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Zweites Capitel.

Die Natur und das Wunder.

Anna von Harder empfing ihren Besuch im Musiksaale, einem geräumigen Eckzimmer, das trotz seiner vier Fenster etwas Düstres hatte, denn das Glas der Scheiben war nicht das weißeste, die Fensterrahmen, wie am ganzen Landhause, waren grün angestrichen.

Dystra und Drommeldey hatten sich erst auf der Chaussée getroffen. Seit Drommeldey die Vermuthung des Barons, man könnte mit Olga vielleicht eine magnetische Kur beginnen, entschieden abgelehnt hatte, war zwischen ihnen die Erörterung ihres offenbar krankhaften Zustandes nicht mehr zur Sprache gekommen...

Dystra, der Anna einen großen Strauß der ausgezeichnetsten Blumen überreichte – die Gärtnerei wurde in Tempelheide vernachlässigt – erklärte sogleich, er wisse, daß Drommeldey irgend etwas Geheimnißvolles mit der Frau Landräthin von Harder zu verhandeln hätte. Er wäre heute gekommen, um auf längere Zeit sich zu einem Ausfluge nach dem Tempelstein, zu einem Besuche der Fürstin in Brüssel zu empfehlen. Wo Olga wäre? Er müsse sie doch wenigstens zum Abschied sehen.

Und Drommeldey bestätigte zum Schrecken Anna's, die etwas Unglückliches erwartete und auch von Abschieden immer sehr bewegt war, wie vielmehr an diesem Tage, den sie so hoch erhob, eine geheime Absicht. Sie wußte kaum, was sie erwiderte, als sie sagte, Herr von Dystra würde Olga unterm Pavillon finden...

Der Baron, im schwarzem Schnurrock, weißem Kastor, die citronengelb gantirten Hände in die mächtige Brust steckend, wandte sich dem Pavillon zu, um einen Versuch zu machen, mehr als jenes halbdutzend Worte von Olga herauszubekommen, das er bis jetzt erst aus ihrem Munde gehört hatte. Während wir ihn seinem guten Glück überlassen, sah sich Drommeldey, als er allein mit Anna von Harder war, lächelnd in dem Zimmer um, betrachtete mit satyrischem Wohlgefallen die aufgeschlagenen Notenblätter und sagte mit einer fast verschmitzten Vertraulichkeit:

Gnädige Frau, nicht wahr, Sie haben heute Akademie?

Pergolese, Bach und ein Hallelujah von Händel.

Sehr gut! Rüsten Sie sich auf Besuch!

Besuch? Wir schließen jeden Besuch aus, Sanitätsrath! Es sind unsre Statuten –

Es gibt Personen, die über Ihre Statuten erhaben sind!

Sanitätsrath!

Liebe Landräthin, ich kann Ihnen nicht verschweigen – um drei Uhr beginnt Ihre Akademie – gegen halb vier Uhr werden gewisse Herrschaften vorüberfahren – man wird die Klänge von Pergolese, Bach und Händel hören – diese Herrschaften werden aussteigen – rüsten Sie sich, von Ihren Statuten eine Ausnahme zu machen!

Anna von Harder war fast auf einen Sessel zurückgesunken. Ihren gereizten Nerven bot diese Nachricht zuviel. Was jede Andre mit Jubel, mit freudestrahlendem Enthusiasmus aufgenommen hätte, warf sie nieder; sie konnte nur vorwurfsvoll, fast bittend zu dem Arzte, dem Seelen-Diplomaten des Hofes, emporblicken, als wollte sie sagen: Drommeldey, wie konnten Sie mir Das thun!

Sie sind selbst Schuld an diesem Überfall, sagte das kleine magere Männchen, rückte an seiner weißen Halsbinde und wischte sich von dem Jabot einige Reste der letzten Prise, die er unterwegs Jemandem, vielleicht Schlurck, abgenommen – Drommeldey trug selbst keine Dose, weil er Fälle hatte, daß ihm nervenschwache Damen bei seiner ihn nun genug folternden Liebe zum Schnupfen die Praxis gekündigt hatten – Sie sind selbst Schuld daran, liebe Frau Landräthin! Sie wissen, wie Sie der Hof verehrt! Sie wissen, wie oft man es Ihnen nahe gelegt hat, Sie sollten der Königin die Freude einer näheren Beziehung gönnen! Sie glauben nicht, wie sehr man in dieser Sphäre nach Gründen sucht, warum sich der Mensch täglich zwei, drei Stunden der Nothwendigkeit, über Toilette sprechen, Kleider an- und auszuziehen, Proben mit neuen Mustern machen zu müssen, auszusetzen hat! Alle Tage drei Mal umkleiden, das erfordert ein bedeutendes geistiges Gegengewicht! Seit Frau von Altenwyl am Hofe im vorigen Jahre von der Mauerschwalbe, von Shakespeare, von Ihrem Tempelheide, der Thierseele, Pergolese, Bach und Händel erzählte, wuchs die Sehnsucht, Sie kennen zu lernen, bis zur Ungeduld. Der schlimme Winter, die politische Gährung dieses Frühjahrs, die mancherlei herbe bittre Erfahrung auf und an dem Throne trotz seiner erhöhten Sicherheit kam störend dazwischen. Nun aber ist der Wunsch dieser respektablen Menschen auf's Neue rege geworden. Entziehen Sie sich ihm nicht...

Was kann ich... was soll diese schwache Musik... und der alte Herr... unsre stillen Gewohnheiten... diese Unordnung...

Lassen Sie das Alles gut sein, meine Beste! sagte Drommeldey. Ich kann Ihnen, ohne Sie erröthen zu machen, den Reiz nicht analysiren, den Sie auf die Herrschaften ausüben! Es liegt Das sehr tief und geht bis in die magnetischen Strömungen. Wenn ich bei meinem alten Freunde, dem Justizrath Schlurck wäre und er nicht seit dem glänzenden Avancement seiner schönen Tochter einen Hang zur Schwermuth bekommen hätte, so würden wir über diese magnetischen Strömungen, ihren Zusammenhang mit dem Zeitgeiste, über Hofromantik und die christliche Staatstheorie sehr viel humoristische Knallbonbons wie beim Dessert eines guten Diners gegenseitig aufziehen. Allein Ihnen selbst gegenüber, die Sie diesen Zauber ausüben, Ihnen kann ich nur als Arzt sagen, daß Sie mir einen Gefallen thun, wenn Sie geduldig abwarten, was dieser Nachmittag über Sie verhängen wird –

Das war das rechte Wort! sagte Anna von Harder und seufzte tief auf und sprach die Worte aus der Bibel, die Johannes der Täufer zu den Neugierigen sagte: Was seid ihr in die Wüste gekommen, um einen Mann zu sehen, der von Heuschrecken lebt? Ich bin nicht werth, Denen, die wirkliche Anerkennung verdienen, die Schuhriemen aufzulösen.

Drommeldey, der die Bibel kannte, wie Voltaire und Kaunitz, aber nur um sie zu komischen Bildern zu benutzen, Drommeldey lächelte und warf eine Bemerkung dazwischen, die Anna nicht einmal verstand:

Brav! Bleiben Sie bei Johannes dem Täufer! Wäre nur der Papa Methusalem zu bewegen, auch Stand zu halten. Der König hat die Absicht, ihn nach dem Prozeß über die Johannitererbschaft zu fragen, die jetzt auf seiner Entscheidung beruht! General Voland ist voll von den neuen Gesichtspunkten, die der alte Herr für diese Angelegenheit gefunden haben soll und studirt alle alten Turnierbücher, um sich zu überzeugen, was propinqui equites sind und hat wie gewöhnlich fünf bis sechs Standpunkte darüber, die er bei Hofe sonderbarerweise alle zugleich vertritt.

Auch Das noch! sagte Anna tonlos und fügte hinzu, daß den Präsidenten Erörterungen über Gerechtigkeitsfragen, selbst dem Landesherrn gegenüber, verstimmen würden...

Nur Muth! Nur Muth! rief Drommeldey und reichte Anna die Hand. Nur unbefangen! Die Mitglieder der Akademie dürfen kein Wort von der Überraschung wissen! Verstehen Sie? Befangenheit würde den ganzen Eindruck stören –

Aber warum unterrichten Sie mich zuerst selbst, lieber Mann?

Das will ich Ihnen sagen, Frau von Harder. Ihr Tempelheide kommt den Menschen wie ein verzaubertes Schloß vor. Der Hof möchte es gern auch nur als verzaubertes Schloß auffassen und gefällt sich darin, drei Tage lang von Nichts als von einem verzauberten Schloß zu sprechen...

Sie sind schlimmer als die Demokraten, Sanitätsrath!

Beste! Ich gehöre nur einer andern Philosophie an als der des Hofes! Ich bin kein Pythagoräer wie Ihr alter Schwiegerpapa, ich bin kein absoluter Epikuräer wie Schlurck, kein relativer wie Otto von Dystra, kein Neuplatoniker wie Voland von der Hahnenfeder, kein dialektischer Eleat wie Rochus oder Stromer, ich bin meiner Stellung gemäß Eklektiker. Dieser Besuch bei Ihnen thut den mannichfach verstimmten, an wahrer Befruchtung armen Gemüthern dieser hohen Personen wohl. Doch, fürcht' ich, denkt man sich Ihre Existenz romantischer und fabelhafter, als sie ist. Als Katharina von Rußland nach der Krim reiste, ließ ihr Potemkin gemalte Städte in die Ferne als Vexierprospekte russischer Volkswohlfahrt stellen. Belügen wollen wir die Herrschaften weder mit der Musik noch mit den gezähmten Thieren, aber nothwendig wird es sein, daß Ihr hiesiges Gewimmel und Gekrabbel, das Gebelfer und Gezwitscher nicht gefährlich erscheint. Den Tanzmeister mein' ich, die drolligen Puterhähne, die Windspiele Biche und Alkmene – Sie wissen nicht, wie unbeliebt ohnehin alle Erinnerungen an Friedrich den Großen sind – auch die gebesserten Raben müssen in Obhut bleiben und besonders hoff' ich, daß die Schildkröte, obgleich sie dem Apollo heilig ist und die erste Veranlassung der Musik wurde, ja sogar von Phidias für seine berühmte Statue der Aphrodite als Piedestal benutzt wurde – worin mein Freund Schlurck einen gewissen Zusammenhang zwischen Venus und den Mokturtelsuppen entdecken würde – ich sage, daß Sie diese schreckliche Bestie gleichfalls nicht als Wirklichkeit in den schönen Traum, der hier geträumt werden soll, hineinkriechen lassen.

Anna von Harder war nicht so reflektiv und politisch gestimmt, daß sie etwa hier eingeschaltet hätte: Also so würden die Großen bedient, so würden ihnen die romantischen Täuschungen erleichtert, so würde in den Waisenhäusern die Suppe erst kräftiger gekocht, wenn sie eine Prinzessin kosten sollte... Sie erinnerte nur an die Statuten, die schon die Sicherheit aller Sänger und Sängerinnen vor den Liebhabereien des Großpapas bedingten; genug, Drommeldey konnte schließen:

Also sammeln Sie sich! Es bleibt dabei! Gegen vier Uhr kommen die Herrschaften und verrathen Sie uns Niemanden!

Damit erhob sich Drommeldey, fragte noch flüchtig nach Olga, wollte keine Begleitung dulden und eilte aus dem Musikzimmer, verfolgt von dem bittenden, vorwurfsvollen Blick der in Erschöpfung niedergesunkenen, von solcher Aussicht auf ihr so nahe bevorstehendes »Glück« fast vernichteten Anna...

Draußen aber hielt Dystra den schnell dahineilenden Eklektiker mit einer Entschiedenheit auf, die ihn verhinderte, nur an eine kleine Plauderei zu denken... Was? Eine Konsultation? sagte der Arzt.

Dystra zog Drommeldey vom Hofe über die Rasenbeete zu dem Pavillon hinauf... Spartakus und Cicero, seine Mohren, unterhielten sich inzwischen mit dem zahmen Reh, lachten über den Kranich und erkundigten sich in der Küche nach etwaigen Rum- und Arracvorräthen.

Wie mich meine Verlobte an dieser Stelle sah, berichtete Dystra, ergriff sie die Flucht. Zwar würdevoll, majestätisch, aber so entschieden negativ, daß ich die Lächerlichkeit scheute, sie zu verfolgen. Sie huschte unter die Tannen, wie die Pfauen da, die ein häßliches Geschrei verführen...

Sie werden magerer, Baron! Diese Liebe ruinirt Sie...

Ich kenne jetzt, antwortete Dystra, Drommeldey auf einen Gartenstuhl drückend, ich kenne jetzt die Geschichte der Rückreise Olga's von Rom und muß sie Ihnen andeuten, damit Sie eine Ansicht aussprechen.

Wohlan! sagte nach der Uhr sehend, der ärztliche Rathgeber, der in der Kenntniß der geheimen Verwickelungen des Lebens von keinem Beichtvater der Welt übertroffen wurde. Aber schade, daß Sie nicht schnupfen, Baron!

Und in der That sprach Drommeldey, der mit allen Geruchsnerven seiner gehobenen Nase Schnupfer war, den alten Bedienten des Hauses, der um die Erlaubniß bat, Wein oder Wasser auftragen zu dürfen, nur um seine Dose an und regalirte sich im Vorrath mit einer solchen Befriedigung an diesem pikanten Blätterdünger, wie sie seine ganze Natur, auch seine geistige, zu bedürfen schien.

Dystra erzählte nun, daß er von Rudhard aus Brüssel einen Brief erhalten hätte, der ihm den Schlüssel dieses sonderbaren Benehmens der aus Italien heimkehrenden Olga gegeben. Die Familie, der man Olga in Rom anvertraut, hätte aus mannichfachen Elementen bestanden. Statt Schutzes hätte sie von Seiten einiger jüngerer Mitglieder jene quälende Huldigung erfahren, die zuletzt ein Mädchen, das auf die begehrte Hinneigung nicht einginge, wahrhaft erschöpfen und in einem Grade abspannen könne, daß sie einen Ekel und Überdruß an sich selbst empfände. In Venedig hätte Olga die unausgesetzten Galanterien zweier jungen Söhne der Herrschaft, mit der sie reiste, nicht mehr ertragen mögen und das Leiden eines selbständig in der Welt auftretenden weiblichen Wesens, da ihr die Waffen des Humors fehlten, so lästig gefunden, daß sie mit Freuden auf den Vorschlag eines älteren Mannes eingegangen wäre, sie bis Wien in seinen Schutz zu nehmen. Ohne Abschied von der Familie zu nehmen, rücksichtslos, frank und frei, ganz in Olga's Art, die das Tragische hätte, daß sie aus dem empfindlichsten Zartgefühl für Tugend leichtsinnig erschiene, wäre sie von jenen Menschen geschieden und hätte den Vorschlag eines älteren Mannes, sie nach Wien zu führen, angenommen. Sie kannte diesen Mann als zuverlässig von Rom aus: es war ein Jesuit, der Professor Sylvester Rafflard...

Himmel! unterbrach Drommeldey erschreckend...

Kennen Sie ihn?

Erzählen Sie! Das Mädchen ist die neue Clarisse Harlowe...

Dystra fuhr fort, nach Rudhard's Mittheilungen zu berichten, daß Olga diesen Mann nur von Rom und dem Hause der Gräfin d'Azimont gekannt hätte. Sie hätte mit Freuden von ihm vernommen, wie er immer gegen den Fürsten Egon gesprochen, wie er der damals noch von ihr verehrten Helene die Charakterlosigkeit dieses Treulosen unbarmherzig vorgehalten, bis Helene selbst »charakterlos« geworden. Damals schon hätte sie zu jenem gefälligen Hausfreund ihre Zuflucht nehmen, seinen Rath begehren wollen. Nun fand sie ihn in Venedig auf dem Balkon eines Hotels, wo sie schwermüthig in den großen Kanal blickte und ihn für einen Retter vor den Unarten zweier jungen modern erzogenen Söhne der schwachen Dame, mit der sie reiste, ansah...

Sie kam aus dem Regen in die Traufe! unterbrach Drommeldey mit prosaischer Wahrheit einen Zustand, der in der auf den gefährlichsten Bahnen wandelnden Olga tragisch genug zum Bewußtsein gekommen schien. Dieser gefährliche Mensch! Ich lernte ihn bei Helene d'Azimont kennen und wurde so mit der Beschleunigung des Wiedersehens zwischen ihr und dem damals fieberkranken Prinzen Hohenberg gedrängt, daß ich, um diese Krisis minder gefährlich zu machen, zur List und Verschlagenheit greifen mußte. Noch ist mir ein Räthsel, welche Rolle jener Faun in diesem Verhältnisse spielen wollte.

Und diesen Mann, sagte Dystra, hab' ich von bedeutenden Notabilitäten der Residenz rühmen hören, habe Rochus vom Westen entrüstet gesehen, als es hieß: Ein Jesuit ist ausgewiesen. Auf dem Wege nach Wien, wohin ihn wol geheime Aufträge führten, muß er seiner ganzen Natur die Zügel haben schießen lassen. Das arglose Mädchen wollte sich von den Nadelstichen kindischer Huldigungen befreien und verfiel in eine Gefahr, die Sie ermessen können, wenn Sie Rudhard's Geständniß hören, das ungefähr in der Thatsache besteht: Er kam nach Wien, fand Olga nicht in dem Gasthofe, wo die aus Rom rückkehrende Familie hatte absteigen wollen. Diese Familie traf endlich ein. Olga blieb aus. Wie bebte sein Herz, als er den Namen Rafflard nennen hörte! Der alte Pädagog, ewig geneckt von den Extremen der Zeit! Sein Zögling in solcher Gefahr! Die Taube in den Krallen des Geyers! Was sollte er thun? Bleiben, reisen? Er suchte den Beistand der Regierung. Er bot Alles auf, zu einer genauen Kenntniß der Route zu kommen, die Sylvester Rafflard mit Olga genommen hatte. Oft wär's ihm, dem besonnenen, kalten Manne gewesen, als hätt' er mit der Stirn gegen die Wand rennen müssen! Endlich hätte er erfahren, daß ein älterer Herr mit einem jungen Mädchen von Triest über Udine nach Steiermark gereist wäre. Aus spätern fragmentarischen Berichten ergab sich, daß Rafflard die katholische Schwärmerei Olga's zu irgend einem Lebensplane nutzte, ihr eine Rundreise durch Klöster und Abteien als eine romantische Verschönerung ihres nächsten Reisezweckes vorhielt und gradezu auf eine Eroberung nicht nur für die Kirche, sondern vielleicht gar für die Heiligengeschichte zusteuerte.

Drommeldey blickte fragend auf...

In der That, Doktor! sagte Dystra. Es ist schaudervoll, wie weit die mittelalterlichen Rückfälle gehen. Man wird mit ihnen grade wieder bei Thümmel's Reisen ankommen. Rafflard hatte in Rom die Leidenschaft Olga's für die katholische Kirche bemerkt. Der Kriticismus ihres Erziehers hatte ihr keine Waffen in die Hand gegeben gegen den verführerischen Reiz der Musik und des entzündeten Weihrauchs. Da findet er in Venedig dies Kind wieder, das sich ihm mit seinem ganzen schwärmerischen Unbedacht in die Hände liefert. Weit entfernt, sich ihr durch seine schlimme Natur verdächtig zu machen, legt es Rafflard darauf an, Olga's Überspannung bis zum Visionären zu steigern und sich in der hierarchischen Sphäre, wie man das jetzt sehr gut durch Extreme kann, einen Namen zu machen. Er spricht bei Geistlichen mit ihr vor, die die Sehnsucht des Mädchens nach diesem Extremen steigern. Hier und da eine aus den höheren Ständen in den geistlichen getretene Nonne muß Olga in dem Vertrauen auf innere Offenbarungen stärken. Sie wissen, daß jetzt überall Wunder der katholischen Kirche wieder auftauchen! Bilder schwitzen Blut, an visionären Mädchen auf dem Lande zeigen sich die Leidensmale Christi, es ist, als schwankten wieder alle festen Normen und Naturgesetze, als ergriffe die Menschen in gewissen Gegenden der St.-Veitstanz der Ideen, die Alles im Wirbel mit ihnen umdrehen. Dieser Rafflard soll alle Stadien eines pädagogischen Abenteurers durchgemacht haben und als wahrer Seelenverwüster nun damit enden wollen, Heilige zu schaffen. Er fand in jenen mit Geistlichkeit jedes Ordens gesegneten, zur Donau auslaufenden Bergthälern Hülfe genug, Olga zu fesseln, bei ihrem aus Liebesgründen nicht gesteigerten Verlangen nach der Rückkehr zu den Ihrigen sie planlos umherzuführen, bis sie in einen Zustand kommen mußte, den ich mit jener Zähmung der Schlangen in den Kästen der indianischen Zauberer vergleichen möchte, mit jener Erstarrung durch umhüllende Decken, die eine Lethargie, eine Geistesohnmacht, eine Willenlosigkeit zurücklassen, an welcher man erlebt hat, daß Frauen für heilig galten, sie wußten nicht wie und daß sie sich inspirirt glaubten, sie wußten nicht von Wem, wol aber an sich selber glaubten, an ihre eigne Geistesverwirrung wie an ein Evangelium, das Unsichtbare ihnen zuriefen, ja daß sie stigmatisirt waren, ohne es zu wissen...

Drommeldey sprang auf. Er hatte erst gelächelt, erst wirklich an Thümmel's Reisen, die er und Schlurck ausnehmend liebten, gedacht. Nun aber überwältigte ihn der Zorn. Er erging sich in Verwünschungen eines wahnsinnigen Zeitalters – und hatte doch eben selbst diesem wahnsinnigen Zeitalter sich zum Opfer dargebracht, seine Logik, seinen klaren Verstand, seinen Voltaire dem Mittelalter und einer am Throne doppelt gefährlichen Romantik preisgegeben!

In Linz, fuhr Dystra fort, entdeckte endlich Rudhard die Flüchtlinge. Die Jesuiten, die oben auf der schönsten Aussicht über die Donau und die Steiermärker Berge wohnen, mögen Rafflard angezogen haben. In der Wohnung einer besonders bigotten vornehmen Sternkreuzordens-Dame war Olga wie eingebürgert und wurde von dieser und einem Dutzend hoher Geistlicher gleich einer Heiligen behandelt. Ich zweifle gar nicht, daß es darauf abgesehen war, das Kind in einen magnetischen Zustand zu versetzen. Rudhard fand sie, wie sie schlummernd auf einem Ruhebett lag, die Brust mit einem Kreuze bedeckt...

Das Kreuz war ein Magnet!

Das vermuthet Rudhard selbst und beklagt sich, desselben sich nicht bemächtigt zu haben. Er wäre im Hotel abgestiegen, schreibt er mir, hätte sich bald von Olga's Anwesenheit unterrichtet, wäre ohne lange zu forschen, ohne sich um die hohen Titel jener bigotten Frau zu kümmern, in die Zimmer eingetreten, hätte in stürmischer Hast nach Olga verlangt, sie im Nebenzimmer entdeckt, aus einem Schlafe wachgerufen, der sie, selbst als sie die Augen aufschlug, noch nicht zu verlassen schien. Sie wäre ihm gefolgt, hätte seine Ansprüche auf sie ruhig anerkannt, hätte mit sich geschehen lassen, was geschah. Rafflard wagte sich, als er Rudhard's Namen hörte, oben von den Jesuiten nicht wieder in die Stadt hinunter. Auch hätte Olga nicht nach ihm verlangt. Mit einer an Starrsucht grenzenden Ergebung wäre sie Rudhard gefolgt und mit ihm über Prag und Dresden hierher zurückgekehrt, wo er neue Verwirrungen, neue Pflichten genug gefunden hätte und dem Ewigen danken wolle, wenn es Anna von Harder gelänge, in die phantastische Nacht, die um Olga zu schlummern scheine, einen Lichtstrahl der Erleuchtung und wiederkehrenden freien heitren Selbstbestimmung innerhalb der sittlichen Schranken zu wecken. Ihnen, Sanitätsrath, schloß Dystra, konnte ich, da ärztliche Anknüpfungspunkte hier nun endlich gegeben sind, diese Geschichte nicht verschweigen, bitte Sie aber, Drommeldey, bewahren Sie den Vorfall wie ein Geheimniß, das die Ehre einer ganzen Familie betrifft.

Drommeldey, düster blickend, ernst gestimmt, dankte für das ihm geschenkte Vertrauen und versprach über den empörenden Vorfall nachzudenken. Er zweifle gar nicht daran, daß man, wie man hier in Tempelheide die Thierwelt dem Menschen näher brächte, so es in Klöstern und bigotten Konventikeln jetzt mehr wieder denn je verstände, den Menschen aus dem Bewußtsein seines klaren Ichs, seines unsterblichen Cogito ergo sum, hinunter zu drücken zu einer rein animalischen Vegetation, wo nur die Schauer des Erdenlebens durch die Seele spukten und statt Offenbarung eines höhern Lebens, die man von der gestörten Ordnung der Sinne erwarte, nur die Verdunkelung unsrer Sehnsucht und Hallucinationen abgestumpfter Sinne empfinge. Ja, fuhr er, begeistert sich erhebend, fort, ja, mein guter Baron, wenn hier etwas helfen kann, so ist es wol zunächst ein Umgang, wie der Anna's von Harder, nicht, weil diese Frau selbst gesund ist, sondern weil auch sie geistig kränkelt. Es ist hier ein Fall, wo sozusagen die Homöopathie hilft. Lächeln Sie nicht, Baron! Nur die Tollheit unsrer Menschen zwingt den Arzt zur Charlatanerie. Wenn Sie wüßten, was sich Alles Hülfe begehrend dem Arzte zuwendet, Sie würden erstaunen, daß wir nicht noch weit öfter auf unsre Recepte schreiben: Aqua fontana! O tolle, tolle Zeit! Hat die gleichartige Schwärmerei Anna's wie ein Impfstoff auf Olga gewirkt, so muß dann freilich noch ein Element hinzutreten, ich meine eines, das alle Organe des Menschen hebt, alle Sinne veredelt, alle Gedanken zum Lichte emporzieht, die Liebe! Bester Baron, Sie blicken ernst. Vergeben Sie mir! Wenn Olga gezwungen wird, die Baronin von Dystra zu werden, so erleben Sie eine Zukunft, die von der Hölle nicht viel Unterschied haben wird, oder Sie müßten eine Philosophie besitzen, wie jener gute Graf Desiré d'Azimont in Paris. Die Liebe ist dies allmächtige Gefühl, das im Menschen die wahren und einzigen Wunder wirkt! Die Liebe erhebt zum sittlichen Stolze und drückt auch wieder herab zur gern gehorchenden Demuth. Die Liebe ist jenes dritte Höhere, das zwischen den beiden Gegensätzen Gift und Gegengift, Krankheit und Remedium in der Mitte liegt, scheinbar wieder Krankheit weckt und doch zu einer göttlichen Gesundheit erhebt. Der Goldregen Jupiters wirft alle metallischen Reste jenes Kreuzes, das auf dem Nervengeflechte Olga's lag, hinaus aus dem mishandelten Körper dieses armen närrischen kleinen liebenswürdigen Kindes! Jupiter, bester Baron! Nicht Pluto's Goldregen! Geben Sie dem Mädchen Jemanden, den sie liebt, lieber jetzt, als erst dann, wenn sie Ihre Frau ist. Nichts aus der Apotheke kann hier helfen, Baron, sondern Weisheit, die sich Jeder selbst verschreiben muß.

Damit reichte Drommeldey, wahrhaft erschüttert, dem Baron die Hand und entfernte sich zu seinem Wagen, der den in äußersten Fällen alle Diplomatie über Bord werfenden Mann rasch die Anhöhe hinab entführte.

Dystra aber war bewegt. Er mußte Siegbert's gedenken, der sich aus Rücksicht auf ihn und die Fürstin der Hoffnung, jemals Veranlassung einer so auffallenden Mesalliance zu werden, entschlagen hatte, so lebendig in ihm das Bild Olga's auch fortlebte. Olga war unglücklich ebensowohl über den geringen Muth des Freundes, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet hatte, wie über sein nahes Verweilen bei der Mutter. Sie vergab ihm nicht, daß er nichts, auch gar nichts gethan, eingedenk sich zu zeigen jenes Abends unter den Hängeweiden, wo sie ihm ein Herz für's ganze Leben geschenkt hatte. Ihre Begriffe von Schwärmerei und waghälsiger Liebe verstanden nicht, wie Siegbert ihr nie schreiben, nie ihr ein Anerbieten von Hülfe in ihren bedrängten Herzensgefahren machen konnte. Daß er sich bekämpfte, der unpassenden Verbindung auswich, keinen Anstoß in der Gesellschaft erregen wollte, verstand sie nicht. Als sie in Venedig erfahren, daß Siegbert und die Mutter nach Belgien gegangen waren, gab sie die Hoffnung auf irgend noch ein Glück des Lebens auf und folgte Rafflard, der sie zur Nonne machen wollte, aus Verzweiflung. Nach der gefährlichen Schule, in der sie zum Leben erwacht war, nach der Schule Helenen's, mußte Siegbert alle Rücksichten aufgeben, ihr auf Wolkenflügeln entgegeneilen, seinen starken Arm um sie schlingen und diese gemeine Erde wie mit den Füßen von sich stoßen! Siegbert, der der Politik, der Kunst, seinem Prozesse leben konnte, erschien dem Mädchen schon wie Egon, das Prototyp alles männlichen, herzlosen, blutsaugenden Vampyrismus, der in allen Romanen, die sie gelesen hatte, schrecklich genug geschildert war. Und ehe Olga, sagte sich der durch väterlichen Willen ihr bestimmte Verlobte, neue Thorheiten begeht, wieder ausfliegt, wieder in die Hände eines Höllensohns geräth, sollte da nicht die Tochter eines Fürsten lieber einmal einen Maler heirathen? Oder gar, wenn die Brüder jenen Prozeß gewännen, der sie fast so reich macht, als ich es bin! Wenn es wahr wäre, was man sich erzählt, daß der alte Obertribunalspräsident an diesem Prozesse einen so auffallenden Antheil nähme?... Längst schon hatte Dystra auf den Lippen, Anna von Harder um diese Angelegenheit zu befragen. Aber das eine Mal, daß er von der Familie Wildungen anfing, befremdete ihn, wie schnell die sonst jeder Frage gern ihr Ohr leihende und sich immer um eine ausführliche und gründliche Antwort fast bekümmernde Frau, dem Gegenstande auswich. Er erfuhr inzwischen, daß ein Oheim der Wildungen die Tochter der Landräthin Anna von Harder wider ihren Willen geheirathet hatte. Da gab er es auf, mit ihr über einen Gegenstand zu sprechen, der in ihr schmerzliche Erinnerungen weckte. Aber ihrem alten Schwiegervater hoffte er sich zu nähern und wie sehr auch Anna hervorhob, daß er völlig ungesellig wäre, keinen Umgang liebte, er kam immer wieder auf den Wunsch zurück, ihm vorgestellt zu werden und heute war es der letzte Moment.

Indem kam Olga mit ihrem Buche über Italien aus dem Tannenparke zurück; der Kranich begleitete sie, ohne daß sie auch nur über seine Sprünge die Miene verzog. Sie hatte nur die eine Absicht, Dystra zu fliehen, ihn nicht zu sehen, kein Wort der Anrede von ihm zu vernehmen...

Dieser entsetzliche Ernst! sagte er sich. Diese Leidenschaft, Alles so zu nehmen, wie es ist! Kein Humor, kein Lachen, keine Abweichung von der Regel! Sie kommt mir da vor wie ein Zugvogel, der plötzlich, ehe wir's uns versehen, sich in die Lüfte hebt und indem sie eben noch vielleicht mit den Täubchen spielt, die sie füttert, ein Locken, ein Schwärmen in der Luft hört von Vögeln, die wir kaum kennen und auf und davon ist sie, man weiß nicht wie und wohin.

Olga hatte auf's Geflissentlichste den Baron vermieden und war an den demüthig sich verneigenden Mohren vorüber in den Hof gegangen, um sich auf ihr oben gelegenes Zimmer zu flüchten... Der Weiser der Kirche zeigte bald auf zwei Uhr. Anna in ihrer Beklemmung schien den Besuch Dystra's fast vergessen zu haben. Wie sie eben Befehle gab, die Hausflur in noch größere Ordnung zu bringen, als sie ohnehin für die Tage der Akademie statthaben mußte, sah sie den Baron erst wieder. Und nun gar zu hören, daß Der auch bleiben wolle, sich scherzhaft selbst zu Tische lud, mit jeder Kost sich befriedigen zu wollen erklärte, nur müsse er den Präsidenten heute kennen lernen, mit Olga die Füße unter einen Tisch stellen, diesem Zustand der Entfremdung ein Ende machen und als er sagte: Ich erzähle dem Greise über Löwen und Panther. Ich war auf einer Tigerjagd in Bengalen. Ich kann über die Wandertauben am Missouri wie ein Stratege sprechen; denn die Züge dieser Thiere sind marschirende Armeen... ich feßle den Greis so, daß er mich dableiben heißt... Da blieb ihr nichts übrig, als ihm zu sagen, er möchte in Gottes Namen thun, was er wolle, sein Heil versuchen und einstweilen in die oberen Zimmer gehen und auf den Präsidenten warten, den sie eben schon von unten her anfahren hörte. Das Lärmen und Bellen der Hunde, das Flattern des Federviehs im Hofe, das Springen und Hüpfen der Vögel, das freudige Radschlagen der Pfauen bezeichnete den wirklichen Moment der Ankunft des alten Herrn. An dem thüringischen Papageno mit dem freudestrahlenden Zeisiggesichte vorüber betrat Dystra die mit einem grauen Teppich belegte Treppe und stieg zu dem ersten Stockwerk eines Hauses empor, das ihm wie ein altes verwunschenes Jagdschloß vorkam...

Zunächst suchte er oben Olga – Er hörte eine Thür zuschlagen...

Mais Mademoiselle! Mais Olga! Mais...

Die Bitten des Barons, ihm Gehör zu geben, wurden von einer oben in ein Zimmer Gehuschten durch einen Riegel abgeschnitten, dessen rasches Vorschieben laut hörbar wurde.

Vous me traitez en loupcervier –

Keine Antwort...

On croirait, que je mange les petits enfans...

Tiefe Stille...

Dystra trat in das erste beste offne Zimmer. Es war dunkel wie das ganze Haus. Die Fenster, auch von innen grün angestrichen, waren nur in kleine Scheiben getheilt. Rings an den Wänden hingen alte Familienportraits, in denen er hie und da eine gewisse Ähnlichkeit auch mit dem Intendanten der königlichen Schauspiele und seiner stolzen adelsbewußten Haltung zu erkennen glaubte. Es waren hier die Harder's zu Harderstein so recht unter sich. Eine alte bronzene Uhr, braungebeizte Schränke boten die einzige Abwechselung an den Wänden. Die Schränke waren mit ausgestopften Thieren, Vögeln, kleinen Vierfüßern, Käfern und Reptilien, angefüllt. Im dunkelsten Eck stand ein Bücherrepositorium, das ein grünseidner Vorhang verhüllte. Es waren alte Ganzfranzbände, die hier standen, Schriften des vorigen Jahrhunderts, meist in französischer und englischer Sprache. Les Oeuvres de Frédéric le Grand fehlten nicht.

Dystra setzte sich auf einen der sauber gepflegten, ursprünglich weißlakirten und vergoldeten Sessel. Durch und durch ein moderner Mensch, hatte ihm diese ganze Wirthschaft hier auf Tempelheide etwas Komisches und doch war er befangen, wie er sich nun mit diesem alten Herrn, der hier im Style seiner verschollenen Zeit wie es schien mit majestätischem Selbstgefühle lebte, vermitteln sollte. Er zupfte an seinen gelben Handschuhen, er roch an seinem parfümirten Taschentuche, er spiegelte sich in seinen gefirnißten Stiefeln und gefiel sich offenbar in der Beobachtung seines zierlichen kleinen Fußes. Den sauber gefärbten Kinnbart konnte er seiner Handschuhe wegen nicht streicheln. Er hätte gern die Thüren rechts und links aufgeklinkt, um nach Olga zu sehen. Sie mußte doch in der Nähe sein. Es war ihm, als huschte bald da, bald dort etwas an den Wänden. Zuletzt entdeckte sich die gespenstische Gesellschaft. Zwei Katzen, die das Mittagessen zu wittern schienen, standen plötzlich vor ihm mit langniederhängenden Schweifen. Er hatte sie auf ihren sammetweichen Pfoten nicht hereinschleichen hören. Er sah, daß sie durch die eine Thür, die nicht ganz fest zugeklinkt gewesen, gekommen sein mußten. Die Thiere sahen ihn mit Befremden an. Sie waren schön gestreift, der Rücken tigerartig, der Bauch weiß. Ihre Schnurrbärte standen ihnen husarenartig keck, während sie im Übrigen etwas weiblich Gelassenes, Sanftes, Unaufgeschrecktes hatten. Dennoch wagte sich Dystra nicht recht an die Thür, um in das Arbeitszimmer des Präsidenten zu blicken, denn offenbar aus diesem waren die beiden Katzen, die wir unter dem Namen Isis und Osiris kennen, hereingekommen. Dystra fühlte etwas von der Apprehension, die wir diesen schleichenden Haus- und Küchenhüterinnen gegenüber empfinden. Es rieselte ihm über den Rücken. Sein Muth, von bengalischen Tigern und Löwen zu prahlen, entfiel ihm vollends, als sich zu den beiden Katzen noch ein ungeheurer, schwarzer, grüngelbblickender Kater gesellte. Dieser dritte Gesellschafter war fast so groß wie die beiden andern zusammengenommen. Aber auch dieser war ruhig und ernst und duldsam über den Besuch und schien sogar an dessen blanken Stiefeln so viel Wohlgefallen zu finden, daß er sich Dystra bedenklich näherte. Jetzt hier so allein zu stehen mit den drei unheimlichen Katzen, erfüllte den Baron mit leisem Schauder. Wetter, dachte er, du hast doch Schakals heulen hören und in gemessenen Distanzen auf dem Nilsande Krokodille sich sonnen sehen, aber diese drei zahmen Katzen in unmittelbarster Nähe machen dir mehr Angst als die Schrecken der Wildniß! Die Thür, die offen blieb, ließ das Arbeitszimmer da noch räthselhafter erscheinen, als noch auf dem Fußboden ein Vogel hereinsprang, schwarz mit gelben Pünktchen gezeichnet, mit klugen Augen, beweglich munterm Schwanze, eine Amsel. Ohne daß die Katzen nach ihr haschten, setzte sich die Amsel traulich auf den Rücken des großen Katers, der sich nach ihr umwandte mit einer gelassenen Ruhe, die eines Philosophen würdig war. Dystra scheute sich, einen Blick in das offne Zimmer zu werfen. Er dachte schon an die Möglichkeit, darin plötzlich noch irgend etwas ganz Ungeheures zu sehen, als auch in der That wieder ein Hund hereintrat, ein Hühnerhund, von derselben ruhigen und nicht einmal neugierigen, sanften, schleichenden Ergebenheit wie die übrigen Thiere. Dystra kam sich jetzt in der That wie Äsop unter seinem moralisirenden Vieh vor und dachte sich irgendwo die spottende Olga, die ihn belausche oder ihm wol gar diese Bestien alle auf den Hals schickte. Es war für seine in der That ergriffenen Nerven die höchste Zeit, daß Anna von Harder eintrat und ihn ersuchte, ihr zu folgen. An eine ceremonielle Vorstellung war jetzt nicht zu denken. Sie würden, sagte sie, den Großvater unten in der Hausflur bei dem thüringischen Vogelabrichter finden; vorbereitet hätte sie ihn schon auf einen berühmten Reisenden, der für Olga's Beaufsichtigung Rechte in Anspruch nehmen dürfe; sein ferneres Glück müsse er nun selbst versuchen.


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