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Zweiter Akt

Szene: Hannas Kontor.
Durch große Glasschiebetüren sieht man in den hinter dem Kontor liegenden, sehr tiefen Entresolraum, das Arbeitszimmer; und durch die bis zum Boden hinabreichenden Entresolfenster des Hintergrundes hinaus auf die gegenüberliegenden Häuser der Straße. – Das Kontor ist ohne Eleganz, aber streng gediegen eingerichtet. Rechts in der Ecke Schreibtisch und Geldschrank, links ein ledernes Ecksofa mit Tisch. – Vorn ist es schon dunkel; rechts über dem Schreibtisch brennt eine Gasflamme. Auch im Arbeitszimmer brennen schon einige Flammen, während es hinten an den Fenstern noch hell ist.

Bernhard (fertig zum Fortgehen, steht in der Mitte der Bühne, Verlegen:) Ja . . .

Hanna. Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr von Vernier. Ich möchte Sie nicht zu einem Fanatiker der Arbeit machen. Sie gibt's genug. Mehr als genug. Nur . . .

Bernhard. Bitte, Fräulein Jagert! Sprechen Sie's nur aus! Ich bin Ihnen ein bissel zu faul – wie?

Hanna. Ja, wirklich.

Bernhard. Ja, ja . . . aber . . . im Grunde, was schadet es.

Hanna. Ach doch. Es ist doch nicht gut, wenn wir zu viel Zeit haben, uns mit uns selber zu beschäftigen.

Bernhard. Hm.

Hanna. Ich bin wenigstens manchmal recht froh, daß ich mir auf eine so einfache Art . . . entgehen kann. Ich meine: den dummen Gedanken.

Bernhard. Ach, Fräulein Jagert, finden Sie nicht, daß die dummen Gedanken immer die schönsten sind?

Hanna. Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen!

Bernhard. Dasselbe wie Sie. Aber Sie haben recht. Ich fühle, daß ich . . . aus Not . . . sehr unbescheiden bin.

Hanna. Wieso?

Bernhard. Nun ja. Statt mir durch Arbeit selber Inhalt zu geben, bereichere ich mich, als echter Dilettant . . . mühelos . . . auf Ihre Kosten.

Hanna. Das hab ich nicht sagen wollen. 67

Bernhard. Doch. Verzeihen Sie . . . gerade das. – Sehen Sie, Fräulein Jagert, Sie waren für mich . . . so in jeder Beziehung etwas ganz Neues. Unsere Damen hielten mich bereits für ein mauvais sujet . . . mit Recht, denn ich ödete mich bei ihnen schrecklich. Da lernte ich Sie kennen – durch die Güte meines Freundes Könitz. Sie haben mir eine – pardon! – eine neue Perspektive gegeben . . . fröhliche Möglichkeiten, an die ich nie gedacht hatte . . . zu all dem andern . . . ein neues Ideal.

Hanna. O! Zu all dem andern?

Bernhard. Nun ja, ich meine, zu der Freude, überhaupt mit Ihnen plaudern zu dürfen . . . (Schweigen:) Hm, und das hab ich mal wieder mehr als genug getan. (Tritt ihr näher und reicht ihr die Hand, sie erhebt sich:) Fräulein Jagert, entschuldigen Sie bitte die Störung, empfehlen Sie mich dem Doktor und . . . also morgen abend, nicht wahr?

Hanna. Ich werd es ihm sagen. Auf Wiedersehen, Herr von Vernier.

Bernhard. Auf Wiedersehen! (Ab.)

Hanna (sitzt vorn rechts am Schreibtisch und arbeitet. – Sie ist womöglich noch einfacher schwarz gekleidet als im ersten Akt. Auf den beiden langen, parallel von den Glastüren zu den Fenstern laufenden Arbeitstischen sind einige zwanzig Arbeiterinnen verschiedenartig beschäftigt. Die Glastüren sind geschlossen.)

Freudenberg (tritt hinten links in den Arbeitsraum. Bewegung unter den Mädchen. Er verbeugt sich wiederholt mit parodistischer Höflichkeit und spricht dann mit dem einen Mädchen. Die weist ihn an die Zuschneiderin. Er wendet sich an diese.)

Die Zuschneiderin (legt die Arbeit nieder und kommt nach vorn durch die Glastür. Sobald die Glastür – auch im folgenden – geöffnet wird, hört man gedämpfte Stimmen und den Lärm einiger Nähmaschinen.)

Hanna (in ihre Arbeit vertieft, ohne aufzusehen:) Hm?

Die Zuschneiderin (verlegen nähertretend:) Ach – Fräulein . . .

Hanna (aufsehend, ruhig:) Nun? 68

Die Zuschneiderin. Ach, da ist der Herr von unten . . . von der Weinstube . . . der Hauswirt . . . ich vergesse immer den Namen . . .

Hanna. Freudenberg heißt er. Freudenberg. Lassen Sie ihn eintreten!

Die Zuschneiderin (ab.)

Freudenberg (mit Verbeugungen durch die Mitte:) Entschuldigen Sie, Fräulein Jagert . . . guten Abend, guten Abend! Entschuldigen Sie gütigst: ich habe mir gedacht: Sie hätten schon Feierabend gemacht. Nein, was sind Sie für 'ne fleißige Frau . . . verzeihen Sie: Fräulein, mein ich, Fräulein wollt ich sagen . . . entschuldigen Sie: Sie verstehen mich.

Hanna. Nun? – Sie bringen mir wohl den Kontrakt?

Freudenberg. Bring ich, jawohl, jawohl. Wollen Sie so gütig sein? (Reicht ihr einen Mietskontrakt.)

Hanna (nimmt ihn:) Setzen Sie sich, bitte.

Freudenberg. Danke sehr. Danke gehorsamst. (Setzt sich.)

Hanna (liest den Kontrakt durch:) Hm . . . Nun ja . . . »Mieter verpflichtet sich« . . . Gründlich! Das kann man nicht anders sagen. Und dreizehn Paragraphen Hausordnung. Sind Sie ein – strenger Hausvater!

Freudenberg. Bitte sehr, bitte sehr –: die Dinger sind mal so gedruckt. Fix und fertig.

Hanna. Ja, ja. Daran liegt es. Also –: achthundert Mark. Viel Geld für die beiden Zimmer . . .

Freudenberg. Sagen Sie das nicht. Drei Zimmer sind es und eine Küche ist dabei und ein Hängeboden und . . . was man alles braucht. Sagen Sie das nicht.

Hanna. Und drei Treppen. Aber das müssen Sie mir ganz fest versprechen, Herr Freudenberg: wenn die zweite Etage jemals frei wird . . .

Freudenberg. Kein anderer wie Sie, Fräulein Jagert. Bei Gott: Sie sollen den Vorzug haben. Das sollen Sie!

Hanna. Denn sehen Sie: ich ziehe ja hier nur aus, weil ich diesen Raum noch für's Geschäft brauche und mich doch nicht auf die eine Dunkelkammer da 69 beschränken kann, Aber ich will natürlich auch nicht zu weit vom Geschäft sein . . . oder zu hoch darüber.

Freudenberg. Ja, ja, Fräulein Jagert: ich seh das ja vollständig ein. Ich werde sehn, ich werde sehn . . . Sie haben mein Wort!

Hanna (unterschreibt.)

Freudenberg. Fräulein Jagert?

Hanna. Herr Freudenberg?

Freudenberg. Darf ich Ihnen 'n neuen Witz erzählen?

Hanna. Nein! Hier nicht! Um Gottes willen! Geben Sie das Nebenexemplar. Was denken Sie sich denn?

Freudenberg (gibt es ihr:) Fräulein Jagert, so wahr ich hier stehe: Sie werden's bereuen. Es wird ein anderer kommen: er wird ihn erzählen, und er wird ihn schlecht erzählen. Bei mir haben Sie 'ne Garantie. Fragen Sie den Herrn Doktor Könitz: der kennt mich. Er schätzt mich. Er wird Ihnen sagen . . .

Hanna. Hier! (Reicht ihm das Nebenexemplar:) Jawohl, Könitz liebt und schätzt Sie, aber . . .

Freudenberg. Der Herr Baron von Vernier nicht minder. Also bitte, erlauben Sie mir . . .

Hanna. Nein! Wenn wir mal wieder unten bei Ihnen sitzen. Übrigens, fällt mir ein: von dem Léoville können Sie mir mal zehn Flaschen heraufschicken.

Freudenberg. Ich fall um! Is nicht möglich! Der Leichtsinn!

Hanna. Nu, wenn Sie nicht wollen . . .

Freudenberg. Na nu ne: ich werde nich wollen! Aber Sie müssen verzeihn: es ist eine große Sache! Sie bestellen Wein bei mir, und was für'n Wein! Wenn ich offen sein soll: man sollte glauben, es wäre kurz vor Ihrem Ende. Verzeihen Sie!

Hanna. So . . . also für so geizig haben Sie mich gehalten?

Freudenberg. Geizig, was heißt geizig! Ist ein häßliches Wort für 'ne schöne Sache! Aber »genau«, Fräulein Jagert –: genau! Sie werden nicht leugnen. 70 wenn ich sage, Sie sind genau. Nun: was nichts Genaues ist, das ist auch nichts Reelles. Sie bekommen noch heute den Wein. Kann ich vielleicht sonst noch was mitschicken?

Hanna. Nein, zehn Flaschen Léoville – »genau«.

Freudenberg. Fräulein Jagert: machen Sie mich nicht unglücklich für's ganze Leben: nehmen Sie mir nicht übel, was ich gesagt habe. Genau, hab ich gesagt. Nun? Das ist ein großes Lob. So hat mein Vater zu meiner Mutter gesagt und wir Kinder durften dabeistehn.

Hanna. Gewiß. Das hat Ihrer Erziehung auch sicher nichts geschadet.

Eine Arbeiterin (lang, blaß, dürr und dämlich, kommt ängstlich durch die Mitte. In weinerlichem Tone:) Ach, Fräulein . . .

Hanna. Was ist Ihnen denn?

Die Arbeiterin. Ach, ach . . . ich hab in dem kleinen Plüschpaletot die Knopflöcher . . . (schluchzend:) in die Knopfseite geschnitten. Und der Stoff ist doch so teuer . . .

Hanna (geschäftsmäßig, kühl, etwas ärgerlich:) Ja . . . Sie wissen ja, das . . . geht mich nichts an.

Die Arbeiterin (flehentlich:) Ach, Fräulein: ziehn Se's doch nur diesen Sonnabend nich ab. Wir brauchen's so furchtbar nötig.

Hanna (sieht sie an, lächelt flüchtig – dann ruhig:) Lassen Sie sich von der Zuschneiderin ein neues Knopfteil schneiden. Das verschnittene soll sie zu Ärmeln verbrauchen. Aber sehen Sie sich in Zukunft vor!

Die Arbeiterin (außer sich vor Dankbarkeit, aufatmend:) Ach, Fräulein, – ich danke Ihnen! Ab.

Hanna. Sehn Sie: den »Leichtsinn« begeh ich heute auch zum erstenmal.

Freudenberg (treuherzig:) Fräulein Jagert: haben Sie mir was übel genommen?

Hanna. Ich nehme Ihnen gar nichts übel. Sie haben ja ganz recht. Diese ganzen zwei Jahre hab ich ja tatsächlich an nichts anderes gedacht, als an den 71 Profit und an's Sparen. Sie haben sich nur geirrt, wenn Sie geglaubt haben . . . es wäre das meine – eigentliche Natur. (Lächelnd:) O nein! Von heut an wird das anders! – Was machen Sie denn für 'n Gesicht?

Freudenberg. Verzeihn Sie mir's Gesicht. Aber was meinen Sie, wenn Sie sagen: von heut an?

Hanna. Geschäftsgeheimnis.

Freudenberg. Nu – dann weiß ich.

Hanna. Sie wissen?

Freudenberg. Spaß!

Hanna. Na?

Freudenberg. Nu – Sie werden heiraten! Den Doktor oder den Herrn Baron. Ausgerechnet: einen von beiden.

Hanna (verletzt:) So. – Ja, es scheint . . . Sie . . . Sie erraten eben alles mit Ihrem – natürlichen Zartgefühl.

Freudenberg. Nu sind Sie mir wieder böse?

Hanna. Nein. Das hätte keinen Reiz für mich. Aber . . . ich muß Ihnen doch sagen: Sie irren sich diesmal. Es denkt niemand ans Heiraten. – Und nun entschuldigen Sie mich: ich habe noch zu tun.

Freudenberg. Nun – sehn Sie: Sie sind doch böse. Und Sie haben recht. Was red ich von heiraten! Sind wir nicht vorgeschrittene Menschen? Was braucht man zu heiraten? (Auf eine unwillige Bewegung Hannas:) Ich geh – (Hanna sieht ihn ungeduldig, streng an:) schon, ich geh schon. Aber ich hab noch 'ne Mission. Gott, Fräulein Jagert: wenn Sie einen so ansehn, da fällt einem 's Herz immer gleich in die Schuhsohlen, aber – wahrhaftjen Gott: man bleibt so gern in Ihrer Näh.

Hanna. Lassen Sie sich das Vergnügen nicht zu lang werden. Also: was ist das für 'ne – »Mission«?

Freudenberg (reibt sich die Hände:) Eine innere.

Hanna. Herr Freudenberg!

Freudenberg. Werden Sie nicht ungeduldig! Ich werd es kurz machen. Sehr geläufig: Also: Heute 72 Nachmittag zwischen Drei und Vier kommt ein Herr, ein kleiner, alter Herr in die Weinstube. Man kann nicht wissen, ob er über hundert Jahre alt ist, aber ich gebe Ihnen mein Wort: achtzig ist er gewesen. Wie er mit dem Diner fertig ist, bestellt er sich eine Pommery, schiebt sich seine goldene Brille auf die Stirn und beginnt so vor sich hinzumurmeln, so . . . wissen Sie, so halblaut. (Macht es nach.)

Hanna. Ja –

Freudenberg. Warten Sie nur! Also: so saß er nun da. Nach und nach gingen alle anderen Gäste weg. Er blieb sitzen – trank weiter. Wie er die erste Flasche leer hatte, bestellt er sich 'ne neue, verstehn Sie, die zweite Pommery. Er ruft mich ran, schenkt mir ein Glas ein und fragt mich nach dem Wetter. Darauf hab ich ihm nach meiner ehrlichen Überzeugung die volle Wahrheit gesagt. Aber auf einmal fragt er mich: sagen Sie mal –: was ist das eigentlich für 'ne »Person«, die hier über Ihnen »den Kleiderhandel betreibt«? Wissen Sie, das sagt er so recht . . . so recht . . . nu: als ob man nicht mit Kleider handeln dürfte.

Hanna. Na, was wollt er denn?

Freudenberg. Ausforschen wollt er mich! Ausforschen! Na, da kam er an den Rechten. Wie 'n Erbbegräbnis – stumm! Mein Herr, sagte ich, wenn Sie irgend etwas zu wünschen wissen oder zu wissen wünschen über . . . das von mir auf das Höchste verehrte Fräulein Jagert – bitte sehr: bemühen Sie sich gütigst eine Treppe höher und fragen Sie sie gefälligst selber! Von mir erfahren Sie nichts. – Und wenn ganz Berlin über sie klatscht – mein Mund bleibt rein. Sie ist mein Gast – und zahlt mir die Miete von zwei Etagen!

Hanna., Na, war er damit zufrieden?

Freudenberg. I Gott bewahre! –: »Nun, schön: ich werde hinaufsteigen!« Wie 'ne Drohung, wissen Sie, so: »Ich werde hinaufsteigen!« Zu drollig, sag ich 73 Ihnen. Dabei trank er immer weiter. Er kam mir vor wie einer, der sich mildernde Umstände antrinkt. – Nu hatt ich Ihnen doch versprochen . . . von wegen dem Kontrakt. Ich sag also: mein Herr, sag ich, darf ich Sie bei Fräulein Jagert anmelden? Ich gehe jetzt hinauf. »Ja, das können Sie tun!« – Nun wollt ich doch gern den Namen wissen – aber ne! –: »Sagen Sie nur, ein alter Mann – muß mit ihr sprechen.« Na, also, Fräulein Jagert: »Ein alter Mann muß mit Ihnen sprechen!«

Hanna. Achtzig, sagen Sie?

Freudenberg. Mindestens! Klein, rote Nase, goldene Brille. Besondere Kennzeichen: trinkt Pommery und trägt Brillanten – so groß!

Hanna. Aber wer kann denn das sein? Sie haben mich nun glücklich ganz neugierig gemacht. Und nun lassen Sie den alten Herrn da unten warten? Ich lasse bitten!

Freudenberg. Ja, wissen Sie, Fräulein Jagert! Wenn ich sage: ich bin gern in Ihrer Nähe – so sag ich die reine Wahrheit. Aber zugleich, wenn ich bei Ihnen ein bißchen länger geblieben bin – hab ich mir gedacht: wird sich der alte Herr da unten – noch die dritte Flasche Pommery bestellen!

Hanna. Na nu aber . . .

Freudenberg. Ich geh schon. Ich schick ihn herauf. Adieu, leben Sie wohl! Leben Sie wohl! Verzeihen Sie mir! (Durch die Mitte ab. Man hört die Mädchen verstohlen lachen.)

Hanna (schüttelt lächelnd den Kopf, schraubt die Gasflamme etwas in die Höhe und beugt sich wieder über ihre Arbeit.)

Die Zuschneiderin (tritt schüchtern ein:) Hm . . . Ach . . . Fräulein . . . ach bitte, entschuldigen Sie einen Augenblick . . .

Hanna (wendet sich zu ihr.)

Die Zuschneiderin. Ich . . . ich . . . von dem Stück Double krieg ich, nach dem neuen Modell, » Doppelstern« absolut nicht heraus! Wenigstens nicht die Siebzehn, wie Fräulein sagten. 74

Hanna. Na nu. Ich bitte Sie . . . wieviel Meter hat denn dies Stück?

Die Zuschneiderin. Vierzig.

Hanna. Na – aber das begreif ich nicht. Und doch dieselbe Breite, wie die andern. Daß muß ja gehn.

Die Zuschneiderin (achselzuckend:) Tja! Ich habe alles ausprobiert.

Hanna. Bringen Sie's mir rein.

Die Zuschneiderin (ab.)

Hanna (wieder über der Arbeit.)

Die Zuschneiderin (kommt mit dem Stück und den Mustern zurück und bleibt zweifelnd stehen.)

Hanna (ohne aufzusehen:) Da drüben. Gleich.

Die Zuschneiderin (legt das Zeug links auf den Tisch vor dem Ecksofa.)

Hanna (geht nach links, legt die Muster auf, probiert einige Male – dann ruhig:) So.

Die Zuschneiderin (höchst verlegen, kleinlaut:) Ach ja. So – geht es. Entschuldigen Sie nur die Störung . . .

Hanna (geht wieder nach rechts. – Währenddem ist hinten im Arbeitsraum der alte Freiherr von Vernier von links eingetreten. Alle Mädchen staunen ihn an. Unbeholfen kommt er nach vorn. Von einem der Mädchen wird ihm die Glastür geöffnet, so daß er der mit dem Stück Stoff abgehenden Zuschneiderin begegnet.)

Die Zuschneiderin (stößt einen leisen Schrei aus:) Ach . . .

Der alte Vernier (ein kleiner, achtzigjähriger Greis mit vollem, schneeweißen Haar. Sein weingerötetes Gesicht verrät große geistige Beweglichkeit. Er trägt eine goldene Brille mit großen runden Gläsern. Er verbeugt sich vor der Zuschneiderin:) Da hätt ich also wohl den Vorzug mit dem Fräulein Hanna Jagert . . .

Die Zuschneiderin (sehr verlegen:) Nein – da . . . (Ab.)

Hanna (steht rechts:) Ich heiße Jagert.

Der alte Vernier. So, so. Das ist sie. Hm. (Tritt der verwunderten Hanna näher:) So, so. – Nun, da . . . muß ich mich Ihnen vorstellen. – Ich heiße Vernier. Ja. Ich bin der Großonkel des Freiherrn Friedrich Bernhard von Vernier. Der dürfte Ihnen ja wohl bekannt sein. 75

Hanna (freudig überrascht:) Ach! – Ja, o ja; der ist mir recht gut bekannt . . . recht gut.

Der alte Vernier (nickt:) »Recht gut.«

Hanna. Es ist ja ein Freund des Doktor Könitz. Aber das freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Herr Baron! Er . . . hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. (Nach links hinübergehend:) Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen.

Der alte Vernier (in drollig unwirschem Ton:) Danke . . . danke sehr. Wenn Sie gestatten . . . möchte ich noch wachsen.

Hanna. Aber! Hier im Entresol? Bitte.

Der alte Vernier. Bitte sehr! Bitte sehr! Bleiben wir ernst.

Hanna (befremdet:) Ja . . . wie . . .

Der alte Vernier. Bleiben wir ernst, mein Fräulein! Ist es mir erlaubt, einige Fragen an Sie zu richten?

Hanna. Bitte.

Der alte Vernier. Ihr Herr Vater war ja wohl Maurer?

Hanna (erstaunt:) Ja – er ist auch jetzt noch – Mauerpolier.

Der alte Vernier. Mauer polier – so, so. Und Ihr Herr Großvater, wenn ich fragen darf? Was war der?

Hanna. Das weiß ich nicht.

Der alte Vernier. Sehen Sie! Das wissen Sie nicht. Das wissen Sie nicht! Ich hab es mir gedacht. – Hm. Nun – Fräulein Jagert: Sie sind ja wohl sehr – modern, nicht wahr?

Hanna (nachdenklich:) Modern?

Der alte Vernier. Modern – jawohl. Und ich zweifle nicht daran, daß Sie mit großer Geringschätzung auf einen Mann herabzusehen gelernt haben, der den Stand, dem er die Ehre hat, anzugehören, hochzuhalten gesonnen ist. Trotzdem halte ich mich in diesem Augenblicke zu dieser Hochhaltung in dem Grade für berechtigt, als ich mir bewußt bin, meinerseits diesen Stand nie durch Anmaßung oder 76 Überhebung entehrt zu haben. – Wissen Sie, wie alt das Geschlecht der Verniers ist? –

Hanna (überrascht, lächelnd:) Nein, Herr Baron. Aber . . . nach Ihnen zu urteilen . . . (Hält inne.)

Der alte Vernier. Wie?

Hanna. Nun, ich meine: ich glaube wohl, daß es schon ziemlich alt ist. Aber bitte, es interessiert mich sehr, Genaueres darüber zu erfahren. Einen Augenblick! (Sie zieht eine dunkle Portiere vor die Glastür:) So. Bitte.

Der alte Vernier. Die Traditionen unserer Familie erstrecken sich zurück bis auf das Jahr Neunhundertundachtzig.

Hanna. Nach Christi Geburt.

Der alte Vernier. Ja. – Aber sagen Sie –: ich kann mir kaum denken, daß Sie das wirklich interessiert . . .

Hanna. Doch, o doch . . . bitte, Herr Baron! Ihr . . Herr Großneffe spricht darüber gar nicht. Sie wissen ja, er hat immer seine künstlerischen Interessen. Wir haben ihn grade danach schon oft vergebens gefragt.

Der alte Vernier. Hm. So. Nun . . . unsere Familie stammt aus Poitou, dem alten französischen Herzogtum am Atlantischen Ozean. Die erste verbürgte Überlieferung datiert von dem Jahre Zwölfhundertundachtzig. Von diesem Jahre Zwölfhundertundachtzig an spielen die Verniers als Marquis, nach dem Rechte der Erstgeburt in ununterbrochener Stammreihe, in der Geschichte Frankreichs ihre ehrenvolle Rolle. »Marchiones« heißen sie in den älteren Urkunden.

Hanna (freundlich:) So? Aber Herr Baron, wollen Sie sich nicht doch lieber setzen? Die Geschichte Ihrer Familie reicht so weit zurück – bitte!

Der alte Vernier. Ja, es ist wohl besser. Danke. (Setzt sich links in die Sofaecke.) Hm. Also – im Jahre Sechzehnhundertfünfundachtzig ist dann Erneste Olivier de Vernier ins Fürstentum Lüneburg eingewandert. Die ältere Hauptlinie in Frankreich ist vor kurzem erloschen – so daß nunmehr ich und mein 77 Großneffe Friedrich Bernhard die letzten und einzigen Träger des Namens Vernier sind. Verstehen Sie?

Hanna. Ich . . . glaube.

Der alte Vernier. Aber: verstehen Sie auch: was das heißt? Was für eine Verantwortung . . . Entschuldigen Sie, Fräulein Jagert, aber ich denke mir: Sie können das gar nicht verstehen. Ich . . . muß es Ihnen erklären. Hm. Also – seit wir im Hannoverschen ansässig geworden sind – Sie . . . wissen wohl, daß wir Westernach in Familienbesitz haben – seitdem haben fast durchgängig von Generation zu Generation zwei Brüder das Geschlecht – wie soll ich sagen – vertreten. »Die beiden Verniers« – wie wir seit einem Jahrhundert und länger am Hofe der Welfen genannt wurden. Von den beiden war gewöhnlich der eine der praktische Stammhalter, der sich verheiratete und das Gut übernahm. Der andere pflegte darauf zu verzichten . . . sei es aus brüderlicher Gesinnung . . . sei es aus innerem Beruf . . . so wie ich.

Hanna. Sie haben . . . aus innerem Beruf . . .

Der alte Vernier. Allerdings. Ja. Es hat unter den Verniers immer solche gegeben, die in irgendeiner gelehrten oder künstlerischen Liebhaberei ihre Befriedigung fanden und darin aufgingen. – Auch bin ich übrigens den Frauenzimmern niemals possierlich genug gewesen. – Hm. Also – in unserem Falle war es eben mein Bruder Ernst, der . . . zwei ganz prächtige Jungen hatte. Soweit ging alles, wie es sollte. Da kam . . . der siebenundzwanzigste Juni Achtzehnhundertsechsundsechzig. An diesem Tage schossen die Preußen die beiden jungen Verniers tot. – – Wir beiden Alten blieben zurück. – Außer uns eine todkranke Witwe und ein kleiner dreijähriger Junge. Das war der Bernhard. Na und den (mit komischem Ingrimm:) . . . nun ja: den kennen Sie ja wohl, Fräulein Jagert – wie? Sagten Sie nicht: Sie kennten ihn – »recht gut?«

Hanna (befremdet, kühl:) Ja, Herr Baron. Und zwar 78 sagte ich Ihnen schon, daß er der Freund meines Freundes, des Doktor Könitz wäre. Wir sind oft zusammen – mit ihm.

Der alte Vernier. So, so. Na. – Jedenfalls: Sie werden ja nun wohl verstehn . . . was ich vorhin . . . andeutete. Wie? Mein Großneffe Friedrich Bernhard ist der letzte . . . An ihm ist es, seine Familie fortzu . . . pflanzen. Verstehn Sie mich, Fräulein Jagert? –

Hanna (verlegen:) Ja . . . das wird er ja wohl auch noch tun.

Der alte Vernier. Wie? Ja, es liegt mir daran, Fräulein Jagert, mich Ihnen ganz verständlich zu machen. Bloß darum bin ich so ausführlich. Sehen Sie: mein Bruder Ernst starb den Winter Sechsundsechzig. Konnt's ihm nicht verdenken. – Über die Söhne haben wir nicht wieder zusammen gesprochen. Wohl aber über den kleinen Enkel . . . den Bernhard.

(Schweigt.)

Hanna (warm, leise:) Herr Baron, er – hat Sie ja auch sehr lieb.

Der alte Vernier. So, so. Hm. – Sie sind sehr gütig, Fräulein Jagert, sehr gütig. Aber bitte, wollen wir nicht mehr von mir reden. Wir sind jetzt zwei bis drei Generationen weiter, eben . . . beim Bernhard. – Sehen Sie, einen Beruf gab es nicht für ihn . . . ich hätte auswandern müssen. Und außerdem: er selber . . . 's ist ein sensitiver Junge, bei dem der Hang, im äußerlichen Leben was zu bedeuten oder was zu wirken, kaum vorhanden ist.

Hanna. Und darauf nahmen Sie Rücksicht?

Der alte Vernier. Ja. Das wundert Sie wohl?

Hanna. O, von Ihnen nicht, Herr Baron, aber ich denke mir, daß so etwas immerhin selten ist . . . in adligen Familien.

Der alte Vernier. Was wir Adel nennen, mein Fräulein, unterscheidet sich vielleicht nicht unwesentlich von dem, was . . . Sie sich darunter vorstellen. Denn, Fräulein Jagert –: der Mensch . . . fängt allerdings 79 erst mit dem Baron an. Aber: der Baron wird nicht als Mensch geboren – er muß dazutun.

Hanna (unwillkürlich:) O! Das ist schön!

Der alte Vernier. Was . . . was ist schön?

Hanna, Was Sie da sagen. (Lächelnd:) Ach, Herr Baron, bitte, halten Sie mich nur nicht für einen Demokraten.

Der alte Vernier. Nicht für . . . ja, aber, Fräulein Jagert! Ist denn die Demokratie nicht – modern?

Hanna. Modern? Ach pfui!

Der alte Vernier (eifrig:) »Ach pfui« – bravo! Modern – ist der Pöbel! – Aber, Fräulein, Fräulein Jagert: wie, wie kommen Sie mir denn eigentlich vor?

Hanna (lächelnd:) Ja – ich weiß nicht. Es scheint mir nur: Sie sind nicht gerade zu mir gekommen, um eine – Übereinstimmung unserer Ansichten zu . . . zu konstatieren – wie? (Während der letzten Worte hört man aus dem Arbeitsraum lauteres Sprechen und Lachen. Hanna, plötzlich sich erinnernd:) Ach! Es ist ja wahr! (Zieht ihre Uhr:) Entschuldigen Sie, Herr Baron: es ist Sieben durch: meine Damen wollen gehen. Sie werden schon ungeduldig. (Zur Glastür gehend:) Einen Augenblick. (Sie öffnet die Tür. Hinaussprechend:) Meine Damen – Feierabend. Fräulein Schwarz, Sie lassen wohl die fertigen Sachen nach dem Lagerraum schaffen. Ich werde Ihnen Friedrich vorschicken. (Sie geht nach links und klingelt.)

Die Zuschneiderin (durch die Mitte, nur halb eintretend:) Ach, Fräulein . . . die Maschinennäherin, die Sie heute Morgen engagiert haben . . . kommt die schon morgen?

Hanna. Ja.

Die Zuschneiderin (im Abgehen:) Wegen dem Zuschneiden. (Ab. Draußen etwas Lärm, Türschlagen.)

Der Hausdiener (von links.)

Hanna. Friedrich, lassen Sie sich die Sachen von Fräulein Schwarz geben. Die müssen heute noch verpackt werden. Dieselbe Adresse. London.

Der Hausdiener (nach hinten ab.) 80

Hanna (in Gedanken:) Was . . . n . . . Ach ja! (Nach hinten, ruft hinaus:) Fräulein Schwarz, noch eins: sagen Sie doch bitte Ihrem Vater, daß er morgen Nachmittag mal heran kommt. Ich will doch zum Ersten die Möbel fertig haben. Vergessen Sie's nicht – nein?

Die Zuschneiderin (von außen:) Können sich drauf verlassen, Fräulein.

Hanna. Also, adieu, meine Damen!

Viele Stimmen. Adieu, Fräulein, adieu . . .

Hanna (entfernt sich von der Tür.)

Die Arbeiterin, (welche die Knopflöcher in die Knopfseite geschnitten hatte, steckt den Kopf durch die Tür:) Fräulein, ich danke Ihnen auch noch vielmals! (Verschwindet wieder, ehe Hanna sich zu ihr umgedreht hat.)

Hanna. Bitte sehr.

Der Hausdiener (kommt wieder durch die Mitte mit einem großen Arm voll Kindergarderobe und geht links ab.)

Hanna. Also heute noch!

Der Hausdiener (im Abgehen:) Jawoll!

Das Letztere ist alles sehr schnell gesprochen. Der alte Vernier ist allen Bewegungen Hannas mit Spannung gefolgt. Schüttelt mit dem Kopf.)

Hanna. Verzeihen Sie, Herr von Vernier, jetzt steh ich wieder zur Verfügung.

Der alte Vernier. Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich! Und Sie wollen nicht – modern sein? Diese . . . diese Hast, dieses: hä-hä-hä . . . (Ahmt die schnellen, hastigen Bewegungen nach:) Überhaupt dies Berlin! Diese plebejische Outrance, mit der hier gearbeitet wird. Man sollte meinen, sie bildeten sich noch was drauf ein, daß sie sich für andre zuschanden quälen müssen! Schrecklich! – Wie der Junge das aushält! Das so immer mit anzusehen! (Hanna anschauend:) Ich meine den Bernhard.

Hanna. Ja. Das dacht ich mir.

Der alte Vernier. So, so. – Nun? Sie wundern sich aber wohl nicht, daß er's bei Ihnen . . . hier in Berlin . . . aushält – wie? 81

Hanna. Nein. Das kann ich nicht sagen. Er hat hier so viel . . .

Der alte Vernier. So, so. Das können Sie nicht sagen. Das können Sie nicht sagen! Sehr gut! Sehr gut! Sehr gut!

Hanna (ernsthaft:) Herr Baron, ich . . . muß Sie nun doch . . . höflichst bitten . . . mir den Zweck Ihres Besuches . . . was Sie eigentlich von mir wünschen – zu verraten. Ich habe keine Neigung, mir . . . weiter Dinge anzuhören, die ich . . . mir beliebig als . . . als Beleidigungen deuten kann.

Der alte Vernier (sich erhebend, ebenfalls sehr ernsthaft:) Fräulein Jagert! Der Junge soll sich nicht verplempern! Verstehen Sie? Das will ich. Das will ich.

Hanna (in Wut, aber sich beherrschend:) So! Und – da kommen Sie zu mir. Zu mir! Was wollen Sie bei mir?!

Der alte Vernier. Ich weiß nur zu gut, von ihm selber, wie – es um ihn steht. Seit er an mich seinen ersten kindischen Brief geschrieben hat . . . hat er mir immer alles vertraut, was ihn bewegte. Er –

Hanna (ihn unterbrechend, mit schneidendem Hohn:) Ah! Jetzt versteh ich Sie! Endlich! Nicht wahr: Sie sind zu mir gekommen, um mir – die Liebe Ihres Großneffen zu gestehen! Wie?

Der alte Vernier (verletzt:) Fräulein Jagert . . .

Hanna (leidenschaftlich, ihm wieder das Wort abschneidend:) Gewiß! Gewiß! Natürlich! Etwas anderes kann es ja gar nicht sein. Denn bis auf den heutigen Tag ist zwischen Ihrem Großneffen und mir kein Wort gefallen, kein Wort, . . . mit dem er sich hätte »verplempern« können! Bis auf den heutigen Tag haben wir uns nicht ein einziges Mal unter vier Augen gesprochen, sind wir immer nur in Gegenwart Alexanders zusammen gewesen, des Doktor Könitz, meines Freundes, dem ich viel zu verpflichtet bin, als daß . . . und wenn Ihnen Ihr Großneffe etwas anderes 82 geschrieben hat, was ich mir aber gar nicht denken kann – so hat er einfach gelogen, einfach gelogen!

(Pause.)

Der alte Vernier. Mein Fräulein: Ihre Vorliebe für die starken Worte ist vielleicht ebenfalls sehr modern und daher mag es kommen, daß sie mir nicht gefällt.

Hanna. Herr Baron: Sie sprachen von »Verplempern«. Und das ist doch wohl auch so ein Wort.

Der alte Vernier. Ja. Aber – das ist auch so 'ne Sache! – Na: aber gut. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß mein Großneffe in einem Briefe an mich weder einfach noch doppelt lügt. Ä –! Häßlich, Fräulein Jagert! Häßlich, so was zu sagen. Denken Sie, bedenken Sie: diese Briefe von Bernhard sind für mich, in meiner Einsamkeit – meine Familie, meine Familie. Und ich halte was auf meine Familie.

Hanna. Herr von Vernier: ich sagte ja, daß ich es mir nicht denken könnte. – Aber was hat er Ihnen denn . . . (Sie stockt. Pause.)

Der alte Vernier. Hm? – Ja, das . . . das dürfte Sie ja dann wohl kaum noch interessieren. Wenn Sie sich dem Doktor Könitz so verpflichtet fühlen. –

Hanna. Ja, Herr Baron. Denn abgesehn von allem anderen: was der Doktor Könitz für mich getan hat – er ist um meinetwillen von einem tollen Menschen, der glaubte, ein Anrecht an mir zu haben – zum Krüppel geschossen worden!

Der alte Vernier. Och! . . . Hm. – Aber das freut mich, das freut mich wirklich. – Hm. Aber . . . Fräulein Jagert – entschuldigen Sie: es ist das ja auch eine gewisse Grobheit – aber: Sie machen nun eigentlich einen ganz guten Eindruck. Sie sind, was man so sagt – eine ordentliche Person.

Hanna (lacht und seufzt dann.)

Der alte Vernier. Lachen Sie nicht, Fräulein Jagert: das ist mein Ernst. Na . . . und was anderes hat vielleicht der Bernhard auch nicht gemeint . . . in seinen Briefen an mich. 83

Hanna. Wahrscheinlich. (Halblaut, bitter:) Was denn sonst?

Der alte Vernier (kopfnickend, wie um sich selbst dabei zu beruhigen:) Ja . . . ja . . . ich denke . . . ich denke. Freilich . . . nun ja . . . aber in seinen Ausdrücken war er immer . . . schon als Kind so . . . so extravagant. Also . . . (Er unterbricht sich, geht auf Hanna los und reicht ihr die Hand:) Nein, das freut mich aber wirklich, wirklich! (Klopft mit der linken Hand auf Hannas Rechte:) Von Herzen! Von Herzen! Und wenn ich fragen darf: Ihr Geschäft . . . ich meine, dieser . . . Kleiderhandel, oder was es ist . . . es geht doch ganz gut? Wie?

Hanna (zerstreut:) O ja, danke . . .

Der alte Vernier. Hm. Wunderbar! Zu meiner Zeit gab's das gar nicht. Sie sind also wirklich . . . richtig . . . selbständig – wie?

Hanna. Ja. Ich habe Glück gehabt. Früher, als ich dachte, bin ich in die Lage gekommen, das Geld, das ich natürlich für den Anfang brauchte, zurückzuzahlen. Grad heute – befrei ich mich von dem Rest.

Der alte Vernier (sieht sie groß an:) Hm. Wie gesagt. Wunderbar! Ich kann offenbar ganz beruhigt sein. Famos.

Hanna (innerlich verletzt, in kaltem, spöttischen Ton:) Allerdings. Sie können ganz beruhigt sein, Herr von Vernier. Denn . . . obgleich ich nun durch Ihre Liebenswürdigkeit die ruhmreiche Vorgeschichte der Familie Vernier kennen gelernt habe . . . dürfen Sie trotzdem versichert sein, daß mir nichts – nichts ferner liegt, als der Ehrgeiz, Freifrau von Vernier zu werden! Nehmen Sie mir das nicht übel!

Der alte Vernier (bricht in ein behagliches Lachen aus:) Sehr gut! Sehr gut! Wie Sie das so sagen – famos! Wenn der Junge das hörte. Müssen ihm mal so was sagen . . . haha: – Na jedenfalls: seine Schwärmerei beruht nicht auf Gegenseitigkeit: und das genügt mir. Denn das seh ich ja: anders hat es keine Gefahr – bei Ihnen. 84

Hanna bitter: Offenbar!

Der alte Vernier. Ach ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie vergnügt mich das macht! Ja! Kommen Sie, Fräulein, kommen Sie mit mir herunter in die Weinstube: wir trinken noch ein Glas zusammen . . . zur Versöhnung . . . und dann reis ich vergnügt wieder ab. Kommen Sie, tun Sie mir den Gefallen, mein liebes . . .

Alexander Könitz (wickelt sich während der letzten Worte schwerfällig aus den Portieren heraus. Er trägt in jedem Arm ein in Papier geschlagenes Paket und kann daher nur mit den Ellbogen die Portieren auseinanderschieben. Er ist ein Mann von sechsunddreißig Jahren, etwas stark und schwerfällig, hinkt leicht mit dem rechten Bein. In Mantel und Schlapphut. Trocken:) Guten Abend! (Hanna und der alte Vernier wenden sich plötzlich überrascht zu ihm um.)

Hanna. Ah . . . du. Guten Abend. Hab dich gar nicht kommen hören. (Vorstellend:) Herr Doktor Könitz – Herr von Vernier: der Großonkel unseres Freundes.

Alexander. Ah – Bernhards Onkel? Freut mich sehr, Herr Baron. Einen Augenblick . . . erst mal . . . (Legt die beiden Pakete links auf den Schreibtisch:) So. (Geht auf Vernier los und reicht ihm beide Hände:) Das ist recht! Das ist recht, lieber Herr Baron, daß Sie mal nach Berlin gekommen sind! Wird sich der Bernhard gefreut haben! Und wir tun's auch, was? (Reicht Hanna die linke Hand und schüttelt sie:) Bitte!

(Fordert Vernier zum Sitzen auf und setzt sich selber, dann auch Hanna.)

Der alte Vernier (etwas verdutzt, schweigt.)

Alexander. Hm? – Bitte! Nach Feierabend ist das hier erlaubt. (Bietet ihm sein Etui an. Vernier nimmt eine Zigarre. Indem er ihm Feuer gibt:) Das ist übrigens sehr . . . sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Baron . . . daß Sie sich auch hierher, zu Fräulein Jagert bemüht haben. Hm. Ich kann mir denken, daß Bernhard Ihnen – aber wo steckt er denn? (Sieht beide an:) Wo steckt er denn? Er läßt Sie allein? Wo treffen Sie sich denn? Ach, wohl unten? Ich hörte vorhin, 85 wie ich eintrat, sowas von heruntergehn – wie? (Pause. Vernier, wie Hanna, setzen zum Sprechen an, verstummen aber:) Ja, was ist denn?

Der alte Vernier. Herr Doktor: ich sitze so, wie Sie wohl wissen, so ganz allein da auf Westernach . . . und da . . . Ja. – Gott, Herr Doktor, man hat ja auf dem Lande so falsche Vorstellungen . . .

Alexander. Ja – aber, entschuldigen Sie, was hat das mit Bernhard . . .

Der alte Vernier (lebhaft:) Nein! Nein! Nein! Sagen Sie ihm nichts! Sagen Sie ihm lieber gar nichts! Ich hab mich blamiert . . . nun ja, ich will's zugeben. Aber du lieber Gott: wenn ich dadurch etwas von Bernhards Liebe und Vertrauen einbüßen müßte . . . das wäre zu hart! Sehen Sie: die paar Jahre, die ich noch leben möchte . . . Bernhard . . . (Er stockt, mit seiner Rührung kämpfend.)

Alexander (gedämpft zu Hanna:) Also Bernhard weiß gar nichts . . . ?

Hanna (schüttelt den Kopf.)

Der alte Vernier. Nein: er weiß nichts davon. Er weiß nichts davon . . .

Alexander (faßt sich nachdenkend an die Stirn:) Ja, aber . . .

Der alte Vernier. Ich sehe ja, ich sehe ja: ich . . . ich müßte Sie alle Drei . . . alle Drei um Verzeihung bitten. Ich hatte mir das ja alles so ganz anders ausgemalt, ich wußte ja das alles nicht so . . . ich wußte vor allen Dingen gar nichts davon, daß Fräulein Jagert Ihnen so . . . so verpflichtet ist . . . und . . .

Alexander (fährt bei dem Worte »verpflichtet« heftig zusammen:) Hm?!

Der alte Vernier (hält verdutzt inne.)

Alexander (steht auf und geht nach rechts. Tiefinnerlich:) Ach so . . . ach so . . .

Hanna (leise im Tone des Vorwurfs:) Aber – Herr Baron, wie können Sie . . .

Alexander (bezwingt sich, höflich:) Pardon! Aber das . . . Freilich: wenn sich Fräulein Jagert mir so 86 » verpflichtet« fühlt – so muß ich ihr dafür natürlich sehr » verbunden« sein. – Also Sie fürchteten nach Bernhards Briefen . . . Hm. – (Zu Hanna:) Und das war dann deine Antwort?

Hanna (sehr verwirrt, leise:) Das . . . ich habe nur . . . Herrn von Vernier zu beruhigen, mich an das Äußerliche gehalten. Man . . . man spricht doch nicht gern von seinen . . . innersten Gefühlen.

Alexander. Nein. Du hast recht. (Nach einem langen Blick auf Hanna, mit tiefem Mitleid:) Arme Hanna! –

Hanna (senkt den Blick.)

(Pause.)

Alexander (bitter:) Aber Sie sind doch nun auch beruhigt, Herr Baron – nicht wahr? Es war nichts!

Der alte Vernier. Lieber Herr Doktor Könitz: sein Sie mir nicht böse! Mir scheint: ich bin hier wohl ein rechter Störenfried geworden. Sehn Sie: Zeit meines Lebens, Zeit meines Lebens hat mir mein Temperament solche Streiche gespielt. Nachher, so wie zum Beispiel jetzt, da seh ich's ja ein. (Seufzend:) Ich wäre wirklich besser zu Hause geblieben. Ja! (Steht auf und faßt erst Alexanders, dann auch Hannas Rechte:) Aber nehmen Sie's mir nicht übel! – Sie auch nicht, Fräulein! Sie auch nicht! – Ich . . . will nun wieder dahin . . . wo ich hingehöre, nach Westernach . . . in die Nähe unseres Familienbegräbnisses. – Leben Sie wohl! Alle beide . . . zusammen. – – Meine Sachen hatt ich wohl . . . ach ganz richtig: die hatt ich ja unten gelassen. Also nochmals: adieu . . . adieu . . . (Halb schon draußen:) Und sagen Sie dem Jungen lieber nichts! Blamieren Sie mich nicht. Danke sehr! Das kann ich noch selber.

Hanna (hat ein Licht angezündet und begleitet ihn durch den Arbeitsraum.)

Alexander (bleibt allein zurück. Er preßt beide Hände gegen die Stirn und steht einige Augenblicke in heftigster Erregung zitternd da – –:) » Verpflichtet!« Oh . . .

Hanna (kommt zurück, man hört ihre Schritte.) 87

Alexander (beherrscht sich wie mit einem plötzlichen Ruck und geht nach links.)

Hanna (tritt wieder ein und geht nach rechts zum Schreibtisch. Im Folgenden vermeiden beide, auch beim Sprechen, sich anzusehen.)

Alexander, (während er sich seine Zigarre wieder ansteckt, im gleichgültigsten Tone:) Was haben wir denn eigentlich heute? Freitag!

Hanna (gleichzeitig:) Freitag. (Mit den Paketen beschäftigt:) Was hast du denn hier mitgebracht?

Alexander. Was . . . ach so. Nichts weiter . . . die beiden Bronzen, die dir neulich so gefielen. Setzt sich: Ich dachte mir, die würden vielleicht irgendwie in deine neue, fürstliche Einrichtung passen . . . so in irgend 'ne Ecke.

Hanna (wickelt die Bronzen aus:) Ah – die. (Erfreut:) Ach, das ist aber nett von dir!

Alexander. Ja . . . ja. (Murmelnd:) Man muß sich beizeiten sein Denkmal setzen.

Hanna. Wie?

Alexander. Nichts, nichts. – Du, Hanna, ich habe einen Brief von unserem Attentäter.

Hanna (lebhaft:) Von Konrad! Ach! Was schreibt er denn? Woher denn?

Alexander. Aus New-York. Aber er wird jetzt schon nach London unterwegs sein. Er schreibt wenigstens – (Nimmt den Brief aus seiner Brieftasche.)

Hanna (nach links:) Darf ich ihn lesen?

Alexander. Na – nicht alles. Manches ist . . . Ich will dir das Nötige draus mitteilen. Also . . . Es ist nämlich ein Untier von einem Briefe. Blättert darin: Also im Anfang: hohes Pathos: »es ist mir ein innerliches Bedürfnis«, und so weiter. Natürlich. Ist ihm alles. – »Ja, mein Herr: ich habe auf Sie geschossen! Es war mir nicht zu verdenken nach dem, was ich dazumal annehmen mußte . . . Jetzt, zwei Jahre nach meiner Entfernung, wo ich inzwischen fortwährend und von den verschiedensten Seiten Nachrichten über Sie und Hanna gesammelt habe, gebietet mir indes 88 eine innere Stimme, Ihnen zu gestehen, daß ich damals irregeleitet, von der Leidenschaft verblendet war.« Dummkopf! Als wenn der jemals nicht von Leidenschaft verblendet wäre. »Zur Wut ward ihnen jegliche Begier.« – Na und nun kommt er denn natürlich auf die Partei zu sprechen, und wie anders er das jetzt alles ansähe, du hättest ganz recht gehabt, nur der einzelne könne heute kämpfen, der einzelne – und allein. In seiner Weise. Und so weiter! Die alten Geschichten. Will den Brief wieder einstecken: Das können wir uns schenken.

Hanna. Das ist alles?

Alexander. Ja, so ziemlich. (Zögernd:) Noch so einige . . . dumme Redensarten über dich. Doktrinäres Zeug . . . torheitsvolle Deklamationen . . .

Hanna. Aber, Alexander, das mußt du mir doch mitteilen. Ich bitte dich!

Alexander. Na, Gott . . . es ist eben einfach . . . dieselbe Borniertheit, wie früher. Dabei riesig gute, liebe Kerle – diese Atriden. Wenn sie einen auch manchmal in die Knochen schießen. (Suchend:) Wo ist es denn? Hier. Also: »Ich denke an sie bei Tag und Nacht. Noch hab ich nicht mit ihr abgerechnet! Vielleicht – wird es auch nicht mehr nötig sein. Wenn alles so bleibt, wenn sie selbständig neben Ihnen, in freier aber treuer Neigung«, na: und so weiter! Kannst dir ja denken. Ä! »Es schmiedete der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.«


Sag mal, Hans . . . nicht wahr: du bist nun neunundzwanzig Jahre alt. Weißt du noch, was ich dir damals . . . schon vor drei Jahren immer gesagt habe . . wo du dir einredetest . . . nur noch einredetest . . . du hättest die »Aufgabe«, dafür zu sorgen, daß . . . ich weiß nicht . . . später einmal . . . übermorgen . . . die Menschheit glücklicher würde, als heute. Weißt du noch? Denk mal dran! – Ich pflegte dir zu sagen: mein guter Hans, bis zum fünfundzwanzigsten 89 Lebensjahre . . . da ist das ja ganz schön . . . da kann so was recht wohl zu unseren Freuden dienen und also echt sein. Aber nachher . . . nachher wird man entweder ein Philister . . . so'n Mensch ohne innere Begeisterung für sich selber . . . so'n Epigone seiner Tugend . . . »Demokrat von Achtundvierzig« . . . Reichstagsabgeordneter, kurz ein Steinesel – oder man sucht sich neue Ideale . . . man wird sich etwa klar, besinnt sich darauf, daß man doch eigentlich selber auch – da ist, sozusagen! Daß ich, daß du doch wohl gewissermaßen lebst . . . verstehst du? Lebst! (Erhebt sich:) Und wenn man dann auch nur eine Spur von gutem Gewissen als Mensch hat . . . ich meine, auch nur 'n bißchen Ehrgeiz, ein Individuum zu bedeuten, so daß man es riskieren kann, zu sich selber ja zu sagen – – dann jagt man die ganze Resignationsfatzkerei, all das wehleidige Gejammere um die lieben Mitmenschen der nächsten Jahrhunderte schönstens zum Teufel und sagt sich: ich und noch einmal ich – will ein ganzer sein! Ein ganzer – ein einziger – ich selber! (Er humpelt einmal hastig durchs Zimmer und setzt sich dann wieder.)

Hanna. Alexander! Wenn man dich so sprechen hört, sollte man meinen, du wärst der krasseste Egoist von der Welt. Und dabei hast du es noch nie im Leben fertig gebracht . . .

Alexander. Ach bitte, das ist Sache des Geschmacks. – Aber in gewissen Dingen ist es nicht nur geschmacklos, wenn man zu viel an andere denkt, sondern auch – unsittlich. Was wir so nennen müssen. – (In ganz anderem, herzlich warmen Tone:) Hanna! Du fühlst dich ja nicht frei . . . nicht glücklich . . .

Hanna (setzt zum Sprechen an. Schweigt.)

Alexander. Nein, Hans: du bist nicht glücklich. Du bist nicht glücklich. Die ganzen zwei Jahre . . . meinst du denn, ich fühlte das nicht? Dieses dumpfe, besinnungslose Arbeiten und Arbeiten die ganze Zeit her – hältst du mich denn für so dumm, meinst 90 du: ich hätte nicht begriffen, wie wenig das nach deinem Herzen war? Wie wenig du – du selber gewesen bist – all die Zeit her? – – –


Hanna, es kommt ja selten vor, daß wir . . . wir Egoisten uns – aussprechen. Auch das geht uns zu vielfach wider den Geschmack. Aber jetzt. Wir sind nun mal dabei. Ich wenigstens. – Sieh mal: wir wollen es uns doch nicht verhehlen: es . . . ist anders mit uns gekommen, als wir es uns gedacht haben. – Woran es gelegen hat, das ist schwer zu sagen . . . und im Grunde . . . jetzt kann es uns gleich sein. – Damals, als die bewußte Katastrophe mit all ihren aufdringlichen Begebenheiten und dummen Knalleffekten vorüber war . . . meine Wunde geheilt war, und ich wieder laufen gelernt hatte . . . als du dann hier eingerichtet warst und so weiter – da hätte ja eigentlich zwischen uns wieder alles sein sollen, sein können wie vorher. Aber . . .

Hanna (flehend:) Aber Alexander! Gewiß! Und noch ganz anders! Sprich doch nicht so! Wie unendlich mußte ich dir – (Beider Blicke treffen sich, sie schweigt.)

Alexander (eisig:) – verpflichtet sein. Jawohl. Möglich, daß es grade daran lag. – Es war eben tatsächlich alles anders geworden. Du hattest dir auch wohl zu viel zugemutet . . . Hm.

(Pause. In anderm Ton:)

Na aber, was nutzt das Reden. Lassen wir das! Wir quälen uns ja nur, indem wir darüber sprechen. Dazu sind wir doch nicht für einander geboren. (Nervös:) Wir sind überhaupt nicht für einander geboren. Das ist Verfolgungswahn. – –

(Pause. Er seufzt. Dann gleichgültig:)

Ja, ja . . . Da fällt mir übrigens ein: erst das Geschäft und dann das Vergnügen. Wolltest du mir nicht tausend Mark zahlen heute?

Hanna (lebhaft, geht zum Schreibtisch:) Ach, ja. – Ich 91 hatte dir auch schon die Quittung geschrieben. Wo ist sie denn? Durch die Besuche . . . der Freudenberg war auch oben . . . (Sie hat das Papier gefunden:) Ach hier. Willst du dich herbemühen oder soll ich dir . . .

Alexander. Ich komme schon. (Geht zum Schreibtisch.)

Hanna. Der alte Herr hatte sich bei ihm nach mir erkundigt. (Reicht ihm den Federhalter:) So, bitte. Datum hab ich schon.

Alexander (unterschreibt:) So, damit sind wir ja dann wohl quitt?

Hanna (steht am Geldschrank, dem sie einen Tausendmarkschein entnimmt:) Jawohl. Damit bin ich dich – (Sie schweigt.)

Alexander (lachend:) Aber Hans, was ist denn das heute mit dir? Du sprichst ja deine besten Einfälle nicht aus..

Hanna (gibt ihm den Schein. Bittend, leis:) Alexander!

Alexander. Nein, nein: das war wirklich ein ganz gescheiter Einfall. Damit bist du mich allerdings – los! Er steckt den Schein ein: Ich wünschte nur, du hättest erst den Mut zu . . . zu deinen Einfällen. So den rechten Frauenmut. Das ist was Besonderes! Es ist eine Eselei, immer bloß von Mannesmut zu sprechen. – – Na, aber nun will ich auch gehn.

Hanna. Gehn?! – So plötzlich?

Alexander (zieht sich den Mantel an:) Ja. Ich habe noch – was vor. Eine wichtige Sache. Etwas Menschenfreundliches. Entschuldige mich heute Abend. Du wirst auch müde sein . . .

Hanna (leise, traurig:) Du quälst mich . . .

Alexander (beinah heiter:) Das – ist ein Irrtum. Also, adieu, du . . . du Schülerin. Und hast noch immer nicht ausgelernt. Schäm dich was! – Adieu! (Er reicht ihr die Hand:) Adieu.

Hanna (mit niedergeschlagenen Augen, ergreift mit beiden Händen seine Rechte:) . . . Adieu.

Alexander (geht zur Tür. Dort wendet er sich noch einmal um und faßt Hannas Kopf in beide Hände. Mit tiefem Gefühl:) Leb wohl, du . . . Leb wohl . . . Er küßt sie auf die Stirn. 92

Hanna (mit ausbrechenden Tränen:) So geh doch nicht, Alexander! Laß uns doch noch sprechen . . .

Alexander (sich losmachend:) Bitte, bitte . . . Nur kein Mitleid! Das verbitt ich mir! Das schickt sich nicht für dich! So! (Er reicht ihr noch einmal die Hand. Sie schlägt ein. Er sieht sie voll an und schüttelt ihr kräftig die Hand:) So. – (Tonlos:) Leb wohl. (Schnell hinaus.)

Hanna (wirft sich schluchzend in den Sessel vor dem Schreibtisch:) Oh, ich . . . (Plötzlich aufspringend, ruft sie laut:) Alexander! (Ab. Man hört sie draußen rufen:) Alexander! (Sie kommt zurück und bleibt einen Augenblick schwer atmend stehen. Dann geht sie erschöpft nach links, wo sie sich niederläßt. Sie trocknet ihre Augen und schüttelt sinnend den Kopf. – Sie schlägt ein Geschäftsbuch auf und taucht die Feder ins Tintenfaß.)

(Vorhang) 93

 


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