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Religion und Christenthum.

Ich will über die Religion sprechen und werde vor Priestern nicht dazu kommen können. Wie schwer wird es halten, das Ewige und Unsterbliche jenen Geistlichen aus dem Auge zu lesen, welchen die Religion nur in ihrem Rock und ihrer Pfründe sizt! Lange Schaaren von Pfarrern und Jesuiten wallen an meiner Erinnerung vorüber. Viele erkenn' ich, Schleicher und Spieler, Komödianten und Verzückte, dennoch einige brave Seelenhirten. Die Konfession macht keinen Unterschied. Unter den Protestanten wird oft gerade am meisten Ablaß ertheilt und unter den Katholiken werden die meisten Ungläubigen oder Zweifler angetroffen. Kleine Stadtgeistliche sind Päbste und der Pabst ist heutiges Tags selbst nur ein schwacher alter Mann, der sich weniger um den Staat der Kirche, als um den Kirchenstaat bekümmert. Daß es hier nur gleich zugestanden werde: der Geistlichen wegen glaubt man nicht mehr an das Christenthum; sondern wer es in Ehren hält, dem fließt sein Glaube aus innerer Ueberzeugung oder wenigstens aus einem dringenden Bedürfniß.

Das Oberhaus zählt sechs Erzbischöfe: deßhalb werd' ich mich wohl, um keinen allzugrellen Fingerzeig zu geben, auf die Bischöfe beschränken müssen, um zu zeigen, was man bei uns einen geistlichen Würdenträger nennt. Dr. Cnox war ein Seitenverwandter Lord Eldons, dieses ewigen Kanzlers, der, so unwürdig er dessen war, an der Spitze des englischen Gerichtsareopags länger als 23 Jahre saß. Man will sogar sagen, Dr. Cnox wäre sein natürlicher Sohn und wird mich blind nennen, wenn ich die Aehnlichkeit nicht erkennen wollte. Genug, er war ihm theuer, und Dr. Cnox war Bischof noch ehe er Doktor war. Er studirte weniger Theologie als die Jagd. Dr. Cnox hat in Oxford alles Andere, nur nicht Theologie studirt. Indessen hielt er eine salbungsvolle Predigt, wozu Lord Eldon das ganze Oberhaus eingeladen hatte. Diese Predigt machte sein Jugendfreund Master Job und lehrte sie ihm sogar ein. Er sagte ihm, wo er nach den Vorschriften der Pastoraltheologie sanft weinen und regnen und wo er blitzen und donnern müßte. Cnox, der ein schlechtes Gedächtniß hatte, wie wir gleich sehen werden, mußte die Predigt ablesen. Allein so gut Jobs Herz war, so schlecht war seine Handschrift und Cnox blieb seiner undeutlichen Schriftzüge wegen mehrmals stecken. Er war so rauhen Herzens, daß er Job noch Vorwürfe machte, die dieser mit Sanftmuth ertrug, weil er sich verliebt hatte und nichts sehnlicher wünschte, als eine Pfarre. Cnox machte seine Carrière schneller als er gepredigt hatte. Er wurde geistlicher Präbendar in Irland, stieg von Jahr zu Jahr, erhielt die Bischofsmütze, den Doktorhut und Sitz und Stimme im Parlament. Dr. Cnox ist eine unzurechnungsfähige, träge, gesellschaftliche Drohne. Er schwebt wie ein Schatten zwischen seiner Frau, einem rohen Weibe, seiner ehemaligen Wirthschafterin und dem Gedränge der politischen Zumuthungen, die man an seine Nullität macht. Er hat seinen Bischofssitz nach wie vor in Irland, zieht 30,000 Pfund jährlich aus dem armseligen Lande, 30,000 Pfund, wo nicht 1000 Pfund von Protestanten und alle übrigen von Katholiken kommen, und, wenn Freunde der Aufklärung und des Vaterlandes vor die Schranken des Hauses treten und eine Bill zur Besserung der irischen Mißverhältnisse einbringen, so nimmt er eine gelehrte Miene an, räuspert sich, blättert gleichsam in seinen Oxforder Collegienheften und erklärt: Quod non! gleichsam als wenn ihn theoretische und nicht praktische Gründe bestimmten, für sein leibliches Interesse zu stimmen! Dr. Cnox hält jährlich einmal eine Rede in seiner Pfarrkirche. Er liest sie aus dem Concept eines jüngern Theologen ab. Er beweist den Mitgliedern seines Bisthums, daß er jährlich 30,000 Pfund dafür wohl verdiene, daß er lesen gelernt hat! Sonst kümmert ihn die Religion weniger als der innere Ausschuß von Crockfordhouse. Eine Partie Whist oder Schach, wie sie enden wird, ist ihm werthvoller, als die Entscheidung eines theologischen Streites. In Frankreich würde ein solcher geistlicher Schattenkönig in der Gesellschaft oft mitgenommen werden; man würde ihn fragen: Sir, Ihr seyd so nachdenklich, müßt Ihr Messe lesen? Oder Sir, ich habe dieser Tage von meiner Stute Semiramis ein Füllen zu erwarten, wollt Ihr es nicht taufen? Allein in England wird diese Sineküre in der Gesellschaft stillschweigend hingenommen. Sie gilt nur als Titel und Geldtruhe. Anstellungen nach dem Verdienste sind in England etwas so unerhörtes, daß sich die vornehme Gesellschaft schon von vornherein stillschweigend darüber verständigt hat, unter sich einig zu seyn und Alles, was draußen ist, zu düpiren. Dr. Cnox kommt nie in die Verlegenheit, über sich selbst erröthen zu müssen; denn was an ihm unveränderlich ist, ist seine Peerie. Wäre er nicht Bischof, so würd' er als Lord Cnox doch im Oberhause sitzen.

Wir sagten schon, daß dieser Ehrenmann ein sehr mangelhaftes Gedächtniß besizt. Sonst würd' er seinen guten und gelehrten Freund Master Job nicht so bald vergessen haben. Seinem Namen entsprechend, ist Master Job bis jezt nur in die Schule der Leiden gegangen. Ach, er ist ein alter graugewordener Schüler in dieser Trübsalsanstalt. Er wird, wie jezt die Sachen stehen, sie sobald nicht verlassen. Jobs Eltern trieben in London einen kleinen Kram und gehörten zur Gattung jener sogenannten respektablen Leute, die, wenn sie so genannt werden, es wenigstens in den untern Ständen mehr verdienen, als in den obern. Sie hatten ihren Sohn ihrer Meinung nach zu nichts Besserem bestimmen können, als wozu ihn Gott berufen zu haben schien. Vielleicht erregte es ihren Stolz, den Sohn einst auf der Kanzel zu sehen, denn daß die sonntägliche Lektüre einer alten Predigtsammlung nach der Kirche reine Frömmigkeit gewesen, ist man bei den Christen, welche nicht Dissenter sind, nicht gleich geneigt, anzunehmen. Genug, Toby hielt als Kind schon jeden Sonntag Nachmittag eine Predigt, die er aus jenem Buch ablas und wobei er die Manieren des Pfarrers, den er Vormittags selbst gehört, so nachzuahmen wußte, daß die Eltern ihn für einen Heiligen hielten. Mit dem Oel der Stipendien wurde dies allmälig anglimmende Kirchenlicht sparsam erhalten. Toby Job war fleißig, gefügig, sanft gegen Lehrer und Kameraden; ja die Verbindung mit Cnox beruhte bei ihm auf einem wahrhaften Bedürfniß und nicht auf seiner Bedürftigkeit. Doch als die Eltern von der Freundschaft erfuhren, bestärkten sie ihn, sie warm zu halten. Job trug Cnoxen wie ein Kreuz auf die Schädelstätte der jährlichen Prüfungen. Er war der Lothse, der ihn mit eigener Lebensgefahr aus allen Stürmen der Unwissenheit in den Hafen eines guten Zeugnisses führte. Job, der ein so gefühlvolles Herz hatte, daß er sich sogar vor der Zeit verliebte, sehnte sich nach keinen höhern Ehren, als denen einer bequemen Landpfarre. Cnox vertröstete ihn und ließ sich von ihm jene Predigt machen, die jener nicht einmal lesen konnte, die ihm aber doch bis auf den heutigen Tag die Bischofsmütze brachte. Als Cnox im Zuge seiner Laufbahn war, bat ihn Job flehentlich, sein Versprechen zu erfüllen; allein leere Versprechungen waren der Lohn dafür, daß er sich Jahre lang zum Schemel jenes geistlichen Figuranten gemacht hatte. Job mußte als Hauslehrer aus einer zurückgesezten Stellung in die andre wandern, bald war er in Südwales, bald in Westmoreland, wie ein Stier ins Joch gespannt, um den steinigen Boden bisher verfehlter Erziehungen umzuackern. Dann ergriff er wohl die Lehrerstelle einer kleinen Stadtschule; zulezt, als Cnox sogar aufhörte, seine Bitten zu beantworten, übernahm er ein armseliges Vikariat, bei dem er hätte verhungern müssen, wenn er nicht bei den reichsten Landleuten die Wochentage in der Reihe herum freien Tisch gehabt hätte. Und in allen diesen widerwärtigen Schicksalen hörten die Briefe an seine Braut nicht auf, Hoffnung, Freude und Trost auszusprechen. Die Arme war verwelkt, als sie von ihm endlich geheirathet wurde. Sein Pfarrer erhielt glücklicher Weise noch eine zweite erledigte Stelle, und konnte daher den Gehalt für die Erste um ein Geringes erhöhen. So ringt nun Job in einem versteckten Winkel Englands mit den Widerwärtigkeiten des Lebens, hat für einen reichen Nachwuchs an Kindern zu sorgen und ist oft Wochen lang von den nothwendigsten Bedürfnissen entblöst. Wäre unsere Natur weniger üppig und schön, so würde man glauben müssen, daß ein solcher Mann auch nicht eine einzige Freude im Leben genösse.

Wenn die geistlichen Charaktere sich hauptsächlich nur durch innere Herzens- und Verstandesrichtungen unterscheiden, so ist es der geistliche Stand überhaupt, welcher die Entfaltung eigener Manieren hintertreibt. Dennoch haben sie in ihrem Bereiche noch viel Abschattirungen. Der eine neigt zum Zweifel hin und zeigt dies, wenn auch nicht auf der Kanzel, doch im Schachclubb; der andere ist so religiös, daß alle seine Reden auch im gewöhnlichen Leben Predigten sind. Jene Clubbisten pflegen das Christenthum an den Meistbietenden, d. h. den Witzigsten loszuschlagen. Manchmal sind sie es selbst; sie legen die Speisen vor und geben den Ton an; ihre Ruhe, ihr Stand muß ihnen als Relief ihrer Einfälle dienen; indem sie sicher sind, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, setzen sie alle Andern auf die Erde ab. Man trägt sich in der Gesellschaft mit ihren Bonmots und erkennt diese sogleich daran, daß man von ihnen immer glauben möchte, sie kämen am wenigsten von einem Pfarrer; ihr Witz waltet überall, nur auf der Kanzel nicht; doch predigen sie gediegen, aber ohne Originalität. Sie lesen keuchend ihre Predigt ab und sagen, wenn man ihnen über die Frömmigkeit derselben sein Erstaunen ausdrückt: »Lieber Freund, ich predige nicht, was ich lehre, sondern was die Schrift lehrt!«

Andere Geistliche gibt es, welche in der Mitte zwischen der Welt und der Kirche schweben und zweifelhaft sind, wo sie am besten hingehören. Diese würden sich gut zu fürstlichen Beichtvätern eignen, weil die geistliche Würde bei ihnen mit den feinsten Manieren verschmolzen ist. Dies sind die berühmten sonntäglichen Hauptprediger, welche einen so schönen Styl in ihren Predigten haben und besonders von den Frauen angebetet werden. Ihr Auge strahlt eine gebrochene Verklärung aus; ihre Rede besteht theils aus Prosa, theils aus Versen; jene ist mit Blumen bedeckt, mit Frühlingssäuseln und jenen transparenten Glorien, wo im Brillantfeuer die Worte strahlen: Glaube, Liebe, Hoffnung. Diese Verse treten immer da ein, wo das Gefühl des Redners überströmt, bei Uebergängen und Schlußabsätzen. Die Frauen lassen sich von solchen Geistlichen behandeln, wie von Magnetiseuren.

Andere sind mürrisch, finster und schwarzgallig. Dies äußert sich in argen Verketzerungen, im geistlichen Terrorismus und einer affektirten Orthodoxie, die sich besonders daran erkennen läßt, daß sie niemals aus dem eigenthümlichen Jargon der Bibel herauskann. Christus wird von diesen immer dargestellt, wie er niederfährt zur Hölle und die Schlange besiegt. Selten, daß ein heiliger Lichtglanz um ihn webt und er mit himmlischer Verklärung seinen Jüngern zuruft: »Friede sey mit euch!« Diese Geistlichen glauben, vielleicht in guter Meinung, daß man unsrer eigenwilligen Zeit, gegenüber der Würde des Christenthums, nichts vergeben müsse; sie wollen ihre Festung vertheidigen, sie haben vielleicht nicht einmal die Absicht, uns in sie aufzunehmen, sondern sie wollen sie uns blos nicht freiwillig übergeben. Die Idee, die sie von Christo, vom Glauben und der Kirche haben, ist starr, ihre Worte sind schroff, Ueberzeugenwollen ist ihre Absicht nicht, sondern man müßte schon ganz vollkommen mit sich im Reinen seyn und keine Zweifel mehr haben, wenn man ganz mit ihnen übereinstimmend denken und fühlen wollte.

Man verwechsle diese trockene Orthodoxie nicht mit dem Pietismus. So orthodox der leztere ist, so hat er doch Fleisch an seinen Knochen und einen feuchten Blick in seinem Auge. Er will nicht blos strafen, sondern auch gewinnen, locken, überzeugen. Um über einen einzigen Sünder den Sieg zu gewinnen, wird der pietistische Geistliche Jahrelang nicht müde, sondern umstrickt ihn so lange mit seinen oft spitzfindigen Erörterungen, bis jener matt wird und sich ergibt. Diese Geistlichen, die unter den Dissenters so häufig sind, wenden sich im Leben und in der Kirche immer gern an den Einzelnen, wenn sie bekehren und an die Masse, wenn sie verdammen wollen. Die Masse verwerfen sie, aber sie suchen Einen nach dem Andern von ihr abzusondern. Sie besuchen seine Wohnung und helfen, wenn er darbt; sie geben ihm die Bücher, die ihm zu seiner Erweckung und Erbauung fehlen. Diese Geistlichen sind in einer ewigen Aufregung, weil natürlich das Gepräge aller der Dinge und Verhältnisse, die wir um uns her sehen, durchaus nicht mehr apostolisch ist; wüßten sie ein Mittel, alle Künste, Gewerbe und Handelszweige in Berührung mit der Kirche zu bringen! Wüßten sie eine neue Hierarchie herzustellen, bei der sie weit entfernt sind, das Pabstthum nachzuahmen, sondern nur die erste christliche Gesellschaftsverfassung!

Um das Zusammenleben junger und älterer Theologen, wie es sich z. B. in unserer Zeit findet, zu charakterisiren, will ich hier die Mittheilung eines Freundes hersetzen, der zuerst geistlich studirte, später den Stand verließ und jezt sogar für einen Gegner desselben gehalten wird. Karl .... erzählte mir:

»Als ich in Oxford war, gab es daselbst der theologischen Richtungen mannigfache; jede hatte einen Professor an der Spitze. Der eine basirte den Glauben auf die Vernunft, der andere die Vernunft auf den Glauben. Ein berühmter Gelehrter war da, welcher sich so lange mit philosophischen Vorstudien, wie Magneten, bestrichen hatte, daß er hernach durchs Christenthum wandeln konnte, wo ihm alle Dogmen anschossen und es aussah, als müßten seine philosophischen Meinungen auch eine evangelische Geltung haben. Er behauptete, daß das Christenthum eine Wahrheit des Gemüthes wäre. Ein anderer Theologe, der die innere Regsamkeit des Gedankens, nicht die Wärme des Gefühls hatte, machte das Christenthum zum Schlußstein der höchsten philosophischen Spekulation. Er bewies, daß die Grundwahrheiten des Christenthums einen metaphysisch vollkommnen Sinn hätten, und besaß, trotz dieser fixen Idee, eine gewisse trockene Ironie, die ihn besonders zur einseitigen Polemik gegen seine Gegner geschickt machte. Ein dritter war Pietist und trotz eines jugendlich hübschen Aussehens in dem Grade, daß er während der Vorlesungen nie die Augen aufschlug, sondern sich in das Holz des Katheders mit seinen Blicken einsog, wahrscheinlich um nicht zu erschrecken, wenn, seinen orthodoxen Behauptungen gegenüber, ihn die Wände so kahl und zweifelnd anblicken sollten. Interessant aber durch seine Manieren war allein derjenige Professor, welcher die Kirchengeschichte las und für einen getauften Juden galt. Als ich den Mann zum Erstenmal auf der Straße sah, erstaunte ich über seine Originalität. Er ging am Arme seiner Schwester im nachläßigsten Aufzuge einher. Die Kleider waren alt, oder wenigstens unsauber gehalten; ein weißes Tuch war nachläßig um den Hals gewickelt; der Hut war ohnedies vom vielen Grüßen der vorübergehenden Commilitonen kahl und abgegriffen. Allein trotz dieses abschreckenden Aeußern lag in dem Antlitze des Mannes etwas, das urplötzlich die Theilnahme fesselte. Die blöden Augen und der schlecht rasirte schwarze Bart hinderte nicht, sich an dem Anblick dieser Mienen mit innerer Behaglichkeit zu weiden. Eine heilige Sabbathruhe lag auf ihnen, ein so beglückter Gottesfriede, daß ich mich zweifelnd fragen mußte: »Er ist ein getaufter Jude?« Er war es in der That, er war von dem Idealismus der christlichen Religion überwältigt worden und schmiegte sich an die poetische Erscheinung Christi mit der Innigkeit des ihm der Liebste gewesenen Jüngers an. Er vernachläßigte sich selbst und den Umgang mit der Welt, aus Liebe zu dem großen Religionsstifter, den er nicht anders, als: »der Herr, der Heiland, der Meister,« ganz im orientalischen Dufte dieser Wörter nannte. Man konnte nicht sagen, daß er kombinatorisches Talent für die Bereicherung der theologischen Wissenschaft selbst hatte, allein, was ihn den Studenten so lieb machte, war dieser innig verschmolzene Parallelismus des Wissens und Glaubens bei ihm, die Ineinanderwirkung der christlichen Gesinnung mit der christlichen Erkenntniß und die praktische Abgrenzung, die er den Wissenschaften gerade für den nöthigen Bedarf zu geben wußte. Während es bei gelehrten Theologen so schwierig war, ihre, fast einen weltlichen Charakter tragende theologische Wissenschaft sogleich mit dem spätern, geistlichen Berufe auszugleichen, fand man bei ihm Alles zusammen, den Text und die Melodie. Seine Forschungen klangen immer in das geistliche Leben hinein und in den meisten streitigen Fällen, wo Gründe der Kritik und der Geschichte entscheiden sollten, machte er das Herz und das religiöse Bedürfniß zum Schiedsrichter derselben. Trotz der vielen komischen Züge, die ein Mann entfaltete, welcher vom Leben in der Gesellschaft keine Idee hatte, trotz der vielen Anekdoten, die auf Rechnung seiner Leichtgläubigkeit und Ungeschicklichkeit umliefen, hingen wir alle mit der größten Liebe an ihm; er war uns das sichtbare Vorbild der Möglichkeit, sich in Glaubenssachen mit Heiterkeit beruhigen zu können; sein unauslöschliches heiteres Lächeln war der Abglanz einer Ueberzeugung, die überwunden hatte und gegen alle Zweifel Stich hielt. Und dies alles mußte uns um so mehr als unverfälschte Wahrheit erscheinen, als in ihm die schwierige Aufgabe einer radikalen Bekehrung, einer Bekehrung vom Judenthum bis zum Glauben an Christus gelöst schien. Weil dieser gottselige Mann nur wenig Sinn für Menschenkenntniß hatte, so hatten Heuchler in seiner Herzensgüte gut fischen; es gab deren genug, welche, obschon so jung, eine geistliche Augendienerei trieben, die ihr Patron nicht durchschauen konnte. Es waren oft drei, vier Auserwählte, die sich ihm so zur Nothwendigkeit zu machen wußten, daß er ihren Aussagen blindes Vertrauen schenkte. Wen sie verkezerten, den verdammte er; wen sie anpriesen, den zog er in seine Nähe. Unvergeßlich werden mir jene theologischen Thees bleiben, wo oft mehr als zwanzig junge Theologen in der Bibliothek ihres Meisters empfangen und zu einer heitern Unterhaltung über wissenschaftliche Gegenstände angeleitet wurden. Einige der Studenten übernahmen die Bereitung des Thees, andere verwalteten die Zuckerbüchse, andere endlich den Rum. Es geschah nun wohl bei dem Uebermuth der Studenten, daß Zucker und Rum in einem Grade konsumirt wurden, welcher zum Thee in gar keinem Verhältniß stand und obschon ein ganzer Korb Zwieback für diese theologischen Unterhaltungen vom Bäcker geliefert wurde, so konnte es Neulingen des Clubbs doch wohl begegnen, daß sie in ihre zweite Tasse nur noch die Brosamen des ausgeleerten Korbes schütten konnten. Das Meiste von dem, was gesprochen wurde, war gleisnerisch; die jungen Geistlichen hatten nur die Absicht, sich bemerkbar zu machen und warfen Fragen auf, ganz ohne Plan und Ziel, nur darauf bedacht, sich hervorzuthun. Der Wirth aber gab auf alles Rede und Antwort und endete mit diesen Soireen jede Woche gewiß in der seligsten Stimmung von der Welt.«

So könnten wir aus dem Leben der sich bildenden geistlichen Jugend, ihrer Lehrer und dem Pfarrersdaseyn selbst noch viel charakteristische Züge aufzeichnen, doch ist es Zeit, diese Präludien zu beenden und unsern Gegenstand in seiner Allgemeinheit zu erfassen.

Ach, welch' ein Christenthum ließ uns das achtzehnte Jahrhundert als Erbschaft zurück! Mitleidig zuckten die Philosophen zu der in Märchen verwandelten evangelischen Geschichte die Achsel. Die riesengroßen Strahlen, welche sonst die Sonne des Evangeliums geworfen hatte, wurden immer matter und zurückgedrängt in einen Anfangspunkt, der nicht einmal, bei der herrschenden Geschmacklosigkeit, noch als Poesie, sondern nur als kindische Fabel angesehen wurde. Konnten in der Philosophie nicht mehr feste und ausgearbeitete Systeme bestehen, wie Cartesius, Spinoza und Leibniz die lezten dogmatischen Versuche gemacht hatten, mußte selbst in der Philosophie sich das metaphysische Dogma vom äzenden Verstande der Empirie verzehren lassen; um wie viel mehr schwanden bei den Denkern die Ansprüche, welche bisher das Christenthum gemacht hatte, in Nichts zurück! Da, wo noch das Dogma vertheidigt wurde, mangelte es größtentheils an Wärme des Gemüths, der Skepticismus hatte der knöchernen Orthodoxie gegenüber leichtes Spiel; er hatte den Witz, die Phantasie, die zur Hilfe geruf'ne empirische Wissenschaft für sich und war durch das allgemeine Zugeständniß gesichert, daß seine künstlerische Aeußerung in den verschiedenen Literaturen, die damals Geltung hatten, namentlich in der englischen und französischen, auch zugleich Epoche im Schriftenthum überhaupt machten. Die Sarkasmen Bayle's hatte Shaftesbury nach England übertragen und wie in Frankreich bald alles, was schrieb und dachte, in jener Denkungsart lebte, deren Koryphäen sogar in Deutschland an den Hof eines Königs als Paradestücke des Geschmacks und der Philosophie gerufen wurden, schossen auch in England feine und redegewandte Spötter nach einander auf, welche, schon die Grundlagen der Religion überhaupt verwirrend, dem Christenthum nun gar noch keine weitere philosophische Geltung zugestanden. Die innern Widersprüche der Bibel wurden aufgedeckt; zum Erstenmale fing man an, die volksthümlichen Elemente, Nationalvorurtheile und Traditionen aus vergangnen Zeiten in den Berichten des neuen Testamentes zu unterscheiden; das phantastische Gewand, die jüdisch-orientalische Schlacke, in welche sich die Erzählung vom Ursprung des Christenthums hüllte, wurde von ihr abgesondert und der übrig gebliebene Rest, mit dem man nichts anstellen kann, weil das innere Wesen des Christenthums allerdings mit seiner äußern Erscheinung innig verbunden ist, schrumpfte in eine Begebenheit zusammen, deren tausendjährige großartige Nachwirkung die Neuerungssucht nicht vermochte, sie für größer zu halten, als sie ihr erschien. -- Ja, ist nicht sogar das Faktum eines gekreuzigten Christus gänzlich geläugnet worden? und hat man ihn nicht zu einer dichterischen Personifikation der Sonne in demselben Sinne machen wollen, wie schon im Herkulesmythus nichts als eine Verherrlichung der wunderthätigen Wirkungen jenes Gestirns enthalten seyn sollte? Das, was uns das achtzehnte Jahrhundert vom Christenthum hinterließ, war eine wüste Zerstörung, über deren Trümmern man höchstens noch der natürlichen Religion Tempel bauen wollte.

Das religiöse Leben selbst konnte eben so wenig gedeihen, da es nichts mehr zur Anknüpfung vorfand. An Verketzerung und Verdammung des Skepticismus von Seiten der Orthodoxie fehlte es nicht, allein die Orthodoxie, die sich selbst überlebt hatte, enthielt keine Befruchtungskeime mehr in sich; sie konnte durch praktische Wirksamkeit in den meist leer stehenden Kirchen kaum mehr bewirken, als daß sich die dogmatischen Sätze und die biblischen Ausdrücke dafür in dem Gedächtniß des Volkes nicht ganz verloren. Pietisten gab es zwar hier und dort. Wie aber ihr Streben immer nur auf Absonderung geht, so konnten sie die trockne Geistesrichtung, die sie umgab, selbst wenn ihnen Macht der Rede und Vermögen zu Gebote stand, wie beim Grafen Zinzendorf, doch nicht entzünden, und wenn es erwiesen ist, daß sich das religiöse Bewußtseyn allmälig wieder durch die Zerstreuung der Menschen und die Nüchternheit ihres Verstandes durchgearbeitet hat und unsre Zeit gegen die vergangene wenigstens eine allgemeine Durchschnittsreligion wieder anerkennt, so ging dies nicht von den Pietisten aus, als wenn sie gleichsam allein den göttlichen Funken geschürt und gehütet hätten, sondern es trafen manche andere Umstände zusammen, welche den erwähnten Unterschied hervorriefen.

Indessen ist gerade durch die Geschichte des religiösen Geistes, wie er in unserer Zeit gegen die vergangene absticht, ein wichtigeres Ergebniß für das Christenthum enthalten, als wenn Konzilien, Universitäten oder Männer von dem Scharfsinn eines Kant über das, was am Christenthum zulässig oder verwerflich ist, entschieden hätten. Ich meine nämlich dies: In dem Maße als wir das Christenthum gegenwärtig gegen die Erbschaft des vorigen Jahrhunderts reagiren sehen; in dem Maße, als sich der christliche Glaube wieder sichere Ruhepunkte und positive Anknüpfungen hat erobern können; ist auch die Fähigkeit und Kraft ausgesprochen, welche wir hinfort der Tradition dieses Glaubens für zukünftige Zeiten zuschreiben dürfen. Denn wenn wir im Allgemeinen doch nicht läugnen können, daß unsre Zeit, die doch von der Spottlust der vergangenen so weit entfernt ist und gerade, durch mancherlei Umstände bewogen, den besten Willen zeigte, das Christenthum wieder in seine alte ehrwürdige Geltung einzusetzen, es doch nicht mehr bis zu einem glänzenden Siege desselben, bis zu einer aus ihm selbst hervorstrahlenden Entfaltung seiner göttlichen Glorie zu bringen wußte; möchte man da nicht auch annehmen, daß das Ziel, welches vom Christenthum ferner erreicht werden kann, nun wohl deutlich und klar genug vor Augen liegt? Jezt, wo Niemand mehr für die Frivolität eines Voltaire einstehen will, wo Jedermann den Atheismus für Renommisterei ansieht und die biblische Geschichte sicher ist, gegen jede Zerlegung ihres naiv-erhab'nen Inhaltes allgemeinen Schutz zu finden; ist es doch auffallend genug und mit einer außerordentlichen Belehrung für uns und alle Zeiten verbunden, daß wir in der Stufenleiter von Entzückung und Gottandächtigkeit, die das Christenthum schon erlebt hat, doch nur eine der mittelsten Sprossen wieder einnehmen und beim besten Willen, die Göttlichkeit der Offenbarung anzuerkennen, doch nicht höher gekommen sind, als das Niveau unsres gegenwärtigen religiösen Bewußtseyns ist. Jedermann, selbst der vernunftgläubigste Rationalist verwirft die Behandlung, welche das achtzehnte Jahrhundert dem Christenthum widerfahren ließ und dennoch hat sich dasselbe nicht wieder von seiner Erniedrigung bis zu dem alten Glanze erheben können und bedarf einer Menge zusammentreffender Umstände, bedarf eines großen Apparats von origineller Spekulation auf der einen, und überschwenglichen Gefühls auf der andern Seite, um sich ungefähr in der Stellung zu erhalten, in der es sich gegenwärtig befindet. Die organische, Leben und Geschichte schaffende Kraft hat das Christenthum verlassen; der Keim von Civilisation und Völkerbeglückung, der in ihm lag, sein Historie schaffendes Moment ist abgestorben und hat sich überlebt. Die Reformation mit ihren Folgen war die lezte Verklärung der dem Christenthum mitgegeb'nen Schöpfungskraft. Allein wie entschieden gerade diese Schöpfung gewesen ist, sieht man z. B. daraus, daß doch gewiß in der gegenwärtigen Erscheinung des Christenthums das Moment liegt, auch der Katholicismus müsse noch einer organischen Wiedergeburt theilhaftig werden. Und was ist unwahrscheinlicher? Der Katholicismus kann innere Reformen mit sich vornehmen, er kann es sogar bis zur Aufhebung des Cölibats bringen und doch würde dieser Umschwung das Meer der Dinge und Begebenheiten, das Meer der Geschichte in keine großen Wallungen mehr versetzen. Und wäre die erneuerte Umwandlung des Katholicismus in religiöser Hinsicht so durchgreifend wie die Reformation es war, so würde sie derselben doch nie darin gleich kommen, daß sie es wie jene auch in politischer seyn könnte. Das Tau, welches früher den Anker des Glaubens und das Fahrzeug des historischen Lebens zusammenhielt, ist durchschnitten. An die Geschichte der Zukunft werden sich noch zahllose Hebel legen können, aber keiner derselben wird vom Christenthum ausschließlich in Bewegung gesezt seyn.

Dennoch kann bei diesem wunderbaren Resultate, welches unsere Zeit gewonnen hat, das Christenthum an und für sich noch der segnenden Wirkungen eine Fülle haben; es kommt nur darauf an, daß die Parteigänger desselben sich nicht mehr einreden, große, offene Völkerschlachten zu gewinnen. Kreuzzüge können nicht mehr gepredigt werden; ja es ist selbst dies das Rührende am Katholizismus, daß es die im Schooße desselben lebenden kühnen Männer und aufgeklärten Denker der Mühe gar nicht werth halten, ein in sich selbst verwelkendes und absterbendes Institut zu bekämpfen oder neu zu beleben. Wo sollte man glauben, daß der Katholizismus tiefere Lebenswurzeln geschlagen hätte, als in Spanien, und dennoch schwankt er bei den gewaltigen Umwälzungen dieses Landes, wie mechanisch abgewogener Ballast, von einer Seite auf die andere. Das Volk hängt an den Symbolen dieses Glaubens, ohne aber viel weiter zu sehen, als höchstens noch bis zu einem berühmten Wallfahrtsorte. Zusammenhang einer allgemeinen Kirche, Rom, der Pabst -- das sind abgestorbene Begriffe, die bald auch nicht mehr in Spanien gelten würden, wenn fanatische Priester sie nicht zuweilen anschürten. Man mag nun von dem Constitutionalismus, der jezt über die Spanier gekommen ist, denken, was man will, so muß man doch einräumen, daß er nichts Gezwungenes und Gemachtes ist, sondern mit jener Idee zusammenhängt, welche man in Spanien von Culturfortschritten überhaupt hat. Dieser Constitutionalismus ignorirt aber das religiöse Leben mit vollkommnem Gleichmuth. Er wirft dem gemeinen Volk einen Knochen hin, woran es nagen mag, denkt aber, trotz des über ihn gekommenen Reformationseifers, nicht im Entferntesten daran, auch noch die Kirche als etwas Wesentliches anzusehen, worauf es im Völkerleben groß ankäme.

Und blickt man dahin, wo in Religionssachen nicht mehr die unmittelbare gotttrunkene Vision des Himmels sich zeigt, sondern Prämissen und Brücken gebaut sind, um in das Allerheiligste einzusteigen, so sieht man dort eben hinlänglich, daß Religion und Christenthum überall da, wo sie etwas Wirksames vorstellen, vermittelt sind, vermittelt durch die Verachtung der Welt, vermittelt durch die Armuth, vermittelt durch die Schwärmerei, durch die Philosophie. Und in dem Gebiete der Lehre selbst, wie auch in dem gebildeten Theile der Gemeinde, herrscht so heftiger Prinzipienstreit über die Erkenntniß des Göttlichen und die dem Verstand und der Phantasie gesezten Grenzen, daß in der That das religiöse Bewußtseyn nicht nur überall ein kämpfendes ist, sondern auch für sich abgeschlossen und vereinzelt dasteht.

Wir haben es gegen das vorige Jahrhundert dahin gebracht, daß weit mehr religiöse Innigkeit verbreitet ist, als früher, daß die Kirchen besuchter sind, daß die Literatur nicht mehr denkt, durch eine Verspottung christlicher Lehrbegriffe ihre große Aufgabe zu lösen; allein zu einer vollkommenen Wiedereinsetzung des Christenthums in seinen vorigen Stand, zu einer sich von selbst verstehenden Begründung aller moralischen und Kulturfragen einzig und allein durch das Christenthum, zu einer ihm verliehenen Gewalt, wieder die sittliche Voraussetzung aller Dinge zu seyn; dazu konnte es unsere Zeit nicht bringen, und keine Zeit wird es wieder dahin bringen. In der Prüfung und Sichtung der mit dem Christenthum verbundenen philosophischen oder historischen Fragen wird hinfort nur noch die größte Freiheit herrschen. Die wechselseitigen Meinungen können sich austauschen, ohne verketzert zu werden. Christus kann nach Jedes eigenthümlicher Weise gepredigt werden; er kann dem Einen Gott, dem Andern Mensch seyn: da findet keine Ausschließung mehr statt; und ebenso würde die Kirche, wollte sie diese Ausschließung üben, entweder bald verlassen seyn, oder sich entschließen müssen, wollte sie einmal Normalbegriffe festsetzen und unumgänglich machen, das Wesen der Gemeine auf die Kirchenstühle zu beschränken und die Gemeinschaft nur innerhalb der Steinmauern der Tempel gelten zu lassen. Das würde aber gerade eine Erscheinung wie in der politischen Welt geben, wo die linke Seite, wenn sie auch nicht das Heft der Regierung in Händen hat, darum doch nicht aufhört, dem gemeinsamen Vaterlande einverleibt zu bleiben und den einmal empfangenen Stempel des Ganzen überall, selbst noch im Auslande zu zeigen, nämlich in der sie Alle liebenden und umschließenden Muttersprache. Die Geistlichkeit weiß auch zu wohl, daß die Kirche nicht bloß da ist, wo eine Kanzel ist, sondern sie liegt beständig im Streite mit den Richtungen, die sie sich feindlich glaubt, sucht sie zu gewinnen und hütet sich wohl, sich eine größere Gewalt zuzutrauen. Sie erklärt die Taufe für einen bürgerlichen Akt schon dadurch, daß sie denen, welche für den neugeborenen Weltbürger das Glaubensbekenntniß ablegen, nach Umständen eine strengere oder nachgiebigere Formel anzubieten hat, ja daß sie sogar zugesteht, der Pathe solle nicht sein eigenes Bekenntniß ablegen, sondern nur sagen, ob er wünsche, daß das Kind in einer Weise erzogen werde, die gar nicht mehr zu umgehen ist, weil sie zur bürgerlichen Ordnung gehört. So die Meinung toleranter Theologen! Strengere, die bei dieser oder jener Gelegenheit 36 Artikel beschworen wissen wollen, oder Gesetzesvorschriften, die diesen Schwur zur Bedingung von Rechten und Aemtern machen, gehören der Zeit nicht mehr an und nähren nur noch auf beklagenswerthe Weise den Rest von Erbitterung gegen die Kirche, der sich vom vorigen Jahrhundert auf das unsrige vererbt haben dürfte. Das große Gesetz für die Zukunft wird sich geltend machen, daß es keine Kirche mehr, sondern nur noch Wahlverwandtschaften gibt und daß die Gemeinde nicht mehr aus solchen besteht, die zusammen gerufen werden, sondern die sich selbst zusammen finden. Es gibt keine Religion und kein Christenthum mehr ohne Ueberzeugung, und deßhalb ist der Glaube die Sache des Einzelnen geworden.

Wenn man nun aber doch bei dem in Religionssachen herrschenden Freimuth anerkennen muß, daß in unserer Zeit selbst der Indifferentismus die gute Seite hat, daß er wenigstens eine Verspottung des Heiligen nicht zu äußern wagt, und wenn sich sogar eine weit größere Innigkeit aus den Gemüthern der Menschen hervorarbeitete, und religiöse Empfindungen hie und da zu wunderlich überreiztem Ausbruch kommen ließ, so mußten mancherlei Ursachen dazu beitragen, einen solchen Umschwung in der Stimmung und Gesinnung der Zeitgenossen hervorzubringen. Zunächst klang, verborgen zwar und still, aber doch rein und lauter, aus dem vorigen Jahrhundert selbst ein frommer Ton herüber, oder wenigstens ein solcher, der zunehmend und sich verstärkend wohl dem Läuten der Kirchenglocke ähnlich kam. Der Esprit und die Frivolität jener Zeit konnten das Herz nicht befriedigen, und wenn auch nur Wenige ein so ernstes Streben nach Wahrheit in sich pflegten, daß sie, angewidert von dem spirituellen Leichtsinn jener Zeit, oder gar in Schrecken gesezt von dem materiellen Dogmatismus, in welchen sich die Zweifelsucht verlor, nach einer reineren Quelle der Erkenntniß suchten: so konnten sie doch mit der Zeit ihr eigenes Ufer übertreten und den an der Sonne der Aufklärung schmachtenden Sand erfrischen. Es ist hier nicht von dem Pietismus und den Dissenters die Rede, die ihr religiöses Leben im trocknen Dogmen-Wortspiele entnerven ließen, wohl aber von Richtungen, die zunächst gar nicht aus christlichem Bedürfniß und nicht einmal völlig aus religiösem hervorgingen, sondern nur mit der Zeit eine Anwendung darauf zuließen. Die kalte Verstandesrichtung trieb das entgegengesezte Extrem, eine melancholische Empfindsamkeit hervor. War auch diese zunächst nicht auf göttliche Dinge gerichtet, sondern vielmehr eine Vergötterung des in allen seinen innern Zuständen belauschten Menschen, so wurde dadurch doch ein innigerer Verkehr der Gemüther gepflegt. Es rückten Gleichgesinnte näher zusammen und schufen sich einen Cultus, der zwar nur der Liebe und Freundschaft gewidmet war, aber doch mit der Zeit leise an die tieferen Geheimnisse der Welt und des Lebens anpochte. An einzelnen Charakteren, die sich sogar in die Annalen der Geschichte geschrieben haben, kann man den allmäligen Uebergang aus dem Ueberdruß an der grassirenden Verstandesrichtung bis zu einem mit rührender Zerknirschung ausgesprochenen Bedürfniß religiöser Ueberzeugung verfolgen. Wenn auch dabei das Christenthum immer noch in ziemlicher Entfernung blieb und fast eine wunderliche Furcht, sein höheres Bedürfniß mit dem Christenthum identificiren zu wollen, sich an dem damaligen Menschen unterscheiden ließ; so lag es doch in der Natur der Sache, daß das blinde Umhertappen in einem Reiche von Gefühlen, welche durch die entdeckten Wirkungen des Magnetismus noch geheimer und unklarer wurden, sich weder selbst beruhigen, noch mit Andern verständigen konnte. Der schwankende Kahn suchte ein Ufer, um anzulanden, und lief, um sich mit dem ewigen Lebenswasser zu versehen, bald in die Häfen der heiligen Küste ein. Da die Zeit einer neuen Religionsstiftung nicht günstig oder sie dazu nicht reif war, so konnte man nur auf das Christenthum wieder zurückkommen. Dies wurde der ungefähre positive Ausdruck für ein unbestimmtes Beben und Bedürfen, welches die Gemüther der Menschen beängstigte. Man hatte in ihm eine haltbare Form und Stoff zur Uebung seiner innern Kräfte genug, weil es im Bereiche der Kirche genug Erstarrtes zu lösen, Gebundenes zu befreien, Fremdes zu bekämpfen gab. Nichts hebt ja die Menschen so hoch, selbst über ein Maß von Kraft, das man sich nie hätte zutrauen sollen, so hoch selbst über das Maß von Ueberzeugung, über welches man sich Rechenschaft geben kann, als die Nothwendigkeit, seine Sache vertheidigen zu müssen. Der Ueberschwenglichkeit in negativen Richtungen stellte sich eine andere im Positiven gegenüber und bewirkte dadurch allerdings, daß zwischen beiden Lagern der Indifferentismus sich hindurchdrängte, gab aber zugleich den Institutionen der christlichen Kirche Zeit, sich von ihrem Falle zu erheben und sich mit neuer Würde zu bekleiden. Und wo die, die alte Dogmatik belebende Gefühlswärme nicht blinde und fanatische Jünger für den Streit erwecken konnte, da strömte sie doch allmälig in die allgemeinen Empfindungen über und machte, daß die Herzen der Menschen sich weicher und laulichter befühlen ließen; aus welcher Stimmung sich eigentlich die ganze Stellung unsrer Zeit gegen das Christenthum ergeben hat, nämlich diejenige, daß man zwar nicht mehr blind an seine Dogmen glaubt, sie aber als einen heiligen und ehrwürdigen Ueberrest des Alterthums geehrt und möglichst erhalten wissen will.

Bei den politischen Stürmen, welche durch das Grenzgebirge der beiden Jahrhunderte sausten, hätte das Christenthum, wäre es noch ein hoher, die ganze Welt überragender Stamm gewesen, unfehlbar den aufgeregten Elementen nicht widerstanden. Napoleon schonte wohl auch deßhalb den Pabst, weil er ohnehin schwach genug und in der hartnäckigen Benutzung seiner kleinen Macht dem gewaltigen Andrange seines tyrannischen Willens nirgends zugänglich war. Die Blüthen des Christenthums wuchsen längst auf niedrigen Gesträuchen und konnten deßhalb leichter verschont werden, indem die Wetter der Geschichte über ihnen wegrollten. So kam es, daß diese gewaltigen Geburtswehen einer neuen Zeit, deren in Heiterkeit erzeugte und in Schmerz geborene Söhne wir sind, das Eigenthum der Kirche -- ich meine die in den Gemüthern gelegenen geistigen Besitzthümer derselben -- wenig verlezten; ja im Gegentheil schossen die dreigespaltenen Kleeblätter der christlichen Liebe aus der Wiese des Lebens frischer und grüner empor als je, da sich die Wolken oft genug entladen und Berg und Thal erquickt hatten. Unglück hebt, ein Ungewitter befruchtet. Die Empfindungen der Menschen, ihre Bestrebungen in allen Gebieten wurden nach endlicher Beilegung des langen Völkerkampfes muthiger und kräftiger; was in Frage stand, wurde mit ernstem Sinne angesprochen, der Anspruch wurde dringlicher wiederholt und wohl gar in Drohung verwandelt. So traten auch Kirche und Religion mit festen Schritten auf, entwickelten durch inneren Parteienkampf eine Fülle bisher unbekannter Lebenskraft; es war, als hätte die Zeit so Wunderbares und Außerordentliches selbst erlebt, als hätten die Menschen in dem Grade ihre Maßstäbe vergrößert, daß nun wohl auch in dem Gebäude des Christenthums der großartige Grundriß behauptet werden konnte. Der Himmel schien der Erde näher gebracht und das Wunder weniger unmöglich zu seyn. Die Zeitgenossen fühlten, daß sie nach so langer Zerstörung ein neues Leben aufzubauen hätten. Die Gebildeten unter ihnen wußten, welch ein Antheil am Dank daran den Massen gebührte, die sich im Schmelztigel widerwärtiger Begegnisse verjüngt hatten. Da war man auch gerecht genug und besonnen, aus der Zerstörung so viel zu retten, als möglich war, und in den Momenten, wo Eile und Hilfe Noth that, keine großen Schöpfungen aus dem Nichts oder aus der Theorie zu beginnen. Freilich hat man zu weit reagirt und zu viel künstlich musivisch zusammengesezte Trümmer der Vergangenheit als dauerhafte und unumgängliche Organe unsres Lebens darstellen wollen; allein ein Theil jener Reaktion war gerecht und billig; denn Niemand baut ein neues Haus, ohne die Steine des alten, welches auf derselben Stelle stand, mit zu demselben zu verwenden.

Außer diesem großen Zuge der Begebenheiten gab es manche andere günstige Einwirkungen, welche Religion und Kirche wieder in einen Theil des alten Ansehens sezten. Philosophie und Kunst hatten sich aus der verworrenen Gegenwart in die alten Zeiten geflüchtet. Die kräftigsten Gedanken und verklärtesten Phantasien waren in dem immergrünen Epheu der Vergangenheit verwirkt. Das Studium zog eine so süße Gewöhnung an seinen Gegenstand nach sich, daß sie sich auch auf die neuen Verhältnisse übertrug. Die Denker wurden auf den Zusammenhang der bisherigen Menschenschicksale aufmerksam und erkannten den Unterschied der Zeiten und Epochen, und verliebten sich wohl in die Merkmale derselben selbst. Die Künstler überzeugten sich, daß die wahre Meisterschaft allerdings in der persönlichen Kraft des Einzelnen liegt, aber daß selbst den Gemälden eines Titian und Raphael kein so großer Zauber inwohnen würde, wenn sich die Phantasie dieser Künstler nicht an den Hintergrund ihrer Zeit und des damaligen Lebens hätte lehnen können. Wie viel Aufforderung, die kalten, zweifelnden Stimmungen zu bekämpfen und Ernst und Thatkraft wieder herzustellen! Dazu kam, daß die Unbill der Ereignisse selbst, und namentlich ihre auf die Volkswohlfahrt wirkenden Nachwehen, daß die Verletzungen der Nationalitäten und die Demüthigung stolzer Fürstengeschlechter die Menschen mannigfach erregte, an den Himmel und das ewige Recht zu appelliren. Die Kräftigen boten sich der Gerechtigkeit selbst als Schwert der Rache an, die Sanfteren zogen sich in die Einsamkeit zurück, um jenen trauten Umgang mit dem Geheimnißvollen zu nähren, welcher in der Form des Pietismus zwar Nichts so sehr untergräbt, als die Kirche, aber auch Nichts so sehr gehoben hat, als die Religion. Ja, selbst wo man von einer so krankhaften und trägen Erregung der Gefühle und einer im wässerigen Auge des Pietismus unstät umherirrenden Gedankenlosigkeit sich verlezt fühlte, da sah doch der ernste Denker, dem nur der Mangel an Freiheit in jener Verwirrung, an Selbstbewußtseyn und freudigem Menschenstolze so widerwärtig war, daß allerdings diese krankhafte Absonderung von der Gesellschaft weder mit Stillschweigen umgangen, noch mit Lächeln widerlegt werden konnte; sondern der Krankheit mußte man Gesundheit gegenüberstellen; man mußte sich selbst auf einem ernsten Streben nach Aufklärung in göttlichen Dingen ertappen lassen. So baute sich eine Stimmung auf die andere. Und dadurch, daß man mit einander stritt, eine Idee so oder so zu bestimmen, konnte denn wohl die Idee selbst nur gewinnen.

Selbst die ausschließlich politischen und sozialen Tendenzen der Zeit konnten der sich einmischenden Religion nicht entrathen. Alles, was die Humanität erstrebte, konnte durch fromme und edle Motive nur gerechtfertigt werden. Wodurch ließ sich die Abschaffung der Sklaverei eindringlicher empfehlen, als durch die Lehre von einer durch das Christenthum veredelten Menschenwürde! Und wenn man sich streitet, ob die Juden ein Recht haben sollen, an unsern gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten Theil zu nehmen, so konnte sich an dieser Frage das Schwert des Glaubens vorn und hinten, beim Für und Wider schärfen. Die Gegner der Frage drangen auf das Christenthum als ein heiliges Fluidum, das durch die Adern unsers politischen Lebens rinnen solle; die Vertheidiger riefen den Geist der Milde und Versöhnung an, indem sie ohnedies das Heil der Religion nur in ihrer Trennung vom Staat erblicken. Wir wollen später erst die Frage entscheiden und sagen, wessen Berufung die richtigste ist; allein beide haben einen ernsten und tüchtigen Bewegungsgrund, der wenigstens das Wesen der Religion nicht kompromittirt. Und so sind bei all den großen Fragen, mit deren Lösung unsere Zeit sich beschäftigt, die Wahrheiten der Religion und Moral, tröstend oder anfeuernd, immer in der Nähe des Schlachtfeldes geblieben. Der Irrthum beruht sich auf sie, die Wahrheit, die Lüge, die Ueberzeugung. Die Religion kann entstellt, aber so leicht nicht mehr mit Füßen getreten werden, wie im vorigen Jahrhundert.

Gehen wir nun auf das religiöse Leben der Gegenwart näher ein, so wollen wir für diese Gedankenreihe drei Zielpunkte feststellen: 1) die Religion im Gebiete der Kirche und als Wissenschaft; 2) die Religion im Gebiete des Staats; 3) die Religion in Beziehung auf die Gesellschaft und als Gesinnung.

-- Es war dem kritischen Sinne unserer Zeit angemessen, daß man in der Theologie hauptsächlich über Ursprung und Zusammensetzung der Bibel Rechenschaft zu geben suchte. Sie wurde wie jedes andere vom Alterthum überlieferte Buch betrachtet, und um so lieber in ihrer Geschichte verfolgt, als es der Theologen genug gibt, welche den Dogmen nicht gern ins Antlitz sehen und ihre Gelehrsamkeit lieber in einem Gebiete walten lassen, wo sich zwar allerdings aus den wissenschaftlichen Resultaten Schlußfolgerungen der wichtigsten Art für das Christenthum ergaben, man aber nicht genöthigt war, diese selbst zu ziehen, indem man die Theologie bloß für einen Zweig der Philologie ansah. Die gegen die Schriftsteller des Alterthums nicht selten mit glänzendem Erfolg aufgetretene Zweifelsucht theilte sich auch der Bibelforschung mit. Die ersten Bücher des alten Testaments verloren den Nimbus von Uralterthum, in welchen sie sich bisher durch den Glauben, daß sie von Mose wären, gehüllt hatten. In eine viel spätere Zeit wurden diese angeblich ältesten Urkunden des Menschengeschlechts hinaufgerückt, und aus Gründen der Sprachbildung wurde z. B. das Buch Hiob als älter erkannt, denn die Bücher Mose. Es gesellte sich zu der kritisch-linguistischen Erklärung namentlich auch beim alten Testament eine ästhetische, die, von allgemein literarischen Gesichtspunkten ausgehend, sich nicht scheute, alles bisher natürlich Erklärte bildlich zu nehmen und in der heiligen Poesie der Hebräer weit weniger der Heiligkeit, als der Poesie ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Durch dies zunächst allgemein literarische Interesse wurde die Bibel (altes und neues Testament) bald vom Duft der orientalischen Dichtkunst und Mythe umwoben, so daß das ursprünglich noch im Christenthum befindliche Hebräisch in Sitten, Glauben und Sprache bald als die Frucht jenes Riesenbaumes der Phantasie erkannt wurde, welcher über den ganzen Orient seine Zweige schatten ließ. Wenn nun auch der anatomische Verstand gegen die Schriften des neuen Testaments mit schonungsloser Prüfung ihrer Aechtheit verfahren war, so hatte man doch durch die Kritik zu keinem festen Ziele kommen können. Ueberall schwankte man auf unsicherm Boden, innere und äußere Widersprüche lagen offen da; allein dies bloß formelle Verfahren bedurfte gerade jener Ergänzung, die von dem Zusammenhange mit dem Oriente hergeleitet wurde. Es war schwer, das historisch Unglaubwürdige und kritisch Ermittelte von den übrigbleibenden Schlacken abzusondern und auf einen sichern Platz zu bringen. Man konnte selbst die erhabene Erscheinung des Erlösers nicht so rein aus den Nebeln der Bibel herausführen, wie man ihn wohl gesehen hätte, sondern nach den scharfsinnigsten Untersuchungen über das Einzelne wußte man doch nicht, sie auf das Ganze anzuwenden. Man mußte sich gerade wieder an die Vorstellung des Ganzen gewöhnen, weil ohne dieses jeder einzelne Bestandtheil todt war. Es ist wohl leicht zu zeigen, was im Leben Jesu richtig und einzig und allein möglich war, allein gerade die mythische Verklärung ist schon so innig mit diesem Urstoff der großen Begebenheit, die eine neue Welt schuf, verflossen und vermischt, daß man ohne dieselbe sich in der Beurtheilung der Bibel gar nicht mehr auf religiösem Gebiete befinden würde. So hat auch der Nachweis, daß das Meiste in der Bibel mythisch zu verstehen sey, der Nachweis des Zusammenhangs der verschiedenen jüdischen und gnostischen Faktoren, die das Christenthum bildeten, mit dem Oriente seine Untersuchungen damit geendet, daß sie am allerwenigsten zur Benachtheilung des Christenthums dienen sollen. Die Lehren der Bibel hören darum, daß man sie auch in anderen Büchern des Orients findet, nicht auf, geheimnißvoll zu seyn; es handelt sich jezt nicht mehr darum, wie im vorigen Jahrhundert, über die Plagiate, welche das Christen- und Judenthum an seinen Umgebungen beging, zu lachen; sondern die Wissenschaft ist längst auch in den nicht christlichen Quellen des späteren Christenthums geneigt, Alles, was Nachdenken und Gefühl verräth, was den Stempel heiliger Forschung an sich trägt und eine Ahnung höherer Ideen ist, als ehrenwerth, und es komme, woher es wolle, anzuerkennen.

Freilich kann man, wenn es sich nur darum handelt, bestimmte Dogmen festzustellen, welche, zur Glaubensnorm erhoben, ferner noch das Symbol der Kirche bilden sollen, nicht in Abrede stellen, daß diese angedeutete Richtung auch zu weit gehen kann. Der Rationalismus, der dies geradezu behauptet, hat darin sehr recht, daß er eine Religion verlangt, die nur deßhalb die Offenbarung verwirft, weil in der That die Religion zwar kein unmittelbares Erzeugniß des Individuums seyn kann, wohl aber mit der unmittelbaren Fähigkeit des Menschen, Religion zu fassen, zu begreifen und in sein Inneres einzuführen, zusammenhängen muß. Der Streit, in welchen die Dogmatiker zu allen Zeiten gerathen sind und in dem sie noch liegen, dreht sich um die Quelle der Religion, ob sie eine natürliche oder geoffenbarte wäre. Die Einen trauen sich alles zu, es selbst und so gut wie Gott und die Geschichte zu schaffen, die Andern aber nichts. Die Leztern sind jedenfalls, da sie in der Offenbarung etwas Mechanisches sehen, ganz beschränkte Buchstabenmenschen. Sie sehen in der Religion eine Veranstaltung, die allein von Gott herrühren soll. Die Andern bilden sich ein, daß jeder Einzelne aus sich selbst eine Theodicee schaffen könne, was vielleicht nur deßhalb so glaublich gemacht werden konnte, weil wir unwissend genug über den Anfang und die Möglichkeit unseres Wissens sind. Dieser Zwiespalt zwischen den Vernunft- und Offenbarungsgläubigen schuf eine dritte Partei, welche die Tradition der religiösen Begriffe als eine Offenbarung, wenn nicht Gottes, doch der Geschlechter gegen die Geschlechter annimmt, das Christenthum als eine der lautersten und tiefsinnigsten Offenbarungen dieser Art anerkennt, und gerade in die Befolgung der Vorschrift desselben, daß man Alles prüfen und das Beste behalten solle, das eigentliche Wesen der christlichen Religion sezt. Die Stoffe sind gegeben und wir sollen darnach trachten, sie uns anzueignen. Wir sollen unser Leben gleichsam zu einer Arrondirung im Christenthum machen und mit redlichem Ernste streben, davon so viel, als unsere Kräfte vermögen, zu bewältigen. Der Rationalismus wird also von dieser Meinung als ein Hilfsmittel zur Kritik des überlieferten Glaubens genommen, wenn sie auch in Abrede stellt, daß das Religiös-verbindliche selbst jemals ein unmittelbares Machwerk der Vernunft seyn könne.

Die streitenden Parteien innerhalb der christlichen Kirche entfernen sich zu sehr von dem Wesen der Religion überhaupt. Es liegt ohne Zweifel in dem Ausdruck: »Vernunftreligion« ein Widerspruch oder wenigstens eine Zusammenstellung zweier Wörter, die nicht zusammen gehören. Wenn Vernunftreligion das Erzeugniß und das Gesetz der Vernunft seyn soll, dann begreift man nicht, warum die Vernunft überhaupt noch der Religion bedarf und weßhalb sie sich selbst herablasse, noch eine Erregung ihres innersten Wesens zuzugestehen, die nicht schon in ihr selbst läge. Weit richtiger wäre der Ausdruck, wenn unter ihm bloß die Nagelprobe verstanden seyn sollte, welche allerdings die Religion vor der Vernunft zu bestehen hat, so daß die Vernunftreligion deßhalb vernünftig genannt wird, weil sie nicht wider die Vernunft ist. Denn man muß darauf zurückkommen: die Religion ist zunächst nichts, das mit der Vernunft aus einem andern Grund in Berührung kommen dürfte, als darum, daß sie so gut der Prüfstein der Religion ist, wie z. B. der Kunst. Die Phantasie hat noch Niemand für das Produkt der Vernunft ausgegeben, wie auch noch Niemand sagte: Vernunftphantasie. Darum hört aber die Phantasie noch nicht auf, der Vernunft als der Richtschnur ihrer Aeußerung unterthan zu seyn, wie frei sie sich auch sonst bewegen kann und wie spezifisch verschieden sie auch sonst von der Vernunft ist. Hätte das Gefühl solche Umrisse, wie die Anschauung sie haben muß, so würde die Vergleichung der Religion mit der Phantasie und Kunst noch schlagender seyn. Daß Phantasie und Vernunft etwas ganz verschiedenes und doch dasselbe sind, sehen wir ohne weiteres ein; allein wir würden es auch von der Religion und Vernunft einsehen, wenn nicht das Wesen der Erstern im Gefühle läge und wenn das Gefühl sich so begrenzen ließe, wie phantastische Visionen im Interesse der Kunst. So sollte denn auch der Ausdruck: Vernunftreligion nie etwas Anderes bedeuten, als daß man sich zu einer Religion bekennt, die der Vernunft nicht widerspricht; nimmer aber soll man glauben, daß Vernunft Quelle der Religion seyn könne, welches eine eben so unverständige Zusammenstellung wäre, als wenn man von einem Gemälde Wunder etwas zu sagen glaubte, wenn man sagte, daß es von der Vernunft eingegeben wäre!

Ja die Vernunft ist nicht selten weit mehr ein Hinderniß als eine Förderung der Religion, in dem Sinne nämlich, wie auch der Künstler wohl zagt und verzweifelt beim späteren Anblick einer ihm durch den Moment ohne viel Ueberlegens eingegeb'nen Schöpfung. Die Vernunft selbst, im thätigen Zustande gedacht, ist der Verstand. Der Verstand reißt aber nur nieder, prüft und sichtet. Wie er fortwährend die positiven Momente in dem schöpferischen Drange des Künstlers aufhebt, so würde er ja auch fortwährend die Religion beschränken. Wie oft ist Rührung, die doch eine Aeußerung der Religion ist, nicht in Gefahr, in uns selbst von unserm eigenen Verstande verlacht zu werden, so daß man nur weint mit dem Ausruf: Was bist du für ein Narr, daß du es thust! So liegen diese verschiedenen Gebiete der Unmittelbarkeit und der Reflexion wohl nahe an einander, sind aber nicht dasselbe; sie berühren sich, ohne jedoch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu haben.

Und auch dies, daß die Vernunft ein Prüfstein der Religion wäre, ist nur dahin zu verstehen, daß die Religion allerdings darnach strebt, ihre Momente zu fesseln und Worte für sie zu suchen, ebenso, wie die Kunst nach Fixirung ihrer Phantasie strebt und sich in fertigen und abgeschlossenen Werken erst vollkommen genügt. Laokoon, ein Gemälde Raphaels, ist in dem Sinne nichts Reelles, als der Verstand nach Realitäten strebt, es ist nichts, das aus sich selbst einen Werth ansprechen könnte, es läßt sich nicht zerlegen, umschmelzen und in eine andere Form gießen, sondern es ist das, was es ist, eine faktisch gewordene Grille, die ihre Wahrheit nur in der Wahrheit jenes Momentes hat, der sie schuf, und wenn ein solches Gemälde auch noch so viel Entzücken verbreitet, so ist dazu unerläßlich: Demuth und gläubige Annäherung und eine die Anschauung des Dichters selbst wieder reproduzirende Anschauung. So ist es auch in der Religion. Die Dogmen sind ihre verkörperten Momente, sind die Kunstwerke des Glaubens, die ihren Werth und ihre Geltung nur im Glauben selbst haben. Die Dogmen sollen der Vernunft nicht widersprechen; allein was haben sie sonst mit ihr und dem Verstande gemein? Was ist ein Gemälde von Titian anders als eine Thatsache, die abgeschlossen in sich selbst ist und in dem Anfang, aus dem sie hervorschoß, auch ihr Ende hat! In diesem Sinne hat sich denn auch der religiöse Glaube, seitdem die Geschichte im Gang ist, eine Gallerie von Dogmen geschaffen, die man nur als die Verkörperung flüchtiger religiöser Momente betrachten darf, und auf beiden Seiten wird thöricht verfahren, sowohl, wenn man diese Dogmen mit juristischen Vorschriften verwechselt, die ihren Werth nur in praktischer Anwendung haben, wie die Orthodoxie es thut, als auch, wenn man das Messer der Kritik hineinsticht und etwas zerfleischen will, was kaum mehr, denn Duft und Nebel ist. Die Dogmen sollte man als die Blüthen betrachten, welche die religiöse Kraft der vergangnen Zeiten getrieben hat. Wer verlangt von ihnen mehr, als daß sie duften? Wer will uns ein Verbrechen daraus machen, wenn wir an der Fähigkeit, aus dem mannigfach umgeackerten Boden unseres Gefühles dieselben Pflanzen aufschießen zu lassen, verzweifeln? Wirken läßt sich nur darauf, daß auch wir aus der Kraft, die in uns wohnt, etwas unser Gefühl zufrieden Stellendes erzeugen; wer nichts aus sich selbst zu treiben vermag, der lasse den Samen der überlieferten Dogmen auf sich fallen und thu' es ihnen nach; da soll kein Spott Statt finden, wenn hie und da die Gegenwart noch so glaubt, wie die Vergangenheit geglaubt hat, aber auch keine Verketzerung, wenn das religiöse Gefühl sich in neuen Gebilden ausspricht; nur gegen die soll man kämpfen, welche ganz brach liegen und die Religion bloß zu einer Berechnung des Staats und der Ordnung machen wollen oder die wohl gar keine andere Innerlichkeit haben, als einen kalten, gleichgültigen und verneinenden Verstand.

Die Verdienste, welche sich England um die Ausbildung der Theologie erworben hat, mögen in seinen eigenen Augen sehr hoch stehen, desto niedriger aber in denen des Philosophen. Wenn man Bücher lesen will, welche das Christenthum mit Sätzen vertheidigten, die alle petitiones principii sind, mit Voraussetzungen, die selbst unbewiesen genug dastehen, so greife man nach den Schriften der englischen Theologie! Die christliche Polemik und Apologetik ist nirgends so ausgebildet, wie in ihnen; allein die Beweise gehen immer im Zirkel. Naturalisten, Freidenker, Nachkommen des Celsus, sind von unsern Origines massenweise bestritten worden und der Ernst, womit dies geschah, die beispiellose Dreistigkeit, mit der man an Sätze hielt, wo es kaum etwas Menschenmögliches zu seyn scheint, daran zu glauben, diese Orthodoxie, welche nebenbei auch immer die Blasen des biblischen Styles trieb, hat uns so vielen Schreck eingejagt, daß wir in religiösen Dingen wie die Schulknaben dasitzen und entweder Nichts oder Alles glauben. Die Möglichkeit, wie das Unterhaus über die Motive, mit welchen Sir R. Agnew seine Sonntagsbill zu vertheidigen pflegt, nicht laut auflacht oder die Achseln zuckt, rührt nur von dieser kecken Theologie her, die sich bei uns trotz des fortschreitenden Zeitgeistes erhalten hat. Auch das, was die Dissenters für die Theologie leisten, ist gering. Wen sein Glaube glückselig macht, der fühlt kein Bedürfniß einer wissenschaftlichen Prüfung desselben. Die Literatur der Dissenters besteht aus religiösen Romanen und Erweckungsschriften, in welchem Gebiet die Doddridge und Baxter viel evangelisches Wasser ausgesintert haben.

Trotz des Bannfluches, welchen Master Rose auf die deutsche Theologie geschleudert, werden unparteiische Forscher doch anerkennen, daß in der Schweiz, Deutschland und Holland das Meiste für die protestantische Theologie geschehen ist. Dort war das Christenthum nicht bloß, wie in England, die hochfahrende Grille der Geistlichkeit; sondern es wurde theils allerdings aus zweideutiger Stimmung gegen dasselbe, theils aber auch aus innigster Ueberzeugung und Hingebung sein Kern mannigfach geprüft, wurden die biblischen Urkunden erläutert und zu Grundlagen von Religionssystemen gemacht, welche zwar nicht immer zunächst vom Christenthum ausgingen, aber doch immer auf dasselbe zurückkamen, oder doch von solchen Systemen, die den christlichen Prinzipien eine Ausdehnung gaben, in die transcendentalsten Gebiete bis zum weißen, schimmerndsten Lichte der göttlichen Ideen. Sachsen ist jenes Land, von welchem die Reformation aufleuchtete und noch bis zu dieser Stunde zeichnen sich namentlich die Deutschen durch diese nimmersatte Unruhe aus, sich aufzuklären und das Geglaubte auch zu verstehen. So hat sich auch namentlich die protestantische Theologie hauptsächlich in jenen Ländern mit so vielem Geistesschmuck bekleidet, daß man die Urschäden, die unter der glänzenden Hülle verborgen, nicht merkt, oder aus Vorliebe zu seiner Illusion nicht merken will.

Was von dem Streit über Rationalismus und Supranaturalismus zu halten sey, deuten schon oben unsre Bemerkungen an. Keine dieser Richtungen hat einen ausschließlichen Werth. Sie drücken eine Methode, ein kritisches Verfahren aus; sie können auflösend und bekämpfend das Beste wirken, aber nur Halbes und Irrthümliches, wenn sie eine Religion schaffen, oder auch nur die Auffassung irgend eines Dogma bemeistern wollen. Im Grunde sind diese beiden Tendenzen auch von den meisten Theologen schon wieder umgangen worden, denn weder die wunderglaubige Theologie mögte, daß ihr die Schärfe des Gedankens abgesprochen würde, noch die bloße Verstandesrichtung, daß sie die Religion von allem Zauber des Geheimnißvollen entkleidet sähe. So suchten sich über diesen in dem noch wesentlichen Geiste des achtzehnten Jahrhunderts wurzelnden Parteien neue zu begründen, die zwar die Trümmer und Resultate der alten in sich sammelten, aber nur, um sie alle in einem Gebäude unterzubringen, das in weit größeren Umrissen als bisher angelegt war, und so glauben wir, daß, so weit wenigstens jezt unser Jahrhundert übersehen werden kann, auf dem theologischen Gebiete folgendes die Krone der heiligen Wissenschaft seyn und bleiben wird:

Nichts wird mehr in Abrede gestellt, weder die üble Zusammenstellung der Bibel, ihre untergeschobenen Stellen, noch die Absichtlichkeit, welche sich in dem Hervorheben mancher Eigenschaften des Messias, mancher Begegnisse desselben in Gemäßheit der prophetischen Stellen des alten Testaments findet. Die evangelische Geschichte kann von einem Augenzeugen, wie Johannes, in dem Geist, wie auch die übrigen sie auffassen, bestätigt seyn, auch der Versuch, für das Evangelium Johannis den bekannten Jünger nicht verantwortlich zu machen, kann gescheitert seyn; darum werden folgende Sätze noch nicht umgestoßen:

1) Die evangelische Geschichte ist nicht als reinhistorische Urkunde geschrieben worden, als die Chronik eines den wunderbaren Ereignissen parallel lebenden Autors, sondern 2) sie wurde geschrieben aus der Erinnerung einer schon ziemlich entlegenen Zeit; 3) sie wurde nicht als eine Lebensgeschichte des Heilands verfaßt, sondern als die historische Entwicklung eines Glaubens, der in dem Momente, als der Schriftsteller schrieb, schon gepredigt wurde, hie und da Fuß gefaßt hatte, und sich in seinem Kreise zu runden anfing. 4) Die evangelische Geschichte verbindet mit dem Historischen schon einen aszetischen und einen apologetischen Zweck. Sie will den Gläubigen und Ungläubigen Rechenschaft ablegen über ein Ereigniß, das bei dem Anspruche, überall gepredigt zu werden, nicht wunderbar genug dargestellt seyn konnte. 5) Es hatte sich bereits über das Leben Jesu die Reflexion verbreitet; denn Christus selbst hatte nicht so gelebt, daß er sich in die jüdischen Messiasbegriffe und die Citate aus dem alten Testamente so vertieft hätte, wie die Evangelisten diese typischen Beziehungen nicht bloß als den in ihrer Bildung liegenden Pragmatismus ihres Gegenstands benuzten, sondern sogar Erlebnisse des Heilands daran akkomodirten, um namentlich die Juden zu überzeugen, daß Christus der wahre Sohn Gottes gewesen. 6) In einer Zeit, wo die Bildung noch nicht durch jene zahllose Masse von Büchern, in die sie jezt verschlossen ist, in ihren einzelnen Momenten aus einander gehalten wurde, flossen auch gewöhnlich alle Begriffe, die wir jezt zu sondern und in bestimmte Fächer zu stellen wissen, in einander. Dasjenige, was der Einzelne wußte, konnte noch so gering seyn, aber er bildete sich ein Ganzes daraus; eben so in der evangelischen Geschichte, wie sie von den Geschichtschreibern aufgefaßt wurde. Sie waren nicht im Stande, so wie wir, an der Hand der Chronologie in der Geschichte vorzuschreiten, sondern sie wirkten einen Stoff, der ohnehin ihr Herz drängte, in einander und verfielen auch in den Fehler Ungebildeter, das einemal, wo man Gelegenheit hat, etwas zu sagen, gleich auch Alles zu sagen, was man weiß, wie denn in dieser Hinsicht Johannes schon am Beginn seines Evangeliums durch seine Lehre vom Logos der spätern Kritik eine Blöße gegeben hat, die allem wohlbegründeten Zweifel an dem Wunderbaren in der evangelischen Geschichte Berechtigung gibt. 7) Durch diesen Johannei'schen offenbaren Beweis mit dem Logos, daß sich die evangelische Geschichte vom Orientalismus, nicht bloß der Form, sondern auch dem Inhalte nach, nicht frei erhalten konnte, durch diese Berechtigung, die um so schlagender ist, da sie ja von einem Augenzeugen herrühren soll, hat der Forscher auch freies Feld, die evangelische Geschichte und die Dogmen des christlichen Lehrbegriffes nur im Zusammenhang mit den übrigen mystisch-religiösen Traditionen des Orients zu betrachten.

Nun ist aber unsre Zeit gegen das vorige Jahrhundert darin voraus, daß wir statt in dem Orientalismus eine Verkleinerung des Christenthums zu sehen, nur um so geneigter sind, das Christenthum nun von jenen philosophischen Gesichtspunkten aus zu erkennen, die wir noch immer eingenommen, wenn wir von der alten Religion der Indier, Perser und Aegypter sprachen. So gewiß im Orientalismus tiefsinnige Resultate über das Leben der Menschheit in Gott enthalten sind, so gewiß soll die zugestandene orientalische Färbung des Christenthums dazu dienen, uns von einem blinden Fetischdienst gegen das Historische im neuen Testament zu befreien, keineswegs aber, um die Lehren desselben in die Trödelkammer der menschlichen Irrthümer zu werfen.

Es wird keine Verklärung und Wiedergeburt des Christenthums in unserm Jahrhundert möglich seyn, wenn wir uns nicht zur Ehre seines Inhalts, ganz und gar von seiner Form, vom Buchstaben befreien. Wenn das Christenthum nur noch auf die Bibel begründet werden soll, wenn diese durchaus mangelhaften Urkunden zum größten Theil die Göttlichkeit beweisen sollen; dann freilich würde das Christenthum in eine bedrängte Lage kommen. Man würde es bald fragen, ob es denn kein anderes Recht auf die Geschichte und Jahrhunderte hätte, als jenes geschriebene! Darin sind wir fortgeschritten, daß wir an einen mechanischen Zusammenhang in historischen Dingen und an eine Religion, die sich 2000 Jahre erhalten hat, nicht mehr glauben würden, wenn sie sich nur einzig und allein auf die Bibel berufen würde. Wir werden uns immer mehr daran gewöhnen, das Christenthum als eine Blüthe der allgemeinen Religionsgeschichte zu betrachten und sein inneres Samenkorn zu schätzen, mögen auch die äußern Blätter, auf welchen die Märchen von Wundern, Auferstehung und Himmelfahrt geschrieben sind, längst verwelkt seyn, mag auch den Stamm der Kirche, der das Ganze zu tragen vorgibt, der Wurm der Zeit anfressen! So ist das natürliche Verhältniß meiner Ueberzeugung, daß ich meine Kritik und Vernunft mit der Bibel und Ueberlieferung längst abgefunden habe, daß ich der Kirche, wo mich nicht ein bedeutendes Talent in ihre Versammlungen ruft, aus dem Wege gehe, zugleich aber die innigste Theilnahme an all' den Lehren und Vorschriften fühle, an deren idealischen Werth man denkt bei dem Ausdruck: das Christenthum! Und so werden die Gefühlvollen und Aufgeklärten bald alle denken und eine neue Theologie wird ihnen zur Seite stehen, wie unter den Aposteln Christus erschien, trotz der verschlossenen Thüren, zu welchen in unserm Falle das alte morsche System der Orthodoxie die Schlüssel abgezogen hat.

Ein tiefer Denker hat gesagt, daß jeder sein eigener Messias und die Erlösung eine ewige, das heißt eine immer neue wäre; und wenn wir nun sehen, daß in der alten Erlösung, an der, welcher die Zeitgenossen Christi theilhaftig waren, die evangelische Geschichte in der Gestalt, wie sie uns überliefert ist, die Geschichte gerade der damaligen ersten, durch Zeit und Ort, Denk- und Gefühlsweise bedingten Erlösung war, so hat heute noch jeder, der sich in die Tiefe des Christenthums taucht (und er braucht dazu nichts, als sich in den Jordan seines eigenen innern Menschen zu tauchen), seine eigene evangelische Geschichte. Jener Hilfsmittel, welche die Zeitgenossen Christi bedurften, um an ihn zu glauben, und die da zeigten, daß er der Verheißene war -- diese Bedingungen brauchen wir nicht mehr. Ob Christus schon im alten Testament geahnt war, ob David von ihm redet u. s. w., das kann für uns nur insofern Werth haben, als wir das Bedürfniß einer bessern Zukunft bei den Alten erblicken und um so mehr Achtung vor einem Ereignisse empfinden, das ihnen diese Zukunft, wenn auch in ganz anderer Gestalt, gebracht hat. Sonst wäre es traurig, wenn jene Wunder des neuen Testaments, die geheilten Blinden und Lahmen und nun sogar die Schlußtransfiguration des ganzen Gemäldes für uns einen höhern Werth haben sollten, als den, daran zu erkennen, wie schon damals an die heilende Kraft der neuen Lehre geglaubt wurde und wie man das Größte, was man hatte, das Geheimniß und das Wunder, zum Preis seiner Lehre, die weder Geheimniß noch Wunder war, darbrachte. Jezt schafft man sich selbst sein Evangelium, und wenn Jeder, der vor der Ewigkeit des Christenthums Achtung empfindet, der selbst in seinen Dogmen um so weniger die Tiefe verkennt, als sie mit der Religionsweisheit des Alterthums und dem Drange aller Zeiten nach Erkenntniß zusammenhängt, seine eigene evangelische Geschichte niederschreiben wollte, so würde sie vielleicht nicht weniger fabelhaft und wunderbar ausfallen, als die alte und würde der Einflüsse unserer gegenwärtigen Zeit wegen von einer zukünftigen vielleicht kaum halb verstanden werden.

Nach diesen Vorbemerkungen lassen sich zwei Systeme, die christlichen Lehrbegriffe zu erkennen, aufstellen. Beide gehen von der größten Freiheit in Rücksicht auf das Historische im Christenthum aus. Beide haben gleiche Achtung vor dem Ewigen in demselben. Jenes ist ein moralisches, dieses ein metaphysisches System. Jenes ist auf den Menschen, dieses auf die Natur Gottes begründet. Wenn nämlich der Philosoph den Ursprung der Dinge, den allmäligen Fortgang derselben und die Geschichte der Menschheit verfolgt, so wird ihm nach dem lezteren System in den Satzungen des Christenthums bald die höhere und ewige Wahrheit einleuchten. Das Leben Gottes ist im Urbeginne der Dinge anzusehen als eine abgeschlossene, von der noch nicht existirenden Welt abstrahirte Idee, für welche nur unser Verstand, nicht unser Gefühl eine Vorstellung hat. Die Offenbarungen Gottes beginnen zunächst in der Schöpfung der Materie, dann in der Schöpfung des Geistes, indem die Spuren Gottes mehr oder weniger sichtbar werden, und durch die Materie, welche selbst nach einem Ziel zu streben scheint, hindurchschimmern. Die Menschen verfolgen diese verschiedenen Offenbarungen der Gottheit in der Natur und beten sie zuerst in der Form des Ungeheuerlichen an, indem sie nicht Massen genug verschwenden können, um die Erhabenheit des unsichtbaren Weltregiments auszudrücken. Je weiter und weiter, desto näher rückte die Gottheit dem Menschen; ja im klassischen Alterthum erblickte man sie nur im Menschen selbst, seiner Gestalt, im Produkte der Kunst. War die Menschheit durch diesen natürlichen Fortgang der Gottesverehrung zugleich in Gefahr gekommen, die Gottheit durch Vermischung mit dem Menschen zu entheiligen und der Offenbarung eine Nähe zu geben, die an ihre Uebersinnlichkeit nicht mehr dachte; so mußte wohl eine neue Umgestaltung des Verhältnisses zwischen dem Himmel und der Erde eintreten. Christus führte Gott wieder in den Himmel zurück, er starb am Kreuze, um die Incarnation der Gottheit in Menschengestalt, wie dies ja die höchste Potenz des Alterthums war, zu widerlegen, da er sich selbst Gottes Sohn nannte, eine Bezeichnung, die, wenn sie nicht im Sinne des Erbrechts genommen wird, wohl aber typisch selbst vor dieser metaphysischen Entwickelung der Religionsgeschichte eine tiefe Geltung hat. Und so sind aus den meisten, theils den Cultus bildenden Gebräuchen der christlichen Kirche, theils aus den, den Tod des Heilandes begleitenden Dogmen Resultate gezogen worden, die für die Wiederanknüpfung neuer Bande, die den Himmel an die Erde befestigen sollen, einen heiligen Sinn haben. Ja, und wenn die Sendung des heiligen Geistes gerade eine der schönsten Verheißungen Christi ist und wir wohl sagen müssen, daß wir seit der Reformation die Nähe dieses Trösters verspüren, so fügt sich auch der christliche Denker leicht in die Lehre von der Dreieinigkeit. Denn sie faßt die drei verschiedenen Epochen der Geschichte der Menschheit so zusammen, daß in der ersten das Natürliche, in der zweiten das Menschliche und in der dritten das Geistige deutlich genug unterschieden und doch als ein und derselbe Pulsschlag des göttlichen Lebens gefühlt werde. In diesem Sinne hat demnach das Christenthum eine glänzende Genugthuung vor der sonst auf seine Geltung so eifersüchtigen Philosophie erhalten, wenn es sich auch gefallen lassen muß, von diesem System nur in seinem eminent ideellen Werthe anerkannt zu werden, und die trübe Beimischung der Historie und Orthodoxie preisgeben zu müssen.

Die andere Entwickelung des christlichen Lehrbegriffs hat vor diesem ersten darin einen Vorzug, daß sie dem Christenthum mehr den Charakter der Religion läßt und den geistigen Inhalt desselben mehr mit dem Bedürfnisse des Herzens zu verbinden weiß. Die Wahrheit nur zu wissen und deßhalb an sie zu glauben, kann unmöglich das Wesen einer Religion seyn. Darum schlug diese zweite Richtung den entgegengesezten Weg ein, und suchte nicht durch die Erfahrung der Geschichte im Ganzen und Großen und durch die Theorie, sondern durch die Geschichte des menschlichen Herzens und die praktischen Bedürfnisse des Gefühls zur Uebereinstimmung mit den Lehren des Christenthums zu kommen. Freilich hat man dieser Lehre vorgeworfen, daß man nimmermehr durch das bloße Gefühl zu Gedanken kommen würde. Allein das hat sie auch nicht sagen wollen. Das Christenthum galt ihr als ein fertiger Stoff, als eine Ueberlieferung, bei welcher es nur darauf ankommen sollte, sie zu beleben und so, wie es eine historische Wahrheit war, auch zu einer Wahrheit für den Einzelnen und die Gemeinde zu machen. So war diese Ueberlieferung gleichsam der Flachs, welchen man, angefeuchtet vom Gefühle, auf dem Spinnrade der Dialektik zu festen, haltbaren philosophischen Fäden spinnen sollte. Dabei hatte das Gefühl, als Quelle der Religion, keine andere Geltung, als die des Prüfsteines. Es soll Nichts des Glaubens werth seyn, als was das religiöse Bedürfniß dafür anerkannt hat, und es soll keine Ursache für klar und lauter angesehen werden, die nicht eine beseligende Wirkung aufzuweisen hat, so daß, wenn sich ergeben sollte, daß die christlichen Dogmen, jedes einem Gefühlszustande entsprechen, und außer dem historischen Ursprunge in der Vergangenheit auch einen moralischen in der Gegenwart haben könnten, dies das Kennzeichen von Begriffen wäre, welche die Kirche und die Gemeinde als ihre Lehre und ihren Glauben jezt noch festsezt. Dies ist dasselbe System, von welchem oben erwähnt wurde, daß es Jeden schon zu seinem eigenen Heiland macht, womit denn freilich auch gesagt seyn muß, daß Jeder fromm genug sey, sich selbst an das Kreuz der Resignation zu schlagen.

Diese beiden Darstellungen des Christenthums sollten besonders deßhalb hier erwähnt werden, weil sie die Tiefe des Christenthums zwar anerkennen, aber dabei auch eine Bedingung machen, welche wir nicht mehr umgehen können. Die Bedingung ist die: alles Das, was am Christenthum historisch ist, den Kanon und die symbolischen Bücher, preiszugeben, überhaupt den Buchstaben, an welchen wir den Glauben unsrer Zeitgenossen immer weniger und weniger werden fesseln können. Stellt man nun diese Bedingung mit dem andern Zugeständniß zusammen, daß das Christenthum einen reichen Schatz von nicht nur moralischen, sondern selbst metaphysischen Wahrheiten enthält, so ergibt sich daraus für unser Jahrhundert ein Resultat, welches so verschieden von dem des achtzehnten Jahrhunderts ist und unsern Zeitgenossen Ehre macht: Ernst in göttlichen Dingen und Freiheit in menschlichen! Da habt ihr das Edelste, was die Zeit euch geben kann, und das Unerläßliche, was sie dafür zurückfordert.

Wäre der Katholizismus eine Religion mit Glaubenssätzen, die sich das Ansehen gäben, die Blüthen der menschlichen Vernunft zu seyn, dann würde auf das Licht, welches wir kaum vor unsern Augen strahlen sahen, ein trüber, dunkler Schatten fallen. Nein, der Katholizismus als Kirche, als Hierarchie, vom Pabst bis zum untersten Kleriker hinunter, ist gerade nur noch ein so feudaler Rest, wie all die Aristokratien, an denen wir leiden, wie all die morschen, uns umgebenden Institutionen, auf welche das historische Recht seinen trotzigen Fuß gestellt hat, um sie gegen eine Wendung des Zeitgeistes zu vertheidigen, an dessen Sieg wir nicht zweifeln. Der Katholizismus, als Religion, ist bei den Gebildeten Gleichgültigkeit, bei den Ungebildeten ein Aberglaube, den, wie dies in Spanien und Italien der Fall ist, noch lange keine Vernunft aufklären kann und der, da ohnedies noch altes Heidenthum mit ihm verbunden ist, bei der Abwägung unseres Plus und Minus an Fortschritten kaum groß in Rechnung kommen kann. Einige zähe Völker, wie die Irländer und Spanier, würden für ihren Glauben noch auftreten können, auch ein Theil Frankreichs, allein Italien erhübe sich nicht, wenn man ihm eine andere Lehre predigte, Oestreich nicht, Deutschland nicht und selbst der größte Theil von Frankreich nicht. Und dort, wo allenfalls die Hartnäckigkeit im Festhalten an die heidnischen Irrthümer des Katholizismus uns betrüben könnte, daß sie noch da ist, da hat eine weise Fürsorge der Gottheit gerade andere Brände hingeschleudert, um die finsteren, sumpfigen Wälder zu lichten. Polen ist ein halsstarrig katholisches Land, allein die erstickte Gluth der politischen Leidenschaft wird hier immer unter der Asche fortglimmen und die Polen nicht lange zögern lassen, ob sie, wenn Etwas dergleichen denkbar wäre, zwischen dem Aberglauben oder der Freiheit wählen sollten. In Irland und Spanien gibt es eben solche Momente, welche beide Nationen allmälig aus ihren alten Traditionen herausrütteln und einen frischen Luftzug über sie lassen, der außer dem politischen Leben noch viel Anderes anwehen und beleben wird. Wären demnach alle diese Erscheinungen nicht vorhanden, so könnte uns freilich die Aussicht in die Zukunft, die Hoffnung auf den europäischen Sieg der Vernunft und Aufklärung noch auf lange Zeit verdüstert werden.

Denn Dasjenige, was die katholische Theologie leistet, ist, mit Ausnahme Deutschlands und einiger spekulativen Köpfe Frankreichs, Nichts. In Irland, Spanien, Italien die tiefste Nacht. Die Artikel des Pabstes Pius IV. werden nach wie vor von den Geistlichen beschworen. Nirgends der Schimmer einer freisinnigen Opposition oder einer wissenschaftlichen Forschung, wenn auch im Sinne des Pseudo-Isidor und der Glaubensformel. Nur Deutschland ist seinem alten Rufe, in Ueberzeugungen nach Freiheit zu streben, auch in Betreff des Katholizismus, treu geblieben. Obgleich der römische Stuhl träge ist und nur romanischen Völkern sich vorzugsweise zuneigt, um deren geistiges Leben zu verfolgen, so hat ihn doch in jüngsten Zeiten außer den Ketzereien Lamennais' Nichts mehr beschäftigt, als Deutschland. Aber wie plump und schwerfällig ist auch hier sein Verfahren, wie kraß die Ignoranz, die sich trotz der von Dresden, Kölln, München gewiß zahlreich genug einlaufenden Denunziationen in den Verdammungsurtheilen zu erkennen gibt! Wird doch selbst Schelling, der gewiß viel für die Hingebung an einen verklärten, filtrirten und abgezogenen Katholizismus gethan hat, verketzert! Diese Italiener wollen deutsches Leben verstehen; die Violetstrümpfe, die kaum lesbares Latein schreiben, wollen über die Forschungen der Philosophie und der kritischen Wissenschaft absprechen! Wäre der Katholizismus nicht unglücklicherweise an die Idee eines Pabstes und an die einer allgemeinen Kirche gebunden, längst müßte die Emser Punktation eine Wahrheit geworden, müßten die in einem Augenblicke des religiösen Enthusiasmus abgeschlossenen Konkordate aufgekündigt seyn, müßte sich wenigstens eine so tief- und freisinnige Nation, wie die deutsche, aus jener entehrenden Botmäßigkeit jener Italiener befreit haben.

Die Erscheinung der Religion als Kirche und das Verhältniß derselben zum Staat betreffend, so begegnet uns hier sogleich ein neues, unwiderrufliches Thema der zeitgenössischen Kämpfe, eine Frage, die das Jahrhundert nicht umgehen kann, sondern die es lösen muß. Trennung der Kirche vom Staat -- dies ist ein Schiboleth, an dessen historischen Beruf wir um so eher glauben dürfen, als die verschiedensten Parteien es auf ihren Schild geschrieben haben. Mystiker, Rationalisten, Welt- und Staatsmänner vereinigen sich in dem Streben, die Kirche vom Staate, den Staat von der Kirche zu befreien. Die Einen wollen den Staat, die Andern die Kirche sicher stellen; dort soll die Freiheit, hier die Religion gewinnen.

Englands politische Entwickelung steuert auf das Ziel hin, die Staatskirche zu vernichten. Die Tories legen den Accent auf Kirche und bereden das Volk, es käme uns auf den Untergang der Religion an. Wir legen den Nachdruck auf den Staat und wollen die Heiligkeit der Kirche darin um so würdiger gesichert sehen, daß sie sich weltlicher Macht und Würde entkleidet, daß sie sich von der Bundesgenossenschaft mit den Gebrechen unserer Staatsverfassung lossagt und sich weit mehr auf das religiöse Bedürfniß der Menschen, als eine ihr zu Gute gekommene verjährte weltliche Tyrannei stüzt. Es ist ein Knäul von Mißbräuchen, der in Betreff dieser, zur Zeit noch unlösbar scheinenden Frage in einander gewirrt ist; allein England, gewohnt, in seinen Reformen einen mäßigen und sicheren Gang zu gehen, nicht links oder rechts zu weichen, wird dem Ziele mit der Zeit so nahe kommen, daß es sich vielleicht von selbst aufmacht und aus Furcht, die Religion selbst möchte kompromittirt werden, bereitwillig den Kirchenreformern entgegenkommt. Freilich tritt bei dem jetzigen Standpunkt der Frage das religiöse Bedürfniß noch nicht in den Vorgrund, da Niemand, der die Staatskirche als solche angreift oder vertheidigt, der Erfahrung widersprechen kann, daß so viel Frömmigkeit, wie bei den Dissenters und der schottischen Kirche herrscht, in unserem privilegirten Israel, der Hochkirche, nicht zu finden ist.

Die Religion ist ein Zweck des Staates, der Staat kann auch ein Mittel der Religion seyn; darum sind aber Beide nicht Ein und Dasselbe. Wenn die Vertheidiger des Territorialsystems, nach welchem der Landesfürst, wie in England, der oberste Bischof ist und die Kirche ganz in den innern Mechanismus der Staatsverwaltung aufgenommen wird, den Staat für das Universellste in unserer Cultur und das einzige Band halten, das Alles umfaßt; so hat doch die christliche Kirche selbst von jeher das Prinzip des Staates darin nicht gefunden und nur des Schutzes und Schirmes wegen gewünscht, der römische Kaiser möchte sich taufen lassen. Die katholische Kirche erhielt sich ihre Freiheit. Sie bot den Fürsten Trotz, sie rang mit dem weltlichen Regimente um die Oberhand. Die Reformation erst hob diese Stellung der Kirche zum Staate für einen großen Theil Europa's auf. Sie war der Fürsten benöthigt, sie köderte ihre Theilnahme nicht bloß durch Abtretung geistlicher Güter, sondern auch geistlicher Rechte; die Hierarchie war es ja selbst, welche von den Reformatoren bekämpft wurde. In England blieb vollends die Einrichtung der alten Kirchenverfassung, nur mit dem Unterschied, daß sich Heinrich VIII. zum Pabste machte und dem Staat jenes Supremat hinterließ, welches er mit so vieler Gewaltthätigkeit zu guten und schlechten Zwecken benuzte. Nur die reformirte Kirche, die an die Formen der Schweizerkirche hielt, ging in ihrer Verfassung auf die evangelisch-apostolische Zeit zurück und konstituirte sich als eine durch gemeinsamen Glauben gebundene Privatgesellschaft, die sich selbst Gesetze gab und von den Fürsten nur Schutz verlangte, aber die öfters so glücklich war, mit Fürsten gar nicht in Berührung zu kommen, wie in Holland. In Deutschland machten es die politischen Stürme, welche der Reformation folgten, die zum offenen Ausbruch kommende Verwilderung der allgemeinen Staatsverfassung überhaupt, daß sich das kirchliche Leben völlig in die Obhut des Staates begeben mußte. Die Fürsten übernahmen die Bischofsrechte, sie übten Kirchen-Administration und geistliche Gerichtsbarkeit, sie umgaben sich in dem immer mehr zunehmenden Sinne für Centralisation mit Consistorien, welche den Willen des Hoftheologen oder irgend eine landesherrliche Grille zum allgemeinen Gesetz machten. Dieser Zustand hat seither einige Abänderungen erhalten. Mit dem steigenden Streben nach Rechtsgarantien, mit den Fortschritten des Constitutionalismus erhielt auch hie und da die protestantische Kirche das Recht, in diesen oder jenen Dingen Autonomie zu üben. Die Presbyterien und Synoden wurden Bollwerke der kirchlichen Freiheit gegen die politische.

Der Unterschied der Frage, wie sie in England und Deutschland steht, liegt darin, daß ihr Resultat dort politischer, hier kirchlicher Natur ist. Die englische Kirche ist auch nicht mit der politischen Administration verschmolzen, sondern sie ist nur ein Schlupfwinkel des politischen Parteigeistes geworden. Die englische Kirche leitet und verwaltet sich selbst, allein sie ist eine Macht im Staate, die eben solche Ansprüche hat, wie der Staat selbst. Der Staat erhebt Steuern, sie erhebt Zehnten, der Staat hat Domänen, sie hat ihre Kirchengüter, Grund und Boden, auf welchem ihr selbst die Katholiken verpflichtet sind, die darauf wohnen. Die Kirche in England hat sogar die Freiheit einer Opposition gegen den Staat; sie nimmt eine Reihe von Sitzen in der lezten legislativen Instanz des Reiches ein, und kann durch geschickt unterhaltene Bundsgenossenschaft, durch das Versprechen einer Erkenntlichkeit, wenn es sich um die Abstimmung politischer Fragen handelt, sich den Erfolg in kirchlichen sichern. In England ist demnach die Kirchen- und Staatstrennung nur in dem Sinne zu verstehen, daß der Kirche ihr politisches Fundament, ihre organische Rückwand, weggezogen werde.

Weit vorsichtiger muß man seyn, wenn Kirchen, die keine Autorität haben, sich nur deßhalb vom Staat trennen wollen, um nicht unterthan zu seyn. Allerdings ist der weltliche Despotismus in religiösen Dingen, sind Cabinetsdekrete, die eine eigene Auffassung der Lehre vorschreiben, und Amtsentsetzungen, die dem Weigerungsfalle folgen, ein großes Uebel. Demnach handelt es sich, wenn man die laute Stimme des Zeitgeistes hören will, nicht um Erstarkung der Kirche, dem Staate gegenüber, sondern nur um Befreiung. Die Theologen denken aber bei dem Lezteren auch an das Erste. Sie wollen eine Kirche aufstellen mit Concilienlärm und geistlichen Ständekammern. Sie wollen vom Staate nichts mehr, als die bewaffnete Macht, um ihre Dekrete in Vollzug zu bringen. Ein bis zu einem großen Grade achtungswerthes Streben kann hier leicht in ein Extrem ausarten, das wenigstens für die Religions bekenner, für die Laien, drückender wäre, als bisher die Cabinetsverwaltung der Kirche war.

Auch sind keine Anzeigen da, welche glauben lassen, die protestantische Kirche werde jene organische Mündigkeitserklärung erhalten, nach welcher sie so rastlos strebt. Die darüber herrschende Debatte ist nicht einmal allgemein verstanden. Die Laien nehmen an ihr keinen Theil, und die Geistlichkeit selbst fühlt wohl, daß das ihr anvertraute Kleinod der christlichen Lehre durch die Einfassung nicht schöner wird und es nur auf den Glanz und das Wasser desselben am Sonnenlicht der Aufklärung ankommt. Die Theologen fühlen zu gut, wie sehr zersplittert ihre Interessen sind, wie zahlreich die Auffassungen der christlichen Wahrheiten, wie unmöglich es ist, den Glauben jezt noch auf etwas Anderes zu gründen, als auf die Macht der individuellen Ueberzeugung, eine Grundlage, die etwas Besonderes, keine Allgemeinheit ist. Man weiß wohl, daß der Zeitgeist nicht die Lasten, die Stände und die Privilegien vom Staate emanzipiren will, sondern gerade von ihnen die Einzelnen. Würde nun gar noch die Kirche eine Autorität bekommen, so würden wir bald außer dem Staatszwang noch einen Kirchenzwang haben. Die Kirche würde sich zu etwas Ständigem organisiren, und, wenn auch vielleicht keine intoleranten Ansprüche machen, doch Verbesserungen und wissenschaftlichen Fortschritten unzugänglicher werden. Man hüte sich wohl und traue dem Priester nicht, wenn er sagt: »Freiheit der Kirche!« Und wenn er die salbungsvollsten Deklamationen gegen den politischen Despotismus einfließen läßt, wenn er noch so viel gegen Cabinetspolitik spricht und sich beliebter und auf der Tagesordnung stehender Redensarten bedient; er will nichts Anderes sagen, als: »Herrschaft der Kirche!« Was er Würde der Religion nennt, ist nicht selten Entwürdigung des freien Gewissens. Was ihm der Triumph des Christenthums dünkt, kann uns nur als eine Schmach erscheinen. Man lese diese Anempfehlungen kleiner Duodez-Concilien und ständischer Religionsausschüsse, die Vertheidigungen des sogenannten Synodal- und Presbyterialwesens, ob nicht immer der Refrain derselben der ist: Hiedurch allein könne dem Indifferentismus gesteuert werden! Mit andern Worten und aus der Priester- in die Weltsprache übersezt, heißt dies: So kann auch allein wieder ein Kirchenbann, wenn auch ein noch so feiner und den Zeitumständen angemessener, möglich, so kann Hildebrand nachgeahmt und jedes Dorf ein kleines Canossa werden! Mit einem Worte, so lange noch vom Cultus eingestanden ist, daß er zum Ressort der Polizei gehört, so lange wird auch kein Zwang in geistlichen Dingen Statt finden; denn wir sind doch so weit wenigstens gekommen, daß jeder Staat, mag er auch unfrei verwaltet werden, doch Scheu hat, seine geistliche Gewalt, die er nur weltlich ausüben kann, offen zu mißbrauchen.

Es schwebt den Freunden eines christlich-religiösen Lebens als Schreckbild Nordamerika vor, wo die Religion eine Privatsache ist, wo die religiösen Gesellschaften wie Eisenbahnunternehmungen vom Staate concessionirt werden. Der Vergleichungspunkt im Bilde stört uns; sonst will das Prinzip doch nichts andres heißen, als daß jede religiöse Gesellschaft, die ihren Cultus üben will, sich der Theilnahme des Staates so zu erfreuen hat, daß er sie beschüzt. Daß z. B. in Europa ein Versuch, die Kirche als ein Ganzes aufzuheben und nur noch Religionsgesellschaften zu dulden, die sich selbst verwalten mit mehr oder weniger apostolischer Färbung, je nach dem Bedürfniß der Gemeinde; daß ein solcher Versuch nicht sogleich jene Willkür zur Folge haben werde, die uns an Nordamerika so widerstrebend ist, dafür bürgen die unauslöschlichen Voraussetzungen und Bedingungen unsres europäischen Lebens, die Sitten, die Meinungen und die Verhältnisse, welche Alles umfassen. Um aber beide so wünschenswerthe Resultate zu erreichen, sowohl die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, als die Unmöglichkeit, die Kirche mit einer gefährlichen Gewalt zu bekleiden, gibt es keinen andern Ausweg, als den, die religiöse Ueberzeugung frei zu geben und von jenen Gesellschaften, die sich bald als Gemeinden bilden würden, höchstens zu erlangen, daß ihre Geistlichen auf den Namen Christi taufen. Da werden vielleicht die meisten Gemeinden den Grundsätzen einer aufgeklärten Bibellehre anheimfallen, viele würden sich zum Pietismus bekennen und vielleicht auch solche Vereinigungen würden sich bilden, wo philosophische Ueberzeugungen mit ascetischer Wärme vorgetragen würden, und es möglich seyn könnte, zahllose Männer, die seit Jahr und Tag nicht mehr die Kirchen besuchen, für einen die Sitten und die Gefühle mildernden Cultus zu gewinnen. Man fürchte sich doch nicht so kindisch vor dem, was von Menschenhand ausgeht; man glaube doch nicht, daß im Neuen keine Kraft, im Gegenwärtigen keine Zukunft liegen könne. So gut in alten Zeiten die Formen für göttliche Ueberzeugungen menschlich, für heilige Gedanken weltlich waren, so würde sich auch noch heute die bildende, organisirende und dabei immer künstlerische Kraft der Menschen in trefflichen Gebilden offenbaren können, wenn ihr nur Raum gestattet würde, sich zu bewähren. Der Menschengeist ist voll unversiegbarer Triebkraft, und wenn es zwar richtig ist, an Bäumen die Ueberwucherung auch des untern Stammes, wo es mächtig herauskeimen will, zu beschneiden; so ist das Christenthum doch einer uralten Linde zu vergleichen, in welche der Blitz schon zahllos oft herniederfuhr, Aeste spaltete, und die Krone knickte. Der Stamm ist riesenstark, kaum von vier Menschenarmen umspannbar; aber oben fehlt schon die Proportion in den Aesten, und wir sehen aus dem alten Baume junge neue Keime hervordringen, um die Krone mit der Zeit wieder abzurunden, und das Verhältniß des Ober- und des Unterbaus herzustellen. Man vergesse auch nicht, daß in dem Grade, als wir vielleicht an ureigner und origineller Schöpfungskraft und organisirender Fähigkeit verloren haben, wir auch in der Verehrung vor dem Alter kühler wurden und eine Eigenschaft erhielten, die die Alten nicht hatten, die kritische Vergleichung und den mißtrauisch-zweifelnden Verstand. Gerade, wenn man Ursache hat (und wer hätt' es nicht!), den einreißenden Indifferentismus, die Negationssucht und den reflektiven Verstand zu beklagen; so sollte man am wenigsten annehmen, daß in der Wiederherstellung des Alten ein Hilfsmittel gegen dies Uebel läge, in einer künstlichen und affektirten Leidenschaft für das Bestrittene oder wohl gar in dem Zwange, sich dem Alten fügen zu müssen, weil man es zum Gesetz erhebt; sondern man lasse doch nur die Menschen recht wacker und frei in die Welt hinaus schaffen und erfinden, man räume allen Schutt weg, wo sie etwas constituiren wollen, man entfessele diesen Hang zur Neuerung, der ein Ziel nach Positivem zu haben scheint und sich negativ nur deßhalb äußert, weil es an der Freiheit, seinem Drange nachzugeben, überall gebricht. So würden wir, wenn nicht bloß die Wissenschaft und die Ueberzeugung in der Religion, sondern auch das Kirchenwesen freigegeben würde, zwar mancherlei seltsame Gestaltungen erleben, die das Alte verbessern oder gar ersetzen sollen, wunderliche Mißbildungen, an denen es nicht fehlen kann, wo der Mensch mit der Natur und der Geschichte in großartigen Schöpfungen zu wetteifern sich unterfängt; allein, sey es nun, daß in der That etwas Neues zur allgemeinen oder theilweisen Zufriedenstellung der Bedürfnisse geschaffen würde, oder daß man aus Mißmuth, nichts Eignes erfinden zu können, zum Gegebenen und Ueberlieferten zurückkehrte; was kann erhebender seyn, als dies, was förderlicher für den Ernst des Lebens, förderlicher für die Bekämpfung jener negativen Richtungen, die nicht mehr das Erbtheil unsres Jahrhunderts seyn sollten, und die es nur werden, weil die Freiheit des Geistes und die Freiheit der Rücksichten nicht Hand in Hand gehen!

Der katholischen Kirche ist es besser gelungen, als der protestantischen, sich als ein selbstständiges Ganzes zu erhalten. Sie hat noch nicht aufgehört, Hierarchie zu seyn. Sie befiehlt noch von Oben herab bis in die verzweigtesten Abstufungen einer geistlichen Bureaukratie hinunter. Wäre sie auch zu schwach, einen drohenden Widerstand gegen die Einmischung weltlicher Zumuthungen zu unterhalten, so ist doch selbst der leidende Widerstand eine Waffe, gegen welche Fürsten und Regierungen den Fanatismus der Massen, den Parteigeist der Priester und die scheinbare Nothwendigkeit eines in sich geschlossenen Kirchenzwecks bedenkend, nichts vermögen. Wie viel Unlust und Qual weiß Herr von Quelen Louis Philipp zu machen! Die weltliche Macht wirft sich noch einmal in die Brust und weist den Inhalt eines Hirtenbriefs zurück, eilt aber, sogleich eine zerstörte Kirche aufbauen zu lassen und den heiligen Vater von dem Mißverständniß zu informiren. Das macht, die Regierungen geben ungern Beispiele eines Verfahrens, das sie, angewandt gegen sie selbst, für unpassend halten. Sie schützen die geistliche Macht, um sich mit ihrem Segen selber heilig zu sprechen, wie auch Napoleon nicht den Muth hatte, den Pabst, der in seiner Gewalt war, zu erdrücken, sondern ihn aufsparte, um ihn zu salben.

Die in neurer Zeit abgeschlossenen Koncordate weltlicher und geistlicher Interessen sind fast alle von jenem Geiste diktirt, der den Kongreß von Wien beseelte. Man wollte Freiheit vom apostolischen Stuhle, ohne diesem zu mißfallen oder sich wohl gar dem Vorwurfe der Irreligiosität auszusetzen. Consalvi protestirte zwar gegen den ganzen Verlauf des Wiener Kongresses; allein der retardirende Geist, welcher die Fürsten beherrschte, kam zulezt den Separatverständnissen mit dem Pabste doch zu Hilfe. Pius VII., dieser starre Priester, der die Jesuiten wieder aus einem Grabe, in welches sie früher nur eine wächserne Todtenmaske gelegt hatten, erweckte, um eine gerüstete Schaar von Kämpfern zu haben, eine Miliz der kirchlichen Interessen, hatte die Genugthuung, daß die Niederlande, Preußen, Deutschland, die Schweiz sich durch Verträge zu einem Einflusse verstanden, der dem Pabste gestattet wurde, weit über die Fortschritte der Zeit hinaus. Die Fürsten behielten fast keine andern Rechte, als diejenigen Stellen zu vergeben, über welche sie selbst durch längern Besitz oder spätern Erwerb die Patronatsrechte besaßen. Was zweifelhaft in den Bestimmungen war, wurde vom Pabste bald zu seinen Gunsten erklärt. Die Allocutionen dienten als Erweiterungen der Konkordate und die protestantischen Fürsten namentlich, um nicht ihre katholischen Unterthanen, die gewöhnlich auch in neu erworbenen bestanden, aufzureizen, zogen in diesen Fällen nicht selten vor, zu schweigen. Das ganze Verhältniß der katholischen Kirche ist, wie der katholische Glaube selbst in unsern Tagen, stagnant.

Das religiöse Leben der Gegenwart ist blühender und ernster, als das des vorigen Jahrhunderts. Dennoch ist dies zum Theil nur die Folge des Zeitgeistes, der die Religion auf sich beruhen läßt und sie achtet, ohne sie zu üben. In dieser Rücksicht ist der Zeitgeist sogar ein Hinderniß der Religion. Er spannt andere Netze, als die Fischernetze des Christenthums aus, um die Gemüther der Zeitgenossen zu gewinnen. Er ist nicht nur allein auf das Weltliche, sondern auch fast nur auf das Momentane bedacht. Eine Gesinnung, wie die des sechzehnten Jahrhunderts, wo das religiöse Interesse alle andern Fragen absorbirte, die Politik lähmte, ja den eignen Vortheil nicht selten vergessen ließ zu Gunsten seiner Ueberzeugung, läßt sich kaum noch vom heutigen Gesichtspunkt aus begreifen. Die Redensart, daß man Gott in allen Lagen und Gestalten anbeten könne, hat unsre Mitwelt längst für die einzelnen Konfessionen in der Religion unempfindlich gemacht, wie denn jene Exaltation früherer Zeiten, die für ihren Glauben starb und sich nicht bedachte, was sie wählen sollte, wenn ihr der Tod oder der Turban angeboten wurde, den unsrigen fremd ist. Es ist auch dies, daß die Idee Gottes mit der Zeit so vergeistigt wurde, der Grund, warum man alles Aeußere in der Religion, Bekenntniß, Ceremonie, Gottesdienst für unwesentlich hielt und sich auf Lauterkeit der Gedanken und stille Hingebung der Gefühle beschränkte.

Die Mängel der Kirche und die Form des Gottesdienstes tragen ohnedies viel dazu bei, daß sich das religiöse Bedürfniß nicht in zusammenhängender Einigung und einer das Wesen der Gemeinde wieder herstellenden elektrischen Kraft ausspricht. Seitdem in der Lehre soviel in Frage gestellt ist, kann auch das Leben in der Religion sich so harmlos äußern, wie früher nie; ist doch bei manchem die Religion jezt nur noch darin gelegen, daß man über sie nachdenkt, wie in der That Andacht nur das Denken an Gott ist. Der Gebildete verschließt sich mit seiner religiösen Ueberzeugung und bildet sich seinen eignen Kultus aus; weder die phantastische Ueberladenheit des katholischen Gottesdienstes, noch die leere Nüchternheit des protestantischen vermögen auf Gemüther zu wirken, in welchen sich Verstand und Phantasie die Wage halten. Die Messe ist zu viel und die kahlen Wände bei den Protestanten sind zu wenig. Man will erregt seyn, aber ohne Sinnlichkeit, man will Phantasie, aber ohne Täuschung; die Widersprüche, die in den Empfindungen und der Denkweise der gegenwärtigen Welt liegen, können durch die äußere Form unsres Kultus am wenigsten ausgeglichen werden. Er bietet uns etwas Altes an, wo ein großer Theil noch unsern Empfindungen entspricht, der andere Theil aber nur den guten Eindruck des Andern stört. Was bleibt zulezt bei einem Verhältniß übrig, wo sich ohnedies jeder Besonnene gestehen muß, daß Neuerungen hier nicht nur schwierig, sondern auch in dem Falle ganz unmöglich sind, daß wir nicht eine neue Epoche in der Religionsgeschichte annehmen und mit vielem Innerlichen im Glauben auch dies Aeußerliche selber neu bestimmen wollen?

Darum soll jedoch nicht gesagt seyn, daß unsre Zeit nicht hie und da Symptome eines starken Dranges nach religiösem Leben aufweist. Nach der Frivolität und dem Kunstenthusiasmus des vorigen Jahrhunderts brachen so gewaltthätige Ereignisse über Europa herein, daß sich eine Schüchternheit und ein nicht selten mürrischer Ernst der Menschen bemächtigte. Unsre Gesinnungen sind strenger und rauher geworden, unsre Berührungen schroff und abstoßend. Das Gewirre der ideellen Interessen, die sich wechselseitig befehden, um Träumen über Staatsverfassung den Sieg zu verschaffen, die Noth der materiellen Existenz, die oft sogar da die bangsten Stunden macht, wo das großartige Geschäft mit den Konjunkturen zu kämpfen hat, oder der Reichthum einen Lebensfuß erzeugt hat, auf welchem immer und ohne Beschränkung zu leben dem Vermögenden ein nicht selten schwieriges Bedürfniß geworden ist; dies alles macht, daß wir die obere und untere Kinnlade scharf zusammendrücken, die Stirne runzeln und die Augen tief in ihre Höhlen zurückziehen. Die spätere Wendung, welche die Ereignisse nahmen, die den Anfang unsres Jahrhunderts bezeichnen, ging hie und da wirklich von religiösen Impulsen aus, man konnt' es sogar möglich machen, die Politik und die Diplomatie einen kurzen Augenblick mit der Religion zu verbinden. Die religiösen Verirrungen überdies, deren unsre Epoche zahlreiche aufzuweisen hat, bestätigen das einmal vorhandene Bedürfniß, welches befriedigt seyn will; die Fortschritte des Pietismus konnten nur in einem Zeitalter möglich seyn, wo es leicht war, an religiöse Empfindungen anzuknüpfen, ja, selbst solche Sekten, welche aus rein politischen Interessen, ja sogar aus industriellen hervorgingen, wie der Saint Simonismus, zogen doch das Christenthum in den Kreis ihrer systematisirenden Bestrebungen, eine Kulturblüthe, für welche die Utopisten früherer Jahrhunderte in den Treibhäusern ihrer eingebildeten Staaten und Erziehungsmethoden keine Stelle hatten. Ich kann hier nicht unterlassen, die schon oben gemachte Bemerkung zu wiederholen, daß mir in dieser unläugbaren Neigung und doch der gleichzeitigen Entfremdung gegen die Art und Weise, wie sich früher die gläubige Andacht zum Christenthum verhielt, ein denkwürdiges Phänomen zu liegen scheint. Das Streben nach Freiheit in göttlichen Dingen schließt die Zügellosigkeit aus; der religiöse Ernst dämpft die Kühnheit der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Theologie; wir fangen an, einer neuen Kirche, wenigstens den ersten sichern Resultaten derselben entgegen zu reifen.

Der Pietismus ist jedoch schwerlich das Medium, welches diesen Prozeß klären und läutern wird, oder es müßte denn seyn, weil neue Gebäude am ersten dem Stocken und dem Mauerschwamm ausgesezt sind. Seine große Verbreitung beweist noch nicht, daß er allgemein werden wird. Wäre sein Prinzip nur das Gefühl, so ließe sich an der Alles bewältigenden Kraft desselben nicht zweifeln, allein sein Wesen ist weit mehr die Autorität, als das Gefühl; es herrscht in dieser Auffassung der Religion nicht einmal das Streben nach einem Sieg über die Masse, man sondert sich ab, man entsagt dem Allgemeinen; der Pietismus hat zu allen Zeiten den Verlauf der Kultur und Geschichte nur begleitet, er lief als Basrelief oft mit wunderlichen Arabesken und Verschlingungen den großen Marmorgebilden, die auf dem Postamente der Zeit standen, parallel. Dieselbe Stellung hat er noch gegenwärtig, wobei er noch nicht einmal den Vorzug früherer Zeiten hat, den, in seiner Art einzig und originell zu seyn.

Daß der Pietismus nicht bestimmt ist, eine bedeutende Entwicklungsstufe im Christenthum selbst zu werden (er wird immer das Christenthum nur erhalten, nicht weiter fortführen wollen) sieht man auch daraus, daß er als eine Ketzerei betrachtet zu werden wünscht und sich von der Gemeinschaft mit einer Kirche, die ihm nicht unsichtbar genug seyn kann, gänzlich ausschließt. Der Pietismus muß immer im Widerspruch seyn. Die Reibungen erwärmen ihn. So sucht er auch nicht die Kirchen, sondern übt seinen Gottesdienst in Konventikeln, wo ein bestallter oder vom Geist getriebener Redner das Wort führt. Männer und Frauen haben hier ihre eignen Zusammenkünfte, sie vermischen sich nicht unter einander. Feierlicher Gesang mit Begleitung einer Violine oder auch ganz frei getragen, beginnt die Erbauungsstunde. Dann tritt der Redner auf und hält ein Gebet, worin die größte Kraft dieser Sekten liegt. Sie ringen die Hände, bieten alle Energie der Stimme auf, und beten, daß es einen Stein erweichen könnte. Der Maßstab, den sie an Geistliche legen, ist der, ob sie auch beten können! Sie verstehen darunter kein kurzes Vaterunser, sondern eine lange, heftige, gläubige Apostrophe an Gott und an Jesus, sie beten sich den Himmel auf die Erde herunter und können in den Zumuthungen, die sie an den Himmel stellen, oft gar nicht wieder das Ende finden. Darauf werden denn nicht selten Angelegenheiten der kleinen Gemeinde zur Sprache gebracht; sie steht im Briefwechsel mit andern, sie hat einen Missionär unter die Heiden gesandt, sie erhält einen Brief von ihm, worin er die Bekehrung eines Neuholländers meldet; man schickt sich zum Gebet an für den Neuholländer und dekretirt, dem Missionär zu antworten und ihm zu sagen, daß hundert Männer ihn und seinen Täufling in ihr Gebet einschließen wollten. Darauf wird irgend eine Stelle der Bibel vom Redner mit einer frommen Weitschweifigkeit umschrieben. Diese Redner, welche größtentheils nur Handwerker, bisweilen Schulmeister sind (seltner Gelehrte und Staatsbeamte) haben nicht den Scharfblick, sich aus einer Stelle der Bibel einen Hauptgedanken zu entnehmen, dann die Bibel zu verlassen und nur durch die Behandlung des Themas allmälig wieder auf sie zurückzukommen. Dies würde ihnen zu schwer werden; sie können sich keinen Augenblick von dem theuern Buch entfernen, sondern nehmen Vers für Vers durch, erweitern seinen Inhalt, geben ihm einige Nutzanwendungen, wobei höchstens das Gesangbuch als Aushilfe der Bibel citirt wird, und schließen dann die Versammlung wieder mit Gebet und Gesang. Der Eindruck auf die Mitglieder muß erhebend seyn; denn wie schön, wenn mitten im Gedränge des gewöhnlichen Lebens an Werktagen oder an Sonntagen, wo man sich wieder auf die Plage der nächsten Woche vorbereitet, mitten im Gewühl der weltlichen Interessen, die sich alle abstoßen und ausschließen, doch sich Einzelne begegnen, die sich kennen, als durch ein geheimes Band verbunden, als Vertraute eines Geheimnisses, welches die Sitten mildert und das Gottvertrauen stärkt, als Anverwandte eines überirdischen Reiches erkennen und sich allerwege still begrüßen!

Obschon der Pietismus sonst nicht das Streben hat, seine Spur mit dauernden und festen Werken zu bezeichnen, so hat sich doch derselbe besonders zwei Aufgaben angelegen seyn lassen, nämlich die Bibel überall und das Christenthum unter den Heiden zu verbreiten. Das Missionswesen wurde bekanntlich von der katholischen Partei sehr eifrig gepflegt. Einem Glauben, der schon der Berührung mit dem Kleidessaum eines Geistlichen wunderbare Kräfte zuschrieb, mußte es leicht werden, die Heiden in Masse für das Christenthum zu gewinnen oder als Gewonnene wenigstens auszugeben. Katholische Propagandisten tauften in Amerika und Asien an einem Tage Tausende, indem sie nur mit dem geweihten Wasser sie benezten und über den Unterricht sich weiter keine Sorgen machten. Ja, wenn man über die Frömmigkeit einer buddhistischen Dame erstaunen soll, welche den Tag hindurch nichts Anderes that, als den Namen Maria aussprechen, so war diese Bekehrung dadurch leicht erklärt, daß sie schon als gläubige Buddhistin sich früher damit beschäftigt hatte, nur den Namen einer heidnischen Gottheit auszusprechen, wofür sie in Kürze den der Maria unterschob. Wenn die katholischen Missionarien der Länder- und Sprachkunde viel genüzt haben, so nüzten die evangelischen Heidenbekehrer mehr ihrem religiösen Zwecke; sie gewannen Sklaven für das Christenthum und auf der Küste des Kaps Hottentotten, welche, indem sie Christus kennen lernten, in die Dienste der Europäer traten. Allein im Allgemeinen ist Dasjenige, was durch das Missionswesen für Ausbreitung des Christenthums geschehen ist, ein kleines Sandkorn an dem Weltmeere des Heidenthums. Die Fortschritte des Missionswesens sind, wenn sie nicht gerade an Orten gemacht werden, wo eine politische Verfassung und eine bereits blühende Civilisation, wie in Ostindien, dieselben erleichtert, so gering, daß man weit eher fragen möchte: was wirken die Missionen auf Die, welche sie absenden? als, was wirken sie auf Die, zu welchen sie gesandt werden? Im Grunde ist es unmöglich, wahres Christenthum dort zu lehren, wo alle Voraussetzungen einer früheren Bildung fehlen, und wenn diese Duodez-Ausbreitung des Christenthums nur dazu dienen soll, Gesittung zu erreichen, dann möchte wieder der Erfolg mit dem Aufwand von Kräften, der dazu nöthig ist, in keinem Verhältniß stehen und das Bedenken nicht unerlaubt seyn, ob es nicht andere, kürzere und sicherere Mittel gäbe, Naturvölker zu bändigen. Das Christenthum kann beseligende Kraft nur dann üben, wenn es herzlich und innerlichst aufgenommen und verstanden ist. Ist das Christenthum Zweck, so wird er hier verfehlt; ist es Mittel, so ist es theils zu schwach, theils zu theuer. Das Missionswesen, wie es jezt ist, sticht gegen die Erweiterung, die man ihm als einer Gesellschaft für die Civilisation der Heidenwelt geben könnte, winzig ab; es ist ein kleines, zerbrechliches Kanot, das sich ohne Assekuranzprämie, ohne Wasser und Lebensmittel, ohne Kompaß und Steuerruder auf die See hinaustragen läßt, wo es seine Wirkung auf zwei, drei Menschen beschränkt, die es so zu sagen auf irgend einer kleinen Insel, an welche sie der Sturmwind wirft, antrifft. Es ist Nichts gegen Das, was es seyn könnte.

Auch kann ich nicht die Verwunderung unterdrücken, warum sich denn das Missionswesen nur mit dem blinden Heidenthum beschäftigt, und nicht mit dem sehenden, d. h. mit dem Heidenthum, welches sich nicht dafür hält. Man hört immer von Missionen in die Südsee, auf die Freundschaftsinseln; warum nicht auch von Missionen unter die Türken? Freilich besitzen diese eine weltliche Herrschaft, die für den armen Missionär unüberwindlich ist. Allein könnte man nicht an den Grenzen werben und sich nach und nach durch ein methodisches Verfahren in das Innere der Länder hineinbekehren? Es gibt auch christliche Theologen, welche das Missionswesen in seiner jetzigen Gestalt ganz verwerfen und es für kleinlich und eines die gebildete Welt beherrschenden Glaubens für unwürdig halten, sich bei fremden Völkerzuständen leis und behutsam einzuschleichen, und die ihrerseits überzeugt sind, das Christenthum solle nur die Folge jener Ausbreitung seyn, nach welcher die Menschen ohnedies hinstreben, der Ausbreitung politischer Herrschaft, wie auch im Alterthum Bonifazius und Irnerius und die übrigen Heidenbekehrer bei weitem nicht so viel gewirkt haben, als wenn Karl der Große die Sachsen aus dem Lande schleppte, oder die Völker selbst nach Italien kamen, wo sie ohnedies Neues suchten und gern auch das Christenthum mitnahmen. Welch' ein zweifelhaftes, ja ohnmächtiges Geschenk ist das Christenthum, wenn ihm nicht die Civilisation zu Hilfe kommt! Was ist es, daß ein Wilder am Meeresstrand die Bibel küßt und, ohne sie lesen zu können, zur Noth ihren Inhalt erfahren hat; was ist es, wenn Zehen, Zwanzig mit ihr auf gleiche Weise bearbeitet sind, und sich doch nirgends die Möglichkeit zeigt, hier auch jenen großen, welthistorischen Segnungen des Christenthums Raum zu schaffen, und namentlich in denen, die getauft sind, den Trieb der Weiterfortpflanzung ihrer Erkenntniß und das Märtyrthum zu erwecken! Diese Familie küßt ihre Bibel, erzählt sich von Christus, stirbt allmälig aus, die Tradition stirbt mit aus und die Bibel vermodert auf den Gräbern der kleinen Gemeinde, die nie gewußt hat, was sie mit ihrer schönen Besserung und ihrer Tradition hat machen sollen. Gerade, weil es dem Missionswesen nicht gelungen ist, das Christenthum als Funken in Gemüther zu legen, die sich dann weiter entzündeten und der Mission selbst das Geschäft aus der Hand nahmen, gerade weil die wenigen Gewonnenen nur arme, hilflose Schafe waren, die ewig des Hirten bedurften, um nicht in der Irre zu gehen, gerade darum war das Missionswesen nicht werth, daß man es bei dem Erwachen unserer religiösen Empfindungen wieder neu zu beleben suchte. Man kann wohl sagen, daß durch das Missionswesen weit mehr die Bekehrung unter uns, als die unter der Heidenwelt dargethan ist.

Segensreicher wirkten jedenfalls die Bemühungen der Bibelgesellschaften; denn selbst, wenn sie mit dem Missionswesen Hand in Hand gingen und ihre Aufgabe mit einer Uebersetzung derselben in Heidensprachen lösten, so haben sie, wenn nicht dem Christenthum, doch der Philologie genüzt; wie Dr. Carey, der früher Schuhmacher war, gewiß nicht so viel wahre Christen, als wahre Sanskritaner gezogen hat. Im Allgemeinen müssen freilich diese Bibeln, wenn sie in die Sprache schon vorgerückter heidnischer Völker übersezt sind, unsrer mangelhaften Kenntniß ihrer Sprache wegen, einen Eindruck auf Jene machen, wie auf uns, wenn wir einem Apothekergehülfen auftrügen, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen, oder englischen Matrosen, die einmal in französischer Gefangenschaft waren, ihre Schicksale französisch aufzuschreiben. Da ist die Wirkung schlimm genug für die Religion; allein es ist doch immer schon eine Stufe für die Philologie. Und nun sind Bibelgesellschaften, wenn sie unter uns das merkwürdigste aller Bücher zu verbreiten suchen, auch in dem Falle sehr rühmenswerth, daß sie ein fehlendes Buch zu ergänzen suchen; verwerflich aber dann, wenn sie andere Bücher damit verdrängen wollen. Leider ist das Leztere oft mehr die Absicht, als das Erste, und die Bibelgesellschaften verdienen dann wohl, daß sie von manchen spekulativen Köpfen an der Nase herumgeführt werden; denn wie Viele melden sich nicht hier und dort, wo es unentgeltlich Bibeln gibt, und verkaufen sie bei dem ersten besten Buchbinder, so daß einmal von einem im Geruch der Heiligkeit stehenden Soldaten herauskam, er hätte in einem Jahre sich durch demüthiges Niederschlagen der Augen mehr als hundert Bibeln zu verschaffen gewußt, die er alle bei einem Compagnon seiner Spekulationen absezte.

Auch für die Bekehrung der Juden schießt der Pietismus Geld zusammen. Es wird Samstags in einer eigens dazu bestimmten Kirche gepredigt, um die Juden anzulocken; allein wenn ihnen nicht, wie einst den Sachsen, das Henkerschwert droht, wer kann ihnen verargen, daß sie die christlichen Kirchen nicht besuchen und noch weniger Christen werden! Diese Gesellschaften zur Bekehrung der Juden haben wenig Erfolg, und wo sie ihn hatten, kamen die Strahlen der Erleuchtung nicht von der Sonne der Wahrheit, sondern von den blanken Guineen, mit welchen die Gesellschaft bereit ist, einen abtrünnigen Juden zu unterstützen.

Wenn nicht das Christenthum allmälig eine so ausschließliche Richtung angenommen hätte, so würde es weniger auffallend seyn, ein Volk und eine Religion unter uns zerstreut zu sehen, die ursprünglich zwar der Stamm des christlichen Glaubens war, sonst aber in den Folgen, die sie für die Gesellschaft hatte, eine der eigenthümlichsten Stellungen gewonnen hat. Mitten durch unsere Gesellschaft zieht sich ein eigener Völkerbund, der überall seine Heimath hat, wo seine Glieder weilen, der in Gesichtsbildung, Charakter und Religion einen entschiedenen Gegensatz gegen alles germanische und romanische Leben bildet. Es ist ein Volk, das ohne Verabredung sich doch erkennt, das kein eignes Ziel hat und sich auch nicht dem des übrigen Europa anschließt; ein Volk, das den Augenblick benuzt, um nur das Individuum, und was es an Freundschaft und Verwandtschaft besizt, zu heben. Hie und da erinnert der Zustand desselben noch an die Zeiten der finstersten Barbarei; denn nicht nur, daß die Unterdrückung die Menschen dieses Glaubens vom reinigenden und erfrischenden Zugwind der Fortschritte im öffentlichen Leben entfernt gehalten hat, sondern sie selbst machen kaum größere Ansprüche, als sicher in ihrer Haut zu seyn, kleinen Geschäften ohne Zwang vorzustehen und an einer religiösen Ueberzeugung haften zu dürfen, die ihre Grundlage in der Verehrung des Alten hat und nur eine Hoffnung predigt, von der der Jude nur zu gut weiß, daß sie weit über den Horizont des Möglichen und Glaublichen hinausliegt. Hie und da trieben die Bedürfnisse des Geistes oder die Ansprüche des Reichthums das zerstreute Volk aus jenen Gassen, in welche sie das Mittelalter verschloß, heraus; sie ließen den Unterschied der Religion daheim zurück als ein, mit den Fortschritten der Aufklärung allmälig schwächer gewordenes Abzeichen, schlossen sich an die übrige christliche Gesellschaft an und wußten durch Scharfsinn, Reichthum und nicht selten zugestandene Autorität (die Rothschilds) die Trennung immer mehr in Vergessenheit zu bringen. Jüdische Zumuthungen, welche man in den Zeiten des Mittelalters für Hochverrath ausgegeben hätte, erhielten jezt einen kräftigen Nachhalt. Der Jude will keinem einzelnen, wie Goldadern, unser Europa durchziehenden Volk mehr angehören, sondern behauptet, durch Sprache, Sitte und Geburt Europa als seine Heimath errungen zu haben; er will nach dem Maße von Lasten, die ihn drücken, auch an den Vortheilen des öffentlichen Lebens Theil nehmen und verlangt das vollkommene Bürgerrecht um so dringender, als die erwachte Humanität in diesem Bürgerrecht auch das allgemeine Menschenrecht erkennt. Wir erleben das in alten Zeiten unerhörte Beispiel, daß die Juden ihre Nationalität, ihre Absonderung, ihren Stolz, ja den größten Theil ihrer Religion preisgeben, um sich den öffentlichen Thatsachen ohne Unterschied als Gleichberechtigte anzuschließen. Hätte man im fünfzehnten Jahrhundert die Juden emanzipiren wollen, sie würden es nicht angenommen haben; die Unterdrückung war alltägliche Gewöhnung, sie würzte den Glauben, der seine größte Stärke in unbegründeten, aber doch schmeichelhaften Hoffnungen fand. Die Juden würden um den Preis ihrer Religion und Nationalität die Erlösung aus ihrem Joche nicht angenommen haben. Jezt aber, wo an die Stelle der Aristokratie der Geburt die Aristokratie des Geldes getreten ist, wo Industrie und Handel die Gegenstände der feinsten politischen Sorgfalt sind, wo die dogmatischen Traditionen des Glaubens gelüftet wurden, hat sich auch bei den Juden längst der Ehrgeiz und die Scheu verloren, mit dem Christen eine und dieselbe geistige und leibliche Speise zu essen. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ringen die Juden nach einer sogenannten Emanzipation und werden darin von aufgeklärten und gefühlvollen Christen unterstüzt. Sie wollen nicht mehr auf Pfänder leihen, mit alten Büchern handeln, mit dem Quersack durch die Straßen ziehen und für alte Kleider neues Geld geben; sie sind des Wuchers müde, um so mehr, da sie nicht mehr das Privilegium dazu haben, sondern schon längst von Christen darin übertroffen werden. Den Vorwurf, daß sie zur Emanzipation noch nicht reif wären, können sie insofern zurückweisen, als die an ihnen vermißte Bildung nicht die Ursache, sondern die Folge der Emanzipation seyn kann; denn gibt es Bildung, wo keine Freiheit ist? Werden selbst scharfsinning gebildete Israeliten aufhören, eine gewisse eigenthümliche und nicht selten abstoßende Physiognomie zu tragen, wenn man die jüdische Bildung zwingt, sich auf eigene Hand zu erzielen, und nicht vielmehr Thür und Thor öffnet, daß sich die Meinungen und Manieren vermischen und daraus jenes Nivellement erzeuge, welches wir Christen eigentlich unter: Selbstemanzipation der Juden begreifen? Nicht die Barbarei der Juden ist uns anstößig; (denn sind die Christen nicht theilweise roher!) sondern nur der ganze Geruch, der das jüdische Leben begleitet, die Folge der Sklaverei, die wir im Zustande der Sklaverei selbst verbesserlich glauben! Wir stoßen uns an der Specialität und begehren etwas Unmögliches, wenn wir verlangen, die Juden sollten diese durch sich selbst aufheben. So lange nicht die Emanzipation herrscht, werden wir bei den Juden über ihren Ueberzeugungen und Meinungen einen Circumflex finden, von dem wir sagen können, daß es jüdisch und vielleicht fatal ist; allein wenn es den freiesten Geistern nicht gelingen kann, das Exklusive ihres Volkes zu überwinden, wie soll es bei der Masse seyn, bei welcher sich überhaupt die Bildung nur durch Umgang und Beispiel entwickelt!

Die Emanzipation der Juden ist eine so lebhafte Tagesfrage, daß man sie kaum erwähnen kann, ohne zugleich mitten in Polemik hinein versezt zu seyn. In Frankreich ist sie entschieden; dort werden die Juden zu Deputirten gewählt und können an der Gesetzgebung und Administration des Staates Theil nehmen; jedes Gewerb ist ihnen gestattet, ja sie haben sogar die Freiheit, Soldat zu werden und sich für ihr neues Vaterland erschießen zu lassen. In Belgien gibt es jüdische Maires genug, ja trotz der katholischen Staatskirche wohnen Juden den königlichen Kindtaufen als Zeugen bei. Ueberhaupt verschmilzt der Jude in romanischen Staaten leichter mit der Masse, als in germanischen, obgleich sie auch in den Niederlanden gleichberechtigt sind und der vollkommensten Freiheit genießen. In England und Deutschland steht der Vermischung der Juden mit den Christen der hier auffallendere Unterschied der Raçe entgegen, denn mancher Franzose sieht ohnehin wie ein Jude aus, während englische und deutsche Juden gegen eine blonde oder doch größtentheils blauäugige Nation mit ihren scharfen, südlichen Physiognomien auffallend abstechen. Dennoch hat auch schon in England die Bemühung des Herrn Grant ansehnlichen Fortschritt gehabt, und in Deutschland ist sogar ein Staat, wenn auch freilich durch die unmittelbare Einwirkung Rothschilds, zu einer völligen Emanzipation der Juden gediehen. Adressen werden an die gesetzgebenden Körper eingereicht, sie werden theils von Leidenschaften, theils von Gehässigkeiten, nicht selten auch von wirklichen Ueberzeugungen bestritten. Die Juden führen bereits mit großer Gewandtheit die Feder und wissen ihren Forderungen in der Literatur einen Nachdruck zu geben, der um so kräftiger ist, als der Ruf nach Freiheit in einer bessern stylistischen Lage ist, als das kalte Wort der Unterdrückung. Ja, es fehlt sogar nicht, daß sich Juden auch als Dichter und Gelehrte in verschiedenen europäischen Literaturen ein unbestrittenes Ansehn erworben haben und den Vertheidigern der Emanzipation, um das Verdienst und Talent der Juden zu würdigen, zur glänzendsten Berufung dienen können.

Es ist billig, bei der Betrachtung dieser Frage zuerst die Hindernisse zu erwähnen, die ihrer schnelleren Lösung noch entgegenstehen. Die Juden selbst tragen einen Theil der Schuld, und so geneigt wir seyn mußten, zuzugeben, daß sich das Wesen und Treiben der Juden erst durch die Emanzipation ändern könne, so ist es doch nicht die Intoleranz allein, die einen Theil der Zeitgenossen gegen die Befreiung der Juden in Harnisch bringt, sondern ohne Zweifel manches Widerliche, woran wir uns beim Juden nicht gewöhnen können. Der Jude hat einen unliebenswürdigen Charakter, er ist überzärtlich für Alles, was seinen Namen trägt, kalt und abstoßend gegen Jeden, der sein eigenes Ich nicht näher berührt. Nichts ist so entfremdend, als die Art, wie Juden sich unter einander behandeln; wer Gewalt unter ihnen hat, mißhandelt den Schwächern, sie sprechen nie anders unter einander, als mit verachtender Miene, gleichsam um sich an Dem, was sie selbst von den Christen zu leiden haben, zu rächen; sie grüßen ohne Herzlichkeit, sie reden mit einander, ohne sich anzublicken. Der Aermere ist gegen den Reichen hündisch unterwürfig, und der Reiche hält sich aus einem ganz anderen Blute, als sein Untergebener ist. Diese Fehler können sich bei den Christen auch finden; sie werden aber auffallender in einem Kreise, wo ein gleiches Gefühl sich durch das ganze Zusammenleben mit bindender Gewalt hindurchziehen soll, das Gefühl der gleichen Lage und Hoffnung.

Dann wird auch der aufrichtigste Freund der Emanzipation nicht in Abrede stellen dürfen, daß der Jude, mit seltenen Ausnahmen, roh, herzlos ist, ein Mann mit abgezogenen, raffinirten Begriffen, und daß die Bildung in diesem Kreise immer auf Indifferentismus hinauskommt. Ihre Jugend ist vorschnell, zudringlich, nicht selten unverschämt. Die bei uns üblichen feinen und zarten Rücksichten nimmt sie nicht; die Mädchen sind salopp. Man gehe nur mit einem Juden von feinerer Bildung und tieferem Gemüth um, und wird bald von ihm bestätigt hören, daß für Bildung und Humanität das jüdische Treiben unerträglich ist. Man ist ewig der Medisance ausgesezt, man wird nach Maßstäben geschäzt, die klein und schmutzig sind, die Kunst und Wissenschaft wird nach dem Gelde angeschlagen, und das Wucherwesen quillt noch aus den Poren des elegantesten Benehmens heraus. Wie oft erschrickt nicht der tieffühlende Jude über eine Rohheit der Seinigen, wie ängstlich wacht er, daß irgend ein lächerlicher oder gemeiner Zug derselben verrathen werde, und wie schmerzlich muß er oft zugestehen, daß es unter der christlichen Jugend nicht jene abscheulichen Gewohnheiten gebe, die unter der jüdischen herrschen! Natürlich, Jedermann muß bei den Juden stark auftragen, wenn er sich über das bei ihnen Gewöhnliche hinausschwingen will; hat er Kenntnisse, so muß er sie mit Arroganz verbinden; ist er Künstler, so muß er eine unausstehliche Genialität affektiren; hat er Witz, so muß er schonungslos verwunden; wird Einem etwas zugemuthet, so muß man ihn durch dreistere Zumuthungen zu überbieten suchen. Das ist einmal hergebrachter Ton unter ihnen, und jeder Jude, der Einsicht und Stolz besizt, ihn zu verachten, gesteht doch mit Scham, daß die jüdische Art und Weise ein solches Benehmen verlangt, und daß eine Nation, die so lang im Zustand der Erniedrigung gelebt hat, gar nicht anders in ihrer schlaffen, verstandesnüchternen und feindseligen Art, sich zu benehmen, überwältigt werden könne, als durch Ueberbietung.

Auch auf das Folgende paßt noch immer die Entschuldigung, daß die Juden nur durch ihre Unterdrückung die Unerträglichkeit dieser Manieren erhalten haben. Der größte Theil der Juden ist auf einen schnellen und wucherhaften Erwerb gerichtet; die Christen sind mitunter schlecht genug, aber es zieht sich durch ihre Handlungsweise nicht eine so methodische Verabredung über die Prellerei. Die Juden verschmähen kein Mittel, um zu einem reichlichen Ertrag ihrer oft schmutzigen Geschäfte zu kommen. Das Bedenklichste, was man durch Andere im Handel nicht erhalten kann, wird man durch Juden erhalten. Dann sind sie natürlich durch ihr überreiztes Wesen dem Lächerlichen mehr ausgesezt, als die Christen. Die geistreichst gebildete jüdische Salondame hat einen Anstrich, den ein feinerer Beobachter bald karrikiren kann; der elegante, reiche Handelsmann, der mit dem Kaufpreis und den goldnen Rahmen seiner Gemälde prunkt, der Schöngeist sogar, der von der Nachtigall und der Rose singt: das Alles hat einen eigenthümlichen Beigeschmack, der uns mißfällt. Nun kommt gar hinzu, daß im Hintergrunde dieser überfirnißten Kultur das speziell Nationale von den Juden gar nicht aufgegeben wird, und daß ihre Religion eine gesellschaftliche Absonderung verlangt, die für unser Gefühl im höchsten Grad abstoßend ist. Wir können abweichende Lehrmeinungen ertragen, können Anabaptisten, Quäker, Griechen und Katholiken, wenn wir Protestanten sind, um uns sehen; allein daß die Juden immer noch fortfahren wollen, eine eigene Gesellschaft zu bilden, daß sie sich um Alles in der Welt nicht dazu verstehen, Heirathen zwischen Christen und Juden zu gestatten: darin liegen so viel Erschwerungsgründe der Emanzipation, daß es von den jüdischen Advokaten derselben wahrhaft abgeschmackt ist, darüber mit einem Sprunge hinweg seyn zu wollen und unseren Nerven eine Gefühllosigkeit zuzutrauen, die sich unsrer noch nicht so bemächtigt hat, wie sie allgemein bei der Emanzipation vorausgesezt wird. Mit einem Wort: ich bin mit der heiligsten Entschiedenheit für die Gleichstellung der Juden mit den Christen; allein die Art, wie diese Gleichstellung motivirt ist, hat etwas Widerwärtiges und Zudringliches; da ich auch noch nicht einen Advokaten derselben gefunden habe, der das Judenthum mit uns moralisch hat vermitteln wollen und der eingestanden hätte, daß diese Frage weit weniger eine Frage des Rechts, als eine des Gemüthes und der tiefsten Empfindungen ist.

Die christlichen Gegner der jüdischen Emanzipation werden von mancherlei Motiven getrieben. Zuvörderst treten gegen sie Idealisten auf, die entweder vom Staate oder von der Würde des Christenthums übertriebene Begriffe haben. Sie halten es für übereilt, ja für frevelhaft, einem historischen Ergebnisse, wie ein solches bisher die Stellung der Juden war, vorzugreifen und mit eigner Hand an den Traditionen der Geschichte etwas Wesentliches zu verrücken. Es zeichnet diese Partei eine Unerfahrenheit in öffentlichen Angelegenheiten aus, eine Unkenntniß mit dem Wesen des Staates und der Stellung des Christenthums zu ihm, welche die Frucht theoretischer Abstraktionen ist und an welcher die in Staat und Kirche gegenwärtig herrschenden Thatsachen die geringste Schuld tragen. Denn unser gesellschaftliches Zusammenleben, weit entfernt, die bewußte Strahlenbrechung eines innern, unvermischt glänzenden Prinzips zu seyn, hat sich vielmehr den täglichen Bedürfnissen, namentlich durch Finanzverlegenheiten, Industrie und Handel, so angepaßt, daß der in Wirklichkeit jezt gefundene Staat keineswegs mit jenem Phantom zu vergleichen ist, welches die Idealisten aus einigen doktrinären Prinzipien zusammengesezt haben. Die künstliche Zusammenschmelzung mancher Gebietstheile zu einem Gemeinwesen mußte längst jenes sogenannte naturwüchsige Prinzip aus der neueren Geschichte verdrängen; die Staaten sind Mechanismen, keine Organismen mehr. Dazu kommt, daß das Christenthum weit weniger als ehemals die Tendenz hat, jezt sich noch als Kirche geltend zu machen, sondern sogar Die, welche die Frömmsten sind, haben längst darauf gedrungen, daß die Kirche in die Gemeinde aufgelöst werde und überdies jede äußere weltliche Autorität von dem Kreuze Christi wegfalle. So sind mit einem Worte nur jene idealistischen Gegner der Emanzipation Diejenigen, welche allerdings durch mystisches oder doktrinäres Raffinement das Wesen eines christlich-organischen Staates in sich mit Glückseligkeit genießen, die aber das reine Gold ihres Ideals, von den Schlacken unserer verworrenen, mechanischen, trivialen Zustände gesondert, nirgends werden nachweisen können. So vermögen wir dem Gedanken, daß Juden an unseren gemeinsamen Angelegenheiten Theil nehmen sollen, zwar mit brütendem Unwillen nachzuhängen, werden uns aber immer dazu bequemen müssen, wenn wir weise und verständig seyn wollen, die Dinge so zu nehmen, wie sie einmal geworden sind. Wir können der europäischen Gesellschaft diese Ordnung und Consequenz nicht wiedergeben, welche dem idealen Absolutismus vorschwebt, sondern in einer Zeit, wo sich überall das abstrakt Menschliche sucht geltend zu machen, mußten die Fesseln des Staates nachlassen und mußte Alles ausgewischt und geebnet werden, was als bürgerliche Pflicht das menschliche Recht überragte.

Von den Einwürfen des Idealismus sind jene andern zu unterscheiden, welche der Emanzipation der Juden von der faktischen Staatsräson gemacht wurden. Die innere Verwaltungspolitik unserer Zeit hat die Juden im Stande der tiefsten Erniedrigung überkommen. Sie mußten noch vor zwanzig Jahren Leibzoll, Schutzgeld zahlen, sie waren in eigenen Gassen eingeschlossen, ja es gab Städte, sogenannte freie, wo auf öffentlichen Promenaden die Juden nicht den allgemeinen Bürgersteig betreten durften, sondern durch den Sand des Fahrweges waten mußten. Selbst aufgeklärte Staatsmänner, die den Juden eine Verbesserung ihres Zustands von Herzen gönnen, sehen nicht ein, wie man dabei einen andern Weg, als den einer allmäligen Reform, einschlagen könne. Es wird den Juden mit der Zeit erlaubt, unbewegliches Eigenthum zu haben, sie dürfen Landsitze kaufen, sie dürfen ein Gewerbe treiben und werden hier und da zur Advokatur zugelassen. Allein auch dieses Verfahren ist am wenigsten zu einer Beilegung des Streites geeignet; denn indem die gebildeten Juden einen gewissen Grad von Freiheit erhalten und die süße Gleichheit der Rechte hie und da kosten können, werden ihre Bedürfnisse nur dringender und ihre Wünsche nur lauter werden. Können sie nicht mit Recht sagen: wir erlangen die volle Freiheit nicht für uns Alle, sondern nur für Die, die sich nicht bloß ihrer würdig machen, sondern überhaupt sie ertragen können? Hat man erst den Juden zum Advokaten gemacht, gab man ihm sogar Sitz und Stimme in der Gemeinde, wie sie Montefiore in London hat, dann ist es schwer, Männern von dieser Bevorzugung auch das Uebrige zu versagen; ihre Redlichkeit ist erprobt, ihre Talente sind selten. Wenn man ihnen jezt noch die Pforte zu höheren Terrassen verschließt, dann begeht man eine Ungerechtigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie durch einen Rückblick auf das ganze jüdische Volk, das noch dunkel im Hintergrund steht, entschuldigt wird.

Bei den Hemmnissen der Emanzipation leisten andere Besorgnisse, die mehr oder weniger Grund haben, Vorschub. Man fürchtet eine Ueberhandnahme des jüdischen Geistes, ja man glaubt sogar, daß, wenn an dem Arme der Autorität der Jude erst ein Finger seyn kann, er sich auch bald in die ganze Faust verwandeln würde. Man fürchtet den verschlagenen und gewandten Geist der Juden, ihre Geldmittel und theilweise auch ihren Indifferentismus, ihre Gleichgültigkeit gegen diese oder jene Form der Oeffentlichkeit, wenn man auch gestehen muß, daß sie nur die Folge des bisher mangelnden rechten Vaterlandes gewesen ist. Man wendet wohl gar ein, daß uns die Juden, wenn die Christen ihre Paria's wären, nie emanzipiren würden, weil es ihr Charakter und ihre Religion schon mit sich brächten, sich allein für das auserwählte Volk Gottes zu halten. An all' diesen Einwürfen ist etwas Wahres; nur ist es auf die Spitze gestellt und namentlich insofern ganz irrthümlich, als sich bei einer erklärten Emanzipation der Juden ihr ganzer gesellschaftlicher Körper nicht en choc in den christlichen hereinstürzen wird. Die Juden stehen nicht bettelnd und pochend an der Thür oder lärmen aus Ungeduld, wie am Theater, sondern, da sie die Emanzipation einmal nicht haben und nicht Lust spüren, zu verhungern, so haben sie sich Lebenswege genug zu bahnen gesucht, arbeiten in ihrem Kreise fort und bedürfen zur Prosperität am Allerwenigsten der Emanzipation. Da man den größten Theil der Juden gegenwärtig handeln sieht, so wird es lange dauern, bis sie ihre Emanzipation auch zu andern Erwerbszweigen benutzen. Die Gleichstellung würde keinen plötzlichen Andrang erzeugen, sondern man würde in der That erstaunen, wie lange die Juden, da ihnen doch nun die volle Freiheit gestattet ist, zögern, sie zu benutzen. Darin liegt eine der irrthümlichsten Vorstellungen über die Emanzipation, daß man sich unter den Juden ein Schiff von Auswanderern denkt, welches mit uns durch das Sprachrohr parlamentirt und dessen Mannschaft, wenn man sie einließe, uns freilich überschwemmen würde. Die Juden haben ihre abgeschlossene Existenz; sie haben wohl aus der Noth eine Tugend machen müssen, sie haben sich ihr eigenes Bett gegraben und suchen sich durchzubringen, wie es eben geht. Würden sie frei, so werden wir wenig Hungrige antreffen, die gleich heranstürzten, um sich zu sättigen; sie würden eine Weile in der gewohnten Lage bleiben, sie würden die Emanzipation nur größtentheils für ihre Kinder, ihre Bildung und die zukünftige Richtung des jüdischen Lebens benutzen.

Man denkt sich unter der Emanzipation immer den Moment einer großen tumultuarischen Aufregung. Die Befreiung der Juden wird aber kein einziges Zeichen der Revolution tragen. Wer wird denn kommen und die Freiheit benutzen? Fürchtet ihr, der Schachergeist würde sich auf die Richterstühle setzen? der Trödelgeist hinter die Polizeischranken? Nein, Die, welche zuerst die Freiheit benutzen, werden die Gelehrten seyn. Nun ist dies aber die geringste Gefahr, welche uns Christen von der Emanzipation treffen könnte, daß Männer von Bildung und Geschmack und nicht selten von außerordentlicher Geisteskraft an unsern gemeinsamen Angelegenheiten Theil nehmen, mit uns auf gleichem Fuße stehen und sich wohl gar um die Staatsämter bewerben. Diese erste gelehrte Vorpostenlinie werden wir also schon aushalten, wir werden den Unterschied von Sonst und Jezt gar nicht merken, da wir längst gewohnt sind, jüdische Aerzte und Advokaten, Dichter und Gelehrte als die Unsern zu betrachten und längst mit ihnen in ebenbürtigem Verkehr stehen. Das zweite Treffen, welches ins Feld rücken würde, könnte dann auch nur jene kleine Schaar seyn, die den Handel verließe und sich zur Industrie wendete; jüdische Gesellen würden zu christlichen Meistern kommen, ja vielleicht selbst Meister werden und ein schönes Geld von den Ihrigen mitbringen, um ihr Geschäft gleich im Großen zu treiben. Wer erschrickt hierüber? Der Zunftgeist; die Schuster- und Bäckergilde, die sich mit so vieler Mühe von der Konkurrenz befreit hat, die die Jahrmärkte längst verwünscht, weil man auf ihnen billiger kauft, als in ihren Läden; kurz, derselbe Zunftgeist, der sich noch hie und da vor der Gewerbfreiheit zu verpallisadiren wußte, der aber doch überall früher oder später einer Zeit zum Opfer gebracht werden muß, welche die Rennbahn der Konkurrenz jedem Talente, jedem Interesse freigegeben hat. Endlich bestände das dritte Treffen aus den jüdischen Lazaroni's, welche bekanntlich durch ihren Schachergeist den Christen eine so große Plage sind, daß man froh seyn sollte, wenn dem Staate Zwangsmittel zu Gebote stünden, diese faulen Straßenwucherer aus ihrem die Judengassen verpestenden Dolce farniente zu ziehen und sie zu andern Arbeiten anzuhalten, als zu dem Lotterhandel auf dem platten Land und in den Winkeln der Städte. Es ist wahr, die gemeinen Juden sind entsetzlich faul; sie spielen alle die großen Herren und scheuen die Arbeit. Der Druck, in welchem der Staat sie erhält, bestärkt sie darin. Die Emanzipation würde ihm das Recht geben und die Pflicht auferlegen, diese Liederlichkeit zu hintertreiben und die Juden zur Arbeit zwangsweise anzuhalten.

Gewöhnlich will man die Emanzipation von der Bildung, die sich die Juden erst verschaffen sollen, abhängig machen; man sagt ihnen wohl: »emanzipirt euch selbst, dann soll euch die politische Freiheit nicht fehlen!« Allein hier übersieht man, daß gerade jene Bildung, die wir an den Juden vermissen, jene Bildung, die sie mit uns gleich machen und den scharfen Accent des Unterschieds aufheben soll, daß sie nicht Wirkung, sondern nur Ursache der Emanzipation seyn kann. Wir finden im Allgemeinen auch Bildung genug unter den Juden, nur hat sie ein Gepräge, welches uns widersteht; sie ist selbst da, wo sie ausgezeichnet ist, wunderlich und nicht selten lächerlich. Dies Alles kann nur die Folge der Isolirung seyn. Die Ueberreizung sowohl, wie das Defizit, kommt aus dem Druck her; ja man geht von der Bildung im Allgemeinen auch auf die Religion über und verlangt von dieser eine Akkommodation, die nicht viel mehr sagen will, als daß die Juden Christen werden. Man sollte sich hier um so weniger plump und zudringlich einmischen, als im Judenthum selbst eine religiöse Gährung ausgebrochen ist, deren Resultat jedenfalls der höheren, geistigen Emanzipation derselben den Weg ebnet. Macht man aber in Betreff ihrer Religion zu heftige Zumuthungen an die Juden, so verwirrt man sie unter einander, sezt die Reformationspartei in Verlegenheit und zwingt sie, da sie doch nicht verkannt zu werden wünscht, weit strenger an jene historische Tradition zu halten, welche sie in aller Stille über Bord werfen wird. Ja, es gibt sogar Christen genug, welche den Aberglauben und den historischen Wust so sehr lieben, daß sie es nur mit Schmerz sehen, wie sich die Juden von ihm befreien und einen geläuterten Glauben stiften wollen. Mit einem Worte, es sind im Schooße des Judenthums jezt die edelsten Kräfte thätig; an Allem, was uns Christen von jüdischen Sitten so widerwärtig ist, empfinden die Juden selbst allmälig Ueberdruß, und jenes spezielle Kolorit ihres Treibens würde bald aufhören, wenn man sie nur aus dem Bereich ihrer eigenen Gesellschaft herausließe, sie von der Botmäßigkeit der Rabbinen befreite, von der Verketzerung jener Familien, die mit der Tradition koquettiren und die, wie z. B. die Rothschilds, reich genug sind, Dies ohne eigene Unbequemlichkeit thun zu können. Der Geist der Reform, der in die jüdische Religion gekommen ist, würde, wie überhaupt die Bildung jenes abgesonderten Stammes, bessere Fortschritte machen, wenn man die Schranken einrisse und dem freien Streben auch freien Raum gäbe.

Nun wendet sich freilich gegen die Freiheit der Juden immer wieder das unvertilgbare Gefühl ein, daß wir in die inneren Kreise unserer Gesellschaft eine Kaste aufnehmen sollen, deren Eigenthümlichkeit uns so widerwärtig ist. Wir reformiren recht gern, erschrecken aber oft genug, wenn wir auf die Stadien der Fortschritte zurückblicken, welche die Sache der Juden gemacht hat. Denn es ist etwas Eigenes mit unserm Widerwillen gegen jüdische Denk- und Handlungsweise. -- Allein dieser eigenthümliche jüdische Accent, wie konnt' er sich anders, als durch Absonderung erhalten! So wie sich französische Auswanderer in Deutschland und deutsche Auswanderer in Amerika allmälig mit der Masse verbinden, so können auch die Juden, wenn es auch länger dauern sollte, die Spezialität ihrer Manieren verlieren, welche das größte Hinderniß der Emanzipation ist. Wenn die Juden gezwungen sind, an einander zu halten und, so lange sie nicht unserer Gesellschaft angehören, eine eigene zu bilden, wenn sie nicht blos die trübe Vergangenheit, sondern auch die Aussicht in eine Zukunft, die man ihren Hoffnungen rauben will, nur um so enger bindet und verschwistert; so wird sich ihre Sprech- und Denkweise nicht verlieren, sie werden ihre widerliche Art, sich in alle Dinge einzumischen, behalten, sie werden neugierig und vorwitzig Alles betasten, was sie nichts angeht, werden abfällig urtheilen, werden ewig die Verstandesabstraktion und den zersetzenden Witz der gläubigen Phantasie vorziehen, sie werden selbst bei aller Bildung immer eine gewisse jüdische Schattirung behalten, die sich in Geldsachen und dem Egoismus offenbart; kurz, der jüdische Charakter, dessen Mängel die Freunde der Emanzipation gar nicht sehen zu wollen scheinen, findet nur in der jüdischen Isolirung seine Nahrung. Gebt den Juden jedes Gewerb frei, zittert nicht, wenn es heißt, studierte Leute unter ihnen könnten Apotheker werden, als wenn sie daran dächten, euch zu vergiften; zittert nicht, wenn sie Brod backen, Bier zapfen, wenn sie Weinhandel treiben, nehmt sie in eure Gesellschaften auf, schließt sie nicht aus von Vereinen, die der Geselligkeit gewidmet sind; laßt sie eure schlechten Journale in demselben Casino lesen, wo ihr euch über ihnen langweilt, laßt sie nicht blos Aerzte und Advokaten, sondern auch Beamte der Polizei, Richter, laßt sie Minister werden, wenn sie das Adelspatent des Genies dazu haben; macht sie zu Offizieren, wenn sie sich ihren lendenlahmen Gang abgewöhnt haben und den Kopf ohne Neigung tragen -- ist dies Alles erst frei gegeben, dann werden die Unterschiede sich bald ausgleichen und in ein Nivellement verlieren, wo uns die Verschiedenheit der Religion, das einzige Unterscheidungsmittel, nicht mehr stören wird.

Es ist natürlich nothwendig, daß die Juden ihre Emanzipation von eben diesem Gesichtspunkt aus betrachten. Ihre Anwälde wollen blos das politische Recht, und gestehen uns nicht zu, daß die Frage weit mehr moralischer, als politischer Natur ist. Sie pochen entweder auf die Menschenrechte oder die Paragraphen einer Verfassung, wo den Juden ein geregelter Zustand versprochen wurde, ohne daß die Fürsten daran dachten, sie nun auch gänzlich zu emanzipiren. Gegen diese Behandlungsweise der Judenemanzipation soll sich der ächte Liberalismus durchaus aufwerfen; er ist der Frage nicht feindselig, er will sie zum Besten, aufs Schnellste gelöst sehen, nur sollen uns die Juden Parlamentäre schicken, die denken und fühlen, keine Rabulisten, sondern Weise. Man soll die Frage verhandeln mit Gesichtspunkten auf die Zeit im Ganzen und Großen, mit Gesichtspunkten der Moral und des höheren Völkerlebens. Daß uns das Judenthum wie ein geschlossener Phalanx mit all seinem barocken Wuste in unsere Reihen hereinbreche, verhüte Gott! Das Thor soll offen stehen, ja nicht einmal sollen die Wächter, welche die Durchgehenden prüfen, Christen seyn, sondern ihr Juden sollt selbst an das Zollhaus eure weisesten und gerechtesten Männer stellen, welche den Ehrgeiz in sich fühlen, die Emanzipation als ein schönes und reines Resultat der Humanität zu erhalten und ihr am allerwenigsten den Stempel eines errungenen Siegs für Crethi und Plethi aufzudrücken.

Wenn die Juden ein geschlossener Phalanx selbst nach der Emanzipation bleiben wollen, dann möchten die Christen vielleicht noch stark genug seyn, ihnen die Früchte der Befreiung ohne Weiteres vorm Munde wegzunehmen. Wenn auch kein Gesetz, so würde doch eine unverabredete Stimmung der Gemüther plötzlich die Juden wieder in jene Nichtigkeit zurückschleudern können, in welcher es sich jezt die Reichen unter ihnen so bequem gemacht haben. So gut, wenn wir die Juden emanzipiren, wir in unserm christlichen Schooße eine Menge Vorurtheile niederzukämpfen haben, so gut wir unseren bedenklichen Abergläubigen predigen müssen, daß weder das Christenthum, noch der Staat, noch das germanische Blut durch die Emanzipation in Gefahr käme; so gut sollt ihr auch gegen die Eurigen Gewalt üben, sie zwingen, von ihren, mit der idealen Vereinigung unverträglichen Sitten zu lassen und jenen Moder zerstören, mit welchem die Sitten des alten und verstockten Judenthums umzogen sind! Die wechselseitigen Heirathen müssen freigegeben seyn, und so gut wir unsere Töchter nicht zurückhalten wollen, wenn sie an einem jüdischen jungen Mann Gefallen finden und er ihre Hand begehrt, so wenig dürft ihr jene alten Gesetzesmenschen in ihrer Weigerung bestärken, wenn ihre Töchter von einem Christen begehrt werden. Das Streben, eine Kaste zu bilden, würde die Emanzipation alsbald aufheben; denn wenn ihr euch darauf beruft, daß ihr mit uns seyd von gleicher Sprache, von gleicher Nation, von gleichem Vaterlande, dann solltet ihr auch in jeder Beziehung den besten Willen zeigen, euch mit den öffentlichen Thatsachen, die einmal mit unsrer Sprache, Nation und unserm Vaterland unzertrennlich sind, innigst zu verschmelzen. Freilich müssen wir immer hören, daß die Juden ihre absonderlichen Sitten mit Essen, Trinken und Feiertagen aus der Religion herleiten, wo wir denn freilich sagen können, daß wir ja nicht gesonnen sind, sie auf irgend eine Weise in ihrem Lehrbegriff und dem Glauben daran zu hindern. Allein sollte denn die reformatorische Richtung, welche die neue jüdische Theologie bekommen hat, so schwach seyn, daß sie nicht ihre Gemeinde über die Disharmonie aufklären könnte, in welcher das Vaterland des Judenthums, der Orient, auf welchen die meisten religiösen Vorschriften berechnet sind, mit dem Occident, den sie als neues Vaterland ansprechen, steht? Ihr verlangt von uns, daß wir euch in unsre Mitte nehmen, als Brüder behandeln und sogar mit Staatsämtern bekleiden, und ihr wollt nicht einmal das Geringe für eure Aufklärung vermögen, daß ihr den Sabbath auf den Sonntag verlegt? Ihr verlangt, daß wir unsre Leidenschaft besiegen, und ihr besiegt nicht einmal euren Aberglauben? Wir sollen euch in unsre Dörfer als Amtleute setzen über Bauern, welche die Juden nicht nur als Wucherer hassen, sondern sogar noch als Nachkommen jener Verdammten, die Christus gekreuzigt haben; und ihr wollt nicht einmal eine Anordnung treffen, die jeder Einsichtsvolle für die Emanzipation unerläßlich hält, und wo ihr doch aufgeklärt genug seyd, um zu wissen, daß eure alten Rabbinen abgeschmackte Menschen sind! Darin liegt recht die jüdische Unbilligkeit und eine diesem Volke zur andern Natur gewordene Keckheit, daß sie Beamte werden wollen und sich den Samstag noch neben dem Sonntag, der ihnen ohnehin gehören würde, als Feiertag ausbedingen und ohnedies noch vielem andern jüdischen Krimskrams nicht entsagen wollen.

Die einsichtsvollen Juden gestehen gewiß zu, daß eine Anpassung an die bei der Majorität übliche gesellschaftliche Ordnung für die Emanzipation unerläßlich ist. Auch mögen sie Recht haben, wenn sie nicht diese Akkommodation vermeiden, sondern nur eine gesetzliche Feststellung derselben; das läßt sich hören. Das Vorurtheil will geschont seyn, der Aberglaube weicht selten der Gewalt. Vielleicht ist es nützlicher, über die Reformen im Judenthum Nichts als Gesetz aufzustellen, sondern die Zeit und die Gewohnheit zur Autorität zu machen. Der Sabbath, einmal nicht mehr gefeiert, wird leicht auf den Sonntag übertragen seyn. Man kann gegen diese Gedankenreihe Nichts einwenden, wenn wir auch eingestehen, daß es den aufgeklärten Juden keine Ehre macht, wenn sie nicht selbst kräftig Hand anlegen und den Christen zeigen, wessen sie im Stande sind, wenn einmal erst die Stunde der Freiheit schlägt. Nein, nimmermehr wird die Emanzipation kommen, und wenn sie durch ein mildes Gesetz käme, nimmermehr würde sie in das Blut des Volkes übergehen und dem befreiten Jerusalem Genüge thun, wenn Dies nicht im Innern rüstig sich regt, den Belagerten in den Rücken fällt und die Bresche erweitern hilft, durch welche der Sieg hereinsteigt und Bruderliebe die Hand reicht. Auf dem Lotterbett zu liegen und Nichts als Emanzipation zu rufen, ist freier Geister nicht würdig und verdient die Emanzipation nicht. Sähen wir, daß ihr gegen euren eignen Aberglauben kämpftet, dann würdet ihr bald auch den unsrigen besiegt haben; sonst könntet ihr in die Lage kommen, daß ein weiser und gerechter Fürst sagte: »Ihr seyd mit Vergunst meines Volkes frei, wenn ihr den Sabbath und die anderen Feste auf die unsrigen verleget!« Was würdet ihr da thun? -- Der Fürst würde die Meinung der Christen für sich haben und ihr die eures eignen Volkes gegen euch; ihr würdet fühlen, wie es sich an euch rächt, daß ihr die Muße, wo die Emanzipation sich als Idee Bahn machte, nicht benuztet, in euren eignen Trödelkammern aufzuräumen; eure Reichen würden ohnedies gleichgültig seyn, weil sie ja der Emanzipation nicht bedürfen; eure Armen, denen die Wärme des Koths, in dem sie leben, gefällt, würden nein sagen, und ihr, die ihr gebildet und aufgeklärt seyd, würdet rathlos in der Mitte stehen. Dieser Moment tritt gewiß noch ein; denn die Christen werden keine Thoren seyn, euch ein Opfer zu bringen, wenn ihr ihnen kein anderes dafür einsezt. Hört die Warnung!

Zum Schlusse möge hier noch die Bemerkung stehen, daß mir im Judenthum durchaus nicht das Bestreben zu liegen scheint, an einander zu halten und Chor zu machen. Das gleiche Schicksal bindet jezt die Juden; wandern sie, so finden sie nur Herberge bei den Ihrigen; man betrachtet sie wie einen eigenen Körper, darum bilden sie auch einen. Allein fielen erst die Schranken, und zwar nicht blos politisch, sondern moralisch und gesellschaftlich; dann würde man sehen können, daß gerade die Juden Nichts mehr vermeiden würden, als die Ihrigen. Man lege ihnen Dieses nicht übel aus. Sie kennen die Schwächen der Aeltern gegen die Jüngern; der Gebildete schämt sich der Denk- und Handlungsweise seiner ungebildeten Stammgenossen; Unterricht und Erziehung haben ihn ja längst uns gleichgestellt. Die Juden lesen aus den Zeitungen, der Literatur und Kunst Dasselbe, was wir lesen; ihnen ist Napoleon und O'Connel, der Fall des Niagara und eine Eisenbahn Dasselbe, was sie den Christen ist; sie sprechen unsre Sprache und halten meist nur äußerlich an die Ceremonien eines Glaubens, dessen Reformation ja fast dem deistischen Inhalt gleichkommt, der dem religiösen Bewußtseyn der Unsrigen entspricht. So sind sie längst die Unsern und streben darnach, mit uns sich zu vermischen. Und so muß hier gerade das Wort Christi, daß die Juden bis in alle Ewigkeit in der Irre gehen würden und sie auf dem ganzen Erdboden zerstreut bleiben sollten, erst recht in Erfüllung gehen. Fromme, christliche Seelen fürchten nämlich, durch die Emanzipation möchte diese Prophezeiung Christi auf freventliche Weise widerlegt werden; aber gerade die Emanzipation würde die Juden erst recht aus einander treiben, nach allen Weltgegenden hin zerstreuen und den Fluch erfüllen, den Christus darin sah, daß sie in Ewigkeit aufhören sollten, ein Volk zu seyn. Christus gab die Prophezeiung von dem jüdischen Gesichtspunkte, nach welchem den Juden gerade nichts Schrecklicheres widerfahren konnte, als kein eigenes Volk mehr zu seyn. Freilich haben die Nachkommen diesen Stolz verloren; die Geschichte ist eine milde Trösterin. Ob die Juden vor ihrem Gott aufhören dürfen, noch auf ihren jetzigen Trümmern einen eigenen Stamm zu bilden; diesen Kummer wollen wir ihrem eigenen Gewissen überlassen, und sie getrost -- emanzipiren.


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