Gerhart Hauptmann
Der arme Heinrich
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Das Innere der Waldkapelle Benedikts. Links Altar und Ewige Lampe, rechts die Eingangspforte. Der Hintergrund stellt eine Seitenwand der Kapelle dar und hat, nicht weit vom Altar, ein niedriges Türchen, das in die angebaute Wohnklause des Paters führt. Die Wände sind mit Bildchen überdeckt, darunter viele Füßchen, Händchen von Wachs usw. Altar und Kruzifix sind mit Herbstblumen einfältig bekränzt.

Brigitte und Benedikt stehen, unweit der Haupttür, in halblautem Gespräch. Brigitte ist im Begriff zu gehen, sie trägt ein Kopftuch und am Arm einen Korb.

Benedikt Sie lügen, lügen viel, Brigitte, und
wer weiß, was daran Wahres ist.

Brigitte                                               Man muß
es glauben, Benedikt. Der alte Knecht,
der niemals lügt, kaum überhaupt je spricht,
sah ihn mit eignen Augen, ist bereit,
dafür die Hand aufs Kreuz zu legen.

Benedikt                                                   Hm,
höchst sonderbar! – Im Graben schlich er?

Brigitte                                                               Nein,
der Alte sah ihn platt ins Gras gedrückt
liegen, dicht hinterm Garten, auf der Lauer.
Der ihn im Graben kriechen sah, das war
der Kunz, der Ziegenhirt.

Benedikt                                 Der Alte sagt,
daß er emporsprang?

Brigitte                             Ja, als er ihn anrief,
sprang er empor und lief feldein davon.

Benedikt Ich kann dies noch nicht glauben . . . kann's nicht fassen.
Zudem: was kann er wollen – habt ihr doch
niemals ihm euer Haus verschlossen! –, wenn
er jetzund wolfsgleich das Gehöft umkreist?

Brigitte Das weiß ich nicht. Und das kann keiner wissen.
Er ist verwildert, heißt es, fast zum Tier
entartet, sagen sie, und überdas
verzweifelt und zum Äußersten gebracht.

Benedikt Unmöglich! Überlege: soll ein Mann
so sich verlieren . . . eines Kaisers Freund
und Waffenbruder, den ich jüngst noch traf:
in Lumpen zwar, doch stolz wie je zuvor? –
Sie sehen itzt den Armen überall,
wittern in allem des Verfemten Nähe.

Brigitte eifrig
Pater, du kennst den gelben Kettenhund.
Als gestern sich die Knechte auf die Lauer
mit ihm gelegt, kam kurz nach Mitternacht
der Mensch und rüttelte am großen Tor.
Die Männer ließen nun die Dogge los:
die aber, statt ihn anzufallen, lief –
vor Freude heulend, nicht vor Wut – zu ihm
und schmiegte sich dem Fremden vor die Füße.

Benedikt Sei es dahingestellt! Das Kind ist hier
bei mir in Gottes Hut: in meiner Klause.
Und so ist's gut vorerst! Zwar glaub' ich nicht . . .
noch immer nicht, was du mir sagst, Brigitte –
mag auch des armen Heinrichs Sache schlecht
stehn draußen in der Welt . . .

Brigitte                                           Es heißt sogar,
sie haben ihn zu Konstanz mit Gepränge
bereits in seiner Väter Gruft versenkt.

Benedikt Mag seine Sache schlechtstehn, sag' ich, mag
sein Name aus der Reihe der Lebendigen
getilgt sein . . . dieses Mannes Seele ist
bewehrt, wie eines starken Dämons Schulter,
mit zween Paaren Flügeln und mit mehr:
lähmt ihm die weißen, die zur Höhe tragen,
so ruht er auf den dunklen, und ich sah
ihn furchtlos noch am Rande einer Welt,
wo die Abgründe jeden schwindeln machen,
den irdischer Mut nur trägt. – Er grub sein Grab!
und wird, glaub mir, in dieses Grab sich legen,
eh daß er diebsgleich um die Hütten schleicht.
Allein, es steht zu fürchten, wenn das Kind
bei euch ist, angesteckt von den Gerüchten . . .
und wenn sie von dem seltsamen Besuch,
der euren Hof unsicher macht, erfährt,
sie einem Schnapphahn in die Fänge läuft.

Brigitte Nun, ich will gehn! – Gelobt sei Jesus Christ!
Es dunkelt schon. Der Weg ist weit. Gottfried
erwartet mich. Ich habe schon zu lange
mich hier verweilt. – Ich darf ihm also sagen,
daß sie sich hier bei Euch viel wackrer hält . . .

Benedikt Still! ja! sprich leise, daß sie uns nicht hört . . .
Du sahst es selbst: es geht ihr gut soweit,
nur meint sie immer noch, er werde kommen,
und harrt, der klugen Jungfrau gleich, ein Lämpchen
mit Öl sorgsam gefüllt und stets zur Hand,
seiner als wie der Zu-Kunft unsres Heilands!
Der Wahn erhält sie: und so muß ich ihn
noch immer stützen und mit Lügen füttern
seit damals, wo ich ihren Fieberkrampf
mit meinem frommen Trug zuerst beschwor.
Kommt Zeit, kommt Rat! laßt Zeit . . . viel Zeit vergehn,
allmählich wird der Aufruhr ihrer Brust
sich doch noch legen: wenn sie auch vielleicht
hernach den Schleier nimmt, als Himmelsbraut.

Brigitte Das mag geschehn nach Gottes Ratschluß!
    Sie weint.
                                                                            Ach,
wär' unser Herr doch tot! –
    Sie küßt dem Pater inbrünstig die Hand.

Benedikt warm bewegt
                                            Geh! Tröste dich!
was soll ich weiter dir zum Troste sagen? –
vielleicht: daß mir im Innern etwas lebt,
aus einer Zeit der tiefsten Heimlichkeit,
wo sich im brennenden Busch der Herr uns zeigte . . .
ich sage, daß ein Wissen in mir lebt . . .
ein starker Glaube mindstens . . . ein Gesicht,
das mir dies Kind als einen Horebsbusch
erscheinen läßt, der brennt, doch nicht verbrennt.

Man hört klatschende Geräusche hinter der kleinen Tür hervordringen.

Brigitte erschrocken
Was ist das?

Benedikt drängt sie hinaus
                      Nichts! geh! nichts, nichts! tummle dich!

Brigitte ab. Pater Benedikt, allein, lauscht, bis er die sich entfernenden Schritte Brigittes nicht mehr hört. Alsdann horcht er auf die aus der Klause hervordringenden seltsamen Geräusche, schüttelt mißbilligend den Kopf, geht an das Türchen und klopft daran.

Benedikt Kind! Ottegebe!

Ottegebe von innen             Ja, ich komme, Pater.

Sie tritt, eine brennende Lampe in der Hand, durch die Tür; es ist inzwischen fast ganz dunkel geworden.

Benedikt ihr die Lampe abnehmend
Was treibst du wieder – gegen mein Gebot?

Ottegebe mit einem verzückten Ausdruck im wächsernen, vergeistigten Gesicht, leise
Jesus! Maria! Joseph! meine Seele
schenk' ich euch und mein Herz. – Jesus, Maria
und Joseph, steht mir bei im letzten Streit!
Jesus! Maria! Joseph . . .

Benedikt                                 Höre, Kind,
sei folgsam, sei gehorsam, denn du bist
mir anvertraut, und ich muß stehn für dich
vor Gott und deinen Eltern. – Warum schwingst
du heute die Geißel schon zum zweiten Mal?

Ottegebe küßt zitternd den Saum seines Ärmels
Ich weiß nicht, Pater.

Benedikt                           Wie? du weißt es nicht?
und schlägst dir sinnlos neue blutige Striemen?

Ottegebe Weil es mir wohltut, Pater.

Benedikt                                           Was?

Ottegebe                                                     Ich kann
unter den Schlägen atmen, Pater.

Benedikt                                               Wie? –
Kannst du denn so nicht atmen, Jungfrau?

Ottegebe seufzend                                             Schwer!

Benedikt Nun lasse die zween Opferkerzen uns
anzünden, die uns deine Mutter hat
im Körbchen mitgebracht, und danach wollen
wir beten miteinander und mit Dank
hinnehmen, was uns Gott zum Nachtmahl schickte
im gleichen Körbchen, durch der Mutter Hand.
Komm!

Ottegebe steht ruhig, die großen, feuchten Augen an das Kruzifix geheftet
            Pater . . .

Benedikt                     Was?

Ottegebe                               Ich bin nun ganz bereit!

Benedikt Wozu bereit?

Ottegebe                       Zu leiden und zu sterben.

Benedikt Laß das jetzt. Lenke deine Seele jetzt
auf andere, meinetwegen irdische Dinge,
es tut dir not. Du mußt doch leben, gelt?
wenn du Gott dienen willst. Mußt dir dein Leben
erhalten, wenn du es für ihn willst lassen
zu seiner Zeit.

Ottegebe               Ja, Pater.

Benedikt                               Also nimm!
Komm, nimm und iß und trink auch hier ein wenig
von deines Vaters Wein.

Ottegebe hat sich auf den Altarstufen niedergelassen, blickt gegen die Decke
                                          Meinst du nicht auch,
Pater, daß er nun bald wird kommen?

Benedikt                                                     Ja! –
Doch ist er nicht mehr an der alten Stätte.

Ottegebe Wo Ihr ihn traft und er sein Grab sich grub?

Benedikt Dort ist er nicht mehr. Nein! Die Leute sagen,
er habe wollen einmal noch die Welt
und aller seiner Sünden Tummelplätze
vor seinem Ende wiedersehn.

Ottegebe                                         Doch hat
er Euch gesagt . . . doch hat er Euch versprochen,
daß er wird kommen, fest?!

Benedikt                                     Jawohl, gewiß!
das heißt: wie so ein Edelmann verspricht. –
Du liebes, banges, überwaches Ding:
Geduld! gemach! Du hast mit Fasten, Beten
und Wachen wahrlich dich genug kasteit –
fast leuchtet ja dein zarter Leib im Finstern!
Bitte du nur den Himmel um Geduld
und Frieden, der mit Sanftmut harren macht.

Ottegebe Pater, heut wird er kommen!

Benedikt                                                 Meinst du?

Ottegebe                                                                   Ja!

Benedikt Und weshalb glaubst du das?

Ottegebe                                                 Weil ich in wachen
Nächten und zweimal heute untertags
wie eines Miselsüchtigen Klapper hörte.
Horch! da! schon wieder.

Benedikt                                 Was? ich höre nichts.
Nein, Kind, wenn du nicht triftigere Gründe
und deutlichere Zeichen dafür hast,
als daß der Wind an losen Schindeln rüttelt,
so traue . . .

Ottegebe             Er wird kommen! heut! gewiß!
Ich weiß es. – Sieh, gestern um Mitternacht
erwacht' ich wie von einem lauten Rufen,
das rief . . . das sagte: »Wachet, euer Herr
ist nahe!« – Da bekränzt' ich meine Lampe,
tat Öl darein und ging hinaus – ja, Vater! –
und harrte auf der Schwelle vor der Tür.
Und wie ich da so stille saß, in mich
gekehrt, des Sturms nicht achtend um mich her,
da plötzlich . . . jählings brach ein Schrecken los,
so grausig, wie ich niemals ihn erlebte.
Versuchung! dacht' ich. Doch vergingen mir
die Sinne vor Entsetzen fast. Die Luft
ward mit Geschrei erfüllt, Gekreisch, Gelächter,
Gebell; des Windes wilder Atem schien
von Wölfen, heiß und ekel, ausgestoßen!
Und dann . . . ich wollte fliehn, mich retten, mich
an deine Brust, an diesen Altar klammern:
da . . . dann . . . Die Hände preßt' ich mir
vor beide Augen: so! und dennoch sah
ich alles hell und klar, wie ich dich sehe.
Mich selber sah ich: meinen Leichnam, nackt,
mit scheußlichem Triumph dahingeführt
im Sturme von hundsköpfigen Dämonen,
ein langes Messer stak mir in der Brust. –
Vater, gib mir die Hand, mich schwindelt's: mich . . .
mich selbst . . . begann die Hölle nun zu packen!
Sündhaftes Regen hub sich in mir an:
als sollt' ich springen, in den Wirbel mich
werfen und schamlos wie die Hölle sein.
Nun aber . . . nun geschah's! In allem Streit
und Aufruhr hielt mein reiner Wille sich
standhaft, und Gott erkannte ihn und gab
Gewährung: und er blies den Spuk der Nacht
mit einem Hauch der Gnade von der Erde.
Und lautlos, in der mitternächtigen Stunde,
von Morgen und von Abend drang es auf,
klar, wie aus Brunnen, quoll ein mächtiges Leuchten,
und aus dem Leuchten hoben gleicher Zeit,
langsam, zween stumme, fremde Sonnen sich,
die mählich, Vater, immer höher rückten,
bis sie verschmolzen hoch am Himmelsdach.
Und jetzt ward eine Reinheit überall:
in mir, um mich, im Himmel und auf Erden.
Und aus den zween Gestirnen über mir
gebar der eine süße Heiland sich!
Ein Brausen fing sich an. Aus tausend Chören
hört' ich ein Wort, wie Sursum corda! Oder
wie Gloria in excelsis deo!, und
von einer großen Stimme klang es laut:
»Amen! Was du erbittest, soll geschehn!
Des Richterspruches Härte ist gebrochen!«

Benedikt Hm! ja! – Ich bin unwissend und gebunden
im Irdischen, aus meinem Kerker öffnen
sich keine Fenster in das ewige Licht.
Ich schmachte im Dunkeln. Lehr du mich! sein Lob
richtet er zu in der Unmündigen Mund. –

Ottegebe lachend, wie aus innerer Seligkeit
Als er mich manchmal kleine Heilige nannte:
meinst du, er hätte damals das gedacht?

Benedikt Wohl schwerlich, Kind. Doch still. Wir müssen nicht
mit überheblichen Gedanken spielen
und wollen nicht die Krone, die uns winkt
vielleicht, mit eignen frevlen Händen uns
drücken auf unser Haupt. Nimm an, du bist
von Gott berufen und auf gutem Weg,
so mußt du, eingedenk der sündigen Art,
die uns von Adams Fall her immer eignet,
zwiefach behutsam und demütig sein.
Vor Jahren hab' ich deiner Mutter einst
von einem eitlen Reitersmann gesprochen:
der war von Menschenliebe so betört . . .
das heißt, er hatte seine arme Seele
an einen Menschen statt an Gott gehängt:
ein Weib war's! – eine Männin – und so kam's:
als sich die stolze Fraue von ihm wandte,
brach er zusammen, und die ganze Welt
ward ihm vergällt. Sieh, solch ein Eigensinn
ruht auch in dir: der gleiche! und mir ist
bange, daß du von Gott dich möchtest wenden,
wie ich mich damals von der Welt gewandt,
wenn er dir das versagt, worauf du starr
die Augen heftest – das dir nicht gewährt,
woran dein Sehnen sich und Wünschen hängt.

Ottegebe Nein, Vater, nein, ich weiß es ganz gewiß . . .

Benedikt Kannst du in Gottes Pläne einzudringen
dich unterfangen? – Wer mag wissen, ob
der Mann, den er vom Throne hat gestoßen,
ihm wert der Gnade scheint? – Sie haben ihn
im Kesseltreiben – Grave Konrads Knechte! –
umstellt wie einen Bären oder Ur.
Gott ließ es zu! – Und der Salerner Arzt:
er steht vielleicht mit Satanas im Bunde
und ist ein Seelenfänger, ein Pirat
des Höllenmeeres! – und die blutige Kur
ist nichts denn ein verruchtes Bubenstück? –
Vielleicht auch ist der Herr schon weit entwichen . . .
    Ottegebe wird ohnmächtig.
Vielleicht . . . vielleicht! doch ist es nicht gewiß. –
Was ist dir? frierst du? Komm! – zuviel! – Sie blutet.
Du Heilige, kommst du einstmals in dein Reich,
vergiß mich nicht.

Sie mehr tragend als führend, bringt er Ottegebe in die Klause zurück.

Die Kapelle ist leer, die Ewige Lampe und einige Opferkerzen brennen. Da hört man erst einmal kurz den Laut einer Klapper, hernach tritt, scheu wie ein Verbrecher, unkenntlich in Kapuze und Kutte vermummt, Heinrich ein. Er trägt Klapper, Stange und Beutelchen daran.

Heinrich schleppt sich bis an die Stufen des Altars und stürzt darauf wie ein Schutz flehender nieder. Aus seinem Innern ringen sich keuchend abgerissene, verzweifelte Worte
                            Beten! ich kann nicht! Gott,
gib mir doch Worte! warum gibst du mir
nicht deine Worte, daß ich beten kann?
Tränen! gib mir doch Tränen! gib mir Wasser,
daß ich die giftig stechenden Flammenzungen
im Schutt der ausgebrannten Trümmerstätte
auslöschen kann! – Töte mich! töte mich!
Du hast mich hinterlistig fortgelockt –
ein boshaft schlauer Jäger – von dem Rande
des stillen, weiten, tiefen, kühlen Sees,
da ich mich eben, einem Biber gleich,
anschickte, in den kalten Grund zu tauchen,
wo nichts mehr brennt. Lösche mich! lösche mich aus!
Lösch alle Qual des Lichts im schwarzen Schoß
der Finsternis. Wecke mich nie mehr! Denn
die Sonne martert mich mit giftigen Pfeilen.
Schlaf! gib mir Schlaf! mein Bett ist nicht ein Bett,
die Schlangen der Sonne rasen mir im Haupt
nachts: rette mich vor dem furchtbaren Lichte! –
Was säest du Haß? Was hast du Blindgeborene
wie Hagel auf das Erdreich ausgeschüttet,
die sich zerfleischen müssen? Warum nährst
du mit der Milch des Grams uns? Warum leiden wir
in diesen Sonnenflammen kläglich Pein,
ohn' einen Tropfen Kühlung? Gott, vergiß . . .
vergiß mich wahrhaft! Denk, ich sei nichts wert:
kein Baustein deines blutgetünchten Baus!
Auf blutigem Grunde und mit blutigem Mörtel
gebunden, dehnt er qualvoll sich empor
voll grausigen Lebens, das mich schaudern macht.
Vergiß mich, ungeheurer Bauherr! Was verschlägt's,
wenn dir ein Staubkorn mangelt? wenn du mich
von Qual und von Erlösung freigibst, mich
entläßt, verstößt vom Werk: aus Fron und Lohn?!

Benedikt das Laternchen tragend, tritt wieder ein, sieht den Vermummten am Altar, erschrickt und fragt
Was suchst du hier? – Wer bist du?

Heinrich                                                   Frage nicht.

Benedikt Was suchst du hier in dieser späten Stunde?

Heinrich Das . . . was ich eben dachte, such' ich.

Benedikt                                                                 Wie?
was heißt das?

Heinrich                   Daß der Mensch ein Sieb ist, Mönch,
der, was er faßt, nicht faßt.

Benedikt                                   Wer bist du?

Heinrich                                                         Rate!

Benedikt Ich bitte dich, du rätselhafter Mann!
du bist auf einer gottgeweihten Stätte –
und wo du des Erbarmers Gnade suchst: –
willkommen! – doch vertrau mir, wer du bist?

Heinrich Da siehe du zu, Mönch, ich weiß es nicht.

Benedikt Bist du nicht einer von den Gottesleuten?

Heinrich Ich bin von den Begrabenen.

Benedikt sich bekreuzigend                     Schenke Gott
den schlummerlosen Geistern seinen Frieden:
doch du erscheinst ein Mensch von Fleisch und Bein.

Heinrich Rette mich, Vater! Vater, rette mich!
rede mit Gott dem Vater, deinem Herrn,
daß er mich rettet aus der Wut der Menschen!
Du bist sein Diener. Sag ihm, daß er nun
der grausenvollen Menschenmeute pfeife,
die, rasend vor Jagdlust und vor Blutdurst toll,
auf meiner Fährte liegt. Wann hab' ich Brunnen
vergiftet? aus dem Unrat meines Blutes
und Krötenlaich Küglein gemacht und sie
in Quellen versenkt, daraus die Leute trinken?
Wann tat ich das? Hilf mir! verstecke mich,
verbirg mich! denn sie sind auf meinen Fersen.
Die Scheiterhaufen rauchen rings im Land:
verbirg, versteck mich, denn sonst muß ich brennen.
Verschließ die Tür! ich bin unschuldig! nein,
nicht öffnen! hilf mir! hilf mir! rette mich! –
sie hassen mich alle! – Ja, ich tat's, ich schlich
mich so, mit Kutt' und Klapper, in die Welt,
auf Messern schreitend, und bei jedem Schritt
traf mich ein Peitschenhieb ins Angesicht.
Ich will genesen, Mönch! ich will genesen!
Mach mich gesund! Schaff mir aus meinem Blut
den fürchterlichen Fluch: ich will dich stellen
in Haufen Goldes bis hoch an den Hals –
reich bin ich: mach mich rein! Bring sie zum Schweigen,
die Stimme, die da »Unrein! unrein!« heult –
mir Tag und Nacht ins Ohr: so werf' ich dir
all meinen Reichtum, alle meine Burgen
und Städte hin wie eine Handvoll Sand.
Rede mit Gott dem Vater, deinem Herrn!
Sag ihm, er habe mich genug geschlagen,
erniedrigt und zerquält: er habe mich
genugsam fühlen lassen, wer er sei –
es sei in mir nichts weiter zu vernichten.
Sag ihm das, Mönch! Sag ihm: ich sei zerrissen,
zerstört, verdorben ist mein Balg, ich bin
zu schlecht für eines Hundes Mahlzeit und . . .
Gott unser Herr ist groß! gewaltig! groß!
Ich lob' ihn! lob' ihn! Außer ihm ist nichts,
und ich bin nichts – doch ich will leben!! leben!!!

Er liegt röchelnd zu den Füßen des Mönchs.

Benedikt Ihr seid Herr Heinrich von der Aue?

Heinrich                                                           Nein,
der bin ich nicht! Den haben sie begraben.
Da sieh! Urteile selbst: ob er noch lebt.

Er reißt die Kapuze herunter, und man sieht das blasse, verhungerte, zerstörte Gesicht.

Benedikt weicht entsetzt zurück
Herr, Herr, Ihr seid es wirklich.

Heinrich                                         Sag mir das! –
Faß mich ins Auge, forsche, ob ich's bin.
Denn ob ich gleich nichts bin als irgendwas,
das, umgetrieben, rastlos Qualen duldet,
so schwatzt im Grunde meines Wahnsinns was,
das störrisch prahlt: ich sei ein Fürst gewesen
und einer von den Großen dieser Welt.
Wer bin ich? Sag mir das! Ich bin begraben
zu Konstanz, jüngst, in meiner Väter Gruft
und lebe: oder träum' ich dies im Grab? –
Was meinst du? Träum' ich? Leb' ich? Ist es Traum,
daß ich begraben ward mit Glockenläuten
und selbst dabeistund, als sie meinen Sarg
mit den Insignien der Fürstenmacht
vorübertrugen? Ist es Traum gewesen,
daß von der Fackel eines Fackelträgers
ein Flöcklein Feuers mir den Fuß versengt'?
und ich den Vetter Konrad sagen hörte,
als er hohngrinsend aus der Kirche schritt:
»Laßt sehn, ob solch ein Schwein die Gruft kann sprengen?«
Sagt mir, ob dies der gleiche Konrad ist, –
der erstens, der mir Sarg und Gruft besorgte:
und jener, den ich unten in Maroch
mit Barren Goldes einstmals losgekauft? –
Und bin ich jener, wie, der das getan?
oder der bettelarme Lumpenhund,
der, wenn ein Kohlkopf auftaucht in den Feldern,
der eines Menschen Bildung nachäfft, gleich
erschrickt, zu schlottern anfängt, sieben Huben
umkriecht vor Angst, durch Gräben, Dorn und Pfütze,
um nur der Gorgo nicht ins Aug' zu sehn?!

Benedikt Ihr sagtet einst zu mir in einer Stunde,
wo ein gelaßner Geist Euch ganz durchdrang . . .
»Weltweisheit«, sagtet Ihr, »und Religion
hat einen tiefen Sinn gemeinsam: den,
mit Gleichmut uns zu wappnen; eine Lehre:
die, sich in Gottes Willen zu versenken,
ganz willenlos.«

Heinrich jäh verwandelt
                          Nein! nein! das will ich nicht!!!
Wo ist das Kind?

Benedikt erschrocken   Was für ein Kind?

Heinrich                                                   Die Magd!
Das Kind! Die Närrin! – Pachter Gottfrieds Tochter!

Benedikt Warum? Was ist's? Was wollt Ihr mit dem Kind?

Heinrich Wie? Was ich will? – Was willst du mit der Frage?

Benedikt Ergründen, was ein Christ im Sinne trägt.

Heinrich wild
Ist Gott barmherzig?

Benedikt                         Ja.

Heinrich                               Kann er mich retten?

Benedikt Ja.

Heinrich       Kann er mich erretten durch ein Kind? –
Und kurz und gut: wo ist sie?

Benedikt                                       Wer? – Ihr seid
ein Edelmann, Herr!

Heinrich                           Und du bist ein Schurke.

Benedikt Meint Ihr das arme, unglückselige Ding,
das seinen Weg zu Gott im Dunkel suchte
und furchtbar, hart am Abgrund, irreging?

Heinrich Irr oder nicht: sie ist bei dir!

Benedikt                                             Nein.

Heinrich                                                       Nicht?
Hör mich, Mönch! Mönchlein, sieh mir ins Gesicht
genau, auf daß du jedes deiner Worte
erst wägen kannst, bevor du eines sprichst.
Und solltest du die Warnung, eingegraben
von glühenden Dornen in blutrünstiger Schrift
hier! nicht verstehn . . . auf meinem Angesichte:
. . . so wäre deine Sanduhr abgelaufen,
du müßtest köpflings ins Verderben gehn!

Benedikt Herr, Eure wilde Drohung schreckt mich nicht.
Zwar seid Ihr fremd und furchtbar, und die Blitze
des Abgrunds zucken durch den heiligen Raum.
Doch seine Kinder wird der Vater schützen . . .

Heinrich Nichts wird dich schützen, niemand! wenn du lügst.
Wo ist sie? Sie ist hier! Ich bin geschlichen
zwei Nächte lang um Pachter Gottfrieds Haus
und habe das Gemahl nicht können finden,
obgleich ich doch an jedem Spalt gelauscht
und spähend auf der Lauer bin gekrochen
durch Zaun und Hecke, wie ein Edelmann!
Sie ist bei dir, ein Knecht verriet's im Stall,
er sagte, seiner Stute Weiche klatschend:
»Sei folgsam! Nicht wie unseres Meiers Kind!
Sonst mußt du mit dem Kappelmönch zur Freite.«

Benedikt Was aber, Herr . . . sagt mir jetzt lieber dies:
warum Ihr diebsgleich Gottfrieds Haus umschlichet?
Was wolltet Ihr mit Ottegebe tun?

Heinrich Maulaffen fangen! – An des Kaisers Hof,
und für drei rote Heller sie verhandeln.
Ja, Mönch, das wollt' ich. – Nichts – was geht's dich an.

Benedikt Herr, habt Ihr uns nicht damals selbst belehrt . . .

Heinrich Wer bin ich, daß ich jemals wen belehrte?
Zum Dank belehr nun du mich, wo sie ist.

Benedikt Nicht hier! nicht bei mir!

Heinrich                                         Nicht? Wo ist sie denn?

Benedikt Bei Gott.

Heinrich                 Wo wäre sie?

Benedikt                                       In Gottes Händen.

Heinrich Sie ist bei Gott. Was heißt das? – wirklich tot?

Benedikt Nein: wer bei Gott ist, lebt.

Heinrich                                             Sie ist gestorben?

Benedikt Nur für die Welt und als des Himmels Braut.

Heinrich Gut, Mönch. Ich weiß es, hätt' es sollen wissen
Zieh fest die Schlinge zu! es ist genug.
    Erschöpft und gebrochen
Zum letzten Male denn: Mönch, dieser Tag
hat mich gelehrt: so arm ist keiner, Gott
kann ihn noch ärmer machen. Denn wo nahm
ein Räuber je dem alles, der nichts hat!? –
Wohl, wohl, das Kind ist tot! sie ist gestorben,
ist hin. – Als mir ein weißer Lazarus
die Mär', wie sie gestorben ist, erzählte –
daß ihr das Herz brach um den siechen Herrn! –
da stieß ich mit der Macht des Wahnsinns nieder
den fürchterlichen Schrei, der in mir rang,
und schwieg – und glaubt' es nicht. Dann aber flogen
die Füße mir! Wohin? ich wußt' es nicht:
durch Felder, durch Gestrüpp, bergauf, talunter,
durchs Rinnsal wild geschwollener Bäche, bis
ich hier an dieser letzten Schwelle stand.
Warum denn lief ich? – welcher goldene Preis
ließ mich so springen, einem Läufer gleich?
Was dacht' ich hier zu finden? War es nicht,
als riss' ein Feuerwirbel jäh mich fort?
als wär' ich selbst ein Brand, ein wilder Häher,
der schreiend und brennend durch die Wälder fährt?
Mir war . . . rings klang die Luft: sie ist nicht tot!
sie lebt! Dein klein Gemahl ist nicht gestorben! –
Und dennoch . . . dennoch starb sie.

Ottegebe erscheint in dem Türchen zur Klause; hauchend, kaum hörbar
                                                          Nein! sie lebt.

Heinrich ohne sie zu sehen noch zu erkennen; ebenso
Wer sprach das?

Ottegebe                     Ich!

Heinrich                             Wer?

Benedikt leise, heftig                     Geh! was willst du hier?

Heinrich Wer sprach das, Mönch?

Benedikt                                         Ich hörte niemand.

Ottegebe                                                                       Ich!

Heinrich Du? wer? Noch einmal! wer? wer hat gesprochen?

Ottegebe Ich! Ottegebe, Euer klein Gemahl.

Heinrich eine Weile in unsäglicher Bestürzung stumm, hernach
Wer? – Unrein! unrein! nein, bleib – rede nicht!
Zwar denk' ich, daß du nur ein Schatten bist,
und weiß es – doch kein Sterblicher kann wissen,
ob das abgründige Gift in meinem Blut
der seligen Geister schont. – Komm mir nicht näher!
nein, bleib! ich weiß, daß du nicht sterblich bist:
doch mir . . . mir kannst du sterben! und ich will,
daß du in meines brechenden Auges Grund
als letzter Funke lebst. – Nein, nein, du bist
nicht Ottegebe! Deine Stirne ist
wohl rein und hoch und weiß wie ihre, doch
du bist nicht Staub. Aus deiner Stimme klingt
wohl etwas . . . was? – Es ist mir mehr vertraut
als meiner toten Mutter Wiegenlieder.
Und dennoch bist du nicht das Pachterskind,
bist nicht mein klein Gemahl, hast nicht gesessen
zu meinen Füßen und mit deinem Haar
die Wunden mir getrocknet: – sag mir das! –
Wärst du . . . du bist es nicht!! . . . wärst du es doch:
dann . . . dann . . . wie sollt' ich dann das Licht erfassen,
das meines seligen Kerkers Wand durchbricht?
Dann war ich blind zeit meines Lebens, und
erst tief im Abgrund fand ich das Gesicht!
Dann, statt zu fluchen, müßt' ich segnen! danken,
statt anzuklagen, dem, der mich geführt:
und von des Thrones Höhe müßt' ich mir –
stünd' ich noch einmal dort – die Stufen graben
mit Nägeln und Zähnen bis in diese Gruft,
darein das Nichtallmächtige mich verstoßen
mit erzbarmherziger Faust. Du bist es nicht . . .
Salve regina! – Sei mir Gott gnädig!

Er bricht zusammen. Sein Röcheln löst sich in Schluchzen, und seine Seele befreit sich in Tränen.

Ottegebe erscheint in der seltsamen Beleuchtung der Kapelle fast unkörperlich und wie von einer Glorie umstrahlt. Sie tritt zu dem Hingesunkenen, stützt sich auf ein Knie, hebt sein Haupt mit beiden Händen empor und küßt ihn auf die Stirn. Er starrt sie an, gehorsam wie ein Kind, als sei sie eine Himmelserscheinung, und auch der Pater ist außer Fassung in die Knie gesunken.

Ottegebe Komm, es ist spät geworden, armer Heinrich.

Heinrich Salve regina!

Ottegebe                       Komm!

Benedikt                                     Wo willst du hin?

Ottegebe Gehn, meinen himmlischen Geburtstag feiern.

Benedikt Unter dem Messer des Salerner Arztes?

Ottegebe Dank, Pater Benedikt! Gedenke mein!

Benedikt Was soll ich deinem armen Vater sagen?

Ottegebe Im Himmel ist mein Vater, und ich will
eher als du bei meinem Vater sein . . .

Benedikt zu Heinrich
Wo wollt Ihr hin?

Heinrich                     Frag sie: ich weiß es nicht.

Ottegebe Komm, armer Heinrich, komm! verziehe nicht! –
Willst du mich, Pater, an die Erde binden
mit Stricken? Soll das Scherflein meines Bluts
mir noch zuletzt durch dich entwendet sein,
für das ich kann die Himmelskron' erkaufen?

Heinrich Jungfrau, du bist mein . . .

Ottegebe                                           Gottes bin ich. Nein.
Oh, weh mir! Komm! Was sprichst du?

Heinrich                                                       . . . denn mir ist
nur eben so viel Leben zugemessen,
als deine heilige Hand mir schöpfen kann!

Ottegebe Ich will dir schöpfen aus dem Brunn des Heils.
Doch nicht in eurer Welt. – Komm! komm! Es ist
bestimmt im Rat. Ich muß! ich will! ich muß!
und Menschenworte sollen mich nicht hindern.
Die heilige Agnes . . .

Benedikt                           Bist du Gottes Braut,
so will ich, Kind, dich, wie ich geh' und stehe,
ins Kloster bringen: gleich, im Augenblick.

Ottegebe Nein, Vater!

Heinrich                       Jungfrau, wohl, so folg' ich dir.
Führ mich ins Leben! führ mich in den Tod!
zum Rost des heiligen Laurentius,
zum Scheiterhaufen Polykarps: ich will
jedweden Henkers lachen, dir zur Seite,
wie du, und deines Worts Blutzeuge sein.


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