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Vorwort

1

Das Urfragen des Menschen ist seinem – des Menschen – Sein entsprechend nicht einfacher Art. Der Mensch ist kein einfaches Wesen, wie es ihm gegenüber der Engel als reiner Geist ist, geschweige denn wie Gott, der es absolut ist. Auch der Engel ist nicht einfach, denn er ist erschaffen. Gott aber ist unerschaffen. Der Zeit und der Not nach ist die Urfrage des Menschen: Was muß ich tun? Aber in ihr ist das Zugeständnis, daß er es nicht weiß. Und so ist der Sache nach die Urfrage: Was muß ich wissen? In der Zeit sind beide Fragen immer ineinander, nicht voneinander zu lösen, werden immer aufeinander zurückgeworfen, aber es ist nicht zu verkennen, welcher der Primat gebührt. Den Primat haben heißt nicht: allein sein; es kann nicht etwas das erste sein, ohne daß ein Zweites ist. Das Herrschende ist nicht ohne das Beherrschte. In jedem primitiven Fragen praktischer Art ist impliziert das Wesen der Wahrheit.

2

Was ist Wahrheit? Die Frage steht spät auf. Ihr geht voran die Frage: Ist das wahr? Aber auch sie ist nicht die erste. Vor ihr kommt noch eine andere: Was ist? Und vor dieser noch: Ist das? oder Ist das so? Die erste Frage – das Fragen überhaupt – taucht auf aus dem Sein selber und richtet sich auf das Sein selber oder ein partikulares Sein. Wohl ist in ihr von vornherein impliziert die Frage nach dem Wahrsein und die nach der Wahrheit, aber es kann lange dauern, bis diese letzte auch explizit gestellt wird – es gibt keinen andern Weg zum Endpunkt aller Fragen. Was ist Wahrheit? Die Religionen der Menschheit stellen diese letzte Frage nicht, außer allein die christliche. Keiner der menschlichen Religionsstifter vorher oder nachher sagte von sich, daß er gekommen sei, für »die Wahrheit« zu zeugen; keiner konfrontiert sich, als existentielle Wahrheit im absoluten Sinne, mit einem Menschen, der fragt: Was ist Wahrheit? Keiner, vorher oder nachher, sagt von sich ausdrücklich: Ich bin die Wahrheit. Das ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Menschen, in der Fülle der Zeit. Über den Wert der »Götter« entscheidet auch heute die sinnlich-sichtbare Macht, nicht die »Wahrheit«, die in diesem Äon mit sinnlich-sichtbarer Ohnmacht gehen kann.

3

Alle vier Evangelisten berichten von der Frage des Pilatus an Christus: Tu es rex Judaeorum? Bist Du der König der Juden? Und Jesus antwortet: Tu dicis. Ich bin es. Es ist die Seinsfrage und Antwort in römischer Klarheit und Härte, ohne Umschweif, ohne Gleichnis, unausweichbar, eindeutig wie Ja und Nein. Johannes aber, der vierte Evangelist, berichtet noch von einer anderen Frage des Pilatus und der Antwort darauf: »Da sagte Pilatus zu ihm, Du bist also doch König? Jesus antwortete: Du sagst es; ich bin König. Ich bin dazu geboren und bin dazu in die Welt gekommen, daß ich Zeugnis für die Wahrheit ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.« Pilatus sagt zu ihm: Was ist Wahrheit? Von da an begann Christus, nicht und nichts mehr zu antworten, ita ut miraretur praeses vehementer, so daß der Landpfleger heftig erstaunte. Es sieht aus, als sei auch die Frage des Pilatus »Was ist Wahrheit?« psychologisch nur ein spontaner Akt der Verwunderung gewesen über eine dem natürlichen Menschen wahrhaft staunenerregende Behauptung: nicht nur König der Juden zu sein, sondern als solcher Zeugnis abzulegen für die Wahrheit. Die Frage gehört zur unheimlichen Rolle des Pilatus, ahnungslos ins Credo zu kommen, in welchem bei Namen sonst nur die drei Personen der Trinität und die Muttergottes genannt werden. »Was ist Wahrheit?« Keiner der großen Weisen und Philosophen der Menschheit hat je die große Frage so klipp und klar gestellt, wie dieser zufällige Landpfleger von Judäa, der von ihren Tiefen und ihrer Bedeutung zweifellos überhaupt nichts ahnte. Die Frage ist ein Blitz in der Nacht. Er fragt nach Wahrheit wie nach einer terra incognita, deren Namen er zum ersten Male gehört hat, um im nächsten Augenblick die Neugier danach zu verlieren, weil anderes, scheinbar Wichtigeres sich vorschiebt. Für eine fremde Insel ein plötzliches Interesse und schon auch der leise Zweifel, ob sie überhaupt existiere. Ich glaube nicht, daß in der subjektiven Meinung des Pilatus Tiefe zu suchen sei, als fragte in ihm eine platonische oder aristotelische Philosophennatur oder gar eine religiös erschütterte. Er fragte, von sich selber aus, oberflächlich und spontan, was ein fremdes oder ungewohnt gebrauchtes Wort zu bedeuten habe, und – erhält keine Antwort. Und dieses: daß er keine Antwort erhält, er, die höchste Autorität, irritiert ihn sicherlich viel mehr – miratur vehementer –, als daß er nun nicht erfährt, was Wahrheit ist. Die Rolle, die der Landpfleger individuell von sich aus in diesem Drama agiert, spielt keine; sie verschwindet hinter der providentiellen, zu der er gegen seinen Willen und seine Lust agiert wird. Er als Individuum reagiert durchaus normal. In der Geschichte der Menschheit gibt es keinen, der ahnungsloser eine exzeptionelle Rolle gespielt hat. Er weiß nicht einmal, daß er eine spielt, geschweige denn, welche er spielt. Es gibt qualitativ keinen größeren Abstand zwischen dem Frager und dem Gefragten: dieser weiß mit göttlicher Gewißheit, was er sagt, jener ahnt kaum, was er fragt. Aber just dieser Sachverhalt offenbart den theologischen, und die Wahrheit: die Antwort ist vor der Frage da. Die Antwort lehrt erst allmählich die Frage richtig verstehen und stellen. Die Offenbarung erst lehrt auch richtig die Hülle und die Verhüllung der »Natur« erkennen. Jedes Wissen der Nacht, daß sie Nacht ist, ist schon ein Schimmer des Lichts, und jede Frage, daß sie nichts weiß, ist schon ein Strahl der Antwort. Es hat nicht einer zuerst gefragt: »Was ist Wahrheit?« und dann als Folge die Antwort erhalten: »Ich bin dazu in die Welt gekommen, daß ich Zeugnis für die Wahrheit ablege«, sondern diese Antwort ging voraus, und der Frager und die Frage folgten nach.

4

In der echten Philosophie schon ist eine leise Analogie zu der erst in der Theologie der Offenbarung adäquat gültigen These! In der Antwort ist die Frage. Nur wo die rechte Antwort schon da ist, können auch die richtigen Fragen richtig gestellt werden, und wo die volle Wahrheit da ist, kann die »Wahrhaftigkeit« ihre Adäquation erreichen. Der Satz, daß die Wahrheit vor der Wahrhaftigkeit ist, ist ein schwieriger Satz für den Menschen, der den Begriff der Wahrhaftigkeit schon für erfüllt hält, wenn er aus seiner Unwahrheit oder Lüge kein Hehl macht, was doch nur die Erfüllung des Begriffs der Schamlosigkeit ist. Der ohnmächtige Stolz des Menschen ist von Anfang an, die Wahrheit ändern zu können nach eigenem Wollen, und dazu soll ihm, im äußersten Falle, sogar die »Wahrhaftigkeit«, als letzte Perversität, dienen. Das Zeichen der Wahrheit ist aber, daß sie metaphysisch, und wichtiger noch: eschatologisch, eben nicht geändert werden kann, auch mit dem bösesten Willen nicht, denn der beste, also einfach: der gute, will sie gar nicht ändern und schafft eben dadurch den Begriff der echten Wahrhaftigkeit. Das gilt von Gott her, und erst auf ihrem Fundament erhebt sich die andere psychologische – Pascalsche – These: In der Frage schon ist die Antwort, im Suchen schon ist das Finden. Dabei ist der Satz Christi vor Pilatus nicht einmal der primäre, sondern dessen – für den Menschen allerdings vitale [und letale!] Erweiterung und Erläuterung. Der primäre ist: Ich bin die Wahrheit. »Zeugnis ablegen für die Wahrheit« kann, nachdem Christus als unvergleichlich Erster, als Menschensohn, vorausgegangen ist, auch der Mensch, der in Ihm ist. Die Wahrheit »sein« aber kann nur Gott Selber. »Ich bin die Wahrheit« ist in seiner Absolutheit ein trinitarischer Satz. Der, welcher ihn aussagt, ist in der Dreieinheit mit dem Vater und dem Heiligen Geiste, und kein Geschöpf kann in der Wahrheit ihn Ihm nachsagen, wie es doch unter Umständen ein in der Wahrheit vollkommener Nachfolger Ihm nachsagen kann: »Ich bin Zeuge der Wahrheit.« Dieses ist das Höchste, was der Mensch »sein« kann, und also in Wahrheit auch »tun« kann, denn er kann nicht mehr tun, als er ist, und er kann nicht mehr sein, als Geschöpf Gottes durch Natur und Kind Gottes durch Gnade. Das aber ist viel, denn er ist ein geistiges Geschöpf und deshalb ein freies. Die Beziehungen zwischen Freiheit und Wahrheit sind von einer geheimnisvollen Wechselseitigkeit. Ohne Freiheit kann der Mensch nicht zur Wahrheit gelangen, die doch allein ihn schließlich wahrhaft frei macht. Es kann also nicht anders sein, als daß von Anfang an ein Teil der Wahrheit Gottes in jedem seiner geistigen Geschöpfe sei. Sonst hätte es keine Spur von Freiheit, die nicht möglich ist ohne Wahrheit.

5

Die Unveränderlichkeit des Seins Gottes ist die Unveränderlichkeit Seiner Wahrheit. Das Sein des Menschen ist veränderlich, da es in der Zeit ist, und so auch seine Wahrheit. Wenn er an der Unveränderlichkeit der Wahrheit Gottes teilnehmen soll – anders könnte er nicht für sie »zeugen«, was er doch kann, was von ihm als Christ sogar verlangt wird –, muß ihm mitgeteilt worden sein ein göttliches, übernatürliches Sein, unsichtbar substantiell und real durch die Gnade, in der Sichtbarkeit regulär und »ordentlich« an die Sakramente gebunden, die hinwiederum nur in der und durch die Kirche sind, aber nicht mit jener absoluten Notwendigkeit, die auch Gott Selber binden und unfrei machen würde. Er allein ist Herr über das »Außerordentliche«. Wahrheit ist orientiert am Unveränderlichen und also am Ewigen. Das Ewige ist im Menschen aber bereits von Natur. Anders könnte die Wahrheit des trinitarischen Gottes, die zweite Person der Trinität, welche göttlich die Wahrheit ist, gottmenschlich der »Weg« ist und der erste unvergleichliche »Zeuge« und Märtyrer, den Menschen und dessen Geist nicht ergreifen. Das Ewige, das von Natur schon im Geiste des Menschen ist, ist hier die Natur, welche von der Übernatur vorausgesetzt wird. Wäre der menschliche Geist nur »Zeit« in dem Sinne, daß in ihr nichts Ewiges und Unveränderliches durchleuchtete, ja daß sie selber – ein absolutes Paradox – ewig wäre als Zeit –: eine vollkommene, unüberschreitbare Kluft wäre gesetzt zwischen Wissen und christlichem Glauben. Wenn die Natur des menschlichen Geistes nur »Zeit« wäre, so würde der Glaube des Christen nicht mehr im Sinne der Evangelien und der katholischen Theologie ein »vernünftiger« sein; denn zwischen Zeit als Zeit und Ewigkeit als Ewigkeit ist kein Weg und kein Anschluß möglich. Dann schleppen wir uns durch oasenlose Wüsten einer Dialektik, die schließlich bei einigen Wenigen in der verzweifelten Anstrengung eines absolut blinden Glaubens endet, bei den Vielen aber in einem weltlichen Verzicht auf die Wahrheit der Offenbarung selber.

6

Von Natur schon ist im Geiste des Menschen ein Ewiges, und die wissenschaftliche Einsicht davon gibt die Metaphysik. Zwischen Zeit als Zeit und Ewigkeit als Ewigkeit ist nicht einmal eine Grenze. Denn eine Grenze trennt nicht nur, sie verbindet auch.

Dieses kleine Buch ist das Beispiel eines Grenzraines. Es ist an der Grenze der Philosophie, die zur Natur des menschlichen Geistes gehört, und der Theologie, die die Offenbarung zur Voraussetzung hat. Wie rasch aber ist die Möglichkeit des Vergleiches zu Ende. Hier schon! Wer an einer Grenze wohnt, gehört doch zu einem Lande. Dort ist er daheim. Das andere ist das fremde. Auf der Grenze selber, so daß er nur zur Grenze gehört, fremd und nicht fremd hier und dort, kann er nicht leben. Das kann man nur im Geiste, der auch die Grenze als Grenze sein und erforschen kann. Grenze ist das Produkt von mindestens zwei Gebieten. Das schlecht hin Eine hat keine Grenze. Die christliche Philosophie ist eine Grenze, gewirkt aus natürlichem Wissen, in welchem ein Ewiges schon ist, und aus Wissen vom übernatürlichen Glauben her, der der substantielle Anfang des Ewigen Lebens ist. Solange »Zeit« ist und Offenbarung, gibt es das Grenzgebiet der christlichen Philosophie. Ist nur noch Ewigkeit, so ist sie nicht mehr.


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