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6. Kapitel
Lord Ragnalls Geschichte

Am folgenden Morgen setzten wir unsere Erörterungen über die Möglichkeiten fort, mit unseren beschränkten Mitteln Kendahland zu erreichen. Eine derartig lange und wagehalsige Expedition hätte finanziell gut fundiert sein müssen. Aber woher Geld nehmen? Zuletzt kam ich zu dem Entschluß, daß es unter diesen Umständen am besten wäre, wenn Hans und ich allein mit einem schottischen, durch Ochsen gezogenen Wagen und mit einigen Zulujägern als Treibern uns auf den Weg machten. Den Wagen konnten wir mit Munition und den notwendigsten Dingen beladen.

In dieser Weise leicht ausgerüstet, konnten wir durch Zululand kommen und von dort nordwärts bis Bezarstadt, wo wir eines herzlichen Willkommens sicher waren, ziehen. Das Weiterkommen von dort mußten wir dem Zufall überlassen. Es war wahrscheinlich mit unerhörten Schwierigkeiten verbunden, die Gebiete zu erreichen, in denen die sagenhaften Kendahs wohnten, aber ich hoffte, in den wilden Ländern jenseits des Zululandes zum mindesten einige Elefanten schießen zu können.

Während wir noch sprachen, hörte ich den Kanonenschuß, der die Ankunft des englischen Postdampfers meldet. Wir gingen nach dem Gartenzaun und sahen von dort aus den Dampfer draußen an der Barre vor Anker liegen. Dann ging ich hinein, um ein paar Briefe zu schreiben. Unter vielen Seufzern war ich soeben mit einigen Briefen glücklich zu Ende gekommen, als ich draußen eine Unterhaltung hörte, wenn man das überhaupt Unterhaltung nennen konnte.

»Ikona Inkoosi« (ich weiß nicht, Häuptling), sagte irgendein Kaffer in stupid gleichgültigem Ton. Darauf antwortete eine Stimme, die mir sehr bekannt vorkam:

»Wir wollen wissen, wo der große Jäger wohnt.«

»Ikona«, sagte der Kaffer.

»Können Sie sich nicht seines Eingeborenennamens erinnern?« fragte eine andere Stimme, die mir ebenfalls merkwürdig bekannt erschien.

»Der große Jäger Machdumalsahne«, sagte die erste Stimme triumphierend. Und in demselben Moment zuckte in meinem Gehirn die Vision der prächtigen Salons von Schloß Ragnall auf und die Gestalt eines imponierenden Majordomus, der zwei weißgekleidete arabische Männer hereinführte.

»Herr Wild, bei allem, was lebt!« murmelte ich. »Was, um Himmels willen, macht denn der hier?«

»Wild, hier ist ein Haus unter den Bäumen, gehen Sie hinein und fragen Sie, wo –«

In diesem Augenblick öffnete ich das Tor und sagte ruhig:

»Wie geht es, Lord Ragnall? Wie geht es Ihnen, Herr Wild? Ich glaubte Sie an Ihren Stimmen zu erkennen und wollte nachsehen, ob ich recht hatte. Bitte, treten Sie ein; das heißt, wenn Sie überhaupt mich zu besuchen wünschen.«

Ich beobachtete die beiden, während ich sprach, und bemerkte, daß Wild genau so aussah wie damals, wenn er sich äußerlich in dieser fremden Umgebung auch ein bißchen merkwürdig ausnahm. Lord Ragnall aber hatte sich seit der Zeit, da wir uns das letztemal sahen, sehr verändert. Es war immer noch eine glänzende Erscheinung, eine von jenen, die man niemals vergißt: aber jetzt war sein sympathisches Gesicht überschattet vom Ausdruck tiefen Leids. Ich fühlte sofort, er hatte jetzt kennengelernt, was Gram ist. Seine dunkel umränderten Augen und ein gewisser Zug von Müdigkeit und Resignation um seine Mundwinkel verrieten mir seinen Zustand.

»Ja, Quatermain,« sagte er, mir die Hand drückend, »Sie sind es, den ich besuchen will. Ich habe siebentausend Meilen hinter mir, und ich danke Gott, daß ich so glücklich gewesen bin, Sie zu finden. Ich fürchtete fast, Sie könnten tot sein oder auf der Jagd weit drinnen im Innern von Afrika, wo ich niemals imstande gewesen wäre, Sie aufzuspüren.«

»Eine Woche später würden Sie mich vielleicht auch nicht mehr hier gefunden haben, Lord Ragnall,« antwortete ich, »aber zu Ihrem Glück hat mich ein Unglück hier festgehalten.«

»Und ein Unglück hat auch mich hierher geführt, Herr Quatermain.«

Bevor ich Zeit hatte zu antworten, kam Hans, und wir gingen ins Haus.

»Sie kommen gerade zum Frühstück recht,« sagte ich, »und glücklicherweise gibt es guten Fisch und eine schöne Antilopenlende für Sie. Boy, lege noch zwei Gedecke auf.«

Nach dem Essen gingen wir vors Haus, um eine Pfeife zu rauchen, und ich fragte Lord Ragnall nach seinem Gepäck. Er sagte, er habe es auf dem Zollamt gelassen. »Schön,« erwiderte ich, »ich werde einen Eingeborenen und Wild hinunterschicken, um die Sachen zu holen, wenn Ihnen der etwas zweifelhafte Komfort genügt, den ich Ihnen bieten kann. Hier ist ein Raum für Sie, und Ihr Diener kann ein Zelt im Garten aufschlagen.« Nach einigem Zögern akzeptierte er mit Dank.

»Nun,« sagte ich, als das Tor hinter den beiden zufiel, »wollen Sie mir nicht sagen, was Sie nach Afrika geführt hat.«

»Unheil,« erwiderte er, »Unheil, wie es kein schlimmeres gibt.«

»Ist Ihre Frau tot, Lord Ragnall?«

»Ich weiß es nicht. Ich wünschte fast, sie wäre es; auf jeden Fall ist sie für mich verloren.«

Mir kam einen Moment lang der ausgefallene Gedanke, sie könnte mit einem andern Mann davongelaufen sein, was ja oft genug passiert. Aber glücklicherweise behielt ich diesen Gedanken für mich.

»Hören Sie: Vor ungefähr achtzehn Monaten bekam sie einen Sohn, ein sehr schönes Kind. Sie erholte sich gut von der Geburt, und wir waren glücklich, wie zwei Sterbliche nur glücklich sein können. Gott hatte uns in jeder Weise gesegnet, Quatermain; wir waren so restlos glücklich, daß – ich erinnere mich noch genau – sie sich einmal äußerte, unser großes Glück ließe sie fast Böses befürchten. An einem der letzten Septembertage, ich war auf der Jagd, machte sie in einem kleinen Ponywagen zusammen mit der Wärterin des Kindes, aber ohne männliche Begleitung, eine Spazierfahrt. Sie machte oft solche Ausflüge, denn das Pony war ein altes Tier und sanft wie ein Schaf.

Eine verfluchte Tücke des Schicksals fügte es, daß die Frauen auf ihrer Fahrt durch die kleine Stadt bei Schloß Ragnall, an die Sie sich wohl erinnern können, einer Wandermenagerie begegneten, die zu einem neuen Lagerplatz zog. An der Spitze der Karawane marschierte ein großer Elefantenbulle, der, wie ich später hörte, ein ganz bösartiges Vieh war und schon einen Mann getötet hatte. Der Ponywagen oder vielleicht ein roter Mantel, den meine Frau bei ihrer Vorliebe für lebhafte Farben trug, scheint das Biest gereizt zu haben. Er trompetete, das Pony scheute, riß den Wagen herum und warf ihn direkt vor dem Elefanten um. Doch wurde hierbei niemand verletzt. Dann« – hier machte der Lord eine Pause und sprach nur mit Anstrengung weiter, »spreizte dieser Teufel in Tiergestalt die Ohren, er streckte seinen langen Rüssel aus, zog das Baby aus dem Arm der Wärterin, wälzte es hin und her und warf es hoch in die Luft. – Es fiel herab und zerschmetterte auf den Bordsteinen. Der Elefant schnüffelte an dem Körper des Kindes und tastete es mit der Spitze des Rüssels ab, als wolle er sich vergewissern, daß es wirklich tot sei. Dann trompetete er triumphierend, und ohne meiner Frau oder sonstwem irgendein Leid anzutun, marschierte er ruhig an dem zerbrochenen Wagen vorüber bis vor die Stadt, wo er festgemacht und erschossen wurde.«

»Welch ein grauenhaftes Vorkommnis«, sagte ich erschüttert.

»Ja, und doch kommt es noch schlimmer. Meine arme Frau verlor den Verstand, wohl vor Schreck und Entsetzen, denn eine Verletzung konnte an ihr nicht konstatiert werden. Sie hatte weder an ihrer Gesundheit Schaden gelitten, noch kamen etwa Tobsuchtsanfälle vor; aber sie saß oft stundenlang still vor sich hinlächelnd und mit den roten Steinen der Halskette spielend, die ihr damals jene Gaukler gegeben hatten. Manchmal sprach sie leise vor sich hin, dann richtete sie an das Baby Worte, als läge es vor ihr. Oh, Quatermain, es war ein Anblick, der einem das Herz brechen konnte!

Ich habe alles getan, was ich nur tun konnte. Ich zog die größten Nerven- und Irrenärzte Englands zu Rate. Die einzige Hoffnung, die sie mir gaben, war die, daß die Sinnesstörung einmal ebenso rasch verschwinden könnte, wie sie gekommen war. Sie meinten auch, eine vollständige Veränderung der Umgebung könne von Vorteil sein und schlugen Ägypten vor. Das war im Oktober. Ich machte mir nicht viel aus der Idee, ich weiß nicht warum, und ich hätte wahrscheinlich niemals meine Zustimmung gegeben, wenn nicht etwas Merkwürdiges geschehen wäre. Die letzte Konsultation der Ärzte fand im großen Salon von Ragnall statt. Nachher blieb meine Frau mit ihrer Mutter noch in dem Raum. Ich hatte mich mit den Ärzten in den Hintergrund zurückgezogen, wie ich annahm, außerhalb ihrer Hörweite. Doch auf einmal rief sie mich und sagte mit vollständig klarer und natürlicher Stimme:

›Ja, Georg, ich will nach Ägypten gehen. Ich möchte sehr gern nach Ägypten gehen‹, dann spielte sie wieder mit ihrer Halskette und redete zu dem imaginären Kinde. Am anderen Morgen, als ich in ihr Zimmer kam, fragte sie:

›Wann brechen wir auf? Laßt uns bald nach Ägypten fahren!‹

Die Ärzte waren über diese Zwischenfälle sehr erfreut und erklärten sie für ein Zeichen wiederkehrenden Interesses für die Angelegenheiten des Lebens und baten mich, ihre Wünsche nicht zu durchkreuzen.

Also gab ich nach, und wir gingen nach Ägypten, zusammen mit Lady Longden, die darauf bestand, uns zu begleiten. In Kairo mietete ich eine große Dahabiyeh und als Bedeckung eine Garde von vier Soldaten; dann fuhren wir den Nil herauf. Etwa einen Monat lang ging alles gut; zu meiner Freude gab meine Frau dann und wann Zeichen zurückkehrender Vernunft; sie interessierte sich bis zu einem gewissen Grade für Skulpturen und für Inschriften auf den Wänden der Tempel. Ich erinnere mich, daß sie noch – ein paar Tage vor der Katastrophe – auf eine der Hieroglyphen hinwies und sagte: ›Die heilige Mutter und das heilige Kind.‹ Und sie verneigte sich vor den Abbildungen wie vor einem Altarbilde.

Schließlich, nachdem wir den ersten Katarakt und die Insel Philä passiert hatten, kamen wir zum Felsentempel Abu-Simbel und machten unser Boot am gegenüberliegenden Ufer fest. Am folgenden Morgen besuchten wir den Tempel, bestaunten die vier Kolossalstatuen Ramses' des Großen, die an seiner Frontseite in den Felsen gemeißelt sind. Wir beobachteten das Leben auf dem Strom und gegen Sonnenuntergang in der Wüste eine Kavalkade von Arabern.

Meine Frau war an jenem Nachmittag ungewöhnlich still. Stunde um Stunde saß sie, ohne sich zu rühren, auf Deck, starrte auf die riesigen Figuren vor dem Tempel und in die weiten brennenden Flächen der Wüste. Ein einziges Mal nur hörte ich sie leise vor sich hinmurmeln: ›Jetzt bin ich zu Hause.‹ Wir aßen dann zu Abend, und da Neumond war, gingen wir ziemlich früh zu Bett und hörten noch lange die Sudanesen draußen ihre wenig anheimelnden Lieder singen.

Meine Frau und ihre Mutter schliefen zusammen in der Staatskabine am Heck der Dahabiyeh; meine kleine Kabine lag auf der einen, die der Krankenschwester auf der anderen Seite. Die Bemannung und die Wache waren vorn auf Deck untergebracht. Ein Landungssteg war nach dem Ufer zu ausgelegt, und oben stand die Wache, oder sie sollte wenigstens dort stehen. In der Nacht begann ein Chramsin zu wehen, aber nicht sehr heftig. Ich habe nicht darauf geachtet, denn ich schlief sehr tief. Und wie es schien, tat das auch jeder andere an Bord der Dahabiyeh, die Wache inbegriffen.

Das erste, woran ich mich jetzt weiter erinnere, war das Erscheinen von Lady Longden an meiner Türe. Der Tag brach gerade an. In ängstlichem Ton fragte sie, ob Luna, meine Frau, bei mir sei. Es stellte sich heraus, daß sie, mit einem Pelzmantel bekleidet, ihre Kabine verlassen hatte, augenscheinlich schon vor längerer Zeit; denn das Bett, in dem sie gelegen hatte, war ganz kalt. Quatermain, wir suchten überall und überall; wir suchten vier Tage lang. Aber von jener Stunde bis auf den heutigen Tag ist keine Spur mehr von ihr gefunden worden.«

»Haben Sie irgendeine Vermutung?« fragte ich.

»Ja, wenigstens hatten alle Sachverständigen, die wir aufsuchten, eine Erklärung. Nämlich die, daß sie in der Dunkelheit ihre Kabine verließ, an Deck ging und entweder in den Nil gefallen oder gesprungen ist. Die starke Strömung würde ihren Körper selbstverständlich sofort weggetragen haben. Die ägyptische Polizei und andere Instanzen waren so überzeugt, daß die Tragödie sich so und nicht anders abgespielt habe, daß sogar eine Belohnung von tausend Pfund sie kaum veranlassen konnte, das Suchen nicht aufzugeben.«

»Sie sagten, ein Wind wehte, und so stelle ich mir vor, daß an den sandigen Ufern wohl alle Fußspuren verweht und verwischt waren?«

Er nickte, und ich fuhr fort: »Was meinen Sie nun selbst? Glauben Sie auch, daß sie ertrunken ist?«

Er durchkreuzte meine Frage mit einer Gegenfrage: »Was denken Sie?«

»Ich? Oh, trotzdem ich kein Recht habe, das auszusprechen, ich denke überhaupt nichts. Ich bin mir aber vollständig sicher, daß sie nicht ertrunken ist, sondern daß sie in dieser Minute noch lebt«

»Wo?«

»Was das betrifft, so würden Sie besser unsere Freunde Hârut und Mârut fragen«, antwortete ich.

»Worauf wollen Sie hinaus, Quatermain? Ich sehe da keinen Zusammenhang.«

»Im Gegenteil, ich meine, daß es sehr viele Zusammenhänge gibt. Der ganze englische Teil dieser Geschichte, den wir ja gemeinsam erlebt haben, und die dunklen Drohungen und Andeutungen jener mystischen Persönlichkeiten ergeben die erste und stärkste dieser Vermutungen. Weiter ist die Tatsache, daß das Chartern der Dahabiyeh in Ägypten lange bevor Sie selbst dahin kamen, bekannt war; denn ich nehme an, Sie mieteten sie unter Ihrem richtigen Namen, und der ist ja nicht gerade Smith oder Brown. Weiter ist zu beachten, daß Sie am Nachmittag kamelberittene Araber unweit des Schiffes sahen. Der schwere Schlaf, von dem, wie Sie selbst sagen, in jener Nacht jedermann an Bord befangen war, und der, wie ich überzeugt bin, von einem Schlafmittel herrührte, das in Ihr Essen gemischt worden war, gehört in diesen Zusammenhang. Ebenfalls die Nachlässigkeit, die jene Instanzen an den Tag legten, an die Sie sich wegen weiterer Nachforschungen wandten. Einer oder mehrere Beamten konnten bestochen worden sein, wie es ja im Orient gang und gäbe ist. Warum spielte sich schließlich das Ereignis ausgerechnet in einer Nacht ab, in der ein Wind wehte, der bald alle Spuren von Menschen und rasch laufenden Kamelen verwischt? Diese Momente sind für den Anfang genug, trotzdem ich nicht zweifle, daß ich noch mehr finde, wenn ich erst Zeit habe, darüber nachzudenken. Sie müssen des weiteren daran denken, daß, wie lang immer die Reise ist, jenes Land der Kendah ohne Zweifel von dem, der den Weg kennt, sowohl vom Sudan aus wie vom Osten und Süden Afrikas erreicht werden kann.«

»Demnach denken Sie, daß meine Frau von jenen Schuften Hârut und Mârut entführt worden ist?«

»Selbstverständlich, trotzdem ›Schufte‹ ein zu starker Ausdruck ist. Sie können ja, auf Grund ihrer Anschauungen ganz anständige Menschen sein. Denken Sie daran, daß sie einem Gotte oder einem Fetisch dienen, oder vielmehr einem Gotte in einem Fetisch. Und der ist für sie ohne Zweifel ein furchtbarer Herr, besonders wenn, wie ich gehört habe, jener Gott durch einen Rivalen bedroht wird.«

»Warum sagen Sie das, Quatermain?«

Statt einer Antwort erzählte ich ihm, was Hans von der alten Frau in Bezarstadt gehört hatte. Lord Ragnall lauschte mit größtem Interesse; dann sagte er in tiefer Bewegung:

»Das ist eine sehr eigenartige Geschichte. Aber ist es Ihnen aufgefallen, Quatermain, daß, wenn Ihre Voraussetzungen überhaupt zutreffen, eine der unheimlichsten Tatsachen die ist, daß unser armes Kind gerade durch die Bosheit eines Elefanten umgekommen ist?«

»Dieser Umstand ist mir sogar ganz besonders aufgefallen, Lord Ragnall. Andererseits sehe ich aber wieder nicht ein, warum es mehr als ein Zufall gewesen sein soll, weil der Elefant, der Ihr Kind tötete, doch sicherlich nicht der sogenannte Jana war. Mir vorzustellen, daß, wenn irgendwo im Herzen von Afrika Krieg zwischen einem Elefantengott und einem Kindgott ist, ein anderer Elefant in England beeinflußt werden könnte, ein Kind zu töten, liegt für mich außerhalb jeder Vernunft.«

Ich wünschte den schrecklichen Eindruck jenes Vorkommnisses nicht noch zu steigern; aber wenn ich mich erinnerte, daß diese Priester Hârut und Mârut die Mutter des gemordeten Kindes für niemand anders hielten als für die Pythia ihres Orakels (doch auch diese Zusammenhänge gingen über mein Vorstellungsvermögen), und daß sie damit zum großen Feind des Elefantengottes wurde, muß ich bekennen, daß eine dunkle Furcht lähmend mein Herz erfüllte. Wenn wirklich irgendwelche magischen Kräfte in diese Sache hineinspielten – wer konnte dann sagen, wo diese Kräfte ihre Grenzen fänden? Doch da die Wissenschaft immer von neuem beweist, daß es so etwas wie afrikanische Zauberei nicht gäbe, war es doch zu töricht, solchen Gedanken nachzuhängen. Ich ließ sie daher fallen und bat Lord Ragnall, fortzufahren.

»Über einen Monat lang hielt ich mich in Ägypten auf und wartete auf die Emissäre, die zu den Häuptlingen verschiedener sudanesischer und Wüstenstämme geschickt worden waren. Sie kehrten mit der Nachricht zurück, daß von einer weißen, von Eingeborenen begleiteten Frau nichts gesehen worden sei. Auch habe man nichts davon gehört, daß eine solche Frau als Sklavin verkauft worden wäre. Mit Hilfe des britischen Gouverneurs und des ägyptischen Khediven brachte ich es sogar fertig, eine Anzahl Harems zu durchsuchen. Aber ohne jeden Erfolg. Nachdem ich weitere Ermittlungen in die Hände des englischen Konsulats und eines französischen Advokaten gelegt hatte, kehrte ich nach England zurück. Dort war natürlich auch keine Spur der Vermißten zu finden. So kam ich zur Überzeugung, daß ihre Knochen irgendwo auf dem Grunde des Nils lägen, und gab mich dann völlig der Verzweiflung hin.«

»Immer das Törichtste, was man tun kann«, bemerkte ich.

»Sie werden es mit noch mehr Recht sagen, wenn Sie mich zu Ende angehört haben, Quatermain. Kummer und Schlaflosigkeit zehrten so an mir, daß mein Gehirn in Unordnung geriet und ich, wie Hiob, Gott verfluchte und zu sterben beschloß. Bedenken Sie, daß nach dem Tode meines Kindes meine Frau für mich ja alles gewesen war. Ich würde mich auch getötet haben, wenn Wild nicht gewesen wäre. Ich schrieb eine Reihe Abschiedsbriefe. Gerade war ich mit dem letzten fertig, es war gegen zwölf, als ich ein Geräusch hörte. Ich sah auf. Wild stand vor mir. Ärgerlich fragte ich ihn, was er wolle. Er antwortete:

›Mylord, ich habe über unser Unglück nachgedacht und immer wieder nachgedacht, so viel, daß ich jetzt gar nicht mehr schlafen kann, und heute nacht, als Sie sagten, Sie brauchten mich nicht mehr, war ich müde und ging zeitig zu Bett, und da hatte ich einen Traum. Die abscheuliche Schlange, die ich damals, als die beiden Araber uns besuchten, in meiner Tasche gefunden hatte, schien mich zu verfolgen. Als ich wieder schlief, aber auch dieser Schlaf war Traum, stand sie auf ihrem Schwanze aufgerichtet am Ende meines Bettes und zischte, bis ich aufwachte. Dann sprach sie, und zwar auf gut englisch und nicht auf afrikanisch, wie man erwarten könnte: Wild, steh auf, zieh dich an, geh sofort zu Seiner Lordschaft und sage ihm, er müsse nach Natal reisen und Herrn Allan Quatermain aufsuchen. – Das Reptil öffnete und schloß seinen Mund beim Sprechen wie ein christlicher Mensch: Er wird ihm etwas zu sagen haben, was Bezug hat zu dem, was sein Herz jetzt mit sieben Teufeln ausfüllt. Mach' schnell, Wild, halte dich nicht damit auf, dein Oberhemd und deinen Kragen anzuziehen, er hat sich in sein Erkerzimmer eingeschlossen, aber du weißt ja, wie du hineinkommen kannst. Wenn er auf dich nicht hören will, so sage ihm, er soll sich in dem Zimmer umschauen, und er wird etwas finden, zum Zeichen, daß dies ein wahrer Traum ist. –

Damit verschwand die Schlange, und ich wachte schweißtriefend auf und tat, was sie mir geheißen hatte.‹

Das ist's, was Wild mir wörtlich sagte, Quatermain. Ich habe es niedergeschrieben, solange es in meinem Gedächtnis noch frisch war. Sehen Sie, hier steht es in meinem Notizbuch. Ich antwortete ihm damals ziemlich grob, wie ich fürchte, denn ein halb irrsinniger Mensch, der gerade dabei ist, unter solchen Umständen die Welt zu verlassen, zeigt sich nicht von der besten Seite. Ich erklärte ihm, daß ich seine ganze Schlangenträumerei lächerlich fände, und ich war schon dabei, ihn fortzuschicken, als mir einfiel, daß mindestens ein Fingerzeig nicht so ganz lächerlich war, nämlich der, mich mit Ihnen, der Sie ja bereits im ersten Teile dieses Dramas eine Rolle gespielt hatten, in Verbindung zu setzen.«

»Ja, so ganz lächerlich war es wohl nicht«, unterbrach ich.

»Ich muß gestehen, daß ich selbst ja schon hier und da daran gedacht hatte, mich an Sie zu wenden. Aber Sie waren so weit weg, und in meinem Gram konnte ich mich nicht so leicht wie sonst zu einem Entschluß aufraffen. So stand ich also damals in meinem Arbeitszimmer da und zerbrach mir den Kopf, was ich nur tun solle. Ich weiß nicht, ob Sie das Bild meiner Frau gesehen haben, das in einer Nische zwischen zwei Kaminen meines Arbeitszimmers hing?«

»Ja,« sagte ich, »ich erinnere mich daran, oder besser, ich erinnere mich an seine Existenz. Ich habe das Bild selbst nicht gesehen; es war ja von einem Vorhang verhüllt, und Wild erklärte mir, Sie wünschten nicht, daß irgend jemand außer Ihnen selbst es ansähe. Ich erinnere mich sogar, daß ich damals noch bemerkte, das Bild eines lebendigen Menschen zu verhüllen, erschiene mir von übler Vorbedeutung, trotzdem ich heute nicht mehr weiß, was mich auf diesen Gedanken brachte.«

»Sie haben ganz recht, Quatermain. Ich weiß selbst nicht, wie ich auf diese komische Idee kam. Man tut so manches, wenn man verliebt ist. Nach der Heirat wurde der Vorhang natürlich entfernt, doch nach meiner Rückkehr nach England konnte ich den Anblick der Verlorenen nicht ertragen, und ich ließ den Vorhang wieder anbringen. Als ich nun in dem Raum, wie gesagt, auf und ab lief, fiel mein Blick zufällig in jene Nische, und zu meinem größten Erstaunen war das Bild nicht mehr verhüllt. Der Vorhang war ganz korrekt zurückgeschlagen. Doch war er vorgezogen gewesen. Das konnte ich beschwören!

›Wie schön sie aussieht, nicht wahr, Mylord?‹ sagte Wild, ›und so Gott will, werden wir sie irgendwo in der Welt wiederfinden.‹

Ich habe ihm nichts erwidert, habe auch über den zurückgezogenen Vorhang nichts gesagt. Ich nahm an, daß, während ich der Form halber beim Abendbrot saß, eines der neuen Hausmädchen ihn aus Neugierde zurückgezogen haben mochte. Jedenfalls aber machte mich das plötzliche Wiedererscheinen dieses Gesichts in Verbindung mit den Worten Wilds, ich solle mich im Zimmer umschauen, in meinem Vorsatze betreffs der Pistole schwankend.

›Wild,‹ sagte ich, ›ich halte nicht viel von Ihrem Traum mit sprechenden Schlangen und so weiter, aber ich halte wenigstens so viel von ihm, daß es wohl angebracht wäre, Herrn Quatermain aufzusuchen. Heute ist Sonntag, und ich glaube, der Dampfer nach Afrika geht nächsten Freitag; gehen Sie morgen frühzeitig zur Stadt, und besorgen Sie Fahrkarten.‹

Ich habe dann noch eine Reihe guter Gewehre und anderer Waffen besorgt, Zeltausrüstungen und sonstiges gekauft, denn ich wußte ja nicht, wohin wir in Afrika vielleicht ziehen würden. Es wurde alles erledigt und – hier sind wir.«

»Ja,« antwortete ich nachdenklich, »hier sind Sie, und hier ist auch Ihr Gepäck, das so aussieht, als enthalte es die Marschausrüstung eines ganzen Regiments«, und ich zeigte auf den hochbeladenen Karren, der, gefolgt von einem langen Zuge Kaffern, die ebenfalls Gepäckstücke auf dem Kopfe trugen, unter Aufsicht Wilds gerade vor meiner Türe hielt.

Abends, nachdem das Gepäck in meinem kleinen Schuppen verstaut und Vorsorge für die Aufbewahrung der Konservenkisten getroffen worden war, gingen wir an das Auspacken der Gewehre und der Munition.

Es war eine wundervolle Kollektion von Waffen aller Arten. Von der schwersten Elefantenbüchse bis zur leichtesten Vogelflinte war alles da, was in jenen Zeiten für Geld überhaupt zu haben war. Der Anblick dieser schimmernden Herrlichkeiten versetzte den alten Hans in eine Aufregung, wie ich sie bei ihm kaum jemals beobachtet hatte.

»Mit Waffen wie diesen könnte der Baas den Teufel selber umbringen, aber doch möchte der Baas ›Intombi‹ mitnehmen (es war mein Lieblingsgewehr und seiner Gestalt nach fast ein Spielzeug, das mir in der Vergangenheit schon manchen guten Dienst geleistet hatte), denn, Baas, es läuft doch auf dasselbe hinaus, und die Frau, die man in seiner Jugend genommen hat, erweist sich schließlich treuer als die jungen hübschen Dinger, die ein Mann sich dann im Alter noch kauft. Auch kennt man alle ihre Fehler; aber wer kann sagen, wieviel in neuen Frauen versteckt sind, so schön sie auch immer tätowiert sind?« und er zeigte auf die glänzenden Gravierungen der Büchsen.

Ich übersetzte diese Worte Lord Ragnall. Er mußte darüber lachen, und ich freute mich darüber, denn bis jetzt hatte ich ihn noch nicht ein einziges Mal vergnügt gesehen. Ich muß hinzufügen, daß außer Sportgewehren nicht weniger als fünfzig Militärgewehre vorhanden waren, weitgebohrte Sniders, eine Waffe, die damals gerade auf den Markt kam, und in Blechkasten verpackt ein großes Quantum Munition.

Bevor wir zu Bett gingen, erzählte ich ihm meine Abenteuer als Vorsitzender der Bona-fide-Goldmine und von deren traurigem Ende.

»Die Moral von der Geschichte ist, daß jemand,« so meinte Lord Ragnall, »der die eine Sache versteht, deswegen noch lange nicht auch eine andere zu verstehen braucht.«

Dann zog er noch einige genauere Erkundigungen über die Minengeschichte ein und machte sich Notizen. Ich wunderte mich, doch ich dachte mir, er wolle sich, bevor er mit mir in ein näheres kameradschaftliches Verhältnis trat, wie es eine gemeinsame Expedition in Afrika eben mit sich bringt, über meine Verhältnisse informieren. –

Eines Morgens fand ich auf meinem Tisch einen ganzen Berg von Briefen, bei deren Anblick ich aufstöhnte wie ein angeschossener Löwe, denn für mich war es sicher, daß sie nur von rasenden Aktionären stammen konnten. Neugierde und der Wunsch, auch dem Schlimmsten ins Auge zu sehen und mit dieser ganzen Sache einmal zu Ende zu kommen, veranlaßten mich, den ersten Brief zu öffnen. Er stammte zufälligerweise gerade von jenem Aktienbesitzer, der damals in der Versammlung so wacker für mich eingetreten war. Als ich mich durch das Schreiben hindurchgelesen hatte, schwammen mir die Augen, und mir wurde ganz schwach zumute. Denn der Brief lautete:

»Ehrenwerter Herr! Ich wußte, daß ich mein Geld auf das rechte Pferd setzte, als ich Sie seinerzeit für eins der Verläßlichsten erklärte, die jemals gelaufen sind. Ich habe den Scheck Ihres Anwalts bekommen und bin damit für jeden Pfennig, den ich in der Bona-fide-Goldmine investiert hatte, entschädigt. Ich kann nur sagen, daß er ungewöhnlich verwendbar für mich ist, denn jene Geschichte hatte mich einfach blank gemacht. Gott segne Sie, Herr Quatermain.«

Ich öffnete einen anderen Brief, dann noch einen und noch einen. Sie liefen alle auf dasselbe hinaus. Ganz verstört rannte ich auf die Veranda und fand dort Hans mit einer Epistel in der Hand, die er mich ihm vorzulesen bat. Ich tat es. Sie kam von einem bekannten Anwaltsbüro und besagte, daß auch für Hans sechshundertfünfzig Pfund – sie ständen bei dem Anwalt zu seiner Verfügung – eingezahlt worden waren.

So, und beigefügt war ein Scheck über sechshundertfünfzig Pfund Sterling! Ich erklärte Hans die Sache, übersetzte das Dokument und fügte hinzu:

»Siehst du, jetzt hast du dein Geld wiederbekommen, aber, Hans, ich habe es dir nicht geschickt. Ich weiß nicht, woher es kommt.«

»Ist es wirklich Geld, Baas?« fragte Hans und betrachtete mißtrauisch mit schiefem Kopf das Papier von allen Seiten. »Es sieht nämlich genau so aus wie das andere Stück Papier, für das ich noch Geld zuzuzahlen hatte.«

Ich wiederholte ihm die Erklärung und meine Unkenntnis über die Herkunft des Geldes.

»Schön, Baas,« sagte er, »wenn du es nicht geschickt hast, so hat es jemand anderes geschickt – vielleicht dein Vater, der ehrwürdige Prediger, der gesehen hat, daß du in Schwierigkeiten geraten bist und der deinen Namen wieder reinwaschen will. Jedenfalls, Baas, behalte das Papier lieber in deinem Notizbuch, sonst könnte es sein, daß ich in Versuchung käme, Vierkantschnaps dafür zu kaufen.«

»Nein,« antwortete ich, »du kannst jetzt dein Land zurückkaufen und hast es nicht nötig, mit uns nach Kendahland zu ziehen.«

Hans dachte einen Augenblick nach; dann begann er langsam das Papier zu zerreißen. Ich hatte gerade noch Zeit, es ihm wegzunehmen.

»Wenn der Baas mich wegschicken will wegen dieses Papieres, so will ich es lieber zerreißen und aufessen.«

»Blöder alter Esel«, sagte ich, als ich das Papier glücklich in den Händen hielt.

Dann wurde unsere Konversation unterbrochen; denn auf der Bildfläche erschien Sammy, mein alter Koch, und begann in seiner prunkhaften Sprache eine längere Rede:

»Die vollständige Liquidierung meiner Forderungen, Herr Quatermain, bewegt mich zu tiefster Dankbarkeit, trotzdem ich andererseits wünschte, etwas in das Essen jenes Schurken Jakob getan zu haben, der uns alle so gemein betrog, etwas, was ihm innere Schmerzen ernstlicher, wenn auch nicht gefährlicher Art verursacht hätte. Mein Anteil an der Goldmine war ja nicht übermäßig hoch, aber die unbezahlte Rechnung des besagten Jakob und seiner Freunde –«

Hier drehte ich mich um und ergriff die Flucht. Denn ich sah gerade einen anderen Aktionär im Galopp vor meinem Tore ankommen und hinter ihm noch zwei in einer Droschke. Ich schloß mich in mein Zimmer ein und fing an, den Haufen Briefe wegzuräumen. Dabei entdeckte ich einen, der noch ungeöffnet dalag. Halb mechanisch nahm ich ihn aus dem Umschlag und starrte auf seinen Inhalt. Er war Wort für Wort derselbe wie jener an Herrn Hans, Hottentott, adressierte. Nur stand am Schluß mein Name, und der Scheck lautete auf den Betrag von eintausendfünfhundert Pfund, bis auf den letzten Pence die Summe, die ich in dem Unternehmen angelegt hatte.

Ich hatte ein Gefühl, als läge mein Gehirn in einem Schmelztiegel. Still eilte ich hinten aus meinem Hause heraus und lief in den Busch, der in jenen Tagen noch auf dem Abhang des Hügels stand. Hier setzte ich mich nieder, wie ich oft getan hatte, wenn es irgendeinen Knoten zu lösen gab, und beobachtete einen Emmerald-Kuckuck, der wie ein funkelndes Kleinod von Baum zu Baum schwirrte, während ich dieses ganze Großmuttermärchen in meinem Kopf herumwälzte. Es wurde mir selbstverständlich bald klar, daß nur Lord Ragnall als der Prinz dieses Märchens in Frage käme. Ich wußte ja, daß er im Rufe stand, über phänomenale Reichtümer zu verfügen, und daß im Vergleich dazu das Gesamtkapital der Gesellschaft alles in allem nur klein war. Aber die Frage war: Konnte ich dieses Geschenk annehmen?

Ins Haus zurückgekehrt, bat ich ihn mit matter Stimme um eine Unterredung.

»Schießen Sie los, mein Freund, und alles ist in Ordnung«, sagte er heiter.

Darauf hielt ich ihm eine ziemlich konfuse Rede, wirbelte Beteuerungen meiner Dankbarkeit und allerlei Einwendungen durcheinander, und zum Schlusse unterbrach er mich und bemerkte:

»Mein Freund, wenn Sie mir erlauben wollen, Sie so zu nennen, es ist ganz richtig, daß ich die Geschichte geregelt habe. Und ebenso richtig ist es, daß sie für mich eine geringfügige Angelegenheit ist und, gerade herausgesagt, noch nicht ein Monatseinkommen bedeutet. Außerdem habe ich in eigenem Interesse gehandelt. Denn mir liegt viel daran, daß Sie auf unser gewagtes Unternehmen mit absolut freiem Bewußtsein ausziehen, unbeschwert durch Geldsorgen. Nur dann werden Sie imstande sein, mir gute Dienste zu leisten. Deshalb bitte ich Sie, kein Wort mehr über diese Sache zu verlieren. Nur eins muß ich noch hinzufügen, nämlich daß ich selbst ein paar Aktien gekauft habe, weil sie mir die Eigenschaft eines Aktionärs und damit die Möglichkeit geben, mir einmal diesen ehrenwerten Herrn Jakob zu langen!«

Ich will hier gleich bemerken, daß es ihm niemals glückte, sich Herrn Jakob zu »langen«. Dieser verschwand in der Kapkolonie, mag sein, daß er sich dort den Namen eines anderen Erzvaters zulegte.

Ich erklärte schließlich Lord Ragnall, daß ich die Summe von eintausendfünfhundert Pfund nur unter der Bedingung annehme, wenn ich sie als Vorschuß auf mein Gehalt – und zwar als einen recht schönen Vorschuß! – betrachten dürfe.

»Ich muß gestehen, Quatermain, daß ich es so nicht aufgefaßt habe. Aber wir wollen über Geldangelegenheiten nicht mehr so viele Worte verlieren; wir können unsere Rechnungen ja noch immer begleichen, wenn wir überhaupt jemals dazukommen. Ich meine, wir haben jetzt von wichtigeren Dingen zu reden.«

So gingen wir daran, den genauen Marschweg der Expedition festzulegen. Da die Kosten keine Rolle spielten, standen uns verschiedene Wege offen. Wir konnten an der Küste bis Kilwa marschieren. Wir konnten auch durch Zululand vorgehen. Welche Straße wir aber auch immer wählten, die große Frage blieb die, ob wir die Expedition mit einer kleinen Armee ausgerüsteter und disziplinierter Soldaten unternehmen sollten, um gegebenenfalls unseren Weg durch Kendahland mit Gewalt zu erzwingen – oder ob es nicht besser war, auf die auffällige Bedeckung zu verzichten und uns nur auf unseren Mutterwitz und unser gutes Glück zu verlassen. Jede von diesen Möglichkeiten hatte ebensoviel für wie gegen sich. Wir kamen an jenem Abend noch zu keinem endgültigen Entschlusse. Also wurde die Unterhaltung am nächsten Tage fortgesetzt, doch mit dem gleichen negativen Ergebnis, weil Lord Ragnall die so verantwortungsvolle Entscheidung zuletzt immer mir überließ.

Schließlich wußte ich mir keinen anderen Rat mehr, als das Fenster zu öffnen und zweimal in einem bestimmten tiefen Tone zu pfeifen. Eine Minute darauf schlurfte Hans herein, schüttelte das Regenwasser von seinem neuen Drillanzug und hockte sich vor uns auf den Boden nieder. Dann zerrieb und entzündete er ein Stück Plattentabak, das ich ihm hinwarf, und fragte:

»Der Baas hat mich gerufen. Was will der Baas von Hans?«

»Licht-im-Dunkel!« sagte ich unter Anspielung auf seinen Eingeborenennamen und setzte ihm die ganze Sache auseinander. Er lauschte, ohne mich mit einem Wort zu unterbrechen. Dann bat er um ein kleines Glas Schnaps, das ich ihm, wenn auch mit einigen Bedenken, bewilligte. Er schüttete es herunter und entwickelte folgende Ansicht:

»Ich glaube, der Baas wird gut tun, nicht nach Kilwa zu gehen; denn das würde auf ein Schiff warten heißen; auch könnten dort jetzt wieder Sklavenhändler sein, deren Herz nicht gerade von Liebe für ihn erfüllt ist. Dagegen liegt die Straße durch Zululand offen, wenn sie auch lang ist, und dort ist der Name Macumazana wohlbekannt. Ich denke auch, daß der Baas gut tun würde, nicht zuviel Männer mitzunehmen, die nur den Marsch verzögern; ein Wagen oder zwei und einige Treiber, die zurückgeschickt werden können, wenn es nicht weitergeht, das ist genug. Von Zululand können Boten zu den Mazitu geschickt werden, die dich lieben, Baas, und Bausi, oder wer immer dort jetzt König ist, wird uns Träger entgegensenden. Bis wir sie treffen, könnten wir leicht andere Träger in Zululand anwerben. Die alte Frau in der Bezarstadt sagte mir auch, wie du dich erinnern wirst, daß die Kendah ein sehr großes Volk sind, die abgeschlossen leben und niemand erlauben, ihr Land zu betreten. Daher würde keine Macht, in welcher Stärke immer du sie mitnähmst, und die du übrigens auf einer Straße ohne Wasser auch nicht tränken könntest, stark genug sein, die Tore von Kendahland über den Haufen zu rennen wie ein Elefant. So scheint es besser, zu versuchen, durch sie hindurchzukriechen wie eine kluge Schlange. Vielleicht sind die Tore aber auch gar nicht geschlossen. Sagtest du nicht, daß zwei ihrer großen Medizinmänner dir versprachen, dich zu treffen und dich zu ihren Wohnsitzen zu begleiten?«

»Ja,« unterbrach ich ihn, »ich möchte fast sagen, es wird leichter sein, nach Kendahland hineinzukommen als wieder heraus.«

»Schließlich noch eins, Baas. Die schwarzen Kendah, von denen ich dir erzählt habe, könnten, wenn du mit vielen bewaffneten Männern kommst, denken, daß du mit ihnen Krieg anfangen willst, was immer die weißen Kendah auch dagegen sagen, und sie sind imstande, uns alle zu töten. Wogegen sie uns vielleicht in Frieden ziehen lassen, wenn wir nur wenige sind. Ich denke, das ist alles, Baas. Mag der Baas und der Lord Igeza mir vergeben, wenn meine Worte Torheit waren.«

»Igeza« war der Name, den die Eingeborenen Lord Ragnall gegeben hatten. Das Wort bedeutet in der Zulusprache eine hübsche und ansehnliche Person. Wild nannten sie »Bona«. Bona bedeutet auf Zulu »die Brust herausdrücken«. Es mag sein, daß der Name Wild zur Charakterisierung seiner stolzen und ein bißchen feierlichen, äußeren Erscheinung gegeben worden war. Jedenfalls nannten Lord Ragnall, Hans und ich den prächtigen Wild im traulichen Umgang von jetzt an »Bohne«. Sein Herr sagte, der Name passe ausgezeichnet zu ihm, weil er so grün sei.

»Dein Rat scheint weise, Hans, geh nun. Nein, keinen Schnaps mehr«, bedeutete ich dem Hottentotten. Der Rat war in der Tat so ausgezeichnet, daß wir ihn bis in die letzten Einzelheiten befolgten.

So geschah es denn, daß wir ungefähr vierzehn Tage später – wie sehr wir uns auch beeilten, die Vorbereitungen forderten doch ihre Zeit – durch die sandigen Straßen, die von Durban ausliefen, nach dem Zululand aufbrachen. Gepäck und Vorräte waren in zwei halb mit Planen bedeckte Wagen verstaut; ausgezeichnet konstruierte Fahrzeuge, wie überhaupt unsere gesamte Ausrüstung das Beste darstellte, was für Geld zu haben war. Das hintere Ende der Wagen bildete in der Nacht unseren Schlafplatz. Hans saß auf einem Kutschersitze; Lord Ragnall, Wild und ich ritten »gesalzene« Pferde, also solche, die die Viehseuche bereits durchgemacht hatten und von denen man annahm, daß sie hinfort gegen neue Anfälle immun wären. Es waren kostbare und zuverlässige Tiere, die für Jagdzüge besonders abgerichtet worden waren.

Bei unserem Aufbruch passierte noch etwas Merkwürdiges. Wild, der sich allen Belehrungen zum Trotz darauf versteift hatte, seinen schwarzen Begräbnisgehrock anzubehalten, versuchte mit hartnäckiger Ausdauer, sein Pferd von der falschen Seite zu besteigen. Das Pferd spitzte die Ohren und schien über diesen merkwürdigen Reiter äußerst verwundert zu sein. Er kam schließlich auch hinauf. Aber nach einer Weile begann das Pferd auf der Hinterhand zu tanzen, und Wild sägte verzweifelt an den Zügeln. Auf einmal hörten wir einen Schrei, sahen das Tier mit den Vorderhufen in die Luft schlagen, und im selben Moment Wild in hohem Bogen herunter auf die Straße fliegen. Das Schlimmste befürchtend galoppierten wir hin. Aber zu unserer Beruhigung sprang er beim Näherkommen aus seiner sitzenden Stellung auf, die Hände auf die Verlängerung des Rückens gepreßt, drehte sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit um sich selbst und schrie, die Augen verdrehend:

»Nehmt sie weg! Tötet sie! Schnell!«

Eine Sekunde später begriffen wir, was er meinte. Das Pferd hatte vor einer schlafenden Puffotter gescheut, die sich auf der wenig begangenen Straße im Sande sonnte. Und auf eben diese Puffotter hatte sich Wild nach seinem Fluge durch die Luft mit solcher Gewalt niedergesetzt – er wog einhundertfünfundachtzig Pfund! –, daß das Geschöpf einfach breitgequetscht war und sich nicht mehr rührte. Er selbst in seiner Aufregung bemerkte das natürlich nicht und war der Meinung, daß sie noch immer hinten an ihm hing wie eine Bulldogge.

»Schlangen! Mylord,« rief er aus, nachdem wir ihn zu guter Letzt überzeugt hatten, daß die Schlange sofort, ohne ihn zu beißen, verendet war, »ich hasse sie; sie verfolgen mich. Wenn ich jemals aus diesem Unternehmen mit heiler Haut davonkomme, werde ich auf und davon gehen und in Irland leben, Mylord, wo es keine Schlangen geben soll. Aber es scheint nicht, als ob ich so ohne weiteres davonkommen würde,« setzte er trübe hinzu, »denn ist das nicht ein schreckliches Vorzeichen?«

»Im Gegenteil,« bemerkte ich, »es ist ein glänzendes Vorzeichen; denn Sie haben die Schlange getötet und nicht die Schlange Sie.«

Nach diesem Ereignis gaben die Kaffern Wild einen zweiten, sehr langen Namen, der ungefähr lautete: »Der-welcher-auf-Schlangen-niedersitzt-und-sie-breit-macht.«

Ich blieb zunächst eine Weile hinter den anderen zurück, um meinem alten Griqua-Gärtner Jack, der beim Abschiednehmen gerührt schnüffelte, noch einige Anweisungen zu geben, und um noch einen letzten Blick auf mein kleines Haus zu werfen. Ich fürchtete, es würde das letztemal sein; denn ich war mir wohl bewußt, daß ich jetzt wieder einmal zu einer gewagten Unternehmung auszog, ich, der ich geschworen hatte, mich niemals mehr auf solche Abenteuer einzulassen.

»Ich fürchte, dies ist eine ziemlich traurige Stunde für Sie«, sagte Lord Ragnall in seiner gütigen Art. »Sie lassen doch Ihren kleinen Jungen und Ihr Haus zurück und gehen unbekannten Gefahren entgegen!«

»Sie ist nicht so traurig wie manche andere, die ich erlebt habe,« antwortete ich, »und Gefahren sind mein täglich Brot, im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem, was sie für mich ist, ist sie ja auch für Sie.«

»Nein, Quatermain, für mich ist es eine Stunde der Hoffnung; einer schwachen Hoffnung, wie ich zugeben muß, aber es ist die einzige, die mir geblieben ist. Denn die letzten Briefe aus Ägypten und England berichten, daß keine Spuren gefunden, und daß deshalb alle weiteren Nachforschungen eingestellt worden sind. Ja, ich folge dem letzten Stern an meinem Himmel, und wenn er untergeht, hoffe ich, daß ich zugleich untergehen werde. Deshalb bin ich augenblicklich glücklicher, als ich es monatelang war. Dank Ihnen!« Und er streckte mir die Hand entgegen – zum Zeichen unserer Freundschaft und unseres gegenseitigen Vertrauens.


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