Hans von Hammerstein
Roland und Rotraut
Hans von Hammerstein

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Die Brautfahrt.

Mehrere Jahre blieb Roland auf dem Uhlenstein. Flämmchens jähes, trauriges Ende hatte ihn und Fürst Gunther nur fester miteinander verbunden. Er teilte mit dem brüderlichen Freunde die trüben wie die frohen Tage, und es bedurfte keiner großen Bitten und Versprechungen, daß er den Fürsten auf der düsteren Burg inmitten seiner rauhen Genossen, unter denen er doch einsam war, nicht allein ließ. Er wurde von ihm in allen ritterlichen Künsten ausgebildet, trug das flatternde Uhlenbanner an Gunthers Seite tapfer gegen die gelben Mord- und Brandhorden und verdiente sich bald die ersten Sporen. Ein schöner, ernster Jüngling von hohem Wuchs und kühnem Blick war er geworden, und die Augen der schönen Edelfrauen an den fremden Höfen, die er mit dem Fürsten in friedlichen Fahrten besuchte, ruhten mit viel Wohlgefallen auf ihm. Aber seit der wilden Glut, die Flämmchen in ihm entfacht hatte, war sein Herz wie erstarrt und blieb ungerührt von allem Reiz der Schönheit.

Von Rotraut hatten sie trotz alles Suchens und Forschens keine Spur zu finden vermocht. Weit in den Osten und auch südwärts bis tief nach Italien waren sie gekommen. Wenn auch manchmal eine undeutliche Fährte entdeckt schien, sie erwies sich bald als trügerisch. Selbst 130 Kriegsgefangene hatten sie ausgeforscht. Alles war vergebens. Roland, der seinem selbst gewählten Wappen, einer feuerroten Lilie im weißen Feld, ungeachtet seiner Jugend in ernstem Streit und fröhlichen Kampfspielen schon große Ehre gemacht hatte und allenthalben für einen wackeren Degen galt, erwog endlich die Heimkehr.

Eben war der Frühling wieder in die einsamen Bergtäler um den Uhlenstein eingezogen, die Lawinen donnerten von den Höhen, die Christrosen schimmerten in den Wäldern, die Schneeglöckchen im Tal, und der Pfirsichbaum im Zwingergarten schüttete wie alljährlich um die Zeit von Flämmchens Sterbetag seine rosigen Blüten über ihr efeuumkränztes Grab. Da saßen sie eines Abends beisammen und sprachen vom Abschied und daß sie einander innige Freunde und treue Waffenbrüder bleiben wollten bis ans Ende. Während sie derlei redeten, ertönte plötzlich ein Horn vor dem Tor. Sie traten in den Gang hinaus und sahen in den Hof. Die Knechte liefen mit Windlichtern, die Brücke wurde rasselnd niedergelassen und drei Reiter ritten herein.

»Gut Freund!« sagte der erste, indem er mühsam absaß, zu den Knechten. »Führt mich zum Fürsten,« bat er. Man geleitete ihn hinauf. Gunther trat ihm auf der Treppe entgegen. Der Ankömmling war ein graubärtiger Ritter. Er sah übel aus. Den Arm trug er in der Schlinge und eine Binde über dem linken Auge. Rüstung und Gewand wiesen Spuren überstandener Kämpfe auf.

»Ich bin Wigbert Hager von Sichtenberg, ein Fahrender,« sprach er. »Edler Herr, wollt Ihr mir, zween Knechten und drei Rossen Atzung geben und Quartier 131 für eine Nacht? Wir sind müde einer langen, bedrängnisreichen Fahrt. Als wir mit knapper Not unser bißchen Leben den schlitzäugigen Teufeln abgerauft hatten, wollten es diese riesigen Berge in Schnee und Frost ersticken. Wahrhaftig, lieber stell' ich mich gegen ein Dutzend ehrlicher Feinde, als daß ich noch einmal die müden Knochen und den armen Gaul dazu im hüftentiefen Schnee über diese Pässe zerre.«

»Die Mordbrenner?« fragte Fürst Gunther erstaunt, indem er den Gast, nachdem er ihm die Hand geschüttelt und die für seine Unterbringung nötigen Befehle erteilt hatte, in den Saal führte, »sind sie schon wieder unterwegs?«

»Nicht zu Euch,« erwiderte Wigbert, »Ihr mögt dies Jahr ruhig schlafen. Aber eh' ich erzähle, gestattet, daß ich mich des Eisens entledige.«

Der Fürst und die übrigen Uhlensteiner halfen ihm, Waffen und Rüstung abzulegen. Schwebel brachte ihm sogleich einen mächtigen Humpen zum Willkomm, und nachdem der Alte sich gestärkt und an der Tafel Platz genommen hatte, fuhr er in seinem Bericht fort:

»Die Gelben haben euch wohl für ein paar Jahre satt,« begann er, »seit ihr sie vergangenen Sommer so griffig in die Flanke gepackt und uns beim kaiserlichen Heer geradezu in den Rachen getrieben habt. Da haben sie tüchtig Fell gelassen, und sie werden sich hüten, den schmerzenden Schorf, der sich kaum über ihre Wunden gezogen hat, so bald wieder an euren Felsgebirgen zu wetzen. Genug. Als sie so kräftig geworfen waren, benützte ich die gute Gelegenheit der endlich sicheren Straßen und ritt einmal frischweg südwärts an den kunst- und sangfrohen Hof der schönen Königin Irene.« 132

»Irene?« fiel der Fürst ein, die Augenbrauen emporziehend. »Irene? König Konstantins Tochter?«

»Gewiß,« versetzte der andere; »seit ihres Vaters Tod regiert sie mit viel tatkräftiger Grazie ihr sonniges Land am blauen Meer.«

Ein dunkler Schatten flog über Fürst Gunthers Antlitz.

»Sagt mir,« fragte er dumpf vor sich hinblickend und mit der Hand an seinem Becher spielend, »hat sie einen ihrer würdigen Gemahl gefunden? – Sie war, soviel ich sie kannte, recht anspruchsvoll. Durfte es wohl auch sein,« setzte er lächelnd, doch nicht ohne Bitterkeit hinzu.

»Nein,« antwortete der Ritter. »Der Ares ist noch nicht erschienen, der diese Aphrodite betört hätte, und einen hinkenden Vulkan wird sie nicht nehmen, hätt' er auch ein Dutzend Ätnas voll goldenen Geschirrs und Edelsteinen. Schön, ledig und spröde zum wahnsinnigwerden gebietet sie über Köpfe und Herzen, sofern – ja, sofern der Hunnenkönig sie nicht schon ohne viel Federlesens zur Sklavin seiner Lüste gemacht hat!«

»Wieso?« rief der Fürst auffahrend.

»Nun,« fuhr der Alte fort, »die Gelben setzen ihr hart genug zu. Den ganzen Winter hab' ich mich im Glanz ihrer Reize gesonnt; wie nun die Rosen zu blühen begannen, was sie ja dort schon im Februar tun, juckte es mir in den Gliedern nach stählenden, deutschen Frösten. Man verkommt da unten auf die Dauer und wird wie Wachs in der lauen, blütenschwülen Meerluft. Ich ließ meinen Klepper satteln, bedankte mich schön bei Hof und bei ein paar hübschen Weibern für Kost und 133 Nachtlager und ritt herauf. Wie ich so meine zehn Tagreisen hinterm Sattel hatte, sag' ich eines Morgens zu Kunz, dem Knappen: ›Schau‹, sag' ich, ›Kunz, was schwelt da für Rauch übern Hügel her?‹ ›Das muß ein tüchtiger Brand gewesen sein, Herr,‹ antwortet der, ›mir ziemt, da hat der rote Hahn ein ganzes Dorf gefressen.‹ Wir ritten hin, und so war's. An die dreißig niedergesengte Hütten und erschlagene Bauern herum, und Weiber mit aufgeschlitzten Bäuchen und Kinder an die Steine geschmettert, kurz – Hunnenfährten! ›Kunz und Jürgen,‹ sag' ich, ›die Hascher dauern mich, aber ich bin doch recht froh, daß wir da gestern abend nicht unsere Pferde an die Krippen und unsere Lefzen an die Krüge gehängt haben. Das hätt' eine teuere Zeche gegeben!‹ – Was tun? Wir reiten ein Stück landeinwärts und forschen weiter. Von einem Hügel aus gegen Osten und Süden in der Ferne wieder Rauch, da, da und dorten. Und schon wälzt sich uns eine jammernde Karawane von Flüchtlingen entgegen. Greise, Weiber, Kinder, Sack und Pack auf Karren und Gäulen, ein paar Kerls mit Spießen und Sensen dabei. Ja, ja, die Hunnen sind da. Gestern kamen sie angeschwirrt wie die ägyptischen Heuschrecken, und heut' schon treiben die Bäche Blut, und brenzelt's im ganzen Land nach verschmortem Menschenspeck; dort hinten brennt die Hauptkolonne hinunter, der Königin Irene geradezu aufs schneeweiße, seidige Fell los. ›Kerls,‹ sag' ich, ›jetzt haben wir uns da einen lauen Südwinter lang mästen und karessieren lassen, und nun, euer Wein war gut, eure Mädchen waren besser, aber wenn euch die Hunnenflöhe ins Bett hüpfen, mögt' ihr selber sehen, wie ihr sie wieder loswerdet! Das geht 134 nicht. Kehrt euch! Gaul 'rum! Die Picke auf und mitgetan. Sind ihrer nur drei, aber sie kennen das gelbe Luderfleisch und wissen es zu schätzen.‹ Der Gedanke war schön und deutsch, aber die Hunnen wollten ihn der Königin Irene nicht verdolmetschen, lagen uns schon quer in der Gasse, stanken uns rundum mit Pech und Schwefel in die Nasen, und schließlich, da ich immer noch nicht nachgeben wollte und bei Nacht und Nebel durchzuschlüpfen suchte, staken wir mitten drin im Wespennest und jetzt – Heil Sporn! – daß wir wieder 'rauskamen. Meinen linken Glotzer hab' ich ihnen gelassen und mein rechtes Mäusel. Den Kunz haben sie nur in die Wade gestochen, den Jürgen in die Backe. Aber so ein halbes Dutzend haben wir zerquetscht. Dem letzten, der uns auf den Fersen war, hab' ich selbst mit dem großen Messer das Maul unter der Stumpfnase bis an die Ohren gezogen, daß er sich an seinen Zähnen und Schnauzbartspitzen totschluckte. Besser konnt' ich der gastfreien Königin leider nicht danken. Was hätt' sie von unsern Köpfen gehabt, wenn sie ihr auf den Spießen präsentiert worden wären? Dummköpfe, hätt' sie gesagt, wäret ihr lieber fest auf euern ausgepichten Gurgeln sitzengeblieben, hättet euch heimgesputet und auf dem Weg überall, zumal in den deutschen Marken, das Maul aufgemacht. Und das haben wir denn auch getan, und hier tu' ich's noch einmal. Fürst, wenn ihr den Namen eines Befreiers der schönsten Königin der Welt verdienen wollt, dann laßt den Heerbann ergehen und fallt den Hunnen in den Rücken, wie ihr ihnen voriges Jahr in die Flanke fielt. Und vielleicht,« setzte er lachend hinzu, »vorausgesetzt, daß es Euch in den Kram paßt, vielleicht 135 seid ihr dann der Mars, dem die Venus als Siegespreis wird.«

Wieder flog ein Schatten über Fürst Gunthers hohe Stirn. Aber sie klärte sich sogleich wieder, und mit blitzenden Augen sprach er: »Eine willkommenere Post, mag sie noch so trübe klingen, hättet Ihr mir nicht bringen können, Herr Ritter. Noch heut' nacht soll das Hunnenhorn werben, daß es weithin in die Berge dröhnt. Sagt mir nur, was wißt Ihr sonst von dem Krieg da unten, und was habt Ihr auf dem Wege hierher alarmieren können?«

»Nicht sonderlich viel,« entgegnete Wigbert. »Durch Flüchtlinge erfuhr ich noch, daß der erste Zusammenstoß der Truppen der Königin mit den Hunnen übel für jene ausgefallen sei. Doch die Stadt mag sich wohl lange halten. Sie ist gut befestigt und erhält Proviant vom Meer. Freilich wird das Piratengesindel und was sonst für Strauchdiebe auf dem großen Wasser wegelagern, den saubern Genossen auf dem Lande helfen. An Entsatz konnt' ich auch nichts aufbringen. Man harrt Eurer Entschließungen.«

»Gut!« erwiderte der Fürst, »Krieg, ihr Herren!« rief er und stand auf.

»Krieg!« riefen begeistert die Uhlensteiner.

»Krieg!« krähte Schwebel nach, denn er mußte erst seine Kanne leeren.

»Jetzt nichts von Abschied mehr!« sagte Roland zum Fürsten. »Ich geh' mit dir.«

Gunther schüttelte ihm die Hand.

Noch in der Nacht wurden Reiter in alle Richtungen entsendet, um den Heerbann aufzubieten. 136

Als Roland sich zur Ruhe begab, folgte ihm der Fürst in sein Gemach und sagte, nachdem er die Tür geschlossen hatte: »Seltsam, welche Wege einem das Geschick bereitet! Es sind jetzt ungefähr sechs Jahre her, da beschloß ich, ein unfertiger tölpelhafter Maulheld, auf die Freite zu ziehen. Früh verwaist, hier als junger Gebieter zwischen wilden Gesellen herrenlos aufgewachsen und für jede Flegelei bewundert, glaubte ich mich einen rechten Teufelskerl, der nur mit dem kleinen Finger zu winken brauche, daß ihm alle Kronen zu Füßen flögen. So warf ich mein Auge auf die Prinzessin Irene, die Erbin von König Konstantins Reich, deren wunderbare Schönheit damals eben durch Minnesänger weit und breit bekannt wurde. Mit prunkhaftem Gefolge begab ich mich auf dem Seeweg an Konstantins Hof, trat dort mit täppischem Stolz auf und vermeinte, die schöne Irene lechze nur gerade so nach der Gnade meines Antrags. Sie aber wußte meine Anmaßung sehr bald peinlich abzukühlen, während ihre unerhörten Reize meine Leidenschaft aufs höchste entflammten. Ich gedachte mich vor ihr in den Kampfspielen zu produzieren, doch hatte ich das Unglück, an weit gewiegtere Kämpen zu geraten und unterlag jämmerlich. Aus Verzweiflung betrank ich mich bei einem Gelage und drang in diesem Zustande, alles Anstands vergessend, mit wilden Erklärungen auf Irene ein. Sie wies mich scharf ab, es gab einen lauten Auftritt, und ich mußte mit Schimpf und Schande heimziehen. – Aber vergessen hab' ich sie nicht, und die Höllenqualen, die mir das brennende Schamgefühl und die verzehrende, nie ganz erlöschende Leidenschaft bereiteten, haben aus mir einen Mann 137 gemacht. Den kann ich ihr jetzt noch einmal zeigen. Ich danke dem Himmel für die Gelegenheit! – Und dir, bester Freund,« fügte er hinzu, »hab' ich auch zu danken. Was noch Rauhes, Unritterliches an mir haftete, ist im reinen Glanz deiner Unschuld, Anmut und Herzensgüte von mir gewichen. Wer weiß, wohin mich meine Verzweiflung getrieben hätte, wärst du mir nicht recht als ein Engel des Lichtes von Gott geschickt worden. Als ich dich fand, war ich auf dem besten Wege, ganz zu verwildern. Vergelte dir Gott, was du an mir getan!« schloß er und umarmte Roland, während Tränen über seine Wangen rollten.

Lange kam heute der Uhlenstein nicht zur Ruhe, und im ersten Morgengrauen schon wurde es in Hof, Gängen und Ställen wieder lebendig. Halbgerüstet gingen Ritter und Knechte eilig hin und her, gepackte Pferde standen vor den Stalltüren, hier saß einer pfeifend und putzte einen Harnisch, dort bespannte einer seinen Bogen mit neuer Sehne, der Schmied beschlug die Rosse, die Mägde liefen und keiften, die Hunde bellten. Und immer neues Volk zu Fuß und zu Pferde sammelte sich in und um der Burg.

In der Mitte des Hofes stand Schwebel puterrot mit kriegerisch rollenden Blicken und bemühte sich, einen riesigen Zweihänder gegen einen aufgestellten Block zu schwingen. Schnaufend, daß ihm die versoffenen Äugelchen aus den Höhlen traten, hob er das Ungetüm von Schwert, hielt es, mühsam mit seinem Bauch ums Gleichgewicht ringend, über dem Glatzkopf, blickte fürchterlich um sich, stieß drohende Warnungsrufe aus, daß die Weiber kreischend unter die Bogen flüchteten, und hieb 138 dann, den Block verfehlend, auf die Fliesen, daß die Funken stoben, und er, von der Wucht des Schwunges vorgerissen, zum schallenden Gelächter aller Umstehenden der Länge nach hinschlug. Auf der Wiese unterm Burgfelsen war ein lustiges Feldlager aufgeschlagen. Feuer brannten unter dampfenden Kesseln, Picken und Morgensterne lehnten in starrenden Haufen beisammen, Pferde waren angepflockt, hochbeladene Karren standen umher, und die Krieger saßen und lagen trinkend und lachend dazwischen oder schritten ab und zu. Besonders die Gebirgsschützen, sehnige junge Leute in bunter Tracht, boten einen malerischen Anblick.

Des andern Tags, als noch die Sterne ungewiß am ergrauenden Himmel flimmerten, brach das Uhlensteiner Heer auf. Unter Wulfharts Führung war schon den Abend vorher Mannschaft mit Schaufeln und Hacken vorausgegangen, um die Übergänge über die Gebirgspässe wegsam zu machen.

Als die Morgensonne den reisigen Zug auf einer Höhe begrüßte, war er durch Haufen Bewaffneter, die ihn am Weg erwartet hatten oder aus Nebentälern zu ihm gestoßen waren, schon um ein beträchtliches angewachsen.

Fröhlich funkelten ihre Strahlen in Rolands Rüstung, die spiegelte wie blaues Gletschereis. Er ritt neben dem Fürsten, der ganz in schwarzen, kunstvoll mit Gold verzierten Stahl gehüllt war. Ein schwarzer und gelber Federschmuck wallte von seinem Helme, ein roter und weißer von Rolands Eisenhaube. Vor ihnen flatterte lustig das gelbe Banner mit der schwarzen Uhle im frischen Märzwind. Gelf, um dessen dürre Glieder sich ein Kettenhemd schmiegte, konnte auch im ritterlichen 139 Schmuck seine Natur nicht verleugnen. Raubvogelhaft spähte seine vergnügte, bartlose Schalksmiene aus der anliegenden Kettenhaube hervor, bequem streckten sich die langen Beine in den Bügeln, der ganze Kerl schien Stahl und Leder. Er liebte den Krieg über alles, aber weniger des Kampfes und Ruhmes halber, als wegen der lustigen Verwirrung, die ihm täglich prächtige Gelegenheiten zu allerlei Gaunerstreichen schuf. Auch Schwebel schätzte an den kriegerischen Unternehmungen mehr das Beiwerk als die Hauptsache. Am liebsten hielt er sich beim Troß auf, wo es auch was zu trinken gab. Und wenn es sich die anderen nach langem Marsch in den Quartieren bequem machten, ging für die beiden erst das rechte Leben an. Leise pfeifend und lauernd, stand Gelf dann herum oder strich wie ein Fuchs, der Federn wittert, in den Gassen auf und nieder, und plötzlich war er verschwunden. Schwebel indes ließ sich am liebsten mit großer Herrlichkeit, als wär' er des Kaisers Oberfeldherr, vor den Schenken nieder, trank, riß Witze und bramarbasierte, daß den Zuhörern, deren sich immer gleich ein Haufen um ihn sammelte, angst und bange wurde. Sein feldmäßiger Aufzug war weniger kriegstüchtig als martialisch. Er ritt einen gutmütigen, wohlgenährten Klepper, der sein heftiges Spornieren nicht allzu ernst nahm; seine Rüstung klaffte in den Fugen über den feisten Gliedmaßen weit auseinander, so daß sich überall sein Untergewand hervorquetschte; dafür hatte er eine grellpurpurne Schärpe grausam um den Leib geschlungen und hielt mit der fetten Pfote eine Art Marschallsstab gebieterisch auf den Schenkel gestützt. So ritt er hin, das Haupt kühn zurückgeworfen, die kurzen 140 Beine fast an der Pferdeschnauze, ganz ein großmächtiger Gewalthaber, und ließ es sich angelegen sein, den Troß anzutreiben und zu dirigieren, von dem seine kunterbunten, schimpfenden Befehle oft mit lautem Gelächter erwidert wurden.

An der Grenze des Landes wurde der Uhlensteiner Zug durch die Macht des Markgrafen Werinhart fast verdoppelt, und es war jetzt ein bedeutendes Heer, über das Fürst Gunther den Oberbefehl führte.

Die Hunnen belagerten nun, nachdem sie die Truppen der Königin Irene in mehrfachen Kämpfen zurückgeworfen hatten, schon seit Wochen deren Hauptstadt. Da, wie der Hager von Sichtenberg richtig vermutet hatte, allerlei Seeräubergesindel ihnen half, war die Stadt schon in einer üblen Lage und, von Flüchtlingen überfüllt, nahe daran, ausgehungert zu werden. Schauerlich war der Marsch durch das ausgeplünderte Land. Überall niedergebrannte Dörfer, verwüstete Felder, verwesende Leichenhaufen, von denen beim Herannahen des Zuges krächzende Wolken von Raben und Geiern schwerfällig aufwirbelten. Dazu brannte die südliche Sonne, es mangelte an Wasser und Proviant, vom Feind war nichts zu sehen, und die Heerführer hatten Mühe, der aufsteigenden Unzufriedenheit zu wehren. Endlich erblickten sie von der Höhe einer erstiegenen Hügelkette aus in der Ferne die schlanken Türme der Stadt und dahinter das Meer. In der Ebene vor den Stadttoren qualmte in weitem Halbkreis das Hunnenlager. Die Feinde schienen keine Ahnung von der Gefahr in ihrem Rücken zu haben. Nicht ein Posten war in den Bergen aufgestellt. So ließ Fürst Gunther das Heer hinter den Höhen sich sammeln 141 und Aufstellung nehmen. Er teilte es in drei Haufen, die in der Nacht weit voneinander aus verschiedenen Richtungen geschlossen vorrücken, dann sich im Morgengrauen am Rand der Ebene entwickeln und miteinander Fühlung nehmen sollten, so daß der Feind sich mit Tagesanbruch gänzlich umschlossen sähe. Er selbst führte das Zentrum und behielt Roland, der der flinkste Reiter war, bei sich, daß er seine Befehle an die Führer der anderen Gruppen überbringen könne. Markgraf Werinhart hatte Auftrag, die rechte Flanke seiner Gruppe bis ans Meer vorzuschieben. Dank der vollständigen Sorglosigkeit der Hunnen gelang der Aufmarsch vollkommen.

Für den Morgen hatte der Feind eben einen neuen gewaltigen Angriff auf die Stadt bereitet, die sich schon in höchster Notlage befand. Die zusammengeschmolzene Besatzung hingegen plante einen letzten, verzweifelten Ausfall. Schon in der ersten Morgendämmerung begann ein wütender Kampf vor den Toren. Die königlichen Truppen brachen hervor und drängten einen Teil der anstürmenden Hunnen zurück. Ein dichter Frühnebel lag über der Ebene. Ganz unbemerkt rückte der eiserne Ring des ungeahnten Entsatzes heran. Als die Sonne aufging, hob ein frischer Wind vom Meere her die Dunstschleier, und nun erst sahen sich die Hunnen von Tausenden blinkender Harnische im Rücken umfaßt. Jetzt gab auch Fürst Gunther das Zeichen zum Angriff; der Boden erdröhnte von schwerstampfenden Hufen, und wie eine dumpfe Brandung wälzte sich der Schlachtruf der deutschen Ritter heran. Das feindliche Lager durchrasselten die funkelnden Reitermassen zuerst. Da schwoll das Angstgekreisch der Weiberscharen schrill empor, mark- und 142 beindurchdringend, wie der Lärm eines aufgescheuchten Wanderzuges von tausend Kranichen. Aber hindurch brauste die schnaubende, klirrende, lanzenstarrende Panzermauer, und hochauf wölkte sich wirbelnder Staub über niedergerissenen Zelten, umgestürzten Wagen, zertretenen Leibern und halb wahnsinnig durcheinander Flüchtenden, die von den Hufen verschont geblieben waren. Die Hunnenführer suchten Fronten gegen die Angreifer zu bilden. Wirr gellten die Befehlsrufe durcheinander, in wilden Haufen drängten und bäumten sich die kleinen, struppigen Pferde, einzelne Pfeile irrten den Rittern entgegen. Aber donnernd brach die eiserne Woge herein und erdrückte sie. Und hinter den krachenden Lanzen blitzten die langen Schwerter auf und pfiffen nieder auf die kleinen Rundschädel, daß manch ein gelbes Stumpfnasengesicht entsetzt in zwei Hälften auseinanderspritzte. Fluchen und Pfauchen, Brüllen, Röcheln und Zähnefletschen, stürzende Menschen, stürzende Pferde, flutendes Flüchten und verzweifeltes Zurückstauen, und von den Wällen der Stadt her tosendes Jubelgeschrei. Aus allen Toren stürzten die Verteidiger hervor, den Rettern entgegen, und die dürstende Rache ersättigte sich in Hunnenblut. Endlich gelang es dem Feind, sich nach Süden durchzuschlagen. Da aber empfing die in wilder Auflösung Dahinjagenden ein Hagel von Pfeilen der dort aufgestellten Bergschützen. Rosse und Reiter stürzten in gräßlichem Knäuel übereinander. Und mitten hinein brachen wieder die nachstürmenden Eisenhaufen der Verfolger. Als die Sonne im Mittag stand, war kein heiler Hunne mehr auf der ganzen Ebene. An die dreitausend lagen über, unter, neben ihren Pferden 143 erschlagen. Und wo Markgraf Werinhart sie gepackt hatte, waren sie zu Hunderten auf scheuen Rossen ins Meer gestürzt und ertrunken. Aber auch manch ein eiserner Ritter lag tot auf dem Feld der Ehre. Fürst Gunther sammelte seine ganze Macht und führte sie zur Verfolgung des gänzlich zersprengten Feindes. Die aus der Stadt hervorgebrochene königliche Reiterei schloß sich ihm an.

Schwebel war es in der allgemeinen Spannung und Erregung, die den Abend vorher geherrscht hatte, ungemütlich geworden. Die Feldherrn berieten. Niemand hatte Zeit für seine Witze, und wo sein Schmerbauch im Wege hing, wurde er gröblich angefahren. So begab er sich schließlich brummend zum Troß, der in einem Wäldchen lagerte. Dort ließ er sich das letzte Fäßchen Wein, das auf strengen Befehl des Fürsten bis jetzt für Kranke und Verwundete aufgehoben worden, vom Wagen heben und anschlagen. Vergnügt rollte er den ersten Schluck hin und her über seine Zunge, über die schon tagelang zu seinem höchsten Mißvergnügen nichts als laues, übelriechendes Wasser geflossen war. Dann einen Becher nach dem andern mit großer Andacht leerend, verkündete er den umherlagernden Troßknechten unter großartigen Gesten seine bevorstehenden Heldentaten. Allen voran werde er auf rasendem Rosse in die Schlacht fliegen, vor seinem furchtbaren Kampfgeschrei würden die Hunnen erbleichen und erzittern bis in die tiefsten Tiefen ihrer gelben Mordseelen; drei, vier, fünf, sechs würde er an seinen Spieß reihen wie Brathühner und dann, mit seinem Schwert rechts und links mähend, eine Gasse hauen, durch die das ganze Heer ohne Gefahr 144 könnte in die Stadt ziehen. Solches und noch Grauenvolleres prophezeite er, trank mit den Knechten das ganze Fäßchen leer, legte sich dann als ein Mann, dem Feldschlachten Kleinigkeiten sind, wie etwa andern Leuten Spaziergänge, beruhigt hin und entschlummerte süß.

Als ihn ein Troßbub weckte, stand Aurora schon rosig lächelnd am Himmel, und das Heer war längst fort. Zornig schalt er den Jungen, daß er ihn hätte so lange schlafen lassen, bestieg von einem Baumstrunk aus keuchend sein dickes Pferd und trieb es heftig mit den Sporen an, daß es die Ohren zurücklegte und schweifdrehend in hastigem Galopp den Berg hinaufrannte. Als er auf der Höhe anlangte, sah er unter sich nichts als ein weißes Nebelmeer, aus dem in der Ferne die schlanken Türme der Stadt aufragten. Dumpfer Lärm drang von dort herüber. Zaudernd hielt er inne und ließ den Troß nachkommen. Nun erhob die Sonne sich strahlend, der Nebelschleier wallte empor und durch seine Risse blitzten die Rüstungen der gegen das Hunnenlager vorrückenden Reiterlinien auf. Der Wind trug Befehlsrufe herüber, rollend und rasselnd setzten sich die Massen in Bewegung. Man sah, wie sie durchs Lager fluteten, dessen Hindernisse Trennungen und Schwankungen in die Reihen brachten, wie diese sich dann wieder schlossen und gegen die Hunnen anwälzten, die vor den Stadttoren wimmelten wie Ameisen, denen jemand mit einem Stecken im Wohnhaufen herumstochert.

Gleich einem Feldherr, der vom Hügel aus die Schlacht lenkt, ragte Schwebel inmitten der gaffenden Troßknechte und Reiter, die zum Schutz des Trosses zurückgeblieben waren, und fuchtelte erregt mit seinem Stab in der Luft herum. 145

»Der Markgraf hat zu spät angesetzt!« rief er, »seht nur, da gibt's eine Lücke, einen bösen Angriffspunkt für den Feind. He, Markgraf! Einen Staffel vor! Rasch, rasch, eh' der Hunn' seinen Vorteil wahrnimmt. Da – die Lücke schließt sich schon, brav so, brav! Und jetzt vorwärts, hinein, das gelbe Gesindel an die Stadtmauern geschmissen, daß sie platt kleben bleiben! Aber dort im Süden! – Welcher Esel führt denn dort an! Der marschiert ja, als ging's ins Nachtquartier! Das Fußvolk ist noch nicht einmal ganz von den Höhen herunter, die Reiterei ist zu früh losgegangen! Zum neunschwänzigen Hunnenteufel! Da wird der ganze Schwarm auswischen, wie Fische zwischen Netz und Ufer! O Herr, o Herr! Wenn man nicht überall selber dahinter ist!«

Vor den Toren gab es nun ein wüstes Durcheinander, und vor Staub war kaum mehr was auszunehmen. Allmählich lösten sich kleine Teile und stoben längs den Stadtwällen gegen Süden ab, immer größere folgten; endlich zog sich ein langgestreckter, schütterer Haufe dorthin, prallte vor dem aufmarschierten Fußvolk zurück, schwankte, wie von einem Windstoß geworfen, gegen die Stadtmauern an und verwirrte sich aufs neue. Das ganze Heer, auch der Hauptteil von Markgraf Werinharts Flügel, drängte nach, und zwischen der Stadt und dem Fußvolk, teilweise über dieses hinweg, ging die wilde Jagd, so daß binnen kurzem das ganze Feld von Kämpfenden leer war.

»Vorwärts!« gebot Schwebel, und der Troß setzte sich bergab in Bewegung. Mit ungefähr hundert Reisigen ritt Schwebel voraus.

Da schlängelte sich ihnen aus den zerstörten Gassen 146 des Hunnenlagers heraus ein verworrener, schwankender Zug eilig entgegen. Versprengte Reiter schlossen sich ihm an und bildeten einen Haufen an seiner Seite.

»Holla!« schrie Schwebel, »da will der Hunnentroß ausrücken. Lanzen eingelegt! Hurra!«

Und die Sporen einsetzend, stürmte er los. Die Hunnenreiter, die, eben dem Schlachtgetümmel mit knapper Not entronnen, kaum verschnauft hatten, stoben beim Anblick des vor seinem Fähnlein ansprengenden, von roter Schärpe umflatterten Ungeheuers entsetzt auseinander; einen, der eben sein Pferd wenden wollte, rannte Schwebel übern Haufen, die anderen flüchteten nach allen Richtungen; der Zug stockte, und ohrenzerreißendes Wehgezeter erhob sich auf und um den Wagen und Karren. Schwebel parierte seinen Gaul, und als er zurückritt, stürzte ihm eine wilde Horde heulender Hunnenweiber entgegen, umringte ihn knieend, und gnadeflehend streckten sich Dutzende gerungener Hände zu ihm empor.

Stolz hielt er in der Mitte, blickte schrecklich um sich und brüllte: »Die Gurgeln werde ich euch abschneiden lassen, ihr Teufelsh . . . . ., die Bäuche aufschlitzen, euch mit den Pechschöpfen an die Roßschweife binden und durch die Straßen der Stadt schleifen lassen . . . .«

In noch lauter aufheulendem Geschrei ging seine Stimme unter.

»Kehrt!« winkte er heftig mit seinem Stab. Seine Reiter fielen den vor die Karren gespannten Rossen in die Zügel und rissen sie herum, und vereint mit dem Troß des fürstlichen Heeres bewegte sich der gefangene Hunnentroß der Stadt zu, eine endlose, polternde Wagenreihe. 147

In der Stadt hatte man inzwischen durch zurückkehrende Krieger erfahren, daß Fürst Gunther der Befreier aus der Hunnennot sei. Die Königin Irene war, bei allem Siegesjubel und Dankesgefühl, als ihr der Name des Retters gemeldet wurde, einigermaßen in Sorge, wie wohl der einstmals schwer beleidigte Freier seine Siegerrechte ausnützen würde und gab Befehl, zu seinem Empfang alles so festlich zu gestalten, als es in der Eile gehen mochte. Von den Palmen in den Gärten riß man die Zweige und gab sie jungen Mädchen, daß sie dem Zug der Sieger lobsingend entgegenwallen sollten; Teppiche, kostbare Stoffe und Fahnen wurden aus den Fenstern gehängt, die Frauen sammelten, was an Blumen und Blüten aufzutreiben war, und die Königin selbst begab sich mit allen Würdenträgern und dem Rat der Stadt in eine große Säulenhalle auf dem Marktplatze, wo sie, umgeben von ihrem ganzen Hofstaate, den Fürsten zu empfangen gedachte.

Eben war sie dort angelangt, als schon ein Reiter mit dem Rufe: »Sie kommen! Sie kommen!« auf den Platz sprengte.

Alle Glocken der Stadt begannen zu läuten, feierlich bewegte sich der Zug palmentragender Jungfrauen gegen das Haupttor, in ungeheurer Erwartung stand Kopf an Kopf die Menge in den Straßen.

Vom Tor herauf schwollen brausende Jubelrufe, Tücher und Fahnen wurden geschwenkt, Händeklatschen und tobende Begeisterung pflanzte sich von Gruppe zu Gruppe, von Fenster zu Fenster fort.

Und in der Straße, hoch zu Roß, an der Spitze eines Reitergeschwaders erschien, stolz um sich nickend und zu den Fenstern hinaufwinkend, Schwebel. 148

»Ein prächtiger Mann, der Fürst!« sagte ein Bürgersmann zu seinem Nachbar und schwenkte den Hut.

»Welch königliche Haltung!« meinte ein anderer.

»Schön, die rote Schärpe und der Marschallsstab!« versetzte ein dritter.

»Etwas beleibt ist er!« wagte der nächste zu bemerken.

»Große Feldherrn sind das öfters,« versetzte ein Magister der hohen Schule. »Pompejus war fett, und selbst der Große Alexander soll Anlage zur Fülle gehabt haben.«

»Ich möchte eher etwas Neronisches an ihm entdecken,« fand sein Kollege.

»Nein, Tor, den deutschen Schlachtengott, stell' ich mir so vor,« warf schmunzelnd ein silberhaariger Gelehrter ein. »Ich denke fast, der hohe Herr schwingt den Becher so gut wie den Streithammer!«

Und das Volk jauchzte, klatschte und winkte, Blumen regnete es auf Schwebel herab, schöne Frauenaugen blitzten ihm begeistert zu, und er saß in breiter Herrlichkeit auf seinem Roß und lachte und nickte und warf Kußhändchen hin und her.

Plötzlich staute sich vor ihm ein schimmernder Haufe. Weißgekleidete Mädchen waren es, sie schwangen die Palmenwedel und sangen ein Siegeslied.

Gerührt horchte Schwebel, und als sie geendet hatten, beugte er sich herab und kniff die Nächststehende wohlwollend in die Backen.

»Schön habt ihr das gemacht!« rief er, »aber noch netter wäre es von euch, wenn ihr mir was zu trinken brächtet.«

Die Kleine drehte sich schämig, schwieg und sah verlegen nach rückwärts, wo sich jetzt im feierlichen Schweigen ein mahnendes Räuspern vernehmen ließ. 149

Schwebel sah auf und erblickte drei Ratsherren vor sich. Der mittelste trug auf einem Seidenkissen drei große goldene Schlüssel.

»Welcher davon ist der Kellerschlüssel?« rief der Gefeierte vergnügt. »Das wäre der einzige, der mich angeht. Mit den übrigen, und wäre auch der zum Herzen der schönen Königin dabei, müßt ihr euch an andere wenden.«

Die Herren wußten nicht, was er meinte, und sahen erstaunt zu ihm auf, und ohne den Sermon abzuwarten, den der Schlüsselbringer im Halse hatte, ritt er weiter.

Als er auf den dichtgefüllten Platz kam, brauste der Jubel um ihn empor wie eine Brandung. Er ritt spornstreichs zur Säulenhalle und saß ab. Höflinge stürzten herbei, hielten ihm Pferd und Bügel, griffen ihm unter die Arme, knieten vor ihm. Die Königin war an die teppichbelegten Stufen vorgetreten, die zur Säulenhalle emporführten. Ein Kranz schöner, junger Mädchen umgab sie; Pagen, Ritter und Große des Reiches standen im Hintergrund um die in der Halle aufgestellten Marmorbilder.

Gewichtig klirrte Schwebel die Treppe herauf und grüßte vornehm mit seinem Stabe.

»Ein glorreicher Tag, schöne Herrin! Was?« rief er jovial. »Ja, wir Uhlensteiner, wir sind der rechte Hunnenschreck, der Schreck des Schreckens, die Befreier der Bedrängten, die Retter der Schönheit!«

Die Königin war erstaunt einen Schritt zurückgetreten, und maß ihn mit ungewissem Blick. Dann schlug sie errötend die Augen nieder und vortretend hob sie ihre Hände zu einer zaghaften Umarmung des Siegers und 150 bot ihm zögernd die schöne Wange. Schwebel schmatzte ohne weiteres einen tüchtigen Kuß darauf.

»Ihr habt Euch sehr verändert!« sprach die Königin, noch tiefer errötend. »Ich hätte Euch kaum erkannt.«

Und im stillen dachte sie, welch schreckliche Verheerungen doch der Wein an einem Manne anrichten könne.

»Nicht wahr?« rief Schwebel. »Ich glaub's, daß ich mich verändert habe. Bei dem verteufelten wochenlangen Wassersaufen und Reiten in der hitzigen Armatur muß ich ja ganz von Ansehen gekommen sein!«

Indem trat ein Page mit einem prächtigen Goldpokal voll Weines vor und reichte ihn der Königin. Die nippte am blanken Rande und bot ihn Schwebel dar. Dieser, mit erfreutem Lächeln sich verneigend, ergriff ihn und leerte ihn auf einen Zug.

»Sapperlot!« rief er, mit der Zunge schnalzend, »ein wundervoller Tropfen! Der rinnt wie himmlisches Feuer durch die verlechzte Kämpferkehle und ist wahrhaftig einen Hunnensieg wert! Bursche, füll' das noch einmal!« wandte er sich zum Pagen. »Oder warte!« fuhr er mit aufleuchtenden Augen fort, als er hinter ihm zwei Diener bemerkte, von denen einer einen riesigen, goldbeschlagenen Kristallkrug hielt, der mit dem Feuerwein gefüllt war.

»Gebt gleich die Kanne her!« sprach er zu dem Diener und ergriff ohne weiteres den Krug. »Der goldene Fingerhut ist ja sehr hübsch, doch könnt' er mir leicht in die Kehle geraten.«

Und mit kräftiger Faust den schweren Krug hebend, rief er: »Zum Wohl, schöne Fürstin! Zum Wohl, ihr hübschen Kinder, ihr edlen Herren! – Prost, Held 151 Schwebel!« fügte er dann sich räuspernd hinzu und setzte das Gefäß an, und in starrer Bewunderung lauschte der ganze Hof seinem gewaltigen Schlucken.

Während er so zog und sog, ging plötzlich eine Bewegung durchs Volk. Fanfaren schmetterten vom Tore her, Pferdegetrappel und Waffengeklirr wurde laut.

»Die Hunnen!« kreischte irgendwo unten eine Weiberstimme, und das schreckhafte Wort wirkte auf die Volksmassen wie ein Windstoß auf ein hohes Ährenfeld. Ängstlich drängten die vordersten Reihen zu den Stufen empor.

»Unsinn!« schrie Schwebel, den Krug absetzend, und deutete, daß man sich beruhigen solle. »Die Uhlensteiner sind's! Der Fürst ist's und der Markgraf!« Und schnell hob er wieder den Krug an die triefenden Lippen.

»Seid Ihr denn nicht Fürst Gunther?« fragte die Königin mit groß erstaunten Augen.

Schwebel, fortschluckend, winkte lustig mit der Hand: »Nein!«

Ein Gemurmel ging durch die Halle. Da tauchten auch schon die Reiter in der Straßenmündung auf. Erst zwölf Fanfarenbläser in zwei Reihen hintereinander, dann einige Schritt zurück der Fürst und der Markgraf, hinter ihnen ein Gedränge von Rittern und Reisigen. Die Menge wich in schweigendem Erstaunen zur Seite. Wo war der rechte Sieger? Die Fürsten hielten vor der Halle und saßen ab. Den leeren Krug schwenkend, trat ihnen Schwebel entgegen und rief: »Hier geht's einem prächtig! Die schönen Frauen empfangen einen mit offenen Armen, gespitzten Lippen und vollen Bechern! Fürst, hier wollen wir einige Zeit rasten.« 152

Aber Fürst Gunther kümmerte sich nicht um ihn und kam eilig die Stufen herauf. Er hatte den Helm abgenommen. Frei wallten ihm die dunklen Locken um das kampfgerötete Gesicht, seine Augen leuchteten.

Vor der Königin ein Knie beugend, küßte er ihre Hand und sprach: »Allerschönste Königin! Der Feind ist mit Gottes Hilfe vernichtet, die Stadt ist frei, der Sieger ergibt sich Eurer Gnade!«

Das Antlitz der Königin wurde hell, und sich neigend, schloß sie Gunther in ihre Arme.

Jetzt donnerte neuer Jubel im Volke, und auch der Hofstaat schwenkte die Hüte mit lauten Hochrufen.

Die Königin begrüßte nun gleicherweise den Markgrafen, und hinter den beiden Fürsten betraten viele Ritter die Halle. In der ersten Reihe stand auch Roland. Er löste den Helm, nahm ihn ab und verneigte sich, wie die anderen, tief vor der Königin, die alle lächelnd, und das schöne Antlitz neigend, begrüßte. Dann schritt sie zwischen Gunther und dem Markgrafen in den Hintergrund der Halle, wo mit kostbaren Stoffen überworfene Sitze aufgeschlagen waren.

»Rotraut!« rief da plötzlich Rolands Stimme in lautem Jubel.

Ein wunderschönes, schlankes Mädchen aus dem Gefolge der Königin wandte sich verwundert um.

»Roland!« kam es leise von ihren zitternden Lippen, und ihre großen blauen Augen weiteten sich in grenzenlosem seligem Erstaunen. »Roland! Bist du's?« und mit einem Aufschrei stürzte sie an die Brust des jungen Ritters.

Mächtiges Überraschen bewegte die ganze Runde. Die Königin, Gunther und der Markgraf kehrten sich 153 um. Mit den eisenbeschienten Armen hielt Roland die blütenzarte Jungfrau umschlungen, und beide lachten und schluchzten und überschütteten sich gegenseitig mit liebevollen Fragen und hatten alles ringsum vergessen.

Die Königin trat näher. Ihr verwunderter Blick heischte Erklärung. Aber von den zwei Glücklichen war keine zu erlangen. Sie hielten sich bei den Händen, sahen sich mit strahlenden Augen an und waren keiner Rede und Antwort fähig.

Da nahm der Fürst, der sogleich begriff, was sich hier ereignet hatte, das Wort und berichtete der Königin und den Umstehenden in wenigen Sätzen Rolands Geschichte, wie er sie selber wußte.

Die Königin hinwiederum erzählte nun, daß ein venezianischer Kaufmann, der alljährlich mit einer Schiffsladung voll Kostbarkeiten in die Stadt und auch an ihren Hof käme, Rotraut vor einigen Jahren einmal mitgebracht hätte. Das liebliche, traurige Kind habe ihr gefallen und sie erbarmt, und da der Kaufmann damit einverstanden war, habe sie es zu sich genommen.

»Und das fremde Mädchen ist aufgeblüht wie eine Wunderblume,« schloß sie. »Ihre Schönheit ist die größte Zierde unseres Hofes, ihre Anmut und Liebenswürdigkeit hat alle Herzen gewonnen; sie ward uns teuer wie eine liebe Schwester.«

Und Rotraut umarmend, beglückwünschte sie die Errötende, daß sie ihren Jugendfreund wiedergefunden. Die Uhlensteiner schüttelten Roland die Hände, der ganze Hof nahm freudigen Anteil an der lieblichen Szene, die wie ein günstiges Himmelszeichen den ganzen Siegesjubel krönte. 154 Recht wie der Kriegsgott selber stand Fürst Gunther in seiner ragenden jungen Kraft und Heldenschönheit neben der stattlichen Königin, die, ein funkelndes Diadem auf den dunkeln Haaren, Reihen schimmernder Perlen um den weißen Nacken und die herrlichen Glieder von unschätzbaren Stoffen umflossen, strahlte wie die hohe Göttin der Liebe und des Glückes. Olympiern glichen sie, die auf die Erde herabgestiegen waren. Aber Roland und Rotraut schienen ein süßes Frühlingsmärchen, das blühendes Leben gewonnen, wie es ein Dichter in den seligsten Tagen jungen Glückes erdachte.

Im Triumph geleitete jetzt das ganze Volk den Hof und die Sieger zum königlichen Schloß, das ganz aus blendend weißem Marmor erbaut, mit weiten Säulenhallen und Tempelfriesen von einem Hügel über zauberhaft blühende Gärten aufs unendliche blaue Meer hinaussah.

Wie einen Delinquenten führten Gelf und Wulfhart den vom schweren Weine halb trunkenen Schwebel an seiner Feldherrnschärpe im Zuge, und der vorweggenommene Siegesbecher kostete ihm weidliche Püffe und manch ein böses Lob der kühnen Schlacht, die er dem Hunnentroß geliefert. Allerdings hatte er mit diesem Streich eine Menge geraubter Schätze wieder zurückerobert und seine Aufgeblasenheit war durch keinen Hohn zu dämpfen.

Das Heer der Befreier füllte die Stadt, und der ärmste Bürger schätzte sich glücklich, einen der tapferen Reiter oder Bergschützen beherbergen zu dürfen. Jubel herrschte in den geschmückten Straßen, Musik erklang, bekränzte Mädchen zogen Arm in Arm mit den Kriegern singend und lachend umher. 155

Die Fürsten und Edelleute aber waren Gäste der Königin, und im weiten Schloß wurden große Feste bereitet.

Die Sonne neigte sich schon dem Meere zu, da begab sich Roland in den Garten. Rotraut hatte versprochen, sich dort finden zu lassen. Als er unter den hohen Säulen über breite Marmorstufen ins Freie trat, wehte ihm der laue Seewind die Düfte unzähliger blühender Bäume und Gesträuche entgegen, die in wunderzarten Farben den ganzen Abhang umwölkten. Die hellen Blüten der Magnolie glänzten zwischen violettem Flieder und hängendem Goldregen, wie große purpurflammende und schneeweiße Kugeln standen die Büsche der südlichen Prunusstauden auf dem Rasen, üppige Dickichte von Rhododendron zogen sich längs den kiesbestreuten Wegen hin, von allen Seiten langten die vollen weißen und rosigen Arme der Kirschen- und Mandelbäume in die blaue Luft, und dunkelschlank streckten sich die Zypressen empor, von Rosenranken umwunden und durchflochten.

Er sah Rotraut am Sockel eines Marmorbildes lehnen und verträumt aufs weite Meer hinausschauen. Leise näherte er sich ihr. Sie trug ein schlichtes blaßblaues Gewand, das, über den weißen Schultern von silbernen Spangen und unter der Brust von einem silbernen Gürtel zusammengehalten, in leichten Falten ihre schlanke Gestalt umfloß. Das volle Haar war ihr über dem leichtgeneigten Nacken in einen schweren Knoten geschlungen, den ein blaues Seidenband durchzog. So schön war sie inmitten der wunderbaren Blütenpracht, daß Roland stille hielt, als fürchte er, das liebliche Bild würde wie ein Traum zerrinnen, wenn er weiterginge. 156

Nun hatte Rotraut ihn bemerkt und trat lächelnd auf ihn zu. Ihre beiden Hände fassend, zog er sie an sich und wollte sie küssen. Sie bog sich zurück und sagte errötend: »So groß und fremd bist du geworden. Ich fürchte mich beinah vor dir. Und was für eine tiefe Stimme du hast!«

Roland lachte und erwiderte: »Nun, so gar viel bist du nicht zurückgeblieben. Sieh, bis zur Stirne reichst du mir. Und wie schön du auch erblüht bist, ich finde nichts Fremdes an dir und hab' dich heute gleich unter all den Mädchen erkannt. Freilich, die dünnen, sonnengebräunten Ärmchen sind nun voll und weiß geworden, und die Locken, die dir immer so lustig um die Schultern flogen, müssen dir nun wie ein Mantel bis zu den Fersen reichen.«

Und wieder wollte er sie in die Arme nehmen.

»Komm,« sprach sie verwirrt, »laß uns in jene Laube gehen. Wir haben uns noch soviel zu erzählen.«

Sie ließen sich auf einer steinernen Bank unter blühenden Hecken nieder und berichteten einander ausführlich all ihre Erlebnisse seit dem Tag ihrer gewaltsamen Trennung.

Rotraut erzählte, daß sie von den zwei Reitern, die sie geraubt hatten, ungefähr eine Tagereise weit gegen das Gebirge gebracht worden sei. Dort in einem Städtchen sei sie einer Frau übergeben worden, die von einem braunbärtigen Mann begleitet war. Die Beschreibung, die sie von den beiden machte, paßte genau auf jene Personen aus der Dienerschaft von Rolands Vater, deren Verschwinden um die Zeit, da Rotraut geraubt worden, er bemerkt hatte, und sein längst gehegter Verdacht, 157 daß der Fürst selber Rotraut hatte entführen lassen, wurde ihm zur Gewißheit. Doch verschwieg er ihr seine Gedanken und ließ sie ruhig fortsprechen. Sie sei dann, erzählte sie, übers Gebirge nach Venedig zu einem Kaufmann gebracht worden, bei dem sie es nicht schlecht hatte. Der Mann habe sie zu kleinen Diensten in seinem Geschäfte, besonders zur Bedienung der Damen verwendet, denen er kostbare Stoffe und Edelsteine verkaufte. So habe er sie auf mancherlei Fahrten und einmal auch zur Königin Irene mitgenommen, die sie dann bei sich behielt.

Sie plauderten noch mancherlei, und immer, wenn Roland ein wenig zärtlich werden wollte, verstand es Rotraut, ihn sanft abzuwehren, so daß er selber endlich ganz verwirrt war und es gar nicht mehr recht wagte, ihr voll in die Augen zu sehen, die vor seinem Blick auch immer gleich den seidigen Schleier ihrer langen, braunen Wimpern vor die reine, blaue Tiefe zogen. Unsicher und scheu gingen seine Worte wie durch ein Beet von zarten Blumen, die er nicht berühren durfte, und schließlich wollte ihm durchaus nichts mehr Rechtes einfallen.

Sie standen auf und gingen durch den Blütengarten zum Meer hinunter. An der Gartenmauer lehnend, lauschten sie dem leisen Wogenschlag unten am Strand und sahen die weißen und bunten Segel draußen im Meer gleiten, das die Sonne, in lauter Rosen niedergehend, wunderbar überschimmerte. Von den schlanken, goldumstrahlten Türmen der Stadt her wehten die Abendglocken. Ein brauner Fischerknabe saß gerade unter ihnen an der Mauer. Er flickte ein Netz und sang: 158

Junge, sprach heut' die Mutter zu mir,
Junge, sag' mir, was ist nur mit dir?
Fischest tagelang hin und her,
und abends sind deine Netze leer.

Mütterchen, ach, das will ich Euch sagen,
mit bösem Siechtum bin ich geschlagen.
Fahr' ich da jüngst am Gestade hin,
hatte nur meine Fische im Sinn.

Stand da am Ufer ein süßes Mädchen,
hatte geschürzt übers Knie die Röcklein,
hielt im Händchen ein schwankendes Stöcklein,
hing an dem Stöcklein ein seidenes Fädchen,

und an dem Fädchen hing eine Rose,
die ließ sie so leicht, so lustig und lose
über die Wellen hintanzen und schwingen,
wollt' aber kein Fischlein danach springen.

Ich rudert' heran mit dem kleinen Schiffe,
daß ich das rote Röselein griffe.
Flugs schlang sich die Schnur da mit einem Schmiß
mir rund um den Leib, und mir gab's einen Riß.

Aufsprang ich schnell, und rund um mein Boot
war es von Rosenblättern ganz rot,
und tief im Herzen, da saß mir fest
die Angel, die nimmermehr locker läßt.

Fortlief das Mädchen mit hellem Lachen,
zog mich hinterher mitsamt meinem Nachen,
und die Angel, die wühlte und bohrt' mir im Herzen,
daß mir die Sinne vergingen vor Schmerzen.

Und Mütterlein, ich muß es Euch klagen,
so geht's nun fort seit Nächten und Tagen,
hin und her an den leidigen Fädchen
zieht und zerrt mich das liebliche Mädchen. 159

Lauf' ich ihr nach, sie läßt sich nicht fangen,
Flieh' ich von ihr, so schmerzt mich die Angel;
schon ist von ihren Stichen und Bissen
mir ganz und gar das Herze zerrissen.

Das ist es, Mütterchen, was mir fehlt,
mich wahnsinnig macht und zu Tode quält,
darum sind stets meine Netze leer,
und dauert's noch lang, so geh' ich ins Meer.

Der Knabe schwieg, hielt das Netz gegen das Licht, pfiff die Melodie des Liedchens in einer Variante nach und begann wieder zu flicken und zu singen:

Noch hüllte Land und Meer mit weichem Schweigen
Der Morgenschleier. Über allen Wegen
wob sich des Frühlings schwerer Blütensegen,
ich brach mir einen von den weißen Zweigen.

Schlank sah ich die Geliebte niedersteigen
den Kirchenpfad. Ich trat ihr bang entgegen,
und meines Herzens langverhaltnes Regen
sollt ihr das Zweiglein, bebend dargeboten, zeigen.

Sie lächelte. Wie kam's, daß meine Lippen
da plötzlich mutig auf den ihren ruhten?
Wie stand die Süße rosenrot erschrocken!

Der Nebel riß. Der Küste weiße Klippen,
der Gärten Blust umflossen Morgengluten,
und jubelnd dröhnten rings die Osterglocken.


Am Mittwoch nach dem Palmensonntag hatte Fürst Gunther die Hunnen geschlagen. Der heiligen Woche wegen beschloß man, die eigentliche Siegesfeier mit der des Ostertages zu verbinden. Auch sollten erst die gefallenen Christenstreiter mit großen Ehren bestattet und dann der Stadt Zeit gelassen werden, alle Spuren der 160 ausgestandenen Kriegsnot, so gut es in der Eile gehen mochte, zu verwischen.

Aber Fürst Gunther hatte nicht nur den Feind vernichtet, er hatte auch das Herz der schönen Königin Irene erobert, und dem einst verschmähten Freier, der sie und ihr Reich nun aus der todbringenden Umschlingung eines gräßlichen Drachen errettet hatte und als ein ernster, gereifter Mann und prächtiger Held vor ihr stand, verweigerte sie nun nicht mehr ihre Hand. So sollte denn der österliche Siegesjubel durch die öffentliche Verkündigung ihres Herzensbundes und Feier ihres Verlöbnisses noch erhöht werden.

Roland, dem der Fürst als erstem davon Mitteilung machte, beneidete ihn nicht wenig. Und als Gunther ihn lächelnd fragte, ob er die langgesuchte und endlich wunderbar wiedergefundene Rotraut nicht auch schon der Königin als sein Bräutlein vorstellen könne, mußte er betrübt den Kopf schütteln.

Es ging ihm seltsam mit Rotraut. Nach dem Jubel, mit dem sie einander bei ihrem Wiedersehen begrüßt hatten, schien sie ihm von Stunde zu Stunde mehr in die Ferne zu entschweben. Die Vertrautheit, die sie als Kinder miteinander verbunden hatte, war dahin; etwas Fremdes, Ungewisses stand zwischen ihnen. Das schöne Mädchen schien wie von einem zarten Schleier der Scheu und Unberührbarkeit umhüllt, und alle Versuche, den alten Ton zu treffen und ihr näher zu kommen, waren umsonst. Ihre knospenhafte Verschlossenheit war herb und abweisend, und Roland konnte das Zauberwort nicht finden, dem die Blume ihres Herzens sich öffnen mochte. Und während bei ihm über den versunkenen 161 Erinnerungen süßen Kinderglückes im Glanz von Rotrauts Schönheit rasch ein üppiger Blütengarten der Liebe erstand, war sie wie verloren in einer fremden Welt von Gedanken und Träumen, zu der auch Roland keinen Zutritt hatte. Zwar konnte er viel mit ihr zusammen sein. Sie wandelten miteinander im zauberhaft blühenden Garten und saßen in den duftigen Lauben am Meeresstrand, oder Rotraut zeigte ihm die Schätze des Königsschlosses. Oft stand Roland vor ihr und lechzte nach ihrem süßen Mund, wie sie die Lippen in harmlosem Geplauder lieblich bewegte, während ihr Blick es vermied, seinem Auge zu begegnen. Dann stieg es in ihm auf wie ein großes, unbezähmbares Verlangen; langsam hob er die Arme, aber gleich ließ er sie wieder sinken oder tat nur so, als wolle er sich einmal strecken. Nachts, wenn er sich schlaflos in die Kissen wühlte, legte er sich dann wunderschöne Worte zurecht, mit denen er sie anreden und in lieblichen Irrgängen, wie durch lauter blühende Hecken und Beete, endlich in die Rosenlaube seines Geständnisses locken wollte. Saß er dann wieder neben ihr, so klopfte ihm das Herz bis in den Hals, im Kopf kam ihm alles bunt durcheinander, seine Zunge war wie gelähmt, und er brachte nichts als die gleichgültigsten Redensarten hervor. Selbst ihre gemeinsamen Erinnerungen schienen sich ganz ins Nebelhafte zu verlieren, und fortwährend von seinen Fahrten und dem Leben auf dem Uhlenstein zu erzählen, kam ihm schließlich langweilig und abgeschmackt vor, und Rotraut schien auch immer nur mit halbem Ohre zuzuhören. Nur als er von Flämmchen und ihrem traurigen Geschick sprach, horchte sie plötzlich auf und zeigte eine 162 lebhafte Begier, mehr von dem seltsamen Zigeunermädchen zu erfahren. Da indes hatte Roland manches zu verschweigen, und es reute ihn bald, ihrer auch nur Erwähnung getan zu haben. Am Vorabend des Ostertages, nachdem Roland wieder seit dem Morgen sein übervolles Herz neben Rotraut hergetragen und vergebens nach einem Ausdruck seiner Empfindungen gerungen hatte, ließ er, als sie sich voneinander verabschiedeten, ihre Hand nicht gleich los, zog sie mit seinen beiden, die heftig zitterten, langsam empor und legte sie auf sein Herz. Wunderwohl tat ihm diese Kühnheit; so süß durchwogte es ihn, daß sich ihm rundum alles im Kreise zu drehen begann. Rotraut überlief's wie ein Schauer. Verwirrt schlug sie die Augen zu Boden und nahm zögernd ihre Hand zurück. Eine Weile standen sie stumm und wagten nicht, sich ins Gesicht zu schauen. Dann gingen sie mit leisem Gruß auseinander.

Am Ostermorgen trat Rotraut in den Hof des Palastes, der mit hohen, luftigen Bogengängen, die von schlanken Marmorsäulen gestützt wurden, einen blühenden, springbrunnendurchrauschten Garten umschloß. Ganz in Weiß war sie gekleidet, und ein duftiger Schleier umwallte ihr Antlitz. Sie ging zu einem Magnolienbaum, der in einem Winkel stand, und über Nacht Hunderte von großen weißen Blüten mit rosigen Herzen aufgetan hatte. Als sie dastand und einen Ast zu sich herunterbog, hörte sie hinter sich auf den Fliesen leichte Schritte. Sie wandte sich um und erblickte Roland, der, festlich geschmückt und mit dem Schwert umgürtet, lächelnd auf sie zukam. Geheimnisvoll hielt er etwas hinter seinem Rücken verborgen. 163

»Süße Rotraut,« sagte er mit stockender Stimme, als er vor ihr stand, »ich möchte so gern das Liedchen wahr machen, das uns neulich der Fischerknabe sang.« Und die Hand hervorziehend, reichte er ihr einen blühenden Kirschenzweig. Rotraut hatte den Schleier zurückgeschlagen. Ein helles Leuchten flog über ihr Gesicht; selig lächelnd nahm sie den Zweig entgegen. Da faßte sie Roland bei ihren beiden schmalen weißen Händen, und sie sanft an sich ziehend, näherte er sein Antlitz langsam dem ihren, bis sich ihre Lippen berührten. Immer enger zog er sie an sich, immer fester legte sich sein zitternder Mund auf ihren; sie hatten beide die Augen geschlossen und atmeten erregt. Sacht hob er ihre schlanken Arme und legte sie auf seine Schultern, und plötzlich verknüpften sie sich in seinem Nacken, und innig fühlte er sich an Rotrauts süße Brust gedrückt. Da umschlang auch er die zarte Gestalt und preßte sie an sich, und für manch einen Augenblick versank ihnen beiden die ganze Welt in glühendem, wogendem Rosenrot.

»Rotraut!« rief da eine Stimme im Säulengang.

Erschreckt fuhren sie auseinander. Rotraut legte den Finger auf die Lippen und trat schnell mit Roland hinter die Magnolie.

»Rotraut! Rotraut!« hallte es wieder durch die Arkaden. »Wo mag sie nur sein?«

Es war ein Mädchen aus dem Gefolge der Königin. Als sie die Gesuchte nicht erblickte, lief sie wieder vors Schloß hinaus, wo der ganze Hof schon versammelt war, um die Herrscher zum Dom zu geleiten.

»Still!« flüsterte Rotraut, »wir wollen warten, bis alle fort sind, und ihnen dann nachgehen.« 164

»O Rotraut!« sagte Roland leise und küßte sie wieder, »haben wir denn mit unserm Glück auf den Ostermorgen warten müssen?«

Sie lachte unter seligen Tränen, und nun warfen sie gegenseitig liebevoll einander vor, daß jedes so fremd und anders gewesen wäre und keins des andern Benehmen hätte verstehen wollen. Sie hätten sich ja nie, nie vergessen und immer nur aufeinander gewartet, und es wäre ja gar nicht anders denkbar, als daß sie zusammengehörten.

»Du!« sagte Rotraut lachend, als Roland eben so recht seine ewige Treue beschwor, und hob den Finger mit scherzhaftem Drohen, »du! Lüg' nicht! Wie war das mit dem schönen Zigeunermädchen?«

Roland wurde dunkelrot, und sie stürmisch umarmend, entgegnete er: »Das will ich dir einmal alles erzählen. Einmal, wenn wir ganz, ganz vertraut sind!«

Die Glocken klangen von der Stadt herauf. Eine schlug an, drei, vier weitere fielen ein, von Turm zu Turm stießen sie einander in mahnendem Jubel an; bis an die Wälle der Stadt und weit darüber ins osterhelle Land und übers spiegelnde Meer hinaus schwangen sich ihre tönenden Kreise golden durch die reine, blaue Sonntagsluft. Hundertstimmig hallten sie, heller und dunkler, und eine ganz schwere, donnertiefe dazwischen, die dröhnte durch das fröhliche Hasten und klingende Eilen der andern langsam wie der machtvolle Schritt eines ungeheueren, gewappneten Himmelriesen, und rings erbebten die Häuser davon und erzitterten die Herzen vor erhabener, heiliger Freude, daß in manches Aug' die Tränen der Begeisterung aufstiegen. 165

Roland und Rotraut gingen hinab zur Kirche. Funkelnd im Sonnenglanz lagen die Kuppeln und Dächer der Stadt, von allen Giebeln flatterten und blähten sich bunte Fahnen, in den hellen, blumenbestreuten Straßen summte und wogte es von feiertäglich geputzten Leuten. Ehrerbietig wurde ihnen Platz gemacht, mancher Hut wurde gezogen, und mit lächelnder Bewunderung sah man allenthalben dem lieblichen, jugendschlanken Paar nach.

Sie schritten über die teppichbelegten Stufen zum Domportal empor, dessen wundervoll in erhabenem Bildwerk gegossene Torflügel weit offen standen. Steigende Reihen von Lichtern blitzten drinnen im ehrfürchtigen Dämmer der riesigen Hallen; sacht schwoll der Orgelklang heraus.

Sie traten ein und stellten sich seitwärts an einen der kühlen grauen Steinpfeiler. Die Kathedrale war gedrängt voll. Ritter in schimmernden Waffen, reich in Pelz und Samt gekleidete Bürger und Bauern in bunter Festtracht standen nebeneinander. Weiß und golden starrten die Spitzenhauben der Frauen und Mädchen. Vorn im Chor, wo die geschnitzten Stühle Reih' an Reih' mit den Edeln und Mächtigen gefüllt waren, hatte man unter einem hohen Purpurbaldachin einen dreisitzigen Thron aufgeschlagen. Da saß die Königin Irene mit einem funkelnden Diadem im dunkeln Haar und dem Hermelinmantel um die Schultern und neigte betend ihr schönes Antlitz. Ihr zur Rechten saß Fürst Gunther, zur Linken der Markgraf. Am Altar stand der Metropolit im steifstrotzenden, weißgoldenen Ornat von Priestern umgeben. Leuchtend wirbelten die Weihrauchwolken vor den hohen Fenstern in die schräg einfallenden, durch bunte Scheiben gedämpften Sonnenstrahlen empor und 166 breiteten sich zu einem duftigen Schleier, der das ganze Presbyterium weihevoll umfloß.

»Gloria in excelsis Deo!« tönte ganz klein und fern die Greisenstimme vor dem Tabernakel.

»Et in terra pax . . . . brauste es in jauchzenden Tönen hundertstimmig mit Flöten und Geigen vom Chor hernieder, und stürmend trug eine riesige Orgelwoge den süßen Gesang durch die hohen, hallenden Gewölbe hin und brandete an den hochgiebelnden Bogen empor, daß die Fenster leise klirrten.

Nach dem Gottesdienst, als die Königin mit den Fürsten vor den Dom trat, fiel der Jubel wie ein Orkan in das bis zu den fernsten Gäßchen am Berg zurückstauende Meer der Volksmenge. Dumpfbrausend schwoll die Welle der Begeisterung vom Domtor aus in breiten, rauschenden Kreisen über die Kopf an Kopf gedrängten Massen hin, schäumte weiß auf in Tausenden geschwenkter Tüchlein, plätscherte an den Häusern im Klatschen unzähliger Hände empor und begleitete den Zug des Hofes in tosenden Stößen durch die Straßen voraufeilend bis zum Palast hinauf, wo sie dann vor den weißen Marmorportalen langsam verebbte.

Roland und Rotraut warteten, bis das Volk sich ein wenig verlaufen hatte. Dann schritten auch sie zur Burg zurück. Sie waren tiefbewegt. Hoch flutete in ihren übervollen Herzen die große Auferstehungsfreude nach. Sie gingen Hand in Hand und schwiegen. In weltenweiter Seligkeit umwallte sie ein blütenjunges, duftzartes, schneeweißes Osterglück.

Durch ein hohes Gittertor traten sie gleich in den Garten. In freudigem Stolz sah Rotraut auf ihren 167 Roland, als der Hellebardier, der dort Wache stand, seine Lanze zum Gruß vor ihm dreimal dröhnend auf die Fliesen stieß.

»Er muß einen sehr hohen Herrn in dir vermuten,« flüsterte sie. »Solcher Gruß wird sonst nur den Sprossen aus fürstlichem Geblüt zuteil.«

Roland lachte und blickte sie schelmisch an.

Prächtige Herren und Damen lustwandelten paarweise und in Gruppen zwischen den Lorbeerhecken, Blütenbüschen, Blumenbeeten, Marmorbildern und Wasserkünsten auf den weichen Kieswegen, die in der hellen Sonne blendeten. Sie wählten einen einsamen Pfad längs der hohen Mauer. Noch waren sie nicht lange fortgeschritten, als ihnen um ein hohes Gebüsch herum die Königin mit Fürst Gunther, dem Markgrafen und dem Metropoliten der Stadt, einem ehrwürdigen Patriarchen, dem der weiße Bart bis zum goldenen, edelsteinbesetzten Kreuz auf der Brust reichte, begegneten. An ein Ausweichen war nicht mehr zu denken. So nahm Roland das Mädchen mutig bei der Hand und trat mit ihr auf die Königin zu.

»Sieh da,« sprach diese lächelnd, »unsere jungen Abenteurer! Kinder, ihr seht mir ganz so aus, als ob ihr euch heute schon sehr oft geküßt hättet.«

»Haben wir auch und wollen's von heut' an noch recht oft tun, hohe Herrin!« erwiderte Roland freimütig, indem er die tieferrötende Rotraut, trotz ihres Sträubens, an sich zog und küßte. »Seht!« fuhr er glücklich lächelnd fort, »wir tun gar nicht mehr heimlich damit, nicht einmal vor der hohen Geistlichkeit, die wir bald bitten werden, unsern Bund zu segnen.« 168

Die Herren lachten. Die Königin umarmte Rotraut voll freudiger Zärtlichkeit, Gunther und der Markgraf schüttelten Roland die Hand, und jener stellte ihn dem Bischof als seinen besten Freund und tapfersten Ritter vor und erzählte diesem von Rolands und seiner schönen Braut seltsamen Schicksal. Der greise Kirchenfürst nahm die jungen Liebesleute freundlich bei den Händen, streichelte ihnen die Wangen und sprach viel väterliche Worte zu ihnen. Dann winkte er einem der beiden Kleriker, die ihm in einiger Entfernung folgten, nahm ein dickes, goldbeschlagenes Brevier aus dessen Hand, blätterte darin und reichte jedem von ihnen ein Heiligenbild. Roland einen Georg, der in goldener Rüstung auf weißem Pferd mit edlem Schwung den Drachen erlegt, Rotraut eine Cäcilie, die ihre schlanken Finger über die Orgeltasten gleiten läßt und ihr schönes Antlitz in himmlischer Verzückung halb umwendet, als lausche sie einem Engelchor. Die beiden küßten ihm den großen Smaragd im schweren Ring an seiner weichen Priesterhand, und mit vielem Händeschütteln ging man wieder auseinander.

Roland und Rotraut wandelten im Garten fort, und nach einer Weile sahen sie den Patriarchen mit den Klerikern langsam zurückkommen und den Weg zum Ausgang nehmen. Sie mußten an ihnen vorbei. Der Bischof trat freundlich auf sie zu und scherzte, daß sie so jung schon in den Ehestand treten wollten. Da bat Roland ihn um einen Augenblick Gehör, und der Patriarch nahm ihn, die beringte Hand unter seinem Arm schiebend, ein paar Schritte beiseite. Mit leiser Stimme erzählte ihm Roland nun seine ganze Geschichte, verschwieg auch 169 seine Herkunft nicht und fragte den ehrwürdigen Greis, ob er bereit wäre, ihn und Rotraut zu trauen. Der Bischof hörte ihm aufmerksam zu, dachte nach und sprach dann väterlich: »Mein Sohn, ich würde dir raten, dich erst mit deinem hohen Vater wieder auszusöhnen. Du hast ihm schweres Unrecht durch deine Flucht zugefügt, magst du auch vieles zu deiner Entschuldigung vorbringen können. Wie wird er sich um dich sorgen und grämen! Eile zu ihm zurück, erbitte seinen Segen, und dann komm wieder, und ich will eurem Bund auch gern den Segen der Kirche erteilen. Jetzt, wo ihr alle beide eure Herkunft und Stamm durch keinerlei Zeugen erweisen könnt, dürfte ich es nach dem Gesetze nicht einmal tun.« Seine beiden Hände ergreifend, mahnte er ihn noch liebevoll, seiner gutgemeinten Weisung zu folgen, und ging dann, ihn und Rotraut freundlich grüßend, mit den Klerikern dem Gittertor zu.

Mit enttäuschter Miene trat Roland zu Rotraut. Sie sah ihm bang forschend in die Augen, doch wagte sie nicht, nach der Ursache seiner Verstimmung zu fragen. Allein er selbst machte ihr eine Andeutung davon und sagte, der Metropolit habe ihm geraten, sie auf einige Zeit wieder zu verlassen, um sich erst die Verzeihung und den Segen seines Vaters zu holen. Da erblaßte sie vor Schreck, und während ihre Augen sich mit Tränen füllten, rief sie mit zitternder Stimme: »Nein, Roland! Ich geh' mit dir! Ich weiche nicht mehr von deiner Seite, nie, nie mehr, nicht für eine Stunde mehr im ganzen Leben!«

Und aufschluchzend warf sie sich an seine Brust. Er zog sie schnell hinter ein Gebüsch, wo sie den Blicken 170 der im Garten Wandelnden nicht ausgesetzt waren, küßte sie sanft, strich ihr das Haar aus der Stirne und sprach begütigend: »Du hast recht, mein liebes, liebes Mädchen. Nichts mehr soll uns trennen, im ganzen Leben nichts mehr. Zusammen wollen wir heimziehen und vereint vor den Vater treten.«

»O, dein Vater,« versetzte Rotraut, sich die Tränen trocknend, »ist er recht streng und böse? Wird er vielleicht gar nicht erlauben, daß wir uns heiraten? Ist er am Ende gar ein recht hoher Herr? Und ich bin nur ein schlichtes Bauernmädchen – wenigstens weiß ich's nicht anders, und auch Ragnar, glaub' ich, weiß von meiner Herkunft nicht viel mehr.« Und wieder begann sie zu weinen. Roland sah besorgt vor sich auf den Boden.

»Wie es auch immer sei,« sagte er endlich mutvoll, das Haupt erhebend, »ich bin nun Mann genug, um zu tun, was ich will. Und ich lasse nicht von dir, sollt' ich auch auf vieles verzichten müssen. Glaub' es mir, Liebste, und vertraue mir. Und wir haben ja gute, treue Freunde an Fürst Gunther und der Königin!«

Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. Bald aber lag wieder der Sonnenschein auf ihren Gemütern.

Der Mittag vereinte die Fürstlichkeiten, die Würdenträger der Stadt und des Reiches, die edlen Frauen und alle Ritter des Befreierheeres an einer langen Tafel, die mit wohl fünfhundert Gedecken belegt und prachtvoll geputzt in einer offenen, nach der Stadt hinaussehenden Säulengalerie des Schlosses aufgestellt war.

Unten auf dem Marktplatz wurden an viel hundert Tischen die Krieger und das Volk bewirtet. 171

In der Mitte der Tafel saß die Königin zwischen den Fürsten. Sie trug ein tiefgelbes, schwerseidenes Unterkleid mit einem Überwurf von sattblauem Goldbrokat. Das Sterndiadem blitzte ihr im nächtlichen Gelock, mondschimmerige Perlenreihen von einem nußgroßen, abendgoldsprühenden Beryll gerafft, rundeten sich ihr auf ihrem schneeweißen Busen. Freundlich lächelten ihre vollen granatroten Lippen, und glänzend in hoher Freude ruhte manchmal ihr großer, dunkler Strahlenblick auf Fürst Gunthers schönem, kühnem Antlitz.

Ihnen gegenüber, so hatte die Königin befohlen, saßen Roland und Rotraut.

Weiche Musik klang aus den offenen Türen des anstoßenden Saales, fröhlich klirrten die Becher und summten die Reden der Tafelnden, Diener trugen auf schweren Goldschüsseln kunstvoll in Blumen aufgebaute Gerichte und Wein in mächtigen Silberkannen oder Krügen aus geschliffenem Kristall.

Wunderbar spielte das schräg vom Mittag her einfallende Sonnenlicht auf dem blinkenden Gold und Silber der blumengezierten Tafel, auf den schimmernden Seidenstoffen der Festgewänder und den Juwelen an den weißen Nacken, vollen Armen und schlanken Händen der schönen Frauen. Von den hohen wunderleichten Marmorbogen umrahmt, sah die blühende Landschaft mit ihrer lenzblauen, von leuchtendem Gewölk überwehten Ferne herein.

Tapfer zechten die Uhlensteiner mit den welschen Rittern, aber der schwarzrote und dunkelgoldne Südlandswein, um vieles dickflüssiger und hitziger als der säuerliche Edelwuchs der heimischen Marken, machte 172 bald ihre Blicke gar kriegerisch glänzen, und manch eine deutsche Zunge stolperte schwerfällig über die eigenen Heldentaten.

Als der Kanzler des Reichs, ein hoher Greis mit schwerer Goldkette auf der Brust, sich erhob und die Gesundheit des fürstlichen Brautpaares ausbrachte, wurde eine Fahne aus den Arkaden geschwenkt, alle Glocken der Stadt begannen zu läuten, brausendes Jauchzen hob sich unten auf dem Stadtplatz und mischte sich in die Hochrufe der königlichen Tafelrunde.

Kaum hatte sich der frohe Lärm gelegt, stand Fürst Gunther auf und lud die Gäste ein, noch einmal auf das Wohl eines zweiten glücklichen Paares, des tapferen jungen Ritters der roten Lilie und seiner lieblichen Braut, die Becher anklingen zu lassen und zu leeren. Wieder hob sich der klingende Jubel, und mit glühenden Wangen lächelnd, standen Roland und Rotraut und stießen mit den Fürstlichkeiten und den Herren und Damen, die Glück wünschend nahten, an.

Da wälzte sich auch Schwebel, leicht schwankend und von Gelf am Arm gestützt, hinter den hohen Sesselreihen heran. Schief, daß der Wein bei jedem seiner Schritte überschwappte, hielt er den Becher in der Hand, feuchtstrahlend schwammen seine Äuglein im feisten Gesicht, das blühte wie Klatschmohn, ein steifseliges Lächeln stand irr in seinen nassen Mundwinkeln.

Mit überschlagender, durch häufiges Schlucken und Lachen unterbrochener Stimme ließ er einen sinnlosen Schwall von schönen Redensarten auf die Verlobten los, zielte unsicher mit seinem nach Rolands entgegengehaltenem Becher und traf diesen endlich so hart, daß 173 der Wein mächtig überspritzte und einige Damen erschreckt mit den Stühlen zur Seite rückten.

»Prost, lie . . . ie . . . ieber Junge!« stammelte er fröhlich quiekend, »Jung . . . Jung . . . verheuert . . . hat schon manchen . . . manchen . . . gedäuert . . . Gelf! . . . Grobian . . . warum trittst du mich? . . . Aber jung ver . . . soffen . . . läßt alles . . . alles hoffen! Hahahaha! Ich sage dir, mein Junge, ein köstlicher . . . Tro . . . opf . . . pf . . . pfen das, ein k . . . köstliches Land! . . . Hupp! . . . Huuppp! . . . St . . . still . . . Heldenherz! . . . Alles . . . dick voll . . . Lie . . . Liebe in der lauen . . . Hupp! . . . Luft . . . alles voll schw . . . schwirrrrender . . . flirrrrender . . . wirrender . . . Liebesgötter . . . sü . . . Hupp! . . . süße, zuckersüße, ro . . . rosige Bübchen, mit runden . . . ro . . . Gelf! . . . Lümmel . . . laß mich reden . . . ich bin doch heut' so po . . . poetisch! Selbst den dicken . . . alten Schwebel . . . umflatt . . . umflattern sie und kitzeln ihn . . . Hihihi! . . . und umschlingen ihn . . . ganz mit rosa Bändchen . . . Hihihi! . . . und er hüpft . . . und hascht nach ihnen . . . Hihi! . . . Hupp! . . . läßt sich aber . . . keiner von der Teu . . . Teufelsbrut . . . fangen . . . Hupp! . . .«

Roland lachte helle Tränen über das Bild: Schwebel in neckischem Kampf mit einem Amorettenschwarm.

»Das kann aber recht bedenklich werden!« rief Gelf, »wenn sich die kleinen Kerlchen erst einmal in deinem Dunstkreis trunken gemacht haben, ist das Unheil gar nicht mehr abzusehen, das sie mit ihren fehltreffenden Pfeilen im Lande anrichten werden.«

Schwebel schüttelte sich vor Lachen und taumelte von einem Bein aufs andere. »Zum . . . zum Beispiel . . .,« 174 krähte er, aber Gelf hielt ihm den Mund zu und zerrte ihn auf seinen Platz zurück.

»Und den habt ihr mit mir verwechseln können?« rief Fürst Gunther mit heiterem Vorwurf und faßte die Königin bei der schönen, weißen Hand.

Sie lächelte errötend. »In der Aufregung des Kampfes und Sieges und Jubels«, sprach sie und sah Gunther glücklich an, »konnte das geschehen. Dann war ja von seinem Gesicht unterm Helm nicht viel auszunehmen!«

»Die Karfunkelnase gewiß!« rief der Fürst, »und dann der Bauch, der Bauch! Den erwirbt man nicht in sechs Jahren, wenn man sich noch so mühen wollte.«

Unten um Schwebels Platz brach ein schallendes Gelächter los. Man sah ihn taumelnd stehen und sich heftig gestikulierend gegen Wulfhart und Gelf wehren, die ihn zu beschwichtigen suchten. Einem Griff Wulfharts ausweichend, schlug er samt seinem Sessel krachend hin, Gläser und Geschirr stürzten klirrend über ihn, die neben ihm Sitzenden fuhren in die Höhe, und unter brausender Heiterkeit wurde er, immer noch trunken redend, albern lachend und deutend, von einigen hinausgeführt.

Der Fürst runzelte die Stirn. Aber die Königin sah ihm freundlich ins Gesicht und streichelte beschwichtigend seine Hand.

Bald war alles wieder ruhig, und man tafelte heiter fort.

Viele Blicke richteten sich mit heimlicher Neugier auf Roland. Wundersame Dinge über ihn waren im Umlauf. Manche flüsterten, er sei ein Sohn des Dänenkönigs, der wegen eines Streites mit seiner Stiefmutter 175 von daheim entflohen sei. Andere wollten gar wissen, er sei aus Parzivals Stamm und der künftige Gralkönig. Aber es war ein heiliges Recht jedes Ritters, der sich durch mannhafte Taten und edle Sitte als solcher erwiesen, seine Herkunft zu verhüllen, und so wagte ihn keiner zu fragen. Und auch der Fürst, dem sie Roland immer noch verschwiegen hatte, drang nicht in ihn, weil er dem zielbewußten, ernsten Jüngling voll vertraute und gewiß war, daß er im rechten Augenblick zu ihm, der ihm wie ein Bruder war, offen reden werde.

Von Rotraut wurden erst gar seltsame Mären erzählt. Daß sie die Tochter eines Herzogs und einer Meernymphe sei, war das Nüchternste, das man ihr zumutete.

Nach der Tafel verstreute sich die glänzende Gesellschaft in Schloß und Garten. Die festlichen Turniere sollten erst am nächsten Tag beginnen; so nahm Roland, der ohnehin gerne sein Glück vor dem lärmenden Schwarm rettete, Rotrauts Vorschlag, eine Wanderung außerhalb der Stadttore zu unternehmen, mit vielen Freuden an. Als Ziel hatte Rotraut ein Kirchlein gewählt, das, mit einem alten Kastell von den Hunnen verschont, einsam in den Bergen lag, und von wo aus man einen prächtigen Blick über Stadt, Land und Meer genoß. Sie kleideten sich schlicht und wanderten selig hinaus. Vor der Stadt, auf dem Schlachtfeld, wo sich die Massenquartiere der erschlagenen Hunnen noch frisch hügelten, und auf den angrenzenden Höhen bewegten sich bunte Schwärme von Spaziergängern. Tanzmusik und das Geschrei der Schausteller drang aus vielen aufgeschlagenen Buden, auf denen lustige Wimpel flatterten.

Sie bogen in ein sanftes Tal, in dessen Sohle an einem 176 Bächlein viele Kirsch- und Mandelbäume blühten. Die Ruinen eines römischen Tempels lagen mit efeuumwucherten Säulenstümpfen im stillen Grunde. Auf einem niedergestürzten Kapitäl saß ein Hirtenknabe und blies die Flöte. Seine Ziegen kletterten grasend über die Trümmer.

An kahlen grauen Hügeln, die nur wenige verstreute Blütenbäume spärlich zierten, führte der Weg empor. Mattblau spannte sich der Himmel, wo weiches Silbergewölk halbgelöst schwamm, über die schönfließenden, sanftgerundeten Gipfelkonturen. Fern von den lichten Türmen der Stadt her klangen verträumte Glocken.

Mit jedem Schritt weitete sich eine unabsehbare Rundschau; Gipfel um Gipfel stiegen empor und flossen blauwellig ineinander. Auf den höchsten glänzte noch Schnee; einige trugen Dörfchen mit seltsam flachen Kirchtürmchen, in denen man offen die Glocken hängen sah; von anderen hoben sich die duftigen Schattenrisse einsamer Kastelle in die stille Luft.

Gegen Norden dehnte sich hinter dem Hügelkreis, der die Breite vor den Stadtwällen säumte, in schimmerndem Dunst verschwimmend die Ebene. Und wenn man, wie Roland, ein recht scharfes Auge hatte, konnte man ganz fern im Nebelblau die hohen Züge der deutschen Grenzgebirge ahnen.

Gegen Mittag aber, hinter der Stadt, die mit ihren hohen, schlanken Türmen von leichtem Goldrauch überschleiert lag, breitete sich das Meer in den Himmel hinein, daß einem der Atem stocken wollte vor der uferlosen Unendlichkeit.

Bald hatten sie das Kirchlein erreicht. Ein 177 Gottesdienst schien gerade beendigt. Etliche Gruppen Landvolks standen am Hügel vor der Tür, die der Küster eben sorglich abschloß. Zwischen der Kirche und dem Kastell, in das unter einem hohen, efeuüberhangenen Torbogen die Straße mündete, lagen ein paar ärmliche graue Steinhäuschen mit sanftgeneigten, verwitterten Ziegeldächern. Eine Schenke war dabei. Dort rasteten sie ein Weilchen auf der rebenüberwölbten Terrasse, und Roland schlürfte einen Krug herben, dunklen Landweines. Dann schickten sie sich zur Heimkehr an.

Der Abend stand in tiefen Glutstreifen über Meer und Ebene. Sie schlugen ein andern Weg zur Stadt ein, als den sie gekommen. Ein halbverfallener Brückenbogen führte sie über eine Schlucht, in deren Grund eine Magnolie blühte. Einige Schritte weiter stand ein Häuschen, das ein über und über blühender Kirschbaum fast ganz verhüllte.

Ein steinaltes Mütterlein mit braunem, verrunzeltem Ledergesicht und spärlichem, greisem Schöpfchen hockte auf den Stufen an der Tür. Roland fragte, ob er einen Zweig vom blühenden Baum brechen dürfe. Sie verstand erst nicht, was er wollte, und schwatzte dann, als er es ihr durch Zeichen erklärt hatte, heftig deutend ein wirres Kauderwelsch zusammen. Er brach einen Zweig und ließ ein größeres Geldstück in ihre vertrocknete Hand gleiten. Die Alte sah bald das Geld, bald ihn mit maßlosem Erstaunen an und brach in ein seltsam wehklagendes Dankgebet aus, das ihnen noch lange auf ihrem Weg nachhallte.

Kurz vor Torschluß langten sie wieder in der Stadt an.

Nun kam eine Reihe festlicher Tage für Sieger und 178 Befreite. In weiter Arena, von deren Brüstungen wappengestickte Decken niederhingen, wurden vor den schönen Augen zahlreicher Damen in spielenden Kämpfen nicht um Leben und Tod, sondern um Ehrenpreise aus zarten Händen die Lanzen gesplittert. Und Rotraut brauchte sich ihres jungen, gewandten Ritters mit der roten Lilie auf Brust, Schild und Schabracke nicht zu schämen. Manch einen älteren Kämpen hob er geschickt aus dem Sattel, und knieend empfing er von ihr den Lorbeerkranz aufs glänzende Lockenhaupt.

Nach den Turnieren aber gab es schimmernde Feste in den prunkenden Hallen des Palastes, in den zauberhaften Gärten und sogar auf dem blauen Meer.

Doch Roland drängte es heim. Auf seinen Wunsch gab Fürst Gunther ihm einen Brief mit, worin, durch fürstliche Unterschrift und Insiegel bekräftigt, ausführlichst zu lesen war, wie wacker Roland sich in den Jahren auf dem Uhlenstein geführt und daß er sich zu einem ganzen, tüchtigen Rittersmann ausgebildet habe.

So zogen sie eines schönen Maienmorgens nach schwerem Abschied von all den lieben Freunden und von der Königin mit Geschenken beladen, mit vieler Dienerschaft und begleitet von einem Teil des Uhlensteiner Heeres unter Eckbrechts Führung von dannen. Gelf und Schwebel konnten sich von dem gastlichen Hof noch nicht trennen. Es war ihnen gar zu wohl da; sie gingen in Samt und Seide, und jeder hatte seine stillen Vergnügungen, jener bei den vielen schönen Mädchen in der Stadt, dieser beim süßen Südlandswein. Wulfhart indes hatte sich bald beklommen gefühlt in dem feinen, höfischen Leben und war schon früher mit den Bergschützen heimgekehrt. 179

Ein fröhlicher, friedlicher Zug war die Heimfahrt der beiden Glücklichen. Alle Länder, durch die sie kamen, standen in vollster Maienblüte. Meist ritten sie hinter dem Vortrapp allein nebeneinander und erzählten sich, wie es ihnen in den Jahren ihrer Trennung ergangen, oder malten sich aus, wie selig sie miteinander leben würden. In einiger Entfernung führte Eckbrecht seine Fähnlein und den Troß nach. Die Soldaten sangen, und in allen Dörfern und Städtchen liefen die Leute zusammen und bewunderten das liebreizende Paar. Abends, wenn sie nicht in Ortschaften oder auf gastfreien Burgen nächtigten, wurden Zelte aufgeschlagen. Für Rotraut hatte Roland eigens eines ganz aus hellblauer Seide mitgenommen, unter dem sie mit zwei Dienerinnen schlief. Eh sie zur Ruhe gingen, saß er dann oft noch mit ihr vor dem Zelt im Sternenschein und plauderte, und wenn er endlich Abschied nahm, geschah es mit so vielen Küssen und Umarmungen, als gäb' es eine schwere Trennung für lange Zeit.

Als sie einige Wochen so gezogen und schon tief ins Gebirge gekommen waren, schied sich seitwärts der Weg zum Uhlenstein von dem ihrigen. Eckbrecht schickte den größten Teil der Bewaffneten dorthin, geleitete sie aber noch mit einigen Reitern, bis sie endlich eines Tages vom Rand des Gebirges aus drüben in fernem Blau die heimatlichen Höhen erkannten. Hier trennte auch er sich von ihnen und versprach Roland noch einmal, was ihm schon der Fürst beim Abschied versprochen hatte, daß alle Uhlensteiner gewärtig sein wollten, ihm auf seinen Wink beizustehen, so er ihrer bedürfte, sei es zu ernstem Streit oder zu festlichem Spiel, und daß er auf 180 dem Uhlenstein immer mit Rotraut ein Heim finden würde. Sie schätzten, daß sie noch zwei kleine Tagereisen bis nach Hause hätten. Diese kurze Zeit gedachte Roland mit seiner Rotraut ganz allein und ungestört zu verbringen. So bat er denn Eckbrecht, auch die Dienerschaft und allen Troß mitzunehmen und inzwischen, bis er Botschaft senden würde, auf dem Uhlenstein unterzubringen. In einem Dorf am Fuß des Gebirges kaufte er für sich ein schlichtes Jägergewand und für Rotraut Hirtenkleidung, und so wanderten sie, wie einst auf den Roßstein, selig dahin und genossen die süße Fülle ihrer jungen Liebe in der wunderbaren Einsamkeit der frühsommerlich geschmückten Landschaft.

Gegen Mittag des ersten Tages kamen sie in ein waldiges enges Tal, das ein munteres Flüßchen in felsigen und lieblich umbüschten Ufern kühl durchströmte. Sie waren heiß und müde von der langen Wanderung, und als sie nun zu einer Stelle gelangten, wo das klargrüne Wasser hinter einem vorspringenden Felsblock zu einer lockenden, spiegelnden, von überhängenden Gesträuchen traulich umhegten Bucht sich dehnte, rief Roland: »Wie schön und herrlich erquickend wäre es, hier zu baden!«

»O, wie köstlich wäre das!« stimmte Rotraut ihm bei und klatschte in die Hände. Aber gleich wurde sie über und über rot und sah beschämt zu Boden.

Roland küßte sie lachend. »Weißt du noch, wie wir zusammen in der kühlen Schlucht gegenüber von Ragnars Hügel badeten?« sagte er heiter. »Und hast du noch dein niedliches Rosenmal an der Hüfte?« flüsterte er der noch tiefer Errötenden ins Ohr. 181

Sie umschlang ihn, barg ihr Gesicht an seiner Brust, und ein Zittern überlief ihre schlanke Gestalt.

»Würdest du mich jetzt auch ins Wasser stoßen, wenn ich es wieder küßte?« fragte er leise, indem er sie an sich drückte.

»Sprich nicht so wilde Dinge!« bat sie, und als er ihr Köpfchen aufhob, standen ihr fast die Tränen in den Augen.

»Hab' keine Angst, mein liebes Mädchen,« begütigte er liebevoll. »Steig du nur unbesorgt hier ins kühle Wasser. Die Büsche und Felsen schützen dich von allen Seiten; auch ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Spiele, wühle und plätschere nur recht in den klaren Wellen, wie ein lustiges weißes Nixlein, daß die schlanken Forellen noch erstauntere Augen machen, als sie's ohnehin schon tun. Ich geh' ein Stück voraus, aber nicht weiter, als dein Ruf reicht, und bade dort, und dann warte ich am Ufer, bis du mir nachkommst.«

Sie war es zufrieden. Roland ging flußaufwärts, fand bald einen geeigneten Platz, entkleidete sich rasch und glitt von einem besonnten Felsen in die Flut. Eine Weile stand er still und lauschte hinüber zur Stelle, wo Rotraut geblieben war. Sein Blick ging träumend in die Ferne. Dann warf er sich mit einem plötzlichen Entschluß kopfüber in die Wellen.

Als er wieder angekleidet war und, auf einem Stein sitzend, eben seinen Schuh schnürte, vernahm er Rotrauts leichten Tritt.

»Bist du bereit?« fragte sie, hinter einem Gebüsch stehenbleibend.

»Komm nur!« rief Roland. Und sie trat hervor und küßte ihn lächelnd mit ihrem kühlen, roten Mund. Wie 182 eine Rose war sie, die aus dem Morgentau frischduftend ihr erquicktes Antlitz zur Sonne hebt.

Roland zog sie auf seine Knie nieder, und ihre Lippen hefteten sich aufeinander in langer stummer Umarmung.

Als die Sonne sich zu neigen begann, sahen sie vor sich auf dem Hügel ein Gehöft liegen. Es war ein schöner Freihof mit sauberem Wohnhaus und vielen bunten Blumenstöcken an den kleinen Fenstern. Eine mächtige Linde streckte ihre Zweige übers Strohdach hin. Dort sprachen sie vor und erstanden von den freundlichen Bauersleuten für wenig Geld einen Krug Milch, Brot und ein Körbchen voll süßer, glänzendgeschwellter Kirschen. Damit begaben sie sich talüber an den Waldsaum, wo sie eine uralte, breitschirmende Eiche erspäht hatten. Die ersahen sie zu ihrem Nachtquartier. Sie machten sich's an ihrem Stamm im weichen Gras bequem und verzehrten mit viel Scherz und Zufriedenheit ihr ländliches Abendbrot. Dann saßen sie Hand in Hand, sahen die Sonne still hinter die blauen Wälder sinken und das zarte Wolkengefieder in rosigem Schein auf dem klaren Himmel erblühen. Leis' lispelte der Abendwind in der mächtigen Eichenkrone. Das Tal zu ihren Füßen wallte in feuchten Schleiern auf. Die Amseln schlugen ringsum, und die Grillen zirpten ihr verträumtes Sommerliedchen im warmen Rasen.

Rotraut war schweigsam und traurig. Roland küßte sie und fragte, was sie betrübe.

»Ich muß auf einmal so viel an meine Mutter denken,« antwortete sie. »Jener Hof dort hat mich an meine Heimat erinnert. Wir bewohnten einen ähnlichen, und auch eine Linde stand vor dem Haus, gerade wie dort; 183 nur war unsere viel größer und schöner noch. Die Gegend aber war viel düsterer, große schwarze Wälder zogen sich auf den Höhen umher, und aus Furcht vor Wölfen und Räubern hab' ich mich nie weit in sie hineingewagt.

Meine Mutter war eine schöne, blasse Frau, und ich glaube, sie war noch sehr jung. Sie kümmerte sich nicht viel um die Wirtschaft und überließ alle Arbeiten dem Gesinde. Ein alter Knecht verwaltete das Gut, und Ragnar sagte später einmal, daß er uns arg betrogen haben müsse. Meine Mutter galt für sehr reich. Manch ein Bauernsohn der Nachbarschaft hat sich um ihre Hand beworben, doch sie lehnte alle Anträge beharrlich ab.«

»Von meinem Vater weiß ich gar nichts!« fuhr sie nach einer Pause fort. »Nicht, ob er gestorben ist, oder ob er meine Mutter verlassen hat. Sie sprach nie von ihm. Überhaupt war sie fast immer traurig und weinte viel. An den langen Herbstabenden saß sie im Fenster und spann, und ich spielte zu ihren Füßen. Da sang sie viele Lieder. Von manchen weiß ich noch die Melodien, die Worte hab' ich vergessen oder nie recht verstanden. Nur eins ist mir neulich wieder eingefallen. Es lautet:

Es war ein Graf von Seeben,
der hatte ein Liebchen im Wald,
die wohnte im Eichenweben
am Jungborn klar und kalt.

Ihr Haar war dunkel und duftig
wie Harz, das aus Tannen rinnt;
los' wallte ihr Kleid und luftig
wie sonniges Lenzlaub im Wind. 184

Ihr Aug' war wie Frühlingshimmel,
der blau durch die Wipfel schaut,
und zaubersüß ihre Stimme,
wie träumender Quellenlaut.

Sie zogen selband leichtfüßig
den Hirschen im Forste nach.
oder ruhten süß müßig
im weichen Moose am Bach.

Er hatt' ihr so viel zu erzählen,
sie hörte ihm lächelnd zu.
Ihr Blick übergoß ihm die Seele
mit weiter Sonnenruh.

Sie küßt' ihn mit taufrischem Munde,
sie strich ihm zurück das Haar:
»Und bist du verwirkt und verbunden
mir ewig und immerdar?«

»Hättest du einmal vernommen,
Mein Herz wär' fremd dir und kalt,
so sollst du mich holen kommen
mit dem ganzen rauschenden Wald.« –

Sprach eines Abends zum Grafen
die Mutter: »Sohn, es ist Zeit,
Ich mag nicht rasten und schlafen,
bis du dir ein Bräutlein gefreit.«

»Lieb' Mutter, so hör' ich heute
zum letztenmal dies Gebot.
Schlaft wohl! Ich zieh auf die Freite,
Und freit' ich mir auch den Tod.«

Nicht lang', da kam er gefahren
mit Knechten und Mägden und Troß.
Ein Fräulein mit goldenen Haaren
Führt' er auf schneeweißem Roß. 185

Die starrte in lichtem Geschmeide
Und Seide vom Scheitel zur Zeh',
wie die Birke im Rauhfrostkleide
glitzert auf hellem Schnee. –

Die Geigen jauchzen zum Feste
der Brautwein blinkt auf dem Tisch.
Es lachen und lärmen die Gäste,
sie schwelgen in Wildbret und Fisch.

Die hohen Türen da gehen
weit auf mit einemmal,
ein Rauschen bricht und ein Wehen
herein und füllet den Saal.

Ein Heer von Gestalten gar eigen
drängt ein sich ohn' Unterlaß.
Die Gäste, die Geigen schweigen,
die junge Braut wird so blaß.

»Herr Bräutigam sagt, wer sind diese
Hünen so steinern und grau?
»Das sind meine Brüder, die Riesen,
sie tragen den Urwaldbau.«

»Wer sind diese hohen, schlanken
Frauen mit düsterem Haar?«
»Das sind meine Schwestern, die Tannen,
die singen so wunderbar.«

»Wer sind diese weißen und gelben
Wesen, so blumenfein?«
»Das sind meine Basen, die Elben,
die weben den Duft und den Schein.«

»Und die so locken und gleißen
mit Gliedern wie kühler Schnee?«
»Meine Schwäherinnen, die weißen
Nixen aus Born und See.« 186

»Und wer ist die Schöne, sie reitet
auf einer Hindin herfür?«
Der Graf schweigt; groß geweitet
starrt sein Aug' nach der Tür.

Seine Liebste, sie steht im Saale;
zum Tisch hertritt sie schnell,
reicht in kristallener Schale
einen Trunk ihm würzig und hell.

Er hat die Schale genommen.
»Lieb Mutter und Braut, lebt wohl!
Waldkönigin ist gekommen,
daß sie heim zum Walde mich hol'.«

Er trinkt und sinkt. Und ein Wehen
und Rauschen hebt sich im Haus;
Fenster und Türen gehen,
der Wald rauscht wieder hinaus. –

Burg Seeben liegt verfallen,
wächst hohes Gras im Saal,
grüne Wipfel sehn aus den Hallen
durch hohle Bogen ins Tal.

Der Brunnen nur rauscht wie immer
im Hof und murmelt und rinnt.
Oft lehnt dort im Abendschimmer
ein dunkles Mädchen und sinnt.«

Schweigend sahen sie eine Weile hinaus. Die Wolkenstreifen im Westen waren verloschen. Aber die untersten begannen eben wieder in tiefer, braunroter Glut aufzudämmern. Einige Sterne traten hervor, und im Osten hatte ein Berg einen silbernen Strahlenschein ums Haupt. Dort stieg der Mond herauf.

»Du!« sagte Roland verträumt, »würdest du mich auch umbringen, wenn ich eine andere nähme?« 187

Rotraut umschlang ihn, und indem sich ihre weißen Zähnchen leicht in seine Lippen gruben, funkelte ihm ihr Blick nah' in die Augen.

»Ich weiß nicht,« flüsterte sie. »Ich glaub' doch. Denn lieber säh' ich dich tot als untreu. – O nein, nein!« fuhr sie erregt fort, und Tränen füllten ihre Augen. »Sprich nicht mehr von so schrecklichen Dingen.« Und sie wühlte ihr Gesicht an seine Brust. Er drückte zärtlich ihr Köpfchen an sich.

»Sei ruhig, Liebste,« sprach er lächelnd. »Eher stürb' ich mit dir, als daß ich dich verließe. – Aber erzähl' weiter. Ich hör' so gern von deiner Mutter. O hätt' ich sie gekannt!«

Sie setzte sich auf und begann wieder: »Einige Monate, bevor meine Mutter starb, kam Ragnar mit seiner Herde und pachtete von uns gegen Abgabe einiger Krüge Milch einen Weideplatz. Da saß ich schon ganze Tage bei ihm, hörte ihm zu, wenn er Flöte spielte, ließ mir von ihm Geschichten erzählen und Lieder vorsingen und gewann den treuen Alten lieb wie einen Vater. Dann brach das schreckliche Unglück über uns herein, die Seuche. Davon hab' ich dir schon früher einmal erzählt. Ragnar führte mich vom Bett der sterbenden Mutter weg, wie ich mich auch schluchzend sträubte. Ich durft' sie nicht einmal sterben sehen. Er brachte mich fort in den Wald. Da hatten sich schon ein paar Leute gesammelt, die gleichfalls aus verseuchten Dörfern und Gehöften geflüchtet waren. Ragnar rettete uns alle mit seinen wundertätigen Arzneien. Aber die Mutter konnte er nicht mehr retten.«

Rotraut hielt inne, und große Tränen liefen ihr über 188 die Wangen. Roland küßte sie auf Mund und Augen und streichelte ihr die Haare.

»Wir blieben dann noch einige Tage im Wald,« fuhr sie fort. »Ragnar begrub die Mutter und die Hofleute, die auch alle gestorben waren. Doch der alte Knecht, der einige Wochen vorher nach einem heftigen Streit mit Ragnar und der Mutter fortgegangen war, kam jetzt wieder, wies allerlei Urkunden und Schriften vor und nahm ohne weiteres Besitz von dem verlassenen Gehöfte. Ragnar stritt mit ihm, aber er kam gegen ihn und seinen Gesellen nicht auf und ließ schließlich alles im Stich, weil er für sein und mein Leben fürchtete. Nur mehrere Schmuckstücke hatte er gerettet, die ihm die Mutter noch sterbend für mich übergeben hatte. Darunter war auch eine Trinkschale aus geschliffenem rubinroten Glas, in die eine Zeichnung, ich glaube, ein Wappen, eingegraben war.«

Der Mond war inzwischen aufgegangen. Unzählige Sterne strahlten am tiefblauen Himmel und blitzten durchs leichtschwankende Laub zu ihren Häupten.

»Ich bin müde,« sprach Rotraut und lehnte sich an Rolands Arm.

Eine weiche Windwelle trug den süßherben Duft des gemähten Grases herauf, das in runden Haufen zusammengerecht unten aus dem leichten Silberschleier der Talwiese hervorsah.

»Du!« sagte Roland leise, bog ihren schlanken Leib mit sanfter Gewalt auf seine Knie zurück und sah ihr tief in die Augen, »zum erstenmal sind wir heut' eine Nacht ganz, ganz allein. Fürchtest du dich gar nicht?« 189

Ein seltsames tiefes Leuchten lag in seinem Blick. Seine Hände zitterten leicht. Sie sah stumm zu ihm empor, und ein Schauer überrieselte ihre Glieder.

»Doch, ein ganz klein wenig,« flüsterte sie lächelnd. »Ich weiß wohl, daß du große Macht über mich hast, du lieber, lieber Mann. – Aber tu' nur, was du willst, mit mir. Ich geb' mich ganz in deine lieben, sanften Hände und weiß, daß alles gut und lieb sein wird, was du tust.« Und mit bebender Hand fuhr sie ihm über die Stirne.

Er zog sie wieder empor. Sie umschlangen sich innig, und lange ruhten ihre Lippen aufeinander.

»Komm, geh jetzt schlafen, mein süßes Mädchen!« sagte er endlich und löste sich sanft aus ihren Armen. Er legte ihr seine Tasche als Kopfkissen zurecht; sie streckte sich aus, und er hüllte sie sorglich mit seinem Mantel ein.

»Und du, wirst du nicht frieren?« fragte sie zärtlich. Er schüttelte den Kopf und küßte sie. »Schlaf wohl!« sprach er, »ich wache noch ein Weilchen; dann wird mich wohl auch der Schlummer niederziehen.« – Sie hielt seine Hand fest und sah ihn lächelnd an. Dann schloß sie die Augen und war bald eingeschlafen. Er saß und blickte träumerisch in die silberne Nacht hinaus. Alles war tiefstill. Schwarz standen die Wälder gegen den flimmernden Sternenhimmel. Breit und phantastisch lag der Schatten der Eiche auf dem mondhellen Rasen vor ihnen. Ein verlorenes Hundebellen kam irgendwo her. Eine Eule klagte überm Tal auf. Eine Wachtel schlug verträumt im Feld. Die Grillen zirpten. Seine Lider wurden schwer und sanken.

Ganz früh am andern Morgen brachen sie auf und 190 setzten ihre Wanderung fort. Als sie nach Sonnenaufgang eine Höhe erreichten, sahen sie nicht mehr weit vor sich den Roßstein liegen und begrüßten ihn mit Jubel.

Immer vertrauter wurde nun die Gegend, tausend Erinnerungen stiegen ringsum auf; doch mischte sich auch ein tiefes Bangen in ihre Heimatfreude und machte sie endlich ganz verstummen.

Gegen Mittag schon tauchte Ragnars Hügel vor ihnen aus dem Tale auf. Sie beschleunigten ihre Schritte. Die Herde weidete wie sonst auf den Wiesen am Abhang. Aber sie staunten, als sie nun unten am Fluß ein Blockhaus mit einigen Nebengebäuden erblickten. Ein Bursch machte sich dort mit einer Sichel im Gras zu schaffen. Doch vom Hügel her vernahmen sie Ragnars Flötenspiel.

Die Ansiedlung umgehend, eilten sie den gewohnten Pfad zur Höhle empor, und bald sahen sie Ragnar in einiger Entfernung auf einem Stein sitzen. Als er sie kommen sah, brach er sein Spiel ab und hielt die Hand beschattend über die Augen. Er war sehr weiß geworden. Schon waren sie ihm auf wenige Schritte genaht, da stand er auf, trat ihnen entgegen und starrte sie voll Verwunderung an, und wenn nicht Rotraut jetzt seinen Namen rufend ihm um den Hals gefallen wäre, hätte er sie noch nicht erkannt. Da versagte ihm vor Freude die Sprache, die hellen Tränen liefen ihm in den Silberbart, immer wieder umarmte er sie beide, schüttelte ihnen die Hände, setzte sich nieder auf den Stein, als könne er die Last des Glückes nicht ertragen, stand wieder auf und lachte und schluchzte wie ein Kind. Nun ging's an ein Fragen und Erzählen, und da jedes zugleich reden wollte, kamen sie durchaus nicht ins Reine. Erst 191 als Ragnar Stillschweigen gebot und Roland befohlen hatte, einmal ordentlich von Anfang an zu berichten, beruhigten sie sich alle drei.

Ehe Roland aber zu erzählen begann, nahm er Ragnar beiseite und sagte ihm, daß er Rotraut über seine Herkunft und seinen Stand noch nicht aufgeklärt habe. Auch fragte er ihn mit bangem Blick, ob sein Vater noch lebe. Ragnar bejahte es. Recht alt sei er freilich geworden vor Gram und Sorge. Übrigens habe er ihn jetzt schon seit Monaten nicht gesehen.

Unterdessen war der Bursche heraufgekommen und musterte verwundert die jungen Gäste. Ragnar befahl ihm, Speis' und Trank herbeizuschaffen, und sie ließen sich wieder bei Rotraut nieder. Auf Rolands Frage, ob das Blockhaus sein Eigen sei, nickte der Alte und erklärte, der Fürst habe ihm den ganzen Hügel mit den Wiesen am Fluß geschenkt und auch befohlen, daß man ihm das Haus mit den Stallungen für die Herde erbaue.

»Und Hochzeit habt ihr also noch nicht gemacht?« fragte Ragnar, als Roland und Rotraut ihre Erzählung beendet hatten, gedankenvoll.

»Wie ich dir sagte,« entgegnete Roland, »der Bischof wollte es mir nicht erlauben.«

Ragnars Züge verfinsterten sich. Nach einer Weile sinnenden Hinausblickens sprach er: »Nach meiner Väter göttergelehrtem Brauch – und ihnen war gewiß Ehre und Sitte das Heiligste, das nur in Blut gerächt werden konnte – bedurfte es dafür nicht so vieler feierlicher Umstände. Aber jetzt ist das ja alles anders geworden,« setzte er tiefseufzend hinzu. »Jetzt, wo die frommen Glocken übers Land wehen und Gottes Stimme nicht 192 mehr im Rauschen der Wälder vernommen, sondern aus Büchern und Schriften herausgeklügelt wird. Und wenn zwei Hände einander liebevoll und fest fürs Leben fassen wollen, muß nun immer erst eine dritte sich hineinmengen und sie mit allerlei Formeln zusammenfügen. Sonst gilt der heilige Bund nicht vor Gott und den Menschen, und wer will, kann ihn auseinanderreißen.«

Der Alte schien erzürnt. Zwei strenge Falten senkten sich lotrecht auf seiner hohen Stirne zur kühnen Adlernase herab. Er stand auf und ging mit gekreuzten Armen in großen Schritten auf und nieder. Dann blieb er stehen und sah lange, in tiefe Gedanken versunken, hinaus. Er war so schön, wenn er so stand und mit den scharfen, stahlgrauen Augen falkenklar zur Ferne träumte. Er glich einem greisen Nordlandskönig oder einem götterkundigen Sänger. Ein geheimnisvoller Hauch uralter Sagen umwitterte seine hohe edle Gestalt, die ungebeugt die Last der Jahre und wohl auch manch dunkler Geschicke trug.

Plötzlich wandte er sich um und winkte Roland. Dieser erhob sich rasch und trat zu ihm. Er nahm ihn eine Strecke abseits, und Rotraut sah, wie er seine beiden Hände faßte und, ihm mit väterlichem Ernst in die Augen blickend, eine Frage an ihn stellte, die Roland zu verwirren schien. Er verneinte sie. Ragnar dachte wieder eine Weile nach und begann dann aufs neue zu sprechen. Roland schien etwas zu beteuern und verlegen zu erklären. Noch einmal versank Ragnar in tiefes Sinnen. Dann war es, als suche er Roland von irgend einer Notwendigkeit zu überzeugen. Er wurde sehr lebhaft dabei. Seine Augen funkelten, und ein paarmal deutete er mit 193 großer Gebärde hinaus und zum Himmel empor. Roland senkte das Haupt, als beuge er sich dem, was der Alte so feierlich lehrte. Dieser legte nun die Hand auf Rolands Schulter, zog ihn liebevoll an sich, und ein Ausdruck unendlicher Milde und Güte kam in seine ehrwürdigen Züge. Er sprach ganz leise und nah an Rolands Ohr, und dieser lauschte, als vernähme er eine erhabene, wundersüße Musik. Seine Gestalt schien in leisem Beben zu erschauern. Schließlich umarmte er Ragnar und barg sein Antlitz in den Falten des rauhen Hirtengewandes. Ragnar legte ihm wie segnend die Hand aufs Haupt. Dann blickten sie sich noch einmal in tiefem Einverständnis in die Augen, schüttelten einander die Hände und kamen wieder zurück.

Roland war tiefbewegt. Er umarmte Rotraut und hielt sie lange an seine Brust gedrückt. Und sie fühlte, wie es heiß von ihm zu ihr herüberströmte, wie es sie glühend überfloß, daß sie ganz still und wie ohnmächtig die Augen schließen mußte. Eine seltsam wohlige Lähmung fiel ihr in die Glieder, ihr ganzes Wesen füllte sich mit einer Spannung, die ihre Pulse jagen machte. Es war ihr wie ein Wunder von süßlastender, niederdrückender Schwere.

Der Hüterbursche brachte das Mahl herauf. Langsam kamen sie wieder ins Reden. Roland begann nun ausführlich zu erzählen. Er sprach von Fürst Gunther, vom Uhlenstein, von den Hunnenfahrten, von Schwebel, Gelf und den andern wilden Genossen, und es gab viel zu lachen. Auch von Flämmchen erzählte er. Da drohte ihm Rotraut manchmal lächelnd, und manch eine allzu gründlich forschende Frage mußte er ihr auf den Lippen 194 totküssen. Das traurige Ende des braunen Mädchens aber, das er ihr schon einmal berichtet hatte, entlockte ihr nun aufs neue Tränen. Ragnar lauschte gespannt. Sein Aug' begann zu leuchten wie das eines fahrtfrohen Jünglings. Mit sonnigem Behagen ruhte es auf dem eifrigen Sprecher, der immer mehr ins Feuer kam. Oft klopfte er ihm beifällig auf die Schulter, und einmal sprach er fröhlich:

»So ist's recht, mein wackerer Bursch! Du hast eine tüchtige, kräftige Jugend genossen. Wild und wonnig hat dich ihr seliger Sturm gezaust und geschüttelt. Du wirst ein Mann sein, der aufrecht und stark den eisigen Schloßen entgegengeht, die uns das Leben freigebiger als mildes Sonnengold ins Gesicht wirft. Ein Mann und kein Ängstling und Feigling und Zimpferling wie die, die in der weltbangen, gebetdurchflüsterten Hege einer finsteren Klosterschule aufgewachsen sind und sich ihr Leben lang vor Himmel- und Höllenfurcht nicht trauen, einmal einen recht frischen, herzhaften Griff zu tun. – Dir geb' ich gern meine süße Rotraut in die kampferprobten Hände. Nicht wahr, Rotraut? Ich sagt' ihm vorhin, daß ich dich ihm zum Weib gäbe. Denn ich hab' doch Vaterrecht an dir erworben? Nicht wahr? Du stimmst mir von Herzen bei. Du hast ihn lieb, den braven Jungen?«

Und lächelnd streichelte er ihr goldschimmerndes Braunhaar. Sie nickte selig und wand ihre Arme um Rolands Nacken.

»Glaub' mir's,« fuhr Ragnar fort, »ich könnte auch nicht so ruhig den sanften Hirtenstab führen, wenn ich nicht all die Süßigkeit und Bitternis einer wildfrohen, 195 fahrtenreichen, saiten- und schwertgeübten, wein- und sattelfesten Jugend durchgekostet hätte. Freilich, der Bitternisse waren schließlich mehr,« setzte er hinzu, und sein Blick verdüsterte sich. »Zu viele, zu viele, und einmal ging alles in Bitterkeit unter. O hätt' ich's nicht erlebt! Hätt' mich der Streich getroffen, der mir ein paar Wochen vorher vom Schwert eines der edelsten Helden drohte, und den ich rühmlich abwies zum Verderben des Schwingers – und zu meinem eigenen . . . . Lassen wir das! Still, still, seht mich nicht so fragend an. Das ist alles begraben, hoch oben dort, wo die steingrauen Buchen goldgrün ins Meeresrauschen hinauswehen. Und soll begraben bleiben . . . .«

Eh sie sich's versahen, war über Rolands Erzählungen die Sonne gesunken und berührte nun schon mit ihrem Feuerrand den lang hingedehnten blauen Bergrücken, der dem Westen vorgelagert war. Sie ging unter, und ein paar hohe Bäume, die bei Tag ein gutes Auge kaum auszunehmen vermochte, hoben sich jetzt von der fernen Höhe nadelscharf in den safrangelben Glorienschein, den die geschiedene Licht- und Lebenspenderin der verdüsterten Erde für ein paar wehmütig wundervolle Augenblicke noch hinterließ.

Ragnar stand auf und ging zur Hütte hinab. Roland und Rotraut blieben sitzen und träumten versunken in den Purpur hinaus, der nun am abendlichen Himmel langsam emporglomm. Dann sahen sie, wie Ragnar mit dem Burschen Felle und blankes Linnen zur Höhle hinauftrug. Rotraut wandte sich still mit glühenden Wangen ab und rupfte ein paar Blümchen im Heidegras.

Später kam er wieder zu ihnen und brachte ein 196 einfaches Mahl, das sie mit häufig stockendem Geplauder genossen.

Der Mond ging auf. Im Westen glühte ein tiefgoldener Streif dem verklungenen Sommertag nach. Sterne blitzten hervor. Im Wald regte sich ein Flüstern.

Der Hirt erhob sich. Auch Roland und Rotraut richteten sich auf. Er küßte und segnete sie beide stumm und ging.

Die Arme einander um die Hüften geschlungen, wandelten sie am Hügel umher.

Der träumerische Feierton eines Millionenchores von Grillen füllte anschwellend und sinkend in weiten, schwirrenden Wellen die laue Abendstille. Glühwürmchen glommen grünlich sprühend im taufeuchten Gras und schwärmten in funkelnden Zügen sich kreuzend vor der Düsternis des schweigenden Waldes, an dessen Saum der Hirte ein schmales Kornfeld angebaut hatte. Es stand hoch in gilbenden Ähren. Vor ihm hemmten die beiden Wandelnden ihren langsamen Schritt. Das wachsende Mondlicht und der schwindende Schein des Tages woben sich über den feingrannigen Ährenspitzen ineinander zu einem elfenzarten, goldsilbernen Hauch. Große Mohnblumen, deren Purpur die Dämmerung samtig schwärzte, und Cyanen blickten still aus dem tiefen Schoß des Getreides hervor, der einen herben Duft ausströmte. Einmal ging's wie ein leises Atemholen durch die hohen, schwanken Halme. Sie wallten, und flimmernd flutete der leichte Wellenschlag zum Rand her, wo sich die letzten Reihen tief überbeugten. So atmet im Traum eine langharrende Brust, die voll schwüler, reifer Wünsche ist, der stillersehnten Erfüllung zu. Und die Ähren nickten, nickten . . . . 197

Fernher übers Tal drang der Gesang von Burschen und Mädchen, die feiernd im schönen Abend lustwandelten. Zwei-, drei- und vierstimmig, tief und hell klang er in den träumerischen, schlicht melodischen Weisen des Landvolks. Und manchmal schnellte ein Jauchzer zum dunkelklaren Sterngewölb empor, wie ein silberner Fisch aus dem reglos schimmernden Weiherspiegel in den weißwebenden Mondschein der Sommernacht aufschnellt. Es war, als ob die Seele der wundervollen Landschaft selbst im Überglück ihrer goldenen Pracht und reifenden Fülle nun, da aller Schall des regen Tages ruhte, leis' zu singen anhöbe.

Die zwei Liebenden gingen vor bis an den Rand des Hügels. Traumhaft sahen tausend mondbeglänzte Blumengesichter, voll seliger Tautränen hängend, zu ihnen auf. Unten im Grunde trug der Fluß mit flüsterndem Wallen bleiches Silber durch die schleierumdufteten Erlen. Und leise, leise wehte aus der märchendunklen, mondverwirrten Tiefe der Waldschlucht drüben das Rauschen der Wasserfälle herüber . . . .

Sie küßten sich lange und atmeten schwer und stiegen hinunter in die blausilberne, laue, ahnende Nacht. 198

 


 


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