Karl Gutzkow
Die Selbsttaufe
Karl Gutzkow

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9.

Es vergingen vierzehn Tage; Ottfried kam nicht und schrieb auch nicht. Agathe gedachte dessen, was die Schwester gesagt hatte: Es gibt Geständnisse, die der Worte nicht bedürfen. Dieser Satz, mit glühender Flammenschrift in ihr Herz gegraben, verzehrte sie. Der Vater, der es wohl begriff, daß sich Ottfried dem Verlöbniß mit Agathen entziehen wollte, tröstete sich mit dem Gedanken, daß Niemand etwas von dieser beabsichtigten Verbindung erfahren hatte. Er war Menschenkenner genug, Frau von Büren ganz zu begreifen, als sie ihm auseinandersetzte, daß eine Verbindung dieses strebenden Feuergeistes mit Agathen nur eine unglückliche Zukunft für beide Theile geschaffen hätte. Der Name Ottfried blieb ihm darum doch lieb und werth; denn Sidonie sprach stets von ihm und las ihm auch aus einem wiener Briefe vor, daß Ottfried in einem besuchten Cirkel sich geäußert hätte, er kenne keinen Mann, der bessere Münzen aus der byzantinischen Epoche besäße, als der Ritter Wallmuth.

Ottfried wurde bei der wiener Gesandtschaft attachirt und kehrte nicht zurück. Kurz vor dem Beginn des Carnevals erklärte Frau von Büren, daß sie einer dringenden Einladung ihrer Freundin, der Gräfin Adlerkron in Wien, nicht länger widerstehen könnte und einmal jene heitere und für ihre Gesundheit anregende Zeit in Wien zubringen wolle. Der Vater hörte dies gern und machte ihr noch ein kleines Geschenk, das sie noch in ihre ohnehin gefüllte Reiseschatulle legen sollte, eine Anweisung auf Arnstein und Eskeles in Wien, im Betrag von sechshundert Dukaten. Sie küßte ihm dafür dankbar die Hand.

Mit dem Abschied nahm es die geistreiche Frau leicht. Nur der von Agathen bot einige Verlegenheit. Am Tage vor ihrer Abreise fuhr sie beim väterlichen Hause vor. Agathe saß in ihrem kleinen Zimmer, in dem beide Schwestern erzogen waren. Ein kleines Bild der Mutter hing in düsterer Beleuchtung an den verschossenen Wänden, Agathe sah krank und elend aus. Sie konnte sich kaum erheben, Sidonie, ein Bild der Schönheit, stand mit gesenktem Haupte vor ihr. Du gehst nach Wien! Weiter konnte Agathe nichts sagen. Schon das letzte Wort erstickte in ihren Thränen, die sanft über die blassen Wangen niederflossen, sanft und still, ohne Vorwurf, ohne Anklage. Ach, sie hatte etwas auf den bebenden Lippen, was sie der Schwester sagen wollte. Sie begann: Sag' ihm – aber sie vollendete es nicht. Es war kein Vorwurf, den sie der Schwester, der Räuberin ihres Glückes, ihres einzigen Glückes, mitgeben wollte, sie wollte nur äußern: Sag' ihm, daß ich von ihm nichts behielte, als den weggeworfenen Buchstaben G. und daß ich diesen wahren und hüten wolle, diesen Theil seines Lebens, diesen Theil seines Herzens, den ich einst besessen habe und besitzen werde, bis das meine aufhört zu schlagen. Aber soviel Worte trugen ihre Lippen nicht. Sie erhob sich langsam, drückte ihre Schwester unter tausend Thränen an ihre arme, der Liebe beraubte Brust und entließ Sidonien, in deren lange Wimper sich ein einziger Tropfen stahl, mit den erstickten Worten: Du wirst mich nicht wiedersehen!

Sie sah sie nicht wieder. Wie der Frühling wiederkam und mit ihm die Erinnerung an Schönlinde, sank sie zusammen. Der überschwellende Blüthenduft im Monat Mai tödtete ihre sieche Brust. In der neuen marmornen Familiengruft wurde sie begraben und gern erfüllte der Vater, der, wie so viele Menschen, erst im Tode ehrte, was er im Leben misachtet hatte, den letzten Wunsch der Sterbenden, daß er statt alles Prunkes und aller Inschrift auf den Stein, der die Stelle ihres Grabes bezeichnen würde, den einfachen Buchstaben G. setzen sollte. Der Vater thats, verstand aber die Bedeutung nicht, auch die geistreiche Dichterin Sidonie, die aus dem Schicksal ihrer Schwester den Stoff ihres ersten gedruckten Romans wählen wird, verstand sie nicht. Nur Ottfried verstand sie mit tiefer Erschütterung und gelobte sich, als er sich eines Abends aus Sidoniens Armen riß, heilige, ernste Dinge.

Gott, den er aus seinem Namen, aber nicht ganz aus seinem Herzen stieß, weiß es, ob er sie halten wird.


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