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24. Die ungetreue Gattin

Es war einmal ein gläubiges Ehepaar, das durch gegenseitige Liebe innig miteinander verbunden war. Nach einigen überaus glücklichen Jahren starb aber die Frau. In tiefer Trauer entkleidete der Mann die Verstorbene und bestattete den Leichnam. Als er ihn in die Grube hinuntergelassen hatte, setzte er sich neben das Grab und weilte dort Nacht und Tag, um die Geliebte zu bewachen, gerade als ob er hoffte, sie noch einmal lebendig wiederzubekommen.

Vierzig Tage hatte er schon in unwandelbarer Ausdauer und Treue am Grabe seiner Gattin Wache gehalten, ohne zu essen und ohne zu trinken, da kam Nabi Isa des Wegs. Der fragte ihn, weshalb er sich zwischen den Gräbern aufhielt.

»Ach, mein Freund,« antwortete der Mann, »ich sitze hier am Grabe meiner Gattin; wir hatten einander so innig lieb; und nun, wo sie von mir gegangen ist, kann ich mich auch nicht von ihrem entseelten Körper trennen. Darum, auch wenn ich es mit dem Tode bezahlen müßte, will ich mich nicht von dem Grabe entfernen, sondern sie beweinen, so lange ich lebe.«

Hierauf fragte Nabi Isa: »Wenn ich dein verstorbenes Weib nun wieder lebendig machen würde, könntest du dann an mich glauben?«

»O Herr,« sagte der Mann voller Freude, »könnte das geschehen, gewiß würde ich dann an dich glauben, denn dann wärest du der Prophet Isa Almasih, der von Allah Begnadigte und Gesegnete.«

Nabi Isa befahl nun dem Witwer, ihm das Grab seiner Frau zu zeigen; als dies geschehen war, redete er mit lauter Stimme zum Leichnam: »Steh' auf und werde wieder lebendig, erhebe dich aus dem Grabe!«

Da spaltete sich plötzlich die Erde, und aus ihr heraus erhob sich eine große schwarze Männergestalt. Die warf sich dem Propheten sogleich zu Füßen und bekannte seinen Glauben an Allah und den Propheten Isa.

Der Witwer war darüber sehr erschrocken, war doch der vom Tode Wiederauferstandene keineswegs seine Frau. Er sagte dies dem Propheten Isa und meinte, er hätte sich wohl in der Bezeichnung des Grabes geirrt. Drum wies er nun Nabi Isa die richtige Stelle.

Nabi Isa hieß zunächst den schwarzen Mann wieder zum Tode zurückkehren; und als dies geschehen war, trat er an das Grab und sprach zu dem da ruhenden Leichnam: »Steh' auf und werde wieder lebendig, erhebe dich aus dem Grabe!«

Wieder öffnete sich die Erde, doch diesmal erschien eine Frau, die war über die Maßen schön.

»Ist das deine Frau?« fragte Nabi Isa den Mann.

Der sagte ja und bekannte nun, wie seine Gattin, seinen Glauben an Gott und den Propheten Isa.

Nabi Isa fuhr fort: »Wohlan, beharrt in eurem Glauben, denn er ist der Weg zur Glückseligkeit. Und lebt wieder ungestört in Einigkeit und Liebe.«

Darauf verließ Isa die Stätte und wanderte weiter.

Kaum war Nabi Isa gegangen, da sprach der nun überglückliche Mann zu seiner Gattin: »Liebe Frau, mein Schmerz ist vorüber, ich habe dich wieder! Jetzt bedarf ich nur der Ruhe und Nahrung. Denn du mußt wissen, seit vierzig Tagen saß ich in Fasten und Wachen an deinem Grabe. Drum möchte ich ein wenig schlafen, wache du nun einmal bei mir.«

Sprach's und legte seinen Kopf in ihren Schoß. Bald schlief er ein. Es war eine schattenreiche Stelle.

Er hatte noch nicht lange geschlafen, da kam ein Prinz des Wegs geritten. Es war der Sohn des Königs, der ohne sein Gefolge einen Ausflug machte.

Als er die Frau erblickte, wurde er von ihrer Schönheit so berückt, daß er auf sie zuritt und sie fragte, wer sie sei und weshalb sie ihren Mann an der Stätte und in der Weise bewachte. Die Frau erzählte, was ihr und ihrem Gatten widerfahren war; der Prinz hörte erstaunt zu, wandte aber keinen Augenblick seine Blicke von ihr ab.

»Weib,« sagte er plötzlich, »du bist so schön, so schön! Viel zu schön für einen solchen Mann. Im Königspalaste, dort ist dein Platz! Sprich, willst du mir dorthin folgen? Du sollst meine Gattin werden, und ich will dich glücklich machen, denn ich bin der Sohn des Königs und der Thronerbe.«

Die Worte schmeichelten der Frau, und sie gab dem Wunsche des Prinzen nach. Sie ließ das Haupt ihres Mannes sanft von ihrem Schoße gleiten und stieg darauf hinter'm Prinzen auf das Pferd, um nach dem Palaste zu reiten. Sie waren noch nicht fort, da erwachte der Mann. Als er sah, daß seine Gattin von einem Reiter entführt wurde, lief er schnell hinterher und hatte sie bald erreicht. Er griff in die Zügel des Pferdes und sagte zum Reiter: »Wer bist du? Warum unterstehst du dich, mir meine Frau zu entführen, die Nabi Isas Wundermacht mir soeben aus dem Tode zurückgab?«

Auch er erzählte die Schicksale seiner Frau mit allen Einzelheiten von Anfang bis zu Ende.

Der Prinz erwiderte: »Freundchen, merke dir: Ich bin der Sohn des Königs und die Frau hinter mir auf dem Pferde ist nicht deine Gattin, sondern meine Dienerin.«

Die undankbare Gattin bestätigte die Worte des Prinzen und riet ihrem Manne, sich eine andere Frau zu suchen. Es half dem schwergekränkten Gatten gar nichts, als er sie der Untreue beschuldigte und sie an die Worte erinnerte, die Nabi Isa ihnen zum Abschied gesagt hatte die Frau blieb dabei, sie wäre nicht mehr seine Gattin, sondern die Dienerin des Prinzen, und dem folgte sie.

Der Mann wußte nicht, was er beginnen sollte. Da sah er plötzlich Nabi Isa kommen. Er eilte ihm entgegen und erzählte ihm sein Unglück.

Nabi Isa antwortete nicht; er wandte sich an die Frau und fragte sie, weshalb sie ihren Mann um eines andern willen verlassen hätte.

Und aufs neue behauptete sie, daß sie die Dienerin des Prinzen wäre, mit dem anderen Manne wäre sie nie verheiratet gewesen, sie dächte auch gar nicht daran, ihn zu heiraten, und hätte ihn niemals gesehen.

Da sagte Nabi Isa: »Weib! Weil du mich so verleugnest, nehme ich dir das Leben, das ich dir vorhin wiederschenkte; kehre zurück zum Todesschlafe.«

Und sogleich gab die Frau ihren Geist auf.

Angst und Schrecken packten den Prinzen, und schweigend ritt er davon.

Zum Manne, der sein Weib jetzt auf ewig verloren hatte, sprach Nabi Isa: »Der schwarze Mann war vordem im Unglauben gestorben. Allahs Gnade erweckte ihn aus dem Tode, und er starb im wahren Glauben. Dein Weib aber, das zuvor im rechten Glauben gestorben war, hat nun durch ihren Unglauben den Tod gefunden.«

»Ja, Herr, du hast recht!« antwortete der Mann, »und so gelobe ich dir hier feierlich, mich nie mehr nach einer Frau umzusehen.«

Darnach begab er sich auf den Gipfel eines Berges, um dort als Klausner den Rest seines Lebens zu verbringen.


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