade
den Sehnsuchtsweg, verschwiegen und versteckt,

zur Totenstadt der Reinheit und der Gnade!« –
»Dein Kindesmund ist heiliges Gebot«,
sprach mein Genoss', »wir sind auf deinem Pfade.

Du süßes Leben bist wie lange tot?
Erlaube«, sprach er weiter, »diese Frage.« –
»Du kennst mich?« – »Jeden kenn' ich, Hadumoth!« –

»Ich starb an einem frühsten Frühlingstage.«
Es klang, wie wenn man spricht: das Gras ist grün;
gleichsam wie eine klagelose Klage.

Wir sahn am Wege weiße Lilien glühn,
den wir, von Hadumoth geführt, nun schritten,
und ihre Kelche tauig Blitze sprühn.

Dann kam ein grauer See und ihm inmitten
die Insel, hoch gezackt von jener Stadt,
die ewigen Tod im ewigen Krieg erlitten.

Im milden Hadeslichte glänzten matt
der heiligen Türme himmelhohe Zinnen.
Es schien im Wasser tief und spiegelglatt

das Weltall sternklar über sich zu sinnen.
Und Hadumoth trat an den Uferrand
und ließ Gestirne durch die Finger rinnen.

»Nehmt Platz ein wenig hier im Silbersand,
ihr guten Mönche, ihr geliebten Väter!«
sprach Hadumoth, flutwärts den Blick gewandt.

Grau knieten längs dem Strande stumme Beter.
»Sind sie lebendig oder sind sie Stein?«
fragt' ich. Und mein Genoss' sprach: »Wenig später

erfährst du's. Was sie sind, das wirst du sein!«
Da schoß Rubin aus einem Inseltore
und machte einen Weg von rotem Wein

bis her zu uns. Zugleich, als rief's zur Hore
uns Mönche, klang Geläut im Silberkies,
unirdisch leis verschwebend, leicht wie Flore.

»Liegt auf dem Grund des Sees das Paradies?«
fragt' ich verzückt, »und weiden Gottes Herden
drin, demantäugig und mit goldnem Vlies?«

So seligen Laut, wann hört' ich ihn auf Erden?
Ein jedes Wasserteilchen schwingt und haucht,
als wollte alle Flut zu Tönen werden.

»Dies ist das Bad«, so rief ich, »wie mir daucht,
von dem uns Hadumoth so süß verkündet.«
Sie drauf: »… wo ihr die Kutten nicht mehr braucht.

Es lockt die Flut. Hinab! Wo sich entzündet
der Strahl – durchs Element führt unsre Bahn –,
dort ist's, wo sie an heiligen Stufen mündet.«

Mit Anmut sahen wir dem Wasser nahn
das liebe Kind, nun hüllenloser Reine.
Ich glaube, daß wir niemals Süßeres sahn.

Mein Führer sprach: »Betrachte dir die Kleine,
die hier so hocherhabnen Dienst versieht.
Reiner geglüht ist meiner Töchter keine.

Die Silberspur sieh, die sie schwimmend zieht;
dort laß uns nun hinein die Leiber drängen,
und achte, Bester, was mit uns geschieht.«

Und als die ersten Tropfen uns besprengen,
schon atm' ich höher, als ich je getan,
und in das Weite tret' ich aus dem Engen.

O welche Wonne, in des Kindes Bahn
befreiten Leibes rudernd sich bewegen!
»Hier wird zur Wahrheit«, sprach mein Freund, »der Wahn.

In dieses Seees Wasser mich zu regen«,
so mein Mitschwimmer weiter, »so wie hier,
selbst mir ist manchmal viel daran gelegen.

Oft in der Mittagssonne frieren wir,
so geht's auch mir, und oft im Reich des Lichtes:
dann schmilzt das Schattenreich vom Herzen mir

den Frost. Selbst mir an Heilungskraft gebricht es,
wenn mich der alte Feind zu tief verletzt.
Der Schlange Gift ist da, es bleibt. Vernicht es!

Doch wenn mich dann Bethesdaflut benetzt,
wie sie dies Himmelskind weiß zu erregen,
ist meiner Qual vorerst ein Ziel gesetzt.«

Ich fühlte tief, wovon er sprach: den Segen,
gebadet in dem stillen Wundersee.
Allein, ich war nicht kummerfrei deswegen.

Gestorbenes Glück, das ist lebendiges Weh,
so des versunknen Paradieses Grüße.
Ob ich nun schwimme oder untergeh',

's ist gleicher Schmerz, es ist die gleiche Süße.
So mußt' ich sinnen, währenddes ich schwamm.
Bald aber setzte Hadumoth die Füße,

wir sahn es, blitzend auf den Uferdamm
der toten Inselstadt des wahren Lebens.
Erloschen war jetzt das Rubingeflamm.

»Du suchtest Fleisch und Blut allhier vergebens«,
sprach, der fast war als wie mein zweites Ich.
Ich gab zurück, im Zuge eines Schwebens,

das uns der Flut enthob, die rückwärts wich:
»Was meiner harret in den heiligen Steinen
der toten Stadt, ist mir nicht wunderlich.«

Und schon benetzte bitterseliges Weinen
die Wangen mir. Von gleichem Stoffe war
die Flut des Sees, wie mir jetzt wollte scheinen.

In toten Gassen hallte wunderbar
bald unser Schritt; von oben sah der Fahle
herein, der stumm hier so benamset war.

Am weiten Marktplatz lag die Kathedrale,
nie sah ich eine weiß getürmt wie sie,
leuchtend wie Eis und Schnee im bleichen Strahle.

Und Hadumoth – oh, ich vergess' es nie! –,
die uns vorangeschritten bis zur Mitte
des Platzes, beugte plötzlich hier ihr Knie.

Sie seufzte tief, als ob sie selig litte.
Dann losch ihr Auge – so erlöschen Kerzen!
Sie ward zu Stein inmitten ihrer Schritte,

zum Steinbild, wie im Paradies der Schmerzen
sie Künstler bilden. Und der tote Stein
schien doch begabt mit dem lebendigen Herzen.

Vornüber beugte sich der Stein voll Pein
auf etwas, das nicht minder war versteinet,
und dieses Steines Schmerz drang in uns ein.

Wie oft sich zweier Menschen Weh vereinet
zu einer tiefen, schmerzgebornen Lust,
so ähnlich war es hier, wie mir erscheinet.

Der Stein glich einem Weibe, das, bewußt,
erkaltet schien, erstarrt aus heißen Laven:
fast schien es uns, noch atme seine Brust.

Hier schien der Stein, nicht ein Geschick zu schlafen:
lebendig in den toten Stoff gebannt.
Uns schien, daß sich in diesem Blocke trafen

der kalte Felsen und der Seelenbrand.

 

Zwölfter Gesang

»Wohin sind wir entflohn, wohin entführt!
Wie rätselvoll, wie weh sind hier die Lüfte!«
so ich, »und doch, wie bin ich auch berührt

vom Hauche lang vergeßner, seliger Düfte!
Wie fremd ist diese graue Totenstadt
mir! Ihre Häuser scheinen düstre Grüfte

Und doch, das Rätsel, das sie in sich hat,
scheint mich dem letzten Wissen nahzubringen.«
Drauf mein Begleiter: »Hier ist wohl ein Blatt

verwahret irgendwo, von zween Dingen
in heiliger Schrift berichtend: einem Bund,
drin Tag und Nacht, ein jedes, sich bezwingen,

sich einigen, gleichsam versöhnen und
ein Paradies der Schmerzen gleichsam gründen,
ein Zwischenreich! Wir werden manchen Fund

in diesem Reiche tun, drin sich verbünden
das Schwarz und Weiß!« Wir sahn ein steinern Ei,
halb schwarz, halb weiß, als ein Symbol sich runden

fast über jedem Haustor, dem vorbei
wir langsam nun, durch leere Gassen, trugen
den Fuß: es war ein seltsam Einerlei!

Wie eigen laut hier unsre Herzen schlugen,
und welch ein fremder Strom mich hier durchquoll!
Kam er vom Himmel, kam er aus den Fugen

der Tiefe? Ahnungsfülle schwoll und schwoll!
Mein Führer sprach: »Du brauchst nicht mehr zu wählen,
dieweil in unserm Innern ganz und voll

das Silber und das Gold sich hier vermählen.«
Kaum ahn' ich heut noch seiner Worte Sinn
– damals begriff ich, ohne mich zu quälen –,

weil ich des Traums nicht mehr gewürdigt bin.
Was ich noch weiß, ist, daß in einem Bronnen
aus Silberröhren liebliches Gerinn

wie kühles Silber kam herabgeronnen
und daß ich hier aus goldnem Ei gestillt
den Durst, sogleich erquickt von fremden Wonnen.

Im Brunnen aber lag der Luna Bild,
innig vermählt mit eines Baumes Schatten,
atra cupressus, wie im Schlafe, mild.

Nicht Lethe war's, was wir getrunken hatten!
Auch mein Begleiter schlürfte von dem Naß.
Es war sein Sinn, den Trinker auszustatten

mit einem neuen Sehertume, das
zum Bildner ganz ihn mache im Erinnern.
Wir sahen gleichsam durch ein Zauberglas

die tote Stadt im Äußren wie im Innern
und sahn das tote Volk im Kleid von Stein:
ein Rätselvolk von sinnelosen Sinnern.

Wer mochte das versteinte Weib wohl sein,
die erste Bürg'rin, die ich hier getroffen?
Da fiel mir plötzlich Mary wieder ein.

Und »Mary!« rief ich aus. Allein, fast schroffen,
bestimmten Tones sprach Satanael:
»Bleib! Denn sie hat von dir nichts mehr zu hoffen.«

Mein jähes Weh versteinte der Befehl,
auch wuchs um uns die Macht der großen Dinge.
Hier ist man stark und frei, sonst tritt man fehl.

Die Stadt hat ungezählte stumme Ringe
um ihr Geheimnis, das im Zentrum steht.
Wer aber hofft, daß er bis dorthin dringe,

der sei hier Herr! Des Knechtes Tritt besteht
die Probe nicht, sowenig wie die Motte
das Licht. Und im Vergangenen vergeht

verirrte Schwachheit: diese wird zum Spotte,
wo klare Stärke Ring um Ring besiegt
und, jetzt nur Herrscherin, endlich wird zum Gotte.

»Was ist es, was sich längs der Mauern schmiegt
und doch nicht deckt die Rätselschrift der Quadern?
Und was, das schwärmend durch die Lüfte fliegt

in spitzen Winkeln, schwarzen Strahlen, Adern?
Zerbrochne Wälder wogen dort und hier,
verschwommne Bilder auf bemalten Hadern,

zerschnittne Hügel, Türme, Mensch und Tier.
Inbrünstig quillt's und quallt's von heißen Winden.«
Ich sprach's. »Mir kreist die Welt! Es schwindelt mir!

Soviel Gesichte machen mich erblinden.
Dies gleichet einem Meer, nicht einem Strom,
drin weder Ufer ist noch Grund zu finden.

Zerhacktes Babel, London, Madras, Rom,
die Welt zertrümmert und in Trümmern sieden
zu sehn, o Freund, welch grausiges Phantom!«

Er sprach: »Verbinde nur, was du geschieden,
du der Zertrümmrer, so der Schöpfer du!
Erzwinge jeder seinen eigenen Frieden!«

Wir hatten uns indes der Mitte zu
hineingewagt in das Gewirr der Gassen:
sie schienen tot und dennoch ohne Ruh'.

»Nur fort. Unfaßbares ist hier zu fassen!«
rief jegliches verschlossene Portal –
und der Paläste aufgehäufte Massen

Gesteins, Werkstück um Werkstück allzumal!
Stetig erhabener ward der Baugebilde
nächtlicher Prunk, durchsägt vom schwarzen Strahl

der schwarzen Sonne dieser Grabgefilde.
Dies ist ein heiliger, hocherhabener Ort,
dacht' ich, und alles predigt hier im Bilde.

Kein Fleckchen ist, wo nicht das ewige Wort
sich kündete, in Zeichen und in Zeilen.
Wer hebt wohl diesen ungeheuren Hort

von Runen, Hieroglyphen und von Keilen?
Hier spricht der Lehm, hier öffnet der Basalt
den Rätselmund, wo wir vorübereilen.

Dahinter wohnen Götter, stumm und kalt,
die doch mit Sprüchen ewiger Weisheit laben
ein steinern Gottesvolk, äonenalt.

Gleich Gräbern sind die Kammern, die sie haben,
und dennoch lebenquellend: bis zum Rand
des goldnen Nektars voll wie Honigwaben.

Und alles ist hier Werk der Menschenhand,
es triumphieren Winkel, Kreis und Grade:
Gestalten, der Natur sonst unbekannt.

Die stille Luft durchziehn Gedankenpfade.
Sie blitzen oftmals von der Götter Tritt:
ihn zu vernehmen ist hier höchste Gnade.

Und auch die Götter selber schuf er mit,
der Mensch, da ihn der wahre Gott verstoßen
und ihn von sich getrennt mit kaltem Schnitt.

»Hier zeigt er sich im eignen wahrhaft Großen,
der Schöpfer dieser Alakamanda,
mag auch der Höchste sich darob erbosen!«

So jetzt Satanael, mir immer nah.
Ich hatte äußerlich ihn fast vergessen,
auch hört' ich mehr ihn jetzt, als ich ihn sah.

Der Traum fing an die Schläfen mir zu pressen,
weil allzuviel auf meinen innren Sinn
eindrang. Und wer vermöchte zu ermessen,

was ich an Pfeilern, Pforten her und hin
nur für erlauchte Namen fand geschrieben.
Erwäget wohl, ob ich erschrocken bin

mit Recht, erwägt, warum ich stehngeblieben,
ein ungekanntes Graun mich überkam
und mein Begleiter weiter mich zu schieben

versuchte. Hört zuvor, was wahr ich nahm:
ein Erzportal mit meines Namens Zeichen,
nicht mehr, nicht weniger. Heute will mich Scham

noch stärker fast als damals Graun beschleichen,
denk' ich der Wohnung, welche meiner harrt
in jener toten Stadt der armen Reichen:

die Menschheit hat sie lebend eingescharrt.
Und wenige gibt es, die nicht ihrer fluchen,
trotzdem, vom Fluch der Blindheit selbst genarrt,

sie das Erhabne weder sehn noch suchen.

 

Dreizehnter Gesang

»Der Weg ist lang. Es kam ein bittres Nagen«,
sprach ich, »nie ganz zur Ruh' in meiner Brust.
Drum möcht' ich dich, mein großer Führer, fragen

wann atm' ich wieder Tag und Sonnenlust?
Wie find' ich wieder zu dem Pfühl zurücke,
auf dem ich lag und ruhte unbewußt,

und trete rückwärts jene Schlummerbrücke
von diesem Ufer, wo du hin mich riefst,
daß ich zum Sehertume mich verzücke?«

Er sprach: »Mich barmte dein, dieweil du schliefst:
in einer Welt die Augen aufzuschließen
verdammt bald wieder, der du gern entliefst!

Laß dich das leise Nagen nicht verdrießen!
Hier wanderst du im Reich der heiligen Not,
indes das andre Uferland durchfließen

Ströme von Unflat, Jauche jetzt und Kot.
Dort geilt Gemeinheit, wo du hin magst blicken.
Das Heilige ist in jedem Sinne tot.

Du siehst dein großes Mutterland verschlicken
zum pestilenzialisch faulen Sumpf
und alles wahrhaft Edle drin ersticken.

Aasfliegenschwärme sind heut drüben Trumpf
– warum auch nicht? – im Paradies der Leichen.
Der Geier Fänge sind vom Fraße stumpf.

Hyänen siehst du durch die Tempel schleichen
und würgen das geweihte Brot, indem
gehobnen Beins den Altar sie beseichen.

Dem sogenannten Tiger ist's bequem,
die Höllenaugen drüber hin zu rollen:
der Dampf der Äser ist ihm angenehm.

Den Thron Europens nimmt er ein, geschwollen
von Gift. Er speist mit einem blut'gen Latz
ein Hundsragout: von Hunden, doch von tollen.

Es hört die Welt sein scheußliches Geschmatz',
serviles Raubzeug hilft dem Tiger kauen.
Die Völker fragen nur: Wo ist die Katz'?,

indem sie angstvoll sich ins Antlitz schauen.
Nicht aufzuschlagen sehne du dich dort
die Augen in den schmachverbrannten Gauen.« –

»Oh, Meister«, rief ich, »klänge doch ein Wort
aus großer Macht der Wahrheit über alle
Verlornen oben an dem wachen Ort:

auf daß der Völkerzwietracht blut'ge Kralle
nicht ferner wüte und, wo nicht der Welt,
Europen wenigstens vom Antlitz falle

die Blindheit, die sein Auge so entstellt.
Es ist ein Leib. So sei es eine Seele,
sei einem höchsten Rate unterstellt,

auf daß ihm Haupt und drin Vernunft nicht fehle.
Was kopflos wütend heut sich selbst zerreißt,
sich selber schmäht aus geifergift'ger Kehle,

sich rasend in die eignen Pfoten beißt,
das sage zu sich selbst: Nun werde klar,
daß du und andre wissen, wer du seist,

und mache deine Sendung offenbar:
kein unvernünft'ges Tier mit Tigerpranken –
als Hoherpriester steig auf den Altar

im Tempel welterlösender Gedanken!« –
»Ich rate dir«, fiel nun mein Führer ein,
»verweile noch, bleib diesseits noch der Schranken!

Hier ist geadelt noch die schlimmste Pein,
ja selbst der Äsersturm, den wir gesehen:
da oben geilt heut Affe, Wolf und Schwein.«

Ich schwieg. Da hörten wir ein leises Wehen,
das beinah einem stillen Weinen glich.
Wir horchten auf und blieben beide stehen.

Mein Führer sprach: »Sie weinen hier um mich,
obgleich sie stumm sind. Überflüss'ge Mühe
hat, der es tut. Sieh da, schon nähert sich,

der macht, daß doppelt, zehnfach ich erglühe!«
Ein Zug von Schatten war es, der da kam,
gelblich gewandet. »Siehe da, ich blühe!«

Der Meister sprach's, indem er Anlauf nahm
und sich mit einem Sprung vor einen pflanzte,
um den ein Schimmer bebte wundersam.

Und rief: »Willkommen der im Nichts Verschanzte,
der Buddha!« – »Sakka, Buddha sagst du?« – »Ja!«
Und als er dies gesprochen hatte, tanzte

der Meister, den ich nie sonst tanzen sah,
voran auf jener Schatten Schattenpfade
– zum jungen König David ward er da,

so wie er hüpfte vor der Bundeslade –
und rief und sang: »Selbst hier – ich bin! ich bin! –,
Erhabner, find' ich heute vor dir Gnade?«

Ich lief dem Schattenzuge nebenhin.
»Tanze nur, Sakka«, sprach des Buddha Schatten,
»noch immer sproßt der Bart dir nicht ums Kinn.« –

»Die ew'ge Jugend kommt mir sehr zustatten«,
so, der nun Sakka hieß; der Locken Schwall
flog um ihn, die sich aufgelöset hatten.

Ich hörte Schellenklang und Flötenschall,
und immer wilder wurden Sakkas Kreise;
sein Lachen weckte seligen Widerhall.

Aus seinem Mund drang eine wilde Weise,
die, mit der stillen Schattenluft vermählt,
seltsam genug klang, zu des Lebens Preise.

Der mich zum Weggenossen auserwählt,
Lustknabe jetzt, ums Haupt die Efeuranke,
und doch vom Krampf gerissen und gequält:

er war es selbst, der zeugende Gedanke,
entfacht in Gräbergassen-Dämmernacht,
durchdringend, überspringend jede Schranke.

An seiner Stirne diamantner Pracht
entsprang ein Stern und brach mit buntem Funkeln
herein in dieser Dämmerwelten Schacht.

Durch alle Mausoleen ging ein Munkeln,
als sei der letzte Morgen nicht mehr fern,
wo alle Grüfte steigen aus dem Dunkeln.

»Sei mir gegrüßt«, rief ich, »du Morgenstern.
Ich ahne wohl das Wunder der Begehung:
Weltschöpfer du!« – »Ich bin es nicht im Kern«,

rief er mir zu, »ich bin nur Auferstehung!« –
Und Auferstehung! Auferstehung! tönten
die Räume in erhabener Verwehung.

Und die an Schweigen und an Nacht gewöhnten
Bewohner dieser ernsten Nekropole,
es war, als ob sie hinter Mauern stöhnten.

Der See lag weiß beglänzt wie schwarze Kohle.

 

Vierzehnter Gesang

Der Tanz war aus. »Er galt dem Preis der Toten,
die lebend hier der Auferstehung harren.
Wann werden sie zum wahren Sein entboten?«

Ich hörte eine erzne Pforte knarren,
indes mein Führer solches zu mir sagte
und fortfuhr: »Wir sind alle Gottes Narren:

nicht einer, der nicht ehmals Großes wagte,
wohnt hier, um Eden wiederherzustellen,
und dem nicht Gram deshalb das Herz zernagte.

Ich wiese gern dir alle ihre Zellen,
allein, es sind Legion! Zu jeder führen
– du siehst es –, wechselnd zahlreich, goldne Schwellen.

Schon will die eine unser Fuß berühren,
und nah geöffnet steht die erste Pforte.
Sei diese eine uns statt aller Türen!

Die Namen nur der Diener hier am Worte
– dem einstigen ›Fiat!‹ –, ihrer sind zu viele!
Doch manche Perle weis' ich dir vom Horte.«

Die goldnen Stufen gaben Farbenspiele.
Ich sah Satanael und mich gespiegelt,
mir aber kam es vor, als ob er schiele.

Er sprach: »Uns hat die Pforte aufgeriegelt
die Kutte, die uns wieder nun umwallet
und gleichsam für den ›Gottesstaat‹ versiegelt.« –

»Ihr Gäste, sehet zu, daß ihr nicht fallet!«
auf jeder goldnen Stufe stand zu lesen.
Von fernen Glocken schien die Luft durchhallet.

Zu einer Frau sich neigend, die, mit Beben,
rang im Gebet, mit Seufzen und mit Weinen,
schien sich mein Führer boshaft zu beleben:

»Wie, Monika? du, Stein hier unter Steinen?
Was macht dein Sohn?« Er spricht's mit stummen Lippen. –
»Ich kenne Jesum nur, ich habe keinen.« –

»Nun, Monika, wir kommen, um zu nippen
am Quell lebendigen Wassers, das er spendet.«
Wir sahn dreimal an Stirn und Brust sich tippen

das Weib, dann sagte sie, uns zugewendet:
»Wen sucht ihr? Augustinum, meinen Sohn?
Kein guter Dämon hat euch hergesendet.

Er rechtet noch mit Gott auf seinem Thron.« –
»Du heil'ge Frau, wie magst du also sprechen?
Du bist verwirrt, dein Geist ist dir entflohn.« –

Ich kann mich dies zu sagen nicht entbrechen. –
»Im Rate Gottes sitzt dein Augustin!
Wie kann er Christum in die Seite stechen?

O Mutter, Mutter, du verleumdest ihn.« –
»Geht zu ihm und erkennt mein bittres Wehe!
Er sitzet unter einem Baldachin

und foltert Gott, daß er ihm Rede stehe,
und fragt und lehret seine Gläubigen fragen.
Ich danke Gott, wenn ich die Greul nicht sehe.

›Wie kann das Böse sich mit dir vertragen,
allgütiger Gott, von dem doch alles stammt,
auch Satanas mit allen seinen Plagen?

Und warum wird der schwache Mensch verdammt,
wenn er des Engels Macht nicht widerstehet,
des Hölle bis in deine Himmel flammt?

O Herr, gebiete, daß er untergehet
und uns mit deinem Willen nicht versucht!
Sucht ihr Verdammnis, tretet ein und sehet!‹

So spricht mein Sohn mit Gott. Er ist verrucht!«
So Monika. – Es war nur leises Wimmern,
wie wenn der Wind durch Spalten Wege sucht.

Nun sahn wir Licht durch einen Vorhang schimmern
und, als mein Führer ihn hinweggerafft,
in eine Flucht von marmorhellen Zimmern.

Die lichte Leere war gespensterhaft.
Und eine Stimme sprach im hohen Rat,
so schien's, den wir nicht sahn, mit großer Kraft:

»Geschrieben steht: Am Anfang war die Tat.
Die Tat war Wort, das Wort ward Tat, und beide
vereinigt, Brüder, nenn' ich Gottesstaat,

wobei ich Himmel nicht und Erde scheide.
Denn auch aus diesen beiden mach' ich eins.« –
»Doch leider einen dicken Strich mit Kreide

machte mein Vater, trennend seins und deins!«
Der Meister sprach's. »Welch ein erhabnes Wollen,
es häufte Berge menschlichen Gebeins!

Doch müssen wir ihm wohl Bewundrung zollen,
denn der Gedanke war so groß als kühn,
ein Himmelreich zu gründen auf den Schollen,

durch deren Poren Gottes Höllen glühn:
hier wohnt es rein im Lande der Ideen,
auf Erden ist's vergebliches Bemühn.

Dort kann, im Fluch, kein Gottesreich entstehen!
Auch einen Adam Kadmon bringt sie nicht
hervor, die Welt, trotz aller blut'gen Wehen.

Die wahre Weisheit fußt auf dem Verzicht:
er wohnt in dieser heiligen Stadt der Weisen,
in diesem schmerzensbleichen Totenlicht.« –

»Laß mich den Glauben und das Kämpfen preisen«,
sprach ich, »an Gott und mit Gott!« Doch er, kurz:
»Du wirst sein Unrecht niemals ihm beweisen.

Des Menschen Schritt ist schon ein ewiger Sturz.
Er mag dem guten Willen Ausdruck geben
in Tempeln, die er baut mit Kell' und Schurz,

er selbst kann sich vom Boden nicht erheben.
Es werden seine Wünsche Wort, nicht Tat,
in seinen Wünschen liegt sein höchstes Leben.

Auch hier: nichts ist hier Frucht und alles Saat,
im außerirdischen Traumesgrund gebettet,
und so auch Augustini Gottesstaat.

Wie oft hab' ich mich hier hinabgerettet
in dieses schmerzlich andre Paradeis,
seit ich mich an des Vaters Fluch gekettet

und von dem anderen kaum noch etwas weiß.« –
Es kam ein Glanz aus einer Tür zur Rechten,
sie tat sich golden auf und rauschte leis.

Da saß ein goldnes Weib mit goldnen Flechten,
die goldne Stirn geneigt in goldner Not,
den Säugling stützend mit der goldnen Rechten,

dem ihre goldne Brust die Goldmilch bot.
Und als dies Bild im eignen Glanze wie
erbebend stand, gleichwie lebendig tot –

so sah ich meinen heiligen Führer nie
erbleichen als wie nun, da er's gesichtet:
stumm blieb sein Mund, doch seine Seele schrie.

Er stand und sah zu Boden wie vernichtet.
»Hier sengt die Brust ein Strahl von jenem Licht«,
so raunt' er nun, »auf das auch ich verzichtet.

Er fließt aus jenem goldnen Angesicht.
Du siehst nicht alles, was du an ihm siehest,
denn seinen vollen Glanz ertrügst du nicht.« –

»Wenn du mir mehr von deinem Zauber liehest,
so wollt' ich nicht von dieser Schwelle gehn,
bis ich ihn ganz erblickt.« – »Du bleibst, du fliehest,

kein Zauber hilft den vollen Glanz bestehn,
und keine Ferne kann in dir zerstören
den winzigen Teil, den du davon gesehn.«

Durchströmet war von wundersamen Chören
der goldnen Mutter goldner Kuppelbau,
unsäglich süß und wundersam zu hören.

Ganz anders klang als bei der toten Frau,
der trotzigen auf hohem Sarkophage,
und als in ihres Tempels kaltem Grau

ringsum die Luft, die wie am goldnen Tage
des goldnen Bildes goldnes Licht empfing,
das ich vergeblich nun zu schildern wage:

Es war von Gold, gewiß; allein, es ging
darüber hin wie leisen Lebens Wellen,
und an den magdlich keuschen Wimpern hing,

des Bilds, ein zitternd diamantnes Quellen.
Zu schwellen schien der goldne Kindermund
und auch die goldnen Brüste leis zu schwellen.

Des Bildes großer Blick war tief und wund,
und wund und weh gebogen war die Lippe;
der Glieder Kraft und Schönheit aber und

ihr Adel sprach: »Hier ist nicht Adams Rippe:
ich bin's, die Adam schuf, und hier ist er,
daß er von meinem Busen Leben nippe.

Mein Leib, nicht Adams, ward von Kindern schwer!
Von meinem Leib und Blut habt ihr gegessen«,
schien sie zu sagen, »wißt ihr das nicht mehr?

Ihr tut es zum Gedächtnis heute – wessen?
wenn beides ihr genießet im Symbol.
Er hat an meinem Tisch zu Gast gesessen.

Er aß mein Fleisch, er trank mein Blut, jawohl,
und hätt' ich ihm von beiden nicht gespendet,
wo wäre heut dies schmerzliche Idol?

Ich habe den Erlöser euch gesendet.«

 

Fünfzehnter Gesang

Da fühlt' ich plötzlich, wie an meinem Arm
mit sanftem Druck ein andrer Arm sich rührte,
und mich durchfuhr ein Leben, süß und warm.

Und deren Lilienfleisch ich bebend spürte,
sie hob den schweren Blick zu mir empor:
die von der Erde allzu früh Entführte.

Die schwarze Sonne wob durch sie den Flor
Persephoneiens. Nächt'ge Haareswelle
durchschimmerte das lilienfarbne Ohr.

Das Antlitz hold von mondhaft blasser Helle,
verlorner Paradiese eine Frucht:
nicht trank es von der goldnen Mutterquelle.

»Angelika! in einer chthonischen Schlucht
hast du gelebt, auch als es schien, du wärest
auf Erden heimisch, und vor deiner Flucht

hierher, von wo du niemals wiederkehrest.
Sprich, Kind, auf welche Weise dient man dir?«
Sie drauf: »Wenn du dich schon im Traum verzehrest,

o trüber Freund, verzehre dich an mir!«
Und ich erschrak und sprach: »Chthonische Gluten,
Angelika, durchschwelen dich auch hier?« –

»Im tiefen Schacht brauchst du danach nicht muten«,
sie drauf. »Saturn beherrscht mich hier wie; dort;
komm mit, komm mit, wo uns Kometenruten

zur Liebe leuchten, zeig' ich dir den Ort.
Durch meine Lippen sei er dir verkündet
und mehr durch meinen Schoß als durch mein Wort:

der düstre Wandelstern, der Liebe zündet!«
Da hört' ich ekles Lachen. Doch umfing
mich festen Drucks ihr Arm, so weich gerundet.

Es rauschte seidig, wie das Kind nun ging,
um schwellendkühles Fleisch – wie leicht gegürtet!
Voll Liebesgötter Brust und Lippe hing,

gleich Bienen von Nektarien bewirtet.
»Er lacht, allein die große Mutter klärt«,
sprach sie, »zuletzt, was er und ihr verwirrtet.

Wir haben euch, den Irrtum ihr genährt
und ihn erhoben auf den Thron der Welten,
allwo er Lügen heckt, die ihr verehrt:

für Weibgeborne können sie nicht gelten.
Wahrhaft'ges Leben schafft des Weibes Schoß …«
So schalt sie. Doch es war ein süßes Schelten.

»Was fiel dir, schönes Kind, hier für ein Los?«
so ich. Dagegen sie mit leisem Schauer:
»Im Abgrundshauche steh' ich nackt und bloß!

doch nicht mehr hinter der Gefängnismauer,
die droben mich umkerkerte, im Tag:
dort oben litt ich Pein, hier heil'ge Trauer!

Noch leid' ich Durst, den niemand stillen mag
auch hier, doch leb' ich meinem heißen Willen.
Sooft ich seinem Zwange unterlag,

hört' ich's von Quellen tröpfeln, fließen, quillen.
Ich ward auch wohl durch einen Trunk erquickt.
Du magst es selber sehn, komm mit, im Stillen!« –

»Heil, süße Marter, daß ich dich erblickt
und deiner Nähe chthonisch Feuer fühle,
hier, wo die Totenuhr vernehmlich tickt!«

So ich. Zum erstenmal empfind' ich Schwüle,
als war' ich nicht in diesem Gräberland,
vielmehr auf Kypros' meerumwogtem Pfühle,

wo Aphroditas Dienst in Blüte stand.
»Wie kommt's, daß du hier wohnst, die du so glühest,
denn brennend liegt in meiner deine Hand,

und daß du hier so oberirdisch blühest
und um dich duftest, heißer Spezerei?«
Sie spricht: »Ich bin's, um die du dich bemühest!

Ich bin der Kern von dieser Ödenei,
nicht Hadumoth noch irgend sonst ein Schatten:
nur ich durchbrach das weiß und schwarze Ei.

Auch du bist gleichsam einer der Mulatten,
in dem sich lüstern weiß und schwarz durchdringt:
die Tiefe macht uns zu Geschwistergatten.

Wenn der siderische Funke überspringt,
so neidet chthonisch Feuer keine Sonnen,
und wer mit solcher Ätherwelle schwingt,

den letzen jählings aller Himmel Bronnen.«
Ich wollte sagen: Ja, das ist gewiß! –
da hatt' ich sinnlos schon das Werk begonnen,

da traf mich schon der »alten Schlange« Biß,
da zuckt' ich schon in ihres Giftes Krämpfen;
ein Gürtel riß, ein leicht Gewand zerschliß. –

Wo waren wir? Umwölkt von Grubendämpfen,
sah ich und fühlt' ich heißen Wahnsinns Nacht,
voll Gier, allmächtig-selige Brunst zu dämpfen.

Als ich erwachte, war's in einem Schacht.
Noch halt' ich das verzückte Fleisch umrungen.
Der Höhlenraum, gewölbeüberdacht,

vom Hauch des Todes war er ganz durchdrungen.
»Warum, Geliebte, hast du mich gelenkt
in diese lichtlos lichten Dämmerungen?«

Sie drauf: »Mit ihnen hast du mich beschenkt,
so wie ich dich, du Mann, damit beglückte.
Zuhöchst nur steiget, was zutiefst sich senkt.

Zielnah ist das am weitesten Entrückte!
Ich fragte nie nach dem, um was ich warb:
zerstücke mich, was mich so heiß durchzückte!

Wen kümmert es, o Freund, woran er starb?«
Ich weiß es nicht, wie oft wir da verschieden!
Dann füllte sich die Höhlung lilienfarb

von eines ewigen Lämpleins Grabesfrieden:
es brannte wohl schon viele tausend Jahr,
vollkommnen Lichtes, hier, vom Licht geschieden.

Und nun begriff ich langsam, wo ich war:
bei Urnen, Särgen, Marmorsarkophagen,
ein Ort der Liebe, seltsam! wunderbar!

Bin ich bei Gulen, welche Knochen nagen?
ist's Lamia, die mich hierher verschleppt?
und füll' ich ihren Kindern bald den Kragen?

Schon mancher ward auf diese Art geneppt. –
Da sagte jemand: »Werde dir nicht bange!
Ich bin ein Wissender, bin ein Adept.«

Und wirklich trat hervor aus engem Gange
ein Mann, schwachleuchtend und von eignem Schein,
nach Tracht und Haltung nicht von niedrem Range.

»Willkommen unter Moder und Gebein«,
sprach er und strich den Bart, den silberweißen,
»mit dem Empfang darfst du zufrieden sein.

Es ist die beste Art, ins Gras zu beißen
und dorthin zu gelangen, wo du bist:
ins Erdgeschoß, ins Reich des Schwarzen-Weißen,

des Dreimalgroßen: Hermes Trismegist.
Du hast bereits dein Opfer ausgegossen
– ein nachgeborner Myste, schlechter Christ! –

und auch die goldne Hadesfrücht genossen:
Erstlinge dieser heißen Priesterin.
Wo wäre beßres Labsal je entsprossen?

Tu mit ihr weiter ganz nach deinem Sinn.
Hier habt ihr Nacht und Nacht, euch zu bedecken,
Apollens Störerblick reicht hier nicht hin.

Ihr werdet nirgend hier Gelächter wecken,
Leib dicht an Leib und Brüste fest an Brust.
Im Schwarzen ist das Schwarz kein schwarzer Flecken!

Denn hier ist alles stumme Zeugungslust.
Hier harrt des Brandes die bereite Kohle:
entzünde, was du kannst und wie du mußt!

Kommt mit, Geliebte, sehet die Symbole!« –
Er schritt, wir folgten, zärtlich Leib an Leib.
Von Gold- und Silberadern glomm die Sohle.

Wie Eva vor dem Falle hing das Weib
an mir in schwerer, fruchthaft müder Schöne,
und ihre feuchten Wimpern sprachen: Bleib!

Wir weckten in Gewölben hohle Töne.
Ich sah es wohl, was ihrer jedes barg.
Des Fremden Stimme scholl, ein dumpf Gedröhne:

»Du siehst in Reihen endlos Sarg an Sarg.
Im Traum selbst ward dir glühende Erfüllung.
In Stollen, die du sprengtest, bleibe stark!

Zehnfachen Durst erweckt dir erste Stillung,
denn rings ist trockner Schimmel, Moder, Staub.
Des Lebens Funke springt durch die Umhüllung;

du hörtest wohl die Mär von Kores Raub.
Sie ist nicht fern, du hast ihr chthonisch Glühen
im Blut und riechst den Duft von grünem Laub.« –

»Ist's Älplerklang, ist es Geläut von Kühen«,
fragt' ich, »fernher gemischt mit Vogellaut?«
Der Fremde sagte: »Nein, es sind Harpyien!«

Längs aller Wände waren aufgebaut,
basalten, marmorn, erzen, Schrein an Schreine,
verholzte Mumien mit schwarzer Haut.

Die ewigen Lämpchen gaben matte Scheine:
sie zeigten mir, auf Vasen, Bild an Bild
des Lebens, ob zerfallendem Gebeine.

Der Faun, die Bakche, sie umtanzten wild
hier Tongefäß sowohl als Aschenkiste.
Doch wie ein Gruß aus oberem Gefild'

bot da und dort sich Efeukranz und Ziste.
Der Fremde aber lüpfte hier und da,
vorüberschreitend, eines der Geniste:

worauf das Wunder jedesmal geschah,
daß eine Schlange aus der Öffnung zischte.
Und deren eine griff Angelika.

Es war, als netze sie mit deren Gischte
die rote Wunde ihres heißen Munds.
Und was sich so mit feinem Biß vermischte,

das stand im Zeichen jenes alten Bunds,
den ich mit weiter Traumkraft nun umspannte –
umspannte, wie er selbst des Weltenrunds

unendlichen, urewigen Bau durchbrannte!
Hier ist nicht Feindschaft, dacht' ich, und so sprach
der Fremde, der sich lächelnd zu mir wandte:

»Ob sie das Kind auch in die Lippe stach:
von diesem Wurmstich schwillt die Frucht nur heißer,
die fast schon reife, merkst du, reifet nach!

Die Brüste spannen üppiger und weißer,
der Augen Nacht glüht schwärzer zu dir hin.
Glaub mir, der Wurm, von solchen Dingen weiß er

hoch über Menschenwitz und Menschensinn!«
Ich dachte: Helf mir Gott, ich weiß das gleiche:
die Schlangenmutter, Gottgebärerin

hängt mir im Arm, die Herrin beider Reiche.
Und als vom Schöpfungskern die Schale riß,
sich sonderte das Harte und das Weiche,

geschah es einzig durch des Wurmes Biß.
Ja, ohne ihn war Gottes Müh' vergebens!
Gewiß, er war das große Ärgernis,

doch seine Wohnung war im Baum des Lebens.
Und als der Dämon zu dem Weibe kam,
da blieb des Todes Widerstand vergebens.

Denn Leben war's, was dieses von ihm nahm. –
Der Fremde sprach: »Was du hier phantasierest,
Nachtwandelnder – ich bin ein wenig lahm,

verzeih! –, und wie du hier, mein Freund, purgierest
der alten Schlange, meiner Muhme, Gift,
beglückt mich sehr; allein, du korrigierest

damit die Gottessöhne und die Schrift.
Erwachst du einmal aus der Traumverwirrung,
so schaudert's dich vielleicht, wenn dich dein Stift

erinnern will an solche schwere Irrung.
Hier scheint dir alles bis ins tiefste klar,
und doch ist alles chthonischen Dunstes Flirrung.

Du glaubst, gestochen sei dir hier der Star;
allein, erwachst du eines Tags mit Gähnen,
ist weiß vielleicht von dieser Nacht dein Haar.

Und doch erkennst du: alles war nur Wähnen!
Nichts ist hier Stoff von allem, was du siehst:
höchstens die Kiste hier mit Hobelspänen.

Ich rate dir, daß du zurück dich ziehst:
stickiger immer werden hier die Stollen.
Fast tödlich duftet, was hier sprießt und schießt.

Du wirst zum letzten Alp nicht dringen wollen,
der dich, ein hundertköpfiger Wolf, bespringt.
Du hörst sein Bellen durch die Schächte rollen.«

Ich aber schwebte abwärts graunbeschwingt,
inbrünstig mit der chthonischen Braut verflochten
und eisern von der Viper jetzt umringt.

Da war's, als ob rings erzne Herzen pochten
und immer lauter pochten im Gefels.
Und so, als wurden Kämpfe ausgefochten,

drang fernher Lärmen rasenden Gegells,
und näher drang's mit qualvoll wildem Lachen,
vermischt mit Lauten schmetternden Geschells.

Da rief Angelika: »Es sind die Bacchen!«
Und ihr entfuhr ein fremdes, wildes Schrein,
als wie wenn Pfaun des Nachts im Mond erwachen.

Dann tobte sie: »Wein, Wein, sie bringen Wein!
Sie schleppen sich mit Kannen, Bütten, Schwingen!
Ihr Gottbegeisterten, schenkt ein, schenkt ein!«

Da schnellte sie sich hoch, wie Fische springen.
Die Arme rangen sehnend in die Luft,
als ob die hohlen Hände Regen fingen.

Wir traten nun in eine weite Gruft
und Kuppel, Marmorurnen in der Runde,
durch eine schmale, kaum erschloßne Kluft.

Welch seltsam Gastmahl barg doch die Rotunde!
Als steinern Bild auf jedem Sarkophag
der Tote! Und ein jeder hob zum Munde

die Schale, wie er dort bei Tafel lag.
So schwiegen sie Jahrtausende, im Kreise
erwartend so den Auferstehungstag.

Und in die Wölbung schwoll die bakch'sche Weise
jetzt wild und voll wie ein erlöster Strom,
der frühlingsbrausend sich befreit vom Eise.

Ein Volk von Rasenden drang in den Dom:
gelöste Haare, Brüste, Schenkel, Leiber,
und mitteninne – sah ich ein Phantom? –

als Herr und Abgott der entbundnen Weiber,
olympischer Schönheit, schwer und licht berauscht,
Satanael: er war der Stachler, Treiber,

von Flöten, Schellen, Saitenspiel umrauscht,
war Bromios, den das Bakchenvolk umtobte!
Stets war er schön. Nun aber, wie vertauscht,

war er die Schönheit, die sich selbst erprobte,
war Gott durch Jugendschönheit ohne Maß!
Er war der Meister, der sich selber lobte!

Allein, das Licht, das ihm im Auge saß,
es stammte her von ungeahnten Sonnen:
wer sterbend es erblickte, der genas

zu einem Dasein namenloser Wonnen.
Er hielt die schwerste Traube in der Hand,
gehoben aus dem chthonischen Zauberbronnen.

Die gleiche Frucht war's, die sein Haupt umwand.
So wankt er her im Duft von Spezereien,
um seine heilige Stirn das goldne Band.

Es strömen von ihm alle sieben Weihen,
nie hört' ich noch bis heut das Evoe!
Allmächtig ist's, wie es die Bakchen schreien.

Den Stab erhebt der Sohn der Semele.

 

Sechzehnter Gesang

Und dreimal an die Wölbung stieß der Stab
des Gottes. Diese wich sogleich und machte
den Himmel frei. Sein Licht drang in das Grab.

Wir alle hoben uns aus unsrem Schachte
und schwebten steigend, wie man schwebt im Traum,
ins volle Blau, das über uns nun lachte.

Vergangen war die Inselstadt wie Schaum;
allein, es blieb in mir ein leises Merken,
wie von der Wurzel weiß das Blatt am Baum

und von des alten Maulwurfs dunklen Werken.
Allein, es war ein wunderlicher Tausch.
Wie müßte man der Sonne Licht verstärken,

um nur zu ahnen jenen lichten Rausch,
in den ich mit Angelika nun tauchte,
vom Gott geführt, umklungen vom Gerausch

des Bakchenschwarms. O Hellas, hocherlauchte,
wie warst du plötzlich um mich morgenfroh!
Kein Altar, der nicht deinen Göttern rauchte.

Parnassos' Gipfel flammte lichterloh,
des Pindos Steilwand grüßte her mit Tannen –
wie doch die Nacht zerflatternd von uns floh!

Wir rannten hin durch Täler, breite Wannen.
Ölwälder überhüllten ihren Grund,
die golden, nur berührt vom Thyrsos, rannen.

»Drück an die Rinde«, rief man, »deinen Mund!«
Ich tat's, indes ihr heiß die Luft durchsirrtet,
Zikaden, sog und ward wie nie gesund.

O Tauben Aphroditens, wie ihr girrtet,
von meines Mädchens Lachen nicht geschreckt!
Mänaden, wie ihr rings begeistert irrtet,

auf sel'gem Boden, den ihr neu entdeckt!
In Jubel brecht ihr aus, in unermeßnen,
und heil'ge Felsen werden rings geweckt

zum alten Wonneleben, dem vergeßnen.
Wir stürmen fort, der Hinde gleich das Kind
Angelika voran, mit den Beseßnen.

Wann war ich je so sehend, je so blind?
Wann sprangen je um mich so heiß die Quellen?
Noch grast's in Kraft – zerrissen ist das Rind

im nächsten Augenblick. Die Räume gellen
vom gottesmächt'gen, wilden Evoe
der Rasenden, von Becken, Trommeln, Schellen.

Milch spritzt aus Efeuhügeln, weiß wie Schnee,
der Traubensaft gluckst schäumend durch die Steine,
und viele Bäche bilden einen See.

Wir baden bis zum Hals in kühlem Weine.
Wir schwimmen, trinken schwimmend. Wilde Jagd
verfolgt den Hirsch, doch der hat flinke Beine.

Die Steilwand hemmt, doch alles wird gewagt
von dieser göttlich wutberauschten Meute.
Nichts, was zu hoch ihr in den Himmel ragt.

Die Gemse wird, der Steinbock ihre Beute.
Er raste nur auf nie betretnem Eis!
Schon hört er nah ihr gräßliches Geläute.

Parnassos' Gipfel blendet stechend weiß.
Ruß sät geschwungne Fackel auf die Weiße
und rote Rosen, die wie Blut so heiß.

Es mag auch sein, vom Biß der Schlange schweiße
so manche, die im Haar die Viper trägt
und in der Hand, laut kreischend: Beiße, beiße!

Auch trieft von Blut, wer einen Stier erschlägt,
und mag im wilden Taumel Rosen regnen:
der Stierfuß tobt, die spitze Flöte päkt.

Wohin noch rasen mit uns die Verwegnen?
Mein Führer schäumt, sein Atem pfeift und keucht,
ich sah nicht mehr in ihm den Überlegnen.

Erst Jäger, jetzt nur Wild noch, wie mir deucht,
fliegt er dahin, verfolgt vom tollen Schwarme,
gleichwie ein Ölblatt vor dem Sturmwind fleucht.

Und jählings griffen ihn vieltausend Arme
von Weibern, schleppten – auszusprechen scheut's
die Lippe, laut nach Hilfe schrie der Arme –

zum höchsten Gipfel ihn, hier stand ein Kreuz
– erfaßt dies! – auf dem Gipfel des Parnasses,
und seine fürchterlichen Balken beut's

der Orgie nun des wilden Gotteshasses,
der sich aus Liebesraserei entschält.
Und wer das Wunder fassen mag, der fass' es:

Es hängt der Gott, eh man drei Punkte zählt,
mit Nägeln angeheftet hoch am Pfahle,
bespien, geschlagen, dornenkranzgequält.

Essig und Galle barg nur mehr die Schale,
nicht Wein mehr, die man seinen Lippen bot.
So hing er sterbend da, im letzten Strahle,

umflutet von Parnassos' Gipfelrot.
Wie seltsam: immer wieder solches Leiden,
hinschwindendes Vergehn und solcher Tod

bei ihm, der doch, der beßre von uns beiden,
mich aufrief jener Nacht betäubter Ruh',
zum Schaun mich bannend wie mit stygischen Eiden.

Er aber schließt, nicht ich, die Augen zu
und läßt alleine mich mit meinem Grauen
im Sohlenbrande meiner Wanderschuh',

um einsam das Entsetzlichste zu schauen.
Ich sehne meine Lagerstatt zurück
und einen Morgen, dem ich kann vertrauen.

Doch labyrinthisch war das Wegestück.
Nicht Götter, die es rückwärts wiederfänden!
Fand je ein Suchender verlornes Glück?

Stets ist's vergeblich, rückwärts sich zu wenden
in diesem wechselnd uferlosen All,
wo Wege nie beginnen, nirgend enden,

ja überhaupt nicht sind! Zum zweitenmal,
ja, tausendmal gehst du gebahnte Wege
rückwärts und vorwärts, jetzt und überall:

einmal durchbrichst du nur dies Traumgehege,
das hinter dir sich undurchdringlich schließt,
ja dich verschlingt, sofern du stockst und träge

versäumst voranzudringen und verziehst.
Doch freilich voller rätselvoller Dinge
steckt diese Wüstenei, die du durchziehst.

Unwissend machst du Schleife wohl und Schlinge,
die deinen dunklen Ausgangspunkt umringt,
ja wie des Glühwurms ahnungslose Schwinge

durch Schicksalsschluß zu ihm zurück dich bringt. –
Wo steh' ich nun, indes ich dies erzähle,
das mich ein streng Gebot zu sagen zwingt?

Noch immer stehn vor mir die Kreuzespfähle
mit ihm, der sterbend Untreu' mir beweist,
dem trotzdem Heißgeliebten meiner Seele.

Nun aber ist's der Mond, der es begleißt,
dies Galgenwerk; es liegt sein tiefer Schatten,
ein Finger, der nach Delphis Trümmern weist,

furchtbar und einsam auf dem silbersatten
Firnschnee des heiligen Bergs, der alphaft glänzt.
Wann wird man dich, du Toter, je bestatten?

Allein, die Kuppel, die das Bild umgrenzt,
erscheint sie mir doch jetzt mit einem Male
ein Tempelhaus, drin du triumphhaft brennst, –

erscheint wie eine demantsprühnde Schale
basaltnen Grunds. O welche weite Gruft,
wie tausendfältig heilig ihr Gestrahle!

Wer bricht das Schweigen dieser eis'gen Luft,
frag' ich, des heiligen bodenlosen Grabes
voll Glanz, voll Seelenschnierz, voll Sternenduft?

Und wer das Rätsel deines Thyrsosstabes,
der eben noch so Göttliches vermocht'
im schwarzen Urnenstollen? Oh, ich hab' es

noch nicht vergessen, wie er angepocht
und wir in Hellas' Sonnenluft uns drängten
durch Schichten von Gefels, die er durchlocht.

Doch gleich' ich nun noch mehr dem eingezwängten
Insekt im Bernstein, seit hier alles schweigt
vor dir, dem Toten, Essigschwammgetränkten.

Zum Fragen bin ich mehr als je geneigt.
Ich brauche mehr als je den Gott als Leiter,
der mir den Weg von dieser Stätte zeigt.

So dacht' ich, sprach ich, rief ich. »Hilf mir weiter!«
fleht' ich dies grauenvolle Denkmal an,
das immer höher ragte, weiter, breiter.

Ich weiß, wie bohrend ich, wie peinvoll sann,
des Traumes Klammer von mir abzusprengen.
Es blieb vergeblich, wie ich's auch begann.

Traum oder Wachen: möge niemals zwängen
zum zweiten Male mich ein solcher Zwang
der letzten Ohnmacht! nimmer sich vermengen

wie damals Auferstehn und Untergang!

 

Siebzehnter Gesang

Allein, nun plötzlich traf mich wie ein Blitz
Erkenntnis. Ob in Wahrheit? Er genüge,
der Glaube, der auf eis'gem Musensitz

mich traf: er irrt vielleicht, doch fern der Lüge.
Rings um den Gipfel lag die Totenstadt,
es gleißten Zinnen, Plätze, Straßenzüge.

Wer einmal ihren Grund betreten hat,
weiß, ob sie gleich von heiliger Flut umgeben,
daß sie trotz ihrer keine Grenzen hat.

Wer in ihr lebt, muß schaffend in ihr leben,
muß mit dem ›Fiat!‹ seiner Schöpferhand,
im eignen Blute, sie ins Dasein heben.

Dann aber reicht sie bis zum Weltenrand.
Und ihrem Bürger gibt sie solche Kräfte,
daß seiner Seele Ring das All umspannt.

Geführt – verlassen von dem Traumgeschäfte
des Irrens –, schreitend immer neu verzückt,
vom heißen Mohngeist überfüllt die Säfte,

war ich zur Stadtburg gleichsam vorgerückt,
dem Golgatha und seinem Kreuzsymbole.
Seit Menschen leben, ist sie so geschmückt,

die Inselstadt, mit dieser Gloriole,
vor deren Licht kein Abgrund sich verschließt.
Hier zucken Blitze diamantner Kohle.

Und was sich wie aus Bechern hier ergießt,
aus Schädeln dieser heil'gen Schädelstätte,
macht, daß die Flur von ewigen Blumen sprießt.

Erschüttert stand ich an dem Totenbette.
Ein solches war nun ganz der heilige Berg,
und wenn ich seinen Schnee gehoben hätte:

ihn ballen wäre ein vergeblich Werk;
er wäre, weißer Aschenstaub, zerstoben.
Doch was geschah? Ein Wunderbares: merk

nun auf! Den Kreuzesbalken sanft enthoben,
betrat der Kruzifixus nun den Staub
des Bergs, den uns die größten Träumer loben.

Nun rauscht um seine Stirne Rosenlaub,
aus dem die Knospen purpurduftig quillen.
Und jubilierend schmettern – war ich taub? –

beschwingte Sänger zahllos auf im Stillen!
Das Ohr erschrickt und schwelgt dabei im Klang.
Zugleich erheben unterm Schöpferwillen

des Kruzifixus sich und seinem Gang
rings um ihn her die schlummernden Gebeine,
begrüßt von Harfen und von Lobgesang.

Kein Wunder, daß ich Tränenstürze weine.
So schmilzt man nur als Kind, wenn nicht im Traum.
Geliebter Seelen hier vermißt' ich keine.

Ich hörte flüstern Marys Kleidersaum
und meiner Mutter treue Stimme hauchen.
Sie ward geboren unterm Tränenbaum.

Wenn man vermöchte in ein Meer zu tauchen
und drin ertrinken, das ganz Liebe ist …
wer mit mir träumte, würde das nicht brauchen:

als nämlich abwärts stieg der neue Christ
mit seiner Auferstandnen heiligen Scharen
erlauchten Volks, des du nicht würdig bist!

Sie schritten her in purpurnen Talaren.
Die Namen dieser Fürsten nenn' ich nicht:
genug, daß es in Wahrheit solche waren.

Ein jeder schritt in seinem eignen Licht,
das unerhörte Harmonieen tönte,
doch ihres Führers mildes Angesicht

gab, daß zu einem alles sich versöhnte.
Tief unten lag das rätselhafte Reich,
das mehr und mehr ein neuer Glanz verschönte,

der Totenstadt: noch eben mondesbleich,
drang goldnes Blitzen jetzt von ihren Türmen,
dem Lichte derer, die da kamen, gleich.

Ich hörte ihre Wunderglocken stürmen,
berührt von überselig mächt'ger Hand.
Wie sollte ich mein sterblich Ohr beschirmen?

Mir war, sie kündeten den Weltenbrand.

 

Achtzehnter Gesang

In schwarzer Zelle kocht der Honigseim,
Glutmasse drängt zum Licht aus tausend Essen
und überquillt die Welt mit Feuerschleim.

»Was ist das Leben?« sprach die Stimme dessen,
der mich entführt einst meinem Heim und Herd.
Es hatte mich mein Führer nicht vergessen;

an meine Seite war zurückgekehrt,
der eben noch der Bakchen Scharen führte,
wie Staub vom Winde jetzt hinweggekehrt.

Erwachen schien's, sobald er mich berührte.
Doch ob mich auch ein neues Dasein traf,
noch war es Gruft und Nacht, was mich umschnürte.

Unendlich viele Hüllen hat der Schlaf,
die alte Frage fragt: was sitzt im Kerne? –
Mein Führer sprach: »Du schreibst dein Epitaph.

Von deiner Wanderschaft auf unserm Sterne
nach hohem Vorbild willst du den Bericht
hinüberretten in der Zeiten Ferne:

es machte der von gestern dir's zur Pflicht,
der auch sein Epitaphium selbst verfaßte.
Von Welterlösung und von Weltgericht

sprach, je nachdem es liebte oder haßte,
das Häuflein Staub, das zu Ravenna ruht,
wie wir bei Gott und Satanas zu Gaste.

Doch sah er nicht der wahren Höllen Glut,
die selbst sich in den Tiefen eingemauert.
Ich zeige dir die eingeschloßne Flut.«

Wir sahen einen Bergmann hingekauert
in seinem Stollen, dem ein warmer Dunst,
ein schwarzer Hauch dumpfgift'ger Luft entschauert.

Mein Führer rief: »Komm, zeig uns deine Kunst!
Ich könnte zwar die Schuttwand selbst durchlochen,
doch dieser Maulwurf steht in meiner Gunst.

Er hat sie rastlos kreuz und quer durchkrochen.
Jahrtausendalter hängt an seinem Bart.«
Der Bergmann aber hörte auf zu pochen

und sprach: »Ich bin, da habt ihr recht, bejahrt.
Doch meine Jährlein hier im Kreis der Alten
sind nichts, und wär' ich hundertfach behaart.

Das ganze Leben ist nur ein Erkalten,
das lehrt der Brand, der in der Tiefe loht,
Granite lehren's, Laven, Falten, Spalten.

Ich lebe lange, länger war ich tot;
doch was er ist, der Tod, ist mir verschlossen.
Vielleicht, daß er das niedre Sein bedroht,

und höchstes Dasein wird von ihm erschlossen.
Ich grüble nun schon manche tausend Jahr
und steige grunddurchgrübelnd Leitersprossen

durch Klüfte, Schächte, Nächte voll Gefahr.
Doch meinen Grund hab' ich noch nie ergründet,
so emsig ich, so mutig ich auch war:

wo solch ein Gang beginnt und wo er mündet,
nicht einmal das, ihr Herrn, ist mir bekannt,
noch wer mein Grubenlämpchen angezündet.

Und dennoch hämmr' ich, poch' ich unverwandt
an das Gestein wie an verschloßne Türen,
denn dazu ward aus einem Fuß die Hand.

In diesem Sinne will ich gern euch führen,
wenn euch mein Maulwurfsstollen Freude macht.
Ihr sollt an fürchterliche Wunder rühren!

Ich selber bin ein unbekannter Schacht,
nicht mehr. Er brennt, der Schacht! Er hauchet Gase
durch seine Bocca, zischend durch die Nacht,

will heißen: redet, schnarcht durch Mund und Nase!«
Mein Führer sprach: »Wohlan! Es drängt die Zeit!«
Und jener drauf: »Der Grubenhund – ich blase

das Lämpchen an – steigt auf! Er steht bereit.«

 

Neunzehnter Gesang

Oh, diese Fahrt! Ich schreibe wachend, und
wer wüßte so zu sagen von den Müttern!
Ich sah, ich hörte, was mein stummer Mund

nicht auszudrücken weiß. Noch ist ein Schüttern
in mir, vor dem mir Nerv und Mark erschrickt.
Erinnrungswellen werden zu Zerrüttern.

Das schwache Nachbild nur in mir erstickt,
was menschlich ist in meiner Pulse Schlagen.
Nicht sah ich, nein: ich war, was ich erblickt',

für Menschensinne sonst nicht zu ertragen.
Ihr werdet meinen: »Was du sahst, war Trug.«
Dawider freilich wüßt' ich nichts zu sagen.

Unendlichkeit, die ich im Innern trug,
von einem unbekannten Sinn begriffen
nach Zeit und Raum – kein Wort ist hier genug.

Als Schiff in dieses Rätselmeer zu schiffen:
kaum aus dem Hafen, scheitert's, sinkt, zerfällt.
Und doch, ich eng Gefäß: von ihr umgriffen,

in mir beschlossen lebte diese Welt.
So war sie Trug? Nun wohl, sie so verstehen –
und also ist der Weltenbau zerschellt,

des Hörens Hören und des Sehens Sehen,
der Sinne Sinn ist dann für immer nichts.
Mag lieber denn die Sprache untergehen,

als daß die heilige Wahrheit des Gesichts
wie seines Sehers je bezweifelt werde!
Die Runenzeichen dieses Weltgedichts

sind Opferflammen auf dem chthonischen Herde.
Verkohle drin zu Asche und zu Rauch,
was nicht gebildet aus olympischer Erde!

Wir sausten tief in des Planeten Bauch,
dann hingetragen über seine Kruste.
Vulkane warfen roten Feuerhauch.

Es war, als ob aus tausend Gurgeln huste
die feuergärend höllenspeinde Nacht.
Mein Führer sprach: »Wo ist in diesem Wüste

der Ort zu suchen, wo dereinst erwacht
das erste zarte Grün des Paradieses?
Wie und woraus ward hier der Mensch gemacht?

Wir sind von seiner Art und sehen dieses:
die Höllenbombe, die im Raum sich wälzt.
Wer es vermag: dies Schauspiel, er genieß' es!« –

»Hier ist gesorgt, daß du dich nicht erkält'st,
Herr Allesseier«, sprach mit leisem Brummen
der Bergmann. »Niemand friert hier unbepelzt!«

Wir hörten unsichtbare Blöcke summen
und sahn tiefseitlich aus der Vogelschau
abwechselnd sich enthüllen und vermummen

aus Glut in Gluten einen Krakatau.
O arme Worte: es geschah ein Dröhnen,
im Grund zu wanken schien der Weltenbau.

Dann schwieg der Lärm. Es hörte auf zu tönen.
Es war, als hockten wir in einem Boot
stocktaub und segelten mit schwarzen Föhnen.

Der Bergmann hielt den Grubenhund im Lot.
»Nur Mut!« sprach mein Begleiter. Aschenschwärze
umwühlte uns, von Blitzen braun durchloht.

Wir sogen Schwefelgase, schmeckten Erze,
Brand, Asche, Bimsstein, wurden arg zerkratzt,
doch ließ uns Grauen keine Zeit zum Schmerze.

Es wölkte Splitter, wie wenn Glas zerspratzt,
dann plötzlich ward es hell, doch nur von Brünsten
des Abgrunds, tausendkratrig aufgeplatzt.

O Seele, die du reistest! Selbst dem Kühnsten
gerinnt fast im Erinnern solcher Fahrt
das Blut! Wo bleibst du, Mensch, mit deinen Künsten? –

»Du schufst nach deiner, nach Ameisenart
ein freundlich Weltlein und ein liebreich Göttlein«,
so murrte jetzt der Bergmann in den Bart.

»Und doch, dies ist nur ein geringes Pöttlein
voll Höllensud. Nun aber erst das Meer,
o Grubenhund! o Grubenhunds-Hundsföttlein!«

Heil'gen Entsetzens voll blickt' ich umher,
indes uns abwärts fuhr der Mann am Steuer.
Gab es denn wirklich eine Wiederkehr

aus dieser Welt von Schlacke und von Feuer,
das aus den Klammen rauschend niederschoß,
zu Tal sich stürzend, leuchtend ungeheuer,

in breitem Strome durch die Ufer floß,
von Nebenflüssen, Bächen rings gespeiset,
und in ein wogend Glutmeer sich ergoß?

Wie Wasser auf der Menschenerde kreiset,
so kreiste hier glutflüssiges Gestein.
Und jemand, der den Regen Sodoms preiset,

er möchte hier ein guter Bürger sein.
Aus Bergen quollen riesenhafte Ballen
Rauchglut empor. Sie stürzten plötzlich ein

und ließen ihren Höllenregen fallen:
hausgroße Blöcke, Fetzen, Tropfen Glut,
mit dumpfem Donnern, Heulen, Knattern, Knallen. –

»Mußt du nicht lächeln über Noahs Flut?«
Ein wenig kleinlaut, der es sprach, mein Führer,
fuhr fort: »Bald sitzt ihm so, bald so der Hut.

Ich meine ihn, mein Sohn, den Feuerschürer.«
Allein, ich brachte keinen Laut hervor.
Mein Führer schien mir klein und als Aufrührer.

Was alles doch ich in der Glut verlor!
Wo war die Menschheit hin, an die ich glaubte,
wo blieb der Weise, und wo blieb der Tor,

der Lorbeer- und der Efeukranzumlaubte?
Wo blieben Zion, blieben Kreuz und Dom
vor dem, was hier aus Spalt und Schloten schnaubte?

Wo blieben London, wo Berlin und Rom
vor dieser Welt aus Feuer und aus Schlacke?
Ich selbst darin ein körperlos Phantom.

Der Bergmann sprach: »Ihr lebt in einem Sacke,
die ihr die Welt der Menschheit nicht verlaßt
und Augenblicke sammelt, ticke, tacke.

Als du zur Welt kamst, was war da verpaßt
und ohne dich von Ewigkeit geschehen?
Viel mehr, als du im Traum geahnet hast.

Wir wollen unsren Anfang übersehen
und wenden rückwärts den betrognen Blick.
Doch wenn wir uns den Nacken selbst verdrehen,

so brechen wir uns höchstens das Genick.
So alt du bist, so weit magst du berichten
von rückwärts: so viel Ellen hat dein Strick.

Wo er zu Ende, Freund, kannst du nur dichten.
Doch mit des Dichters Aug' zurückgekehrt,
meinst du die Wand der Grenze zu vernichten.

Du kannst es, von dem großen Traum belehrt.
Doch anders nicht. Du träumst vom Anbeginne
der Menschheit, von des Wissens Durst verzehrt.

Untreu den Sinnen, traust du einem Sinne,
der scheinbar jede Finsternis durchbricht.
Allein, du kommst nicht aus dem Netz der Spinne,

die einst dich fing und dich dereinst ersticht.
Doch da wir träumen, nun, so laßt uns träumen!
Der Menschheit Anbeginn verrät ein Licht.

Doch wenn wir Blitze uns wie Rosse zäumen,
durchqueren wir doch nie die Ödenein
des Traumes bis zu jenen fernen Räumen,

wo sich das Leben bildete aus Stein.
Und wenn ihr mit Gedankenschnelle flöget,
von eurem Spinnennetz euch zu befrein,

nicht einmal das gelingt. Und ob ihr löget,
noch schwärzer als die ew'ge Lüge lügt,
Satan und Gott, sogar euch selbst betrögst:

kein Opfer, das die Spinne je betrügt
und ihres Netzes Grenze überschreitet!
Du bleibst in ihren Kerker eingefügt,

so weit sich scheinbar dir die Welt auch weitet.«

 

Zwanzigster Gesang

»Wer je geträumt, er weiß, es ist kein Zauber
so tückisch, außer etwa noch das Leben
an sich, das tückischer und wen'ger sauber.

Der Traum ist Chaos, willst du Form ihm geben,
so habe Mut zu deiner Schöpferhand:
Gestalten laß entstehn, Gestalt entschweben.

So trennte von den Wassern Gott das Land,
so schuf er tausendfältige Gebilde,
vergänglich alle wie im Traumverstand.

Du meinst, er führe Bleibendes im Schilde,
obgleich du nie das Bleibende gesehn:
nun wohl, er ist auch hier von deiner Gilde.«

So hört' ich Hauche meines Führers wehn
und fühlte mich gestärkt durch solche Worte,
denn wieder nahm ein plötzliches Vergehn

das Traumgewölk mir fort und mich vom Orte,
wo Auferstehung glüht in schwarzer Gruft.
Und nun: hineingetreten ohne Pforte,

erkannten wir um uns die bleiche Luft
der toten Inselstadt, die wir verlassen.
Wir atmeten den bittersüßen Duft

des Schmerzensparadieses, dessen Gassen
aufrauscheten von unsrer Tritte Klang.
Doch nein, wovon? Wer möchte das wohl fassen?

Gewiß, es quoll Musik aus unsrem Gang;
allein, er selbst ward von Musik getragen,
die aus der Erde, aus Palästen drang,

als würden sie wie Orgeln angeschlagen.
Und mehr: als sei die heil'ge Totenstadt
ein einz'ges Riesenorgelwerk. Wir sagen

verzweifelnd fast: »Auch dieses Bild ist matt.«
Ohnmacht sind Worte, wo wie hier ein Klingen
allmächtig wirkend unterworfen hat

den Stoff, nichts Festes bleibt in allen Dingen,
wo Mauerstein und Mörtel, Hall und Schall,
ja Erd' und Himmel nur ein einz'ges Singen.

Ich selbst zerschmolz, verging in diesem Schwall,
ganz Ohr, mit ganzer Seele nur ein Hören:
starb hier und ward geboren überall

ins wesenlose Wesen höchster Sphären,
in unaussprechlich neuen Daseins Schoß.
Von Himmelsharfen und von Engelschören

zu sprechen wäre hier des Stummen Los.
Was Ursprung hat, ist hier nicht zu vergleichen.
Zwar ist der Tropfen selbst unendlich groß,

doch klein und groß, sie müssen beide weichen,
Unendlichkeit des Tropfens wie des Meers,
vor diesem Zauber und vor diesem Zeichen.

Vergeblich ist es, dieses Ungefährs
ohnmächt'ges Stammeln weiter zu verdichten:
die Flut zerstört die Dämme jedes Wehrs.

Allein, es sind des Traumeswandrers Pflichten,
das Größte, unaussprechlich wie es ist,
in Zeichen und Symbolen zu berichten.

»Wenn du für diesmal noch nicht müde bist,
die Nekropole weiter zu ergründen,
ich gönne gern dir jede weitre Frist.«

So mein Begleiter. »Denn zurückzumünden
ins obre Chaos, den verruchten Sturm,
ist leicht. Es strebt von selbst zur Welt der Sünden

der Sünder, wie zum Aase dringt der Wurm.
Hier aber ist die Stadt der Gotteskünder,
und Offenbarung braust von jedem Turm.

Hier sind erlauchte und beredte Münder
verstummt. Und dennoch hörst du, wie es rauscht
ein heiliges Meer, ein Lauterbad dem Sünder.«

Ich weiß es nicht, wie lange ich gelauscht
Unnennbarem, als mich des Führers Finger
auf eine Pforte wies. Noch klangberauscht

las ich von grünem Erz den Namen Klinger.
Mir fiel aufs Herz, daß jüngst der Meister starb,
der große Bildner und der größre Ringer.

Wie er mit Pheidias um die Palme warb
und einen deutschen Zeus dem Stein entwunden,
es bleibt sein höchster Ruhm. Als feuerfarb

der Name tönend glühte, schien verbunden
mein Herz mit seinem, und es sprang die Tür
weit auf, um das Willkommen zu bekunden.

Da thront der Gott: Gewölke aus Porphyr
gewittern gleichsam unter seinem Sitze,
dem erznen, grollend, murrend für und für.

Doch dieser Töne-Zeus wirft keine Blitze,
vor denen Menschenwerk in Asche fällt:
es ist, als ob er Harmonieen schwitze.

Allmächtig-stumm gebiert sich eine Welt
sintflutgewaltig aus dem heiligen Steine,
vor dem der Adler horchend Wache hält.

Gewand von Onyx hüllt des Gottes Beine,
der grundlos meditierend in sich schaut,
den Oberleib wie im Gewitterscheine

weißgleißend, rings vom Dunst der Nacht umbraut.
Und mächtig bricht es aus der Kellertiefe
wie Flut zu Flut: ein Strom, den man gestaut.

Da ist's, als ob mich lachend jemand riefe,
es flammt ein blaues Aug', ein roter Bart,
beinahe scheint's, als ob ich nicht mehr schliefe.

Breit und voll Dasein ist des Meisters Art,
jedweder Totenstadt scheint sie zu spotten
und ebenso jedweder Grubenfahrt.

Er atmet, scheint's, Gewölk von Feuermotten,
zu Haus im Ätna wie bei Polyphem,
am Milchkrug und an weingefüllten Botten;

Apollens heiliger Steinmetz außerdem,
von dessen Lichte täglich neu geboren,
sein Leben zaubernd in Gestein und Lehm,

zudem als Mann, als Mensch und auserkoren
zur starken Säule, meinem Sein vereint.
Lebt wohl nun: Grab, Zypressen, Sykomoren!

So wies ins Leben mich mein toter Freund,
das auch sogleich, mir schien es, um mich blühte:
der Garten, drin die Menschheit ist verzäunt.

O wie die Sonne über Gipfeln glühte!
Zur Erde sink' ich, die smaragden lacht.
Beglückung fast empfand nun mein Gemüte.

Von seligem Licht azuren überdacht,
nach Schönheit durstig, griff ich nach dem Halm,
alliebend gleichsam, was mich ruhig macht'.

Ich sog der Wiesenblumen süßen Qualm,
zu derb beinah und stark für meine Sinne.
Gelandet schien ich auf der höchsten Alm,

und wundervoller Weiten ward ich inne.
Ein Jodler stieg. Die Sennerin erschien.
Klang überbrückte bald in Wechselminne

ein tiefes Tal und einte sie und ihn:
das erste Paar, die Hirtin und der Hirte,
zwei Tiere, denen Herrlichkeit verliehn.

Welch eine Laune von dem großen Wirte,
heranzubilden solch ein Übertier,
dem großen Wirt, der diese Welt verwirrte!

Warum verehrten sonst die Klarheit wir,
erstrebten sie mit allen unsren Kräften,
war' unser täglich Brot nicht Wirrsal hier?

Doch wollen wir uns nicht zu heftig heften
an dies vermeintlich allerhöchste Gut,
gärt doch das Chaos heiß in unsern Säften.

Es könnte sein, daß unser Lebensblut
an Klarheit stürbe wie an einem Gifte,
drum, Wahrheitssucher, bleibe auf der Hut!

Gewölk, das unter mir im Raume schiffte,
barg die bewohnte Erde. Wenn es schwand,
erkannt' ich Ströme, Wälder, grüne Trifte.

Ein schwacher Ausschlag längs der Flüsse Band:
das Hocherhabne, was der Mensch geschaffen
mit seiner göttlich starken Künstlerhand,

der alten und der neuen Welt der Affen
wie weit entwachsen, himmelhoch entschwebt.
Es fehlt die Kraft, ihm auch nur nachzugaffen.

Und doch, wie winzig scheint, was unten klebt,
von hier das Menschenwerk, das hocherlauchte,
das Welt und Gott zu unterjochen strebt.

So sieht es, wer aus seinem Innren tauchte
– nur wahrhaft sieht ja, wer von innen sieht –,
so, wen der Dome heil'ge Nacht umhauchte,

wer auf dem Gleise rollt, das blinkend flieht,
den Ozean in Häusern übergleitet,
das Wort des Freundes aus den Lüften zieht,

das in verborgnem Blitz die Welt umschreitet,
wer mit dem Dichter und dem Denker fliegt
und über alle Weltallsweiten weitet

den Raum der Seele! Ja, es hat besiegt
in sich das Tier der Mensch durch heil'ge Werke,
ob er auch selbst der Tierheit unterliegt.

Doch leider, auch das Tier gewann an Stärke
mit jener übermenschlich reinen Kraft,
mit allem Göttlichen, wie ich bemerke.

Aus Tiergeblüt und neuen Blutes Saft
erwuchs der Dämon, welcher allem spottet,
was jede andre Tierheit je erschafft.

In ihm ward alles fürchterlich vergottet.
Der Trinität ward zugesellt die Vier
als Kind des Fluchs, der diese Welt verrottet.

Es stillt der Mord des Tieres Lebensgier
aus Stumpfsinn, grausam werden wir es heißen;
dagegen grausam aus Vernunft sind wir.

Und wenn in Gurgeln Wölfe sich verbeißen
und du der Folterkammern Arsenal
nun überblickst, so ist des Wolfes Reißen,

man könnte sagen, fast ein Gnadenstrahl.
Man sieht, so irdisch-nüchtern war mein Denken,
erhöht selbst ob dem alten Jammertal,

als ich begann, den Blick hinabzusenken.
Zwar noch enthoben der besondren Not,
schien mich der Kreuzesschwamm bereits zu tränken.

Doch ich ermannte, brachte mich ins Lot.
Ich hörte Murmeltier und Adler pfeifen,
und Hunger fühlt' ich nach gemeinem Brot.

Nach Wasser ließ ich meine Augen schweifen,
da rann es, glockig plätschernd, wie Kristal,
und ich sprang auf, um schnell hineinzugreifen

mit hohler Hand in diesen lust'gen Schall.
Ich trank und dachte nun erst aufzuwachen,
vom Traum genesen, auf dem Erdenball.

Doch plötzlich klang ein außerirdisch Lachen
und dann das Rauschen einer Symphonie,
und alles, ohne stutzig mich zu machen.

Gesündre Toneswogen hört' ich nie,
wie sie nun gleichsam aus den Bergen quollen.
Und wie dazu der Regenpfeifer schrie,

da trank ich Stille aus dem Rauschend-Vollen,
das wie ein Strom zu Tale sich ergoß.
Nun hört' ich schwarze Sommerdonner rollen,

des Feuers Same aus den Lüften schoß.
So, immer noch im großen Traum gebunden,
glaubt' ich zu wachen, als ich dies genoß.

Und daß ich jenen Strauß, den ich gewunden
scheinbar aus Wiesenblumen mit der Hand
– sie hielt ihn fest –, auf Erden nicht gefunden,

sondern gepflückt mir in der Töne Land,
und daß ich also Töne hielt statt Blüten,
erst jetzt begreift's nachprüfend mein Verstand.

Da war der Säntis, Matterhorn und Mythen,
Pilatus, Monte Rosa und Mont Blanc,
teils glühend weiß und teils mit Nebelhüten.

Wie klar war alles und doch chthonisch bang
inmitten des uranisch vollen Lichtes
und stygisch selbst des Tönestromes Klang.

So atmend in der Tiefe des Gedichtes,
scheint alles mir, in dem ich war, ein Schoß
und nicht geboren werden des Verzichtes

Gehalt, der unsres Traumesringens Los.
Doch weiter nun im weiten Kolumbare! –
Emporgesprungen dann aus Gras und Moos,

drang tiefer ich hinein ins Wunderbare.
Am Fels stand Cheiron, lehrend den Achill
das Leierspiel. Des schönen Knaben Haare

bewegte frischer Bergwind heimlich still.
Gleich einem Hunde hockte der Kentauer:
zupfte der Knabe, klang die Saite schrill;

dagegen bebte das Gebirg' vor Schauer,
berührte sie der Gott mit goldnem Huf.
Da stirbt mein Strauß nach menschlich schöner Dauer

in Tönewelten, welche Cheiron schuf.
Es war das Weltall, das ich hier belauschte!
Wahrlich, begründet ist des Gottes Ruf,

der so allmächtig in die Leier rauschte.
Und nicht mehr hielt ich mich am Boden fest,
als mein Gewand sich wie ein Segel bauschte.

Ich ward gehoben, ward emporgepreßt,
im Tönesturm gewaltsam aufgetrieben.
Wie eine Motte wohl sich treiben läßt,

wie Funken, die in dunkler Nacht zerstieben,
so ich, und einem Funken glich ich ganz.
Wo war die Erde, wo ich selbst geblieben?

Rings um mich her war nichts als Sternentanz,
und aller Weltenlichtstaub scholl im Chore.
So hört nur Kindertraum Urlichtes Glanz

furchtbaren, sel'gen Grauns mit jeder Pore.
Und Schrecken war ich, Staunen ohne Maß,
ein Knäblein, erstmals aus des Hauses Tore.

Erfassen könnt' ich, was ich nie besaß,
mit Göttern gleich und gleich war ich gesellet.
Wie kam's, daß ich des Ursprungs so vergaß,

dacht' ich, zu höchster Spiele Glück erhellet?
Durch Sternenstaub sah ein gewaltig Haupt
auf uns, wie lebend leblos hingestellet.

An solchen Frieden hätt' ich nie geglaubt
wie den, mit diesem Angesicht vermählet.
Ich fühlte meiner Gottheit mich beraubt.

Von Göttern einer, deren zwölf ich zählet',
innigster Wonne mir im Tanz vereint
soeben noch, – was war's, was jetzt mich, quälet'?

Es stand der Tanz der Götter wie versteint,
und die wir geisthaft bebeten in Wonnen,
nun wie von Schmerzenshimmeln ausgeweint,

erschienen wir als Tränen, die geronnen.
Wir sanken schwer und sanken fort und fort,
wie totes Blei, nicht mehr als farb'ge Sonnen.

So aber fand ich meinen alten Ort,
ganz Durst nach dem, was ich so kurz besessen.
Was war's? Vergeblich müht sich hier das Wort.

Was war geschehn hier unten unterdessen?
Nichts! Höchstens, daß soeben leichten Sprungs
Achill dem Rücken Cheirons aufgesessen.

Der Alte bäumte, stob gewalt'gen Schwungs
davon, in seine Mähne griff der Knabe.
Der Fels ertönte! – Eines Sternentrunks

dacht' ich wie des, den ich genossen habe.
Ihn soll ich nun entbehren? Trübes Los!
Und doch verhieß noch allerhöchste Labe

das ruhevolle Antlitz, stumm und groß!
Und wie ich meinen Traum nun überdachte,
fragt' ich, wie mach' ich mich vom Traume los,

da schon so nah gewesen der Erwachte.
Da rutschte rings der Grund, auf dem ich stand,
ich hörte, wie im Berg ein Dämon lachte.

Es sprangen Blöcke, strömte Schutt und Sand,
und in die Tiefe saust' ich mit den Massen,
bis daß ich Halt an einem Tempel fand

in einer Stadt mit wohlbekannten Gassen.
Es war Berlin und doch auch nicht Berlin.
Muß ich auch hier den Traum nun gelten lassen,

wo mir einst alles Wirklichkeit erschien?
Im Traum ist Wahrheit, in der Wahrheit Traum.
O bittrer Alp, wann wirst du je entfliehn!

Schon wieder dröhnte Trauer durch den Raum,
und auf den weiten Platz vor Tempels Stufen
ergoß die Menge sich wie Lavaschaum.

Man hörte singen, hörte weherufen.
Du stolze Stadt, ist dies dein täglich Brot?
Und die den ew'gen Jammer dir erschufen,

wo sind sie? Ihre Mühlen mahlen Not.
Du bist die überwundene Besiegte,
und deine Sieger schworen dir den Tod.

Kaum, daß dich selber eigne Hand bekriegte
und du Sir Walther den Führer in die Unterwelt
geschickt, als deine Stachelwiege wiegte

aufs neue das Geschick. Von Wölfen bellt,
von hungrigen, um dich die nackte Wüste.
Mordbrenner haben deinen Spruch gefällt,

sie frönen jedem gierigen Gelüste;
gemeiner Raub, erhöht auf ihren Thron,
regiert sie. Schlagend ihre gift'gen Brüste,

tanzt Marianne und heult: »Sanktion, Sanktion!«
Der Cancan bietet sich dem goldnen Kalbe,
und es bespringt gefällig sie zum Lohn.

Oh, daß sie doch den Eiterleib sich salbe,
bevor die Seuche thronet sakrosankt,
halb Tigerin und Beulenpest die halbe.

Alsdann, Europa, bist du abgedankt,
und dieser Göttin Anhauch wird dich machen
zu einer, die entehrt zu Grabe wankt. –

»Der Himmel scheint dir eines Wolfes Rachen,
höllisch gezähnt, mit lechzend rotem Schlund!«
sprach eine Stimme. »Diese Siebensachen

Europens, welche doch so einfach und
so klar zu ordnen jedem schlichten Blicke,
sind wirr wie ein verhextes Garnenbund.

Wie auch die Schicksalsuhr Europens ticke,
ihr Zeiger rückt der zwölften Stunde nah,
ein jeder denkt, wie tiefer er verstricke,

was irgend er am Knäul noch lösbar sah.«

 

Einundzwanzigster Gesang

Der Traum ist alles, doch nicht alles Traum.
Das neue Auge ist zu sehn geboren,
kein Augenlid verschließt den innren Raum.

»Sei mutig, trotzdem bist du nicht verloren«,
sprach jemand in die Seele mir hinein.
»Allein durch Wahrheit führt zu sel'gen Toren

der Weg: sie mag die Hölle selber sein.«
Es war die Hölle, die ich nun erblickte.
Schon einmal ward mein Herz vor ihr zu Stein,

als sich zum Heilandsmord die Mantis schickte
und Brände lohten, freilich lichterloh,
nicht so wie hier, wo Fackelqualm verdickte

die Luft des Grubenstollens. Hü! und ho!
erscholl, wie wenn vergeblich magre Gäule
sich stemmen ins Geschirr und blutig roh

die Knechte prügeln, wütend, mit Geheule.
Zwar fällt in meinen Traum kein Sonnenlicht,
hier aber strömten Fackeln Stank und Fäule.

Bei solchem Lichte hielt der Mensch Gericht.
Den Namen Mensch, hier möcht' ich ihn verstecken,
doch ihn zu nennen ist verfluchte Pflicht.

Hier ist er Beule, Fäulnis, Eiterflecken
und nichts als das: ein Graun für Gott und Tier. –
Geschrei erklang hier, Tote zu erwecken.

Auf Richtersesseln bildeten Spalier
der Blutgerichte schreckliche Verwalter,
und Schinderknechte, endlos, sahen wir,

Erwürger, Knochenbrecher, Schädelspalter,
von Zeit zu Zeit ein Meister der Tortur,
der Kunst, urmenschlich, von Jahrtausendalter.

Er unterwarf die Opfer mancher Kur,
schnitt ihnen beide Augen aus den Höhlen,
riß ihre Zungen aus mit einer Schnur.

Die offne Wunde ward mit glühnden Ölen
begossen, Zangen zwickten, weiß vor Glut,
und Antwort gab, vom Winseln bis zum Grölen,

die Höllenqual, peinvollen Wahnsinns Wut.
Und jemand sprach: »Im Namen des Gesetzes!
Du wolltest töten, und das fordert Blut:

ihn, Louis Quinze, den König. Ich zerfetz' es,
das Vaterunser, unsres Heilands Wort,
sein Evangelium! Siehe, ich ersetz' es

durch Haß, durch Rache, Höllenqual und Mord.
Du, Damiens, wirst tausend Tode sterben.
Es hat der Abgrund keinen zweiten Ort

wie jenen, den dein Blut und Kot wird färben.«
Und Satan bäumt sich auf zum zweitenmal,
in neuer Wut, die Menschen zu verderben.

Sie überbieten aller Höllen Qual.
Ein Heiland wird der Satanas an Milde,
sein höllisch Auge wird zum Gnadenstrahl,

verglichen mit den Blicken unsrer Gilde.
Gib acht, o Damiens, wie unsre Kunst
Gerechtigkeit erhebt zum Gnadenbilde!

Abkühlen wird Tyrannenhasses Brunst.
Ein stinkend Grab, in siebenundfünfzig Tagen
wirst du, gefesselt, atmen seinen Dunst,

nachdem man dich zerquetscht hat und erschlagen.

 

Zweiundzwanzigster Gesang

So tief ins Land des Grausens war ich nie
gedrungen, nie auf jüngst geführten Wegen.
Da hört' ich eine weiche Melodie.

So nach dem Fluche kündet sich der Segen.
Es ging ein Säuseln durch den großen Traum,
noch dämmerartig blieb indes sein Regen.

Mein Führer sprach, ich sah ihn nicht im Raum:
»Eröffnet sei dir nun das Tal des Guten!«
Und mich umbuhlte Luft wie weicher Flaum.

Ich hörte rauschen eines Bergstroms Fluten
und sah den Schaum der Welle silbrig fort
– dem Traumgebirg' entrann ein weißes Bluten –

zur Tiefe hin, zu vorgeschriebnem Ort
sich eilen. Von den Wassern kam ein Leuchten.
Am Ufer stand ein Mann und sprach kein Wort.

Ich sah die Wellen seinen Fuß befeuchten.
Doch mehr, ich fühlte, weit von ihm entfernt,
mich gleich, als wär' ich ganz in ihm: es deuchten,

als hätt' ich zu entkörpern mich gelernt
und über viele Orte auszudehnen,
mich dieses Tales Felsen, übersternt,

wie das Erfüllungsland von allem Sehnen.
Ich las in ihm, der dorten wortlos stand:
Hier diese Auen, silbrig bleichen Lehnen

sind eine Urwelt, ein versunknes Land,
wo Menschengeist noch tief im Traum befangen,
noch nicht wie heut im Licht des Tages stand.

Dumpf-sel'ger Wollust schwelte sein Verlangen
durch diese ahndevoll beglückte Nacht.
Verzückung ward sein wundervolles Bangen.

Noch waren wir nicht aus dem Traum erwacht,
als wir in diesen bleichen Tälern lebten,
in dieser düster körperlosen Pracht,

wo wir gleich unsichtbaren Geistern schwebten.
Kein Punkt auf noch so fernem Alpenfirn:
wir standen dort, kaum daß wir ihn erstrebten.

Wir wußten nichts von unsrem Menschenhirn.
Und was wir auch von eigner Form begriffen,
die Seele blieb nicht hinter unsrer Stirn.

Gewaltig stürzte Silber zwischen Riffen,
selbstleuchtend, in des tiefen Abgrunds Graun,
umkreist von raumversunknen Adlerpfiffen.

Kaum hoffte ich, die Vögel selbst zu schaun –
schon fand ich mich hoch ob den Zinnen schwebend
mit ihnen. Meine Schwingen mit Geraun'

trug strömend Lufthauch, sie wie Segel hebend.
»Wir sind nicht Räuber«, sprach es um mich, »nein
wir sind nur Formen, einen Teppich webend

in urgeborner Nächte frühstem Schein.
Sind wir gestorben? sind noch nicht geboren?
Wir wissen nichts von Fleisch und von Gebein,

in sichrer Güte sind wir ganz verloren.
Du bist zu Gast hier, doch du hast dies Tal
schon oft besucht, das Tal der reinen Toren.

Friedsel'ge Inbrunst wird hier Leid und Qual.
Rinnsale sickern, silbrig lichte Adern,
das Ungeheure webt in diesem Saal.

Um Felsenstürze fahle Mondesquadern.
Und doch, du fühlst dich wohlig hier und gut
und nicht geneigt, mit irgendwem zu hadern.

Hier lebt der Tag allein in deinem Blut.
Er setzt dir Silbergötter an die Stege,
Gestalten, flimmernd, selig-kühler Glut.« –

Aus vieler Klüfte Spalten nebelt's rege.
Es wogen Kathedralen milchig weiß,
Urdome, wachsend ohne Steinmetzschläge.

Sie schwinden hin, vergehn, verflattern leis
und schweben, stille Wesen, süße Keime
zukünft'ger Seelen, ihren Dämmerkreis,

unheimlich fast im heimlich trauten Heime.
Doch sel'gen Seelenatem trug die Luft
wie von der Wunderblume süßem Seime.

Wie lange hat an diese Traumesgruft
der Menschheit wohl des Stoffes Faust geschlagen,
bis in sie drangen obres Licht und Luft,

bis Sol begann im Menschenaug' zu tagen?
Mein Auge ist nicht frei von seinem Licht,
drum halb mit Blindheit bin ich hier geschlagen.

Und dennoch ist's ein seliges Gesicht,
in alles gleichsam ist das Herz gedrungen,
so daß es stumme Herzenslaute spricht.

Wo will ich sein in diesen Dämmerungen
des Herzens? Pipistrellen gaukeln stumm,
ihr Flug wie Schicksalswege so verschlungen;

um bleicher Höhle Eingang kreist herum
der tote Schwarm, gleich lebenden Gedanken
des Herzens um ein Seelenheiligtum.

Im Höhleninnern seh' ich Bilder schwanken.
Nach ihnen greif ich wie mit Kindeshand,
wie Mütterarme fühl' ich's mich umranken.

»Hier lebst du, Mutter, still im heil'gen Stand.« –
»Der Vater«, spricht es, »wohnt mir gegenüber,
jenseit des Flusses in der Felsenwand;

die Brücke schlägt hinüber und herüber,
was hier in Luft und Fels unhörbar schlägt,
das Herz, mein Liebling, grüble nicht darüber!

Dies Dämmertal hat Liebe eingesägt,
dies ist die Höhlung, der du einst entsprangest,
darin man wieder einst zur Ruh' dich legt.

Ich fühlte längst, daß du nach mir verlangest,
seitdem das große Tor sich dir erschloß,
durch das du in die Dämmerreiche drangest.

Nun sauge neu, was einstmals in dich floß,
die Milch der Liebe und der Liebe Küsse,
du vielgeliebter nachgeborner Sproß!«

Mein Auge strömte Freudetränengüsse.
So reichlich spenden wache Lider nie
und nie so schmerzhaft selige Genüsse. –

»Hier dämmern Schmerz und Lust in Harmonie«,
sprach meine Mutter. »Gerne, dich zu sehen«,
ich drauf, »entfacht' ich Licht!« Drauf sagte sie:

»Hier kann und darf und wird kein Licht entstehen.
Entzündest du's, so bist du nicht mehr hier,
muß alles dir, was du hier siehst, vergehen.

Der kleinste Funke, so ersterben wir,
der allerkleinste Ton macht uns zunichte.«
Ich drauf: »Für die Belehrung dank' ich dir.«

Ich sagte schon, was nochmals ich berichte:
auch wenn wir sprachen, war es ohne Laut.
Es ist die obre Welt, für die ich dichte.

Mein Werk, aus Tönen ist es aufgebaut,
aus schnellen Lichtern und aus Funkenblitzen,
und mit dem Ohre wird es angeschaut.

Dort aber Dämmertiefen, Dämmerspitzen,
am Dämmerwassersturze Dämmerschein,
von Silberdämmergöttern schwaches Glitzen!

»Komm wieder«, sagte stumm mein Mütterlein,
»sooft du willst und magst. Dem frühen Schoße
getreu, wirst du ein Kind des Himmels sein,

führt dich durch Höllen auch der Traum, der große.«

 


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