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Neuntes Capitel.

Knappen und Laienbrüder.

Louise Eisold kam von Buchau, wo ihre Geschwister vom Inspektor Mangold wie seine Kinder erzogen wurden, während sie selbst versucht hatte, dem nahegelegenen Tempelstein und seinem Wiederaufbau, besonders aber der Bequemlichkeit des einstweilen in der Nähe angesiedelten Dystra, von Nutzen zu sein. Dem Bande der Ehe, das sie mit Mangold umschlingen sollte, hatte sie sich entwunden, aber sie war dem treuen Manne ein tägliches Wallfahrtsbild, zu dem er pilgern mußte, wenn sein Tag der rechten Weihe nicht entbehren sollte. Das reizend gelegene Schloß Buchau war auf eine Stunde Weges von einem Flecken entfernt, wo Dystra ein Gasthaus schnell in eine anmuthige Villa hatte umwandeln lassen und sich an dem zauberhaft schnellen Aufsteigen seines großen Tempelsteinbaues erfreute; ja er sagte oft, wenn er rastlos mit den Architekten und Werkmeistern gearbeitet hatte: Ich verstehe jetzt das Sprüchwort, daß man seinen Tod verrathe, wenn man zu bauen anfange. Es wird mir ganz ägyptisch räthselhaft zu Muthe und wenn ich meine Pyramiden aufsteigen und dann in einen Spiegel sehe, möcht' ich schwören, daß ich schon zur kompletten Mumie und Museumsmerkwürdigkeit zusammenschrumpfe, ehe ich noch Olga in diesen Tempel einführe.

Louise Eisold gab Zeck keine klare Auskunft über den Grund ihrer Anwesenheit in der Residenz. Seit anderthalb Jahren war sie entfernt gewesen. Sie sprach von dem Grabe ihres Bruders, das sie besucht und wie von unsichtbaren Engelshänden mit den frischesten Blumen geschmückt gefunden hätte. Sie sprach von einer Unsumme von Aufträgen, die sie für Mangold und Dystra auszuführen hätte, von Einkäufen und Bestellungen aller Art. Sie erwähnte Tempelheide, wo sie schon bei den jungen Damen, auch der trauernden und weinenden Selma Rodewald, gewesen wäre. So kam sie auf Dankmar Wildungen, auf Hackert endlich und fragte Murray:

Sehen Sie Hackert noch? Besucht er Sie oft? Ist er wohl? Dient er noch dem abscheulichen Pax?

Friedrich Zeck kannte seines Sohnes Achtung vor diesem einzigen Mädchen. Er hätte ihr gern gesagt, daß sie einen wiedergebornen, neuen Menschen in ihm finden würde. Doch mußt' er die Wahrheit ehren und erwidern:

Sein Bestes ist ein Schimmer von Dankbarkeit. Er spricht mit Wärme von Ihnen.

Louise verfiel über dies Wort in Nachdenken. Eine sichtliche Unruhe sogar suchte sie hinter Rückblicken auf die Vergangenheit zu verbergen. Sie betrachtete die Wände dieser Wohnung, in der ihr so viel Leidvolles einst begegnet war! Wie sie sich selbst diesem alten, ihr so liebgewesenen armen Hausrathe gegenüber verändert hatte, sah sie an dem kleinen Spiegel, der auch noch von ihrer früheren Zeit geblieben. Wie warf er ihr jetzt ein so braunes sonnenverbranntes Antlitz entgegen gegen das frühere kreideweiße, stubenbleiche! Murray rühmte ihr Aussehen und glaubte ihr den überraschendsten Eindruck versprechen zu dürfen, den sie auf Hackert machen würde, der ihn oft besuche und die Anhänglichkeit an diese alten Wände behalten hätte.

Murray erzählte, was Louisen von seinem Leben werthvoll sein konnte. Über Fränzchen Heunisch war sie unterrichteter als er. Ja er erkannte sehr bald, daß irgend etwas auf ihrer Brust lag. Sie sprach wol von dem Ausbau des Tempelsteines, von den Tausenden, die Dystra an dies Wunderwerk verschwende, von den Ruinen der Tempelabtei, den Schauern des Waldes um sie her, dem hohen tannenbewachsenen Bergrücken, über den hinweg auf sich schlängelnden, nur dem Schleichhandel bekannten Wegen man in das Land des fränkischen Nachbars gelange, sie sprach von ihrem religiösen Glauben, von ihrem Verharren bei den vielverfolgten freien Gemeinden, bekämpfte hartnäckig, was der christlichere Murray darauf entgegnen wollte, aber unter Allem, was sie sagte, lag etwas verborgen, was wie der Drang eines sich gern lösenden Geheimnisses war.

Endlich brach sie auf. Sie wohne in der Vorstadt, sagte sie, in einer schlechten Ausspannung, dem Pelikan auf dem Wege nach Tempelheide... ein ehemaliger Kutscher Namens Peters hielte den jetzt auf eigne Rechnung und würde ihn vielleicht ganz kaufen... sie müsse doch Diesen und Jenen noch besuchen...

Und Hackert? fragte Murray.

Geht er noch mit Pax, antwortete sie rasch, so sagen Sie ihm, daß ich ihn nur beklagen kann... ich mag ihm dann nicht wieder begegnen.

Dem Mädchen kostete dies entschiedene Wort so viel Kampf, daß Murray vor Bewegung, seinen von aller Welt gehaßten und verachteten Sohn doch irgendwo freundlicher gehegt zu sehen, aufwallte, ihre Hand ergriff und sie bat, doch morgen wieder zu kommen...

Würden Sie Bedenken tragen, auch mit Hackert zu sein? fragte er in der Meinung, daß diesem Mädchen vielleicht gelänge, aus seinem Herzen die Töne zu locken, die ihm seit dem Tage, wo Karl Eisold begraben wurde, in seinem Sohne zu selten wiederkehrten.

Louise besann sich... Plötzlich wie von einem Gedanken ergriffen, sagte sie:

Ich will ihn allein sehen. Morgen! Wollen Sie? Aber allein!

Murray erschreckend und doch überrascht von diesem Vertrauen auf seinen Sohn versprach, die nöthige Veranstaltung zu treffen... Sie trennten sich nach genommener Abrede und am Nachmittag des folgenden Tages saßen Hackert und Louise Eisold an der Stelle, wo früher jeden Abend eines ihrer Schwesterchen dem Urgroßvater den gelbweißen Zopf aufgelöst hatte... es war in diesem Zimmer stiller, als in dem nach der Galerie zu gelegenen. Kein Wandnachbar horchte, kein Gegenüber störte. Hackert, überrascht von Louisen's Frische und weltkundiger Gewandtheit, hatte ihre Hand in der seinen. Nicht etwa, daß er sich beherrschte. Sie hatte genug zu wehren, seinem Ungestüm auszuweichen und nur die Worte konnten ihn zähmen:

Sie wissen, ich bin Danebrand's Verlobte.

Danebrand! rief Hackert. Ich sah ihn ja gestern...

Wie? sagte Louise befangen und entfärbte sich. Sie irren sich wol! fügte sie hinzu und stand auf, um sich in der Küche etwas zu schaffen zu machen, denn um ganz die Erinnerung an die alte Zeit wachzurufen, hatte sie von Murray die Erlaubniß erbeten, einen so starken Kaffee zu sieden, wie ihn Hackert liebte...

Ich sah Danebrand, bestätigte Hackert, diese Zurüstung mit Behagen wahrnehmend, und wenn ich Schmelzing wäre, würd' ich ihn anzeigen...

Sie irren sich! rief Louise aus der Küche von der Stelle her, wo einst ihr Bruder Karl geschlafen hatte...

Doch! Doch! Die hohe Schulter wird ihn verrathen, wenn er außerhalb der Vorstadt sich sehen läßt. Die Willing'sche Fabrik wimmelt von Spionen. Er ist für immer ausgewiesen. Sie hüthen ihn wol im Pelikan? Was? Der Fuhrmann Peters hat ihn wol dort auf der Kegelbahn im Garten untergebracht, grade da, wo Dankmar Wildungen an den Johannisbeerhecken einst den Verlust seines Schreines erfuhr?

Warum nicht besser, entgegnete Louise mit Schärfe, am Heck der Fortuna, wo Danebrand einst mit der Schürstange lauerte? Peters' Frau, die die Fortuna des Herrn Hitzreuter regiert, würde ihn vielleicht nicht sobald erkennen wie Ihr Spione!

Hackert schwieg. Die Erinnerung schmerzte ihn, schmerzte ihn noch tiefer, als Louise, ihren Vortheil wahrnehmend, fortfuhr:

Ich glaube, in den Ställen Lasally's wär' er auch sicherer. Die Jockeys, die seinen Arm fühlten, würden ihn nicht verrathen, selbst Neumann und Jeannette nicht, die ja hoch auf bei den Bereitern leben sollen! Schämen Sie sich, Danebrand zu erkennen!

Wer verräth' ihn denn? brauste Hackert auf. Was will er hier? Ein Mensch, der seinen eignen Steckbrief auf den Schultern Jedem zu lesen gibt? Sie lieben die pittoresken Schweizergegenden, Louise! Dystra hat auch so etwas Hochland im Rücken. Was will denn Danebrand hier? Man versteht keinen Spaß mit den Leuten, die hier nicht sein sollen und wiederkommen, wenn auch blos aus Neugier. Sie haben etwas vor?

Wer?

Sie und Danebrand!

Die Polizeikünste verstehen Sie perfekt. Hackert, schämen Sie sich!

Ihr Kaffee bleibt der beste, Louise, den ich seit Schlurck's getrunken habe... Sie wissen doch von Schlurck's?

Ja, Hackert! sagte Louise, jetzt sanfter einlenkend. Melanie ist die Fürstin Hohenberg.

Das ist sie! erwiderte Hackert bitter und spöttisch.

Der Hof kommt diesen Sommer nach Buchau. Leicht möglich, daß wir dann auch den Besuch der schönen Durchlaucht haben... Thut sie Ihnen nicht leid?

Eine Fürstin mir leid? Mir? Ich grinse sie jedes Mal an, wenn ich sie sehe. Ha, ha! Muß sie nicht einen hinfälligen Mann unter'm Arm halten, wie wenn sie seine Krücke wäre? Ich sah sie neulich in eine Kirche gehen. Ich hätte fromm werden können um so viel jämmerliche Demuth – bei Melanie!

Ich wünschte ihr, Gott nähme ihr bald die Last ab, die sie trägt, sagte Louise. Oder nein, besser ist's, daß Alle sehen, wie elend dieser scheußlichste aller Verräther hinsiecht, dies tückische, herzlose Scheusal, dieser Egon von Hohenberg!

Oho!

Gibt es einen Elenderen als diesen Menschen, der aus der Lüge seiner Jugend sich zum Volke flüchtete, das Volk in seiner Liebe, Treue und Hochherzigkeit achten lernte und es dann verrieth, dieser Judas, der noch einst eine Armensünderreue empfinden und an einem Strick enden wird!

Oho! Oho!

Warum so viel Unglück des Landes? Diese Verfolgungen? Diese Einkerkerungen? Betrogen wurde das Volk, als es glaubte, sein Freund, sein Wohlthäter ergriffe das Ruder und kämpfte am Throne für die Arbeiter... ich kenne keine Strafe, die groß genug wäre für Den... ja, daß er diese Melanie zur Frau bekam, das ist Strafe genug!

Oho! Louise!

Der Fürst nahm auf, was Fritz Hackert wegwarf!

Der Teufel!

Hackert sprang auf, lief im Zimmer umher, nicht zornig, sondern gekitzelt, schadenfroh, lachend... die Hände in die Beinkleider steckend... er verbarg nicht, welche Lust ihn erfüllte.

Louise fuhr fort:

Welche jämmerliche kleine Rolle spielen Sie, Hackert! Sie, der Sie Alle am Bändel haben, quälen, vernichten könnten! Schleichen sich gebückt durch's Leben, krumm und feig, lachen, grinsen und begehen nur im Geheimen einmal einen schlechten Streich, wenn Sie vorher Einer mit Ruthen peitschte!

Hackert lachte fort und drohte nur:

Louise!

An Thieren rächten Sie sich, nie an Menschen!

Das lassen Sie nur! lenkte er jetzt ernster ein.

Ich begreife Sie nicht, Hackert! Wie ich von hier ging und in der Ferne von Ihnen hörte, daß man Sie verurtheilte, elend und schlecht nannte, vertheidigte ich Sie immer und sagte: Laßt diesen Hackert gehen, beurtheilt ihn nicht vor der Zeit! Die Äpfel wollen bis lange zur Reife, die Trauben hängen noch in den ersten Schnee hinein; aber wie verloren Sie sich, wie bin ich Lügen gestraft, wenn ich daran denke, was ich von Ihnen noch Alles verhieß und nun höre!

Einen Mord? Einen Diebstahl?

Das nicht, Das danken Sie Vater Murray, der einen Heiligen aus Ihnen machen will! Sie werden ein Heuchler werden! Besuchen Sie noch immer das Theater nicht?

Sie sprachen ja von der Kirche?

Nein, vom Theater! Nie haben Sie sich früher ein gutes Stück ansehen können, über Scherz nicht lachen, über Ernst nicht weinen können! Wer nicht gern in's Theater geht, ist kein guter Mensch.

Ah?

Denn warum? Weil Eure Art sich fürchtet, ihren Spiegel vorgehalten zu bekommen. Kein Tyrann, kein Mörder, kein Lügner geht in's Theater. Immer schrickt er zusammen, sein Bild zu sehen. Ich wünschte, Sie fingen Ihre Religion lieber mit dem Theater an, als mit den kleinen Gebetbüchelchen, die ich hier bei Murray liegen sehe...

Hackert lachte wieder laut auf. Es bedurfte wenig Worte, dies eigne Mädchen zu überzeugen, daß ihn die Religion mit Murray nicht verbände. Übrigens, setzte er schon etwas verdrießlicher hinzu, jeder Mensch hätte seine eigne Religion...

Es gibt keine andre Religion, wallte Louise auf, als die, die wahren Feinde Gottes zu hassen. Die Feinde Gottes sind die Tyrannen, die Blutsauger, die Rechtsbrecher! An welcher Leine lassen Sie sich gängeln, Hackert! Der alte Mann ist gut, ich weiß nicht, was er für Sie gethan hat und warum Sie ihn nicht fliehen, wie Sie alle Menschen geflohen sind, außer Melanie. Aber daß er Ihnen nicht einmal die Schaam über Ihr elendes Handwerk, das Pax Ihrer tollen Eitelkeit aufdrängte, nehmen kann, ist Das nicht das Ohnmächtigste von der Welt? Wozu denn Ihre Vollkommenheit für den Himmel? Taug' etwas für die Erde und du hast den Himmel gewiß!

Hackert schwieg eine Weile. Dann sie scharf fixirend sagte er:

Louise, ich habe für Ihre Lehre mehr gethan, als Sie wissen. Ich habe den Rittern vom Geiste gedient, wie die Mehlsäcke in der Teufelsmühle, die ich doch noch vom Puppenspiel her kenne.

Louise erröthete über die Erwähnung des Bundes.

Ich weiß, sagte sie, daß Sie nicht warm und nicht kalt sind. Aus Schadenfreude haben Sie Ihre eignen Herren betrogen, Katze und Hund zusammengehetzt und sie wieder auseinandergetrieben, wenn sie sich ohnehin aus Müdigkeit schon versöhnen wollten... O Hackert, daß ein Funke von Gesinnung in Ihnen wäre! Daß Sie in diesem elenden Hause des Schlurck je ein Wort des wahren Lebens mitten im Überfluß des Lebens in sich aufgenommen hätten! Denken Sie an Karl, wie er sein junges Leben dahin geben mußte für den grausamen Teufel und Götzen dieser gottverdammten Ordnung, die jetzt die tausend Menschenopfer jährlich fordert – denken Sie an Danebrand, der Ihnen selber half, ob er Sie schon hassen sollte... was sag' ich! unterbrach sie sich... hassen!

Louise! Sie schmeicheln mir! lenkte Hackert frivol ein. Geben Sie mir die Hand! Noch mehr –

Fort! Fort von mir! rief Louise. Es ist kein reiner Tropfen Bluts in Ihren Adern! Sie sind nicht krank, Sie sind vergiftet in Ihrem innersten Leben! Ja, Sie thun das Unglaublichste, wenn Ihr Auge geschlossen ist, Sie sind ein von Gott erwählter Mensch, wenn Sie schlummern und Sie ausführen, was allen Lebenden versagt bleiben soll. Aber Siegbert Wildungen hat Recht, wenn er das Wort seines großen herrlichen Bruders wiederholt: Sie sind grade die schlechte, bewußtlose, in Sinnentaumel hindämmernde Masse, das Mittelvolk in der Erbärmlichkeit, die zu allen Jahrhunderten den Aufschwung wahrer Größe hinderte, das Edelste verkümmert, es beschnitten hat und das Beste nur, sogleich in seiner wahren Bedeutung verringert, in's Leben treten ließ... o wie elend, Hackert, als Sie die Hand der liebsten und treuesten Menschen der Erde von sich stießen und sich aus dem Sumpfe Ihrer Sinne nicht zu den Regionen des Lichts erheben konnten. An Jedem zu mäkeln, an Jedem Etwas zu finden, Nichts anerkennen, kein größeres Verdienst, keinen edleren Willen, kein froher Geschick, schadenfroh lachend, wenn ein kühner Fußtritt ausgleitet oder eine edle Begeisterung ihr Ziel verfehlt! Sie, Hackert? Wissen Sie, was Sie tragen sollten? Den vornehmsten, anständigsten Rock vom feinsten Tuch, Glaçeehandschuhe auf den Fingern, ein tänzelndes Stöckchen in der Hand. Dann wären Sie so der rechte Mittelschlag dieser erbärmlichen Welt, der uns Alle regiert, dem jeder schlimme Ausgang zu Gute kommt, der immer Recht behält, wenn ein Genie unterliegt. Ich dachte anders von Ihnen. Jener Abend hier nebenan, Hackert! Es war Ihre Sterbestunde, Ihr Untergang vor dem Richterstuhl Gottes, Ihr ewiges Todesurtheil! Sie können nie mehr zum Lichte kommen.

Hackert schwieg und schien nun ernst... Louise Eisold hatte aus dem Geiste jener Religion gesprochen, für die Dankmar Wildungen ein noch höheres Symbol und Band suchte, als sich bei den freien Gemeinden und ähnlichen Versuchen einer modernen Religionsläuterung bisher hatte zeigen wollen. Sie sank erschöpft von einem Aufwande von Beredsamkeit, zu dem sie den ganzen Sprachschatz ihrer rastlos fortgesetzten Lektüre verwandt hatte, auf einen Sessel und stützte das glühende Haupt auf den Tisch, wo sonst des »alten Mannes« Uhren schlugen...

Es war auch fast, als schlug eine Uhr... die Erinnerung weckte Beiden die Vorstellung, als wär' es hier noch so wie einst...

Und was soll ich denn nun? sagte Hackert ruhiger und mit gedämpfter Stimme. Geben Sie mir einmal eine Aufgabe! Ich will sehen, ob ich sie ausführen kann!

Louise schwieg.

Es führt Sie doch irgend eine Absicht her... ich weiß es ja, das Alles sollte nur eine Vorrede sein, Kapitel Eins, nicht wahr?

Louise antwortete nicht. Sie war zu erschöpft von ihrer Aufregung und hätte eigentlich sagen mögen: Schon wieder legst du mir eine Absicht unter? Und grade weil du's thust, möcht' ich schweigen. Aber dennoch drückte sie eine Absicht.

Danebrand ist nicht umsonst hier... fuhr Hackert fort.

Sie sind ein Spion! war Louisens kurze und abweisende Antwort.

Sagen Sie das dumme Wort doch nicht! fuhr Hackert auf. Ich kenne mein Leben, ich weiß, was ich zu verantworten habe.

Sie? Verantworten? lachte Louise bitter und blickte voll Hoheit zu dem gereizten jungen Manne hinüber.

Ich bin Spion aus demselben Grunde, warum der Fürst Hohenberg Ihnen ein Tyrann ist. Wir, ich und Der, sind die beiden einzigen vernünftigen Menschen der Erde. Alle andern sind Narren, die eigentlichen Verbrecher, eigentlichen Verrückten, Sie ausgenommen, Louise, die Sie immer im Sommer Noth haben, zu vergessen, was Sie im Winter für Unsinn aus der Leihbibliothek gelesen haben. Egon tritt die Volksbestie nieder, die sich Engel dünkt, weil sie nicht auf vier Füßen kriecht. Ich lache dazu. Wir kennen uns Beide nicht, aber wir stehen in geheimer Verwandtschaft. Ha! ha! Melanie wird ihm wol gesagt haben, warum ich sein Schwager bin...

Bei diesen boshaften Worten sprang Louise auf, riß ihren Hut an sich, drückte ein Tuch, das sie in ihrer Aufregung fortwährend auf dem Tische zerknittert hatte, an die Stirn, lief zur Thür, öffnete, stürmte durch die Küche und war schon auf der Galerie, um die Gemeinschaft mit einem so grundverdorbenen Manne für immer zu verlassen. Da aber fühlte sie sich plötzlich von Hackert ergriffen, fühlte sich mit furchtbarer Muskelkraft von ihm zurückgehalten, zurückgeführt in die Küche, in das Zimmer und vernahm entsetzt die Worte von ihm:

Sie sind hier, um mit Danebrand Dankmar Wildungen zu befreien!

Starr mit weißem Auge blickte Louise den Spion wie einen Allwissenden an...

Sie kommen im Auftrage nicht des Geheimbundes, denn er wird sich nicht an Frauen wenden, und was Jagellona von Werdeck that, kam von ihr; aber Sie kommen im Einverständniß mit den Mädchen auf Tempelheide... Franziska Heunisch machte die Vermittlerin zwischen Ihnen und Selma Rodewald...

Louise blieb in ihrem festen sichern Blick, aber doch zitternd...

Dankmar wird Sie auslachen! krächzte Hackert. Hören Sie, er wird von Weibern keine Thür geöffnet haben wollen! Was kann hier eine zerfeilte Eisenstange nützen? Was ein erbrochner Riegel, wenn er zu erbrechen wäre! Das Palladium ist nicht der Apostel, sondern seine Wunderbüchse. Sprengt die Kasse, wo die Truhe mit den Papieren steht! Stehlt die Million! Das ist der Mantel, in den sich ein Freund Fortunatus hüllen muß! Sein Seckel! Sein Seckel! Mit dem davon! Der Kerl allein verlohnt sich der Mühe nicht.

Das Mädchen verstand nicht, wie sie diese an sich wahren und durch ihr mächtiges Gewicht erdrückenden Worte deuten sollte... aber was sollte sie sagen, als Hackert ruhig eine Cigarre zog, ein Streichfeuerzeug aus der Tasche nahm, die Cigarre sich anzündete und sagte:

Die Million! Allenfalls auch Dankmar! Wir brauchen keine Feilen. Ich weiß, bei Wem die Schlüssel hängen und wünsche nur, daß in der Nacht, wo wir's machen wollen, nicht die Katzen zu verliebt schreien.

Hackert! rief Louise außer sich vor Erstaunen.

Nun ja, sagte Hackert, so wird's doch endlich recht sein! Soll mir der große bucklige Kerl immer zuvor trotten? Danebrand stiehlt Dankmar'n, ich stehle die Million und Louise gibt mir den ersten ordentlichen Kuß, bei dem ich die Uhr ziehe und zählen darf: Fünf Minuten! Was?

Louise hatte sich schon aus freiem Triebe an Hackert's Brust werfen wollen, aber das Wort: Ich stehle die Million! erinnerte wie mit einem Schlage an die Erscheinung, wie wenn an einer Stelle im Gebirge, wo von den Felsen nur gering das Wasser tröpfelt, eine plötzlich gehobene, unsichtbare Schleuse einen Wasserstrom in majestätischem Sturze niederdonnern läßt, nur umgekehrt! Hier staute plötzlich der volle Strom und wie im Nu waren die brausenden Gewässer zum unheimlichen Schweigen gebracht. Oder wie im Dunkeln an der Wand Nachts ein suchender und unverhofft anprallender Schädel, so stand Louise getroffen. Sie wußte nicht, was sie gehört hatte. Sie kannte die Wichtigkeit jener Erbschaft. Sie wußte, daß sie den Brüdern vorenthalten wurde. Sie begriff, daß Hackert in der Lage war, die einzige hier mögliche Hülfe zu bieten und daß Dankmar's Flucht ohne jenes Geld jetzt von geringer Bedeutung scheinen durfte. Aber das Wort: Die Million stehl' ich! verglichen mit Dem, der es sprach, mit der Art, wie es Hackert sprach, war wie der Einschlag eines Blitzes. Der Gedanke, daß seine Theilnahme eine Maske, seine wahre Absicht ein Verbrechen war, das seiner Absicht nach dann auf sie, auf Danebrand fallen sollte, lähmte ihr die Zunge. Ein Blick, wie die funkelnde Spitze eines Speers fiel aus ihrem Auge auf Hackert. Sie durchbohrte ihn.

Der Spion erschrak, stutzte, besann sich und verstand erst allmälig diesen Blick. Jetzt schlug er die Augen nieder. Er dachte an jene Sonntagsfrühe bei Schlurck. Er sah, daß man sein Wort misverstanden, sein Anerbieten verdächtig gefunden, und so überwältigend wirkte auf ihn die Vorstellung dieses ewigen Mistrauens in seine Ehrlichkeit, daß er mit dem Ausrufe: Nun soll mich Gott verdammen! die glühende Cigarre von sich warf, das Feuerzeug hinschleuderte, den schon ergriffenen Hut mit Füßen trat und mit einer Blässe, die ihn von der Weiße der Wand kaum unterscheiden ließ, in dem nächsten Sessel niedersank.

Louise sah diesen Schmerz, diesen Krampf, verstand ihn und rief:

Hackert, nein! Ich glaube ja!

Er hörte nicht. Sie trat zu ihm heran, ergriff zitternd seine kalte Hand, sprach ihm die mildesten, sanftesten Worte der Tröstung und gab ihm damit einen so wehmüthigen Schauer seiner Empfindungen, wie ihn seit dem Tage nicht überrieselt hatte, als man den Bruder dieses edlen Mädchens in den winterlichen Schooß der Erde senkte... Die Thür ging auf... Friedrich Zeck, sein Vater, trat ein, betrachtete die Scene, staunte, forschte und fragte:

Ihr scheint über Etwas einig zu sein?

Wir sind es, Papa Murray! sagte Louise, nahm ihren Hut, nannte noch einmal den Pelikan als ihre Adresse und ließ Vater und Sohn in einer räthselhaften Spannung zurück, die um so heilsamer auf Letztern wirkte, je weniger er angegangen wurde, sich auszusprechen und durch Worte zu erklären, was als eine fast bewußtlose Stimmung, als ein Unausgesprochenes und wie durch Offenbarung Gekommenes nun in ihm bebte. Es gibt eine gehobene Stimmung im Menschen, schon die ihm sein kann, wie der Tod.

Willst du sie heirathen, Junge? sagte der Vater scherzend, so denk' ich, werd' ich dich anständig aussteuern können!

Hackert blickte über diese Vermuthung zur Erde und sagte nur, sie wären noch nicht – aufgeboten, – was freilich auch bei den Spähern in diesem Hause nicht nöthig wäre. Er wollte gleich einmal hören, was Frau Mullrich unten aus dieser Kaffeevisite für Geschichten prophezeie!

Damit ging er und ließ den Vater in Zweifeln, Befürchtungen und Hoffnungen zurück, die er sich aus dem Benehmen seines Sohnes und Louisen's schneller Entfernung nicht enträthseln konnte.


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