Robert Hamerling
Der König von Sion
Robert Hamerling

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Siebenter Gesang.

Der böse Genius.

                      Düstere Nebel umgrauten die Zinnen von Münster, die Winde
Kamen und wehten herab von den Bäumen die letzten der Blätter.
Doch wenn Zeit sich und Himmel im ewigen Wechsel verändern,
Wechselt das Menschengemüth wie sie. Schwermüthig und sinnend
Schaute von seinem Palast auf die riesigen Linden des Domhofs
Jan von Leyden, der König, hinaus, sah fallen im Winde
Blatt um Blatt von den Zweigen. An Hilla dacht' er, und Unruh'
Schlich ihm tiefer in's Herz. Da trat, von der Stirne des Jünglings
Scherzend zu bannen das trübe Gewölke, zu ihm der vertraute
Schalksnarr Lips van Straaten. Ihn fragte der König: »wie lebst du?
Hat nicht dir auch die Trübe des Himmels die Laune verdüstert?«
»Nein«, entgegnet der Narr; es gefällt zu Münster mir besser
Jetzt, als zuvor: das Psalmiren, das Bußegeschrei, das Verzücktsein,
Ist seit Matthissons, des Propheten, Verschwinden beträchtlich
Stiller geworden in Sion: man hört von mancherlei Kurzweil',
Seit nach Münster gewandert die braune, verwegene Sippschaft
Divaras, Leute, die wissen das Volk und sich selbst zu ergetzen.
Freilich, es gibt noch Schwärmer in Sion: die alte Cohorte
Matthissons, des Propheten, der Jegliches wußte, nur das nicht,
Daß sein Weibchen dem Jan nachstrebte, dem Jüngling von Leyden –
Nun, die Cohorte des Alten ereifert sich gegen die muntern
Brüder zuweilen. Es läßt auch sonst die sionische Eintracht
Manches noch übrig zu wünschen. Es gibt Streithänse zu Münster!
Hör', Jan, sond're doch nächstens einmal von den Lämmern die Böcke!
Etliche gibt es in Sion, die minder der Drang, der erhab'ne,
Mitzustreiten den großen sionischen Streit, als die Nothdurft,
Mitzuessen am großen sionischen Tische hieherzog.« –

»Laß mich sorgen!« entgegnete Jan; »ich ford're das Schicksal
Kühnlich heraus; ich spotte der Hemmnisse, die mich umgeben
Noch auf dem Weg zum Ziel. Mein Wink ja gebietet in Sion:
Kleinlicher Geister Bemüh'n, wie sollt' ich's fürchten? Ich will es
Spielend vereiteln, die Keime des Übels ersticken, ein Eden
Schaffen in Münsters Mauern, sobald mir des eigenen Schicksals
Frage gelöst vom Herzen mir endlich genommen der Alpdruck;
Ja, bis ganz sie gestillt, die Beängstigung, die um ein theures
Haupt mich erfüllt. Bald werden von selbst auch Sions Geschicke
Neu sich gestalten. Es ist mir erfreuliche Kunde geworden:
Muthig ziehen gen Münster aus Nachbarlanden an vierzig
Tausend der Wiedergetauften, bewaffnete, feurige Streiter,
Völlig genügend, zu sprengen den Gürtel, der hier uns umschnürt noch.
Ist entsetzt nur die Stadt, trag' ich an der Spitze der Schaaren
Weiter das Banner von Sion in's Herz der germanischen Lande!« –

Also der König. Da traten vor ihn drei Boten. Der Erste
Brachte von Holland Kunde: »Vor zwanzig Tagen, o König,
Schiffte, gesonnen, dahin an der Küste zu segeln und dann sich
In's Westphäl'sche zu werfen, von Anabaptisten ein Heerzug
Auf fünf Schiffen sich ein: doch verfolgt und besiegt und ersäuft ward
Kläglich der sämmtliche Schwarm bei Vollenhoe in der Meerflut.
Noch eine stärkere Schaar, schier zwanzig Tausende zählend,
Warf bei Zwoll in ein Kloster sich kämpfend und macht' es zur Veste,
Trotzigen Muths. Es berannte der Erbstatthalter sie dreimal,
Immer vergeblich, und erst nach langem verzweifeltem Ringen
Stürmt' er die Mauern. Da ließ an den Galgen er schmählich die Führer
Hängen, die Anderen metzelt' er all' mit dem Schwerte, der Wüth'rich:
Zwanzig Tausend – von Blut roth strömten im Lande die Bäche« . . .

Aber der zweite der Boten, der trat vor den König und sagte:
»Herr, von den Männern, die du in die Nachbarlande gesandt hast,
Büßte die Hälfte bereits mit dem eigenen Blute das Wagniß.
Die nach Osnabrück du gesandt und Zusen, sie künden
Muthig noch dort und mit Eifer dem Volk die sionische Botschaft.
Die nach Coesfeld gingen, sie wurden ergriffen, getödtet
Schon in des Bischofs Lager. Die Warndorp glücklich erreichten,
Fanden ein willig Gehör im Volk: bald flammte der Aufruhr
Gegen den Zwingherrn auf, doch es folgt' ihm ein schmählicher Ausgang,
Da der Verrath an's Messer dem Feind die Apostel geliefert.
Und so ereilte die Boten ein grauses Geschick – von dem Rumpfe
Wurde geschlagen das Haupt, auf's Rad noch geflochten der Leib dann« . . .

Aber der Dritte der Boten, die kamen, ein Königstrabant war's,
Meldend, daß Leute des Bischofs herein vom Lager geritten,
Die da brächten mit sich, von vier Landsknechten getragen,
Ein schwerwiegend Geschenk, das, gnädig gesinnt, wie sie sagten,
Waldeck sende dem König, von diesem allein zu eröffnen.

Und nun traten die Boten herein, und hinter den Boten
Brachten getragen die vier Landsknechte das dunkel verhüllte,
Wuchtig schwere Geschenk. Da hieß sie der König enthüllen
Vor ihm die Spende des Feinds. Und sie zogen herunter die Hülle
Von dem Behälter: es war ein Sarg. Und sie hoben den Deckel
Ab vom Sarge, da lag vor des Königs Augen ein holdes
Weib, todblaß und entseelt, noch offen die starrenden Augen:
Aber hinab war gestreift das Gewand vom Busen: da klaffte
Weit ein Spalt, hart unter der Brust, von vertrocknetem Blut roth.
Und als der König erblickte das Weib, da warf er zu Boden
Sich vor dem Sarg, und berührte die Lider der starrenden Augen,
Und dann fuhr er empor, grimmvoll: » Ihr habt sie getödtet?«

Ruhig entgegnet ihm Einer der Bischofsboten: »Berührt nicht
Hat sie feindliche Hand: sie hat sich selber gerichtet:
Schaudernd selbst vor der That, der verruchten, für die man sie dingte,
Hat in den eigenen Busen den rächenden Dolch sie gestoßen,
Den auf ein höheres Haupt sie gezückt« . . .
                                                                    Da verstummte der König,
Und er winkte die Boten und Alle, die stumm ihn umgaben,
Düsteren Blickes hinweg aus seinem Gemache. Mit Hilla
Blieb er allein und starrte sie an, als wollt' in erblich'nen
Zügen er finden die Lösung entsetzlicher Räthsel. Und wild dann
Rief er, mit bitterem Lächeln – es klang wie Hohn die Verzweiflung:
»Weib, was blickst du mich an mit dem offenen Aug' und der offnen
Wunde? o öffne doch lieber die grausam schweigenden Lippen!
Ei, was schließest du sie, krampfhaft, zu ew'gen Verstummen? –
Sprich zu mir – und wär' dein Laut von den Schauern des Todes
Mörd'risch-entsetzlich umgraut, ich will ihn mit Wonne vernehmen!
Rechenschaft heisch' ich von dir, ja Rechenschaft heisch' ich vom Morde,
Von der Gewaltthat, die du an dir – die an mir du begangen!«–

Über die Schweigende beugt sich Jan. Da zuckt' ein Gedank' ihm
Hell durch's Haupt – ja, hell wie der Blitz, und düster und schaurig
Doch wie die Nacht und der Tod. Und er schaudert zurück vor dem Leichnam:

»Hilla!« ruft er, »du liebtest den Feind noch – konntest den Stoß nicht
Führen auf ihn, du schwanktest, und scham-entsetzt vor dir selber,
Hast mit dem eigenen Dolch du gerächt nur die eigene Schwachheit!
Nicht für den Mordanschlag hast reuig du selbst dich gerichtet –
Nein, du rächtest an dir, daß du nicht zu vollzieh'n ihn vermochtest!
Mord nicht war es und Haß, nein Liebe nur, was du gesühnt hast! –
Hilla, Hilla, wie stürzt dein Bild von himmlischer Höhe
Tief in den irdischen Schlamm mir nun vor den Augen herunter! –
O die erbärmliche Welt – morsch ist sie, wo man sie anfaßt! –
O wie fühlt' ich mich hoch auf die Zinne des Glückes gehoben!
Und nun schreibt das Geschick mir in flammender Schrift an die Pforte
Des glanzvollen Palast's: Sei elend! Sei wie die Andern,
Die je kriechend sich wanden durch's Jammergefilde des Daseins!
Soll ich dafür büßen so schwer, daß an irdisches Glück ich
Glaubte, dafür, daß ich hoffte, durch menschliches Wollen und Streben
Lasse sich kühn vorgreifen dem neidisch-kargenden Schicksal?« – –

So wehklagte der König. Da plötzlich weht es wie Trosthauch
Um sein jugendlich Haupt. Zu stolz noch, um zu verzagen,
Hebt er auf's Neue die Stirn: »Was mach' ich des eigenen Schicksals
Bild zum Bilde der Welt und des Völkergeschicks? Ist gescheitert
Auch mein Glück, nicht soll mich's gereuen zu ringen, zu streben
Für das gewaltige Werk der erhabenen Menschenbefreiung,
Menschenveredlung und Menschenbeglückung! – Das Rabengekrächze,
Welches die heutigen Boten zum Ohr mir brachten, es soll nicht
Schrecken, es soll nur ein Sporn mir sein! Anfaßt mich das Schicksal
Wie mit eisiger Hand, und fordert heraus, was von Mannheit
In mir ist . . . Wolan! was sollt' ein Weib mich hinunter
Mit sich zieh'n in die Nacht, und mich rauben dem goldenen Leben?
Hilla, du hast mich verrathen – im Tiefsten der Seele gebrochen
Bin ich für immer – ich zürne dir, Weib! ich stosse von mir jetzt
So dein Bild, wie von mir ich Divara stieß« . . .
                                                                            Er erhebt sich,
Ruft die Trabanten herein: »Hinweg dies Weib, daß ich länger
Nicht vor Augen es schaue!« – Sie treten heran. Doch es fällt noch
Einmal des Königs Blick auf das holde Gesicht der Erblich'nen,
Von Goldlocken umwallt, und verklärt von der Ruhe des Todes.
Und um die Lippen noch scheint ein Lächeln zu schweben, so traurig
Süß, wie zur Stund', wo erglühend zum Weib sich die Heil'ge gewandelt
In still-traulicher Zelle . . . Da faßt es den Jüngling erschütternd
Mächtig an, und, hinweg noch einmal winkend die Männer,
Stürzt er nieder am Sarg.
                                        »O Hilla«, ruft er, »du schönes,
Bleiches, geliebtes Kind, fahr' wol! ich zürne dir nimmer!
Süßes, erkorenes Bild, fahr' wol auf ewig! Wie sollt' ich
Zürnen dir noch? Unselig bin ich, unseliger warst du
Selbst, o Weib! Ich zürne dir nicht! Tiefinnerste Rührung
Faßt mich! Wie unter die Sterne versetzt nun leuchtest du still mir:
Nimmer ein Stern zwar des Glücks, doch ein Leitstern, ruhigen Glanzes!
Nein, ich zürne dir nicht! Laß mich auf die Lippen, die kalten,
Ach, auf die Lippen, die süßen, die nie mir wieder erwarmen,
Wie sie dereinst mir erwarmt in der traulichen Zelle, den letzten
Kuß mich drücken, und fromm dir schließen die Lider der Augen!
Könnt' ich die Wunde dir schließen, wie ich dir schließe die Augen,
Mit einem Kuße des Mundes!« –
                                                    Er spricht's, und erhebt sich gefaßt dann,
Wieder ein Held und König. Dem Volke verkündet er Hilla's
Wagniß und Trauergeschick. Auf erhabenem, purpurnem Prunkpfühl,
Königlich prangend in Schmuck und von lieblichen Blumen umduftet,
Stellt einen Tag lang er sie den trauernden Blicken der Bürger
Sions aus, dann läßt er mit düsterem Pomp sie bestatten.
So wie der Krönungszug vor Kurzem, so wogt nun ein dunkles
Trauergeleit durch die Gassen. Zur Ruhstatt aber erkieset
Seiner erblichenen Braut der Gebeugte die düstererhab'ne
Halle des Domes, des jetzo verlass'nen; denn g'rade vor Augen
Hat er den ragenden Bau von den Fenstern des eig'nen Palastes:
Und so will er, ihn schauend, der Lieblichen immer gedenk sein,
Die er bestattet darin. Ein Tempel, entweiht und verwüstet,
Ragte der Dom: nun ist er auf's Neue geheiligt, als Grabmal,
Welches das modernde Glück umschließt des Königs von Sion. – –

Täglich saßen annoch, wie Matthisson es geordnet,
Unter den Linden auf weit sich erstreckendem Platze des Domhofs
Bei dem gemeinsamen Mahle versammelt die Bürger von Sion.
Sollten doch Alle, so Tag für Tag einträchtig gesellt, sich
Bald wie Genossen des Hauses, wie Brüder sich kennen und lieben.
Frauen und Kinder vereinte zugleich das gemeinsame Mahl hier,
Doch von den Reihen der Männer getrennt an besonderen Tischen.
Einzig die Säuglinge fanden und Kranken daheim in den Häusern
Pflege von emsigen Frau'n: und die auf dem Wall, an den Thoren
Standen zum Schutze der Stadt, darreichte man ihnen die Speisung
Dort, wo sie pflagen der Wacht. Die geräumige Mitte des Domhofs
War mit Pfählen besteckt, und es wurden auf diese die Platten
Eichener Tische gelegt, alltäglich zur Stunde der Mahlzeit.
Gegen die Stralen des Sommers, der Herbstzeit rauhere Unbill,
Waren den Tafelgenossen zu Häupten beschirmende Linnen
Übergespannt: da saßen sie wie unter Zelten gemächlich.
Aus zwölf Küchen, errichtet im untern Geschoß der Paläste,
Die um den Domhof standen, da ward in riesigen Töpfen,
Schüsseln und Pfannen getragen das Mahl. In gewaltigen Massen
Duftet, die Tische belastend, das Speckschwein da, und das Bratlamm,
Auch das gepöckelte Fleisch, und der Fisch, der gesalz'ne. Das Rind liegt
Auf Erzplatten zerschrotet. Die Bohne, der Kohl, mit des Speckes
Würze, sie dampfen gehäuft in Kufen. Aus bauchigen Fässern
In die gewaltigen Krüge, von diesen in Kannen und Becher
Sprudelt das Gerstengebräu' und die kärgere Labe des Weines.

Neblich grau ist der Himmel; es sitzen die Bürger von Sion
Eben im Domhof wieder vereint beim Mahle. Wie seltsam
Sind sie gemacht! von jeglichem Zweig des germanischen Stammes
Hatte nach Münster hieher ein Blättlein getragen der Wirbel
Dieser bedrohlichen Zeit. Der vom grünenden Fuße des Säntis
Kam, sitzt neben dem Mann von der Elbe: der Pilger aus Holland
Hat zum Tischnachbar einen Älpler, der fern von der Salzach,
Oder der steirischen Mark herkam, wo im grünlichen Murstrom
Sacht hingleitet das Floß zu den windischen Bergen hinunter.
Herzlich umschlang im Beginn die Begeisterten alle die Eintracht.
Aber es sonderten bald von den Schwärmern die Lauen, die Kalten
Sich, und es hielt beim Mahl zu den Fremden sich lieber der Fremde,
Als zu den Heimischen. Oft auch neckten die Einen die Andern,
Trotzend sionischer Regel, und folgend dem alten, dem derben
Brauch der germanischen Art. So sollt' es auch heute geschehen.
Schweigsam waren die Schwärmer, die Lauen und Kalten geschwätzig.

Ein rheinfränkischer Mann, Hanns Eyler, der wandte zum nächsten
Nachbar sich: »Wahrhaftig! des saftig-genießbaren Fleisches
Vorrath scheint auf die Neige zu geh'n!« Zustimmte der Nachbar,
Benno, der Sachse, geheißen: »Mir ist sie lang schon zuwider,
Die westphälische Küche; bei Gott, sie beschwert mir den Magen,
Ist zu derb und zu ranzig!« – Ein vielumgewanderter Schwabe,
Melchior Scheffel, versetzt: »Ich wollt' sie mir lassen gefallen,
Die westphälische Kost, wenn nur so sauer und dünn nicht
Wäre der Trank, um hinunter zu schwemmen die zäheren Bissen!
Trauriges Land, wo mangelt das grüne Gebirg und die Reben!
Wahrlich, ein Frosch sein muß man, im Norden sich wohlzugefallen:
Immer Gesümpf nur und Sand, und Haidegekräut, und dazwischen
Krüppelgehölz – langweilig die Marsch, langweilig das Geestland!
Komme vom sonnigen See, wo die taubenumflatterten Giebel
Lindau's ragen, gewandert: nun frißt mir der Nebel die Lungen
Hier im nordischen Land!« – »Und so wie das Land, so die Leute,
Fällt ein Pfälzer nun ein; »unfreundlich, verschlossen und finster,
Ja, schwerfällig und zäh, bärbeißig, von rauher Gemüthsart
Sind sie, die Leut' im Land'!« – »Kratzborstige Kerle, das sind sie!«
Spricht mit Lächeln ein Dritter – er kam von der sandigen Mark her –
Habt ihr das Mährlein gehört, wie Gott, der Herre, vor Zeiten
Den Westphalen erschuf? Gebt Acht, ich will's euch erzählen.
Einstens gelangte der Herr auf Erden mit einem der Jünger
In's westphälische Land, so meldet die Sage. Da fand er's
Ganz von Wäldern bedeckt, und als einzige Bewohner des Landes
Fand er Schweine, verzehrend die Eicheln der Wälder. Da mahnte
Christum der Jünger, er sollte doch Menschen erschaffen im Lande.
Christus schüttelte lange das Haupt, doch als Jener ihn drängte,
Sprach er: »So mag's denn sein: doch du sieh zu, wie es abläuft!«
Und dann stieß er gemach einen Eichklotz, der ihm im Weg lag,
So mit dem Fuße nur an und sprach die gebietenden Worte:
»Eichklotz, werd' ein Mensch!« – Da erhob sich vom Boden der Eichklotz
Als ein trutziger Mann, und schnaubte den gnädigen Schöpfer
Unwirsch an: » Was stößest du mich?« Und das war der erste
Münsterländer:
bei seiner Erschaffung bereits mit dem Schöpfer
Hat er gezankt – nach ihm sind die Anderen alle geartet!«

Also erzählte der Märker; es lachten die Männer des Auslands,
Welche zunächst ihm saßen und hörten das schnakische Mährlein.
Aber erlauscht auch hatte die spottenden Reden der Männer
Mit scharfhorchendem Ohre der fernab sitzende Krechting,
Und anstieß er den Freund, den gewaltigen Knipperdolling,
Dem er sich immer gesellt, und flüsterte: »Bruder, vernimmst du,
Was die dort sich erzählen? Sie reden in schimpflichen Worten
Eben von Land und Leuten im Münster'schen! Gibt es denn Keinen
Hier am Ort, der kräftig den schnöden Gesellen den Mund stopft?« –
»Was?« rief Knipperdolling, »sie spotten der Leute von Münster?« –
Weidlich war er bezecht – als Träger sionischer Würden
Heischt' er doppeltes Maß, und Mancher der Nüchternen ließ ihm
Gern vom gemeinsamen Trunk sein Theil, denn es liebten ihn Alle,
Als gutmüthig und ehrlich, wiewol gähzornig und polternd.
Jetzt auch fuhr er empor, zornwüthig, vom Weine befeuert:

»Wer ist's, der da spottet der Münsterer? will uns der Fremde
Gar noch necken dahier und hänseln? auf unserem Boden
Will ein fahrender Schwab', ein Gauch von der sandigen Mark uns
Kecklich trotzen? uns meistern ein Hungerleider aus Holland
Oder aus Ostfriesland, der daheim auf Brettersandalen
Torkelt über das Moor, und dahier sich spreizt wie der Truthahn,
Über den Markt stolzirend und hin durch die Straßen von Münster?« –

»Hört einmal!« rief lachend, dem zornigen Sprecher zur Antwort,
Ein holländischer Mann, »wie der wackere Knipperdolling
Eifert; es ist, wie das Sprichwort sagt: ein jeglicher Hahn kräht
Keck auf dem eigenen Mist! Ihr sollt doch bedenken, ihr Münst'rer,
Daß wir allein, wir Fremden, den Dingen zu Münster den rechten
Schick und den Schwung zum Bessern gegeben: ja, ohne die Fremden
Stündet am selbigen Fleck ihr heut' noch, zanktet euch schwatzend
Unentschieden herum mit dem Rath und mit dem Capitel!« –

Knipperdolling entgegnet, und ihm noch barscher der And're,
Und so drohet zum Kampf alsbald beim Mahl zu entbrennen
Zwischen den heimischen Bürgern und Fremden der Zank. Es erhebt schon
Ein grobkörniger Mann aus den bairischen Landen die Fäuste
Gegen die Männer von Münster. Da treten die edleren Bürger
Eifrig dazwischen mit bleichen Gesichtern, ein Wehe zu rufen
Über den Gräuel. »Erfüllt ihr so nun euer Gelöbniß«,
Rufen sie, »liebend als Brüder zu leben, ihr Wiedergetauften?
Seid ihr wiedergeboren im Geist und im inneren Worte?
Fluch dem Tag, der zuerst nun wieder die Bürger von Sion
Als schwachherzige Menschen geseh'n, wie Gottlose hadernd
Gegen einander mit schnöden und lieblos kränkenden Worten!« –

Also die ernsteren Männer; da schwiegen im Kreise die Andern,
Und so ruhte der Streit. Nur Knipperdolling und Krechting
Sprachen noch weiter zusammen vom Hochmuth hung'riger Fremden.
Und mit berechnetem Wort aufreizte der tückische Krechting
Mehr noch den ehrlichen Freund. Halb ernst, halb scherzend, mit Grinsen,
Warf er bedauernd so hin, daß, wenn nach dem Rechten es ginge,
Herrschen wol müßte zu Münster der wackere Knipperdolling:
»Bist du doch von den Kämpen der neuesten Lehre zu Münster«,
Sprach er, »der erste gewesen, das Haupt: Macht hast du und Einfluß
Wie kein Zweiter besessen im Volk, bis die Fremden gekommen,
Die Holländer und Friesen, und an sich gerissen die Zügel.
Und für sämmtliche Dienste, der heiligen Sache geleistet,
Hat von allen den Würden in Sion der König dir keine
Bess're zu bieten gewußt, als daß er das »Schwert der Gewalt« dir
Gab in die Hände, das heißt, zum Henker dich machte, was wahrlich
Doch kein Ehrenberuf! Wol bleibt es nun einmal ein alter
Brauch, daß daheim nichts gilt der Prophet: und so hat denn von Harlem
Münster sich jetzt den Propheten geholt und von Leyden den König!« –
»Wetter!« so fügt er hinzu, »versteh'n die's einzig, das Pred'gen
Und Prophezei'n? kannst du nicht rufen so gut wie die Andern:
Heilig ist Sions Volk! Thut Buße, geliebteste Brüder!
Hast du den Geist nicht auch, und kannst einblasen ihn Andern,
Wenn dir's der Vater gebeut? Du solltest's nur einmal versuchen!« –

Aufmerksam hinhorchte der trunkene Knipperdolling
Nach den berechneten Reden des Wichts und es stieg das Geflüster
Ihm zu Kopf wie der Wein, den er schlürfte. Verleidet auf einmal
War ihm das »Schwert der Gewalt«, das er früher in ehrlicher Einfalt
Trug mit Stolz, und den König, für welchen er lauter als Einer
Immer geschwärmt, nun haßt er ihn schon. »Ja, Bruder, man hat nicht
Würdig gehandelt an mir«, rief er, »man lohnt mich mit Undank!
Eben die Fremden, die jetzt uns beherrschen, wer hat sie nach Münster
Hieher geladen zuerst, sie im eigenen Hause beherbergt?
Knipperdolling nur war's, der in Schaaren die Leute bewirthet,
Als barfüßig und hungernd nach Münster sie kamen gelaufen.
Seht 'mal, der Bäcker von Harlem, und mit ihm der Gaukler von Leyden,
Aßen und tranken und schliefen bei mir sammt ihrer Gefolgschaft!
Und, beim Himmel, auch wenn man zu Münster die Gütergemeinschaft
Niemals hätte verfügt und geleert bis zur Neige die Truhen,
Wäre so blank ich geworden, mit Weib und Kindern, wie Einer,
Rein zum Bettler geworden durch Anabaptisten-Bewirthung!
Und so lohnen sie mir's nun, die Fremden! So dankt mir der König
Jan, den ich immer geliebt, von Anfang an, und gehätschelt
Wie einen eigenen Sohn; denn der Junge – nun heißt er der König –
Hat mich verzaubert; ich konnt' ihm, bei Gott, nicht anders als gut sein.
Aber das ist vorüber: ich hass' ihn von heut an und will nicht
Mehr sein »Schwert der Gewalt«; er muß mich zu Besserem machen!« –
Also sprach er, und leerte den Becher, den Krechting ihm füllte.
Weidlich zürnt' er dem König, der jüngst ihm gewesen ein Abgott,
Und mit derselbigen Treue, die sonst er erwiesen dem König,
Hing er sich jetzt, harmlos wie er war, an den schmeichelnden Krechting.
Und der füllte von Neuem den Becher ihm, hetzte von Neuem
Grinsend den Freund, mit funkelndem Aug': »Beim Himmel, er muß dich
Machen zum Mitregenten!« – »Was meint ihr, Leute?« so fuhr er
Fort, zu heimischen Bürgern sich wendend mit schnödem Geflüster,
»Wär's nicht billig, daß neben dem Fremden, der sitzt auf dem Throne,
Auch ein Heimischer säße, zu theilen mit ihm die Gewalten?
Die Holländer und Friesen, sie stecken noch ganz in den Sack euch!
Ei, was duldet ihr's denn? ihr vermögt' s ja leichtlich zu ändern!«

Solches vernehmend erhob sich, erregt noch vom Streit mit den Fremden,
Und auf Krechting zu horchen gewohnt, der Alle verblendet, –
Manch' altmünster'scher Bürger mit laut beistimmendem Ausruf.

Da trat plötzlich der König heran, von Trabanten begleitet,
Unter das Volk beim Mahl, wie er oftmals that, um zu sprechen
Zu den Versammelten, oder Beschwerden und Wünsche zu hören.
Bleich war, düster, der Jüngling. Er nahte den Tischen, zu sehen,
Was da bedeute der Männer Erhebung und lärmender Ausruf.
Als nunmehr ansichtig des Königs geworden der wilde
Knipperdolling, so sprang er empor, entgegen ihm taumelnd,
Und mit der lallenden Zunge des Trunk'nen zu reden begann er:
»Jan – doch nein – Herr König – denn König, das bist du nun freilich
Hier in Münster, und herrschest allein – doch es muß sich nun ändern:
Denn so will es der Vater, und Krechting auch, und wir Alle,
Daß nicht länger die Fremden allein hier herrschen zu Münster,
Sondern daß so es geschehe, wie mir es der himmlische Vater
Gestern verkündet im Traum, und wie Krechting sagt, und wir Alle,
Daß ich herrsche mit dir; denn sag', ist etwa geringer
Knipperdolling, als du? noch erfahrener bin ich und älter,
Und auch heimischer Bürger von Münster! Ihr aber, aus Holland
Lieft ihr, ihr Wiedergetauften, daher! O, ich auch verstehe
Zu prophezeien, zu pred'gen, und Wunder zu thun, wenn's verlangt wird!
Mich auch erleuchtet der Herr, daß ich rufe so gut wie ein And'rer:
»Heilig ist Sions Volk! Thut Buße, geliebteste Brüder!
Ich auch habe den Geist und kann einblasen ihn Andern,
Wie mir's der Vater gebeut! Komm her, du dort mit der grünen
Kappe, dich heiligen will ich! Ich will einblasen den Geist dir,
Und so Jedem im Volk, der verlangt nach dem Geist und der Wahrheit!«

Also faselt der Trunk'ne, zur Frazze verkehrend der Seher
Geist und Reden in Sion, nach Krechtings tückischem Anschlag.
Und im gaffenden Schwarm anhaucht er Diesen und Jenen,
Rufend: »Empfange den Geist, ich will dich heiligen!« – »Sehet,«
Fährt er fort, »ihr Brüder, es wanken die Häuser, die Giebel
Stürzen sogleich von den Dächern herab – thut Buße, bekehrt euch,
Hört auf den Willen des Vaters, der euch durch mich sich verkündet!«
So nachäfft er noch weiter den Ton der Propheten. Der König,
Ruhig zu seinen Trabanten gewandt: »Führt weg den Berauschten«,
Spricht er, »damit nicht länger er Ärgerniß gebe den Bürgern!
Kerkert ihn ein, bis geschwunden vom Geist ihm die schnöde Beneblung!«

Hand anlegten sogleich an den Trunk'nen die Diener des Königs.
Und er blickte vergeblich sich um nach Helfern, es wichen
Alle zurück vor dem Jüngling, der heute so bleich und so trüb war,
Wie sie nie ihn gesehn. Hartnäckig sträubte der wilde
Knipperdolling sich lang, den Trabanten zu folgen; doch endlich,
Als er verlassen sich sah und von Stärkeren Händen bewältigt,
Ward er sanft wie ein Lamm, und es liefen aus trunkenen Augen
Zähren ihm über die Wangen herab. Mit zärtlichem Vorwurf
Sprach er, zum König gewandt: »O Jan, das muß ich erleben
Heute von dir? von dir, den ich immer doch liebte so thöricht,
Wie mein eigenes Blut? Weiß Gott! seitdem ich zuerst dich
Sah, stets warst du an's Herz mir gewachsen; ja wahrlich! und Alles
Hab' ich willig gethan, was ich nur an den Augen dir absah!
Immer ja hab' ich gesagt zu den Bürgern von Sion: Der Himmel
Hat uns den Jan von Leyden gesendet, den herrlichsten, besten,
Weisesten Jüngling der Welt! Und nun, Jan, lohnest du so mir's?
Nein, du hast nicht redlich gehandelt am Freund, an dem alten
Knipperdolling, o Jan!« – so schwatzt er noch weiter, doch faßten
Ernstlich jetzo die Männer ihn an, um weg ihn zu führen.
Aber er wandte noch ein Mal sich, wehklagend und rufend:
»Jan, das kannst du mir thun? und du warst doch an's Herz mir gewachsen,
Wie mein eigener Sohn . . .« Fortzogen ihn rasch die Trabanten.

Ernst und düster und zürnend nun wendet zum Volk sich der König:
»Welcher dämonische Geist, entstiegen den Grüften der Hölle,
Bringt solch häßliches Bild mir vor Augen inmitten von Sion?
Solches vermag zu gescheh'n auf der Stätte, wo schöneren Daseins
Frühroth herrlich erglänzte? Wohin nun ist sie geschwunden,
Jene gemeinsame Glut, die zu Anfang Alle begeistert?
Wölfe, bedünkt mich, schlichen sich ein mit den Lämmern der Hürde,
Welche den edleren Geist zu ersticken geheim sich bemühen!
Aber ich kenne sie wol, und ich werde sie wissen zu treffen!
Anzieh'n will ich sie straffer in Münster, die Zügel der Herrschaft,
Weil es die Noth so erheischt, bis unschädlich geworden die Wölfe!«

Also der König. Da scholl ihm ein »Heil« von unzähligen Lippen,
Zeugend dafür, daß wach der sionische Geist in der Mehrzahl.


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