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Jack Despard.

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Martin Morse hatte bislang in einem kleinen Orte einer der westlichen Staaten der Union gelebt, fern von aller Unrast des Lebens, mitten im Lande, weitab von großen Gewässern. Winzig kleine Kanoes und Boote genügten, um die Flüsse und Bäche seiner Heimat zu durchkreuzen; von den schwimmenden Palästen der modernen Schiffsbautechnik hatte er keine Ahnung. Zum Manne herangereift, trieb ihn die Wanderlust aus der Heimat fort, dem wilden Westen zu. Hier hoffte er sein Glück zu machen, eine neue Heimat zu finden. Sein großer, leinenüberspannter Wagen wurde von zwei kräftigen Ochsen gezogen, während mehrere Milchkühe ihm folgten.

So kam er an einen großen Strom, der in breitem Bette seine gelben Fluten dahinwälzte, dessen flache Ufer mit wenig niedrigem Gestrüpp bedeckt waren. Das Gras ringsumher war hoch und kräftig, und der schwere, fruchtbare Boden lud zum Bleiben ein. Vor seinem Auge verschwand Kalifornien mit seinem goldreichen Flußsand, er beschloß hier zu bleiben und sein Heim aufzuschlagen. Wer sollte ihn hindern! Das bebaute und bewohnte Land, durch das er gekommen war, lag bereits in weiter Ferne, der Boden hier würde also unbestritten ihm gehören. Sein selbständiger Charakter machte ihn außerdem unabhängig von allen Nachbarn.

Sein erstes Mahl nahm er unter einer breiten Weide ein, doch so nahe dem Strom, daß die Fluten desselben wenige Schritte von ihm gurgelten und rauschten. Die Sonne sank und vergoldete den majestätisch gleitenden Strom. Wie flüssiges Gold rollten die Wogen dahin. Hier wollte er das Gold suchen, in schwerer Arbeit es dem jungfräulichen Boden entringen; ihn lockte nun nicht mehr jenes gleißende Metall, das andere mühsam im Sande suchten, und das doch so leicht den Fingern wieder entrinnt. Die Pfeife schmeckte ihm hier inmitten wilder Einsamkeit nicht minder gut als in der Vaterstadt, und als der Sonnenball verschwunden war, wickelte er sich im Wagen in seine wollene Decke und schlief so ruhig ein, als sei er nur in ein Nachbarhaus gezogen. Aber er erwachte bald wieder durch ein unbekanntes Geräusch, das die nächtliche Stille unterbrach. Es kam näher und näher. Jetzt hörte er ein gleichförmiges Stampfen und Schnauben, dazwischen das rauschende Plätschern der Wellen. Halb Furcht, halb Neugierde erfüllte ihn, er sprang auf und lief durch die finstere Nacht zum Ufer hin. Nichts zu sehen als die flackernden Sterne am nachtschwarzen Himmel.

Da tauchten seitwärts auf dem Wasser rote und grüne Lichter auf und endlich darunter noch drei Reihen weißlichgelber, leuchtender Punkte. Die Lichter glitten näher und näher heran. Martin Morse sah ein großes Schiff, über dessen hohen dunklen Türmen eine dichte Wolke schwebte. Das, was er anfangs für drei Reihen Sterne gehalten hatte, waren Fenster, durch die er in das glänzend erleuchtete Innere sehen konnte. Breite Lichtstrahlen huschten durch das Schilf und über die Wiesen zu dem Wagen und den schlummernden Rindern hinüber, während der einsame Mann am Ufer voll Staunen und Neugierde das sonderbare Fahrzeug betrachtete. Durch die geöffneten Fenster erblickte er in den taghell erleuchteten Räumen vornehm gekleidete Herren und Damen, hier an reich besetzter Tafel, bedient von weiß gekleideten Dienern, dort im lauschigen Salon, spielend und plaudernd. Ja, er warf sogar einen Blick in die Kabinen mit den schwellenden Ruhebetten und den überladenen Toilettetischen. Er sah in eine Welt, die er nicht einmal in seinen Träumen gekannt; das war die Welt, die wirkliche Welt, deren Existenz ihm bisher nur als Ahnung vorgeschwebt hatte. Ihr Glanz und Schimmer blendete ihn, aber schon im nächsten Augenblick war sie einer Sternschnuppe gleich erloschen. Ein Funkenregen sprühte aus dem einen Schornstein und verschwand im Dunkel, wie das Feuerwerk, das er als Kind alljährlich am 4. Juli abgebrannt.

Dunkelheit umgab ihn wieder, und noch immer stand er sinnend da. Erst eine auffallende Kälte an seinen Füßen rief ihn in die Wirklichkeit zurück, und jetzt bemerkte er, daß er mitten zwischen dem Schilf im Wasser stand. Am nächsten Abend wartete er wieder, bis das Schiff von der entgegengesetzten Seite zurückkam, und so legte er sich jeden Abend nicht eher zur Ruhe, als bis er das Schiff gesehen hatte. Es bildete die einzige Abwechslung seines einförmigen Lebens. Weiter aber ging sein Interesse nicht, er knüpfte kein Wünschen, kein Begehren daran. Hätte er wirklich Geld genug gehabt, um die Passage auf einem solchen Dampfer bezahlen zu können, ein gewisser Stolz, gepaart mit Scheu, hätte ihn stets zurückgehalten. Das dort war ja nicht seine Welt, und er hatte keine Lust, sich durch sein unsicheres Auftreten lächerlich zu machen.

An einem Abend, der etwas lichter war als die anderen, blieb er länger am Ufer stehen, das Schiff war bereits verschwunden. Da hörte er plötzlich im Wasser neben dem gewöhnlichen Rauschen und Gurgeln noch ein anderes Geräusch, ein immer näher kommendes Plätschern. Dann sah er eine dunkle Masse, die von den Wellen hin und her geworfen wurde. Endlich bemerkte er einen emporragenden Arm, und nun erkannte er auch einen mit dem Wasser ringenden Mann. Ohne einen Augenblick zu zögern, watete Morse in das seichte Wasser hinein und schwamm entschlossen dem fast Erschöpften zu. Er hatte ihn erreicht, aber anstatt den Arm des Retters zu erfassen, stieß der andere ihn zurück. Morse jedoch griff fester zu und zog ihn trotz seines Sträubens ans Ufer. Als er dasselbe erreicht hatte, hielt er einen Bewußtlosen im Arm, bettete ihn sorgsam unter der Weide und lief dann zum Wagen, um Whisky zu holen. Wieder angelangt, saß der andere bereits aufrecht und drückte seine nassen Kleider aus. Im Mondlicht sah Morse einen Mann von bestrickendem Aeußeren in eleganter Kleidung, ein Mitglied jener Welt, die Morse allabendlich beobachtet hatte. Gierig ergriff er den Zinnbecher und trank den mit Wasser vermischten Whisky aus, that einige Schritte vorwärts und sah fragend bald auf seinen Retter, bald auf die ruhenden Tiere, den einsamen Wagen und die rohe Blockhütte, die zu entstehen begann.

»Wo zum Henker, bin ich denn?«

Morse zögerte, er war unfähig, die Gegend näher zu bezeichnen, sagte aber endlich: »Am rechten Ufer des Sacramento.«

Halb ärgerlich, halb ungläubig sah der Fremde ihn an. »So, dann ist das vermaledeite Wasser, aus dem Ihr mich aufgefischt habt, der Sacramento. Danke Euch für die Auskunft. Wie heißt denn die nächste Stadt?«

»Es giebt keine. An der letzten Wegkreuzung, ungefähr zwanzig Meilen von hier, wohnen ein Grobschmied und ein Gewürzkrämer, aber auch der Ort hat, soviel ich weiß, keinen Namen.«

Der Argwohn des Fremden schwand. »Ich muß ein Pferd haben, und zwar so schnell wie möglich.«

»Habe keins!«

»Kein Pferd? Wie seid Ihr denn hergekommen?«

Morse zeigte auf die Rinder.

»Woher seid Ihr denn?«

»Von Pike-County am Missouri.«

Der Fremde wurde plötzlich ruhiger. »Ihr müßt mir von Euren Nachbarn ein Pferd leihen oder stehlen.«

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»Hab' keine Nachbarn, Ihr habt ja gehört, die nächsten wohnen zwanzig Meilen von hier entfernt.«

»Dann lauft meinetwegen zwanzig Meilen weit. Halt –« Er zog aus seinem Rock eine gefüllte Börse. »Da, darin sind zweihundertundfünfzig Dollars, nun schafft ein Pferd.«

»Hab' niemand zu schicken.«

»Ihr wollt doch nicht behaupten, daß Ihr ganz allein hier seid?«

»Ja!«

»Und Ihr habt mich allein da herausgefischt?«

»Ja!«

Der Fremde ergriff plötzlich Morses Hand und drückte sie warm.

»Nun gut, wenn Ihr niemand zu schicken habt, will ich morgen versuchen zu gehen.«

»Ich wollte gerade sagen, wenn Ihr die Nacht über hier bleiben mögt, würde ich morgen mit Sonnenaufgang fortgehen und Euch bis Mittag ein Pferd zur Stelle schaffen.«

»Das ist früh genug.« Der Fremde sah Morse noch immer verwundert an, deutete dann auf seine nasse Kleidung und sagte: »Könnt Ihr mir vielleicht trockenes Zeug geben?«

Bereitwillig holte Morse einen von seinen groben, selbstgewaschenen Anzügen herbei und legte dann, während der Fremde die Kleidung wechselte, Reisig und dürre Blätter für ein Feuer zusammen.

»Wozu das?«

»Ich will ein Feuer machen, damit Ihr Eure Kleider trocknen könnt.«

»Ihr seid nicht recht gescheit; kein Feuer, so lange ich hier bin.« Unter dem Tritt des feinbeschuhten Fußes flogen Reisig und Blätter auseinander. Dann streckte sich der Fremde behaglich auf der kleinen Erhöhung unter der Weide aus.

»Nun erzählt mir von Eurem Leben und dem, was Ihr hier thut.«

Geduldig begann Morse seine Erlebnisse zu berichten, von dem Augenblicke an, da er die Heimat verließ, bis zu dem Moment, da er das Ufer des Sacramento erreichte. Er erzählte von seinen Plänen, allmählich mehr Vieh anzuschaffen und die Felder ringsherum dem Ackerbau zu gewinnen. Sonderbar lächelnd hörte der Fremde ihm zu. Er hob sich ein wenig aus seiner liegenden Stellung, zog sein Taschenmesser hervor, öffnete es und begann die Nägel zu putzen. »Wahrscheinlich wißt Ihr gar nicht, daß Ihr Euch in dieser Gegend Frostschauer und Fieber holt.«

Morse hegte deswegen keine Furcht, denn seine Vaterstadt hatte ebenfalls im Fieberterrain gelegen.

»Daran habt Ihr auch wohl nicht gedacht, daß in mancher Nacht der Sacramento über seine Ufer steigt und seine Fluten bis weit ins Land hinein alles mit sich fortreißen.«

»Nein, übrigens gedenke ich mein Haus noch weiter zurückzubauen.« Der Fremde schlug sein Messer zu und erhob sich. »Wenn Ihr mit Sonnenaufgang fort wollt, wird es Zeit, daß wir uns schlafen legen. Habt Ihr eine wollene Decke für mich?«

Morse deutete auf den Wagen. »Da drinnen werdet Ihr alles Nötige finden.« Seine Gedanken waren jedoch noch immer bei dem Gespräch, und daran anknüpfend, begann er noch einmal: »Weit fort vom Fluß aber will ich nicht, wegen der Dampfboote, an die ich mich so gewöhnt habe.« Und ungefragt erzählte er dem anderen, wie er Abend für Abend das Boot beobachte. Mit unruhigen Augen hörte der Fremde ihm zu.

»Bei der Gelegenheit habt Ihr mich also auch bemerkt? Was habt Ihr außerdem denn noch gesehen? Vor dem Augenblick – bevor Ihr mich im Wasser fandet?«

»Nichts! Das Boot glitt genau so ruhig weiter wie alle Tage.«

»So!« erwiderte sichtlich erleichtert der andere. »Nun, ich gehe hinein und versuche zu schlafen.« Er kletterte in den Wagen, und als Morse ihm mit den nassen Kleidern nachkam, lag er bereits fest in die Decken gewickelt und schien zu schlafen. Nun erst begann Morse über die Ereignisse des Abends nachzudenken. Das selbstbewußte und sichere Auftreten des Fremden nahm ihn so gefangen, daß ihm nicht einmal der Gedanke kam, jener habe kein Recht, ihm gegenüber sich so zu zeigen. Er hatte wohl bemerkt, daß der Fremde es verschmähte, ihm über die Ereignisse Aufklärung zu geben, aber es fiel ihm nicht ein, danach zu fragen.

Er glaubte noch den warmen Händedruck zu fühlen, mit dem jener seine Hand erfaßte, als er vernahm, daß er allein sein Retter gewesen. In der Nacht, während der andere schlief, umschlich er mehreremale, nach allen Seiten spähend, den Wagen. Bei Tagesanbruch stellte er ein einfaches Frühstück an die Seite des Lagers, besorgte das Vieh, und kurz vor Mittag war er bereits mit dem Pferde zurück. Als er dem Fremden die Börse mit dem Rest des Geldes aushändigte, fragte dieser erstaunt: »Was soll das?«

»Das ist Euer Geld, denn ich bezahlte für das Pferd nur fünfzig Dollars.«

Der Fremde sah ihn mit seinem eigenen Lächeln an, steckte die Börse wieder in die Tasche seines Rockes, schüttelte Morses Hand und stieg aufs Pferd. »Euer Name ist Martin Morse? – Lebt wohl, Morse!«

Morse zögerte. Eine dunkle Röte stieg in seine gebräunten Wangen.

»Ihr sagtet mir noch Euren Namen nicht, im Fall – –«

»Ihr meint für den Fall, daß ich gesucht werde. Gut, nennt mich nur Kapitän Jack.« Er lächelte, nickte, berührte mit dem Fuß die Weichen des Tieres und galoppierte davon.

Morse schaffte denselben Tag nicht viel, immer wieder eilten seine Gedanken zu dem sonderbaren Gast zurück. Bald glaubte er ihn unter der hängenden Weide zu sehen, bald auf dem schmalen Wiesenstrich am Wagen. Schon früh am Abend stand er wartend am Ufer, erfüllt von der leisen Hoffnung, vielleicht unter den Passagieren den Fremden erkennen zu können. Im schwachen Licht des Mondes watete er noch einmal zu der Stelle hin, von der er ihn zuerst erblick hatte, stutzte aber plötzlich, denn dort im Wasser vor ihm schwamm ein dunkler Gegenstand. Angst und Schrecken bemächtigte sich seiner, denn er glaubte anfangs nicht anders, als daß das Erlebnis der vergangenen Nacht sich wiederholen würde. Aber ein zweiter Blick auf den Gegenstand zeigte ihm, daß es kein lebendes Wesen, sondern der Leichnam eines Mannes sei, dessen Züge und Gestalt von der seines Gastes gänzlich verschieden waren. Ueber der Stirn klaffte eine breite Wunde, die Lippen waren blutlos und das Gesicht wachsfarben. Seine Furcht wurde größer, nicht vor dem Leichnam im Wasser vor ihm, sondern vor dem Dampfboot, dessen Stampfen und Schnauben näher und näher kam. Nicht wissend weshalb, zog er in größter Eile den Toten ans Ufer und verbarg ihn im Gebüsch, als verwische er die Spuren eines eigenen Verbrechens. So beschäftigt, bemerkte er, daß das Dampfboot ihm gegenüber anhielt. Kommandorufe ertönten, Laternen huschten auf Deck hin und her, und erregtes Stimmengemurmel scholl auf einen Augenblick zu ihm herüber. Neue Kommandorufe, und langsam fuhr der Dampfer weiter.

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Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich Morses Brust, und als der Mond höher gestiegen war, begann er den Leichnam zu untersuchen. Soviel er erkennen konnte, waren die Papiere, die er fand, Magistrats- und Gerichtspapiere und von Sheriff und Richtern unterzeichnet. Dann grub er ein Loch unter der Weide und legte den Toten hinein. Er fragte nicht erst, ob er berechtigt war, die Spuren eines augenscheinlichen Verbrechens in dieser Weise zu beseitigen und so die Sühne der That zu verhindern, er that es einzig und allein, um die Leiche vor den umherstreifenden Tieren zu schützen.

Am nächsten Abend ging das Boot wie immer ruhig vorüber, aber mit Morses Ruhe war es vorbei. Tage vergingen, bevor er so wie früher das nahende Boot beobachten konnte.

Eines Tages brachte ein Bote eine Anzahl kostbarer Pferde edelster Rasse. Morse wollte sie nicht annehmen, der Bursche aber sagte: »Wenn Euer Name Martin Morse ist, seid Ihr auch der Rechte.« »Ja, aber wer schickt Euch denn?« »Das weiß ich nicht, der Pferdehändler sagte mir, ich solle sie Euch abliefern.« Morse war keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß Kapitän Jack der Geber war, und er trug sich mit dem Gedanken, daß jener ihn gewiß bald wieder aufsuchen werde. Die kostbaren Pferde aber bildeten in Zukunft den Hauptteil seines Viehbestandes. Gleichmäßig flossen die Tage dahin, bis er eines Morgens mit schmerzenden Armen und Beinen erwachte. Seine Glieder wurden immer schwerer, Fieber schüttelte ihn und dunkle Träume durchkreuzten sein Gehirn. Wenn er im Wasser die lechzenden Lippen kühlen wollte, sahen ihm aus demselben blasse, tote Gesichter entgegen, badete er sich im Strom, glaubte er sich von tanzenden Lichtern umgeben und gläsernen Augen. Als er eines Tages erwachte, saß ein Krankenwärter an seinem Bette, während eine Negerin in der Hütte hantierte.

»Ihr habt einen schweren Fieberanfall überstanden, aber nun ist die Krise glücklich vorüber.«

»Wer seid Ihr denn?«

»Doktor Smith.«

»Wie seid Ihr denn hierhergekommen?«

»Ich erhielt den Befehl, im Verein mit der Negerin Euch zu pflegen.«

»Von wem denn?«

»Wahrscheinlich von einem Eurer Freunde, seinen Namen kenne ich nicht, und jetzt, da Ihr genesen seid, kann ich Euch ja wieder verlassen. Aber wenn ich Euch raten kann, zieht fort vom Fluß, sobald Ihr könnt.«

Die Negerin blieb noch einige Tage, bis Morse seine gewohnte Beschäftigung wieder aufnehmen konnte, dann schickte er auch sie fort. Weiter fort vom Fluß zog er nicht, denn er trug sich mit der Hoffnung, daß er gerade hier Kapitän Jack, dem er sich zu großem Dank verpflichtet fühlte, noch einmal wiedersehen werde.

Sobald er sich wohl genug fühlte, machte er eine Reise auf dem Boot. Das Stimmengewirr um ihn, das Rasseln und Klappern der Maschine verwirrte ihn so, daß er sich auf Deck in einen Winkel zurückzog. Während er hier saß, beobachtete er zwei Männer, die, in ein ernstes Gespräch vertieft, in seiner Nähe auf und nieder gingen. Jetzt passierte das Boot die Stelle, wo hinter niedrigem Gestrüpp verdeckt er seine Hütte wußte. »Es war ungefähr an dieser Stelle,« klang es da an sein Ohr, »als die Schiffswache bemerkte, daß Thür und Fenster in dem Raume offen waren, aber beide Männer, der Sheriff und Jack Despard, waren verschwunden. Man vermutet, daß Jack auf irgend eine Weise seine Handschellen geöffnet hat und durch das Fenster entfloh, während der Sheriff ihm nachsetzte. Weiter weiß man nichts davon. Der Kapitän meint, die Strudel, die sich an dieser Stelle befinden, müssen die beiden Ringenden ergriffen und sie hinuntergerissen haben.«

»Es war doch ein großes Wagestück von Jack, dort hineinzuspringen.«

»Ihr müßt aber bedenken, daß der Galgen auf ihn wartete, und daß ein Charakter wie Jack den Tod in den Fluten vorzog.«

Die Zwei gingen vorüber, Martin Morse aber wußte mit einemmal, weshalb der Fremde an jenem Abend über seine Persönlichkeit so beharrlich geschwiegen hatte. Er verstand jetzt alles, was ihm damals sonderbar vorgekommen war. Er wußte, daß er der einzige Hüter des Geheimnisses war, daß Jack Despard noch lebte.

Nach Beendigung der Reise ging er sofort auf seine Farm zurück, er arbeitete ohne Hilfe weiter, damit niemand von dem Vorhandensein seines Hauses erfahre und es stets eine Zufluchtsstätte für Jack sei.

Eines Nachts erwachte er plötzlich, und als sich umsah, stand seine Hütte bis an den Rand seines Bettes voll Wasser. Er sprang auf, da fiel die Hütte wie ein Kartenhaus auseinander und das Dach wurde von der Flut hinweggetragen. Er selbst wurde gegen eine Sykomore geschleudert und rettete sich auf eine Astgabelung derselben. So weit er sehen konnte, nichts als Wasser, hier schwammen die glänzenden Leiber seiner einst edlen Pferde, dort trieben die prächtigen Rinder, dort spielten die Wellen mit den einfachen Gerätschaften, die er sein eigen nannte, dort schwammen andere Stücke, die fernen Nachbarn gehören mußten, ja, er hörte sogar schwache Hilferufe von Menschen, deren Vorhandensein in seiner Nähe er nicht geahnt hatte. Stunden vergingen, das Wasser stieg noch immer. Seine einzige Hoffnung war das Dampfboot am Abend. Aber würden seine Kräfte so lange aushalten, und wenn – – – würde er schwimmend das Boot erreichen?

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Der Abend kam. Dämmerung bedeckte das weite Wasserfeld. Schon drohten seine Sinne zu schwinden, da hörte er Stimmen, hörte seinen eigenen Namen rufen und erkannte die Stimme von – – Kapitän Jack. Er antwortete, verlor jedoch das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Seine Augen sahen einen Zug von Booten, und im Schein flackernder Lichter sah er jemand ihm nachspringen und fühlte noch, wie eine starke Hand ihn ergriff. Dann schwand sein Bewußtsein. Als er aufwachte, lag er in einem Boot, das durch die überschwemmten Straßen einer Stadt fuhr. Man trug' ihn durch das Fenster des zweiten Stockwerks eines einfachen Gasthauses und bettete ihn sorgsam im wohldurchwärmten Bett. Aber auf all' seine Fragen erhielt er nur die Antwort, daß jener Rettungszug, der ihn fand, kein öffentlicher, sondern ein privater war, den ein einziger Mann ausgerüstet und geleitet. Dieser aber hatte bei Stockton das Boot verlassen. Weiter erfuhr er nichts. Ja! Jener hinterließ einen Brief. Mit fiebernden Händen griff Morse danach. Er enthielt nur die wenigen Zeilen: »Wir sind quitt. Ich habe dich vom Tode des Ertrinkens gerettet, wie du einst mich. Leb wohl. Kapitän Jack.«

Wochen vergingen, bevor Morse das Bett als körperlich geschwächter Mann verlassen konnte. Er hatte keine Mittel und auch keine Lust mehr, seine Farm wieder aufzubauen, nahm das Angebot eines Freundes an und zog mit diesem als Maultiertreiber mit einem Gepäckzuge über die Felsengebirge. Eines Tages, als er ein entlaufenes Maultier suchte und das gefundene Tier tränken wollte, bemerkte er einige sonderbar geformte Steine. Er nahm sie auf, sie zeigten ein bedeutendes Gewicht. Zwei der größten nahm er mit ins Lager, sie enthielten Gold, und sein Glück war gemacht. Aber seine einfache Natur, die in seinem früheren arbeitsamen Leben jeder Versuchung widerstanden hatte, unterlag, nachdem er plötzlich reich geworden.

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Seine Gefährten waren rohe Landstreicher, und er lebte mit ihnen in einer Gebirgsstadt ohne Obrigkeit. Eine erregte, zügellose Menge umstand an einem Morgen ein einfaches Gerüst, das in aller Eile unter einem Baum errichtet war. Die Nachbarn zur Seite stoßend, um besser sehen zu können, gelangte Morse in die Mitte des Pöbels, bis bewaffnete Männer ihn zurückhielten. Er sah auf und erblickte auf dem Gerüst eine hohe, imposante Erscheinung. Das Seil war bereits um den Hals geschlungen, während das Auge zornig, aber ruhig über die Menge glitt, deren wildeste Gesellen das andere Ende des über den Baum gelegten Seiles hielten. Da sah der Fremde auf Morse nieder, ein freundliches Lächeln überzog seine Züge, er neigte das Haupt, als sage er ihm lebewohl. Mit einem Schrei stürzte Morse vor, entriß dem Nächsten die Waffe, und ein erbitterter Kampf begann. Ein Knall ertönte, und mit einer Kugel im Herzen fiel Morse vorwärts, im Fallen noch die Füße Jacks umfassend. Die Menge war plötzlich still geworden, und Kapitän Jack wäre es ein Leichtes gewesen, seine Bande zu lösen und zu entrinnen. Statt dessen sah er traurig auf den toten Freund vor seinen Füßen nieder und warf einen Blick voller Verachtung und Abscheu über die Menge, zog mit einem Ruck die Schlinge um seinen Hals fester zusammen und sagte: »Und nun vollendet euer Werk, ich bin fertig.«

*

Die Menge erwachte aus ihrer Bestürzung und Ueberraschung. Das Gericht war vorbei, Martin Morse aber und Kapitän Jack fanden Ruhe in demselben Grabe.


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