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12. Kapitel
Die Hetzjagd

Ich mag ein oder zwei Minuten lang besinnungslos gelegen haben. Plötzlich hörte ich Hansens schimpfende Stimme.

»Wenn du noch lebst, Baas, so ist es angebracht, daß du bald aufwachst. Ich habe Itombi zwar wieder geladen, aber sie ist zu klein, um Jana zu töten, wenn er zurückkommt. Und er wird zurückkommen, wenn er merkt, daß er mit dem einen übriggebliebenen Auge immer noch genug sieht, um uns zu finden.«

Ich richtete mich auf und starrte den Redenden an. Ja, es war kein Zweifel, das war Hans. Er sah aus wie gewöhnlich, nur war er noch schmutziger als sonst.

»Hans,« sagte ich mit hohler Stimme, »was zum Teufel machst du hier?«

»Dich vom Teufel retten, Baas«, antwortete er prompt. Dann lehnte der alte Bursche das Gewehr gegen einen Stein, kniete neben mich hin, schlang die Arme um meine Schulter und fing an zu schluchzen wie ein Mädchen.

»Gerade zur rechten Zeit, Baas! Denn wie gewöhnlich hat Hans alles verkehrt gemacht – ich werde es dir nachher erklären, Baas. Aber ich kam doch noch zur rechten Zeit. Wenn ich noch einen einzigen Augenblick gezögert hätte, würdest du jetzt so breit sein wie meine Nase. Doch jetzt komm rasch. Ich habe mein Kamel hier; es kann zwei tragen. Vier Tage Ruhe hat es gehabt und mächtig viel zu essen bekommen; es ist fett und stark geworden. Hier spukt es, Baas, und jener König der Teufel, der Jana, wird hinter uns her sein, sobald er das Blut aus seinen Augen gewischt hat und wieder sehen kann.«

Mir war nicht zum Sprechen zumute. Mein Blick ruhte auf dem armen Mârut, der neben mir lag, als schliefe er.

»Oh, Baas,« sagte Hans, »bekümmere dich nicht um ihn, sein Genick ist zerbrochen, und er ist vollständig tot. Es ist aber gut so,« fügte er in freudigem Tone hinzu, »denn das Kamel hätte nicht drei tragen können. Außerdem ist es möglich, daß Jana zurückkommt und mit ihm spielt, anstatt uns nachzujagen.«

Armer Mârut! Das war sein Requiem, gesungen von einem alten Hottentotten. – –

Mit einem letzten Blick auf den Unglücklichen, zu dem ich in der schweren Zeit unserer Gefangenschaft eine Art Zuneigung gefaßt hatte, nahm ich den Arm des Hottentotten. Schwer auf seine Schulter gelehnt – denn ich war nach der überstandenen Todesangst an allen Gliedern wie zerschlagen –, suchten wir unseren Weg durch Gestrüpp, Steine und verwitterte Elefantenskelette zu dem Platz, wo Hans das Kamel angebunden hatte.

Auf dem Wege erzählte mir Hans mit kurzen, aber klaren Worten, was er inzwischen erlebt hatte. Nachdem ihm der Treffer auf den Kendahgeneral geglückt war, kam dem alten, schlauen Fuchs der Gedanke, es könnte uns von größerem Nutzen sein, wenn er sich nicht mit uns gefangennehmen lasse. So machte er sich davon und versteckte sich in den Büschen des Hügelabhanges. Beim Scheine des Mondes spürte er dann unsere Fährten aus, folgte uns und entdeckte in der Nähe von Simba-Stadt eine Höhle, in der er sich und sein Tier verbarg. Tagsüber saß er auf einem hohen Baum, von dem aus er alle Vorgänge in der Stadt beobachtete, und nachts weidete er sein Kamel auf den Maisfeldern der Schwarzen. Von hier bezog er auch seinen Proviant in Gestalt von Maiskolben und Kürbissen, von denen er auch eine genügende Menge als Vorrat in seinen Satteltaschen verstaute.

So war er auf dem laufenden über alles, was geschah. Das Hagelwetter überstand er mit seinem Kamel in der Höhle, ohne Schaden zu nehmen. Am nächsten Abend beobachtete er dann, wie Mârut und ich von den Kendah weggebracht wurden. In einigem Abstand war er uns gefolgt bis zu der Stelle im Walde, wo die Schwarzen uns die Pferde wegnahmen. Daraufhin verbarg er sich seitwärts im Wald und wartete den Abzug der Eskorte ab. Die Leute hatten sich noch eine Zeitlang über den Fall unterhalten, hatten uns Flüche und Verwünschungen nachgeschickt, und aus ihren Gesprächen hatte er entnommen, daß sie der Überzeugung waren, Jana, ihr Gott, würde das Unglück seines Volkes an uns beiden Schuldigen schon rächen.

Er war dann hinter uns hergelaufen und hatte uns aus der Ferne zum Seeufer hinunter marschieren und hatte auch den Angriff Janas mitangesehen. Daraufhin war er vorwärts gekrochen in der verzweifelten Hoffnung, durch einen Schuß aus dem kleinen Gewehr den Riesen vielleicht lahm schießen zu können. Er war gerade im Begriffe, abzudrücken, als Mârut aufsprang und das Rennen um sein Leben begann. So schnell er konnte, war er dann weitergekrochen, um mich zum Kamel zu führen, und er war nur noch wenige Meter hinter mir, als die wilde Jagd zurückkam und Mârut vor seinen Augen getötet wurde.

Von diesem Augenblick an wartete er auf eine Gelegenheit, Jana an der einzigen Stelle zu treffen, wo noch eine kleine Chance war, ihn mit der Kugel nennenswert verletzen zu können, nämlich im Auge. Mit unendlicher, bewunderungswürdiger Geduld und Ruhe wartete er auf diese Gelegenheit, wohl wissend, daß Leben oder Tod davon abhing, ob er im richtigen Zeitpunkt eingriff.

Die Chance kam, das Auge der Bestie war im klaren Licht des Mondes für einen Moment sichtbar, und Hans, der auf kurze Entfernungen immer ein recht guter Schütze gewesen war, feuerte und traf. Die Kugel drang nicht bis ins Gehirn; sie hatte dazu nicht genug Durchschlagskraft, aber sie zerstörte das linke Auge und verursachte Jana solchen Schmerz, daß er eine Weile lang alles um sich herum vergaß und schleunigst die Flucht ergriff.

Nachdem ich aus einer Blechflasche, die Hans aus der Satteltasche holte, einen Schluck Brandy genommen hatte, bestiegen wir das Kamel. Trotzdem er Alkoholika leidenschaftlich liebte, hatte der alte Kerl es fertig gebracht, die Flasche unberührt zu lassen, in der schwachen Hoffnung, ihr Inhalt könnte einmal mir, seinem Herrn, von Nutzen sein. Der Hottentott nahm in seiner gewöhnlichen Affenstellung den Vordersitz ein und lenkte das Kamel. Ich setzte mich hinter ihn auf ein paar Schaffelle, die glücklicherweise weich und dick waren; denn Janas Kneifen war ziemlich schmerzhaft ausgefallen.

Im Anfang ging es wegen der Beschaffenheit des Bodens sehr langsam vorwärts. Jenseits des Hügels jedoch machten wir schon bessere Fortschritte. Bald hatten wir den See und den Friedhof der großen Tiere hinter uns gelassen, und ich hoffte von Herzen, daß ich es nie wieder nötig haben würde, einen Blick dorthin zu werfen.

Der Pfad lief jetzt in sanfter Steigung aufwärts, und wir erreichten den höchsten Punkt des Hügelrückens ohne weitere Zufälle.

Vor uns breitete sich eine sandige, stellenweise mit kurzem Gras bewachsene Ebene aus, und zu unserer unbeschreiblichen Freude, kaum zehn Meilen entfernt, am Fuße eines sanft ansteigenden Hügels, leuchtete das breite, im Mondlicht glitzernde Band des Tavaflusses. Wir stoben darauf zu und hatten etwa eine Viertelmeile zurückgelegt, als ich, durch irgendein unsagbares Gefühl veranlaßt, mich im Sattel umdrehte und rückwärts blickte.

Gütiger Himmel! Auf dem Kamme des Hügels, die mächtigen Umrisse klar erkennbar, stand Jana mit hocherhobenem Rüssel. Im nächsten Augenblick erreichte uns ein schmetternder, trompetenartiger Ton, den er ausstieß, sein wütender Kampfschrei.

»Allemagte! Baas,« sagte Hans, »der alte Teufel kommt, um nach seinem verlorenen Auge zu suchen, und er hat uns mit dem übriggebliebenen erspäht; er ist uns auf unserer Spur nachgekommen.«

»Vorwärts!« antwortete ich, und schlug dem Kamel die Hacken in die Rippen.

Dann begann die Hetzjagd.

Meile um Meile fegten wir über die Ebene. Doch wir fegten leider nicht allein dahin; denn hinter uns her kam Jana wie ein Kreuzer hinter einem Kanonenboot, und was das Schlimmste war, so schnell wir auch dahinjagten, Jana war doch noch etwas schneller. Von je hundert zurückgelegten Metern gewann er zwei oder drei. Eine Meile vor dem Flußufer hatte er uns bis auf ungefähr zweihundert Meter eingeholt.

»Wir entgehen ihm, Hans«, sagte ich, das Auge sehnsüchtig auf den breiten Fluß gerichtet, dessen Wasser dicht vor uns schimmerte.

»Ja, Baas«, antwortete Hans, einen zweifelnden Ton in der Stimme. »Dies ist ein sehr gutes Kamel, Baas, es läuft so schnell, daß alle meine Eingeweide durcheinander geschüttelt sind.«

Als wir endlich das Wasser erreichten, war Jana keine zehn Meter mehr hinter uns. Das Kamel fing an, beim Anblick des gischtenden Wassers wie ein Maultier zu bocken, und weigerte sich für einen Augenblick, vorwärtszugehen. Glücklicherweise stieß Jana im selben Moment nochmals sein erzengelhaftes Trompetengeschrei aus, das unser Tier sofort wieder in Bewegung setzte. Anscheinend fürchtete es sich vor Elefanten doch noch mehr als vor Wasser.

Wir plumpsten in den Fluß hinein und hinter uns her Jana. Das Wasser spritzte hoch auf und durchnäßte uns bis auf die Haut. Er war jetzt bis auf fünf Meter herangekommen, da drehte ich mich um und feuerte mit dem kleinen Gewehr auf ihn. Ob ich ihn getroffen habe oder nicht, kann ich nicht sagen, aber er stockte wenigstens für einen Moment, vielleicht weil er sich an die Wirkung einer gleichartigen Explosion zwei Stunden vorher erinnerte, und dieses kurze Stocken gab uns einen winzigen Vorsprung. Doch dann kam er wieder mit dem Ungestüm einer Lokomotive hinter uns her.

Als wir etwa in der Mitte des Flusses waren, geschah das Unvermeidliche. Das Kamel glitt aus, überschlug sich und warf uns bei seinem Fall weit ins Wasser hinaus. Im nächsten Augenblick war Jana über dem unglücklichen Vieh. Er umschlang seinen langen Hals mit dem mächtigen Rüssel, trampelte auf dem Tier herum, riß es hoch, warf es förmlich ein Stück über das Wasser empor, tauchte es dann wieder unter und begann eine Art wilden Tanz auf ihm aufzuführen, um es in den Schlamm des Flusses hineinzutrampeln. Mit solcher Gründlichkeit widmete er sich dieser Aufgabe, daß wir Zeit fanden, die wenigen Meter bis zum anderen Ufer zurückzulegen. Wir rasten in mächtigen Sprüngen die Böschung empor und instinktiv auf einen einzelnen Baum zu, der oben stand. Es war ein mit kleinen Dornen besetzter, verhältnismäßig niedriger, aber starkstämmiger Baum mit flacher Krone; zum Glück war er leicht zu erklimmen, wenigstens für Menschen. Nach ein paar Sekunden saßen wir beide oben – ich noch immer das Gewehr in der Hand –, etwa zehn Meter über dem Boden, schnappten keuchend nach Luft und harrten der weiteren Dinge. Nachdem Jana sein Mütchen an dem unglücklichen Kamel gekühlt hatte, kam er uns nach, machte uns sofort aus und schritt erst einmal gelassen rings um den Baum herum, um sich über die Sachlage klar zu werden. Dann wand er seinen ungeheuren Rüssel um den Stamm, stemmte die Säulen ein und versuchte mit seiner ganzen riesenhaften Stärke, den Baum einfach aus der Erde herauszuziehen. Es war ein aufregender Augenblick. Aber dieser alte Einsiedler von Baum hatte nicht einige hundert Jahre hier frei am Ufer des Flusses gestanden und allen Stürmen, allen Unbilden der Witterung und der Fluten getrotzt, um jetzt von einem Elefanten, wie ungeheuerlich groß und stark er auch sein mochte, umgelegt zu werden. Er schwankte ein wenig – das war alles. Jana gab diesen Versuch auf und begann einen anderen. – Er untergrub mit seinen gewaltigen Zähnen die Wurzeln, versuchte sie zu lockern und aus dem Boden zu reißen. Aber auch das brachte ihm keinen Erfolg; denn die Wurzeln hatten sich um die Felsblöcke, mit denen die Böschung übersät war, geschlungen, und diese waren auch für einen Jana zu groß, um gelockert zu werden.

Grollend vor Wut gab er auch diese Versuche auf und wandte nun eine neue Taktik an. Er richtete sich auf den Hintersäulen auf und ließ mit ausgestreckten Vordersäulen sein ganzes Körpergewicht, Gott weiß, wie viele Tonnen es waren, auf den Baum niederfallen, gerade dort wo die untersten Zweige aus dem Stamm wuchsen. Die Erschütterung war so stark, daß ich einen Augenblick lang fürchtete, der Baum würde entwurzelt werden oder in zwei Hälften zerbrechen, aber er hielt aus. Doch war die Erschütterung in der Krone so stark zu spüren, daß Hans und ich um ein Haar heruntergeschüttelt worden wären.

Dreimal wiederholte Jana dieses Manöver, und beim dritten Male sah ich zu meinem Schrecken, daß einzelne Wurzeln zu brechen und sich aus dem Boden zu schälen begannen. Ich hörte das Reißen und Krachen und sah, wie sich ein tiefer Spalt im Boden, unweit des Stammes, öffnete. Glücklicherweise aber bemerkte Jana nichts davon, und nach seinem dritten Versuche gab er auch diesen Versuch als hoffnungslos auf und stand einen Moment, den Rüssel hin- und herschwenkend, still, wahrscheinlich in freundliche Gedanken verloren.

»Hans,« flüsterte ich, »lade das Gewehr, schnell! Ich kann ihm von hier aus eine Ladung aufs Rückgrat oder in das andere Auge versetzen.«

»Nasses Pulver schießt nicht, Baas«, grunzte Hans.

Er hatte recht. Es war zum Verrücktwerden, hier oben sitzen zu müssen, mit einem unbrauchbaren Gewehr in der Hand; wenn ich auch nur einen einzigen Schuß oder sogar auch nur meine Pistole zur Hand gehabt hätte, ich hätte diesen satanischen Dickhäuter blenden oder lähmen können.

Ein paar Minuten später näherte sich Jana wiederum dem Stamm und richtete sich auf wie zuvor, diesmal aber streckte er die Vordersäulen lang aus, so daß sie und sein Körper von dem Stamm gehalten wurden. Dann rollte er den Rüssel auf und begann die Zweige, die zwischen uns und ihm lagen, abzubrechen.

Nachdem Jana das Feld klar gemacht hatte, streckte er den Rüssel bis zu der höchst erreichbaren Länge aus. Dieses unheimliche Organ schien auseinanderziehbar zu sein wie ein Fernrohr oder wie ein Gummischlauch. Es kam uns erschrecklich nahe, noch ein Stückchen und immer noch ein Stückchen, bis die schnappenden Lippen nur ein paar Zoll unter meinem Fuß und Hansens Hut hin und her schwangen. Noch eine Anstrengung – und er hatte den Hut! Der Rüssel fuhr herunter, und der Hut verschwand in der roten Höhle seines Maules.

Noch einmal fuhr die braune Schlange des Rüssels in die Höhe, reckte sich steil auf – und diesmal schien Jana einen besseren Halt gefunden zu haben, oder er hatte es auf irgendeine Weise fertiggebracht, sich ein Stück an dem Stamm hochzuschieben. Denn ich sah mit Entsetzen, daß der Rüssel mir noch näherkam wie vorher, und daß ein bestimmter Körperteil von mir heute zum zweiten Male in Gefahr kam, Bekanntschaft mit diesen kneifenden Lippen zu machen.

»Er kriegt uns«, murmelte ich.

Hans sagte nichts, aber er neigte sich ein wenig vorwärts, die linke Hand fest um den Ast geklammert, und in der nächsten Sekunde blitzte im Licht der aufgehenden Sonne sein Messer auf, er stieß es durch die Unterlippe des Rüssels und nagelte sie an dem Aste fest.

Was daraufhin geschah, ist unbeschreiblich. Durch den Rüssel kam ein schmetterndes, kreischendes Trompeten und ein Luftstrom, der mich fast vom Ast herunterblies. Dann versuchte Jana, sich mit vorsichtigem Winden und Drehen von dem festhaltenden Messer zu befreien, aber er hatte auch mit diesem Versuch keinen Erfolg, denn Hans hielt den Griff des Messers mit aller Kraft fest. Auf einmal ließ sich der Koloß mit verzweifelter Energie herunterfallen, die Lippe wurde aufgeschlitzt, und das Messer blieb im Ast stecken.

Jana fiel auf den Rücken und überschlug sich dabei, steckte dann das Rüsselende in den Mund und saugte daran, etwa so, wie man es tut, wenn man sich in den Finger geschnitten hat. Dann stieß er ein letztes, durch den Schmerz kurz abgerissenes Trompeten aus, das Wutgeheul des Besiegten, klatschte in den Fluß hinunter, polterte dröhnend zwischen den Steinen hinauf und sauste über die sandige Ebene davon, seiner Heimat zu.

»Nun, Baas, jetzt hat der alte Teufel zu seinem wunden Auge auch noch eine verwundete Nase und damit zwei Andenken an uns,« kicherte Hans, »aber, Baas, ich glaube, wir machen uns so schnell wie möglich davon, denn dieser Satan ist imstande und kommt mit einem großen Knüppel zurück, um uns vom Baum herunterzuprügeln.«

Wir marschierten los, so schnell es meine steifen Glieder und mein miserables Gesamtbefinden nur erlaubten. Zum Glück gab es keinen Zweifel, in welche Richtung wir zu gehen hatten; denn vor uns erhob sich aus dem Morgennebel die ovale, grabhügelähnliche Kuppe des heiligen Berges der weißen Kendah. Er schien etwa zwanzig Meilen entfernt zu sein; doch fanden wir bald heraus, daß es in Wirklichkeit die doppelte oder dreifache Strecke sein müßte. Denn als wir schon einige Stunden unterwegs waren, schien er noch genau so weit entfernt wie im Anfang.

Dieser Marsch war eine endlose Folter für mich. Die Wunde, die mir Janas Rüssel gerissen hatte, war durch das Reiten entzündet worden und brannte und schmerzte bei jedem Schritte mehr, und mein leerer Magen knurrte wie ein Löwe.

Nach und nach tauchten kleine Herden von Rindvieh und vereinzelt Kamele auf, die augenscheinlich unbeaufsichtigt weideten, und bald danach erreichten wir die ersten angebauten Felder. Es waren Maisfelder, die Frucht stand kurz vor der Reife und war vom Hagel unberührt geblieben. Die noch weichen Körner des Maises ergaben eine leidliche Mahlzeit; bald darauf standen wir vor den ersten Hütten. Doch sobald ihre Bewohner uns bemerkt hatten, flohen sie Hals über Kopf davon.

Wir selbst unterließen jeden Versuch, Bekanntschaft mit ihnen zu schließen, denn seit meinen Erfahrungen in Simba-Stadt hatte ich eine merkwürdige Vorliebe für das Leben im Freien.

Noch zwei Stunden hinkte ich vorwärts. Wir passierten eine endlose, mit Euphorbien und einer Art Riesenfarn bedeckte Steppe, bis wir uns plötzlich unmittelbar vor den Holzpalisaden einer größeren Ansiedlung befanden. Die Bewohner mußten wahrscheinlich durch Läufer von unserer Ankunft benachrichtigt worden sein, denn sobald wir dem Zaune auf etwa fünfzig Schritt nahe gekommen waren, ging das Tor auf, und dreißig oder noch mehr bewaffnete Leute stürzten mit geschwungenen Speeren und Keulen heraus und auf uns zu und umringten uns binnen wenigen Sekunden. Es waren hellfarbigere Menschen als die schwarzen Kendah, und bei manchen von ihnen war ein Negereinschlag nicht zu verkennen.

Dann sah ich einen Trupp kamelberittener Männer aus dem Dorfe hervorbrechen. An der Spitze ritt, in weiße flatternde Gewänder gekleidet, ein langbärtiger und vornehm aussehender Mann, in dem ich bald Hârut erkannte, Hârut selbst, der einen Speer schwang und unaufhörlich weithin schallende Rufe ausstieß.

Dann hörte ich nichts mehr, denn mir vergingen die Sinne.


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