Heinrich Hansjakob
Aus dem Leben eines Glücklichen
Heinrich Hansjakob

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

Zwei Nachmittage später kam ich wieder in den Wald. Der Alte sprach: Laß uns gleich ans Werk gehen, damit ich meinen Spruch vollende. Es ist schwül heute und abermals könnte ein Wetter dich vertreiben, ehe ich euer Unglück und mein Glück zu Ende geschildert.

Die Kelten, so ich im Dreisamtale kennen lernte, waren ein fleißiges, aber ein streit- und händelsüchtiges Volk. Ich war drum nicht sehr unglücklich, als eines Tages einige Horden deutscher Nation und alemannischen Stammes über sie herfielen, sie von Hab und Gut vertrieben, in die Berge hinausjagten und sich im Tale und in meiner Nachbarschaft niederließen.

Das Glück brachten diese Deutschen aber auch nicht mit – Krieg, Sorge, Not und Tod hörte auch bei ihnen nicht auf.

Was ich sowohl bei den Kelten als bei den ihnen nachrückenden Alemannen und bis herauf in deine Tage an menschlichem Elend sah, hatte noch eine besondere Eigenheit. Es ging denen, die in Mühe und Arbeit ihr Leben verbrachten, jeweils am schlechtesten. Nicht nur, daß die Elemente, Wasser, Blitz, Hagel, Kälte, Hitze, sie oft um den Lohn ihrer sauren Arbeit brachten: nicht nur, daß sie die ärmlichste Lebensweise führten, sie waren auch vielfach unfrei, leibeigen, wurden von ihren Herren beraubt, geschunden und geplagt, und wenn diese Herren unter sich Krieg und Fehde führten, mußten die Bauern es büßen, Ihre Hütten wurden niedergebrannt, ihre Ernte verwüstet, ihr Leben bedroht.

Eines Tages – vor mehr denn tausend Jahren – kam nun ein Mann und predigte den armen Bäuerlein im Dreisamtale den Glauben an einen gekreuzigten Gott. Auf dem Hügel, der jetzt die Karthause trägt, hörten sie dem Glaubensboten zu und ich auch. Der Prediger trug in der Linken das Bild des Gekreuzigten, und mit der Rechten begleitete er seine Worte vom Heil im Kreuze und von einem bessern, jenseitigen Leben.

Das scheint mir die einzig richtige Religion für euch Menschen, die christliche mit ihrem gekreuzigten Gotte. Das Kreuz ist das echte Sinnbild eures Lebens, das mehr oder weniger für jeden eine Kreuzigung ist.

Darum hörten die Bedrückten und die Enterbten so gerne die frohe Botschaft, die ihnen vorzugsweise galt, die Botschaft von einem andern, bessern, glücklichern, ewigen Leben.

Die Leiden gingen zwar nach wie vor durch die unglückliche Menschheit, aber jene Botschaft gab Mut und Kraft und Trost, das Unglück leichter zu tragen.

Gottesfrieden predigten die Glaubensboten und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, aber das war umsonst. Nach wie vor sah ich die einen Menschen rauben und plündern und kämpfen und die andern beraubt und geplündert und besiegt und mißhandelt werden.

Ich sah in jenen Zeiten die alemannischen Herzöge, die Zähringer, in diesem Walde jagen. Es waren mächtige Herren, aber keine glücklichen Leute. Sie verbrachten ihr Leben in Kämpfen und Sorgen um ihren Besitz, doch den Tod konnte all ihre Macht nicht aufhalten. Er rief sie unerbittlich bis zum Letzten aus ihren herrlichen Besitztümern ab.

Ihre Erben, die Grafen von Freiburg, waren leichtlebige Leute, aber das Glück floh auch sie. Schulden und der Streit mit ihrer Bürgerschaft vertrieben sie aus ihrer schönen Burg in meiner Nähe, und bald ging auch ihr Geschlecht zu Grabe.

Zu ihrer Zeit bauten die Bürger der Stadt das wunderbare Gotteshaus, Münster genannt. Ich hörte sie während des Baues oft davon erzählen, wenn sie im Walde Holz holten. Aber was hat sie angetrieben, der Gottheit solch ein hohes Wunderwerk zu errichten? Antwort: Die Not und der Tod und das Elend dieses Lebens und der Glaube an ein besseres, ewiges Dasein. Also nicht das irdische Glück, sondern das Gegenteil davon hat die Menschen jener Tage bewogen, so großartig den Herrn der Ewigkeit zu ehren. –

Da, es mag seitdem ein halb Jahrtausend vorübergegangen sein, kamen die Karthäuser-Mönche in meine Waldeinsamkeit. Ich sah und hörte sie beten und singen und schweigen und sterben. Aber auch bei ihnen fand ich das Glück nicht. Ich hörte manch einen von ihnen im Walde seufzen und stöhnen im Kampfe gegen Welt und Fleisch, und auf den Stirnen aller, die schweigsam umherwandelten, konnte ich den Ernst, aber nicht das Glück ihres Lebens lesen.

Später erlebte ich es, daß selbst in diesen Gottesfrieden Hader und Zwietracht einkehrten, und lernte erkennen, daß ihr arme Sterbliche hienieden nirgends Glück und Ruhe findet, nicht einmal in den Klöstern. –

In den ersten Jahrhunderten des Karthäuser-Klosters kam oft auch aus der Stadt herauf eine Sorte Menschen, die ich vorher nie gekannt. Es waren Gelehrte, Professoren, Denker, die mit den Mönchen im Wald auf- und abwandelten und – disputierten.

Ich ersah hierbei, was das Denken für euch Menschen ein Unglück ist. Wie mühten sich diese gelehrten Leute ab, das Woher und Wozu aller Dinge zu erklären, und wie erhitzten sie sich über religiöse Spitzfindigkeiten, ohne zu einer Gewißheit und Uebereinstimmung zu kommen! Und wie bleich und abgehärmt von ihrem vielen Denken sahen diese Männer aus!

Ich war angesichts dieser Wasserträgerei in Sieben ordentlich froh, vom Denken nicht geplagt zu sein und noch keine Sekunde meines langen Lebens mich gefragt zu haben, was mein Anfang war und welches mein Ende sein wird.

Ich glaube, daß ein höheres Wesen mich geschaffen hat, und damit begnüge ich mich, umsomehr, als die Zufriedenheit mit meinem Lose nichts zu wünschen übrig läßt.

Mit diesem meinem Glauben stehe ich weit über vielen eurer Gelehrten, die nicht so viel glauben, wie ich, und mit meiner Zufriedenheit hoch über euch Menschen allen, die ihr solche Zufriedenheit gar nicht kennt. –

Die alten Karthäuser sind längst zu Grabe gegangen und neue sind eingezogen mit dir; aber ihr seid alle nur neue Zeugen dafür, daß euch Menschen das Glück flieht. Du bist ein Kläger und Jammerer ersten Ranges, und die armen Leute, die neben dir in der Karthause wohnen, hat das Elend und die Not und das Alter – also sicher nicht ihr Lebensglück hierhergebracht, wo sie unter allerlei Bresten und unter täglichen Seufzern auf den Tod warten.

So sehe ich seit vielen Jahrtausenden rings um mich nur dem Tod Geweihte, Leidende, Sterbende, mögen sie nun Pflanzen, Bäume, Tiere oder Menschen heißen.

Und wenn an Sommer-Sonntagen auch hunderte aus der Stadt kommen und jubeln und jauchzen durch den Wald hin, so geschieht es lediglich, um die Sorgen, Mühen und Arbeiten, die während der Woche auf diesen Spaziergängern liegen, zu vergessen und zu übertäuben.

Von Glück ist – das weiß ich alter Menschenkenner nur zu gut – bei allen diesen scheinbar fröhlichen Sonntagskindern keine Rede.

Und ihr Jauchzen zur Sommerszeit bestärkt mich in meinem Glück ebenso sehr, wie die harte Arbeit der armen Holzmacher, die zur Winterszeit im Walde frieren und seufzen.

Wie viele belauschte ich schon hier, wenn sie an sonnigen Tagen in meiner Nähe saßen und ausruhten oder Waldblumen suchten. Sie sprachen meist von Lenz und Liebe und von seliger, goldener Zeit. Und wenige Jahrzehnte später hinkten sie, alt geworden, an Sonntagen durch den Wald und seufzten über die Sorgen des Lebens und über die Bresten des Alters. Oder es kam nur eines von beiden, weil das andere nach langer Pein der Tod geholt, und das Ueberlebende schaute voll Schmerz in die Gründe, auf denen einst beide im Frühling des Lebens und der Liebe Blumen geholt.

Und wenn ich gar das alles erzählen wollte, was ich von dir selber gehört über euer Glück, es gäbe allein ein ganzes Buch. Wie oft hab' ich euch belauscht, wenn du mit einem deiner wenigen Freunde, die dich in der Karthause besucht, hier unter den Tannen saßest und ihr über euer Menschtum redetet. Die Armseligkeit eures Lebens, seine Flüchtigkeit und seine Leiden und Schmerzen waren der Hauptgegenstand eures Gesprächs.

Nur bei einer Sorte von Menschen sprachst du von Glück und Seligkeit. Du nanntest diese Sorte die Knechtseligen, die nach oben wedeln und kriechen. Aber dies müssen erst recht armselige Tröpfe sein; denn du redetest immer mit Verachtung von ihnen als von Menschen, die den Hunden Konkurrenz machten.

Ich brauchte dir eigentlich gar keine Rede zu halten darüber, daß ich glücklicher bin als ihr. Ich tue es auch nur um derer willen, die da so dumm und so unvernünftig und so gedankenlos sind und meinen, euer Leben sei schön und glücklich.

Ich könnte dir für diese noch vieles sagen über mein einzig Glück und über meiner Mitgeschöpfe Leid; aber ich denke, du hast genug gehört von mir, um andern was von einem wahrhaft Glücklichen erzählen zu können. Am Schlusse meines langen Redens rufe ich drum allen meines Geschlechts, groß und klein, zu: Freuet euch eures Daseins! Ihr steht auf der untersten Stufe der geschaffenen Wesen, aber auf der glücklichsten.

Wo immer Geist und Leben sich zeigt in den Geschöpfen, da sind auch unzertrennlich damit verbunden Leiden und Tod. Und je höher ein geschaffenes Wesen hienieden steht, um so höher steigt sein Schmerz und sein Leid. Und da der Mensch auf Erden das geistig bevorzugteste Wesen ist, sucht auch ihn am meisten heim des Lebens Pein.

Der allein richtige Wahlspruch für ihn heißt: Leiden und dann Sterben.

In diesen zwei Worten liegt die ganze Geschichte des Menschengeschlechtes. Das einzige Glück dabei ist, daß euer Leben so kurz und so flüchtig ist und ihr es bald überstanden habt. Der Tod ist so eigentlich euer bester Freund, obwohl er euch meist schrecklich plagt und peinigt, bis er euer Leben besiegt hat. –

Wie kurzlebig seid ihr, wie bald seid ihr vergessen und wie zerstört die Zeit all' eure Werke! Wenn ihr eure Namen, euer Andenken, euren Ruhm erhalten und verlängern wollt, müßt ihr sie unsereinem anvertrauen. Mein Geschlecht ist es, dem ihr es verdankt, wenn die Nachwelt noch etwas sieht und erfährt von der Vorwelt.

Und wir, die wir kein einziges eurer Leiden teilen, euch aber um Jahrtausende überleben und euch und eure Werke der Vergessenheit entreißen, wir sollten nicht glücklicher sein als ihr?

Ich schließe und sage: Bei mir und bei meinem Geschlechte allein wohnt hienieden das Glück und der Sieg über Not und Tod und Vergänglichkeit. – Ich hab' dir, alter Karthäuser, nun gesagt, was ich längst auf dem Herzen habe; wenn du etwas über mein Glück einzuwenden hast, so bringe es vor. Ich werde dir die Antwort nicht schuldig bleiben. –

Also endigte der Alte im grünen Röcklein.

Ich aber, der Karthäuser, sonst nicht redefaul, wußte nicht recht, was ich dem glücklichen Geschöpfe widerlegen sollte. Und doch wäre es für einen vom Herrschergeschlecht der Schöpfung eine Schande gewesen, dem scharfen Maul des Vorredners gar nichts zu entgegnen.

Ich sagte ihm also ziemlich kleinlaut: »Du hast in vielem, ja fast in allem recht, was du von deinem Glück und von der andern Geschöpfe Unglück behauptest, aber eines muß ich dir doch sagen. Die Menschen stehen weit über dir durch ihre Gotteserkenntnis und durch ihre Berufung zu einem ewigen Glück in einem andern, bessern Leben.«

»Und dann stehst du weit unter ihnen, denn du kennst und weißt nicht, was Freude, was Liebe, was Tugend heißt – Eigenschaften, die den Menschen groß und glücklich machen.«

Also sprach ich, der Karthäuser. Der im grünen Röcklein aber war gleich bei der Hand mit der Antwort. Ueber seine Züge ging's wie ein Hohnlächeln, und dann führte er mich ab mit den folgenden Sätzen: »Ich muß lachen über deine vermeintlichen Vorzüge des Menschen, wenn ich bedenke, was ihr damit machet. Es ist wahr, eure Vernunft lehrt euch, Gott zu erkennen. Aber die einen von euch benützen diese Vernunft, um Gott zu leugnen und ihn aus der Schöpfung hinauszuwerfen. Es ist in der neuesten Zeit mehr denn ein solcher Gottesleugner durch diesen Wald gegangen und hat mit einem Gleichgesinnten diese Leugnung besprochen.«

»Die andern, zu denen auch du gehörst, glauben und erkennen Gott, aber wie viele von euch tun und leben nach dieser Erkenntnis? Unter zehn Millionen ist nicht ein Heiliger!«

»Im großen und ganzen seid ihr Menschen Gott gegenüber alle, deutsch gesagt, Lumpen, indem ihr sein Dasein entweder leugnet, oder ihm nicht gebt, was ihr ihm schuldig seid.«

»Was das ewige Leben betrifft, zu dem Gott euch berufen, so verhält es sich damit ähnlich wie mit eurer Gotteserkenntnis. Ihr seid berufen, aber wer von euch folgt ernstlich dieser Berufung?«

»Allsonntäglich höre ich von weitem die Kapläne von St. Martin drunten in der Klosterkapelle predigen, daß ihr Menschen zu wenig oder gar nichts tätet fürs ewige Leben.«

»Und so war es schon vor drei und vier Jahrhunderten, als die Professoren der Universität noch zu den Karthäusern kamen und mit ihnen über die Religion sprachen. Damals schon hörte ich sie davon sprechen, daß die meisten Menschen, weil sie ihren himmlischen Beruf vernachlässigten, ewig verloren gingen, d. h. statt ewigen Glückes ewige Pein zu erwarten hätten. Wenn dem so ist, dann danke ich für euren Vorzug mir gegenüber, der ich stets glücklich und euch Eintagsfliegen gegenüber unsterblich bin.«

»Auch um eure Freuden beneide ich euch nicht. Sie sind die seltenen Tropfen Honig im großen Essigfaß eures Lebens. Ihr freut euch, so lange ihr jung seid und des Lebens Not nicht fühlt; aber diese Freude müßt ihr später teuer bezahlen, und es bleibt euch von ihr nur die schmerzliche Erinnerung.«

»Und erst euer Lieben! Die wahre, die göttliche Liebe, sie kennt und übt ihr nicht. Die höhere, menschliche Liebe ist gleichbedeutend mit Leiden. Lieben heißt leiden, so hast du einmal in meiner Gegenwart in ein Buch geschrieben.«

»Die ordinäre, sinnliche Liebe, die ist erst recht euer Unglück. Der sinnliche Liebesgott ist der Gott alles Unheils in eurem Leben.«

»Wie viele unglücklich Liebende sah ich schon durch diesen Wald gehen! Und erst im vergangenen Frühjahr hat sich ganz in meiner Nähe ein junger Mann getötet. In seiner Rocktasche fand man einen Zettel, der besagte, er habe sich das Leben genommen aus unglücklicher Liebe,«

»Also geh' mir mit eurer Liebe und ihrem Glück!«

»Und was endlich eure Tugend anbelangt, so habe ich zwar in meinem langen Leben eure Laster: Eigennutz, Grausamkeit, Stolz, Sinnlichkeit, Lüge, Ungerechtigkeit, Heuchelei, Neid, Bosheit und wie sie alle heißen, kennen gelernt, Tugenden aber blutwenig. Du weißt von dir selber, wie wenig ihr Menschen der Tugend euch rühmen dürfet, und du hast hier mit Freunden mehr denn einmal von Leuten gesprochen, die sich der Tugend und Frömmigkeit rühmen, in Wirklichkeit aber keinen Kreuzer wert und eher heuchlerische Schufte als Tugendhelden sind.«

»Die einzige Tugend, die euch in aller Not helfen könnte, die Geduld, die habt ihr am wenigsten, ich aber im Ueberfluß. Ich lasse auf und über mich seit Jahrtausenden Regen und Sturm, Blitz und Hagel ergehen, ohne je auch nur eine Sekunde kleinmütig zu werden.«

»Also mit all euern Vorzügen ist es nichts, weil sie entweder in Wirklichkeit keine sind oder weil ihr sie nur mißbraucht und sie euch mehr zum Verderben als zum Heile gereichen.«

»Drum werdet ihr – wenn einst, wie schon die ersten christlichen Glaubensboten hier predigten, euer und mein Gott kommen wird, die Welt zu richten – jammern und wehklagen und in Angst und Trübsal vergehen. Unsereiner aber wird in jenen Tagen, da die Welt in Stücke geht, zu denjenigen gehören, welche furchtlos und schmerzlos von ihren Ruinen betroffen werden. Und ich werde sicher auferstehen in schönerer Gestalt und glänzen als Edelstein. Denn wenn der Herr, wie ich früher schon oft von den Mönchen habe sagen hören, nach dem Weltuntergang alles neu und herrlich schafft, wird er auch uns, seine bravsten Geschöpfe, nicht vergessen.«

»Willst du mir jetzt bald zugestehen, daß ich glücklich bin, allein glücklich unter allen denen, die um mich leben und sind?« –

Der Karthäuser war besiegt. Er erhob sich, eine Träne des Neides in seinen Augen, schritt hinüber zu dem Alten, klopfte ihm auf seine grüne Schulter und sprach: »Du hast in alleweg recht. Du bist glücklich, weil ohne Sorge, ohne Mühe, ohne Schmerz und ohne Tränen, ohne Liebe und ohne Leiden. Ich bitte dich, sei fortan mein Freund, denn du hast mich gelehrt, mich und mein Geschlecht selbst zu erkennen, und mich gemahnt, entweder mein Leben und meine Berufung besser zu benutzen oder dich zu beneiden um dein Los.«

Es ging auf meine Worte hin über das Antlitz des Alten etwas wie tiefes Mitleid. Er blickte mich wehmutsvoll an und sprach noch einmal: »Höre auf zu reden, armes Menschenkind, sonst ergreift mich Schmerzlosen ein Weh, weil ihr, die höchsten Geschöpfe, so unglücklich euch fühlet, daß ihr mich beneiden müßt.« –

Meine Tränen träufelten auf den Alten herab. Ich schied. Er hatte mich verstanden, der Glückliche, und das war für mich Grund genug, zu weinen. –

Und nun, lieber Leser und Mitmensch, wenn du es bisher noch nicht gemerkt, wirst du jetzt fragen: »Wer ist denn dieser glückliche Alte?«

Der Glückliche, dessen Leben und Lebensanschauung, dessen Lehren und Mahnungen ich dir kurz hier vorgeführt, ist kein anderer, als ein mit Moos bedeckter – Granitfelsen. Der Glückliche ist ein – Stein.

Daß aber auch die Steine uns predigen können und predigen sollen, hat schon unser Herr Jesus Christus, die ewige Wahrheit, gesagt.

Nimm, lieber Leser, die Steinpredigt zu Herzen, und da dir hienieden das Glück des Steines nicht beschieden ist, so suche mit allem Ernste das ewige, viel höhere Glück, zu dem du berufen bist. Und wenn dereinst ein neuer Himmel und eine neue Erde erschaffen sein werden und dann dich und mich mein alter, glücklicher, unverwüstlicher Wald-Freund wiedersehen sollte in der neuen, bessern Welt, im Lande der Seligen, dann wird er uns zurufen: »Jetzt seid ihr die Glücklichen!«

 


 


 << zurück