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4.

In Wolfe waren die Jahre 1848 und 49 die reinsten Kinderspiele an Unschuld den Vorgängen in Hasle gegenüber.

Wie ich anderwärts schon erzählt, sind die Wulfacher von jeher Diplomaten und loyale Untertanen gewesen. Es brachten dies schon ihre Schifferherren mit sich, die als große Handelsherren aristokratisch angehaucht waren.

Dazu kam noch, daß Wolfe viel länger eine gräflich fürstenbergische Residenz war als Hasle, dessen letzter dort residierender Herr schon 1386 bei Sempach unter den Morgensternen der Schweizer fiel. Kleine Residenzen waren aber von jeher kein Boden für revolutionären Geist.

So kam es, daß die badischen Revolutionsjahre in Wolfe ein Sturm im Wasserglas waren, während im nahen Hasle ein Volksmeer tobte und brandete.

Die Wolfacher dachten im Spätherbst 1848 nicht im entferntesten daran, für den braven Freiheitsmann Robert Blum, den ein Windischgrätz am 9. November 1848 in der Brigittenau in Wien hatte erschießen lassen, eine Totenfeier zu halten, was die Freiheitsmänner von Hasle nicht nur mit großem Pomp ausführten, sondern auch noch jahrelang dem Toten zu Ehren die »Robert Blum-Hüte« trugen.

Und als anno 1849 die Revolution in Baden eine andere Tonart anschlug und die von Hasle zu 95 Prozent mit beiden Füßen in den Hexenkessel des Aufruhrs sprangen, da bildete sich in Wolfe alsbald ein »Sicherheitsausschuß« gegen jede Ausschreitung.

Und während die Haslacher an die Errichtung einer Guillotine dachten, sann dieser Ausschuß darauf, alles zu verhindern, was irgend einem wehe tun könnte.

In diesem Sicherheitskomitee zu Wolfe saßen in der Mehrzahl »Aristokraten«, und unter den wenigen Liberalen, die demselben angehörten, war auch Theodor, der Seifensieder.

Wie zahm die Revolution in Wolfe hauste, Hasle gegenüber, geht schlagend auch daraus hervor, daß dort zwei ganze freisinnige, revolutionär angehauchte Reden gehalten wurden, während in Hasle ihre Zahl Legion war.

Und trotz alledem wurde Theodor, der Seifensieder, weil er vor der Revolution im Verkehr mit seinen Mitbürgern freisinnige Reden geführt, während der Revolution aber geschwiegen und im Sicherheitsausschuß mitgewirkt hatte, ein Märtyrer der untergegangenen Freiheit.

Vergeblich war er als Mitglied des genannten Ausschusses nach Rastatt gereist, um sich zu überzeugen, wie die Sache der Freiheit stünde. Flüchtlinge waren nach Wolfe gekommen mit der Kunde, alles sei verloren, während die republikanischen Blätter das Gegenteil behaupteten.

Unser Theodor, als mutvoller Mann, ging drum als Kundschafter das Land hinab, und nachdem er dort gesehen hatte, daß alles aus sei, mahnte er im Heimweg überall, wo er durchkam, keine Freischaren mehr abrücken zu lassen, es nütze doch nichts.

Bald kam das Korps des Freischarenführers Willich, auf seiner Flucht in die Schweiz, von Hasle her nach Wolfe, Wo der Sicherheitsausschuß alsbald und das erstemal in Aktion trat, aber wegen der guten Haltung der Ankömmlinge nichts zu tun bekam.

Am 22. Juli – es war ein Sonntag – rückten die Preußen – zwei Kompagnien Infanterie und 30 Husaren – auch in Wolfe ein. Die Führer der Aristokraten waren ihnen entgegengezogen und hatten den Offizieren ein Verzeichnis der Wolfacher Demokraten, das aber winzig klein war, eingehändigt und deren Verhaftung empfohlen.

Der junge Seifensieder hatte sich eben porträtieren lassen, und das Bild war zwei Stunden vor Ankunft der Preußen fertig geworden. Der Künstler war der gleiche Ludwig Blum von Hasle, welcher fünf Jahre zuvor mich als Knaben gemalt hatte. Der Theodor machte nach der letzten Sitzung einen Gang in die Stadt und sah hier die Preußen zum untern Tor hereinrücken.

Er sah aber auch, wie jeweils ein Unteroffizier nebst zehn Mann einen Verhaftungsbefehl in die Hände bekam, und alsbald beschlich den Anhänger von Rotteck, Itzstein und Welcker eine dunkle Ahnung, es könnte auch ihm einer der Zettel gelten, welche die Korporale erhielten.

Die Ahnung sollte sich bald erfüllen. Als er nach Hause kam, waren die Häscher schon da, nahmen ihn gefangen und führten ihn, nachdem er »herzzerreißenden Abschied« von seiner Jeannette genommen, auf das Rathaus.

Der damalige Bürgermeister, Aristokrat und Serviler, dem der liberale Seifensieder ein Dorn im Auge gewesen, weil er auf liberale Gemeindeverwaltung gedrungen, hatte ihn denunziert als Revolutionär, den man einsperren müsse.

Wie den Dummköpfen nichts verhaßter ist, als ein gescheiter Mann, so haßten auch zu allen Zeiten Knechtsseelen die unabhängigen, freisinnigen Mitmenschen.

Als Kollegen fand unser Theodor auf dem Rathaus noch den Rechtsanwalt Burger und den »Pariserbeck« von Wolfe. Beide hab' ich wohl gekannt. Bürger war ein Elztäler und damals oft in Hasle, um Bauern beim Amt zu vertreten. Der Pariserbeck aber kam oft zu seinem Bruder, dem Kaufmann Lorenz Armbruster, von dem da und dort in meinen Büchern geschrieben steht als einem alten Bierhauskollegen des Ferienstudenten Hansjakob.

Der Lorenz hieß natürlich bei den Wolfachern nur der »Laurent«, während er in Kasle wegen seines ungesucht vornehmen Wesens »der Lord« hieß. Sein Bruder Bäcker, der in Paris studiert hatte, trug von dieser Weltstadt seinen Namen und überragte an seinem Auftreten alle Kaslacher Bäcker um Elefantenlänge.

Ihn und seinen Vetter Theodor, den Seifensieder, sah ich als Knabe manchmal an Sonntagen in elegantem Gefährt in Hasle einfahren und gewann die Vermutung, die Wolfacher seien viel vornehmere Leute als die Haslacher, wo kein Bäcker und kein Seifensieder zum Spazierenfahren kam.

Der Laurent aber war der einzige Kaufmann, der einen eigenen Einspänner hielt, mit dem er oft nach Wolfe fuhr, um seine Freunde zu besuchen. Vorab geschah dies am »Kuchenmärkt«, einem Hauptfest der Wolfacher, im Dezember. Wer in Wolfe war, aber nie am Kuchenmärkt, hat Rom gesehen, aber den Papst nicht.

An diesem Tage legten gute Freunde, wie der Laurent, der Theodor, der Pariserbeck u. a., eine gemeinschaftliche Kasse an und wanderten dann von Wirtshaus zu Bierhaus und umgekehrt, bis all' die vielen »Auberges und Restaurants« von Wolfe besucht waren und die Kasse leer. –

Als vierter im Bunde war im Arrestlokale im Schloß z' Wolfe noch ein Hamburger, ein Kaufmann König, der in Wolfe eine Witwe geheiratet und als Sohn einer freien Stadt scharf in Freiheit gemacht hatte.

Alle hatten ein wenig mitexerziert, als die Freischaren ausgebildet wurden, und der Advokat und der Hamburger je eine Rede getan für die junge Freiheit.

Der preußische Hauptmann, dem die Arrestanten anvertraut waren, ging human mit den angeblichen Revolutionären um. Er ließ ihnen am Abend ein Fäßle Bier zukommen, und auch Frauen und Kinder durften sie besuchen. Selbst Betten und Matratzen gestattete er ihnen.

In aller Frühe fuhr am andern Morgen ein Omnibus in den Schloßhof, der die Gefangenen nebst acht Infanteristen aufnahm, und als reitende Eskorte erschien ein Leutnant mit sechs Husaren.

Der blutjunge Leutnant herrschte die Gefangenen als »Kerls« an, der Unteroffizier im Wagen aber war um so milder. Ein Jahr zuvor hatte er als Student in Berlin die flotte März-Revolution mitgemacht, jetzt war er zahmer preußischer Soldat und half die Revolution in Baden niederschlagen.

So ist der Gang der Volksrevolutionen fast zu allen Zeiten gewesen. Das Volk wird durch das Volk besiegt. Der Soldat kämpft gegen den Bürger, obwohl beide eines Volkes sind und die gleichen Interessen hätten! Wahrlich, es ist eine närrische, verkehrte Welt auf dieser Erde! –

Ich erinnere mich noch gar wohl jenes Julimorgens, da der Omnibus mit Theodor, dem Seifensieder, von Husaren umritten, in Hasle einfuhr.

Es war der Morgen nach dem Tag, an dem ich die ersten Preußen gesehen und sie mich meinen Heckerhut vom Kopfe hatten reißen machen.

Ich war kaum aufgestanden und saß eben bei dem üblichen Morgenimbiß, einer Milchsuppe, im Kreise der Familie. Da sah ich die Husaren am Haus vorbeireiten. Mein Vater stand auf, trat ans Fenster, erkannte den Advokaten Burger und sprach: »Da bringen sie gefangene Wolfacher.«

Ich war alsbald hinter den Reitern her. Der Omnibus hielt beim Rathaus, und ich sah die Gefangenen, von Soldaten begleitet, aussteigen. Mir jungem Republikaner blutete das Herz, und die gefangenen Männer sah ich an wie Märtyrer und Heilige.

Es war Montag und Markttag, und bald standen viele Hunderte von Menschen vor dem Rathaus, in dem, wie es hieß, auch der Bürgermeister von Hasle und der Nagler Bührer, den wir aus den »wilden Kirschen« kennen, gefangen saßen.

Nach etwa zwei Stunden kamen die Wolfacher und Haslacher vom Rathaus herab und wurden wieder, von Infanteristen mit gespanntem Hahn und von den Husaren eskortiert, talab weiter transportiert.

Ich sah viele Leute weinen, und auch ich bekam nasse Augen, trotzdem die Gefangenen ziemlich gefaßt aussahen. Nur der Nagler, welcher am schärfsten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gepredigt, sah ingrimmig und verschlossen drein.

Ueber Offenburg ging's nach Freiburg. Theodor, der Seifensieder, aber, der alsbald ein Tagebuch anlegte, das vor mir liegt, lobt die preußischen Soldaten, meist Landwehrleute, ob der Milde, mit welcher sie die Kinzigtäler Revolutionsmänner behandelt hätten.

Ueberall das Kinzigtal herunter wurde Halt gemacht und einige Flaschen Wein im Wagen getrunken, in Offenburg, wo sie übernachteten, im Gefängnis wieder ein Faßchen Bier.

Die Infanteristen waren vom 24. Regiment und meist Berliner, die wohl auch vom vergangenen Jahr her wußten, was revoluzzen heißt. –

Vor dem Haus des Stadtkommandanten in Freiburg, wo sie mit der Bahn angekommen waren, wurden die Männer aus dem Kinzigtal aufgestellt, bis der dort kommandierende preußische General zum Fenster heraus befahl, sie in der gegenüberliegenden Kaserne einzusperren. Ehe dies geschah, lief ihnen noch ein Freiburger Polizeidiener nach und rief: »So ist's recht mit diesen Volksbeglückern!«

Von ihrer Eskorte nahmen sie herzlichen Abschied, wurden jetzt andern Preußen überliefert und in ein abscheuliches Loch eingesperrt. Die Lust darin war zum Ersticken. Von mittags zwei Uhr bis zum andern Mittag bekamen sie nur Wasser, trotz aller Bitten aber nichts zu essen.

Noch neun andere Gefangene werden am folgenden Tage zu ihnen eingesperrt, und der Aufenthalt wird dadurch noch qualvoller. Die Wasserkanne war bald geleert, aber vergeblich riefen sie nach mehr Wasser.

Nur einer hält's aus, der Bürgermeister Fackler von Hasle, ein gesunder, starker Mann; er schlief 44 Stunden lang auf einem Fleck auf der Pritsche.

Morgens laßt man sie zum Waschen an den Brunnen im Hof, wo sie in vollen Zügen nach Luft schnappen.

Neben ihnen liegen noch gefährlichere Leute, denen der Tod droht, unter ihnen der Zivilkommissär Neff von Lörrach.

Aus allen Teilen des Oberlandes kommen täglich neue Gefangene, und im Hof erblicken sie jeden Morgen neue Gesichter und neue Gestalten.

Im Gefängnis ist's bei der Julihitze zum Ersticken. Abwechselnd hängen sich drei Mann einige Zeit an das Gitter oben, um Luft zu bekommen.

Sie werden fromm, die Sünder. Der Kaufmann König liest ihnen aus einem neuen Testament vor, das sie zur Lektüre erhalten haben.

Am 26. Juli gelingt es ihnen, für gutes Geld Würste und Wein ins Gefängnis geschmuggelt zu bekommen. Dagegen droht die Wache zu schießen, wenn sich wieder Luftschnapper am Fenster zeigen. Doch werden fünf Mann in ein anderes Lokal abgeführt, und es wird dadurch etwas besser. Am 27. Juli dringt eine in Freiburg wohnende Schwester des Naglers von Hasle in die Zelle. Sie nimmt die Wäsche mit und in der versteckt die ersten Briefe der Verbrecher an ihre Familien.

Durch die Waschfrau läßt sich Theodor, der Seifensieder, der einzige unter den Revolutionären, jeweils Papier bringen für sein Tagebuch und gibt das Geschriebene in der »schwarzen Wäsche« wieder hinaus in Sicherheit, um es fast 50 Jahre später mich lesen zu lassen.

Es kommen bald wieder neue Kollegen, und es sind wieder 14 Mann in der Zelle, unter ihnen der Dr. Senn vun Kandern, »ein herrlicher Mann«.

Ein preußischer Offizier, der in der Nacht vom 27. auf den 28. die Gefängnisse visitiert, findet den Dunst in der Wolfach-Haslacher Klause entsetzlich und läßt am Morgen den Laden eines zweiten, verschlossenen Gitters öffnen. Jetzt haben sie frische Luft, danken Gott und dem Preußen und werden fröhlich.

Auch in dem Aufseher über ihr Gefängnis, einem preußischen Gefreiten und Landwehrmann namens Kohlhage, einem Magdeburger Kind, fanden die Kinzigtäler einen braven Mann. Er sorgte ihnen, so oft es anging, für Wein und Würste.

Doch die verbotenen Genüsse machten Durst, und es fehlte bald an Wasser. War nun der Kohlhage nicht da, so half alles Bitten und Flehen und Rufen um Wasser nichts, und die armen Freischärler litten oft entsetzlichen Durst bis zum andern Morgen.

Beim Verhör, in das abwechselnd bald der, bald jener geführt wurde, waren die preußischen Offiziere durchweg freundlich mit den badischen Freiheitsmännern. Und wer die Gefängnis-Memoiren Theodors, des Seifensieders, liest, möchte fast zur preußischen Liebenswürdigkeit bekehrt werden, eine Bekehrung, die mir nicht leicht würde.

Und doch hat unser Theodor die Preußen besser und näher kennen gelernt als ich. Meinen Ingrimm bekamen sie wegen meines heruntergerissenen Heckerhutes und weil sie mir den Nagler Bührer, den Prediger der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und bald darauf auch die zwei klassischen Volksredner, Wunibald, den Schmied, und den Hafner hinter der Kirch', verhafteten und fortführten und die Freiheit begruben, da ich sie zum erstenmal im Leben vor mir sah. –

Nur der Oberaufseher, ein Unteroffizier, war ein roher Mensch, der mit Steinen nach den Gefangenen warf, wenn sie sich etwas zu lang im Hof aufhielten. »Es wäre zum wahnsinnig werden,« schreibt unser Theodor über diese Steinwürfe, »wenn nicht die Landwehrleute und Soldaten so freundliche, mitleidsvolle Menschen wären.« –

Bald schickten sich die Gefangenen in ihre Lage und trieben allerlei Scherz, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie bildeten einen Gemeindekörper, machten den Fackler zum Bürgermeister und den Nagler von Hasle zum Gemeindediener, hielten Sitzungen, wie in einem Gemeinderat, und verurteilten sich gegenseitig.

Es waren in dem Lokale ziemlich alle Stände vertreten, die zu einer richtigen Bürger-Gemeinde gehören: zwei Bäcker, der Bürgermeister von Hasle und der Pariserbeck von Wolfe, ein Seifensieder, unser Theodor, vier Kaufleute, ein Arzt, ein Lehrer, ein Nagelschmied, ein Schreiber, ein Schreiner und zwei Bauern. Der Advokat Burger von Wolfe war, offenbar durch gute Freunde, längst in einem bessern Quartier.

Alle Hoffnungen, in ein anständigeres Gefängnis zu kommen, schienen für seine Mitrevolutionäre vergeblich, bis einer kam, der wußte, wie man mit den Menschen redet, Theodors Briefe hatten die elende Lage im Gefängnisse heimgemeldet und den alten Vater Schang, den Schiffermeister, in Bewegung gesetzt, um so mehr, als sie ihm noch einen zweiten Sohn, Jean, den Herrengärtner, nach Freiburg abgeführt hatten.

An einem schönen, heiteren Sonntag ward Theodor, der Seifensieder, in den Hof gerufen, wo er seinen Vater traf, seinen Bruder sprechen durfte und in ein besseres Quartier kam mit der Erlaubnis, das Essen vom Kasernenverwalter, dessen Frau eine gute Köchin war, beziehen zu dürfen.

Der gewandte Schiffer und Hollandfahrer hatte mit einem silbernen Schlüssel das Herz des Oberaufsehers zu öffnen gewußt, und das hatte die Veränderung für alle Wolfacher bewirkt.

Die Leidensgefährten im jetzigen lustigen Arrestlokale waren meist Oberländer und lustige Leute. Der Theodor hätte gemeint, im Himmel zu sein, wenn nicht eine andere Plage gekommen wäre, und das waren zahllose Mäuse, welche die Gefangenen nicht schlafen ließen. Jede Nacht mußten sie aufstehen und auf die Mausjagd gehen.

Doch begann jetzt für die Leute ein Herrenleben, an dem nach und nach alle Kollegen aus dem früheren Gefängnis Teil bekamen, nur der Nagler von Hasle nicht. Der hatte – kein Geld, war ein armer Mann und besaß nur ein Herz voll von Freiheit und Tyrannenhaß.

Doch dachten die anderen in besserer Lage an ihn, legten zusammen und schickten ihm Geld, damit auch er besser leben oder sich ein gutes Quartier verschaffen könnte.

In das Spielen, Lesen, Kaffee- und Weintrinken, Empfangen von Besuchen kam nur bisweilen ein Mißton, wenn die Gefangenen hörten, an dem oder jenem Morgen sei in aller Herrgottsfrühe einer oder der andere aus der Kaserne fortgeführt und erschossen worden.

Dreimal, während Theodor, der Seifensieder, in Freiburg gefangen saß, knallten die Gewehre preußischer Soldaten zum Tode, Der erste, welcher unter ihren Schüssen fiel, war ein junger Referendar aus Potsdam, namens Dortü. Landwehr-Unteroffizier im 24. Landwehr-Regiment, hatte er, während sein Regiment nach Baden zog, sich ebenfalls dahin aufgemacht, aber um in den Reihen der Republikaner zu kämpfen. Er wurde später im Oberland verhaftet und wegen »Militärverrats« zum Tode verurteilt.

Am 14. August ward er unweit des einsamen Kirchhofs der Vorstadt Wiehre erschossen. Er bekannte sich zum Atheismus und schrieb noch in seinem Abschiedsbrief an seine Eltern: »Ich sterbe mit dem Bewußtsein, daß es keinen persönlichen Gott gibt.«

Etwas schauspielermäßig forderte er die Soldaten, welche ihn erschießen sollten, auf, ihm, falls die Zeitungen anders berichteten, zu bezeugen, daß er mit Mut gestorben sei.

Seine Eltern – der Vater war Justizrat – müssen sehr an ihrem unglücklichen Sohn gehangen haben, denn sie ließen sich später neben ihm begraben auf dem stillen, kleinen, jetzt verlassenen Friedhof der Vorstadt Wiehre zu Freiburg, wo ich schon oft bei einsamen Spaziergängen an ihren Gräbern gestanden bin.

Eine kleine Grabkapelle erhebt sich über dem gemeinsamen Grab, und sie trägt die Inschrift: »Hier ruht Maximilian Dortü aus Potsdam, 23 Jahre alt, erschossen den 14. August 1849. Mit ihm vereint seine Eltern, deren einzige Freude und Hoffnung er war.«

Die Eltern machten eine Stiftung zur Unterhaltung des Grabes und für die Armen. So kommt es, daß Dortüs Grab das einzig erhaltene der in Freiburg Erschossenen ist.

Der zweite Todeskandidat unter denen, die in der Kaserne mit Theodor, dem Seifensieder, eingesperrt waren, war ein Badenser, Friedrich Neff von Rümmingen bei Lörrach. Sohn eines vermöglichen Küfermeisters, besuchte er die höhere Bürgerschule in Lörrach und wurde auf Wunsch seines Vaters Küfer. Er wanderte dann als Geselle in der Schweiz. Hier lernte er in Aarau den bekannten Pfarrer Zschokke kennen und bereitete sich bei diesem zum Universitätsstudium vor.

Er bezog alsdann die Universitäten Freiburg, Tübingen, München, Heidelberg und Basel. Zwischenhinein machte er auch eine Reise nach London.

Die französische Februar-Revolution traf ihn in Basel. Begeistert davon, machte er, als es bald darauf in Baden losging, die Freischarenzüge Heckers und Struves mit. Seinem persönlichen Mut verdankte der letztere die gewaltsame Befreiung nach seiner Gefangennahme in Säckingen.

Nach dem zweiten Struveschen Freischarenzug flüchtete Neff auf Umwegen in die Schweiz und begab sich von da nach Paris.

Hier erreichte ihn im Frühjahr 1849 die Nachricht vom dritten Aufstand in Baden. Er wurde Zivilkommissär in Lörrach und Anführer einer Freischar.

Als er, nachdem die Sache der Republik niedergeworfen war, in voller Freischaren-Uniform über die Rheinbrücke bei Breisach flüchten wollte, ward er verhaftet, nach Freiburg geführt und zum Tode verurteilt.

Unser Theodor schildert ihn als »einen schönen Mann mit deutschem, blondem Bart und langen Locken, die auf die Schultern fielen.«

Seine Mutter, Witwe, wollte ihn am Abend vor seinem Tode nochmals sehen, wurde aber nicht eingelassen.

In seiner letzten Lebensnacht vom 18. auf den 19. August schrieb er seiner Mutter noch einen Abschiedsbrief, worin er ihr unter anderm sagt: »Seid fest und standhaft, teure, heißgeliebte Mutter, wenn Ihr die Unglücksbotschaft von meiner Hinrichtung erhaltet. Was mich betrifft, so werde ich morgen so ruhig in den Tod gehen, als ich einst in unseren Garten zu gehen pflegte. Beweiset durch Standhaftigkeit, daß Ihr die Mutter eines Republikaners seid. Seid stolz darauf, daß Ihr Euren einzigen Sohn geboren habt, um ihn der Freiheit opfern zu können. Wenn ich noch zehn Leben hätte, ich würde alle zehn der Freiheit bieten.«

Er starb mutig und mit dem Rufe: »Es lebe die Freiheit, es lebe die soziale Republik!«

's ist immer was Erhebendes, wenn ein Mensch mutig für ein Ideal stirbt! –

Seine Mutter ließ den Leichnam später exhumieren und nach Rümmingen verbringen. Dem Grabstein wurden die Worte eingemeißelt:

Wer so wie du fürs Vaterland gestorben,
Der hat sich ew'gen Ruhm erworben.

Diese Inschrift wurde aber auf polizeiliche Anordnung und auf Kosten der Mutter wieder vertilgt. –

Am 19. August in aller Frühe hörten unsere Kinzigtäler die Todesschüsse für Neff, und der Theodor schrieb in sein Tagebuch: »Gott gebe ihm die ewige Ruhe!« –

Ein gemeiner Soldat, Kromer aus Bombach im Breisgau, fiel als der dritte am 21. August beim Kirchhof in der Wiehre unter den preußischen Kugeln. Er hatte sich der »Treulosigkeit und Anstiftung zum Hochverrat« schuldig gemacht.

Der Mann starb, begleitet von einem Geistlichen, heiter und wie ein Held mit den Worten: »Ich war standhaft im Leben und werde auch standhaft sterben. Zielt gut!« –

In der Freiburger Zeitung, welche täglich zu den Gefangenen kam, waren Todesurteil und Vollstreckung jeweils publiziert, und die Leute konnten sich die Lehre merken: »So geht's, wenn man Revolution macht und unterliegt.«

Hätte die Revolution gesiegt, waren die jetzt Erschossenen als Helden gefeiert worden: so aber ruhen sie ehrlos im Grab in einer Welt, auf der allezeit Gewalt Recht und der Erfolg König war. –

Ein eigenartiger Gefangener kam am 25. August zu unseren Kinzigtälern, ein »junger Freischärler«, kaum 3&frac12; Fuß hoch und kaum fünfzehn Jahre alt.

Er war aus Villingen und mit einer Kompagnie »des Aufgebots« als Tambour ausgerückt. Zu allen Treffen hatte er, kühn voran, die Trommel geschlagen, in passenden Momenten aber auch selbst gefeuert mit einem Karabiner, den er über dem Rücken trug.

Als die republikanische Infanterie sich nicht tapfer genug hielt, ging er zur Artillerie, wo nur gediente Soldaten stunden und wo er mehr Tapferkeit sah, und trommelte diesen zum Feuern.

Bei der Retirade war er in die Schweiz entkommen, von wo er mit Sack und Pack, mit Trommel und Karabiner über der Schulter wieder über die Grenze ging, um heimzukehren.

In Lörrach wurde er verhaftet und nach Freiburg gebracht, wo Gefangene waren, die dem Knaben bezeugten, daß er im größten Feuer tapfer ausgehalten habe.

Am Tage nach seiner Ankunft war Parade. Auf dieser ließen sich die preußischen Offiziere den jungen Helden in voller Ausrüstung vorführen. Mutig und unerschrocken gebärdete er sich dabei, so daß die Offiziere unter sich für ihn Geld sammelten, und es hieß, er solle nach Preußen in eine Erziehungsanstalt gebracht werden.

Daraus wurde aber nichts. Ich erkundigte mich nach dem ferneren Schicksal des tapferen Knaben, von welchem Theodor, der Seifensieder, außer obigem nichts weiter wußte.

Wie schnell die Menschen und selbst die Helden im kleinen vergessen werden, zeigt der kleine Freischärler. Fast niemand in Villingen wollte mehr was von dem Knaben wissen, und nur ein einziger, ein ganz alter Mann, kannte ihn noch.

Dessen Angaben nach war der Tambour der Sohn eines armen Taglöhners und hieß Jakob Schwämmle. Sein Vater soll ein origineller Mann gewesen sein, der gern große, gewählte Sprüche machte, die dann sein Sohn Jaköbele in Taten umsetzte.

Nach der Revolution und nach kurzer Gefangenschaft kam der junge Schwämmle heim, wollte aber zu keiner ernsten Arbeit mehr taugen. Die Gemeinde gab ihm darum das Reisegeld nach Amerika, wo er längst gestorben sein soll. –

Abgesehen von den Hinrichtungen, welche Augenblicke der Verstimmung in die Freiheitsmänner brachten, wurden die Tage für die Gefangenen immer gemütlicher. Die braven Landwehrleute vom 24. Regiment kamen zwar fort, unter ihnen der gute Kohlhage, aber nicht der tyrannische Oberaufseher.

Sie nahmen herzlichen Abschied von den Braven, tranken am Abend noch mit den Wächtern und legten Geld zusammen zu einer Dotation für den braven Kohlhage.

Es kamen andere Wächter, auch Landwehr, und wieder gute, wackere Leute, vom Hauptmann bis hinab zum Gemeinen.

Die Gefangenen durften jetzt auch singen, und mit Singen, Lesen, Spielen und Trinken vergingen die Tage. Auch die Frauen kamen zu Besuch von Hasle und von Wolfe und wurde von den guten Landwehrleuten in die Gefängnisse gelassen.

An Essen und Trinken und selbst an Delikatessen fehlte es nicht. Aus dem Kinzigtal kamen Kirschenwasser und Rebhühner, und der Laurent von Hasle hatte bei seinem Besuch einen ganzen Kalbsschlegel gespendet. Auch aus der Stadt erfolgten von Bekannten allerlei Aufmerksamkeiten, und Theodor, der Seifensieder, weiß bald von nichts anderem mehr zu berichten, als von Lust, Scherz und Freude.

An Sonntagen hielt der gefangene, wackere protestantische Dekan Schmidt 1864 gestorben als Pfarrer in Grünwettersbach bei Karlsruhe. von Hornberg für alle seine Leidensgefährten Gottesdienst mit Predigt und Choral.

So war für alles gesorgt, nur nicht für die Freiheit, deren Einschränkung bisweilen ein oder der andere Offizier vom Tage vorübergehend noch verschärfte.

Endlich am 2. September wurde den Wolfachern eröffnet, daß sie am 4. nach Hause kämen. Die Akten hatten so lange auf sich warten lassen, sonst wäre ihre Unschuld früher an den Tag gekommen. Der Amtmann Felleisen von Wolfe hatte den Republikanern einen Streich gespielt, damit sie etwas länger zu sitzen hätten und in Zukunft zahmer wären, wenn sie wieder herauskämen.

Den letzten Tag in der Gefangenschaft soll uns der Theodor selbst erzählen. Er schreibt unterm 3. September 1849 in sein Tagebuch: »Morgens 4 Uhr waren wir alle auf den Beinen und packten unsere sieben Sachen zusammen. Das Kirschenwasser, der Likör und Speck wurden zurückbleibenden Gefangenen gelassen. Da wir morgen nach Hause kommen, so gingen wir Wolfacher zu dem Herrn Hauptmann und fragten um die Erlaubnis, am Nachmittag mit militärischer Begleitung in der Stadt herumgehen und unsere Bekannten besuchen zu dürfen, was uns der gute Mann auf sein Risiko hin erlaubte.«

»Thüringer Ein Gefangener aus Oberwolfach. schloß sich uns an. Zu Mittag aßen alle Gefangenen zum Abschied mitsammen. Nach dem Essen kam Apotheker Saul von Thiengen, der auch als Gefangener im vierten Stocke war, zu uns und unterhielt uns eine Stunde mit seinen komischen Streichen.«

»Wir schossen unter uns Geld zusammen für die armen Gefangenen. Obiger Saul war nur gering graviert und wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Um drei Uhr gingen wir in Begleitung von zwei Mann Soldaten in die Stadt, bestellten einen großen Omnibus auf morgen zum nach Hause fahren und besuchten unsere Freunde, die uns während der Zeit unserer Gefangenschaft Gutes getan, und statteten unsern Dank dafür ab.«

»Nach diesem gingen wir in den Bären, aßen und tranken, was uns schmeckte, und sangen dazu. Die Soldaten waren ganz außer sich und hätten ihr Leben für uns gegeben – es waren Landwehrmänner.«

»Weil der Bärenwirt für die politischen Gefangenen sehr viel getan hatte, so wollten wir bei demselben ziemlich Geld verzehren. Als wir bezahlen wollten, nahm derselbe unter keinen Bedingungen etwas von uns an.«

»Als es Nacht zu werden anfing und wir uns von den Soldaten trennten, gaben wir jedem einen Gulden und 45 Kreuzer Trinkgeld und kehrten in die Kaserne zurück, um das letztemal darin zu übernachten.«

»Des andern Tags aber mußten die zwei Soldaten, die uns begleitet, ins Verhör, weil sie im Bären mit uns gesungen hatten. Wie es diesen Männern ergangen, konnten wir nicht mehr erfahren. Der liebe Gott wolle, daß sie unsertwegen keine Strafe erleiden müssen.«

Lustig fuhren die Befreiten am andern Morgen in ihrem Omnibus durchs Elztal der Kinzig zu. Auch zwei Haslacher waren bei ihnen, mein Revolutions-Ideal, Wunibald, der Schmied, und der Hafner hinter der Kirche. Die beiden andern Haslacher wurden noch in Haft behalten.

Acht preußische Soldaten vom 24. Linien-Infanterieregiment bildeten die Eskorte der befreiten Männer von der Kinzig. Ein glücklicher Zufall wollte, daß der Unteroffizier der gleiche Berliner Student war, der die Gefangenen auch nach Freiburg begleitet hatte.

Es gab eine feuchte Fahrt durchs Elztal: überall wurde angehalten und getrunken, gesungen und gescherzt.

Am Nachmittag trafen sie in Hasle ein, und beim Frankfurterhans richtete die Tante Theodors ein feines Mittagessen. Alles stund um den Adler und begrüßte die wieder entlassenen Märtyrer der Freiheit, denen die Soldaten nicht das geringste in den Weg legten. Sie konnten in Hasle gehen, wohin sie wollten, und Freunde und Bekannte besuchen.

Ich sah alle, sah Wunibald, den Schmied, wie er, Tränen in den Augen, aus denen die alten Freiheitsgedanken sprühten, für den Willkomm dankte, und sah die Wolfacher, wie sie ihren Landsmann Laurent besuchten, und schaute an allen hinauf, wie an Helden, die für die Freiheit geduldet.

Gegen Abend fuhren die Wolfacher talaufwärts. Ihre Ankunft hatten sie signalisiert, und schon unterhalb Husen kamen ihnen Wagen entgegen mit ihren Freunden und ihren Kindern.

Oberhalb Husen, wo beim »Speckenhans« Bier getrunken worden war, im Weichbild des Heimatstädtchens, wurden die Märtyrer von ihren Frauen bewillkommt.

Sie stiegen aus und gingen mit ihren Damen per Arm bis ans Tor von Wolfe, und die braven preußischen Soldaten sagten zu allem Ja und Amen.

Am Stadttor war ganz Wolfe versammelt, um den unschuldigen Freiheitsmännern zu gratulieren.

Aber auf dem Amthaus, gleich hinter dem Tor, saß der kleine, giftige Assessor Gautier, der kurz vor der Revolution auch in Hasle amtiert hatte, und den ich wohl kannte. Ihm übergab der Unteroffizier seine Gefangenen, wie ihm vorgeschrieben worden war.

Der Knirps meinte noch ein übriges tun zu müssen und sperrte die braven Männer noch eine Nacht im Amthaus ein, weil er am Abend ihr Kommen nicht mehr protokollieren wollte.

Die Soldaten sollten nach dieses armseligen Paschas Ordre in den Häusern der Eskortierten einquartiert werden, aber alle weigerten sich. Sie wollten, so erklärten sie, lieber bei ihren Freunden bleiben und ihre Leiden teilen, als ohne sie ihre Wohnungen betreten.

Und so geschah es. Soldaten und Gefangene blieben beisammen und tranken, als die Nacht hereingebrochen war, ein Faß Bier.

Der kleine Gautier hat trotz seiner Schneidigkeit keine Karriere gemacht; er starb später als nicht sehr gesuchter Anwalt.

Am andern Morgen wurden die Wolfacher »Freischärler« gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Jeder nahm zwei Soldaten mit sich in sein Haus. Und jetzt wurden diese zwei Tage lang gastiert wie Herren.

Theodor, der Seifensieder, ein Liebhaber vom Fischen und Jagen, veranstaltete den Preußen zu lieb am ersten Freiheitstage eine Fischerei in der Kinzig, und am Abend ward von ihm im Herrengarten ein Fischessen gegeben zu Ehren der preußischen Brüder.

Als unser Seifensieder am Abend dieses Tages heimkam, war sein Haus mit Blumen bekränzt, und auf einem Transparent leuchteten ihm die Worte entgegen:

Nimmer störe Deinen Frieden
Eine trübe Stunde hier;
Glück sei Dir fortan beschieden.
Für Gesundheit beten wir.

Es war der Willkomm seiner treuen Jeannette. Diese hatte außerdem treu Haus gehalten und mit einem Seifensiedergehilfen, dem wackeren Schilling aus Schramberg, der längst in Amerika verstorben ist, das ganze Geschäft allein geführt, während ihr Theodor im Gefängnisse lag.

Ich habe einige Briefe gelesen, die sie damals an ihren Gefangenen schrieb. Sie spricht darin so ergeben, so gottvertrauend und weiß so klug ihren Schmerz und ihre Not vor ihrem Manne zu verbergen, um diesem das Herz nicht noch schwerer zu machen, wie dies nur Frauen können.

Ueber alle Vorgänge im Geschäfte berichtet sie in ihren Briefen bis ins einzelne und verrät darin durchweg die verständige Frau, welche das weibliche Gefühl, das den Frauen in schweren Zeiten selten fehlt, immer richtig leitete.

Selig und reich beschenkt verließen die preußischen Soldaten am dritten Tag das schöne badische Waldstädtle und ihre Freunde. Theodor, der Seifensieder, aber hat die Namen der braven Vierundzwanziger seinen Erinnerungen einverleibt, und sie sollen, weil sie gegen Kinzigtäler Neunundvierziger so unpreußisch liebenswürdig waren, auch hier stehen.

Der Unteroffizier hieß Otto Schulze, die Soldaten: Weller, Rothe, Vollmer, Glörsner, Kühle, Johnske, Born und Dahms.

Sie werden wohl heute alle bei der großen Armee sein. Theodor, der Seifensieder, aber war Ende der neunziger Jahre neben dem Schmiedjörg von Husen der einzige Ueberlebende von allen Kinzigtäler »Kriegsgefangenen« jener Zeit.

Der Schmiedjörg, ein wackerer Mann, den ich wohl kenne, ist jedenfalls das einzige Seitenstück im deutschen Reich zu Lambert, dem Schmied von Hasle.

Der Jörg und der Lambert waren beide Schmiedmeister und beide zugleich Kapellmeister in zwei Nachbarstädtchen.

Jeder hatte eine Kapelle selbst herangebildet, und jeder hämmerte untertags auf den Ambos und musizierte am Abend.

Eines Bauern Sohn aus der Frohnau, unweit Husen über der Kinzig drüben, war der Jörg Schmied geworden, hatte in seinem vierzigsten Lebensjahr von einem fahrenden österreichischen Musikanten Unterricht bekommen und leitete dann fast vierzig Jahre lang seine selbstgegründete Kapelle.

Im März 1848 ging, wie ich in dem Büchlein »Aus meiner Jugendzeit« geschildert, in einer Nacht der Lärm durchs ganze Land, durch alle Täler und über alle Berge: »Die Franzosen kommen!«

Auch nach Husen kam ein unbekannter Reiter mit dieser Kunde gesprengt. Der Rat und die Bürger versammeln sich, und es wird beschlossen, eine »Stafette« nach Hasle zu senden und fragen zu lassen, was die Haslacher gegen die Franzosen zu tun gedächten.

Der Schmiedjörg erklärt sich dazu bereit und sprengt im Galopp Hasle zu. Hier empfängt er die Weisung, daß die Haslacher mit allen Glocken stürmen würden, sobald die Franzosen anzögen. Der Schmiedjörg möge nun alsbald am andern Kinzigufer hinaufreiten und im Bergdorf Weiler melden, man solle dort auch stürmen, wenn die Haslacher mit den Glocken Alarm schlügen.

Die Glocken von Weiler aber würden dann auch in Hufen gehört werden. Darauf hin sollten die Hausacher sich »gut bewaffnen, in Reih' und Glied antreten und nach Hasle marschieren gegen die Franzosen«.

Mit dieser Parole reitet der Schmiedjörg wieder im Galopp davon. Indes standen viele Hausacher auf dem Schloßberg und schauten talabwärts. Als sie nun den Schmiedjörg auf der andern Kinzigseite, also auf ungewöhnlichen Wegen ansprengen sahen, glaubten sie, die Franzosen hätten Hasle schon eingenommen.

Jetzt trat der Schniderbasche, ein alter Tambour, in Aktion. Er hing seine Trommel um, steckte eine Hahnenfeder auf den Hut und schlug Generalmarsch in allen Gassen von Husen und rief: »Die Franzosen kommen!«

Entsetzen und Schrecken ergreift alles. Die Frauen weinten und jammerten, die Männer aber griffen zu den Waffen, zu Sensen, Dreschflegeln und Mistgabeln. Beim »Naglerhans« wurden Kugeln gegossen, und dann ging's ohne Signal Hasle zu, wo ich die Hausacher einziehen sah.

Es war bekanntlich ein Lärm um nichts.

Im Sommer darauf taten aber die von Husen einen andern Zug. Sie hielten den Fürsten von Fürstenberg an, da er durch ihr Städtle fuhr. Es waren dies sieben tapfere Mannen, denen es nicht wie den sieben Schwaben an Mut fehlte. Sie verlangten vom Fürsten, daß er ihnen und ihren Mitbürgern die Güter wieder gebe, die er widerrechtlich am Schloßberg und Kreuzberg zu Husen besitze.

Der Fürst meinte, er wolle nichts Unrechtes. Sie sollten nach Karlsruhe kommen, wohin er auch fahre, dann wolle er die Sache schlichten.

Nicht ohne Gefahr verließ der Fürst das Städtle, weil viele arme Bürger zu Tätlichkeiten gegen ihn geneigt waren.

Die Hausacher sandten ihm eine Deputation, den Bürgermeister Waidele an der Spitze, nach. Sie kam aber zurück ohne die Güter am Schloß- und Kreuzberg.

Dafür traten aber die sieben Hausacher, unter ihnen der Schmiedjörg und der Schniderbasche, kräftig in die Revolution von 1849 ein.

Sie stürzten das aristokratische Regiment im Städtle und setzten eine provisorische Regierung ein.

Die von Husen waren denen von Hasle örtlich näher, als die von Wolfe, daher auch die größere Tatkraft.

Die sieben Mannen wanderten später alle nach Freiburg ins Gefängnis – unter ihnen außer dem Schmiedjörg der Schwertwirt Kils, der einzige von den Hausacher Revolutionsmännern, den ich damals schon kannte.

Ihm führte ich von meinem zehnten Lebensjahr an alljährlich eine »Zeine« voll Zwetschgen von meiner Großmutter zu, damit er sie dörre, denn er besaß den einzigen künstlichen Dörrofen im Tal.

Ich tat dies um so lieber, als ich der Großmutter im Winter aus ihrem »Schnitztrog« die Zwetschgen wieder stahl, die ich im Herbst dem Schwertwirt nach Husen gebracht und gedörrt heimgeführt hatte.

Der Schmiedjörg lebt heute, 1906, da das Büchlein neu erscheint, noch, ein hoher Achtziger, rüstig, wohlauf und allzeit schlagfertig in Red und Antwort. Bis vor kurzem war er, der alte Harmonielehrer, noch »Stadtbaumeister von Husen«.

Und nun wieder nach Wolfe.

Eines hatte die Haft bei dem freisinnigen Seifensieder bewirkt: es gefiel ihm anfangs nimmer im Lande Baden, und er wollte nach Amerika auswandern. Wer ihn allein zurückhielt, das war seine Jeannette, die ihm rundweg erklärte, sie ginge nicht mit, und ihm Hoffnung und Mut zusprach, in der guten Stadt Wolfe zu bleiben.

Er hat den guten Rat seines Weibes nie bereut, und alle meine Leser und ich sind der tapfern Frau heute noch dankbar, denn im grenzenlosen Lande Amerika wäre der brave Mann unbeschrieen untergegangen, und wir wüßten nichts von Theodor, dem Seifensieder, der uns jetzt erst noch manches aus seinem Leben zu erzählen weiß.


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