Ernst Hardt
Ninon von Lenclos
Ernst Hardt

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Erste Szene

Der nächtliche Park am Hause der Ninon von Lenclos. Ganz im Vordergrund eine Rasenfläche mit einem großen im Halbkreis sichtbaren Blumenbeet in der Mitte der Bühne. Dahinter läuft quer ein breiter Weg, anfangs von beschnittenen Bäumen in Kübeln eingefaßt, vor eine flache, seitlich sichtbare Marmortreppe, die zu einer Rampe hinaufsteigt. Von dieser führt eine Glastür in einen runden, im schmalen Schnitt sichtbaren Pavillon mit Glasfenstern, die erleuchtet sind und helle Scheine in den Park hinauswerfen. Hinter dem Weg steht zur Rechten und zur Linken je eine große gerundete Marmorbank mit Rückenlehne, Stufen und hohen Pfeilern zu ihren Seiten. Vorn im Rasen vor dem Pavillon stehen, seiner Rundung folgend, in kleinen Abständen Marmorstatuen. Von dem breiten Hauptwege aus laufen rechts und links zwei Wege in den Park hinein. Man hört die gläsernen Töne eines Spinetts und sieht tanzende Gestalten an den Fenstern vorbeischweben.

Ninon von Lenclos ist sechsunddreißigjährig zu denken und sechsundzwanzigjährig darzustellen. Sie trägt ein goldfarbenes Kleid aus blanker Seide mit weißen Spitzen und – im Vergleich zur Zeit-Mode – schlicht getürmtes Haar. Die Dichter sagen, daß es kastanienbraun gewesen, und schwärmen von ihren schwarzen Augen und den klar und hoch gezeichneten Brauen darüber, von ihren schönen Zähnen, ihren noch schöneren Händen und von ihren Lippen, die sich oft und gern in gütig-spöttischem Lächeln aufbogen. – Marion de Lorme steht im Anfang der Vierzig. Sie trägt roten Samt, künstlich verflochtenes Haar und auffallend viel Schmuck. Ein Hauch beginnender körperlicher Fülle beengt ihr lebhaftes Temperament in einer für dieses Alter charakteristischen, nicht unliebenswürdigen Art und verleiht ihrem Wesen etwas Gemächlich-Gutmütiges. Der Marquis von Villarceaux ist – mit wohlhabender Eleganz – wie ein Standesherr während der Regentschaft gekleidet, der sehr junge Marquis von Sévigné dagegen nach der neuesten, von dem jungen Ludwig erfundenen Mode. Er trägt hellblau und viele Spitzen. Vicomte von Villiers geht soldatisch herb und dunkel nach der im Heere noch waltenden spanischen Tradition, der alte d'Estrée trägt die weiße Marschallsuniform des dreizehnten Ludwig.

Ninon verläßt den Pavillon, setzt sich auf das seitliche Geländer der Rampe und preßt mit beiden Händen Blätter der kletternden Ranken auf ihr Gesicht. Sie spricht

Wie seltsam . . . süß und seltsam! Meine Sinne
Schwärmen wie Falter um ein halb verhülltes
Und dennoch helles Licht in mir . . . und draußen,
Wo kaum ein Schein hinfällt, da steh ich selber
Ängstlich und bangend – so wie heimlich Lauscher
An fremden Türen stehn . . . und kann nicht hören,
Obs innen lächelt oder weint. Mein Gott,
Es lächelt wohl . . . und kann auch weinen. – Kann.
Doch muß es nicht.

Zweite Szene

Der Marquis von Villarceaux tritt leise aus dem Park an den Fuß der Treppe und ruft gedämpft

Villarceaux.                 Ninon!

Ninon.                                     Muß nicht!

Villarceaux.                                               Ninon!

Ninon. Wer ruft? Ah Ihr! (lächelnd) Ich kam nicht Eurethalb . . .
Ich wollte nur ein wenig Kühle atmen
Und diese Blätter, die der Nachttau netzt,
Auf meine Augen pressen. Denn sie glühen.
Ja, Freund, sie glühn!
    (Sie ist langsam zu ihm hinuntergetreten und hat seine Hand auf ihre Augen gepreßt.)
                                   Und sagt . . . versteht Ihr dies,
Daß Gentille-Ninon ihre Gäste flieht,
Und Spiel und Tanz, um hier im Dunkel einsam
Gefühlen nachzuspähn, die unheimlich
Wie große fremde Vögel in ihr flattern . . .
Versteht Ihr dies . . .

Villarceaux (mit verhaltener Erregung).
                                  Ich bitt Euch, liebe Ninon,
Gönnt diese Stunde mir zu einem Wort . . .

Ninon. Seht, wie das Dunkel auf dem Garten liegt,
Die Bäume starren wie aus Stein geschnitzt,
Und nicht ein Blatt, das bebte. Dies ist eine
Kühle und klare Nacht, Marquis. Bedenkt!

Villarceaux. Ich bitt Euch, Ninon! – Seht, seit einer Woche
War Eure Tür für mich gesperrt, kein Wort
Von Eurer Hand kam in mein Haus, kein Gruß . . .

Ninon. Ihr wollt mit mir . . . von Eurer Liebe sprechen . . . ?

Villarceaux. Wie scheint Ihr kalt! So kalt . . . O sagt doch etwas . . .
Ninon, ich bin so jung nicht mehr . . .

Ninon.                                                       Daß Ihr
Verwinden könnt das Ende einer Lust,
Die ich Euch war! (spöttisch) Mein armer lieber Raoul . . .

Villarceaux. Ninon, Ihr spielt mit mir!

Ninon.                                                   Ich spiele nicht.

Villarceaux. Dann frevelt Ihr, bei Gott! O Ninon, Ninon,
So denkt doch an die wundervolle Zeit
Der heißgeschenkten und begehrten Liebe.
Gedenkt der Nächte, süß und schwül, da unser
Staunen an Wonnen wuchs, die überschwenglich!
Gedenkt des ersten Tages, den wir lebten:
Im Wald von Ruer blühten weiße Veilchen,
Das junge Moos war feucht und kühl . . .

Ninon (weich).                                               Ich weiß . . .
Mit dieser süßen Torheit fing es an . . .
    (umschlagend)
Und währte dann . . . den ganzen Sommer lang,
Nicht wahr, Marquis? Den ganzen Sommer doch?
Oh, welche lange, welch unendlich schauerlich
Erschreckend lange Ewigkeit . . . für mich!
Doch jetzt ists Herbst . . . Wir frieren schon ein wenig
Und kaufen Pelz! – Marquis von Villarceaux,
Ich möcht Euch etwas bitten: Werdet heut
Mein Freund!

Villarceaux.         Um Gott, Ninon, was quält Ihr mich!
Ich bin kein Knabe, dessen dünnes Blut
Beim Winken seiner Dame steigt und fällt
Nach ihrem Wunsch . . . ich liebe Euch!

Ninon.                                                         Und sprecht,
Marquis, mit schöner Würde von der Liebe
So wie ein Schäfer aus dem vorigen
Jahrhundert.

Villarceaux.       Ninon, süß sind Eure Lippen,
Wenn Ihr so höhnt, doch meine Seele weint . . .

Ninon. Mein Freund, Ihr wollt ein göttliches Vergnügen
Mit Farben schminken, die Euch edel scheinen,
Und tragisch sein um jeden Preis! Dies ist
Die Krankheit vieler Männer, wenn sie lieben.
Doch ist es Krankheit. Glaubt! (spöttisch) Und sagt nicht Seele,
Wenn Ihr die Sinne meint. Die Liebe, Freund,
Ist Appetit, ein großer schöner Hunger,
Den die Natur in unsren Leib gelegt,
Nicht mehr – Und Hunger stillt sich, wie Ihr wißt . . .
Auch stirbt man nicht daran – Was tat ich doch,
Als ich noch durstig war nach Eurem Wein,
Damals, als Ihr mich trotzig untreu wähntet . . .
Wißt Ihr es noch . . .?

Villarceaux.                   Ihr schnittet Euer Haar,
Euch Euer wundervolles Haar vom Haupt
Wie eine Priesterin . . .

Ninon (lacht auf).               O nein! – Ich schnitts
Und sandt es Euch mit Blumen überdeckt
In einem grünen Korb aus jungen Weiden,
Wie man dem Liebling morgens Früchte schickt.
So tat ich damals, und noch heute freut mich,
Daß ich es tat . . . Doch dies ist nun vorüber.
Der Strauß von Küssen, Freuden, Lustigkeiten
Und Launen süßen Sinns, den wir uns pflückten,
Er hängt verblaßt so wie ein Bündel armer
Blumen in meiner Hand . . . ich öffne sie . . .

Villarceaux. Ninon!

Ninon.                       So glaubt mir doch: es ist vorüber!
Sprächt Ihr dies Wort [und einmal sprächt Ihrs sicher],
So müßt ich Euch verlieren: ganz verlieren,
Und seht, das möcht ich nicht: Ihr seid mir wert!
Schon viele gingen so durch meinen Garten,
Wie Ihr getan, doch wenigen ward dies:
Mir Freund zu sein. Sehr wenigen. Ihr wißt:
Es ist die höchste Gunst in meinem Herzen . . .
    (lächelt)
Als Freundin bin ich tugendsam und treu! . . .

Villarceaux. Man betet Eure Freundschaft an, Ninon,
Ich weiß . . . und dennoch raubt Ihr einen Himmel!

Ninon. Im Himmel ist man keusch, Marquis, und sittsam . . .
Ich raub ihn nicht . . . ich biet ihn Euch . . . Ihr seht!
Heut ist mein Namenstag, man tanzt dort drinnen . . .
Geh ich hinein, so bin ich Königin
Von tausend Wünschen, welche glühend bitten,
Von Huldigungen, Schwüren, süßen Schmeichelein.
Und seht, dies alles gilt mir heute nichts,
Heut brauch ich einen Freund, Marquis! Hört Ihr?
Der Treueste, Saint Evremond, ist fort,
Der Herzog von La Rochefoucauld liegt krank
Zu Bett, und Molière . . . liest mir seine Verse . . .
Sonst nichts! Ich brauche einen Freund, Marquis . . .
Fast möcht ich sagen, daß ich einsam sei.

Villarceaux (stürzt sich über ihre Hand).
Ninon, ich bin Euch völlig hingegeben!

Dritte Szene

Die Tür des Pavillons öffnet sich, Marion de Lorme tritt auf die Rampe hinaus, hinter ihr der junge Marquis von Sévigné

Marion. Wie kühl! Ich bitt Euch, gebt mein Tuch, Marquis.

Ninon (ruft). Marion!

Marion.                     Bist dus? Kind, wir suchten dich!

Ninon. Doch wer steht hinter dir? Es ist so dunkel.

(Sie steigt einige Stufen hinauf Marion ergreift ihr Kleid und zieht es in die Breite.)

Marion. Ich wollte eigentlich . . . dich raten lassen!

(Der Marquis von Sévigné tritt hervor und beugt sich auf Ninons Hand.)

Sévigné. Erlaubt, daß ich die schöne Hand Euch küsse!

Ninon. Marquis von Sévigné'! Seht . . . dieses freut mich.
Dies freut mich wirklich! Kommt, Ihr dürfet mir
Die Hand noch einmal küssen. Beide Hände.
Doch Eure Mutter?

Sévigné.                       Frau von Sévigné
Erlaubte mir – nicht gern – Euch zu besuchen.
Sie fürchtet Eure Schönheit sehr . . . und Eure
Gedanken über Liebe, wie sie sagt.
Doch meinte sie, ich müßte in die Welt,
Die große Welt nun treten. Euer Haus,
So sagte sie, sei angefüllt davon . . .
Und so erlaubte sies.

Ninon.                             Marquis, ich stritt
Sehr oft mit Eurer Mutter über Liebe . . .
Doch konnte sie mich niemals überzeugen.
Und große Welt, die findet Ihr bei mir!
Saht Ihr Molière und La Fontaine?

Sévigné.                                               Sie spielten
Im vordren Saal.

Ninon.                       Das heißt, daß Molière schlechter
Und La Fontaine sehr guter Laune ist.
Doch meine Schönheit! Seht, Marquis – ich glaube,
Wir laufen nicht Gefahr. Mein Herz ist nämlich
Ein wenig müde jetzt im Herbst. Doch sollte –
Ihr wißt, daß hierin niemand sicher ist –
Sollte uns irgendwie ein süßer Taumel
Den Sinn verwirren – nun, so wollen wir,
Nicht wahr, Marquis, wir wollen dann mit Mut
Und ohne Tränen dieses schlimme Schicksal
Leben! (Sie reicht ihm die Hand, die er küßt.)

Marion.     Du süße Ninon! (küßt sie.)

Vierte Szene

Zwei Diener kommen im Streit mit einem Hauptmann der reitenden Garde von rechts.

Hauptmann.                         Teufel, schert
Euch hinweg, sag ich, vorwärts!

Villarceaux.                                     He! Was gibt es?

Ninon. Wer lärmt dort so?

Diener.                               Hier dieser Hauptmann von der
Garde der Königin kam vor das Haus
Mit einer Handvoll Leute, die zu Pferd,
Und einem Wagen, und er dringt darauf,
Euch gleich zu sprechen, Herrin.

Ninon.                                                 Mich?

Hauptmann.                                                 Die Dame
Ninon von Lenclos such ich auf Befehl
Der Königin.

Ninon.               Das bin ich. Sprecht.

Hauptmann.                                       Ich habe
Hier dieses Blatt zu reichen, schönste Dame!

Ninon. Gebt her.

(Sie liest hastig und bestürzt. Marion und die beiden Marquis beobachten sie mit Unruhe.)

Sévigné.               . . . Es scheint, daß Ihre Majestät
Euch übelwill!

Ninon (stampft auf)   Oh, dies ist unerhört!
Ganz unerhört! Das hätt ich nicht erwartet,
Daß königlicher Haß so jedes Maß
Verlieren kann!

Villarceaux.           Was ist es, Ninon?

Marion.                                                 Sagt!

Ninon. Ich wills euch lesen! Hört:
                                                  »Der Dame Ninon
Von Lenclos wird Befehl, ganz unverzüglich
Im sichren Schirme dieses Hauptmanns meiner
Garde und seiner Leute sich nach Passy
Hinzubegeben in mein Graues Kloster
Für Mädchen, welche reuig sind, und dort
So lange zu verbleiben, bis wir uns
Des Weiteren entschlossen haben.«

Marion.                                                   Gott!

Villarceaux. Die Königin vergaß sich doch ein wenig!

Marion. Was soll man tun . . . ich will den Marschall rufen!
    (Sie schickt sich an, die Treppe hinaufzueilen.)

Ninon. Nein, Marion. Bleib! (zum Hauptmann)
                                        Wenn ich mich weigre, Herr,
Habt Ihr Befehl, Gewalt . . .

Hauptmann.                             Dies ist in meinem
Auftrag nicht vorgesehen, schöne Dame,
Ich müßte neue Order holen.

Ninon. (mit unbändigem stolzen Trotz)   Ah,
Dann geht und saget dies der Königin:
Ich ließ mit schuldigem Respekt vermelden,
Daß ich nicht Mädchen und nicht reuig sei
Und drum ein Recht auf Wahl mir vorbehielte,
Und diese sei: die großen Cordeliers!
    (Leicht)
Wird sie gebilligt, mögt Ihr mich geleiten.

(Der Marquis von Villarceaux und Marion fahren bei dem Klosternamen zusammen, der Hauptmann verneigt sich.)

Hauptmann. Sehr stolz und witzig seid Ihr, schönste Dame!
Ich werde Eure Worte melden lassen. –
    (Ab.)

Marion. Ich bitt dich, Liebe, war dies klug?

Villarceaux.                                                   Es wird
Die Königin zu Ärgrem reizen, Ninon!

Ninon. O nein, ich kenne sie! Es lag ihr nur
An der Beleidigung. Wie könnt sies wagen,
Wie könnte sie! . . . Bedenkt es doch! Ich bin
Gewiß, daß es nur eitle Drohung war. (Lächelnd)
Ihr seid bestürzt, Marquis von Sévigné?
Und Ihr, mein Freund, und du . . . Mein Gott, so denkt doch!

Sévigné (betreten).
Ich weiß, die Königin sprach oft von Euch
Mit Zorn zu meiner Mutter, und ich fürchte,
Ihr Haß ist jetzt zum Äußersten bereit . . .

Ninon (lächelnd, spielerisch).
Vielleicht, vielleicht, wir müssen warten, Freunde!

Villarceaux (ausbrechend).
Ich bitt Euch, Ninon, kommt mit mir, verlaßt
Paris auf eine Weile!

Ninon.                             Freund, ich ging
Noch niemals einer Sache aus dem Weg!
Auch diesmal dieser nicht! Wir bleiben hier! –
Und schweigen jetzt davon, nicht wahr! Auch drinnen!
Marion, ich bitte, hörst du! Laßt uns ruhig
Den Abend feiern, so, als ob dies nicht
Geschah und morgen . . . Gott, wenn ichs bedenke . . .
    (Lächelnd)
Im letzten Grunde ängstigt es mich wenig,
Auch eine Zeit in einem Kloster zu
Verbringen! (Lacht) Kommst du mit mir, Marion, kommst du?

Sévigné. Wie wundervoll wißt Ihr das Leben zu
Besiegen!

Marion (küßt Ninon).
                Ninon, Gute!
    (Sie läßt ihre Hände auf Ninons Schultern und wendet den Kopf zu Villarceaux)
                                      Herr Marquis
von Villarceaux, wollt Ihr mir Euren Arm
Zu einem Gang durch Ninons Garten leihn?
Wir wollen doch noch etwas uns beraten!

Ninon. Verzeih, doch Villarceaux und ich, wir beide
Philosophierten grade, als ihr kamt,
Und sind noch nicht zu Ende . . .

Marion (lachend).                               Über Liebe?

Ninon (abweisend).
Nein, über Freundschaft, Marion.

Sévigné.                                               Darf ich, – wenn Ihrs
Erlaubt, von Villarceaux, statt Eures meinen . . .

(Er bietet Marion den Arm.)

Ninon (lachend).
Bravo Marquis! Beim Namen unsres jungen
Königs, so war es recht! Ihr werdet bald
Im schönen Dienst der Damen – Muster sein!

Marion. Ich nehm ihn gerne, Euren Arm! Doch schreitet
Langsam mit mir, die dunklen Wege Ninons
Sind fast gefährlich . . .

Ninon (ruft).                       Marion! Wo ist Plessys?
Kamst du allein?

Marion.                     Ich kam allein heut abend . . .
Ein Herz wird müde, Lieb. Im gleichen Wehen,
Das lau und sanft mit schlaffen Segeln spielt,
Sehnt es sich fort nach Wind und Abenteuer.
Ich kam allein! Hier diesen Weg, Marquis.

(Sie biegen in den rechten Seitenweg ein.)

Fünfte Szene

Ninon bleibt an das Geländer gelehnt und sieht ihnen nach.

Ninon. Die gute Marion . . .

Villarceaux.                         Ninon . . . Ihr befahlet . . .?

Ninon (lächelnd, wehmütig).
Daß Ihr ein wenig noch bei mir verweilt,
Mein Freund, denn Ihr vergaßet zu bemerken,
Daß Ninon traurig ist. Gebt Euren Arm.
    (Sie gehen.)
Vielleicht ists Lüge, daß ich traurig bin,
Mein Freund. Doch lustig bin ich nicht. Seltsam
Verwirrt ist mein Gefühl und Wissen von
Mir selber. (Sie beugt sich aufs Gras.)
                  Seht – ein Glühwurm. Legt ihn in
Mein Haar.

Villarceaux.     Kommt.

Ninon.                           Glüht er? – Freund, mir ist seit vierzehn
Tagen wie einer Braut am Hochzeitstag
Oder wie einer alten Frau im Traum. –
Ich will Euch eine witzige Geschichte
Erzählen . . .

Villarceaux.       Weint Ihr, Ninon? Seht, Ihr fröstelt . . .

Ninon. Nein nein, mein Freund. Wann weinte Ninon! – Kommt,
Wir wollen sitzen.
    (Sie setzt sich auf die Marmorbank links.)
                              Eine witzige
Geschichte will ich Euch erzählen, lacht,
Denn sie ist traurig. Oder weint! Und hört
Gut zu, mein Freund, es könnte sein, daß ich
Diese Geschichte Euch einmal nur erzähle . . .

Villarceaux. Wie seid Ihr doch erregt . . .

Ninon.                                                       Vor vierzehn Tagen
Ging ich ins Haus Bourgogne. Man gab Molière.
Ich trug dies helle Kleid, das Ihr so liebt,
Doch hatt ich allen Schmuck mir angetan
Und vieles Gold mir in mein Haar geflochten.
Ich kam ein wenig spät, man spielte schon.
Und wie nun meine Blicke durch den Saal
Hinschweiften, trafen sie auf einen jungen
Mir unbekannten Mann. Er lehnte drüben
An einem Pfeiler, und er sah mich an.
Er war nicht ganz so groß wie Ihr und hatte
Rotblondes Haar und Augen, groß und schwarz,
Und sah mich an. Dies war nicht seltsam, Freund,
Wie dünkt Euch? Seltsam nicht. Nein, ganz natürlich.
Und dieser fremde Knabe war sehr schön . . .

Villarceaux. Bei allen Himmeln, Ninon, Ihr seid grausam!
Schenkt mir das Ende der Geschichte.

Ninon.                                                         Freund,
Ja gäb es eines, das zu schenken wäre!

Sechste Szene

Marion und der Marquis von Sévigné kommen aus dem Seitenweg und steigen die Treppe zum Pavillon hinauf.

Ninon. Laßt sie vorbei!

Marion.                         Ihr müßt das recht verstehn,
Marquis, so große Leidenschaft steht nur
In Büchern, die man heute nicht mehr liest,
Doch damals sprach der Herzog so zu mir,
Denn spanisch war die Mode. Auch in Frankreich.

Sévigné. Man sagt, er habe nach dem Ruhm von Rocroi
Die Lorbeern sich von Ninons weichen Händen
Hinlegen lassen, um darauf zu ruhn!

Marion. Ja, das ist wahr. Doch Ninon wards zum Leide . . .
Der starke Held war . . . allzu schöpferisch.

Sévigné. Ihr meint . . .

(Sie treten in den Pavillon.)

Siebente Szene

Ninon.                         Ich sagte, daß der Knabe schön war.
Und er war jung . . . So jung, daß alle Flammen
Rings an den Kerzen sangen vor Entzücken
Und niederzuckten auf sein lichtes Haar.
Und etwas Fremdes hing an ihm, als sei
Sein Blut nicht heimisch hier bei uns, den Leichten,
Die mit dem Leben spielen, so, als seis
Ein Ball. – Es lag ein Ernst auf seinem Antlitz,
Als seien die Gedanken ihm weit mehr
Wie Seifenblasen, drin die Welt sich spiegelt.
Wahrlich, er war ein Knabe und ein Mann!
Mir fuhr ein warmer Hauch so durch die Adern,
Daß all mein Blut zu einer Welle schwoll,
Die wohl ihr Ufer kannte. – Schmerzts Euch, Freund?!
Voreilig seid Ihr. Wartet noch ein wenig.
Man fing zu tanzen an, und er war fort.
Nach Tagen ging ich wieder hin und sah
Ihn bald im Saal. Er trug den Arm, den linken,
Hängend in einem Tuch und schien mir bleich.
Und wie es kam und ging, das weiß ich nicht,
Mich trieb ein unbeschreiblich zärtliches
Gefühl, schnell trat ich hin und fragte: Sagt mir,
Seid Ihr verletzt, traf Euch ein Unfall?
                                                              »Fräulein,
Mich biß mein Pferd, als ich ihm gar zu lang
Des Nachts beim Fenster einer Dame stand.«
So sprach er kühl . . . und wandte sich . . . und ging . . .

Villarceaux. An seinem Arm erkenn ich ihn, es ist
Vicomte von Villiers.

(Ninon fährt starr in die Höhe und steht einen Augenblick wie benommen da. Dann tut sie einige Schritte auf den Marquis zu und fragt mit ungeheurer gespannter Erregung)

Ninon.                               Welchen Namen nennt Ihr?!

Villarceaux. Der Graf von Villiers wars. Er kam im Stab
Des Prinzen aus den Niederlanden nach
Paris.

Ninon (mit bebendem Erstaunen).
            Vicomte von Villiers! Mit dem Prinzen!
    (Ausbrechend)
Gott, das ist ungeheuerlich. Ihr irrt Euch!

Villarceaux (verwundert).
Ich traf ihn im Gemach der Königin . . .

Ninon (setzt fast schreiend ein, dann wird ihre Stimme allmählich flehend und füllt sich zuletzt mit Tränen).
Ihr irrt, daß dieser schöne Knabe, den
Ich sah, Vicomte von Villiers heißt und mit
Dem Prinzen kam. Es ist unmöglich! Hört,
Ich sage Euch, daß es unmöglich ist!
So sprecht und sagt, Ihr irrtet Euch,
Mein lieber Freund, sagt schnell: Ich irrte mich.

Villarceaux. Wie seid Ihr außer Euch! – Nein nein, denn Ihr
Beschriebt ihn ganz genau, es ist der Graf . . .

(Ninon biegt den Kopf in den Nacken und spricht nach einer kurzen Stille tonlos und flüsternd)

Ninon. Gaston-Robert Florien, Vicomte von Villiers.

Villarceaux (unsicher).
So wißt Ihr mehr von ihm . . . sagt mirs, ich bitte . . .

Ninon (ausbrechend).
Was tut sein Name Euch, mein Freund! Ich kenn ihn!
Oh, dieses ist nicht auszudenken!

(Sie wirft sich auf die Bank und verbirgt ihren Kopf in ihren Armen. Der Marquis tritt leise zu ihr und fragt ergriffen und bestürzt)

Villarceaux.                                           Ninon! . . .
Hab ich Euch irgendwie erschreckt? Verzeiht . . .

(Ninon hebt den Kopf und ihr Gesicht füllt sich allmählich mit einem wehen Lächeln.)

Ninon. Wie meint Ihr, Freund? – Es kam ein wenig schnell,
Daß dieser Name mir entgegentrat.
Doch will ich lernen. Oh, wie will ichs gerne
Für diesen Knaben tun. Versteht, mein Freund,
Ich denk an ihn . . .
Und seh ihn vor mir, wie er stand und sprach . . .
    (Mit wachsender Leidenschaftlichkeit)
Und brenne vor Verlangen, nachts an seinem
Bett dazusitzen, seinen Arm zu hüten,
Die heiße Stirn mit feuchten Tüchern ihm
Zu kühlen, Lieder ihm zu singen für
Den Schlaf, das Licht zu dämpfen und zu wachen,
Bis daß er wieder wach – wie wollt ichs gern!
    (In äußerster Erregung)
Ja . . . lacht Ihr nicht, mein Freund? So lacht doch nur!
Ich finde mich ein wenig lächerlich!
Oder habt auch Geduld mit mir, es geht
Gewiß vorüber! – Seht . . . ich werde alt!

Villarceaux. Verworren hör ich Euren Worten zu
Und ahne schaudernd fast ein ungeheures
Und nicht gemeines Schicksal, das Euch traf.

Ninon (fest).
Nicht tragisch werden, Freund! Das schickt sich nicht! . . .
Mir fuhr ein Knoten in die Hand zurück,
Den einst mein Leben schlug – und den ich fast
Vergaß. Ich werd ihn eine Weile halten,
Dann schnurrt das Seil – die Hand wird kaum den Druck
Nachfühlen – und es ist vorbei! (wehmütig) Wir leben
So leicht, mein Freund!

Villarceaux.                         Doch sagt mir, Ninon, bitte,
Ich weiß nicht, ob ich Euch auch ganz verstand . . .

Ninon (schwingend).
Noch mehr? O nein, ich hasse Deutlichkeiten!
Habt Ihr noch nicht genug? Ich sollte meinen!
Auf, auf, Marquis, wir wollen lustig sein: –
Das Leben ist ein Spiel . . . mit ernsten Dingen.

Achte Szene

Marion kommt auf die Rampe hinaus und ruft

Marion. Ninon!

Ninon.               Ja Marion ja, ich komme nun!

Marion. Die Sarabande! Alle warten wir
Auf dich! Du mußt sie tanzen!

Ninon (auf der Treppe, fast bacchantisch).   Gott, das ist
Das Rechte! Tanzen! Kommt, Marquis, ich will Euch
Heute die Sarabande tanzen, wie Ihrs
Noch nie gesehn! Man sagt, ich tanze gut,
So kommt und schaut mir zu! (Zu Marion)
                                                Laß mich voran!

(Beide gehen in den Pavillon, gleichzeitig setzt die Sarabande ein. Von rechts kommt in größter Eile ein Diener und steigt zum Pavillon hinauf.)

Villarceaux. Wie wunderlich war dies, wie seltsam Ninon . . .
Verliebt und mütterlich . . . (ruft dem Diener nach)
                                            Was gibt es? He!

Diener. Ein Offizier der Königin steht vor
Dem Tor und wünscht die Herrin gleich zu sprechen.
    (Will weitergehen.)

Villarceaux. Des Nachts? Hast du gesagt, daß sie ein Fest
Und Gäste hat?

Diener.                   Ich sagt es.

Villarceaux.                               Gut, so geh
Und melde, aber leise, hörst du, leise!

(Der Diener geht in den Pavillon, Villarceaux steigt die Treppe hinauf.)

Die arme Ninon! Königlicher Zorn
Scheint unerbittlich. Niemand warnte mich . . .

Neunte Szene

Die Tür des Pavillons wird mit großer Hast aufgeschlagen, und Ninon stürmt mit einem Teil ihrer Gäste in äußerster Erregung auf die Rampe hinaus. Auch der alte Marschall d'Estrée ist bei ihr.

Ninon. Kommt alle mit mir! Kommt! (Zu Villarceaux)
                                                      Habt Ihr gehört,
Anna von Österreich hat eine neue
Schmach mir ersonnen.

Villarceaux.                         Seht, ich warnte Euch.

Erste Dame. So habt Ihr sie erzürnt?

Marion.                                                 Sie kann es nicht
Verzeihn, daß Ninons Leben anders lief
Als ihres einst mit Herzog Buckingham.

Ninon. Vernehmt es denn, daß Ihre Majestät
Anna von Österreich, Regentin Frankreichs,
Gendarmen zu mir schickte, hier vor dieses
Haus, in verfloßner Stunde, mit Befehl,
Mich schleunigst fortzuführen in ein Kloster
Reuiger Mädchen . . .

(Bewegung unter den Gästen.)

Erster Herr.                     Welch ein toller Einfall!

Zweiter Herr. Man sollte ihn dem jungen König melden.

Zweite Dame. Bravo!

Marion.                       Wer tuts?

Erster Herr.                                 Ich!

Dritte Dame.                                       Doch was ward daraus?

Ninon (zornig).
Ich ließ mit schuldigem Respekt vermelden,
Daß ich das Recht der Wahl mir vorbehielte!

d'Estrée. Wie stolz, wie stolz, Verehrte!

Zweite Dame.                                         Nun . . . und jetzt?

Ninon. Kommt wohl die Antwort! (Zum Diener)
                                                  Geh und bring den Boten.
    (Ängstlich und erregt)
Hier will ich bleiben, und ihr bleibt bei mir!
Nicht wahr, ihr bleibt doch alle dicht bei mir?!

(Sie wendet sich zum Marschall d'Estrée und fährt mit weicher Liebenswürdigkeit fort)

Nur Ihr, Herr Marschall . . . wenn es Euch verdrießt,
Daß grad bei dieser Sache wer Euch sieht
Und dann bei Hofe schwatzt, so geht hinein . . .
Es kränkt mich nicht . . .

d'Estrée.                               Ich bitt Euch, Ninon! Nein.
Ich will mich mehr nach vorne stellen. So!

Ninon. Das dank ich Euch! (lächelt) Ihr seid galant!

Sévigné.                                                                     Er kommt!

Marion.                                                                                         Still!

Zehnte Szene

Vicomte von Villiers, den linken Arm in der Binde, kommt von zwei Dienern mit Stocklaternen geleitet, den Hauptweg entlang bis an den Fuß der Treppe, wo er sich tief verneigt und, mit der rechten Hand über seinen Kopf nach der linksseitigen Krempe fassend, den Hut in einem großen ruhigen Bogen vom Haupte nimmt.

Ninon. Vicomte von Villiers . . . Ihr! – Fast könnte dies
Mich schmerzen!

Villiers (leicht aufbebend).   Könnt es das, mein Fräulein?! Doch ich
Bin Bote nur, weil eine gute Nachricht
Zu bringen war. Erlaubt, daß ich sie melde:
Wie Euch bekannt, beliebts der Königin
Bisweilen abends nach dem Mahl in ihrem
Schlafzimmer noch zu plaudern. Wenigen
Erweist sie diese feine Gunst. So heute.
Ich nenne nur den Prinzen, meinen Herrn,
Die Königin von Schweden, welche jetzt
Bei Hof zu Gaste ist, die Frau von Motteville,
Den Kardinal und Fräulein von Manzini.
Und es geschah, daß Euer Name fiel.
Da wandte sich die Königin und sagte
So laut, daß jedermann es hören mußte:
Der Prinz von Frankreich, welcher Euch gekannt,
Als er noch Herzog von Enghien sich nannte,

»habe ihr eben so viel Gutes und Schönes von Euch erzählt, daß sie es aufrichtig bedauern müsse, einer so allgemein geschätzten und bewunderten Persönlichkeit Ungelegenheiten bereitet zu haben.«

Der Prinz von Frankreich, der mein Herr, rief schnell:
Man müsse Sorge tragen, daß Euch diese
Gütigen Worte auch zu Ohre kämen,
Und sah mit so viel Absicht ringsumher,
Daß ich hervortrat und um gnädige
Erlaubnis bat, das Zimmer zu verlassen.
Sie ward erteilt, denn Ihre Majestät
Die Königin war nun so gütig, noch
Zu äußern: ungern wüßte sie sich Feinde.

Erste Dame. Wie schön ist solche Größe der Gesinnung!

Villiers. Die Majestät von Schweden, Königin
Christine, rief mich dann: Ich sollt Euch grüßen.
Sehr gern und oft erinnre sie sich Eurer
Und des Gesprächs, das sie mit Euch gehabt,
Und sendet Euch mit ihrer Gunst dies Tuch.

(Er reicht ein kleines Spitzentaschentuch hinauf. Ninon nimmt es mit einer starren Bewegung des Arms und läßt ihn wieder hängen. Villiers tritt rückwärts zurück – es entsteht keine Pause.)

Es sei ein nordisch Muster, das sie selbst
An langen Dämmerabenden gestickt
Und herzlich gern von Euren schönen Händen,
So sagte sie, gestreichelt wissen möchte. –

(Ninon bleibt unbeweglich, Villiers verbeugt sich)

Mein Auftrag ist zu Ende, Fräulein.

Ninon.                                                     Deutet,
Herr Graf, mein Schweigen mit der großen Freude
An dieser Botschaft. (Lächelt) Seht, ich bin noch ganz
Verwirrt. Hier stand ich voller Furcht vor rauhen
Worten aus rauhem Mund – und dann kamt Ihr . . .
In solcher Sendung. Herzlich freut es mich,
Daß Ihre Majestät so huldvoll war,
Den Irrtum Ihrer Meinung einzusehn.
Es ehrt mich auch. – Ich werde streben, daß
Die Königin von meiner tiefempfundnen
Erkenntlichkeit erfährt. Herr Marschall, bitte,
Nicht wahr, Ihr sprecht gelegentlich davon . . .
Es ziemt sich nicht, daß ich unmittelbar
Der Antwort mich erkühne. Meiner hohen
Zärtlich verehrten Gönnerin Christine
Von Schweden schreib ich selbst. – So bleibt
Nur noch der Bote zu bedanken. Graf
Von Villiers, wollet die Gelegenheit
Nicht rauben! Heute feiert man ein Fest
Bei mir . . . darf ich Euch bitten zu verweilen?

Villiers. Wenn Ihrs erlaubt, mein Fräulein, tu ichs gern!

(Ninon steigt zu ihm herab, die Diener stoßen die Stocklaternen in den Rasen und entfernen sich.)

Ninon. Seid mir willkommen, lieber Graf. – Ihr findet
Wohl auch Bekannte unter meinen Gästen.
Den andern will ich Euch noch einmal nennen:
    (mit erhobener Stimme und einer großen Armbewegung)
Der Graf von Villiers!

(Der Graf verneigt sich vor den Gästen und diese, außer dem Marschall d'Estrée und Villarceaux, vor ihm. Dann kommen einzelne Gäste herab und umdrängen Ninon. D'Estrée reicht dem Vicomte die Hand, Villarceaux verneigt sich kühl vor ihm.)

Marion.                               Liebe Ninon, sieh,
Ich freue mich! (umarmt sie.)

d'Estrée.                 Seid herzlich auch von mir
Beglückwünscht. Dieses flicht ein schönes Blatt
In Eure Kränze, Ninon.

Ninon. (reicht ihm die Hand)   Werter Freund.

Sévigné. Erlaubt! (küßt ihr die Hand.)

Erste Dame.         Wie gnädig hat die Königin
Die frühre Strenge Euch versüßt, wie huldvoll!

Ninon. Ich dank Euch. – Allen. Ja, ihr freut euch mit mir.
Ich weiß. Das macht mich doppelt froh. Doch laßt
Nun unsre Freude in die Tänze fließen,
Die dies Ereignis stürmisch unterbrach.
Wir können sie nicht schöner nützen, Freunde!
Öffnet die Tür, Marquis von Villarceaux!

Sévigné (reicht Marion den Arm).
Ich bitte, Fräulein, kommt! (ruft innen) Musik!

(Die Gäste gehen langsam in den Pavillon.)

Ninon.                                                                     Und jemand
Verkünde auch im Spielsaal, was sich hier
Ereignet, sonst erzürnen wir sie bitter!
    (Zu Villarceaux, welcher als letzter wartend an der Tür bleibt)
Ich komme, Freund!

(Villarceaux geht hinein und schließt die Tür.)

Elfte Szene

Ninon wendet sich und tritt dicht vor den Vicomte. Ihre Stimme und ihre Bewegungen haben zunächst etwas Scheues, Zages, Tastendes, fast Mädchenhaftes.

Ninon.                             Herr Graf von Villiers, Euch
Möcht ich nun danken. Euch! –
    (Sie streckt ihm zag die Hand entgegen.)
                                                    Küßt mir die Hand!
Und was macht Euer Arm? Habt Ihr noch Schmerzen?

Villiers. . . . Wie gütig seid Ihr doch um ihn besorgt . . . Nein.
Ich darf ihn schon bewegen.
    (Er nimmt den Arm aus der Binde.)
                                                Da!

Ninon.                                                   So gebt
Mir diese Hand. Hier biß das Pferd? Hier oben,
Nicht wahr? Das garstige Tier, wie konnt es! Pfui,
Es muß ein böses Tier gewesen sein.
Ihr habt es hoffentlich gewechselt, Graf ?

Villiers. O nein, dies Pferd und ich sind alte Freunde,
Ich bracht es nach Paris aus meiner Heimat.
Es war bisher mein bester Freund, mein Fräulein!

Ninon. Und dennoch biß es Euch, wie seltsam – Sagt,
Herr Graf, Ihr kamt mit unsrem Prinzen nach
Paris und teiltet vordem die Verbannung?

Villiers. Ich bin seit einem halben Jahr im Dienste,
Fräulein. Als ich die Niederlande kaum
Erreicht, versöhnte sich der Prinz mit der
Regentin – und wir sattelten die Pferde.

Ninon. Doch früher? – Seht, Herr Graf, wenn Ihr die Kühle
Nicht fürchtet und der Tanz nicht allzusehr
Euch lockt, wär ich Euch dankbar, wolltet Ihr
Hier bei mir bleiben und ein wenig mir
Von Euch erzählen. Diese Nacht ist schön
Und klar. Vielleicht die allerletzte, die uns
Noch Sterne zeigt. Kaum spürt man Tau im Gras.
Seht: meine Hand blieb trocken. Wollt Ihr, Graf?

Villiers. Wie gütig sprecht Ihr doch zu mir, mein Fräulein . . .
Kaum kann ich glauben, daß Ihr ernstlich wünscht,
Von meinem Leben etwas zu erfahren.
Auch wüßt ich nicht, was drinnen reizvoll war!

Ninon. Doch doch! Ihr müßt es tun. Dies ist ein Zoll,
Den ich von neuen Freunden stets erhebe . . .
Ihr spracht von Eurer Heimat. Liegt sie fern?

(Sie setzt sich.)

Villiers. Ich wuchs im Norden auf, in einem Schloß
Der Normandie. Von meinen Eltern weiß ich . . .
Doch sagt, mein Fräulein, sagt mir, ists Euch Ernst?
Mir ist so sonderbar, daß einer kommt
Und mich nach meinem Leben fragt. Was liegt
Euch dran . . . und mir wirds schwer, davon zu sprechen.

Ninon. Doch bitt ich Euch! Ist es so hart, die Laune,
Die eine schöne Frau uns merken läßt,
Zu stillen? Lieber Graf, man sei galant!

Villiers. Nun spottet Ihr! O sprecht wie früher. Fühlet,
Daß Eure Güte mich bestürzt. Noch niemals
Sprach eine Frau zu mir, wie Ihr heut abend
Sprachet und neulich abend. Glaubt, daß wenn
Ich zögre, dies nicht Kälte ist. Glaubt mir.
Ich will mein Leben vor Euch niederlegen,
Wie ein Verkäufer einen Teppich breitet,
Doch fürcht ich sehr, es ist nicht weich genug.

Ninon. . . . Nun seid Ihr liebenswürdig, Graf.

Villiers.                                                           Ich sagte,
Daß meine Eltern nicht von mir gekannt.
Als ich ein Knabe war, glaubt ich sie tot . . .
Und meine Mutter ist es wohl. – Vielleicht.
Sie war mit meinem Vater nicht verbunden
Durch ein Gesetz. Dies weiß ich nun . . . und darum
Ward ich, wie's solche Kinder sind, recht einsam.
Ob ich vermute, wer mein Vater ist . . .
Wollet nicht fragen . . . Nennen werd ich ihn
Wohl niemals so – da ist es einerlei.
Still wuchs ich auf, gehütet von bestellten
Hütern.

Ninon.         Von diesen sprecht mir, Graf. Erzählt
Mir viel . . .

Villiers.             Versteht: sie waren freundlich stets
Mit mir und sorgten gut für mich, doch etwas
Fehlte in meinem Leben, das ich nicht
Zu nennen weiß. Ihr wißt, daß Kinder seltsam
In ihrem Fühlen sind . . . Oft wacht ich weinend
Des Nachts in meinem Bette auf und sehnte
Mich so nach irgend etwas, daß ich schrie
Und um mich biß, wenn wer mir nahen wollte.
In andren Nächten lag ich reglos da
Mit offnen Augen, und am andren Morgen
Fand sich, daß meine Kissen oft so naß
Von Tränen waren wie ein Tuch, das man
Im Fluß gefischt. Dann wieder hatt ich Träume
Voll wilder Seligkeiten, und Gesichte,
Die meine Wangen heizten wie im Fieber. –
Doch schrecklich war nun morgens das Erwachen,
Mein Gott, wie schrecklich war der gleichen Tage
Endlose Kette, als ich älter ward.
Ich weinte seltner, hatte keine Träume
Und fühlte alle Dinge wie umflossen
Von einer dumpfen Bangigkeit und Trauer
Um etwas, das gewesen oder das
Noch kommen sollte. Kennt Ihr Alpe, da man
Laut ruft und keine Stimme hört, nach etwas
Fassend ins Leere greift, in tote Luft,
Schreitend nicht vorwärtskommt und endlich vor
Entsetzen, Qual und namenlosem Schauder
So aufschrein will, daß fast der Schädel birst,
Und dann die eigne Stimme meilenfern
Wie einen Hilfeschrei und Todesruf
Verhallen hört? So schien mir damals dieser
Mein eigner Leib tief in sich selbst verbannt
Zu sein und um ihn eine große Leere,
Drin Schemen schwankten so wie stumme Fische.
Dann kam die Zeit, wo man mir Waffen gab
Und auch mein Pferd . . .
                                        Um Gott, mein Fräulein, weint Ihr?

Ninon. Ich höre Eure rührende Geschichte
Und denke allerlei . . .
    (mit leidenschaftlicher Innigkeit)
                                    Nicht wahr, nun liebtet
Ihr Euer Pferd, und preßtet Euren Kopf
An seinen braunen Hals; und Euren Degen,
Den stelltet Ihr des Nachts an Euer Bett
Und träumtet von Gefahr und Abenteuer,
Einsam in Eurem keuschen Knabenbette!?

Villiers. So tat ich wirklich, Fräulein!
    (Er schrickt auf und wendet sich nach den Büschen um.)

Ninon.                                                   Graf, was habt Ihr?

Villiers. Mir war . . . als rühre jemand hinter uns
An diese Zweige.

Ninon.                       Nein, Ihr täuschtet Euch.

Villiers. Mir ist so seltsam schon die ganze Zeit,
Als wäre irgendwo ein Dritter noch
Und hört' uns zu.

Ninon.                       Nein, nein, mein lieber Graf,
Wir sind hier ganz allein, allein hier vor
Einander, ich und Ihr, und niemand hörte Euch.
Es knistern wohl die Zweige nur . . . Mein Gott,
Wie war mein Leben anders als das Eure . . .
Dieweil Ihr weintet nachts in Eurem Bett,
Hab ich gelacht. Die ganze Welt war mir
Ein lichter Garten voller süßer Früchte,
Die ich nach Lust gepflückt, gekostet und
Nach Lust verworfen habe . . . Graf, wie schmerzlich
Ist doch von zweien Leben der Vergleich,
Wenn sie einander so verschieden waren,
Wie Eures hier und wie das meinige.

Villiers. Ja, Euer Leben, Euer rauschendes
Lebendiges, wie träumt ich damals doch
Von Eurem Leben und von Euch in süßer
Verschwiegner Knabentrunkenheit, wie war
Mir Euer Name doch ein großes Wunder
Voll Glanz, Geheimnis und voll Lieblichkeit.

Ninon. Was sprecht Ihr? Wußtet Ihr denn irgendwie
Von mir, als Ihr ein Kind, ein Knabe wart?

Villiers. Wenn ich des Abends müd nach Hause kam
Von Jagd und Ritt und eingebildeter
Gefahr, ging ich sehr oft im Schloß hinab
In einen Saal, wo das Gesinde saß.
Zwar fühlt ich jene Menschen so wie fremde
Mir nicht verwandte Tiere, doch ich liebt es,
Sie anzuschaun und ihnen zuzuhören.
Und einmal war da eine neue Magd,
Die wohl hier in Paris im Dienst gewesen,
Und diese sprach von Euch und sang beim Spinnen
Lieder, darinnen Euer Name wie ein Amen
Der Liebe jede Zeile süß beschloß.
Und diese Lieder priesen Eure Schönheit
Und Eurer Liebesabenteuer stolze
Berühmte Zahl wie Siege eines Königs.
Und diese Magd erzählte auch, daß Ihr
Nächst Anna von Bourbon die schönste Frau
In Frankreich seid, und klüger noch als alle
Frauen in Frankreich seid, und jeder Mann
Mit seinem Leib und seiner Seele Euch
Verfallen sei, so Ihr ihn angeblickt.

Ninon. Die Dichter fanden Stoff in meiner Jugend
Zu dummen Liedern, ja, ich weiß es.

Villiers.                                                     Fräulein,
Ich liebte diese dummen Lieder damals!
Mein Geist umgab Euch so mit Herrlichkeiten,
Daß Ihr wie eine Königin durch meine
Träume hinschrittet, stolz und märchenhaft,
Und Euer Name bald der Name wurde
Für was das Kind vermißt und was der Knabe
In scheuer namenloser Sehnsucht wünschte . . .

Ninon. Wie seltsam dies . . . mein Gott.

Villiers.                                                   Man sang ein Lied
Auf Euch, Ihr kennts gewiß, die grausame
Ballade von dem Rittersmann, der seine
Vielliebe Mutter schlug, da Eure Laune
Ihr Herz als Futter Eures Hündchens wünschte.
Und denkt, auch dies begriff ich! Ja, dies Opfer
Schien mir der schönste Sieg der Schönheit Ninons.
Mein Gott, wie fällt mir alles ein! – Einmal
Da kam ein Knecht von draußen in den Saal
Und neckte sich mit einem hübschen Mädchen
Um einen Kuß, und dieses rief im Scherz:
»Heilige Ninon, hilf mir.« Seht, mein Fräulein,
Am andren Morgen ritt ich dann zum Händler
Und suchte unter seinen frommen Bildern
Nach einer heiligen Frau, und diese kauft ich,
Hing sie zu Häupten an mein Bett und nannte
Statt ihres Euren Namen, wenn ich bat.

Ninon. Wie witzig wißt Ihr zu erzählen, Graf . . .
Dünkts Euch nicht seltsam, daß es nun so kam?
Daß Ihr hier bei mir sitzt und mir erzählt
Von einem Knaben, der von Ninon träumte . . .
Und dieser Knabe waret Ihr . . . wie seltsam . . .
Und ich bin Ninon . . .! (Lächelnd) Gott, das Leben ist
So sonderbar verflochten oft . . . Nicht wahr?
Doch lassen wir den Knaben nun mit seiner
Heiligen Dame, die mir wenig gleicht,
Mein lieber Graf – und sagt mir etwas von
Den Niederlanden.

Villiers.                         Als ich sie erreichte,
Schliff unser Regiment die Eisen, und
Man lebte nur dies eine Wort: Paris!
Und dieses Wort ergriff mich wie ein Fieber.
Ich sah und hörte nichts und dachte nur:
Paris! Paris! und träumte nur Paris!
Paris malt ich mir aus mit heißen Sinnen
Auf langen Ritten in der Mittagssonne;
Und wenn ich abends einschlief, war Paris
Der letzte Laut, den mein Bewußtsein fand.
Denn diese Stadt schien mir das Herrlichste
Auf Erden, banger Wünsche endliche Erfüllung
Und meines Lebens Sinn und Ziel zu sein.

Ninon (lebhaft).
Wie kann ich das verstehn, wie gut, wie gut!
In dieser Liebe, Graf, kenn ich mich aus.
Sagt mir . . . und welchen Eindruck machte Euch
Paris?

Villiers (sehr zart).   Paris! . . . ich sah nur Euch, nur Euch,
Mein Fräulein.

Ninon (lächelt).       Seht . . . wie höflich könnt Ihr sein . . .
Man merkt, daß Ihr von Hofe kommt, Herr Graf,
Geschickte Artigkeiten sind jetzt Mode!
Doch etwas Wahres ist daran, daß diese
Stadt und ich blutsverwandt und eines Wesens
In unsrem Herzen sind. Wir nehmen beide
Das Leben leicht und wie ein flüchtig Spiel.
Und dieses muß man uns zugute halten,
Mein lieber Graf, denn manchmal tun wir unrecht.
Gott, wir sind oberflächlich – dies Paris
Und ich! . . . Langweil ich Euch, mein lieber Graf,
Wollt Ihr nicht lieber tanzen, als hier draußen
Schwatzen mit einer alten Frau? – Auch ich
Bin drinnen eine Sarabande schuldig. –

Villiers (kurz und hart).
Ich danke, Fräulein, denn ich tanze nie. –
Ihr saht, ich tanzte auch in jener Nacht nicht,
Da mich mein Pferd vor Eurem Fenster biß.

(Ninon schnellt in die Höhe, mit zornigem Entsetzen)

Ninon. Seid Ihr besessen, Graf, vor meinem Fenster!

Villiers (leidenschaftlich).
Wißt Ihr es nun? Ich liebe Euch.

Ninon.                                               Schweigt still!

Villiers. Ich liebe Euch, und diese Kühnheit, daß ichs
Sage, erwürgt mich fast . . .

Ninon.                                       Um Gott, seid still!

Villiers. Ninon, ich liebe Euch . . .

Ninon.                                             So schweigt doch still,
Mein lieber, guter Graf.

Villiers.                                Seit ich Euch sah,
Mit aller Leidenschaftlichkeit des wachen
Durch Euch erweckten Lebens. Dies mein junges
Tosendes Blut hat immer Euch, nur Euch
Gekannt, als es noch schlief . . .

Ninon.                                               Mein Gott, mein Gott!

Villiers. Ja, rufet Gott, ich liebe Euch, und mich
Verlangt nach Euch, wie uns nach Gott
In Not und Pein.

Ninon (heftig befehlend).   Ihr rast, ich bitt Euch, schweigt!
Ich wills!

Villiers.         Ich flehe, Ninon, hört . . .

Ninon (in verzweifeltem Zorn).                 Seid Ihr
Ein Knabe, welcher abenteuert? Bracht mich
Ein Zufall da auf Euren Weg, und meint
Ihr nun, daß die berühmte Ninon Ziel
Und höchster Ruhm auf Liebespfaden . . . Nein,
O nein, so steht es doch nicht, Graf von Villiers!
Wenn Euer Blut Euch jetzt zu Frauen treibt,
So geht an einen richtigen Ort, es gibt
Wohl viele in Paris!
    (Sie bricht auf die Bank nieder. Heftig und weinend)
                                  So geht doch, Graf!

Villiers. Vergebt, vergebt mir, Fräulein, meine Kühnheit.
Ihr dürft mich schweigen heißen, gehen heißen,
Doch eines dürft Ihr nicht: mich mißverstehn!
Ich liebe Euch mit aller Heiligkeit
Des keuschesten Gefühls in mir und bebe
Vor Euch so wie ein Frommer vor der Hostie,
Die Priesterhände fern im Golde halten.

Ninon. O Eure Stimme . . . Eure Stimme . . .

Villiers.                                                           So liebt
Ihr meine Stimme? Gott, dann will ich sprechen
Die Tag und Nächte lang ohn Unterlaß,
Als ob mich Tod beim ersten Schweigen träfe . . .
Und was Ihr wollt! Die großen Verse des
Corneille will ich in einem Atem singen . . .
Und was Ihr wollt. Auch meine Liebe, Ninon!
Denn wenn ich sprach, so war es Eure Güte
Und Freundlichkeit, die wie ein Sonnenschein
Mich lockend traf . . .

Ninon (steht auf).             Ihr foltert mich zu Tode!

Villiers. Frech war ich nicht, bei Gott, ich war nicht frech!

Ninon. Doch rasend, rasend!

Villiers.                                   Rasend, Ninon, ja,
Vielleicht, denn seht: Ich liebe Euch und taumle
So wie ein Trunkener in wilder Laune
Durchs Leben, das durch Euch lebendig ward.
Ich liebe Euch, und Eurer Schönheit große
Unbändige Gewalt hat den Verstand
Mir ausgedörrt, so lieb ich Euch.

Ninon (wirft sich in die Kniee).             Mein Knabe,
Mein süßer Knabe, seht, auf meinen Knieen
Fleh ich Euch an: O sprecht nicht weiter!
Ich habe große Schuld vor Euch und sterbe,
Wenn Ihr nicht schweigt!

Villiers (bedeckt sein Gesicht mit seinen Händen, bebend).
                                          Steht auf, ich schweige gern,
Nur stehet auf!

Ninon (steht auf, ruhig).
                           . . . Es ist in meinem jungen
Tastenden Leben eine Zeit verflossen,
Da Euer Vater so zu mir von Liebe,
Von seiner Liebe sprach, wie heute Ihr . . .
Und er war glücklicher.

Villiers (maßlos).                 Ninon, ich weiß
Von Vätern und von Söhnen, die sich wütend
Mit Dolchen trafen um dieselbe Frau . . .

Ninon (in äußerster Erregung).
Nein, nein . . . Mein Gott, Ihr windet mit Gewalt
Mir Euer eignes Schicksal aus den Händen.
Ich kann nicht mehr! Es lebt ein Knabe wo
In Frankreich, Graf, den ich gebar und fortgab,
Weil ich nicht wußte, wie man Mutter ist,
Und weil sein Vater ihn zu hüten wünschte
Statt meiner, die ein Kind von Sechzehn war.
Und dieser arme Knabe trägt durch unsres,
Des letzten Königs Gnade diesen Namen:
Vicomte von Villiers, Euren Namen, Graf.

(Stille.)

Villiers. Wie seid Ihr schön, mein Gott, wie seid Ihr schön.
Ihr sagtet etwas . . . Und ich hört es auch.

Ninon. Begreift Ihr nun den ungeheuren, frevlen,
So schauerlichen Wahnwitz Eures Rasens?
Mein armer lieber Knabe! Gerne hätt ich
Den Abgrund Euch verhüllt, an den uns beide
Das Schicksal riß.

Villiers.                       Ihr sagtet, daß . . . Gewiß,
Nun wird man bald ein neues Lied auf Euch
Und Eure Schönheit dichten. Seht, es kam
Ein Mann, und der war Euer Sohn, und kam
Und liebte Euch und starb daran. So schön
Seid Ihr! Ihr spracht vom gleichen Blut in Euch
Und mir. Doch Blut wäscht Blut. Dies ist ein neuer
Unsterblich schöner Ruhm für Eure Schönheit.
O wie begreif ich jetzt den vorgeahnten
Geheimnisvollen Sinn von mir und Diesem!
Die Menschen werden Euch Altäre bauen,
Und Euer Name wird den Liebenden
Ein Beten sein voll ungeheurer Inbrunst.
Und auch den meinen wird man nennen müssen:
Gaston-Robert Florien, Vicomte von Villiers!
Heut will er tanzen, Ninon, und er grüßt Euch!
Taumelnd grüß ich Euch und Euer schönes
Strahlendes Leben, Ninon. – Lebet wohl!

(Der Graf von Villiers stürmt den rechten Seitenweg in den Park hinein. Ninon irrt bis an die Wegbiegung und ruft in äußerster Angst hinter ihm her)

Ninon. Mein Gott . . . wo wollt Ihr hin . . . nicht diesen Weg . . .
Dort ist kein Ausgang, hier, Ihr müßt . . .

Zwölfte Szene

Ninon schreit gellend auf, schwankt eine Sekunde zwischen den beiden Wegen und taumelt dann, mit dem wirren ohnmächtigen Bestreben zu laufen, den Hauptweg entlang nach der Treppe. Gleichzeitig fliegt oben die Tür auf, und der Marquis von Villarceaux, Marion, der Marquis von Sévigné und andere Gäste Ninons eilen in Hast und Schrecken die Treppe hinab. Von der anderen Seite laufen Diener herbei.

Villarceaux.                                                     Wer schrie?

Marion. Mein Gott . . .

Sévigné.                       Es schrie doch jemand.

Marion.                                                               Ninon, liebste . . .

Villarceaux. Habt Ihr geschrien?

(Ninon lehnt sich mit geschlossenen Augen, hängenden Armen und zurückgebeugtem Kopf an den Marquis von Villarceaux wie an eine Wand. Dann macht sie mit dem einen Arm eine ungewisse, etwas von sich abschiebende Gebärde nach rückwärts.)

Ninon.                                           Es fiel – ein Mann!

Villarceaux.                                                                 Marquis
Von Sévigné, ich bitt Euch, schnell!

Sévigné (zu den Dienern).                         Nehmt Licht,
Hierher!

(Die Diener ziehen die Stocklaternen aus dem Boden und folgen mit einem Teil der Gäste dem voraneilenden Marquis von Sévigné. Man dringt von allen Seiten in den Park. Von Zeit zu Zeit schimmern die Laternen durch das Geäst.)

Villarceaux.   Was ist denn nur geschehn?

Marion.                                                         So sprich doch!

(Der alte Marschall d'Estrée kommt mit einem Armleuchter in der Hand oben aus der Tür und steigt etwas altersschwach die Treppe hinunter.)

d'Estrée. Wir hörten einen furchtbar wilden Schrei,
Habt Ihr so laut geschrieen, Ninon? Sagt,
Was ist?

(Der Marquis von Sévigné tritt eilig an Ninon und Villarceaux heran und meldet, mehr zu diesem gewandt, leise und bestürzt)

Sévigné.       Der Graf von Villiers liegt am Boden,
Den Dolch im Herzen und die Hand am Griff.
Er lächelt . . .

(Ninon gleitet fast lautlos von der Schulter ihres Freundes nach hintenüber in seinen Arm. Der alte Marschall ist nun, ohne die Meldung Sévignés gehört zu haben, bis auf die unterste Stufe gelangt. Er beugt sich über die sinkende Ninon, hebt den Armleuchter in die Höhe, um ihr Gesicht zu bescheinen, und fragt erstaunt und erschreckt)

d'Estrée.               Wird Euch unwohl, liebste Ninon?

 


 


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