Gerhart Hauptmann
Der arme Heinrich
Gerhart Hauptmann

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Erster Akt

Das Hausgärtchen des Meiers Gottfried. Der Giebel des Wohnhauses mit Eingangstür und den hinanführenden Stufen links. Davon nicht weit eine alte Ulme, darunter ein Steintisch mit einer Rasenbank. Unter der Ulme fort übersieht der Blick weite grüne Hochflächen. Vorne abgeerntete Felder und am Horizont bewaldete Hügelungen. Gruppen von Tannen hie und da vereinzelt.

Der Meier Gottfried kehrt mit einem Besen das Laub von dem Steintisch. Ottacker, ein gewappneter Knecht, etwa vierzig Jahre alt, fertig, aufs Pferd zu steigen, kommt, sorgfältig bemüht, mit Sporen und Harnisch nicht laut zu werden, durch den Garten geschlichen; er stutzt, wie er Gottfried gewahrt, und sein schwarzbärtiges, bleiches Gesicht wechselt die Farbe in Betretenheit.

Gottfried Gelobt sei Jesus Christ!

Ottacker                                         In Ewigkeit.

Gottfried Wo wollt Ihr hin in dieser frühen Stunde?

Ottacker Ei, beizen, reiten, pirschen, was weiß ich –

Gottfried Wird Euch der Herr nicht missen?

Ottacker kraut sich verlegen                             Schwerlich! Ja
vielleicht! ein Auftrag, Meister. Denkt doch an . . .
Das heißt, so Gott will und sich alles wendet,
und auch wohl, wenn es sich ganz schlimm erweist,
kehr' ich zurück – doch . . .

Gottfried                                   Ich versteh' Euch nicht:
ist irgend von den Euren wem daheim
ein Unglück zugestoßen?

Ottacker                                   Pst. Gewiß.
Still! Ja doch! ich muß fort – die Mutter – auch
die Schwester – heikle Dinge! Ihr versteht.
Sonst, seht Ihr, will ich mit dem Satan fechten!
und lebten die noch, die ich überrannt
im Heidenlande, könnten sie's bestät'gen.

Gottfried Was ist Euch? seid Ihr krank?

Ottacker                                                   Nein! Gott behüte
uns vor den schlimmen Süchten, bösen Flüssen
und aller Sündenschuld und Pestilenz.
Noch bin ich standfest, heil und rein im Blut,
und heil und standfest hoff ich auch zu bleiben.
Die Welt ist schlimm und voller Teufel, doch:
Christ ist mein Hort. Mit manches Türken Blut
kauft' ich mir Ablaß – manches Plunderstück
schenkt' ich den Pfaffen, und ein Span vom Kreuz
aus dem Gelobten Land feit meine Brust:
allein, mich schauert's, ich muß fort, mir träumte
ein Ding von übler Vorbedeutung und –
was sterblich ist, das wehrt sich seiner Haut!

Ottacker ab.

Gottfried Ottacker nachblickend
Bei Gott, er zerrt den Schecken aus dem Stall,
klirrt in den Sattel und – spornstreichs davon!

Aus dem Hause kommen Brigitte und hinter ihr Ottegebe. Brigitte ist eine ehrwürdige, nicht sehr bäurisch aussehende Matrone, Ottegebe ein bleichsüchtiges Kind an der Grenze der Jungfräulichkeit, ihre Augen sind groß und dunkel, ihr Haar aschblond, mit rotgoldnen und gelbgoldnen Glanzfäden untermengt. Mutter und Tochter tragen Linnenzeug und Tischgerät.

Brigitte Wo deck' ich unserm gnädigen Herrn den Tisch?
Gottfried! He, Gottfried . . .

Gottfried aus der Verblüffung erwachend
                                            Was denn? Riefst du mich?

Brigitte Ja freilich, denn mein Warmbier ist bereit,
der Fisch gesotten und der Rahm geschlagen.
Wo, meinst du, deck' ich unserm Herrn den Tisch?

Gottfried auf den Steintisch weisend
Komm nur. Dies ist von alten Zeiten her
sein Platz. Gelt, Kind, hier saß er immer gern?

Ottegebe nickt eifrig
Ja, Vater! Frischen Honig, Vater, noch . . .!
Du sagtest doch, du wolltest welchen zeideln!?

Gottfried befremdet
Wer band dir denn die Schleife so ins Haar?

Ottegebe Die Schleife?

Gottfried                       Ja, die rote Schleife, Kind!

Ottegebe purpurrot, verlegen
Wo denn?

Gottfried ungeduldig
                  In deinem Haar . . .!?

Ottegebe bleibt sprachlos.

Brigitte                                               Sagt' ich dir's nicht,
der Vater schilt dich aus, wenn er dich sieht!?

Ottegebe wird wieder blaß, kämpft mit dem Weinen, reißt die Schleife aus dem Haar, schleudert sie zu Boden und läuft fort.

Brigitte Es war zu Ehren unseres gnädigen Herrn.
Nun schämt sie sich.

Gottfried                           Acht auf das Kind, Brigitte,
daß es zudringlich nicht den Herrn erzürnt.
Er ist kein Knabe mehr, wie dazumal
vor Jahren, als sie noch am Bande ging
und er nach Knabenweis' sich mit ihr neckte.

Brigitte Mir scheint, er ist nicht fröhlichen Gemüts.

Gottfried Ich weiß es nicht. Wer gestern morgen ihn
sah, unter den Reitern, auf der Jägersmatte,
als er lachenden Auges unsern Hof
im Moos mit seinem Schwertknauf ihnen zeigte
und fröhlich grüßend dann von ihnen schied,
der mochte freilich bei sich selber denken,
wie diesen edelstolzen jungen Mann
des Kummers Schatten niemals doch gestreift.
Heut sah ich einen Mann, den ich nicht kannte.

Brigitte Mich wundert's, daß er itzt um diese Zeit –
weil es doch hieß, er werde Hochzeit halten –
zu uns kommt, in das weltentlegene Moos.

Gottfried Die Großen haben sonderbare Launen.
Was geht's uns an!

Brigitte                           Gewiß! Allein, der Knecht
hat unter dem Gesinde gestern nacht,
nachdem er sich am Sauser übernommen,
mit dunklen Worten wunderlich gescherzt
und vom mosaischen Gesetz gesprochen,
wonach man kranke Häusermauern wäscht,
um sie von Gift und Aussatz heil zu machen.

Gottfried Wer sagt das?

Brigitte                           Ottegebe, unser Kind.

Gottfried Höre, Brigitte, schließe deine Ohren
vor allem üblen Leumund. Unser Herr
steht hoch in Glanz und Gunst, ist kaiserlich
und also bei Sankt Petri Schlüsselhalter
nicht wohl beliebt –: die Bettelmönche treiben
Lügen ins Volk, und keine ist so plump,
daß sie nicht in der Menge Gläubige fände.

Brigitte Mir scheint, er kommt den Erlenweg herauf.

Gottfried Er ist's.

Brigitte                 Er geht gebeugt, nicht strack wie sonst.

Gottfried Wenn du so gaffst, das wird den Herrn verdrießen!

Brigitte Sieh – wie er starrt – gebannt – ins Morgenrot.

Gottfried Er ist's – ich gehe nun, und du, Brigitte,
bitt' ihn zu Tisch, gezogentlich, doch kurz,
hernach nimm Urlaub und entferne dich.

Brigitte Sei ohne Sorgen, Alter.

Heinrich von Aue kommt langsam und nachdenklich; seine Erscheinung ist schlank und ritterlich; freies Gelock, rötlicher, wohlgepflegter Spitzbart; große, blaue, unruhige Augen stehen in seinem ein wenig fahlen Gesicht.

Brigitte                                       Grüß' Euch Gott!

Heinrich blickt auf, scheint sie erst jetzt zu bemerken und sagt hastig und leichthin
Gott grüß' dich, Mutter!

Brigitte                                 Das ist Euer Tisch;
so wenig und so viel steht just darauf,
als ein entlegener Meierhof kann bieten.

Heinrich Mich dünkt, ich hörte gestern abend noch
Maultiere klingeln in den Hof, Brigitte.

Brigitte Nein, Herr.

Heinrich                 Nicht? Etwa gegen Mitternacht?
    Brigitte schüttelt den Kopf.
's ist schade, mich verlangt nach meinen Büchern.

Brigitte Habt Ihr noch irgendeinen Wunsch?

Heinrich                                                         Ja: . . . viele!

Brigitte Ich meine einen, den ich kann erfüllen.

Heinrich Den du erfüllen kannst, Brigitte nein!
vielleicht – wir wollen sehn – jetzt nicht – vielleicht.
Schon gut, ich danke dir.

Brigitte                                   Bekomm's Euch wohl.
    Ab.

Heinrich allein, legt seine flache Hand an den Ulmenstamm, blickt hinauf und sagt für sich, mit verhaltener Bewegung
Noch ganz in Blättern steht die Ulme, und
gleichwie aus Erz erhebt sie regungslos
sich in des klaren Morgens kalte Luft:
des nahen Frostes scharfer Silberhauch,
vielleicht schon morgen, macht sie nackt und bloß –:
sie regt sich nicht! – Ringsum ist gottergeben,
worauf das Auge fällt, nur nicht der Mensch,
nur ich nicht. – Friede! kehre her zu mir!
Du bist mir nah: auf stillen Wiesenflächen
ruhst du . . . du wehst vom dunklen Vlies der Tannen –
der alten Schwarzwaldtannen meiner Kindheit –
mir um mein Haupt. Ja, zwischen diesen Bergen
in meiner Heimat bist auch du daheim:
so werde mir ein Bruder und ein Freund.

Gottfried tritt in die Haustür.

Gottfried Gott grüß' Euch, Herr!

Heinrich                                       Hab guten Morgen, Alter.

Gottfried Ich habe einen besseren nicht gesehn
zeit meines Lebens, Herr, als dieser ist:
erblick' ich doch beim ersten Schritt ins Freie
den liebsten Gast und meinen edlen Herrn;
doch Ihr beschämt uns und vor allem mich!
Ich bin ein Siebenschläfer, gegen Euch
gehalten, und dazu ein schlechter Wirt.

Heinrich beginnt die Mahlzeit
Freund, sorge nicht um mich. Einst schlief ich wohl
im wildesten Getümmel eines Lagers,
an manches Fürsten Hof, wo Tag und Nacht
der Tore Flügel in den Angeln knarrten . . .
beim Rossestampfen, beim Geschrei der Knechte:
lag wie ein Klotz und schlief. Hier ist es still,
doch in der Stille wird mein Inneres laut,
und während draußen über Moor und Wiesen
der Mond sein totes Licht ergießt und etwa
am Feldrain eine Grille mit ihm wacht,
gibt's ein Getöse hier in meinem Haupt
von Reigentänzen, ritterlichen Spielen,
Schlachtrufen, fremden Sprachen, Flüsterstimmen,
die ich nicht kann beschwichtigen.

Gottfried                                               Ihr habt
nicht gut geruht die Nacht?

Heinrich                                     Schlaf ist ein Obdach.
Wehe dem Obdachlosen! Meinst du nicht?

Gottfried Ja, gnädiger Herr.

Heinrich                               Im Ernst: Gewohnheit peitscht
seit vielen Jahren mich vom Lager auf,
meist vor der Sonne, oft schon mitternachts.
Und wenn ihr dies erfahrt, so bitt' ich euch,
laßt mich gewähren, es befremd' euch nicht.

Gottfried Herr, Euer ist das Haus, darin wir wohnen,
und Euer auch der Grund, auf dem es steht –
wie mögt Ihr sagen: lasset mich gewähren?
Nur weckt uns, wenn's zu wachen Euch beliebt.

Heinrich Schlaft, schlummert friedlich! die ihr Ruhe euch
durch arme, schwere Tagesmühn verdient:
was frommt mir euer Wachen? – Habe Dank!
Dankbar erkenn' ich wieder, was ich längst
gekannt in dir – als Knabe schon –, dein Herz!
Doch nicht dein Herz zu stehlen komm' ich her
noch auszurauben seinen goldenen Hort:
nur bittend, Alter, daß du mir nicht wehrst,
an deinem Herd – mit mir allein zu sein.

Gottfried nach einigem Stillschweigen
Wollt Ihr mir Urlaub geben?

Heinrich                                       Setze dich!
Falsch deutest du, was ich dir sagte; komm!
Es tut mir wohl, dein weißes Haupt zu sehn
und deine liebe, väterliche Stimme
nach so viel Jahren wiederum zu hören.
Laß dich's nicht kümmern, wenn ich fremd dir scheine
auf diesem kargen Grunde, den du baust,
ich bin verwelscht und seltsam freilich, doch,
so hoff ich, wird noch eine deutsche Hand –
wenn deine Hand sie drückt – den Druck erwidern.

Gottfried will kniend mit beiden Händen die nicht dargebotene Rechte Heinrichs erfassen, dieser zieht sie heftig zurück
Ihr, Herr, verwelscht? Verhüt's der süße Christ!
Wenn Ihr nicht deutscher Sitte Meister seid
und deutscher Rittertugend Spiegelglas,
wo sollt' ich Mildigkeit und hohen Mut,
Treu' ohne Wank in deutschen Landen suchen?
Euch nenn' ich deutsch wie diese Tanne, rein
aus deutschem Blut entsprungen, rein bewahrt.
Des Vogts von Rome blaue Augensterne
funkeln nicht heller, und der Waise stünde
ob Eures Scheitels Flachsgespinste wohl
so stolz als über seinem!

Heinrich verfinstert                   Hm, mag sein!
Auch bleibt der Demant freilich, wie du sagst,
ein Demant, trägt ein armer Lazarus
die Spange auch ums Haupt, darin er brennt.
    Schnell ablenkend
Doch nun dem Kaiser, was des Kaisers ist!
Genug davon! Sitz und erzähle mir
von anderen Dingen. Was der Haushahn schwatzt
mit seinen Hennen zwischen Stall und Scheuer,
dünkt meinen Ohren jetzt ein beßrer Schmaus
als selbst des Vogelweiders Königsweise.
Wie viele Pferde hast du? Wieviel Kühe?
Lohnt dir der Acker Schweiß und Mühe, wie?
Wie war die Ernte, Obst und Korn und Wein?
Das ist die Zeitung, sieh, wonach mich dürstet.
Von Türk und Christ, von Gibellin und Guelf
und von dem Vogt von Rome sprich mir nicht.

Gottfried Herr, ungezogentlich ist meine Weise,
ich merk' es wohl. Doch wenn sie Euch verdrießt,
erwäget doch in Gnaden, bitt' ich Euch,
ob ich im Zirkel meines Tagewerks
höfischer Sitte mich befleißen kann.

Heinrich Das oberste Gelände hoch am Berge,
wo Ackerland und Wald zusammenstoßen:
ist's nicht ein Wickenfeld?

Gottfried                                 Ja, gnädiger Herr!

Heinrich Als wir am Abend gestern, nah dabei –
ich und mein Rößlein – sorgsam abwärts stiegen,
hört' ich im Chor von leisen Kinderstimmen
ein Ave-Maria singen, und zugleich
sah ich, nicht weit von mir, am Rand des Steigs,
im Steinwall flackern eine kleine Brunst.
Ich ließ mein Rößlein stehn und pirschte mich
behutsam näher; so gewahrt' ich dann
Mägdlein und Knaben, die ums Feuer schafften;
just schien mir's wie ein Spuk und Schattenspiel.
Da sagt' ich: »Kleine Hexlein, grüß' euch Gott!
Was braut und backt und kocht ihr hier im Dunklen?«
Doch kaum gesagt – hui! stob der Schwarm davon.
Einzig ein Mägdlein blieb am Feuer stehn,
aufrecht und zögernd, schwieg und sah mich an.
»Hast du gesungen?« fragt' ich. Doch sie schwieg.

Gottfried Vergebt's dem Kinde, lieber gnädiger Herr,
denn Ottegebe war es, meine Tochter,
ein seltsamliches Ding, das ihrer Mutter
und mir schlaflose Nächte schon gemacht.

Heinrich Ein seltsamliches Ding! da hast du recht! . . .

Gottfried Und Herr, Ihr kanntet sie, nahmt sie zu Euch
aufs Roß, so manches Mal, in alter Zeit.
Denn war sie scheuer auch schon dazumal
als eine Wachtel, die im Kornfeld nistet:
Ihr locktet sie hervor, Euch ward sie kirr.

Heinrich Ja, damals, damals! wohl erinnr' ich mich:
Wenn ich von fröhlicher Pirsch in Klamm und Kluft
heimkehrte abends, müd, doch frohgemut,
da faßt' ich oft zuerst das Kind ins Auge
und grüßt' es lustig als mein klein Gemahl.
Ja, damals, damals! wie das Herz mir schwoll
und tolle Mücken mir im Haupte tanzten,
ich weiß, ich weiß! – Nun sieh, ich bin so weit
entrückt aus jener goldenen Frühezeit,
daß Ottegebe mir, mein klein Gemahl,
nun ich sie wieder sah, so fremd erschien,
als hätte nie Diana, meine Hündin,
ihr ungestüm Gesicht und Hand geleckt,
als hätt' ich übers Haar ihr nie gestreichelt
noch ihr zur Kurzweil manche Jägerweise
geblasen auf dem Hörnlein, das ich trug,
wie ich doch oftmals tat.

Ottegebe bringt Honigwaben in einem Schüsselchen.

Gottfried                               Dort kommt sie, Herr.

Heinrich Was bringst du mir?

Ottegebe atemlos                     Ganz frischen Honig, Herr.

Heinrich Sieh doch nur an, du sprichst und bist nicht stumm!
Das ist mir lieb, und wo ich dies nun weiß,
mein Kind, so mußt du dort auf jene Bank
dich setzen und mir Red' und Antwort stehn.
Bedenkst du dich? – Hast du denn Furcht vor mir?
Oh, ich bin zahm! so zahm! . . . du glaubst es kaum,
wie zahm ich bin! Wohlan, wie geht's dir?

Ottegebe windet sich in Schüchternheit               Gut.

Heinrich Wie? Immer gut?

Ottegebe fast vergehend vor Schüchternheit
                                    Ja, Herr.

Heinrich                                           Dir geht es gut –
und Kaiser Friedrich mit der goldenen Krone
kennt Drangsal nur und Kampf und ewige Not!
Da bist du reicher ja als er, mein Kind,
von mir ganz zu geschweigen. – Wird dir nun
auch nie hier oben Zeit und Weile lang?
    Ottegebe schüttelt verneinend den Kopf.
Was tust du, dir die Grillen zu vertreiben?

Ottegebe ohne zu antworten, windet sich in sehr großer Verlegenheit, schließlich sagt sie
Ich bete.

Heinrich       Beten ist ein gutes Ding!
Zu welcher Heiligen betest du am liebsten?

Ottegebe wie oben
Die Jungfrau hat mich schon geheilt einmal.

Heinrich So?! Hat sie dich geheilt! Mir schlug sie Wunden!
Sie kann auch Wunden schlagen, glaube mir.

Ottegebe Nein, Herr.

Heinrich                     Wie? Nicht? Was meinst du? Meinst du, nicht?
Willst du mich unterweisen und belehren,
so unterweise und belehre mich.

Ottegebe schüttelt heftig verneinend den Kopf.

Gottfried Habt Nachsicht mit ihr. Denket, gnädiger Herr,
sie ist vom Siechbett unlängst erst erstanden . . .

Heinrich Warum verbirgt sie ihre rechte Hand?

Gottfried Wie, Herr? – –

Heinrich                           Warum versteckst du sie? – – –

Gottfried                                                                             Zeig her!

Ottegebe Nein, Vater!

Gottfried                       Ei, du Jungfer Eigensinn,
der Herr befiehlt! So weise deine Rechte.

Brigitte hinter der Szene
Gottfried!

Ottegebe       Die Mutter ruft! Sie will fort.

Brigitte hinter der Szene           Gottfried.

Gottfried                                                 Verzeiht!

Heinrich Hab Urlaub!
    Gottfried ab.
                              Sag mir nun in Eile noch:
kennst du mich denn?
    Ottegebe nicht übertrieben.
                                    Wer bin ich?

Ottegebe                                                 Unser Herr.

Heinrich Die Otter hat ihr Loch, sein Nest der Vogel,
die Füchse haben Gruben, doch der Mann,
den du für einen Herren lässest gelten,
ist ohne Zuflucht – sieh, ihn brennt die Erde,
wohin er auch die Sohlen immer setzt,
wie Feuer der Hölle. – Warum lachst du?

Ottegebe die in ein kurzes, krankhaft freudiges Lachen ausgebrochen war, bezwingt sich und blickt nun wieder bleich, scheu und mit furchtsamen Augen
                                                                  Ich?

Heinrich Wie heiß' ich?

Ottegebe bebend           Heinrich.

Heinrich                                       Heinrich – gut – wie noch?

Ottegebe Du heißest Heinrich Graf von Aue, Herr.

Heinrich Gott weiß es – ja – so heiß' ich. Und seit wann
kennst du mich, Kind?

Ottegebe bebend               Seit wann?

Heinrich                                               Wie lange schon?

Ottegebe bebend
Seit . . . seit zwei Jahren.

Heinrich                                 Seit zwei Jahren? wie?
Mir scheint, da irrst du! denn zum letzten Mal,
auf Ritterwort, war ich in diesem Hause
vor gut neun Jahren – seit der Zeit nicht mehr.

Ottegebein höchster Verlegenheit
Ich war noch klein!

Heinrich                         Ach so – du warst noch klein!
Dann nimmst du's mit der Zahl der Jahre wohl
nicht so genau. – Vor zween Jahren, Kind,
lag dieser arme Gast, den du hier siehst
am magren Ranft hausbacknen Brotes zehren,
in Marmorhallen, wo die Brunnen klangen,
wo goldene Fische in den Becken flossen,
und wenn er schweifen ließ den trunknen Blick,
so war's dorthin, woher der Weihrauch quoll,
war's in die Zaubergärten Azzahras.
Oh, liebes Kind, von solchen Paradiesen
hast du wohl nie geträumt, wo süß und schwer
Pracht auf uns lastet, Wonne uns bedrückt . . .
der Bambus zittert am verschwiegenen Platz,
von Zedern überdacht und überdunkelt,
die Azaleenbüsche breiten sich
wie blühende Kissen. Blaues Blütenblut
scheint dir das Meer, das Marmorstufen leckt
und Gondeln schaukelt, die von Edelsteinen
und Gold und Purpur blitzen. – Und du hörst
Gesang. Die Sklavin singt: schwermütiges Blühn
auch hier! sie neigt sich zum Zypressenborn
und schöpft in Silbereimern . . . fremde Worte,
in heißer Flut der Seele aufgelöst,
umwehen dich. Du trinkst sie in dich ein
mit allen Düften, die der sanfte West
dir zuträgt, immer liebreich dich bedrängend. –
Doch dies beiseite! jetzund bin ich hier,
bin zu Palermo, zu Granada nicht –
und bitte dich, mir weiter zu erzählen,
was du nach einer gar so langen Frist,
die dich so kurz bedünkt, noch von mir weißt.

Ottegebe bestürzt
Nichts, Herr! sonst nichts!

Heinrich                                   Das glaub' ich nimmermehr
sonst nichts als nichts? Wie wenig wäre das!
zu wenig fast für deine klugen Augen.
Jetzt aber frag' ich aufs Gewissen dich,
klein Ottegeb! Sankt Ottegebe du,
mit deinem Heiligenschein aus Flachs und Seide:
wie nannt' ich dich in jener frühen Zeit?
Wie? – sprich, wie nannt' ich dich? – nun? – Dazumal,
wo du mir anhingst, traun, mehr als der Mutter,
wie pflegt' ich dich zu nennen? Sag es mir!

Ottegebe steht in höchster Verlegenheit von ihm abgekehrt, windet sich, kaut an Schürze oder Tuch und bricht mehrmals in Lachen aus, das sie aber sogleich erschrocken und ängstlich unterdrückt. Dabei knickt sie ein und bringt erst nach erneuten Ermunterungen mühsam, stockend und leise, hervor
Mein – klein – Gemahl –!

Heinrich                                   So recht! Mein klein Gemahl!
Bald wird ein wackrer Landmann nun dich nennen
im Ernst, wie ich im Scherz dich damals nannte.
    Ottegebe erschrickt, wird totenblaß und läuft davon.
Wo willst du hin?

Ottegebe steht still, zittert   Mir schien's, der Vater rief.

Heinrich Bleib nur und setze dich. Es wäre denn,
daß ich mir irgend deine Gunst verscherzte.
Wie? tat ich das vielleicht? Es wär' mir leid.

Ottegebe ab, Gottfried kommt wieder.

Gottfried seufzend
Es ist nicht klug zu werden aus dem Kinde!
Denkt, was sie eben wieder hat vollbracht:
die Mutter trifft sie, wie sie Waben schneidet
und selbst den Imker macht am Bienenstock.
Zerstochen sind ihr Arme, Brust und Hände. –
Und diesen tollen Streich hat sie verübt,
weil ich vergaß, für Euren Tisch zu räumen,
womit sie mir schon anlag heute nacht.

Heinrich zugleich erstaunt, verdutzt und belustigt
Wie? Um ein wenig Süßigkeit für mich
läßt sie den Leib von Immen sich zerstechen? –
    Er lacht laut heraus.
So geh denn, Gottfried, ruf mir meinen Knecht!
Ottacker soll aus meiner Satteltasche
das Kettlein greifen mit dem güldnen Mond,
ich will es meinem klein Gemahl verehren.
Im Ernst! – Was stehst du noch?

Gottfried zögernd                                 Der Knecht ist fort.

Heinrich Was? wer ist fort?

Gottfried                             Ottacker, Euer Knappe.

Heinrich Was heißt das, fort? – Wer hat ihn fortgeschickt?

Gottfried Ich meinte, Herr, daß Ihr das würdet wissen.

Heinrich nachdem er sich gesammelt, tief heraus
Ich sollt' es wissen, doch ich wußt' es nicht.
    Er steht auf und geht langsam und bleich, eine starke Erregung beschwichtigend, auf und nieder.
Geduld! – und hab auch du Geduld mit mir!
Hör zu! – Warum ich wiederkehrte, Gottfried,
in euer grünes, tannenduftiges – Grab,
du mußt's erfahren einstmals, noch nicht heut.
Um Gottes willen nimm mich auf indes,
als wär' ich Heinrich von der Aue nicht –
vielmehr ein Pilgrim, der um Obdach fleht,
um Obdach und – um Frieden.

Gottfried                                         Gnädiger Herr . . .

Heinrich Käm' ich als Herr, so wär' ich nicht gekommen. –
Verläßt den Herrn ein stets getreuer Knecht?
Ich kann ihn nicht erwürgen drob noch schelten! –
Nein: was du mir gewährst, muß Gnade sein.
Nicht Gült und Zehnten komm' ich zu erpressen:
Almosen heisch' ich, Gottfried, freie Gaben,
Barmherzigkeit!

Gottfried                   Mein Ohr betrügt mich, Herr!
Der reiche Heinrich von der Aue bittet
mich schlechten Bauersmann und armen Diener
um Gnaden, Gaben und Barmherzigkeit? –

Heinrich Der reiche Heinrich von der Aue ist
ein armer Heinrich von der Aue worden:
dies, Gottfried, sei fürs erste dir genug.
Es kommen Tage, Stunden – Stunden, Tage –
ach, lange Tage wohl und lange Stunden!
da werd' ich dir aus gleichem Tone harfen –
endlos! – ein Lied: – es wird dir zum Verdruß
und ach! zum Überdrusse Antwort geben
auf alles, was dein Blick und Wort mich fragt.
Ich bleibe bei euch – Wochen! Monde! Jahre!
Und geh' ich von euch einst . . . doch davon still.
Nichts ist so dunkel, einst wird's offenbar.
Bescheide dich. – Geduld! – Friedloses Herz
muß rastlos Frieden suchen. – Gib mir das,
was auf der Stirne, biederer Mann, dir liegt!
Beschenke mich aus deinem Friedensschatz:
denn danach dürstet meine Seele mehr
als nach den Schätzen weiland Saladins.

Er geht langsam ab. Gottfried hat tief betroffen dem Davongehenden nachgeschaut. Brigitte kommt.

Brigitte Der Herr ging eben fort?

Gottfried                                       Verstehst du das?

Brigitte Nein, Gottfried, ihn nicht und auch nicht das Kind!
Sie liegt, weint, schwört: sie müsse ihn erlösen.

Gottfried Von was?

Brigitte                   Sie spricht: fragt Pater Benedikt!


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