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Zehntes Kapitel.

In den nächsten acht Tagen begegnete Corysa auf Schritt und Tritt dem kleinen Barfleur. Mehrmals erschien er unter dem Vorwand, Bestellungen von seiner Mutter auszurichten, im Brayschen Haus, und als der Flederwisch eines Abends um sechs Uhr vor dem Essen ins Wohnzimmer kam, fand sie ihn zwischen Vater und Mutter sitzend.

»Der Vicomte macht uns die Freude, mit uns zu essen,« erklärte die Mutter der betroffen dreinschauenden Kleinen mit seltener Liebenswürdigkeit; »wir werden ihn dann bei unsrer abendlichen Spazierfahrt nach Hause bringen.«

In der heißen Jahreszeit pflegten die Brays allerdings abends im Landauer auszufahren, ein Vergnügen, worauf der Flederwisch immer gern verzichtet hätte. Den Eltern sittsam gegenüber sitzend, konnte sie sich nicht rühren und nicht lachen und verfiel unfehlbar in die gelangweilte, verdrießliche Stimmung, die sie in Gegenwart der Mutter so selten abschütteln konnte.

Auch Mark, der jetzt erst eintrat, machte ein so verdutztes Gesicht beim Anblick des kleinen Barfleur, daß der Flederwisch lachen mußte.

»Darauf warst du wohl nicht gefaßt?« tuschelte sie ihm zu.

»Nein,« versetzte er ernstlich verstimmt. »Gehört der Dreikäsehoch neuerdings etwa zur Familie?«

»Noch nicht, aber er trachtet danach,« sagte Corysa übermütig.

Vom Beginn der Mahlzeit an starrte der Vicomte Corysa, die ihm gegenübersaß, mit verzückten Blicken an. Kurzsichtig, wie sie war, bemerkte sie diese Huldigung gar nicht, aber Mark beobachtete um so schärfer und schien nichts weniger als erbaut davon zu sein. Seine Gereiztheit nahm schließlich so sichtbare Gestalt an, daß Corysa ihn plötzlich fragte: »Was hast du denn heute abend, Onkel? Du siehst so bärbeißig drein!«

»Nichts,« versetzte er ärgerlich. »Das heißt – Kopfweh hab' ich.«

Trotz dieser Kopfschmerzen begann er aber nun so eifrig und fortgesetzt mit seiner Nichte zu plaudern, daß sie das Köpfchen nach keiner andern Seite mehr drehen konnte. Höchst unzufrieden mit dieser Behandlung ihres Schützlings, rief die Marquise nach mehreren fruchtlosen Versuchen, Corysa ins allgemeine Gespräch zu ziehen, mit gewohnter Heftigkeit: »Corysa! Dein Benehmen ist geradezu unanständig. Du lachst und schwatzest, daß man sein eigenes Wort nicht mehr hört.«

Die Kleine verstummte mitten im Wort und that den Mund nicht mehr auf.

»Ich sage nicht, daß du gar nicht sprechen sollst,« setzte die Marquise hinzu, »und will dich nicht verhindern, dem Vicomte Antwort zu geben, der eben sagte –«

»Herr von Barfleur«, erklärte der Flederwisch in sanftem, verbindlichem Ton, »spricht immer von Jagden und Rennen. Davon versteh' ich aber nichts, und überdies hasse ich diesen Sport –«

»Und worüber lieben Sie zu sprechen, Komteß?« erkundigte sich der kleine Mann hingebungsvoll.

»Ueber gar nichts,« gab sie eben so bescheiden und sittsam zurück, »ich höre viel lieber zu.«

»Auf diese Vermutung hätte man vorhin nicht kommen können!« warf die Marquise bissig hin.

»Ja, ich war allerdings zu laut – bitte, verzeih mir.«

Den Blick eigensinnig auf ihren Teller geheftet, blieb sie bis zum Schluß der Mahlzeit stumm. Nachdem sie dann im Billardzimmer den Kaffee herumgereicht hatte, begab sich Corysa auf die Terrasse, ließ sich gemütlich in einem tiefen Rohrstuhl nieder und sah zu den Sternen auf, die am noch hellen Himmel allmählich zu schimmern begannen.

»Wie, du bist noch nicht fertig?« herrschte sie die Mutter an, die nach einiger Zeit mit dem Hut auf dem Kopf heraustrat. »Der Wagen ist vorgefahren – du bist von einer Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit –«

»Pah!« machte der Flederwisch, ohne sich zu rühren. »Fahrt nur ab! Wenn ihr zurückkommt, um irgend etwas Vergessenes zu holen, werde ich schon fertig sein.«

Der Onkel Mark lachte hellauf, und der Marquis biß die Zähne zusammen, um seinem Beispiel nicht folgen zu müssen. Blaurot vor Zorn rief die Marquise mit drohender Stimme: »Was soll das heißen?«

»Der Kutscher muß ja jeden Abend umkehren, weil irgend etwas vergessen wurde,« sagte die Kleine gelassen, »und heute – wird es eher zwei- als einmal geschehen müssen.«

Das war eine deutliche Anspielung auf eine der kleinlichsten Schwächen der Marquise, die sie im Glauben an ihre Unnahbarkeit vor aller Welt verborgen zu haben glaubte.

Gleich nach der Hochzeit hatte sie ihren Mann so lange gequält, bis er seine bis dahin geschmackvollen Wagen und Livreen abgeschafft hatte. Aufsehen erregen, die Welt zum Neid reizen war der Ehrgeiz der Marquise, und sie fühlte sich nur wohl, wenn sie in dem nach ihren Angaben gebauten Landauer, einem abgeschmackten, königsblau lackierten Kasten mit rotem Gestell und erhabenem Wappen und Namenszug durch Pont-sur-Sarthe fahren konnte. Deshalb bestand sie auch immer darauf, daß Corysa an diesen ihr so lästigen Fahrten teilnehme; denn blieb die Kleine zu Haus, so wurde die Viktoria genommen, die lange nicht so viel Aussehen machte. Bei schönem Wetter wimmelte es zwischen sechs und acht Uhr auf allen Straßen von Menschen, und die Tischchen vor den Kaffeehäusern, wo Offiziere und junge Lebemänner verkehrten, saßen gedrängt voll, weshalb der Kutscher auch nie die eigentlich für Wagen bestimmte, mit Asphaltpflaster versehene stillere Straße fahren durfte, sondern stets über den Hauptplatz mit seinen spitzigen, harten Steinen rasseln mußte. Hatte man diesen hinter sich, so geschah es in der Regel, daß die Marquise erschrocken auffuhr und umzukehren befahl.

Der Flederwisch kannte sie nur zu genau, diese Ausrufe: »Ach mein Sonnenschirm! Mein Abendmantel! Die Wagendecke!« infolge derer man dann ein zweites und ein drittes Mal an den Stammgästen der Kaffeehäuser vorüberrasselte. Ihr waren diese Schaustellungen nur ein Greuel, und wenn sie die neugierigen Offiziere säbelrasselnd und sporenklirrend auffahren sah, um zu grüßen, schämte sie sich in tiefster Seele.

Der Marquis und sein Bruder hatten natürlich diese auch der Dienerschaft leicht durchsichtigen Kunstgriffe ebensowohl durchschaut, aber sich nie darüber ausgesprochen, und so war ihnen die Bemerkung des Flederwisches ganz unerwartet gekommen.

Die Zornesröte der Marquise war einem fahlen Grau gewichen, als sie keuchend so nah auf das Mädchen zutrat, daß ihre Lippen beinah mit dem ungezogenen Stumpfnäschen in Berührung kamen, und in zischendem Ton fragte: »Und weshalb sollte man heute mehr als einmal umkehren? Weshalb?«

»Weil,« erwiderte Corysa, nachdem sie sich durch einen raschen Blick überzeugt hatte, daß Barfleur außer Hörweite war, »weil man heute mit dem Dreikäsehoch Staat machen wird.«

Dabei fiel ihr aber erst ein, daß sie selbst dann an seiner Seite in dem »knallblauen« Landauer sitzen werde. Mehr brauchte es in Pont-sur-Sarthe nicht, um ein Gerede hervorzurufen, und das wollte Corysa um jeden Preis vermeiden. Es war ihr bis jetzt nie in den Sinn gekommen, ihrer kleinen Person irgend welche Bedeutung beizulegen; sie war in ihren eigenen Augen nur der »Flederwisch« und das »kleine Möbel«, das keiner ernst nimmt. Erst Aubières' Werbung und die Andeutungen des Paters Ragon hatten ihr klar gemacht, daß sie eine junge Dame war, die der eine liebte, und die der Schützling des andern zu lieben vorgab.

»Sorge dich nicht um mich,« sagte sie jetzt rasch, um einem heftigen Auftritt vorzubeugen, »ich werde zu Hause bleiben – ich bin sehr müde!«

»Das ist nicht wahr! Müde bist du nie!«

»Allerdings – es war eine Ausrede! Also ohne Vorwand – ich bleibe zu Hause.«

»Du wirst mitfahren!«

»Wenn ich dich um die Erlaubnis bitte, hier zu bleiben?«

»Setz deinen Hut auf.«

Da Corysa sich nicht vom Fleck rührte, wollte die Mutter sie an den Handgelenken vom Stuhl aufreißen. Die Kleine machte sich aber rasch frei, schüttelte sich und bemerkte ganz sanft: »Wir machen uns lächerlich – häusliche Scenen vor einem Fremden –«

Das zornverzerrte Gesicht der Marquise war im Nu eitel Holdseligkeit, als sie sich nach Barfleur umsah.

»Ach, der Vicomte!« sagte sie schmelzend. »Den rechne ich beinah zur Familie.«

»Möglich!« versetzte der Flederwisch, um die Lage der Dinge nach Kräften klarzustellen, »daß du ihn beinah dazu rechnest, aber er gehört nicht dazu, und eine deiner Lieblingslehren ist ja, daß man seine schmutzige Wäsche –«

»Genug! Genug!«

Der Marquis und Barfleur harrten, den Ueberrock am Arm, den Stock in der Hand, des Zeichens zum Aufbruch, die Marquise aber fuhr nach kurzem Schweigen im Ton der zärtlichen Mutter fort: »Wenn ich darauf dringe, daß du uns begleitest, so thue ich das nur, weil ich's nicht passend finde, dich allein hier zu lassen.«

»Als ob das nie geschähe! Uebrigens bin ich ja nicht allein – Onkel Mark ist doch da.«

»Dein Onkel wird wahrscheinlich ausgehen.«

»Ich gehe abends nie aus, wie Sie sehr wohl wissen, teure Schwägerin,« warf Bray trocken hin.

»Gut, dann sei Corysande Ihrem Schutz befohlen!«

»Ich werde darüber wachen, daß sie nicht mit Zündhölzchen spielt,« bemerkte er verstimmt, »und ihr Kleid nicht schmutzig macht – verlassen Sie sich darauf.«

Offenbar war er heute etwas nervös, denn als der junge Barfleur einige Sekunden länger als nötig seine Lippen auf Corysas Hand drückte, nahm er seine Nichte am Arm und drehte sie wie einen Kreisel.

Als sie dann allein in der Bücherei waren, bemerkte der Flederwisch lustig: »Herrgott, sauer verdient hab' ich meine Freiheit! Und doch war ich ja heute ganz überflüssig, der dritte war da, um den Landauer zu bemänteln! Weißt du, wenn du zu arbeiten hast,« setzte sie hinzu, als er sich die Lampe zurecht rückte und Zeitungen aus den Kreuzbändern nahm, »so mußt du dich nicht für verpflichtet halten, bei mir zu bleiben.«

»Das nämliche wollte ich eben dir sagen.«

»Ach, wo ich meine Stickerei mache, ist ja einerlei, aber wenn der Papa abends ausgeht, arbeitest du gern in deinem Zimmer –«

»Gewiß,« erwiderte er lächelnd, »aber sonst wirst du mir nicht so auf die Seele gebunden, wie heute.«

Corysa ließ sich mit einer großen Decke, die sie nach alten Mustern bestickte, an der andern Seite des Tisches nieder, und Mark sah bald von ihrem aufmerksam darüber gebeugten Köpfchen nur noch das Kraushaar.

»Flederwisch,« fragte er plötzlich, »was hast du damit sagen wollen, der Fatzke trachte danach, zur Familie zu gehören?«

Das Stumpfnäschen tauchte zwischen Seidensträngen auf.

»Daß der Dreikäsehoch mich heiraten möchte.«

Bray schnellte in die Höhe.

»Schwante mir doch so etwas,« rief er erregt, »aber ich konnte nicht – ich – und du sprichst so ruhig davon? Dich heiraten? Der Fatzke? Der Krüppel! Das wäre ja Wahnsinn, ein Verbrechen!«

»Du kannst auch ganz ruhig sein,« versicherte die Kleine lachend, »er wird mich nicht heiraten!«

»Das laß dir gut sein!« brummte Mark, besänftigt in seinen Stuhl zurücksinkend.

Sie sah ihn liebevoll und dankbar an.

»Wie gut du bist! Dich so um mich zu sorgen! Und doch,« setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »bist du die Veranlassung zu seinen Heiratsplänen.«

»Ich?«

»Ja – sobald man von deiner Erbschaft hörte, hieß es, ich werde nun auch reich werden, du würdest mich ausstatten, mir dein Vermögen hinterlassen –«

»Das werd' ich auch!«

»Aber deine Kinder?«

»Meine Kinder – seit wann hab' ich denn Kinder?«

»Noch nicht, aber wenn du heiraten wirst –«

»Ich werde nicht heiraten, Flederwisch! Mir wäre viel zu bange, eine Frau zu erwischen, wie – deine Mutter,« wollte er sagen, verschluckte es aber noch – »wie es viele gibt. Nein, nein, ich bin mißtrauisch – ich bleibe Junggeselle.«

»Mir ist's auch lieber, denn wenn du willst –«

»Wenn ich was will?«

»Dann werd' ich bei dir leben, dir deinen Haushalt führen! Ich hab' nämlich auch keine Lust, mich zu verheiraten, aber wenn ich einundzwanzig Jahre alt bin, gehe ich von hier fort –«

Mark machte eine Gebärde der Ueberraschung.

»Ja wohl, nicht einen Tag länger bleib' ich hier, trotz des guten, armen Papas, dem ich sehr fehlen werde. Ich weiß wohl, daß mit meiner Abwesenheit viele Schwierigkeiten für ihn wegfallen, aber trotzdem wird er seinen Flederwisch recht vermissen.«

»Fortgehen, sagst du?« fragte Bray verwundert. »Ja wohin denn?«

»Bis jetzt hab' ich mir's immer so ausgedacht, daß ich Tante Mathilde bitten werde, mich wieder aufzunehmen, aber – wenn du mich haben wolltest? Ich wäre so glücklich, so glücklich! Du weißt's gar nicht, wie lieb ich dich habe, ja – noch lieber als den Papa – das ist vielleicht unrecht, aber ich kann nichts dafür – siehst du –« ihre Stimme bebte vor Innigkeit – »ich bete dich einfach an!«

Erblassend und seinen Stuhl zurückschiebend, murmelte er: »Anbetung verdien' ich wahrlich nicht, mein kleiner Flederwisch!«

»O doch!«

»Statt diesem alten Bären von einem Onkel Haus zu halten, wirst du heiraten, wirst eine kleine Schar von Blondköpfen um dich haben, die dir die Zeit vertreiben und dir Gribouille und den alten Johann reichlich ersetzen.«

»Soll ich dir sagen, wie mir's ist?« begann sie ernsthaft. »Ich bin ganz fest überzeugt, daß ich nicht heiraten werde – ja, ganz gewiß – was in mir vorgeht, kann ich dir nicht so recht erklären, aber niemand gefällt mir, ich kann mich nicht verlieben.«

»Kind, was verstehst du davon! Der arme Aubières ist nach außen und innen ein Prachtmensch, aber mit seiner Jugend geht's auf die Neige, und dieser andre, der ist eine Mißgeburt, ein Ungeheuer –«

»Sag' das doch der Frau Delorme!« rief Corysa lachend.

»Aha, du beschäftigst dich auch mit Klatsch, kleine Maus? Nun, was gefällt denn dieser Frau Delorme, übrigens eine Schneegans, an ihm? Sein Adel, seine englischen Manieren, seine Pferde und sein Schloß.«

»Versteht sich, das ist aber immerhin etwas! Auch andre könnten diesen Dingen Geschmack abgewinnen, aber ich ... siehst du, ich fühl's ganz deutlich, ich werde überhaupt nie jemand lieben.«

»Dann – dann – mein Kind,« er fragte es mit banger Sorge, »kommt das vielleicht daher, daß du schon jemand lieb hast?«

»Aber gar keine Spur!« rief der Flederwisch mit solcher Ueberzeugung, daß Mark lächeln und sich beruhigen mußte.

»Nein,« fuhr sie fort, »mir gefällt keiner – zum Heiraten wohlverstanden! Paul von Lüssy, zum Beispiel, mit dem man ein solches Gethue hat, und dieser Trêne, um den sich alle reißen, ich möchte keinen von beiden! Ich weiß wohl, daß es lächerlich ist, wenn ich so was sage, daß ich nicht das mindeste Recht habe, so heikel zu thun, mit meinem Gesicht, aber –«

»Mit deinem Gesicht? Wie so?«

»Nun, weil ich doch häßlich bin!«

»Häßlich?« wiederholte Mark verblüfft. »Du – häßlich?«

»Ach, geh' doch! Ich weiß es ja wohl!« erwiderte sie wehmütig, »Es macht mir auch gar keinen Spaß, im Gegenteil.«

»Den Unsinn hat dir wohl deine Mutter beigebracht? Aber Kind, du bist hübsch – versteh' mich recht, sehr hübsch!«

»Das sagst du mir nur zum Trost, oder du findest's vielleicht, weil du mich lieb hast.«

»Höre mich an, Flederwisch, ich sage und wiederhole dir in vollem Ernst, daß du hübsch bist, und namentlich in ein paar Jahren wunderhübsch sein wirst. Meinst du denn, daß Aubières, der doch wahrhaftig –«

Er blieb stecken, und Corysa fragte: »Was hat Aubières wahrhaftig?«

»Ich wollte sagen, ob du denn meinst, daß Aubières um deinetwillen so den Kopf verloren hätte, wenn du nicht hübsch wärst? Nein, nein, Kind, du sollst wissen, woran du bist, und was dir dein alter Onkel sagt, darfst du wahrhaftig glauben.«

»Dann,« brach es jubelnd aus dem jungen Herzen hervor, »ist's also wahr, daß der Flederwisch hübsch ist! Wunderhübsch soll er sogar werden! Wie komisch! Und wie mich das freut! Wie dankbar ich dir bin, daß du mir's gesagt hast! Das verhindert mich aber gar nicht, dir hauszuhalten – im Gegenteil –;« schelmisch und schmeichelnd fuhr sie fort: »Ich bitte dich drum, Onkelchen! Ich bitte dich so sehr, sag' ja? Und bis dahin geh' nicht mehr fort, laß mich nicht wieder allein! Wenn du wüßtest, wie gräßlich diese vierzehn Tage ohne dich waren! Ich kann dich nicht entbehren, ich kann's nicht!«

Von ihrem niedern Stuhl heruntergleitend, kauerte sie wie ein Kind am Boden, schmiegte das Krausköpfchen an die Kniee des Vicomte und flehte mit Thränen in den Augen: »Geh' nicht mehr fort! Versprich mir's, nicht mehr fort zu wollen!«

Er wollte sich hastig erheben, sie umschlang ihn aber mit beiden Armen und zwang ihn, still zu sitzen.

»Willst du mich wieder wegstoßen? Sag', warum bist du nur so anders gegen mich? Früher zogst du mich oft auf deine Kniee, küßtest mich –«

»Früher,« versetzte er in strengem Ton, »warst du noch ein Kind. Jetzt bist du nicht mehr im Alter für solche Dinge – «

»Ist man nicht immer im Alter,« fragte sie, während zwei dicke Thränen sich von den langen Wimpern lösten, »geliebt zu werden?«

»Aber ich habe dich ja lieb, sehr lieb, mein Kind,« erwiderte er bewegt, »nur – ich bitte dich – steh' auf – setz' dich wieder!«

Während er sie von sich wegzuschieben suchte, ertönte die Hausglocke, aber nur ganz schwach, wie von einer schüchternen, unsicheren Hand gezogen.

»So sei so gut und steh' auf!« rief Mark, den Flederwisch kräftig schüttelnd. »Ist das eine Stellung – wenn's ein Besuch wäre?«

»Ein Besuch?« wiederholte sie, langsam aufstehend, aber schon wieder fröhlich. »Wer sollte denn so verschämt klingeln? Wer so klingelt, kommt ja in Verdacht, ein Liebhaber der Köchin zu sein!«

»Graf Axen!« meldete der Diener.

»Die Frau Marquise ist ausgegangen,« rief Corysa rasch.

»Ich lasse bitten!« sagte der Vicomte, dem die Störung offenbar sehr gelegen kam.

»Ach, du willst ihn empfangen?« fragte Corysa überrascht und verdrießlich. »Es war doch so gemütlich, daß wir allein waren.«

Mit einem Mal sah sie ihn mit besorgten Blicken an: »Was hast du denn, Onkel Mark? Du bist so blaß, wie ich dich nie gesehen habe?«

»Nichts, nichts, Kind – es ist heiß hier – es wird gleich vorüber sein,« gab er ihr verlegen zurück und ging eilig dem Prinzen entgegen, wobei die blauen, sehr nachdenklich gewordenen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten.

»Durchlaucht – meine Schwägerin ist zwar ausgefahren, aber meine Nichte wird mich Eurer Durchlaucht vorstellen –;« er sah sich nach dem Flederwisch um, der wie zur Salzsäule geworden, geistesabwesend ins Leere starrte. – »Corysa, hörst du nicht?«

»Ach, du kannst ruhig Flederwisch sagen,« rief sie, nun fröhlich herbeieilend. »Die Durchlaucht kennt mich längst unter diesem Namen. Durchlaucht, das ist also der Onkel Mark, für dessen Wahl Sie arbeiten. Ach, das weißt du ja noch gar nicht!« setzte sie, Brays Erstaunen bemerkend, hinzu. »Das ist ja wahr! Ich hab' dich gestern nicht mehr allein gesehen. Also stell' dir nur vor – als ich gestern von den Barfleurs heimreite, treff' ich unterwegs den Prinzen, wie er den Arbeitern vom Hüttenwerk deinen Wahlaufruf anpreist, und nicht nur angepriesen hat er ihn, auch mit Wein begossen, was noch wirksamer sein soll!«

»Wahrhaftig,« begann Bray, »ich bin sehr –«

»Aber, weißt du,« schnitt ihm Corysa das Wort ab, »du darfst's hier im Hause nicht sagen, daß ich den Prinzen getroffen habe und mit ihm geritten bin – im Wald sogar – spazieren geritten – dem Onkel Mark kann man nämlich alles sagen!« fügte sie für den Prinzen erläuternd bei.

Nun erst beobachtete sie, daß Bray ihr sehr ernsthaft mit etwas in die Höhe gezogenen Brauen zugehört hatte, was bei ihm ein untrügliches Zeichen der Mißbilligung war.

»Heute zwar nicht,« bemerkte sie gedrückt. »Ich weiß gar nicht, was er heute hat, er ist nicht recht auf dem Damm –«

»Der Zweck meines Besuchs war,« konnte der Prinz endlich vorbringen, »der Frau Marquise für ihren liebenswürdigen Brief zu danken. Sie hat mir nämlich vorhin geschrieben –«

»Schon wieder!« rief der unverbesserliche Flederwisch, in Gedanken hinzusetzend: »Sie schreibt ihm also täglich zweimal.«

»Und hatte die Güte, mir eine Liste der Eingeladenen zuzuschicken und mich zu fragen, ob ich sonst noch jemand hier zu begegnen wünschte. Diese Liste bringe ich mit Dank zurück.«

Er legte einen Briefumschlag auf den Tisch und wollte sich empfehlen.

»Aber Durchlaucht,« bat Mark mit einer Dringlichkeit, die Corysa aufs neue in Staunen versetzte, »wenn Sie für den Abend nichts andres vorhaben, so würden wir uns glücklich schätzen –«

Der Flederwisch ging hinaus, um für Thee zu sorgen, dann brachte sie ihren Gribouille zu Bett und sah nach, ob die Blumen gehörig begossen worden seien. Als sie nach einiger Zeit wieder ins Zimmer trat, waren die Herren sosehr in ein eifriges Gespräch vertieft, daß sie ihr keine Beachtung schenkten. Nachdem der Prinz sich um elf Uhr verabschiedet hatte, fragte Corysa: »Nun, wie findest du ihn, Onkel Mark?«

»Gescheit und angenehm, aber hör' einmal,« setzte er mißtrauisch hinzu: »weshalb hast du mir gerade das Gegenteil gesagt?«

»Das Gegenteil? Wieso?«

»Du beschriebst mir ihn doch hoch wie ein Reiterstiefel, pechschwarz –«

»Ja, häßlich ist er doch, wenigstens meinem Geschmack nach.«

»So! Wer ist denn deinem Geschmack nach schön?«

»Mein Gott, das weiß ich selbst nicht recht! Du zum Beispiel!«

»Ich? Bist du übergeschnappt, Flederwisch?«

»Daß du ein Apoll seiest, behaupte ich ja nicht, aber gerade so wie du bist, gefällst du mir. Vor allem kann ich die Engbrüstigen nicht ausstehen, die Kränklichen und dann auch nicht kleine junge Männer! Erst mit fünfunddreißig Jahren sieht ein Mann männlich aus –«

»Verdammtes Pech für den armen Aubières, daß die Grenze nicht ein wenig weiter hinausgerückt ist! Aber, mir gefällt dieser kleine Prinz – ein netter Kerl.«

»Mir gefällt er ja auch, aber erst seit unsrem Spazierritt.«

Onkel Marks Stirne verdüsterte sich schon wieder.

»Ja so, darüber hab' ich dir auch noch ein Wörtchen zu sagen! Deine Mutter hat hie und da vollständig recht, du benimmst dich wie ein ungezogenes Schulkind. Streicht man in deinem Alter noch mutterseelenallein mit einem jungen Menschen im Wald umher?«

»Ach, mit einem Prinzen!«

»Unsinn! Ein Prinz ist auch ein junger Mensch.«

»Meinst du? Ich war übrigens gar nicht allein.«

»Natürlich, der Johann war dabei! Der alte Trottel.«

»Wie bösartig du wirst!« murmelte die Kleine tief betrübt vor sich hin. »Ganz bösartig –«

»Bösartig? Weil ich nicht zu all' deinen Einfällen Ja und Amen sage? Weil ich's nicht gut heiße, daß du dir mit einem hereingeschneiten ausländischen Windbeutel im Wald Stelldichein gibst?«

»Nun ist er gar ein Windbeutel, dieser arme Prinz, und vorhin war er solch ein netter Kerl,« bemerkte sie lächelnd.

»Weil ich deine Manieren satt habe, weißt du!« rief er, vollends außer sich geratend. »Es ist ja am Ende richtig, daß ich dich verzogen, daß ich zu lange gelacht habe, wenn du dich aufführtest, wie ein dem Käfig entronnenes Vögelchen – heute lache ich nicht mehr! Und wenn es wahr ist, daß ich dich in deinen Unarten bestärkt, das Schlimme in dir gefördert habe, so büß' ich's nun wahrhaftig hart genug!«

Seine Stimme klang rauh und heiser wie von verhaltenen Thränen. Corysa machte einen Versuch, seine Hände zu ergreifen, doch entzog er sie ihr heftig. Entsetzt, von einer leidenschaftlichen Aufregung ergriffen, die sie ihm verbergen wollte, sah sie ihm starr ins Gesicht und stammelte leise: »Es ist nicht – nicht möglich! Man hat mir dich auf dieser Reise verhext, Onkel Mark!«


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