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Über das Wesen des menschlichen Geistes

Der Primat des Intellekts

 

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Wer in dieser sichtbaren Welt kann fragen, gleichviel ob er auch antworten kann: Was ist? Was ist dieses oder jenes? Ist etwas? Wer kann, in innigem Zusammenhang damit, ja sagen oder nein – wer kann das, und sogar, wer muß das in jedem Augenblick, außer dem Menschen? Kann es ein Stein, ein Baum oder ein Tier? Niemand kann so etwas, ohne phantastisch zu reden oder von Märchen oder vom Gleichnis oder ohne in Absurdität zu fallen, ernstlich behaupten. Der Mensch kann, ja muß fragen, bejahen und verneinen, aber kraft welches Seins in ihm? Er gehört ja auch zur Ordnung der Materie wie der Stein; zur Ordnung des Lebens, wie Pflanze und Tier. Aber die Individuen beider Ordnungen können weder fragen noch antworten, weder ja sagen noch nein. Was ist die neue Ordnung im Menschen? Es ist der Geist; der Mensch gehört zur Ordnung des Geistes und der Geister. Und wer sagt auch dieses, weil er es sieht, wer bejaht das, oder vielleicht: verneint das, wenn nicht wiederum der Geist?! Kann also nur der Geist fragen und antworten im unermeßlichen Sein, so ist damit schon eine erste wesentliche Antwort gegeben, was der Geist sei. Er ist das, was in und aus dem Sein spricht, hell oder dunkel, klar oder unklar, geheimnisvollerweise auch in und aus seinem eigenen; er hat die innigste Verwandtschaft mit dem Sein überhaupt, mit allem und jeglichem Sein, wenn auch in verschiedenem Maße, in verschiedener Klarheit. Im Sein Gottes ist er identisch mit diesem selber.

 

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Weder fragt noch antwortet der Stein oder die Pflanze oder das Tier, was sie sind – das tut allein der Geist, dessen sie selber nicht Träger sind. Welch ein schwindelerregender Abstand zwischen dem Sein des Steines, der Pflanze, des Tieres und dem Sein Gottes; aber auch dieses bis in seine letzten Abgründe der Deitas, der trinitarischen Gottheit, ergründet »der Geist«, der Geist Gottes freilich; der Geist erforschet alle Dinge nach den Worten des Apostels: auch die Tiefen der Gottheit. Wer unter den Menschen weiß, was des Menschen ist, außer dem Geist des Menschen, der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was Gottes ist, es sei denn der Geist Gottes. Diese Worte des Apostels berühren ein großes Geheimnis des göttlichen Seins, das sich fortpflanzt auch auf das menschliche Sein und den menschlichen Geist, das als Geheimnis uns nicht verlassen darf, uns begleiten muß, auch bei unseren weiteren Untersuchungen immer mit angedeutet bleiben muß. Der Geist ist das, was dem Sein entspricht. Nicht weniger, nicht mehr. Als solche Urgegebenheit gibt er sich selber, denn er wird von niemand gegeben als von sich selber und niemand anderem als sich selber. Im göttlichen unerschaffenen Sein ist er dieses ganze Sein Selber, im erschaffenen Sein ist der göttliche Geist um eine Unermeßlichkeit mehr als dieses, das seine Schöpfung ist; der erschaffene Geist aber um eine Unermeßlichkeit weniger als das ganze göttliche Sein.

 

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Was über das Wesen des Geistes gesagt worden ist, gilt vom Geiste überhaupt, nicht bloß vom menschlichen, nämlich, daß er das ist, was dem Sein entspricht. Er ist in weitem, umfassendem Sinne das Sprechen des Seins und darum sein Entsprechen. Seine primordiale Natur ist also ein Verstehen, ein Erkennen, ein intelligere, wagen wir es ruhig zu sagen, weil es die Wahrheit ist, natürliche und geoffenbarte: der Intellekt, dessen Ausdruck ein »Wort«, eine Sprache ist. Nehmen wir dem Worte die Mißverständnisse, die es entstellt haben, so daß Dummheit oder Bosheit es dem niedrigen Spott, der Verachtung, dem ungeordneten Hasse preisgegeben haben. Das Wort hat bei Thomas von Aquin den Sinn des intus legere, des Lesens im Innern, von innen, nach innen in allen Dimensionen. Das ist ein ausgezeichnetes Bild, das man vom Begriff und dem Wesen des Intellektes sich machen kann und das ja auch die Materie des Wortes ist, aber es ist das doch nur für den Menschen, der eben schreiben und lesen kann. Indes hat es unzählbare Menschen gegeben und gibt es heute noch viele, die nicht schreiben und lesen konnten und können und dennoch den Geist als ihr gegenüber dem Tiere auszeichnendes, sie erst als Menschen bestimmendes Merkmal haben und damit also auch in erster Linie das intelligere, das im Inneren Lesen: den Intellekt. Doch nicht nur das, entscheidender ist, daß höhere Geister, als der Mensch es ist, die Engel und schließlich der höchste Unerschaffene Geist Selber, Gott Selber, das Wesen des Intellektes in eminenterem Sinne und schließlich im absoluten haben, wiewohl von ihnen nur in einem kindlich übertragenen Sinne gesagt werden kann, daß sie »lesen«, auch wenn wir diesem Worte seinen weiteren und ursprünglicheren Sinn des Sammelns, des Zusammennehmens geben – das Auslesen, das Erlesen ist wieder etwas anderes und kommt sehr wohl allen Geistern, dem Geist überhaupt zu.

 

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Jedes Bild ist ungenügend für die Bestimmung und Erkenntnis des Geistes. Eines muß dem anderen helfen, und alle möglichen zusammengenommen erreichen sowenig ihn selber wie ein unendliches Polygon den Kreis. Doch gibt es qualitativ wichtige und wesentliche, wie eben das intus legere, das im Innersten Lesen und Sammeln und Zusammennehmen, und eben das Sprechen und Entsprechen, von dem wir am Anfang gesprochen haben. Der Intellekt wird auch genannt ein Licht, ein lumen, der menschliche Intellekt ein lumen naturale, ein natürliches Licht. Dadurch ist ein neues bedeutendes Bild gewonnen. Das edelste, feinste Element, Licht, wird als Wesen des Intellekts erkannt. Er ist das Licht, das das Sein erhellt, doch nicht bloß so, daß es von außen käme – das ist noch eine rohe Darstellung –, sondern daß es im Inneren des Seins ist, aus ihm geschlagen wird, aus ihm ausbricht. Das volle Sein in sich ist lichtvoll, ist intelligibel. Nichts ist außer dem Lichte als die Finsternis, und dieses sieht nur das Licht. Nichts ist außer dem Sein als allein das Nichts, und daß dieses so ist, erkennt allein der Intellekt. Darum mag er mit Recht dem Lichte verglichen werden, und zwar durch alle Analogien hindurch, angefangen sogar schon mit der sinnlichen Erkenntnis der Tiere, die das Wesen des Intellekts, eine Entsprechung des Seins selber in seiner Allgemeinheit zu sein, noch nicht hat, über den niedersten Intellekt, welcher der des Menschen ist, und den höchst erschaffenen, welcher der der Engel ist, bis zu dem Unerschaffenen vollkommenen Gottes, welcher unzugängliches, alles durchdringendes Licht ist.

 

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Schließlich aber ist der Intellekt auch ein Leben, und nichts ist heute wichtiger, als dieses zu erkennen, nicht bloß die Funktion eines physisch-psychischen Lebens, wie das eine sogenannte biologische Philosophie meint, sondern ein volles immaterielles Leben, ein im Innersten und Neuen unvergleichliches Leben sui generis, ein Leben also, das »in sich« wesensmäßig Körper und Materie nicht verlangt, während die animalische Seele »in sich« und wesensmäßig das tut. Die menschliche Geistseele erfordert in diesem Leben als conditio sine qua non Leib und Materie, aber nicht »in sich«. Sie kann sich davon lösen und tut es im Tode, allerdings um wieder mit ihnen vereinigt zu werden am letzten Tage. Die Erkenntnis ist eine Frucht des Intellekts. Die unumstoßbaren Gesetze der Metaphysik und der von ihr abhängigen Logik lassen oft eine Täuschung zu über den organischen, also nur in einem Leben vorfindlichen Prozeß des Erkennens. Erkenntnis ist nicht das mechanische Spiel einer Art von Maschine, nicht ursprünglich eine Technik, sondern ein Leben, nach dem tiefen Worte des Aristoteles ἡ γὰρ νοῦ ἐνέργεια ζωή. Ist dieses einmal unverlierbar erkannt, dann ist vieles gewonnen, um gefeit zu sein gegen die Mode finsterer Tage, die Mode der Panpsychik, die im Gegensatz zu einem Panmaterialismus das Leben der Gefühle zum beherrschenden Mittelpunkt macht und das Leben der Menschen verwirrt.

 

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Der menschliche Geist ist als Ganzes eine Dreifaltigkeit aus Fühlen, Erkennen und Wollen. Beschränken muß ich mich hier. Ich habe die Wahl. Ich treffe sie zugunsten und zu Ehren des Intellekts, von dem gesagt wird, daß er »das Geheimnis« und das Leben und die Seele zerstöre, um später vielleicht vom Wollen und Fühlen zu reden. Der Intellekt, wenn er in der Ordnung bleibt und nicht aus dem Sein ausbricht, nicht sich separiert und selbständig macht, nicht sich selber angafft, anstatt das reale Sein anzuschauen, nicht sich selber wesenlos spielend spiegelt, sondern treu das Sein, in welchem er ist wie nichts sonst, das ganze Sein, nicht bloß das logische oder mathematische, sondern auch das Konkrete – er ist im Gegenteil der rechte Wahrer und Bewahrer des Geheimnisses. Er stellt es ins Licht – als Geheimnis. Es ist das lichte Geheimnis, das durch das Geheimnis des Lichts, der Sonne, auch vom Geheimnis der Nacht und der Finsternis Kunde gibt. Ich verteidige den Primat des lichten Geheimnisses über das dunkle der Verächter des Intellekts.

Was ist der Mensch?

 

1

Was immer der Mensch von sich selber oder anderen sagen mag, daß er oder es sei, es ist sein Geist, der es sagt.

Wohl »sagen« alle Dinge selber uneigentlich und in gewissem Sinne, was sie sind: der Stein, daß er Stein ist, der Baum, daß er Baum ist, das Tier, daß es Tier ist. Sie sagen es uneigentlich für einen eigentlichen Geist, indem sie »sind« und das sind, was sie sind. Sie sind alle »geisthaft«, sie sind durch ihr Sein gleichsam in der Haft des Geistes, weil sie sind und etwas sind, aber sie sind nicht »Geister«. Das will sagen, daß sie weder sich selber noch anderen »Namen« geben können. Dieses kann in dieser Welt nur der Mensch, weil er »Geist« ist oder doch nach der Sprechweise Kierkegaards zuoberst als Geist »angelegt« ist. Alle die realen Dinge und die vielen Verschiedenheiten in ihnen sind »geisthaft«, sind von oben her in der Haft des Geistes. Wäre es anders, der Geist des Menschen könnte ihnen freilich keine Namen geben, denn eine Verwandtschaft muß sein. Der Geist im Menschen ist das Innerste und Oberste seines Seins und deshalb imstande, auch all das Geisthafte, das selber Geist nicht ist, zu benennen. Die Würde und der Anspruch alles Seins und Daseins, einen Namen zu haben und zu erhalten, wächst mit seiner Geisthaftigkeit bis zu dem selber Geistsein, das allein »Namen« geben kann. Der höchste Name ist das Sein Selber, der Eigenname Gottes, den Er mit niemand teilt: Ego sum qui sum. Der letzte Name, den der Geist des Menschen geben kann und der eigentlich schon keiner mehr ist, ist das »Nichts«. Nur die Person hat einen eigenen Namen, auch wenn der menschliche Geist dieses zu wissen und zu erkennen zwar noch imstande ist, aber nicht imstande, ihm faktisch Ausdruck zu geben, weil hieran nämlich eine wesenhafte Schwäche seiner selbst und seiner Sprache ihn hindert. Jede »Person« hat einen »eigenen« Namen; das Sandkorn hat keinen, geschweige denn ein Atom. In diesem »geisthaften« Sein lebt und bewegt sich der menschliche Geist. In einem höheren Grade noch erlebt sicherlich die »Geisthaftigkeit« alles Seins, das doch selber nicht Geist ist, und ihr konkretes Maß jener Mensch, der nicht nur ein intellektuelles, sondern ein spirituales Leben führt. Dort erfüllt sich auch die Intellektualität des menschlichen Geistes.

 

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Was immer ein Mensch von sich und von anderem sagen mag, daß er oder es sei, es ist sein Geist, der es sagt – doch, was im besonderen, welche Mächtigkeit in seinem Geiste sagt etwas, indem es Namen gibt und ein Sein, ein Daß und ein Was von ihm aussagt. Nicht sein Fühlen und nicht sein Wollen, so viel und so stark und oft entscheidend sie auch daran mitbeteiligt sein mögen und sind, da »der menschliche Geist« immer eine Einheit aus diesen Drei ist, sondern sein Erkennen, sein Intellekt, dessen Richtschnur und Ziel das Sein und die Wahrheit ist. Der Intellekt ist der Lichtkern des Geistes; so rohe Bilder müssen wir gebrauchen – wenn wir sie auch spiritualisieren können, das Geheimnis aller echten Mystik und Mystiker! –, denn uns ist nicht verstattet, das eigentliche Wesen des Geistes – seine Immaterialität – positiv zu sagen, sondern in der Abstraktion nur durch eine Negation: er ist nicht materiell, immateriell, und dann in der Konkretion durch Bilder, an denen immer etwas von der Materialität unseres sinnlich-seelischen Lebens haftet, Bilder, die in Auswahl und in steigenden Graden das eigentlich Immaterielle, wenn auch in ewiger Asymptotik, zu erreichen suchen, Bilder wie spiritus, Pneuma, Hauch, Odem, Licht, Ton. Alle diese Bilder und die vielen anderen, sozusagen schwereren, steigern ihre »Intellektualität« im spiritualen Leben des Religiösen dadurch, daß sie in die Sphäre der Gleichnisse, der Symbole für göttliches Sein eingehen. In der höchsten Konkretion wird die äußerste Grenze der Materialität lebendig vom menschlichen Geiste erreicht, nicht in der toten Abstraktion. Diese freilich ist dem Menschen notwendig. Denn er ist nicht reiner Intellekt, wie der Engel. Das Wesen seines erkennenden Geistes ist nicht das unmittelbare geistige Sehen, die intellektuelle Einsicht, sondern das Denken, die ratio, die aber als Ausgang und als Ziel eben die intellektuelle Einsicht haben, das geistige Sehen. Darum sagte ich, daß der Intellekt der Lichtkern des menschlichen Geistes sei, soweit er Erkenntnis ist. Die Eigentlichkeit des menschlich erkennenden Geistes ist seinsmäßig besser bezeichnet mit ratio. Der Mensch ist animal rationale.

 

3

Was immer ein Mensch von sich und von anderem sagen mag, daß er oder es sei, es ist sein Geist, der es sagt, und in diesem Geiste dessen Lichtkern: der Intellekt. Darum ist und bleibt der klassische Terminus einer natürlichen Anthropologie, daß der Mensch sei das animal rationale; des Menschen Würde und Auszeichnung ist sein Denken; darüber läßt kein starker Denker sich täuschen. Man hat in moderner Zeit manche anderen Bestimmungen und Definitionen des Menschen versucht, ich will gar nicht von Skurrilitäten sprechen, wie daß der Mensch ein Raubtier mit größerem Gehirn sei, und ähnlichem. Der Mensch ist aus Reaktion auf einen heruntergekommenen Rationalismus und Idealismus ein homo faber genannt worden, was aber eine philosophische Unzulänglichkeit ist. Das erste Wort sagt zuviel, das zweite zuwenig und zuviel. Das erste nimmt alles schon vorweg; in ihm – homo – ist ja von Anfang an schon immer, seitdem es aufgekommen ist, die Rationalität einbeschlossen; das zweite ist einmal zuwenig, denn mit ihm können auch rückwirkend alle geflügelten und ungeflügelten vier- und vielfüßigen Tiere bezeichnet werden, deren fabri und Nestbauer an instinktiver »Ingeniosität« unsere Häuser und Städte übertreffen können, und dann zuviel, denn der Mensch ist faber, Handwerker, Arbeiter auf Grund seines Intellekts, von ihm nicht zu lösen. Das Tier kann nicht sagen, daß es ein Nest baut, noch woraus es sein Nest baut, denn es kann keine Namen geben. Nicht von der Ameise her kennen wir, was Arbeit ist, sondern von uns Menschen her. Arbeiten ist menschlich. Unser Tun wird auf die Ameise übertragen. Nicht umgekehrt. Es wäre eine sehr reale, wenn auch partielle Definition des Menschen, daß er sei: animal laborans.

 

4

Freilich ist hier ja nicht zu vergessen, daß das Widerspiel zu homo faber nicht animal rationale, sondern homo sapiens ist, und auch diese Definition also keine primäre ist. Es ist hier wie dort das gleiche zu sagen: homo setzt den Intellekt, besser die ratio, schon voraus, sapientia setzt das Wissen und Erkennen voraus und gründet darauf, auch wenn sie zu schöner, real untrennbarer Einheit geworden ist. Homo sapiens aber bleibt in gerader Linie eine Erweiterung und ein Ziel des Menschen als animal rationale. Im Begriffe des homo faber aber ist eine neue Komponente: nämlich das Schöpferische und die Arbeit. Die Frage ist also hier nicht die Priorität des Wissens vor der Weisheit, sondern die des Schaffens und Arbeitens, vor dem Wissen und der Weisheit. Die Begriffe Weisheit und Schaffen sind jeweils um einen qualitativen Grad höher als Wissen und Arbeiten. An der Weisheit ist der ganze menschliche Geist beteiligt, also: Erkennen, Fühlen und Wollen, am Wissen in der Hauptsache nur der Intellekt. Schaffen kann nicht sein ohne Arbeiten, bringt aber hinzu das Schöpferische, denn nicht jede Arbeit ist schöpferisch. Eigentlich ist dadurch für uns die Hauptfrage auch wieder entschieden.

Denn schöpferisch ist formell nur der Logos, dessen Kern ein sehender Intellekt ist. Die natürliche Ordnung, die der irrtumsfähige Intellekt und der das Böse wählenkönnende Wille des Menschen pervertieren kann, ist, daß das Schaffen, das Schöpferische im Menschen, das Was und Wie des Arbeitens und der Arbeit bestimme, wie daß die Weisheit das Wissen lenke und auswähle. Über die Definition des Menschen als animal laborans steht die höhere, aber auch partielle, daß er sei: animal creans. Ist der Mensch zuerst – gemeint im metaphysischen ordofaber oder sapiens? Wie ist er geschaffen? Selbst wenn beide Prinzipien – Weisheit und Schaffen, wie es sein soll, eine zeitliche Einheit im Menschen bilden – sind sie gleichbedeutend nebeneinander? Das wäre eine Zerreißung des Menschen. Es gibt hier kein verbindungsloses Nebeneinander. Wir sind Hierarchisten. Also was ist Wahrheit? Ist zuerst die Tat, und also der homo faber, oder ist zuerst das Wort, und also der homo sapiens?

 

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Auch gewisse Tiere arbeiten nicht nur, sondern schaffen. Dennoch spricht man nicht von einem animal faber oder einem animal sapiens, sondern nur vom homo faber und vom homo sapiens. Warum? Weil im » homo« das animal rationale vorausgesetzt ist, eine natürliche Transzendenz des Animalischen; die ratio, deren Lichtkern der Intellekt ist, das Innerste und Primäre des Geistes, die Bedingung einer Freiheit, die das Tier nicht hat, und der »Kontemplation«, die es noch weniger hat. Das arbeitende und schaffende Tier, das hart, mühevoll arbeitende, das zielvoll, künstlerisch, schöpferisch schaffende Tier ist im Ernst nicht Vorbild des Menschen, wie der Mensch dem Menschen, es sei denn in der moralisierenden Fabel, wohl aber ist es Sinnbild sowohl für das Ethos der Arbeit – Fleiß, Ausdauer – wie für Telos und Ästhetik des Schaffens; ja für die Weisheit und die zu ihr gehörende natürliche Kontemplation; die Eule, welche das natürlich kontemplativste Volk seine weise, jungfräuliche Göttin begleiten heißt. Die Symbolhaftigkeit der Tiere ist ein großes Geheimnis, für das die Augen der Menschheit blöde geworden sind. Es ist uraltem Sehen und Erkennen kaum ein neues gefolgt, wiewohl ein solches Fortschreiten sowohl qualitativ wie quantitativ durchaus denkbar ist. Die Schöpfung ist für den Menschen da, aber nicht bloß für seinen »Nutzen«, für seine materielle Beherrschung, für seine Kontemplation, die auch nicht einfach identisch ist mit seiner wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern diese transzendiert. Auch ist damit nicht bloß die künstlerische Kontemplation gemeint, die der Höhlenmensch schon hatte im Gegensatz zu manchem modernen Tiermaler, der nur das physikalische Auge eines Photographenapparates hat – es ist die Kontemplation des Weisen gemeint, ja die des Glaubenden und Heiligen, welche die höchste ist.

 

6

Näher und bestimmter kann der natürliche Geist erkennend nicht an das Wesen des Menschen herankommen, als daß er ihn ein vernünftiges, ein denkendes Lebewesen, ein animal rationale nennt. Es sei hier wiederholt, daß der Mensch als niederster Geist nicht reiner Intellekt ist wie der Engel, sondern ratio. Er braucht das diskursive Denken. Intellekt aber ist unmittelbare Einsicht. Und noch etwas: ratio ist Arbeit, Intellekt nicht. Indessen hat die ratio als Ausgang wie als Ende den Intellekt, das intellektuelle Sehen und Einsehen. Einer der größten Denker unseres christlichen Abendlandes faßte den Begriff des Lebewesens so weit, daß er den Menschen ein denkendes Schilfrohr nannte, un roseau pensant. Ein geringes Etwas von Leibseele mußte sein als notwendiges Fundament überhaupt eines Erkennens und Denkens. Ein denkender Stein wäre zuviel der Paradoxie für uns Europäer. Er gehört ins Märchen oder in die Symbolik. Saxa loquuntur. Das sinnlich-seelische Leben ist die Voraussetzung des geistigen Lebens in dieser Welt.

 

7

Man würde die Bestimmung des Menschen verfehlen, wollte man ihn ein fühlendes Lebewesen nennen, denn ein solches ist auch das Tier, ja die Pflanze; man würde sie zwar nicht so ganz verfehlen, wollte man ihn ein wollendes Lebewesen nennen, denn in der Tat: auch das ist in dieser Welt nur der Mensch. Das eigentliche Wollen, jenseits des Triebes, des Dranges, kommt nur dem Menschen zu. Aber diese Definition wäre ungenau, indem sie sich überlädt, zuviel in sich aufnimmt und aussagt, da das eigentliche Wollen jenseits des Triebes als Voraussetzung den Intellekt hat, die ratio, eben das Denken, oder sie wäre überhaupt falsch und absurd, indem sie den Willen metaphysisch vor die Vernunft stellt, eine Folge und Äußerung des Seins vor dieses selber. Es heißt hier also nicht: stat pro ratione voluntas, ein Satz, der das rechte und gesunde Verhältnis voraussetzt, indem er eine Verkehrtheit denunziert, sondern sogar: stat ante rationem voluntas; das ist eine verkehrte Metaphysik, in der der Wille nicht der Wahrheit untergeordnet ist, wodurch er erst ein guter ist, sondern der Wille überhaupt erst die Wahrheit macht, erschafft, setzt. Sogar die Erste Wahrheit, also die Wahrheit Gottes, was eine Absurdität ist! Ein Abgrund der Sinnlosigkeit.

 

8

Es gibt eine Definition des Menschen von der christlichen Offenbarung her: daß er sei imago Dei, ein Ebenbild Gottes. Zu ihr ist von der Natur des menschlichen Geistes her niemals zu gelangen. Sie ist ein Satz des Glaubens. Jede natürliche Anthropologie, die damit anfängt, die Stellung des Menschen in diesem Universum unterscheidend gegenüber allen anderen Dingen dieser Welt, unähnlichen und ähnlichen, zu bezeichnen, kann nicht weniger sagen, als daß er animal rationale sei, aber auch nicht mehr. Damit ist die Forderung einer echten Definition erfüllt! Kein Haar zuwenig und keines zuviel. Sie kann als Folge dieses Satzes noch sagen, daß der Mensch quodammodo omnia sei, eben weil er »Geist« hat, in dessen Natur es liegt, auf seine Weise, auf die unvergleichliche Weise des Geistes, auf immaterielle Weise, sich alles anzueignen, durch Erkennen im Erkennen »alles« zu werden: Stein, Pflanze und Tier. Mehr kann als Ausgang, als Fundament die natürliche Anthropologie nicht sagen, sie kann von selber nicht zum Ausgangspunkt der christlichen Anthropologie gelangen, welcher ist, daß der Mensch imago Dei, Ebenbild Gottes ist. Wenn es überhaupt einen Sinn haben soll, von einer christlichen Anthropologie zu reden, so kann es nur der sein, daß sie zu allem natürlich Gegebenen auch die Gegebenheit der Offenbarung hat, die Tatsachen und Konsequenzen einer Offenbarungsreligion und Theologie. Der Satz, daß der Mensch imago Dei sei, ist ein offenbarter Satz, keiner, den die Philosophie und die natürliche Theologie finden könnte.

 

9

Keine andere natürliche Definition des Menschen kann sich messen mit der klassischen, daß er animal rationale sei, daß die Würde und der Adel seines Wesens und seiner Existenz das Denken sei. Es gibt freilich eine, die nur eine geringe Stufe unter ihr ist, die fast wie gleich und gleich neben ihr steht. Es ist die, daß der Mensch Mensch ist durch die Sprache; daß er das einzige Wesen ist in dieser Welt, das die Gabe der Sprache hat; der Sprache im vollen und eigentlichen Sinne, den sie erst hat durch den Geist, durch das Intellektuelle und Rationale im Geiste; daß er animal loquens sei. Die Gabe des Schreiens in allen Graden ist auch schon in hohem Maße vielen Tieren gegeben und damit die Möglichkeit seelischen Ausdrucks in Lust und Schmerz und auch die Möglichkeit der Mitteilung als Ruf der Lockung oder der Warnung. Wäre die Aufgabe der Sprache nur Ausdruck eigener Lust und Pein oder im höchsten Falle Ausdruck sympathetischer Gefühle, also der Mitfreude und des Mitleidens, wäre sie gar nur Mittel der Verständigung und der konkreten Mitteilung konkreter Dinge und Vorgänge, es käme in der Sprache, die der Mensch hat, nichts wesentlich Neues hinzu –: bei vielen Tieren ist das alles auch schon zu finden. So aber hat nur der Mensch im eigentlichen Sinne Sprache, ähnlich wie nur er im eigentlichen Sinne Geschichte hat. Die Sprache des Menschen ist vom Geiste gezeugt aus der Materie der Töne, aus dem seelisch-leiblichen Schreien und Rufen und Mitteilen der Tiere, sie ist die reich dotierte Tochter des erschaffenen Logos, die auch der Unerschaffene freien kann und gefreit hat. Die Sprache, die uneigentlich als Klang und Ton schon Dinge der unbelebten Natur haben, vor allem der unsichtbare Wind, darum so leicht ein Sinnbild und Gleichnis des unsichtbaren Geistes, sein leises Wehen und sein Stürmen und alles, was er bewegt, das Meer und die Bäume, in steigendem Maße aber viele Tiere haben, wird zur eigentlichen erst dadurch, daß sie Existenz und Essenz, Sein und Dasein kategorisch aussagt. Sprache ist erst Sprache durch die Möglichkeit der Grammatik: daß sie zwischen Subjekt und Prädikat unterscheidet, daß sie das Verbum hat und vor allem das in allen allgegenwärtige Verbum »sein«. Dieses kleine Wort ist das Verbum in der Totalität. Es kann zu allem werden: Hauptwort und Zeitwort und alles, was dazwischen und daneben ist.

Die Armut des menschlichen Geistes

Im Verhältnis zu der immanenten Forderung des Geistes überhaupt, als intellectus dem Sein, allem und jedem im gebührenden Maße zu entsprechen, ist der menschliche Geist, wie auch sein Wort und seine Sprache, ein armer Geist. Das Wesen des menschlichen Geistes, insofern er menschlich ist, ist seine Armut. Die Armut des menschlichen Geistes besteht in drei Mängeln, die dem Wesen des vollkommenen Geistes widersprechen.

 

1

Der menschliche Geist gewinnt die Erkenntnis seiner selbst und seiner Funktionen nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch die Erkenntnis dessen, was außer ihm ist und woran er sein lebendiges Wirken, sein Sehen übt. Ihm gegenüber aber ist im Sein sowohl das materielle wie das seelische wie das geistige Sein, die ihm gegeben sind, und auch diese Unterscheidung selber ist ihm gegeben oder aufgegeben, auf keinen Fall seine Konstruktion. Man könnte, ein Wort Pascals variierend, sagen, der menschliche Geist sei une lumière voyante, ein sehendes Licht. Dächte man sich die Sonne lebendig, also selber sehend, denn Sehen setzt das Leben voraus, nur ein lebendiges Sein kann sehen, sie könnte nicht unmittelbar sich selber sehen, sie sähe zuerst alle Dinge und darin und daran und dadurch erst reflexiv sich selber. So beschaffen aber ist der menschliche Geist, soweit es um Erkennen geht, das ja ein Sehen entweder von Anfang ist oder es als Ende und Ziel hat; solcher Art ist der menschliche Geist als lebendiges natürliches sehendes Licht. Der menschliche Geist ist in einer erschaffenen analogen Weise auch schöpferisch. Er lernt also sich selber nicht nur kennen aus den Werken, die in keiner Weise, sowenig wie er selber, von ihm selber geschaffen sind, da sie von Gott, dem Unerschaffenen Schöpfer, erschaffen und ihm »gegeben« sind, sondern er lernt sich selber reflexiv kennen auch aus seinen eigenen Werken, aus dem, was er selber schafft und tut. Der menschliche Geist, der selber durch Arbeit ein Werk tut, schafft eben dadurch die Bedingung, durch Reflexion sich selber besser zu erkennen, indem er auf das Wie und Was seines eigenen Tuns und Schaffens den Blick seines eigenen Lichtes wirft, als denkendes Licht, als lumière pensante. Denn Denken ist Arbeit, was man vom Sehen und gar vom intelligere nicht sagen kann. Insofern ist jede echte Philosophie des Menschen nicht nur ein Sehen und Erkennen, sondern auch ein Werk. Sie muß ja Sätze aufstellen, und aus jedem Satze lernt der menschliche Geist auch sich selber erkennen, in der Wahrheit oder im Irrtum, je nachdem sie einen wahren oder einen falschen Satz aufstellt. Übertragen wir dieses Wesen des menschlichen Geistes, das einen Mangel bezeichnet, auf den göttlichen Geist, so folgt fast notwendig ein beherrschendes Theologumenon unserer Zeit: Gott, der göttliche Geist, lernt sich selber erst kennen und erkennen in seiner und durch seine Schöpfung. Er ist insofern ein werdender Gott. Gott wird ein gigantisches Ebenbild des Menschen. Dagegen ist auf der irrigen Ebene solcher Philosophien kaum etwas zu sagen. Ist Gott, ist der göttliche Geist nur die gigantische gradlinige Vergrößerung und Erweiterung des menschlichen Geistes, ist er eine tabula rasa von kosmischer und akosmischer Unermeßlichkeit, dann ist nicht einzusehen, wie er anders zur Selbsterkenntnis und zum Selbstbewußtsein gelangen sollte als eben der menschliche Geist auch, nach dessen Bild er gebildet wird. Auch die gesunde natürliche Theologie kommt nur bis zum ewigen IST, das Gott ist, bis zum Auge, das alles und alle Dinge sieht, außer sich selber, bis zum unbeweglichen Beweger. Daß der Geist Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit Sein Sein in einem zeitlosen Nu ergründet, das ist ein Satz der Offenbarung. Das weiß der Mensch allein durch die Offenbarung, welche damit begann, daß Gott Seinen Namen offenbarte: Ich bin, der Ich bin, Ego sum qui sum. Dieser Name kündet das Sich Selbsthaben Gottes in Seinem Geiste, in Seinem Wissen. Die Offenbarung ist weitergegangen bis zur Offenbarung des innersten Lebens Gottes, der Trinität. Das Wort Gottes ist Selber Gott, der Ewige Logos, Licht vom Lichte, wahres Licht vom wahren Lichte, lumen de lumine, lumen verum de lumine vero. Gott ist das ewig Sich Selber sehende Ewige Licht. Seine Selbsterkenntnis ist nicht abhängig von Seiner Schöpfung und Seinen Werken. Wohl aber ist die Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes abhängig von Seiner Schöpfung und Seinen Werken. Wohl aber ist die Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes abhängig von den Werken Gottes, zu denen er selber gehört, und von seinen eigenen. Das ist ein Mangel des menschlichen Geistes, den er empfinden kann, auch wenn er von sich aus ohne Offenbarung keine Möglichkeit sieht, daß er behoben werden könnte. Ein Mangel aber ist immer ein Kennzeichen von Armut.

 

2

Der zweite Mangel des menschlichen Geistes, ein größerer und härterer als der erste, ist seine unaufhebbare Unfähigkeit, sein eigenes und eigentliches Wesen gegenüber allem anderen Sein anders als in uneigener und uneigentlicher Sprache auszudrücken: er kann nur durch eine Negation sein doch so über alle Maßen positives Sein ausdrücken: seine Immaterialität. Er ist das, was nicht Materie ist. Es ist, wie wenn die Menschheit für Licht keinen Eigennamen hätte, sondern gezwungen wäre, es immer nur als das zu bezeichnen, was nicht Nacht, was Unnacht ist. Vielleicht können reine Geister wie die Engel entgegengesetzterweise alles Materielle in ihrem »Wort« nur erfassen als das, was nicht geistig, nicht voll intelligibel ist. Dieser Mangel des menschlichen Geistes hat seinen ersten Grund in dessen Gebundenheit an Materie und Leibseele und seinen zweiten in der daraus folgenden Schwäche seiner Sprache, die mehr noch als er selber an Leib und Seele gebunden ist. Es soll keiner mich übertreffen im Preise der Sprache, wenn es in der Wahrheit geschieht. Aber nicht nur der beleidigt sie, der sie auf einen Schemel setzt, wo ihr ein Thron gebührt, auch der tut es, der ihr unwahr eine Krone aufsetzt, die nur ihrem Herrn, dem Logos, zukommt. Wenn das Denken des menschlichen Geistes zweifellos der Sprache bedarf, so ist doch nicht Denken = Sprechen und ist die hierarchische Stufung ganz klar. Der Geist des Menschen ist mehr als die Sprache, und er ist der Herr. Jeder, der hier Einsicht hat, wird sich wohl hüten, zu sagen, daß ein Gedanke, der vergeblich nach dem Worte sucht und um die Sprache ringt, deshalb nicht sei, nicht dasei und nicht wirke. Gewiß, er ist wie eine Seele ohne Leib, es fehlt ihm etwas, was für ihn geschaffen werden muß oder was er sich selber schaffen muß, aber er kann auch ohne leibseelische Sprache sein wie die Geistseele ohne den ihr adäquaten Leib. Das Höchste der Sprache ist, daß sie etwas meinen kann, das die Grenzen ihrer Wörter überschreitet. Das ist der höchste Liebesdienst, den sie dem menschlichen Geiste erweisen kann, demütig und aufrichtig zu versagen in der Anstrengung, das Unsagbare zu sagen, so daß eben ihr Versagen ein Beweis wird für die Macht und Realität dessen, was immateriell und deshalb für sie unsagbar ist. Versucht sie, aus Stolz und falschem Wetteifer zu lügen, aus dem Munde eines törichten oder bösen Menschen, daß sie nicht versage, so kann sie den menschlichen Geist in eine schmachvolle Knechtschaft und Hörigkeit bringen, so daß sie beide jener Freiheit verlustig gehen, die allein die Wahrheit gibt, die Wahrheit, um deretwillen der menschliche Geist und seine treueste Magd, seine freieste Tochter zuerst da sind und leben und wirken. Der menschliche Geist gerät in die Hörigkeit des magischen Wortes, ja des magischen Klanges, der niedersten und materiellsten Komponente der Sprache.

 

3

Der dritte Mangel des menschlichen Geistes, ein größerer und härterer noch als der erste und der zweite, ist seine Fähigkeit, zu irren, oder sollen wir es positiver negativ sagen, seine Unfähigkeit, nicht zu irren. Der menschliche Geist ist der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt, eine Möglichkeit, von der er reichlich Gebrauch macht. Er ist der folgenreichste, er stürzt den Menschen in heilloses Elend, aus dem er durch eigene Kräfte nicht zu heben ist. Der menschliche Geist ist dem Irrtum unterworfen als erkennender und dadurch auch als schaffender.

Gibt es im Sein und Geschehen dieser Welt etwas Analogisches wie den Irrtum im Sein und Leben des menschlichen Geistes? Irrt jemals ein Stein, der geworfen wird, und fällt nicht wieder herab oder in einer anderen Bahn, als die ihm vorgezeichnet ist? Irrt das Wasser und fließt einmal aus Versehen bergauf statt bergab? Und wenn es das tut ohne zureichende natürliche Ursache, den Wind oder eine Pumpe, hat gerade der wissenschaftliche Geist des Menschen eine andere Erklärung, als daß es ein »Wunder« sei? Hält er es andererseits für ein Wunder und nicht für die natürlichste Sache der Welt, daß große wissenschaftliche Systeme von Irrtümern strotzen können? Schießt ein Kristall je in andere Form, als die sein Gesetz ist? Ist hier etwas, das eine Ähnlichkeit hätte mit »Irren« und vielleicht den Namen eines objektiven Irrtums verdiente? Doch wohl nicht. Selbst ein Atomtheoretiker, der in seinem Felde die ausnahmslose Wirkung der Kausalität leugnet – ob er sich dabei nun philosophisch selber versteht oder nicht, ist eine andere Frage – und nur noch mehr oder weniger vage Gesetze der Statistik anerkennt, wird doch niemals im Ernst davon reden, daß ein Atom in seinen Bewegungen sich täuschen, irren kann, er wird nicht das Wort Irrtum gebrauchen, sondern das Wort »Zufall«, was etwas ganz anderes ist und nicht außerhalb, sondern innerhalb der Kausalität seinen vernünftigen Sinn bekommt.

Wiewohl die physikalischen Gesetze, die wir auch Naturgesetze nennen, in und aus sich durchaus nicht dieselbe Evidenz haben wie die logischen Gesetze, werden diese im Denken des menschlichen Geistes in einer kläglich unzulänglichen Weise realisiert gefunden, jene aber fast unfehlbar im Wirken des physikalischen Seins. Der menschliche Geist hat, um es euphemistisch zu sagen, die Gabe des Irrtums, die die ungeistige Natur in keiner Weise hat. »Irrt« sie einmal, so »irrt« sie durch eine höhere Macht, durch den unmittelbaren Eingriff des göttlichen Geistes, welcher das Wunder im theologischen Sinne konstituiert. Im vollen Gegensatze dazu gilt, daß nicht der Irrtum des menschlichen Geistes ein »Wunder« ist, sondern seine Irrtumslosigkeit. Irren ist menschlich, errare humanum est, d. h. Irren gehört gerade zur »Natur« des menschlichen Geistes. Nicht zu irren, ist übermenschlich, übernatürlich, göttlich. Die Unfehlbarkeit des Lehramts der Kirche, als Kirche, gehört nicht zur Natur des menschlichen Geistes, sondern ist ein immer wiederholtes »Wunder«, bedingt durch den unmittelbaren Eingriff des Geistes Gottes, des Heiligen Geistes. Wer immer auf natürlichem Boden diese Unfehlbarkeit für eine menschliche Philosophie theoretisch oder praktisch nachmachen will, der wird zum furchtbarsten Feinde des Menschen, der humanitas, der Wahrheit! Ist aber vielleicht eine vage Analogie zum Irrenkönnen und faktischen Irren des menschlichen Geistes in der höheren, geisthafteren Natur, welche die der Pflanzen und der Tiere ist? Vielleicht, wenn man von der Irrtumsfähigkeit der tierischen Instinkte redet. Doch wie dem auch sei, es wären sehr vage, mit großer Vorsicht auszusagende Analogien, da im eigentlichen Sinne Irren und Irrtum zu einem wirklichen Geiste gehören, dessen wesenhafter Kern der Intellekt ist. Um, fast möchte man sagen, in Wahrheit irren zu können, braucht es einen zwar schwachen, aber wirklichen Geist, dessen Kriterium eben die Wahrheit ist; der also zwischen Wahr und Falsch unterscheiden kann, der ja oder nein sagen kann. Das kann in dieser sichtbaren Welt nur der Mensch als Träger seines Geistes.

 

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Diese drei Mängel des menschlichen Geistes: 1. daß er nicht unmittelbar sich selber erkennen kann, sondern nur mittelbar im Spiegelbild seiner Gegenstände, ob sie nun materieller, psychischer oder geistiger Natur sind; 2. daß er sein eigentliches Wesen nicht in einem eigentlichen Worte sagen kann, sondern nur negativ und symbolisch durch eine niemals restlose Spiritualisierung der Sprache, und 3. daß er irren kann und faktisch immerzu irrt, was er aber freilich nur deshalb merken kann, weil eben doch die Wahrheit sein gegebenes Seinskriterium ist [ Verum index sui et falsi] – diese drei Mängel machen die Armut des menschlichen Geistes aus, die hinwiederum unter den gegebenen Umständen sein größter Reichtum ist. Durch seine natürliche Armut, nicht durch seinen natürlichen Reichtum, ist der menschliche Geist capax Dei. Hier ist die geistige Wurzel des Geheimnisses der »Armut«, das durch das ganze christliche Sein und Dasein hindurchzieht. Die Rolle, welche die »Armut« im Heilsprozesse spielt, wird nur ausnahmsweise von Heiligen nicht nur erkannt, sondern auch realisiert. Hätte der menschliche Geist in seiner Ordnung die staunenerregende Vollkommenheit, die in der seinigen der Kreis hat und die ihn für so viele »arme« Geister zum Symbol schlechthin der Vollkommenheit macht – es gäbe in Wahrheit nichts Trostloseres, Verzweifelteres, Gnadenloseres. Die Vollkommenheit des Kreises ist, daß er ohne Mangel und ohne Überfluß ist. Man kann von seinem konstitutiven Gesetze nichts wegnehmen, ohne daß er im selben Augenblick aufhört, er selber, ein Kreis zu sein, man kann ihm nichts hinzufügen, was ihn zu mehr machte, als er schon ist. Und alles, was er nicht ist, ist überhaupt nicht für ihn da. Der Kreis kann wohl ein Symbol der Vollkommenheit sein, wenn er der Teil eines größeren Symbols ist, wie der Sonne, die ja wahrlich mehr ist als Kreis oder auch Kugel; sie ist vor allem Licht; er kann aber auch ein Schlangensymbol der geschöpflichen Superbia sein, die stolz nichts annehmen und lieblos nichts hergeben kann und will. Hätte der menschliche Geist von Natur den Reichtum des Kreises, die Autarkie des stoischen Geistes ohne Mangel und ohne Überfluß – er wäre unfähig, mehr zu werden oder gar Gefäß der Gnade zu werden. Hier ist der Ort, uns daran zu erinnern, daß die Seligpreisungen vom Berge herab beginnen mit: Beati pauperes spiritu: Selig sind die Armen im Geiste. Für die Theologie der Heiligen steht es fest, daß die Ordnung der Seligpreisungen keine des »Einfalls« oder »Zufalls« ist, sondern ihren tiefen Sinn im ordo hat; daß also die erste eine unumgängliche Voraussetzung aller folgenden ist. Welch ein Unflat von nichtsnutzigem und stupidem Spott und Hohn ist auf diese erste Seligpreisung des Sohnes Gottes geworfen worden als ungewollter und unbewußter Beweis für die reale Armut des menschlichen Geistes! Es gibt, jeweils auf ihrem spezifischen Gebiete, keine größeren Geister von Natur als Paulus oder Augustinus oder Thomas oder Kierkegaard oder Newman oder Dante oder Pascal oder Newton oder Ampère – sie haben aber alle den gewaltigen individuellen Unterschied ihrer natürlichen Begabung für Spreu und für ein Nichts erachtet vor der wesenhaften Armut des menschlichen Geistes noch diesseits der geistlichen Armut, die nicht mehr nur natürlich, sondern ein Geschenk der Gnade ist, einer Gnade aber, die wie immer ein Natürliches voraussetzt und vollendet, in diesem Falle die natürliche, erschaffene, auf natürliche Weise nicht behebbare Armut des menschlichen Geistes und die auf natürliche Weise prinzipiell erreichbare Erkenntnis eben dieser wesenhaften Armut.


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