Robert Hamerling
Der König von Sion
Robert Hamerling

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                  Aber es drängte die Zeit nun, zu schreiten zur ernsten Berathung,
Und nachdem sich die Frauen entfernt und die Diener des Mahles
Rest von der Tafel gehoben, da rückten zu engerem Kreise
Alle die würdigen Herr'n, die Gesandten und Räthe zusammen.

Und es begann zu entrollen die traurige Posse des deutschen
Reichselendes im Kreis der berathenden Freunde der Bischof:
Zählte vor ihnen herab an den Fingern ein völliges Dutzend
Reichs- und Kreisabschiede: wie jene von Speier und Augsburg,
Welche des Reichs Churfürsten und Fürsten und Stände verpflichten,
Daß ein Nachbar helfe dem andern; er dachte des Kreistags,
Welchen gehalten die Fürsten des rheinischen Kreises zu Koblenz,
Eig'ne Gefahren erwägend, beschließend, im Namen des Kreises
Weiter zu führen den Krieg, daher auch den obersten Kriegsherrn
Selber bestellend, den Grafen von Daun, im Namen des Kreises,
Mit vier Räthen im Lager dazu. Er gedachte des Reichstags
Ferner zu Worms, wo des Reichs Churfürsten und Fürsten und Stände
Nach unendlichem Hader zuletzt doch erkannten, es müsse
Kaiser und Reich sich erheben, den anabaptistischen Gräuel
Stracks aus der Welt zu vertilgen, zu Felde zu ziehen im Kreuzzug
Gegen die Wiedergetauften, wie gegen die Heiden und Türken.
Aber zu sparsam fließe die Hilfe, so klagt' er, zu langsam,
Welche des Reichs Mitstände zu Worms ihm gewährt und zu Koblenz.
Fruchtlos mühe sich immer der Pfennigmeister, den Pfennig
Abzuverlangen umher bei säumigen Bundesgenossen,
Und so sei um den Sold man beständig verlegen im Lager,
Ja, zu befürchten auch sei, daß gar sich die Söldner verlaufen,
Sonderlich, da es ja wimmle nunmehr von Werbern im Lande,
Die sich, um anderswohin zu verlocken die Knechte, bemühen.
»Schon neun Monde nun sind's«, so beendet die Klage der Bischof,
»Daß wir liegen vor Münster. Wir halten die Stadt nun mit sieben
Schanzen umzingelt, die alle verbunden durch Gräben und Wälle,
Und fünf Hunderte liegen in jeglicher Schanze, daneben
Etliche Reitergeschwader. Wir bau'n vorrückende Dämme
Gegen die Stadt seit Wochen: von Bauern auch etliche Tausend
Halten wir Tag für Tag mit den Schanzarbeiten beschäftigt.
Leicht zu ermessen ist nun, wie des Bisthums Mittel der Aufwand
Hinter sich läßt, und der Krieg gar bald ausschlägt zu des Reiches
Schmach, wird kräftiger nicht und rascher die Hilfe geleistet!« –

Also der Münster'sche Herr. Nachdenklich vernahmen im Kreis' ihn
Boten und Räthe. Sie schwiegen und rückten umher auf den Stühlen.
Zögernd sodann sprach Dieser und Jener von seines Gebieters
Eig'ner Gefahr und Noth. Es berief sich der auf des Landes
Schuldlast, der auf den Bauerntumult, und der auf den Mißwachs
Und das gewaltige Sterben im Land vom vorigen Sommer.
Einer der Fürsten bedauerte herzlich durch seinen Gesandten,
Daß so böslich vor Kurzem an Geld und Gut ihn geschädigt
Ein langwieriger Streit mit den Sippen. Der bremische Bischof,
Ein vielmögender Herr, er betheuerte, daß er an Baarem
Niemals weniger hatte zu Handen als jetzt. Und so fand denn
Jeder zu klagen, und selbst war hilfebedürftig ein Jeder.

»Und was hab' ich zu hoffen«, so fragte betrübten Gesichtes
Waldeck nun, »von dem Nachbar Cleve? Was bietet der Vetter
Landgraf mir, Herr Philipp von Hessen? was denket des Kaisers
Majestät für Münster zu thun? auf diese ja muß ich
Hoffen zumeist!« – Da beginnt zu erwidern des cleve'schen Herzogs
Rath. Von den eigenen Nöthen des cleve'schen Lands, von dem neuen
Reichsbeitrag für den Krieg, der da drohete gegen die Türken,
Sprach' er; indessen gedenk', ein Äußerstes thuend, der Herzog
Nächstens zu stellen des Weitern zum Kampf vor Münster ein halbes
Dutzend Karthaunen von schwerem Kaliber, wofern nur der Bischof
Sich ihm verpflichte, den Schaden, der etwa d'ran sich begäbe,
Nach dem beendigten Kriege mit Geld nach Gebühr zu vergüten.
Also Cleve. Die hessischen Räthe vermelden, es habe der Landgraf
Freilich zu thun vollauf, sich zu wehren der eigenen Feinde,
Dennoch find' er bereit sich, dem Bischof noch siebenzig Tonnen
Pulvers zu schicken, wofern nur dieser dafür sich verpflichte,
Daß er der Fähnlein Hälfte, so er für sich nun geworben,
Zu dem Gelöbniß vermöge, nach Münsters Erob'rung sich keinem
Anderen Herrn zu verdingen als ihm: er bedürfe der Söldner.
Solches verlangte der Hesse. Des Kaisers und Reiches Gesandter
Sprach nach den Anderen jetzt, Herr Georg Schenck, der in Friesland
Und im oberen Yssel als Erbstatthalter bestellt war.
Dieser bewies, daß der Kaiser der Hilfe von Fürsten und Ständen
Selber ermangle, da sie, statt mannlich und ernstlich des Reiches
Sachen die Kräfte zu weih'n, sie zersplittern in eigenen Fehden.
Eben ja sehe das Reich sich wieder genöthigt zu rüsten
Gegen der christlichen Welt grausamst androhenden Erbfeind,
Ganz zu geschweigen von Händeln in Holland, wie in Brabant auch,
Und davon, daß der tück'sche Franzos' auf Gelegenheit laure . . .
Und so bleibe von daher nichts für Münster zu hoffen . . .

Bitteres Lächeln umspielte die Lippen des Grafen von Waldeck.
»Wird so wenig bedacht die Gefahr, die Allen gemein ist?«
Rief er; »dringender sollte doch nichts nun erscheinen im Reiche,
Als im Keim zu ersticken den Gräuel der Anabaptisten,
Welcher das weltliche Recht zugleich mit dem geistlichen umstürzt!« –

Jetzo erhob sich zu reden der Bote des Bischofs von Lüttich,
Sprach, sein gnädiger Fürst und Herr, der leider auch selber
Schwer von Anabaptisten geplagt und gewaltig erbittert,
Sei nicht übel geneigt, dem gnädigen Bruder von Münster
Ein Darleh'n zu gewähren, damit er zur Ketzervertilgung
Habe die Mittel, wofern nur dem gnädigen Bruder und Bischof
Für Rückzahlung der Summe zu Handen verläßliche Bürgschaft.

»Bürgschaft?« fragte der Bischof; »die ist nicht leichter zu haben,
Als ein Seckel mit Baarem!« – Im Kreise der Bundesgenossen
Ließ er schweifen das Aug'. Nur zuckende Achseln begegnen
Ihm und schweigende Lippen, zu Boden gekehrte Gesichter.
Dennoch faßt er sich wieder, und wendet zum bremischen Bischof
Sich: »Viellieber Bruder und Freund, Ihr seid in der Runde
Weit als begüterter Herr in Ruf, und zuvor auch betheuert
Habt Ihr, daß nur im Moment Euch Baares gebreche – nun fügt sich's,
Sehet, daß Ihr auch so mir ein Helfer zu werden vermöget,
Leistend die Bürgschaft bloß, die der Freund und Bruder von Lüttich
Von uns eben verlangt!« – Das hätte dem bremischen Bischof
Wenig ein Stündlein früher gefallen; doch hatt' er indessen
Sich in rheinischem Weine zu heiterer Laune begeistert,
So daß er schmunzelte nur zu Jeglichem, und mit beschwertem
Haupt, schier ohn' es zu wissen, von selbst Ja nickte zu Allem.
Und so nickt' er auch jetzt gar freundlich dem Bischof von Münster
Zu, und stammelte: »Ganz wie du willst, liebwerthester Bruder!«

Aber es rückte mit neuer Erklärung der Lütticher jetzo
Wieder bedächtig heraus. Sein gnädiger Herr, so versetzt' er,
Hab' ihn ernstlich verpflichtet, zu seh'n auf verläßliche Bürgschaft.
Aber wer sei noch verläßlich? im heutigen Stande der Dinge
Sei schier Niemand verläßlich: am Wenigsten seien's die Fürsten.
Nicht viel besser sei Clerus und Adel, und einzig die Bürger,
Meint er, seien was werth auf dem Geldmarkt heutigen Tages,
Und nur die Städte noch zeigten Bestand und ein wachsend Gedeihen.
Und so frage vorerst sein gnädiger Herre von Lüttich,
Ob sein gnädiger Bruder und Bischof von Münster die Bürgschaft
Stellen ihm könne von Köln etwa, von Bremen, von Augsburg?
Nicht von den Herren des Lands – von der Stadt, von der Bürgergemeine« . . .

Lächelnd vernahmen die Rede des Bischofsgesandten von Lüttich
Alle, die saßen im Rath, und es sagte, sich neigend zum Nachbar,
Mancher: »Er ist sehr klug, wahrhaftig, der Bischof von Lüttich!« –
Aber der Münster'sche Herr, zum Lütticher sprach er mit Unmuth:
»Meint ihr wirklich, es wissen die Krämer von Bremen und Augsburg
Gar nichts Bessers zu thun mit ihrem erschacherten Gelde,
Als sich für geistliche Fürsten und Herren damit zu verpfänden?« –

»Klar ist's«, so fuhr er fort, nicht länger erstickend den Unmuth:
»Nicht mehr bleibt von des Reichs Mitständen mir Hilfe zu hoffen!
Sei es: so mag denn geschehen, wozu mich treibt die Bedrängniß!
Wisset, der Engelländer begehrt schon längst an der Nordsee
Boden zu fassen; auch Andere möchten gen Süden und ostwärts
Um sich greifen, und daß ich es euch nur offen gestehe,
Gestern noch war im Lager dahier ein heimlicher Sendling,
Der ausgiebige Hilfe verbürgt, wofern eines Landstrichs
Mich durch Verkauf zu entäußern sofort ich wäre gesonnen!« –

Also der Bischof. Da sagte der kölnische Bote bedenklich:
»Gnädiger Bischof, denkt Ihr in's Land uns zu locken die Fremden?«
»Warum nicht?« sprach Jener; »man wird es auch so noch erleben,
Daß auf unseren Boden der lüsterne Fremde den Fuß setzt.
Blickt nicht Pfälzer und Baier auch über den Rhein, mit dem Reichsfeind
Sich zu verbünden bereit, sobald es die eigene Haut gilt?
Wenn nicht selbst wir uns schützen, wir Fürsten, so mag es das Ausland
Thun, sonst wird uns am Ende noch Alle verschlingen des Kaisers
Majestät: dann haben wir einen Gebieter in Deutschland,
Ja einen König, der schmählich erdrückt die Vasallen im Reiche,
Wie es die Könige thaten in Engelland und in Frankreich,
Und noch sonst in der Welt' – vor welchem Verderben der Himmel
Einzig uns Deutsche bisher noch bewahrt! Woferne des Kaisers
Majestät sich vermisset zu Anderem noch, als den kleinern
Fürsten in dem, was er hat, und was er vermag, zu beschützen,
Wenn sie vor Andern nach Obmacht strebt, dann ist mir der Fremde
G'rade so lieb als der Kaiser – was hilft uns da weiter das Reich noch?«

Also ereifert' er sich. Beifällig nickte der Herzog
Philipp dazu, beifällig auch nickte der bremische Bischof,
Und beifällig im Kreis auch nickten so manche der Boten.
Aber der kölnische Rath, sich ein Weniges noch zu gedulden
Bat er den Bischof, zu halten entfernt die Vermittler des Auslands;
Hilfe ja soll' ihm werden, nur gelt' es vorher noch die Sache
Reif zu bedenken, zu holen von Haus auch weitere Vollmacht.
Und so schlag' er für heute nur vor, daß am zehnten des nächsten
Monats Alle sie träten zu neuer Berathung zusammen.

Also der kölnische Rath. Zustimmten ihm sämmtlich die andern
Boten und Räthe, beschließend sofort, daß am zehnten des nächsten
Monats Alle sie träten zusammen zu neuer Berathung.

Schweigend-unmuthig gedenkt, und müde der langen Verzög'rung,
Sich zu erheben der Bischof. Da ließ der gewaltige Stedinck
Fallen die wuchtige Faust auf die Tafel. Er hatte beim Mahle
Mächtige Humpen geleert, und indeß anging die Berathung,
Hatt' er geschwiegen, doch immer gerollt sein grauliches Einaug',
Und wie im Zorne gezerrt am gewaltigen Knebel- und Schnauzbart,
Jetzt fiel nieder die Faust, und erschreckt auffuhren die Gäste.
Scharf anblickt' ihn der Bischof: »Was ist euch, ehrlicher Wilcke?« –
Und es poltert heraus, freimüthig, der tapfere Degen:
»Gnädiger Herr, mir graus't vor dem heiligen römischen Reiche! –
Greift doch schier in einander des heiligen römischen Reiches
Regiment und Getrieb wie ein Rattenkönig, bei welchem
Sind mit einander verwachsen die Schwänz' unzähliger Ratten,
Aber es trachten die Köpfe nach anderer Richtung ein Jeder.
Macht und Hilfe des Reiches, was ist das? man muß sie zusammen
Suchen wie Hadern. Da sendet der Ein' uns etliche Tonnen
Pulver, der And're ein Dutzend verrosteter alter Karthaunen;
Mit Hellebarden und Spießen und sonstigem Waffengerümpel
Hilft uns ein Anderer aus. Schindmähren beschafft uns der Eine,
Ohne die Reiter dazu, und der Andere liefert uns Reiter
Ohne die Gäule. Wenn's hoch kommt, schickt man von Knechten ein Fähnlein;
Doch der versprochene Sold? Allmonatlich läuft da der wack're
Pfennigmeister die Beine sich wund und die Lungen, von einem
Fürstlichen Hofe zum andern als ewiger Jude zu wandern,
Sammelnd den Heller von da und den Heller von dort, und zuletzt doch
Halb nur zu bringen den Seckel gefüllt in's murrende Lager.

Eins nur haben die Fürsten und Stände des Kreises zu Koblenz
Glücklich zu Stande gebracht: nachdem sie die Hilfe versprochen,
Haben den Kriegsfeldherrn alsbald im Namen des Kreises,
Und vier Räthe dazu, sie bestellt. Im Namen des Kreises
Ward Euch, gnädiger Bischof, und mir, dem bisherigen Feldherrn,
Solchergestalt entwunden das Heft. Im Namen des Kreises
Führt nun vor Münster den Krieg Herr Wirich. Im Namen des Kreises
Sitzen wir hier auf dem Fleck seit Monden. Im Namen des Kreises
Wird uns noch holen der Geier! Doch freilich, es ward uns zu Worms ja
Auch Reichshilfe gewährt, wie zuvor Kreishilfe zu Koblenz!
Die Reichshilfe, was half sie? Daß von Reichswegen die Anzahl
Der Kriegsräthe von vier auf sechs uns im Lager vermehrt ward! –

Zahllos sind sie bereits, die Beratungen, die wir gehalten.
Ja wir kommen zusammen und was wir zuletzt da entscheiden,
Einzig die Frage nur ist's: wann kommen wir wieder zusammen?
Gnädiger Herr, Ihr nehmt's nicht übel: wenn Einer zu eigen
Geben mir wollt' ein Ländchen, wie etwa das eure, in Deutschland,
Sagt' ich mit herzlichem Dank: Gebt's weiter dem Nächsten, ich bitt' Euch!
Ja, mir graus't, Herr Bischof, vor'm heiligen römischen Reiche!
Machtlos Kaiser und Fürsten, und machtlos immer das Volk auch!
Müssen denn g'rade wir Deutschen so elend sein, so zersplittert?
Lernt denn der Dümmling nimmer, der Deutsche, was andere Völker
Saugen an Brüsten der Mütter? wo einmal ein Deutscher mir vorkommt,
Welcher auf sich was hält und begreift, was nöthig dem Deutschen,
Denk' ich, verzeih' mir's Gott, der Kerl ist gewißlich ein Bankert:
Etwa ein Kukuksei, das ein wälscher, ein wendischer Buhler
Tückisch gelegt in's Nest einem ehrlichen Deutschen und Hahnrei.
Schwatzen, Unmögliches haschen, das Mögliche schnöde verachten,
Lieber noch opfern das Was, als ein einziges Jota vom Wie nur,
Hand nicht regen, noch Fuß, in Erwartung, daß Flügel ihm wachsen,
Nergelnd und zankend zerstampfen die spärlichen Keime der Thaten,
Das ist die Art des Deutschen. So bleibt es nach innen und außen
Elend, schwach und zerrissen, das edle, teutonische Kernvolk!
Schlüge doch einmal ein Starker darein mit der Keule, daß Ordnung
Würd' im Reich' – bei Gott, und wär's auch selber der Teufel,
Wollt' ich ihn ehren und dankend ihm küssen den Huf und die Hörner!« –

So sprach Wilcke. Bestürzt aufsperren die Gäste die Augen,
Einige schütteln die Köpfe bedenklich und Andere schmunzeln.
Wirich, der Graf von Daun, war bleich, und der bremische Bischof
Nüchtern geworden vor Schreck. »Feldhauptmann«, sagte der Bischof,
Wahrlich, es will mich bedünken, als spräch' aus dem Mund euch der helle
Feurige Ungarwein; geht, ehrlicher Wilcke, zu Bette!«

Sprach's und erhob sich, und mit ihm erhoben sich alle die Gäste.
Und es vertheilt sich der Schwarm in dem mittleren Raum des Gezeltes
Hier und dort, zu Gesprächen, gesondert in kleinere Gruppen,
Alle noch höchlich betroffen von Stedincks verwegenen Reden.

Aber es zog bei Seite den ehrlichen Wilcke der Bischof,
Welchen er immer geliebt als den tapfersten Degen im Lager.
»Hat euch der Teufel geritten«, so sprach er leise, daß Ihr mir
Also die Gäste beschimpft, und die Räthe mir kränkt, und den Wirich?« –
»Gnädiger Herr!« sprach Wilcke, »wenn ein Mal nur mit den Räthen
Auf drei Tage verreis't Herr Wirich, so bin ich erbötig,
Mittlerweil' zu erobern die Stadt!« – »Und was faselt Ihr krauses
Zeug«, spricht Waldeck weiter, »von Deutschland und von den Deutschen?« –
Wilcke versetzt: »Herr Bischof, es hole der Teufel die Wirthschaft!« –
»Und auch die Fürsten dazu, nicht wahr?« sprach Jener. Du meinst wol,
Freund, daß ich soll mein Ländchen sofort zu Handen des Kaisers
Geben, mich nichts mehr kümmern um alle die Wirrsal und Drangsal?
Ei, mein Lieber, wir wollen's zuvor doch anders versuchen!
Nein, so ergeb' ich mich nimmer! Zu triumphiren gedenk' ich
Endlich doch, und als Sieger zu kehren zurück in den Domhof,
Und sie verbrennen zu lassen in Haufen, die zehn Mal verwünschten
Anabaptisten, die mir so viel Herzqualen bereiten!
Ja, bei Gott, nicht will ich sie schonen! Dem Henker ist Arbeit
Sicher mit Beil und Strick und Scheitern und glühenden Haken!« –

Zuckend die Achsel versetzte darauf ihm der wackere Stedinck:
»Wie' s euch beliebt, mein gnädiger Herr!« – Allmälig verloren
Sich aus dem Bischofszelte die Gäste nach langen Gesprächen.
Abendlich dunkelts bereits. Da besinnt vor dem Scheiden sich Stedinck,
Und er spricht: »Herr Bischof, ein Übergelauf'ner von Münster
Ist in' s Lager gekommen, ein feiner und stattlicher Bursche,
Der Euch zu sprechen verlangt im Geheimen. Gestattet Ihr, daß ich
Her ihn führ' in das Zelt, noch heute, bevor Ihr zur Ruh' geht?«

»Einer aus Münster?« entgegnet der Bischof; »laß mich ihn sehen;
Botschaft bringt er vielleicht aus der Stadt, die mir wichtig und nützlich!« –

Stedinck geht und es zieht sich zurück indessen der Bischof
In sein Ruhegemach, um unwirsch, müd' und verdrossen,
Wie er ist, sich dort in des prunkvoll-weichlichen Armstuhls
Kissen zu werfen. Es stralt umher von silberner Ampel
Mächtiger Glanz und beleuchtet den fürstlichen Prunk des Gemaches.
Gold'nes Geräth, weichschwellend die Teppiche, seiden die Kissen
Hinter den Prachtvorhängen des winkenden, üppigen Lagers.
Auf ein Tischchen – die Platte vom Holze der Libanonsceder,
Goldig verkleidet der Fuß – stellt jetzo des köstlichen Weines
Vorrath hin in kristall'nen Gefässen ein Diener, daneben
Silbern blinkende Teller mit seltnem Geflügel und Backwerk,
Und was sonst noch der Schwelger als Imbiß liebte zum Nachttrunk.

Und nun führt in's Gemach den sionischen Jüngling der Alte,
Läßt mit dem Bischof dort ihn allein. Der mustert ihn leichthin,
Findet Gefallen an seiner Gestalt, an dem edelen Antlitz,
Winkt ihn näher zu sich. »Du bist ein Patriziersöhnlein«,
Ruft er; »es wundert mich nicht, daß du Münster verlassen. Was bringst du
Neues mit dir aus der Stadt? Will sich noch immer der freche
Gaukler von Leyden, der König sich nennt, und meine Gesandten
Heim in's Lager geschickt, kleinlaut wie begossene Hunde,
Nicht zur Erkenntniß bequemen? Er möge sich hüten, der Schwärmer!
Meint er wirklich zu stiften ein Reich auf Erden, ein neues
Sion? Er sehe nur zu, bald legt ihm der Teufel den Schwanz wol
Auf sein herrliches Sion! Ihm selbst wird schließlich der Henker
Schlagen herunter die Kron' mit dem Haupte zugleich! Doch zuvor noch
Laß ich ihn foltern mit Zangen, den schändlichen Anabaptisten! –
Nun, mein Sohn, was bringst du für neuen Bericht mir aus Münster?«
Aber der Jüngling schweigt. In's Antlitz blickt er dem Bischof,
Seltsamen Blicks, und dieser, je länger den Blick er erwidert,
Schier wie gebannt, um so mehr entschwindet der Gaukler
Ihm aus dem Sinn: es befängt ihn gänzlich das seltsame Räthsel
Dieser gewaltigen Augen, die Unheil droh'n wie Kometen.

»Jüngling«, ruft er, »wer bist du«? Da blitzten die Augen des Fremdlings
Düsterer noch; dann streift' er von sich, wie ein Falter die Puppe
Sprengt, das geöffnete Wamms, und es rollte hinab zu den Knöcheln
Schimmerndes Frauengewand. Vor den staunenden Augen des Bischofs
Stand ein Weib, reizprangend. »Erkennst du mich?« fragt sie. Der Bischof
Blickt noch zweifelnd sie an. Fortfährt sie: »Vergaßest du Hilla?«
»Hilla?«, rief der Erstaunte; »wol denk' ich des lieblichen, spröden
Kindes, das Hilla sich nannte, zur Zeit, als der Bischof von Münster
Noch als fröhlicher Ritter gelebt! Ei, Schönste, was bringt dich
Mir nun wieder zurück? Ich hoffe, die alte, die niemals
Rostende Liebe? Du hast dich lange besonnen, du Schelmin!
Reich' zum Willkommgruße die Hand mir! Wie? du versagst es?
Immer noch spröd'? und doch freiwillig in's Lager gekommen?
Sage, wie sind dir entschwunden die Jahre, die langen, seitdem ich
Dich nicht wiedergesehen? Doch – immer noch bist du die schöne
Hilla, schöner als je: das genügt. Nur zeige mir, Kind, nicht
Solch ein grämlich Gesicht! Komm, labe zuvor dich ein wenig,
Daß dir völlig das Herz aufthaut und sich löset die Zunge!«

Sprach's und rückte heran den mit lieblicher Blume des Weines
Reichlich belasteten Tisch, und der wiedergefundenen Freundin
Bot er das flüssige Gold im schimmernd bemalten Kristallglas.
Und sie that ihm Bescheid. Deß' freut' er sich baß, und er leerte
Becher und Becher, und Lächeln umspielt' ihm nun wieder das Antlitz.

»Siehe«, so rief er, »was mich in den ewigen Sorgen und Plagen
Immer auf's Neu' doch tröstet und labt und die Stirn mir erheitert,
Das ist der Wein, und ein Blick in schöne, gefällige Augen!
Meintest du etwa, der Graf von Waldeck hasse die Frauen,
Seit er der fürstlichen Krone zu Lieb' sich zu Münster dem Chorrock
Mußte bequemen? Er ehrt sie so ritterlich heut noch wie vormals!
Gott sei Dank, wir leben in Zeiten, wo man's so genau nicht
Nimmt mit Tonsur und Gelübd', und die Welt sich an Manches gewöhnt hat.
Weiß doch Jeder im Land, wie hold ich der schönen Äbtissin
Ida zu Minden gewesen, und daß sie im Laufe der Jahre
Mir fünf liebliche Pfänder geboren. Ich liebte sie thöricht,
Ließ als Madonna sie malen zu Münster vom trefflichen Meister
Lüdger vom Ring, und wenn die verdammlichen Anabaptisten
Nicht auch zerstörten das Bild, wie die anderen Werke des Meißels,
Prangt es wol heut' noch im Dom auf dem Seitenaltare zur Rechten.
Herzlich hab' ich beklagt, daß der Tod sie so früh mir entrissen!
Doch nun, Hilla, wie gerne vergeß' ich der schönen Äbtissin,
Wenn du freundlich mir lächelst, mir hold wie vor Zeiten gesinnt bist!« –

Also der Bischof, heiß vom Weine. Da klang von des Zeltes
Äußern Gemächern ein leises Geräusch. Abhorcht wie geängstigt
Hilla – der Bischof spricht, sie beruhigend, lächelnd: »O fürchte
Nichts! es betritt dies inn're Gemach nur der, den ich rufe!«

Sprach's und erhob sich zugleich, um mit gold'ner Agraffe die beiden
Flügel des schweren Damasts in einander zu nesteln, des Vorhangs,
Welcher das Schlummergemach abschloß von dem anderen Zeltraum.
Doch eh' schwankenden Fußes er noch, vom Wein und der schönen
Freundin Nähe berauscht, sich zurücke zu beiden gewendet,
Hatte mit Säften des Schlummers, wie einst er sie selbst für die Jungfrau
Tückisch hatte gebraut, ihm das Weib im Becher die Goldflut
Rasch und heimlich gewürzt. Er aber, behaglich und arglos,
Leerte den Becher und drängte mit schmeichelnden Worten die Schöne,
Wieder Bescheid ihm zu thun. Und vertraulich begann er auf's Neue:
»Bleib' im Lager bei mir, mein Kind! nicht soll's dich gereuen!
Wahrlich du sollst mir gelten, so viel mir die schöne Äbtissin
Ida gegolten! Wer weiß, ob zuletzt ich Infel und Chorrock
Nicht auch werfe von mir, wie es and're Geschorene thaten,
Los mich sage von Rom, und folge der neuen Bewegung,
Um als weltlicher Fürst fortan im Lande zu herrschen.
Längst schon hätt' ich's gethan – denn wenig gilt mir die Kirche,
Und wer leugnete noch, daß sie krankt an innerster Fäulniß? –
Aber es hielt unlöslich bisher mich immer der Knappzaum,
Den um des Bischofs Hals, des erkorenen, schlingt das Capitel.
Noch nicht durft' ich es wagen; doch bringt nur ferneren Umschwung
Uns der Verhältnisse Strömung im Reich, und hab' ich nur glücklich
Erst zu Münster gehangen die schändlichen Anabaptisten,
Welche der Himmel verdamme – so wird sich erfüllen, was längst ich
Heimlich erwogen im Geist. Und wenn ich geopfert den Bischof,
Um noch den Fürsten zu retten, und von mir geworfen, wie Luther,
Habe die Kutte – wie Luther erkies' ich sodann mir ein Bräutchen.
Hilla, wer weiß, ob ich nicht . . . du bist schön, beim Himmel, o Hilla!
Schöner beinah' als die schöne Äbtissin von Minden gewesen!« –

Also huldigt gesprächig mit schmeichelnder Rede der Bischof
Seinem noch schweigenden Gast, und der innersten Seele Geheimniß
Gibt er preis. Schon flammt ihm das Aug', schon glüht ihm die Wange.
Jugendlich scheint er, verschönt: nachdenklich betrachtet ihn Hilla.
Ganz ist verschwunden der Priester und Träger der kirchlichen Würde,
Gänzlich verschwunden im Ritter, im feurigen Grafen von Waldeck.

Kosend ergreift er die Hände der Schönen, umschlingt ihr den Nacken.
Aber nun ist's, als berühr' ihm ein rächender Zauber die Stirne:
Denn allmälig erscheint sein lüsternes Aug' wie von feinem
Nebel umflort, und es sinken beschwert ihm die Lider der Augen.
Schwer auch wird ihm die Zunge: sie lallt nur noch, und das Haupt auch
Sinkt auf die Brust ihm hinab . . . Es beginnen die Säfte zu wirken,
Welche den Trank ihm gewürzt. Und seltsam war es zu sehen,
Wie Schlaftrunkenheit jetzt sich in ihm mit des Weins und der Liebe
Trunkenheit stritten: doch mächt'ger als Eros und Bacchus ist Morpheus.
Immer ermannt er sich neu in des reizenden Weibes Betrachtung,
Immer den Becher auf's Neu' mit unsicheren Händen ergreift er,
Jetzt Liebkosungen stammelnd und preisend die Reize der Huldin,
Jetzo verlangend, sie solle noch einmal wacker Bescheid thun,
Auf das Verderben der Feinde, der schändlichen Anabaptisten,
Welche der Himmel verdamme . . . sodann ward's still im Gemache . . .

Rückwärts war er gesunken, geschlossenen Auges, der Trunkne,
Schlummerbelastet das Haupt, vom Zauber der Säfte bewältigt.
Grabstill war es geworden, und laut nur pochte der Herzschlag
Hillas im engen Gemach. Ein Bild des Gekreuzigten fällt ihr
Plötzlich in's Auge. »Wie kommt«, so spricht sie zu sich, in des Wüstlings
Schlummergemach dies Bild? Um drohend-unwillig zu schrecken
Mich, die entwichene Nonne, die brach in der Zelle den Eidschwur?
Nicht mehr kann es mich schrecken! Befreit ist der Sinn mir von Allem,
Was vormals mich befangen! Die Fesseln zerbrach ich und will sie
Ganz abwerfen und nicht nachschleppen die Kette der Reue!
Frei und groß sein will ich, dem höheren Drange gehorchen,
Der mein Wesen erneuert! Da ganz mir verschlossen der Rückweg,
Will ich denn vorwärts geh'n! Ein gewaltiges Thun zu vollenden
Ist mir noth, soll nicht im Busen das Herz mir zerspringen!«

Spähend um sich her blickt sie. Sie sucht eine Waffe des Todes:
Und sie erblickt bald, was sie gesucht. Es flimmert im Winkel
Zierliches Waffengeräth. Sie zieht aus prunkender Scheide
funkelnd geschliffenen Dolch. Sie betrachtet ihn lang und sie führt dann
Wie zum Versuch einen Stoß mit Macht in die Lüfte. So kräftig
Muß sie führen den Stoß, soll nicht mit gellendem Aufschrei
Rasch der Getroffene bringen das schlummernde Lager in Aufruhr,
Und sie hindern zuletzt, durch des Zelts Rückwände den Ausweg
Schnell sich zu bahnen, zertrennend das rings umschirmende Linnen.
Krampfhaft hält in der Hand sie den Stahl. Ihr bleiches Gesicht ist
Düster verstört, entstellt, wie das Antlitz jeglichen Weibes,
Das einen Mordstahl schwingt. Sie tritt zu dem marmornen Tische:
»Nicht zu dem Bild dort«, spricht sie bei sich, »und zum grollenden Himmel
Darf ich und will ich fleh'n, auf daß er mir Stärke verleihe;
Nun, so stärke denn du mich, Natur, mit der feurigen Labe!«
Und sie ergreift vom Tisch den Pokal voll perlenden Weines,
Schlürft die befeuernde Welle. Die Wangen der Bleichen erglühen,
Feurig rollen die Augen. Und jetzo wendet sie hastig
Sich zu dem Schläfer zurück. Harmlos in Schlummer versunken,
Ruht er vor ihr. Es beglänzt sein stolzes und ad'liges Antlitz
Mit hellstralendem Schein vielarmig die silberne Leuchte.
Ritterlich schön nun erscheint er von Ansehn. Schlummer und Tod ja
Machen zum Engel das Kind, zum Kind beinahe den Sünder.
Nichts mehr kann an den Priester gemahnen das Auge der Jungfrau
In der Gestalt, die vor ihr da schlummert. Es hatte, sich wendend
In sein Schlummergemach nach der langen Berathung, der Bischof
Sich entledigt des geistlichen Kleids, sich lässig geworfen
In des fürstlichen Mannes bequemere, leichtere Haustracht.
Franz von Waldeck war's, wie Hilla dereinst ihn als Ritter
Hatte geschaut, und für den sie geglüht in magdlicher Reinheit,
Und vor dem sie geschaudert, als wüst und roh und gewaltsam
Er anfaßte das reine, das magdlich blühende Leben.
Ja, er war's, nur gereifter nunmehr, in männlicher Vollkraft.

Lange betrachtet sie ihn. Durchbohrt, statt des Dolchs, ihn ihr Blick nur?–
»Hilla!« flüstert der Graf im Traum, mit schmeichelnden Lauten,
Und er lächelt dabei . . . da zucket der Stahl in des Weibes
Händen – es ist ja das Lächeln, das stolze, das siegesbewußte,
Das sie kennt, und vor dem jungfräulich dereinst sie geschaudert.
Und sie schaudert nun wieder davor. Noch tiefere Röthe
Färbt ihr Gesicht, wie Grimm, wie des kämpfenden Herzens Empörung,
Und dann wieder erbleicht sie, ist bleicher, als je sie gewesen . . .
Und die gehobene Hand, sie sinkt mit dem blinkenden Dolche
Tief hinab, wie gelähmt . . .
                                            »O, ihn, ihn«, flüstert sie bebend
Vor sich hin, »ihn hab' ich geliebt. Als schuldlose Jungfrau
Liebt' ich ihn, fast noch Kind . . . Und der einstigen Liebe Gedächtniß,
Warum taucht es empor vor mir wie ein höhnend Gespenst nun,
Daß in den Adern das Blut mir gerinnt? Was stellt es sich grinsend
Zwischen die Schuld und die Rache, beleuchtet mit grausigem Lichte
Plötzlich ganz mir das Schreckniß des eig'nen verlorenen Lebens?
Nun erst ermess' ich's: ich habe geliebt nur ein Mal . . . O Schmach dir,
Schmach dir, unseliges Weib – was beugte dich unter des Jünglings
Zaubergewalt, der betend dich fand in der einsamen Zelle? –
Schmach dir, ewige Schmach! nur tückischen Blutes Empörung,
Höllische Rache vielleicht nur der sklavisch gebändigten Sinne
War's in der Nonne, dem Weibe, dem jung noch blühenden – wehe! . . .
Das nur hatt' ich noch einzig dem edelsten Werber zu bieten? . . .

Zehnfach könnt' ich dich morden, du trunkener Schläfer, dafür nicht,
Daß kein Herz du, nur Sinne, nur glühendes Blut in den Adern
Trugst zur Zeit, als ich selbst nur ein magdlich-liebendes Herz erst,
Noch nicht Sinne besaß; als ich glühte, doch rein, wie im Frühroth
Glüht auf Bergen der Schnee – nein, dafür, daß du der Jungfrau
Heiligste Regungen stahlst, für's Leben, für immer vorwegstahlst,
Daß ich dem Würdigsten nur Unwürdiges hatte zu bieten . . .
Dafür sollt' ich mich rächen, ja dafür sollt' ich dich morden . . .
Doch – bin ich feig? Vor dem Bild des Gekreuzigten dort, ha, da war ich
Stark, und hier vor dem Antlitz des schlummernden Elenden beb' ich?
Weh' dir, unselige Nonne! die heilige Liebe, sie hast du
Dir aus dem Herzen zu reißen vermocht, und die irdische bleibt dir
Unaustilgbar im Tiefsten als ewiges sklavisches Brandmal?
Vor mir selbst nun schaudr' ich – was stoß' ich den Dolch in die eig'ne
Brust mir nicht? was büß' ich sie nicht, die Schuld, daß ein Weib ich
War wie die anderen Weiber, die unter dem ewigen Fluche
Ihres Geschlechtes vergehen: dem Fluch, zu frühe zu lieben,
Oder zu spät . . .
                            Doch ich hätte nur mehr zu dieser geringsten
Aller verwegenen Thaten den Muth? – –
                                                                  Und Zeugen ja muß ich
Haben im Sterben, damit es vernehme der König von Sion,
Daß ich gestorben, ein » Heil« noch für ihn auf den Lippen! denn so nur
Wird er freundlich im Herzen der Sionstochter gedenken,
Die da Großes gewollt, doch unwerth war der Erfüllung,
Weil man die Heiligthümer ihr stahl aus dem Tempel des Herzens,
Ehe der Gott noch erschien, der bestimmt, in dem Tempel zu thronen –
Weil mit dem Schmutze der Zeit sie besprengte das tückische Schicksal,
Als sie nach Reinem gelechzt – weil schnöd' sie die Fessel umstrickt hat,
Die, nun seh' ich es klar, nur löset der Tod, der Befreier!« –

Also sprach die Verlorne zu sich, und fort aus den Händen
Wirft sie den blinkenden Dolch, daß er klirrend und rasselnd zu Boden
Fällt und den Schläfer erweckt. Mit Augen, noch trunken von Schlummer,
Sieht er Hilla vor sich und den Dolch am Boden. Betroffen
Erst ankarrt er sie noch: soll wach er rufen die Diener,
Werfen in Fesseln das Weib? Doch der Graf von Waldeck, er fürchtet
Nicht ein Weib: und der Schlaf ist gewichen, doch nicht die Berauschung.
Spottend lallt er: »Was war das, Hilla? Gestehe, du wolltest
Tödten den Bischof von Münster? Doch hat dich's gereut – das bezeugt mir
Hier am Boden der Dolch! Eine Biene nun ohne den Stachel
Bist du – doch ohne den Honig nicht! Hör', Anabaptistin!
Weil du bereut, so vergeb' ich dir! Du bist schön – es verschönt dich
Zorn und Reue bezaubernd – o komm', Kind! rächen den Mordplan
Werd' ich mit mörderischen Küssen . . .
                                                                Auftaumelt er, reißt sie zu sich hin . . .
Aber vom Boden empor rafft blitzschnell Hilla den blanken
Dolch, und der Stahl, er blitzt in den Lüften geschwungen – zurückschwankt
Blutigbesudelt der Bischof – doch nicht sein eigenes Blut ist's:
Hillas Herzen entsprudelt der purpurne Quell, der dahinsprüht
Über den prangenden Tisch, daß mit Resten des Weins in den Bechern
Zischend die Tropfen sich mischen des Bluts, das er hatte befeuert . . .

Todt stürzt Hilla zu Boden: es beugt sich über ihr Antlitz
Waldeck bebend: da weht es kalt den Berauschten vom bleichen
Munde der Lieblichen an, und er zürnt der entweichenden Seele,
Die in den Händen ihm läßt einen kalten, schaurigen Leichnam.


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