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2.

Zu der Zeit, da ich als Knabe die Flößer bediente und bisweilen auch reizte, war der Schang wohl das angesehenste Haupt aller Schiffer im Kinzigtal, und wenn er nach Hasle kam und beim Frankfurterhans, seinem Schwager, vorfuhr, hatte alles Respekt, als ob ein Fürst käme. Er war aber auch ein Wald- und Holzfürst und ein kreuzbraver Mann alten Schlags.

Aus alter Schifferfamilie stammend, trat er in des Vaters Fußstapfen und wurde auch Schiffer. Aber diesen Namen mußte man bis in die letzte Zeit der Flößerei verdienen. Die Lehrzeit dauerte drei Sommer, und der zukünftige Schifferherr mußte alle Arbeiten der Flözer praktisch mitmachen und daneben noch sich üben im kaufmännischen Wesen.

Der Schang wurde ein Flözer allererster Güte, aber er hatte dazu auch die nötige Kraft und Körperstärke. Drum wurde er neben dem Namen Schang in seinen jüngeren Jahren auch »der starke Hans« genannt.

Seine Freude war es, mit seinen Flößern eine Fahrt »ins Land« zu machen. Aber er tat noch mehr. Oberschiffermeister der Schifferschaft von Wolfe geworden, fuhr er mit den Riesenflößen auch den Rhein hinunter nach Holland.

Zu Anfang des 18. Jahrhunderts waren die ersten Holländer ins Kinzigtal geritten gekommen und hatten auf große Tannen und Eichen gefahndet zu Schiffsbauten. Damit begann der Handel nach Holland, während früher die Schifferschaften vom Kinzigtal nie weiter als bis Bingen, höchstens bis Köln gefahren waren.

Die Flößergespanne des Kinzigtals gingen nur bis Willstätt, die Willstätter nur bis Kehl, die Kehler bis Steinmauern bei Rastatt, die von Steinmauern bis Mannheim und die Mannemer bis Köln, wo Holländer Steuerleute eintraten. Ein Obmann der Schifferschaft aber geleitete das Floß bis nach Holland.

Eingebunden wurden die Rheinflöße aus mehreren Kinzigflößen in Kehl, und mit einer Bemannung von 40 - 50 Personen ging's flußabwärts.

Ein Ober- und ein Untersteuermann kommandierten. Sollte das Floß rechts geleitet werden, so rief der Kommandierende: »Hessenland!« – sollte es links gehen: »Frankenland!«

Nachts durften diese kolossalen Flöße nicht schwimmen; an bestimmten Plätzen wurden sie verankert, und die Flözer übernachteten in einer auf dem Floß errichteten Hütte.

Als Oberschiffermeister und Kapitän begleitete der Schang von Wolfe manch einen Flöz bis hinab nach Amsterdam. Und an gefahrvollen Stellen übernahm er, der starke, gewandte Schiffer, selbst entweder das Kommando oder das vordere Steuerruder.

Gar oft erzählte er in seinem Greisenalter noch, wie er einmal im Angesicht der Bürger Kölns unter großer Gefahr durch die dortige Rheinbrücke gefahren sei.

Es war Vorschrift, daß die Flözer oberhalb der Stadt anhielten und auf einem der Kähne, die sie auf dem Floß mit sich führten, einen Mann nach Köln vorausschickten mit der Meldung, es sei ein Floß im Anzug, damit die Schiffe im Hafen sich darnach richten konnten.

Eines Abends kam unser Schang mit einem Floßungeheuer von mehr denn 2000 Fuß Länge gen Köln angefahren, um oberhalb der Stadt seine Riesenschlange übernachten zu lassen. Die Anker wurden versenkt, faßten aber keinen Grund, und der Strom trieb das Floß abwärts der Stadt zu.

Jetzt sandte Kapitän Schang alsbald einen diplomatischen Agenten ans Land in Person des Dr. Duttlinger, eines geborenen Wolfachers, der in seiner Vaterstadt praktischer Arzt und durch seinen Vater in die Schifferzunft gekommen war.

Er wollte auch einmal die Rheinreise mitmachen und hatte den Oberschiffermeister begleitet als Kassier. Ihn sandte nun der Schang mit der Kasse ans Land, damit diese sicher wäre und damit der Doktor mit Extrapost nach Köln fahre und Alarm schlage, daß ein durchgebranntes Floß im Anzug sei gegen die Rheinbrücke.

Die guten Kölner ließen sofort die Not- und Sturmsignale geben, als der Sohn des Aeskulap mit seiner Schreckensbotschaft ankam, vergaßen aber im Schrecken nicht, dem Boten seine Flößerkasse abzunehmen als Deckung für den allenfallsigen Schaden.

Der Magistrat, eben bei einem Balle, stürzt dem Rhein zu und ihm nach die Bürgerschaft. Die Brücke und die Schiffe werden beleuchtet und mit banger Ahnung dem kommenden Kinzigtäler Ungeheuer entgegengesehen.

Der Obersteuermann, ein Mannemer, welcher das Kommando übernehmen sollte, hatte sich versteckt und war auf dem ganzen Floß nicht zu finden. Die Angst, nicht durch die Brücke zu kommen, ohne die rechts und links im Fluß liegenden Schiffe zu gefährden, hatte ihn verschwinden gemacht.

Da übernahm der Schang von Wolfe das Kommando und – Hessenland! Frankenland! rief er den Männern am Steuerruder zu und bugsierte sein gewaltiges Floß glücklich zwischen den Schiffen und den Pfeilern der Brücke durch. Ein allgemeines Bravo der Kölner, die auf der Brücke und an den Ufern standen, belohnte den wackeren Schiffer. –

In Amsterdam angekommen, wurden die Riesenstämme des Floßes jeweils einzeln oder in kleinen Partien »auf den Abstreich« versteigert, was der Schang gleichfalls zu besorgen hatte.

So oft er nach Holland fuhr, blieb er 10 - 12 Wochen aus und dann, so erzählt heute noch sein Sohn Theodor, mußten seine Kinder, 14 an der Zahl, jeden Abend mit der Mutter einen Rosenkranz beten um glückliche Heimkehr des Vaters.

Die Kinder großer Handelsleute, welche während der Reisetouren des Vaters mit der Mutter jeden Abend zu Gott bitten, damit der Vater glücklich wiederkehre, sind heutzutag zu zählen, oder richtiger, es gibt keine mehr.

Der heutige Reisepapa ist in der Unfallversicherung für viele Tausende, und wenn ihm was passiert, ist seine Familie »fein heraus«. Wozu also beten?! –

Der Tag der Heimkehr des Wolfacher Schiffers aus Holland wurde den Kindern leiblich jeweils dadurch versüßt, daß sie an diesem Tage, sonst nie, Kaffee bekamen. Die älteren Söhne aber durften mit dem Vater einen Kalbskopf essen, eine Delikatesse, die den jungen Theodor öfters zu der Frage trieb: »Gell' Vater, wenn ich einmal groß bin, bekomm' ich auch Kalbskopf?« Ein solcher kostete damals sechs Kreuzer.

So billig, so einfach und so genügsam waren die Menschen im Familienleben der guten, alten Zeit selbst an Festtagen.

War der Schang daheim von seiner weiten Reise, so kamen die kurzen Touren in alle Teile des nördlichen Schwarzwalds und in alle Wälder desselben, um wieder Flöße zu bekommen und ins Land fahren zu können: denn die Schifferschaft Wolfe fuhr damals alljährlich, schwere Kriegszeiten ausgenommen, mit etwa 100 Flößen die Kinzig hinab und dem Rhein zu, keiner unter 1500 Fuß lang.

Dabei fand der wackere Mann noch Zeit, in einem zierlich geschriebenen Tagebüchlein alle Zeitereignisse, Witterungswechsel, Preise der Lebensmittel und anderes niederzuschreiben.

In ihm erzählt er, wie er in Kehl gewesen sei, als Napoleon von Straßburg her in den russischen Feldzug abging. Die Pferde hatten, als der Kaiser in Kehl weiter fahren wollte, den Wagen nicht mehr ziehen wollen.

Leute, darunter der starke Schang, schoben den Wagen weiter, und es ging einige Zeit, bis die Pferde wieder anzogen. Das Volk sagte: »Das bedeutet Unglück. Diesmal geht es nicht gut!« »Und so war es auch,« schließt der Schiffer von Wolfe.

Auch von den Russen erzählt der Schang, wie sie in Wolfe mitten im Winter von 1813 auf 14 im Freien kampiert und im eisigen Kinzigwasser gebadet, aber auch pro Mann und Tag eine Maß Schnaps und drei Pfund Fleisch verlangt hätten.

Der Mann, welcher, unermüdlich tätig, mit Tannen handelte und den Holländern ihre Mastbäume und ihr Schiffsbauholz lieferte, handelte aber auch noch, was man nicht glauben sollte, mit Schmucksachen. Er ließ im Bunde mit einem Bürger von Wolfe und einem solchen von Waldkirch Granaten schleifen und trieb damit einen schwunghaften Handel nach Italien.

Einem braven Mann gehört auch ein braves Weib, und das hatte der Schang gefunden. Da er in jüngeren Jahren mit seinem Vater, von den Flußfahrten heimkehrend, mit der Post fuhr, sah er öfters in Husen des Posthalters Töchterlein, die Marianne. Doch nicht allzulang sah er sie, ohne sich ihr zu nähern. Als er von einer der letzten Fahrten des Jahres 1805 heimkehrte, traf er sie an einem Sonntagabend im Garten und warb frischweg um sie. Wenige Monate später, im Februar 1806, beide waren zusammen noch nicht 40 Jahre alt, hielten sie Hochzeit. Heute steht auf ihrem Grabstein auf dem einsamen Kirchhof von Wolfe: »Sie lebten in Eintracht 59 Jahre und 271 Tage.« Und ihr Sohn, der Theodor, schreibt: »Meine Eltern waren fromme, gute, gottesfürchtige Leute; nie hörten wir zwischen ihnen ein unfriedliches Wort. Sie waren wohltätig gegen Arme und Kranke.«

Es gehört eine brave Mutter dazu, sechs Buben und acht Maidle zu erziehen, wenn der Vater meist fern der Familie ist. Aber sie konnte es, die Marianne von Husen; sie hielt die Kinder an zum Arbeiten und zum Beten, und wenn sie nicht folgen wollten, da gab's, so sagt ihr Sohn Theodor, »Bumbes mit einer achtriemigen Karwatsche.«

Der Vater wurde 87 Jahre alt, die Mutter starb im achtzigsten, und sie sahen, so lange sie lebten, gute, brave, dankbare Kinder um sich.

Wie viel poetischer Sinn aber in dem starken Schiffer und Flößer Schang, der nur einmal im Leben sich übertrunken, wohnte, davon nur ein Beispiel. Als er im Jahre 1805 im Garten zu Husen um seine Frau warb, trug sie ein schönes Mieder von gelbem Damast mit eingestickten Blumen. Dieses Mieder bewahrte er zum Andenken an seinen Werbetag auf, so lange er lebte, und übergab es bei seinem Tode seinen Kindern als Familienstück.

Die Tatkraft, die Energie und die Poesie des Vaters Schang aber ging über auf den jüngsten seiner Buben, auf Theodor, den Seifensieder.


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