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Siebentes Capitel.

 

Kauft bei meinem Nachbar keine Shawls! sie sind so schlecht gewebt, daß man Erbsen durchwerfen kann.

Scene auf dem Markte von Kaschemir.

 

Um Hali-Jongs Seele hatte sich der Schleier eines leidenden Trübsinns gelegt, den auch die neue Veränderung seiner Lage nicht von ihr zog. Keine Hoffnung belebte dieß gedrückte Gemüth, das auch keine Furcht mehr kannte. Das Ungewisse seines Verhältnisses war so weit in den Hintergrund getreten, daß er auch von der plötzlichen Wendung desselben zu einem unglücklichen Ausgange keine Vorstellung hatte. Die Schnitte, welche er ohne zu ermüden, in unzählige Holzblöcke machte, waren die Furchen, in welche er seine matten Sinne versenkte. Er lebte in jenen Gestalten, die unter seiner kunstreichen Hand geboren wurden, und empfand unausgesetzt nicht nur die Freude eines alten Meisters, dem seine Werke noch immer trefflich gelingen, sondern auch die Wonne seiner jungen Schöpfungen selbst, in welchen er mit Leib und Seele aufging.

Die erste Wohnung, welche den Vorsteher der Götzenmanufactur von Paro aufgenommen hatte, dasselbe alte Gefängniß, dem Hali-Jong, durch die fruchtlosen Bemühungen des Schamanen auf einen kurzen Zeitraum entzogen worden, öffnete sich jetzt wieder diesem unglücklichen Opfer des Fanatismus. Gylluspa konnte durch nichts vermocht werden, eine bessere Lage zu suchen; ja selbst die Drohungen der Priester, deren Gesetz dem Frauenzimmer im Kloster den Aufenthalt über Nacht verbietet, hielten sie nicht zurück, mit ihrem Vater das Gefängniß zu theilen. Sie sah ein, wie wohlthätig der Trübsinn Hali-Jongs auf ihn wirkte, weil er durch ihn verhindert wurde, das Mißliche seiner Zukunft zu fürchten. Sie wußte aber auch, daß dieser schlummernde Zustand des alten Mannes ihn sogleich verlassen würde, wenn er außer dem Kreise einer kurzen Gewöhnung versetzt werden sollte, wenn sie aufhörte, seine tägliche Umgebung auszumachen. Die Unglückliche! In welche Welt war sie getreten. Sie war nicht nur in ihren Erwartungen, sondern selbst in ihren Ahnungen getäuscht worden. Das Schicksal ihres Vaters hatte eine Wendung genommen, welche ihr niemals erklärlich geschienen hätte. Die Aufopferung des Schamanen fruchtete nichts. Ihre Liebe zu Maha Guru stand auf der Gränze zwischen einer religiösen Tugend und einem Verbrechen. Sie fühlte nur zu gut, daß die Wünsche ihres Herzens sie auf die letzte Seite zogen.

Die hölzerne Götterwelt, welche Hali-Jong um sich her gezaubert hatte, belebte seine Phantasie mit den seltsamsten Illusionen. Diese Heiligen schienen ihm oft im Vollgenuß ihrer Göttlichkeit zu leben, sie sprachen mit ihm und dankten ihm für die Mühe, die er sich gäbe, um ihnen anständige Kleider zu verschaffen. Hali-Jong sprang dann auf und verbeugte sich tief, unaufhörlich die Danksagungen zurückweisend, und sich auf seine Pflicht und Schuldigkeit berufend. Zuweilen schien es ihm auch in Folge einer merkwürdigen Verwechselung, daß das Schnitzmesser nicht in seiner Hand läge, sondern daß der halbvollendete Gott im Gegentheil ihn zwischen den Beinen halte, und ihn aus dem Groben herausschneide. Dann pflegte er zu Gylluspa's großem Entsetzen zu rufen: »Jeder Schnitt eine Stufe höher auf den Berg des Himmels! Was fährt mir da unter die Arme? Coli legt den Finger in meine Seite, und spricht den Zaubersegen über mein Gedeihen. Was hab' ich mir ein Pferd gekauft? Ein Thor, der dafür hundert Schafe ausgab, und jetzt an den Füßen geschnitten wird, daß er wie eine Wolke über alle Berge fliegen kann! Hinein, ihr kunstreichen Dewtas, mit euren lebenschaffenden Messern, hinein in die Haut eines alten Esels, die von euch geritzt bald ihre Furchen ausglätten wird, und jugendlich, götterkräftig, frühlinggeboren die alten Runzeln Lügen straft! Die Oberschenkel nicht zu dünn, mein großer Schöpfer, damit ich in deinem Himmel die Schritte länger nehmen kann! Die Haare auf dem Scheitel nicht zu stolz, damit ich nicht am Giebel der hohen Pforte einen Schaden stifte! Ach, welch ein Glück, unter der warmen Hand eines Gottes von den Fesseln der irdischen Materie erlös't zu werden!« Konnte Hali-Jong bei diesen großartigen Täuschungen sich nicht einmal mit sich selbst verwechseln? Wer hemmte das Eisen, wenn es statt in die Fasern eines werdenden Götzen in seine eigene Brust fuhr? Ja, konnt' er im Uebergenuß seines Entzückens nicht plötzlich aus seiner Haut herausfahren, und todt in Gylluspa's Arme zurücksinken?

Eines Tages saß Hali-Jong wie gewöhnlich auf dem Fußboden, phantasirend über seine Hölzer, die er mit zärtlichen Blicken betrachtete. Er hatte seinen Schöpfungen jetzt wieder eine ganz neue Seite abgewonnen. Er führte in Gedanken eine große Schlacht auf, welche den guten Göttern von den bösen geliefert wurde. Die Waffen, deren sich die Geister bedienten, und die Wunden, die sie damit schlugen, waren wiederum aus seiner Sphäre entnommen, und erinnerten an die Dinge, welche in seinem Gedächtnisse doch jetzt so weit zurückgedrängt waren. Aus dem Kampfgeschrei, das er selbst ausführte, ersah man, was in seiner Seele vorging. »Wir haben das große Welt-Ei gelegt,« rief er im Ton der guten Götter; »wir haben den zehntausend Elephanten, welche die Erde tragen, ihre Rüssel gegeben, und lassen das Mennigkraut wachsen, womit sich die Tugendhaften bemalen. Nennt eure Verdienste, die ihr euch um die große Sylbe Om erworben habt. Ha, ihr schweigt, die Gebirge sind vor euern Mund getreten, daß Niemand eure Worte hört.«

Es wurde im Gemache gesprochen. Hali-Jong glaubte, die bösen Geister wollten nicht Ruhe geben, und er fing daher wieder an: »Eure Lästerzungen, mit denen ihr des Nachts auf den Bergen unsre Gläubigen beschwatzt, sind noch nicht verstummt? Was habt ihr an uns auszusetzen? Kennt ihr jene Bücher, in welchen die Lehre von der Symbolik des heiligen Antlitzes der wahren Tradition gemäß behandelt wird? Nimmermehr, denn in euern Gesichtsbildungen liegt der Stempel der Neuerung und der Bosheit. Ihr werft die Oberlippe auf, und versteckt eure Unterlippe wie die Schlange ihren Stachel. Eure Nasenlöcher weiten sich auf, wie zwei furchtbare Abgründe, aus denen Pest und Krieg und Unglaube heraufschlängeln. Eure Nasenspitze ist von ihren Winkeln so weit entfernt, daß man einer Reise bedarf, um von dem einen in den andern zu kommen. Was sagen wir guten Götter von den Augen der bösen? Liegen sie nicht so tief, als wollten sie sich in euer Gehirn verkriechen? Hat man je solche Augen gesehen, die eher zum Hinterkopfe gehören! Naht euch nicht denen, welche approbirt sind! Schon euer Hauch könnte die Regelmäßigkeit unserer Formen in Unordnung bringen!«

Es waren drei Personen in das Zimmer getreten, in denen die weinende Gylluspa ihre drei übrigen Väter begrüßte, Hali-Jong aber seine Brüder nicht erkannte. Seine Einbildungskraft war im Gegentheil von dem Kampfe der guten und schlechten Formen so sehr ergriffen, daß er in den theuern Ankömmlingen nur für die Vertheidiger der letzten einen Succurs sehen wollte. Er wehrte sie mit beiden Händen zurück, und überschüttete sie wegen ihrer verbrecherischen Absichten mit entrüsteten Vorwürfen. »Gelobt sey diese Stunde!« rief er, »denn jetzt hab' ich jene Riesen, welche den Berg Simnu unterwühlen, vor mir. Seyd ihr gekommen, um die Verhältnisse der von mir entworfenen Gesichtsbildungen zu zerstören? O, ich kenne euch längst! Ihr seyd mir Tag und Nacht erschienen, und habt meine Sinne durch Gaukeleien blenden wollen, damit ich abweiche von meinen alten Thonknetungen, und auf eure ruchlose Proportionenlehre schwöre. Ihr waret es, die ihr falsche Modelle in meine Manufactur brachtet, und auf der That ertappt, kaum mit heiler Haut davon kamt. Ich habe das Geheimniß erfunden, die Kunst in Einklang mit der Tradition zu bringen! Sehet her, hier stehen jene Gebilde, welche bestimmt sind, für den Erdkreis einst normal zu werden!«

Inzwischen hatte sich kurz nach dem Eintritt der Brüder von Neuem die Thüre geöffnet, einige Priester im schwarzen festlichen Aufzuge mit gelben viereckigen Mützen traten ein, und näherten sich dem wahnsinnigen Hali-Jong mit feierlichen Schritten.

Durch die offene Thür sah man lange Reihen von Mönchen, die sich weit durch die Gänge zogen, und ein Spalier bildeten, das von murmelnden Gebeten widerhallte. Mit einem Schrei des Entsetzens gewahrte Gylluspa diesen Anblick; die Brüder fielen zu Boden, und selbst Hali-Jong schien von der auffallenden Zurüstung betroffen. Es schien, daß jetzt der Augenblick herangekommen, der über Hali-Jongs Schicksal entscheiden sollte.

Der erste unter den hereingetretenen Mönchen wandte sich an den ihn anstierenden, auf dem Fußboden sitzenden Verbrecher. »Ich preise mich glücklich,« sagte er, »den Göttern zur Sühne jenen Elenden zuzuführen, der sie so unverzeihlich beleidigt hat. Stehe auf und folge den Dienern der ewigen Gerechtigkeit.«

Der Angeredete, welcher von den ihm gemachten Vorwürfen nichts begriff, erhob sich mechanisch, und folgte den Priestern, von Gylluspa und seinen Brüdern unterstützt. Er sah befremdet auf die langen Reihen, die er passiren mußte, lachte über die Verwünschungen, welche zuweilen ausgestoßen wurden und er für einen andern als ihn bestimmt hielt. Die Mönche schlossen sich hinten der Gruppe an, und begleiteten sie über mehrere Gemächer, Höfe und Stiegen, bis zu jenem großen, unterm Dache befindlichen Saale, in welchem Hali-Jong einst dem grausamen Gerichte, das über seine verfehlten Statuen gehalten wurde, beigewohnt hatte.

Der eiserne, uns wohl bekannte Kessel bildete den concentrischen Mittelpunkt für zahlreiche Peripherien, welche sich rings bis zur Wand und dem Dache terrassenförmig herumzogen. In der Mitte befanden sich einige Erhöhungen, welche für die Ankläger, die Richter und den Angeklagten bestimmt waren. Der Großinquisitor nahm den höchsten Sitz ein, Hali-Jong den tiefsten; auf den ersten Stufen, die zum Kessel führten, ließen sich Gylluspa und ihre drei trübseligen Nebenväter nieder. Die unabsehbare Anzahl der neugierigen und fanatischen Mönche nahm hinter den Schranken des Gerichts auf den Sitzen der Estrade ihren Platz.

Diese Einnahme der Sitze geschah mit dem lautesten Schreien und Toben, wie es der Würde der Handlung wenig angemessen war. Erst als sich der Sturm etwas gelegt, und die Neugier der Mönche über ihre Schwatzhaftigkeit gesiegt hatte, ja nachdem mehrere der überlauten Geistlichen von ihren Vorstehern mit scharfen Verweisen notirt, oder wohl gar mit kleinen Disciplinarstrafen belegt waren, konnte endlich die feierliche Sitzung ihren Anfang nehmen. Der Großinquisitor hob die Hand in die Höhe, und Niemand wagte noch einen Laut von sich zu geben. Man hörte nur das unterdrückte Schluchzen Gylluspa's und das ängstliche, beklommene Seufzen ihres Vaters, der von allen diesen Zurüstungen noch keinen Begriff hatte.

Die Verlesung der Anklageacte bestand in nichts Anderm, als dem Vorzeigen eines blauen Götterbildes. Die Priesterschaft machte den Schluß, daß man dieß nur zu sehen brauchte, um zu wissen, um welches Verbrechen es sich handelte. Der Vorsitzer des Gerichts hob die Statue in die Höhe, hielt sie dem Angeklagten vor, und fragte ihn mit feierlicher Stimme, ob er dieß ketzerische Wesen in seiner rechtgläubigen Hand wohl erkenne?

Hali-Jong bedurfte nur dieses Anblicks, um aus seinen starren Träumen aufzuwachen. Obschon mit ihm das Licht der Vernunft nicht wieder zurückkehrte, so erhielt er doch für die Dinge, welche um ihn her geschahen, ein haltendes Bewußtseyn; er konnte an ihnen Theil nehmen. Die blaue Statue in der Hand des Anklägers war ihm keinen Augenblick fremd; er entriß sie ihm, drückte sie an seine Lippen, und umschloß sie mit beiden Armen. »In einer so glänzenden Versammlung,« rief er mit einem Complimente aus, »soll ich dich, mein Pozio Conresi, wiederfinden? Als du in die Welt kamst und den Namen Geia-Thrix-Thengo annahmst, lehrtest du deinen Völkern die schönste aller Künste. Hab' ich dich nicht so ciselirt, daß deine Kunst sich dir zur Huldigung darbringt? Kann man dich immer nur in der Gestalt eines männlichen Affen darstellen? Nein, ich gab in dir den schönen Knaben wieder, auf dessen Ruf sich die Erde mit Menschen bevölkerte, der ihnen Gesetze verlieh und die Geheimnisse der Kunst erschloß. Wo find' ich eine Pyramide von eilf Schädeln, auf welcher du nach deinem alten Wunsche nur stehen wolltest? wo das Geschmeide und den grünseidenen Mantel, der nach derselben Vorschrift stets um deine Schultern gehängt seyn soll? Du verdienst diese Ehre; denn es ist kein Fehl an dir.«

»Deine Zunge lästert,« fiel der Ankläger ein; »wer lehrte dich, daß aus dem geschwänzten Affen ein schöner Knabe zu bilden sey? Die Tradition. Wer erlaubt dir aber, von den Bestimmungen des zehnten Kanons im siebenundachtzigsten allerheiligsten Concile abzuweichen, und an der Nase Pozio's die aufgeworfene Formation, den Stempel der alten Geschichte seines Cultus mit einer glatten, auslaufenden, schönen, aber unheiligen, untraditionellen, pseudokanonischen Nase zu vertauschen?«

Hali-Jong hob sein weißes Auge gen Himmel, blickte dann wieder auf die Umgebungen, welche erwartungsvoll seinen Worten horchten, drückte den Gott, welcher den Stempel seiner Fabrik trug, an die Brust, und sagte feierlich: »Ja, mein Pozio, aus dem Kopfe dieses alten Mannes, der dich mit seinen Küssen bedeckt, bist du entsprungen! Ich höre da, daß man an deinem jugendlichen Körper die Nase des Affen vermißt. Solche Worte sind aus dem Munde eines begeisterten Freundes der Götter nicht gekommen. Das ist noch der alte Wahn jener Barbaren, welche die Kunst zu einer Dienerin der Religion, nicht zu ihrer Freundin und Schwester machen. Die Zeit der Fratzen und des Götterschreckens ist vorüber. Wir leben durch die Wohlthat des Himmels; aber nicht um Furcht zu erregen, sondern um Liebe zu gewinnen, spendet man seine Gaben. Wer für den Himmel, wie ich, eine geheime Leidenschaft empfindet, wird ihn mit lang auslaufenden, von der Wurzel bis zur Spitze und dem Knorpel wohlgemessenen, nicht mit aufgestülpten Nasen bevölkern.«

Hali-Jong hatte früher, wie wir wissen, im Zustande ausreichender Besinnung nichts so sehr zu seiner Rechtfertigung vermieden, als sich auf die Interessen der Kunst zu berufen. Im Gegentheile hatte er entweder die Thatsache seiner plastischen Neuerungen geläugnet, und sie auf die Rechnung des Zufalls geschoben, oder er hatte jede böswillige Auslegung derselben durch die Aufzählung seiner Verdienste um die Religion, durch seine bezahlten Pilgrimsfahrten zu hintertreiben gesucht. Wie viel Ganges-Sand hatte er nicht sonst in die Augen seiner Ankläger gestreut. Jetzt war darin die auffallendste Veränderung eingetreten. Er ging nicht nur auf sein Verbrechen ein, sondern entschuldigte es auch durch Gründe, welche ihm jede Rechtfertigung vor seinen Richtern abschnitten. Es schien, als wollte er untergehen, ein Märtyrer der Kunst und des guten Geschmacks.

Die Zeichen des allgemeinen Entsetzens hinderten den Götzenfabricanten nicht, in seinen artistischen Rettungen fortzufahren. Er äußerte Grundsätze, die eines Reformatoren würdig waren. »Ihr staunt über den Inhalt meiner Reden?« rief Hali-Jong; »nur Die können staunen, welche vom Geiste nicht ergriffen sind. Als die erste Menschengeneration auf die Erde gepflanzt war, gingen die bösen Geister daran, sie den guten zu rauben, und von ihren Früchten ihren nimmersatten Leib zu nähren. So fuhren die Seelen aller ersten Menschen in das verfluchte Leben der abtrünnigen Engel. Was hatten nun die guten von ihren Geschöpfen? Es mußte ihnen Alles daran gelegen seyn, die ausgeflogenen Vögel wieder einzufangen. Sie mußten auf Mittel sinnen, sich bei der Menschheit ihrer Zukunft zu versichern. Sie mußten sich in Donner und Blitz hüllen, in Schlangengewinden mit pestträufelnden Fingern unter die Empörer treten, um durch Schrecken diejenigen wieder zu gewinnen, welche sie durch ihre Güte und Milde verloren hatten. Von diesem Augenblicke zeigten sie sich auch nicht mehr in den Lüften und Wolken, sondern ließen sich in den rohesten Stoffen darstellen, um als ungeheure Erzmassen, Holzblöcke, Steinkolosse auf den Gehorsam der Ihrigen zu wirken. Daher schreiben sich die mißgestalten Formen, welche Jahrtausende lang die Phantasie der Völker mit Ungethümen, ihr Herz mit Schreckbildern, ihren Geist mit furchtsamen Gedanken befruchtet haben. Kahle Schädel sollen jugendlichen Göttern stehen! Fürchterlich rollende Augenräder glotzten auf den Untertheil des Antlitzes herab, der bald einen abscheulichen Vorsprung bildete, auf dem ein Priester bequem sitzen konnte, bald so tief eingebogen war, daß man im Zweifel stand, wo das Kinn aufhörte und der Hals anfing. Was soll ich von dem Fundament dieser mißgebornen Köpfe sagen, von denen Jedermann weiß, daß sie einen Bauch, zwei verschränkte Arme, und zwei übereinandergeschlagene Beine vorstellen sollen? Auf allen Wegen erblickten wir diese grauenhaften Bildungen, die wie zusammengeronnene Glieder aussehen, und im letzten Falle noch den Anblick mehrerer, in einander verwickelter Schlangen darbieten. Die Priester, immer gewohnt, das Wahre zu verfehlen, legten in diese Zufälligkeiten einen scheinbar tiefen Sinn, und nahmen die Auswüchse der Natur für dasjenige, was sie am meisten bezeichne. So ist eine Symbolik entstanden, welche sich noch da erhalten hat, als schon lange die Götter von ihrer alten Maxime, durch Furcht auf die Liebe zu wirken, zurückgekommen waren. Ihr fragt, wie ich hinter diese Inconsequenz gekommen bin?«

»Wir fragen nichts, du Elender!« schrie die ganze Versammlung, und von den hintersten Bänken sprangen schon die Eifrigsten herüber, um den Frevler in Stücke zu zerreißen. Aber der Großinquisitor hob seine Hand, und Hali-Jong, die entstandene Pause benutzend, fuhr mit unerhörtem Gleichmut in seiner Vertheidigung fort. Es ist merkwürdig, daß die Tibetaner, wenn sie wahnwitzig werden, fast wie die Europäer sprechen.

»Die Götter haben ihr Schicksal in unsere Hände gegeben,« sagte Hali-Jong. »Sie waren es, die unsern Seelen den feinen Sinn des Geschmacks, und unsern Händen die künstlerische Fertigkeit verliehen. Was sprachen sie damit aus? Ihren Wunsch, sich würdiger Darstellungen zu erfreuen. Sie können nie gewollt haben, daß sich die Schönheitsformen nur auf den Wellen finden, die über die Flußbetten hingleiten. Sie haben die Schwäne nicht deßhalb geschaffen, damit nur an ihren Hälsen die Zauberlinien der Anmuth lebten. Sie bauten die Himmelsveste nicht, um die Sterne nur in der gelungensten Wölbung schweben zu lassen. Sie gaben Allem seine eigenthümliche Form, um ihre eigene Größe dadurch zu feiern. Ja, würden sie den Menschen als ein Muster der regelmäßigen Schönheit hingestellt haben, wenn sie nicht gewollt hätten, daß ihre eigene Herrlichkeit durch diese Formen widerstrahle?

Lag die Frömmigkeit, auf welche die Götter rechneten, nicht von jeher darin, daß man sein Theuerstes daran setzte, um ihnen zu gefallen? Wird der ein wohlgefälliges Opfer bringen, welcher vor den Altar seines Hausgottes ein Lattichblatt stellt, und doch die Mittel besitzt, ihm eine Lotosblume zu reichen? Wer eines Rosses entbehren kann, wird keinen Hund verkaufen, um seinen Heiligen mit einem neuen Kleide zu beschenken. Wer sich auf die fünfzeilige Strophe versteht, wird die Götter nicht mit dem eintönigen Versmaß der vier Glieder besingen. Das ist auch in der Kunst die neue Lehre, für welche ich sterben will. Soll ich darüber weitläuftig seyn? Ich kenne einen Allmächtigen, vor dem sich Millionen im Staube beugen wollen. Diese Millionen beschwören meinen Thon, meinen Bossirgriffel, meine Steinkohlen, daß ich ihnen das Bild dieses Großen zaubere. Meine Seele erbebt vor der Wonne dieser Schöpfung; sie fühlt die Nähe des Darzustellenden, der nur noch geträumtes, geahnetes Bild, ein flüchtiger Gedanke meiner Phantasie ist; ich verschließe mich in tiefe Einsamkeit, und trete erst nach dem Kreislauf vieler Monde wieder hervor. Ich ziehe den Schleier von meiner Schöpfung, und die Millionen halten die Hand vor ihre geblendeten Augen. Würd' ich meinem Gott den Schädel eines Affen gegeben haben, wenn ich sein Haupt mit den Mähnen des Löwen bedecken konnte? Soll ich ihm die schwarzen Augen des Kalbes geben, wenn ich die Farbe dazu den lieblichsten Blumen entnehmen kann? Ruchloses Beginnen! Von deinen Gaben gib ihm die reichste, die theuerste, die du für Alles nicht verschenken würdest! Das schönste Kleinod aber ist das, was wir an uns besitzen; wer vermöchte sich selbst in einen Schrein zu verschließen! Lasset uns Götter schaffen nach der Menschen Ebenbild! Wenn es keine Gränzen mehr zwischen dem Himmel und der Erde gibt, dann wird die Frömmigkeit ihre reinsten Opfer darbringen!«

Hali-Jong stand mit emporgehobenen Armen da, wie ein verklärter Seher. Der Gott Pozio Cenresi war ihm entfallen, und das Gericht mit seinen zahllosen Beisitzern blickte ihn einen Augenblick mit stummer Bewunderung an. Als er aber am Schluß seiner ekstatischen Peroration dem Atheismus das offenbarste, unumwundenste Wort geredet hatte, da brach der Sturm mit erneuerter Wuth los, und nur die seltene Mäßigung des Großinquisitors verhinderte es, daß jene Aeußerung für ein Geständniß seiner Schuld, und deßhalb für seine Verurtheilung gehalten wurde. Die Gewissenhaftigkeit verlangte, daß derselben noch einige nähere Erörterungen vorangingen.

Der Großinquisitor begann diese mit folgenden Worten: »Die Kirche ist unveränderlich. Alles, was diese Eigenschaft beeinträchtigen könnte, muß sie unterdrücken. Aus den Reden dieses Unglücklichen vernahmen wir alle, wie frevelhafte Folgerungen die sogenannte Vollendung der Kunst nach sich zieht. Was verstehen diese Neuerer unter Verbindung der Religion mit der Kunst? Sie wollen der einen ihre Würde entziehen, um damit die Blöße der andern zu bedecken. Sie setzen die Wahrheit der Ewigkeit in die Schönheit des Augenblicks, und machen die Götter zu einer Sache des Geschmacks.«

»Den Menschen wollen sie als das Maß aller Dinge anbeten,« fuhr ein Oberrichter fort; »zwar ist der Mittelpunkt der allein seligmachenden Lehre die ewige Menschwerdung Gottes; der große Lama würdigt den Leib seines unsterblichen Geistes, aber wer hätte je die Sünde begangen, diese flüchtige Hülle eben so zu schätzen, als das ewig in Gott Wiederkehrende? Nein, das allein Anbetungswürdige liegt in Dingen, die wir nicht sehen, also auch nicht nachbilden können.«

»Wir sind die spätgebornen Enkel einer alten Zeit,« sagte ein zweiter Beisitzer des Gerichts. »Wir schaffen die Götter selbst nicht, sondern die Vergangenheit überliefert sie uns mit den Formen, welche ihnen einst gefielen, mit der ganzen Geschichte ihrer alten Verehrung, an welcher nur die Lüge etwas ändern kann. Die Tradition ist das heiligste Buch unsers Glaubens, auf dessen Blättern in unvergänglichen Zügen die Gebote der Frommen stehen. Wer könnte von ihnen abweichen, ohne Schaden an Seele und Leib zu nehmen?«

»Die Kunst,« fiel ein Dritter ein, »ist nur ein schwacher Nothbehelf der Religion; man kann ihr keinen schlechtern Rath geben, als ihrer Meisterin Gesetze vorzuschreiben. Das ewige Dogma steht unerreichbar. Die Rücksichten eines sonderbaren Geschmacks, den die Neuerer geltend machen wollen, verschwinden vor den Bestimmungen, welche die Religion darüber ertheilt. Kann die Nachahmung der Natur mehr seyn, als das tiefsinnige Symbol, welches der Künstler nur nach der Angabe des Priesters zu fertigen hat? Ja, der Priester ist allein jener wahrhafte Künstler, welcher den Göttern wohlgefällt.«

Der Großinquisitor nahm wieder das Wort: »Diesen Aeußerungen meiner hochweisen und demüthigen Collegen,« sagte er, »geb' ich meinen ungetheilten Beifall. Sie halten die beiden Sphären, die erhabenste und die aufrührerische, mit entschiedener Festigkeit auseinander. So muß es seyn, wenn Tibet sich des Schutzes seiner Götter ferner noch erfreuen will. Unsere Wohnhäuser werden schon seit langer Zeit bequemer und annehmlicher gebaut, als die Tempel, welchen wir ihre ehrwürdige alte Bauart lassen. Hierin Geschmacklosigkeit sehen zu wollen, ist eine Blasphemie, für die man eine neue Kirchenstrafe erfinden sollte. Warum bleiben wir bei den alten Stockwerken, bei den auslaufenden Runddächern, bei den Kuppeln und vergoldeten Säulen? Weil wir den Wohnungen der Götter ihre schönste Zierde, die Bedeutsamkeit der kleinsten Einzelheit, nicht entziehen wollen. Durch einen Vorhof drücken wir den ersten Grad der Wiedergeburt aus, durch einen Vorhang die verborgene Wunderkraft des Allmächtigen. Eine Gallerie mit acht Nischen sind die acht Stufen der Läuterung. Die Seitenfenster in dem Vorzimmer bedeuten die sündhaften Rückblicke auf die irdische Vergangenheit; die Dachfenster in den innern Gemächern sind die sehnsüchtigen Hinneigungen nach dem Jenseits. Dieß ist die tiefe Symbolik unserer Tempel; und alle Baumeister des Erdkreises sind gehalten, von derselben nicht abzuweichen!«

Derjenige Richter, welcher dem Großinquisitor zunächst saß, führte diese Auseinandersetzung so fort: »Dieselbe Bewandtniß hat es mit der heiligen Götterplastik. Hier ist nichts ohne eine Erklärung, nichts ohne praktische und dogmatische Anwendung. Jedes Haar auf dem Haupte eines Gottes hat die Kirche gezählt; denn an ein jedes knüpft sich eine Reihe der lehrreichsten Erfahrungen aus der Geschichte des Dargestellten. Willst du, Abtrünniger, deinem Durga zwei Ohren geben, wenn die Tradition dich lehrt, daß ihm im Kampfe mit den Racusses das linke abgehauen ist?«

Dieß Beispiel war so schlagend, daß die für das verlorne Ohr Durga's begeisterte Menge in Verwünschungen ausbrach, welche Hali-Jong mit theilnahmlosen Blicken aufnahm. Der Oberrichter, den Eindruck seiner Beispiele verfolgend, fuhr fort, deren mehrere zu geben: »Wie willst du die Fußsohlen des mächtigen Tschuptschu bilden?« – rief er; »du wirst sie glatt und eben ciseliren, Unverschämter, und unsre Nachkommen um die Erinnerung des glorwürdigen Factums betrügen, daß Tschuptschu's Fuß auf seiner Flucht aus Butan hinter Bukadewar eine tiefe Kluft hinterließ, weil er einer Schlange den Kopf zertreten wollte. Wärest du nicht im Stande, den Biß der Schlange durch deine künstlerischen Grundsätze ungesehen zu machen?«

»Er hat den Schlangenbiß von Bukadewar geläugnet!« schrien tausend Stimmen durcheinander, und Manche zerrissen vor Entsetzen ihre Kleider.

»Ein Schwanz am Leibe eines Menschen,« fuhr der Oberrichter fort, »ist freilich ein Ding, das man vergeblich suchen möchte. Würde nach diesem Grundsatz ein Atheist nicht immer bereit seyn, dem Gott Perampor seinen Schwanz zu nehmen, den er wie die Tradition meldet, mit so wohlgefälliger Freude getragen hat? Unsre Nachkommen werden dann nichts mehr wissen von den zehntausend frommen Affen, welche Perampor aus einem Walde zu Hülfe kamen, als ihn die Racusses in einem Hinterhalt angriffen. Sie werden es nicht mehr hören, daß der Gott zum Andenken dieser Rettung einen Schwanz zu tragen sich entschloß.«

»Wehe, wehe dem Mörder unsrer heiligen zehntausend Affen!« war das Klaggeschrei, das an Hali-Jongs Ohr, ihm unverständlich, drang.

»Der menschlich schönste Gott ist unstreitig Narrain,« begann aufs Neue der Oberrichter; »aber die heilige Legende weiß, daß er dicht unterm rechten Ohrzipfel ein Muttermal hatte, das in seiner Geschichte eine große Rolle spielt. Nimmt man ihm aus falschen Rücksichten dieses Zeichen, woran soll ihn nach tausendjähriger Abwesenheit seine Mutter Nazzim wieder erkennen?«

»Wenn sich die Götter untereinander selbst zu erkennen aufhören,« rief eine Stimme, »wie sollen die Menschen mit ihnen bekannt werden?«

Die Menge gab dieser Logik Beifall, und verlangte den Tod eines Menschen, dessen Leben nur eine Kette von groben Gottesläugnungen gewesen sey. Die Miene, welche Hali-Jong zu diesem bösen Spiel machte, konnte nicht besser seyn. Er schien sogar zuweilen zu lachen, als wäre das Ganze der Verhandlung eine Farce, die ohne Zweck aufgeführt würde und am wenigsten ihn beträfe. Der Großinquisitor besaß Einsicht genug, diese Apathie zu bemerken und sie zum Theil richtig zu erklären. Was hatten alle die Bemerkungen des geschwätzigen Oberrichters mit Hali-Jongs Verbrechen zu thun? Sie hielten sich nur auf der Oberfläche der Geschichte, und trafen nicht einmal auf die begangenen Versehen zu. Hatte denn Hali-Jong je die Attribute seiner Gottheiten, ihre Hörner, ihre Warzen, ihre Muttermale, ihre Schwänze, ihre Ziegenfüße außer Acht gelassen? Nein, gegen die Proportionen war er eigenmächtig verfahren. Auf den kleinen Flecken des Gesichts zwischen der Nase und der Oberlippe concentrirten sich die Verbrechen, mit denen er den Hals verwirkt hatte. An dieser Stelle war Hali-Jong empfindlich, und von ihr mußte man reden, um von ihm Antworten zu erhalten.

Der Großinquisitor übernahm es, die Ausschweifungen des Oberrichters wieder auf die fragliche Gegend zurückzulenken: »Weil die Priesterschaft die heiligen Bücher bewahrt,« sagte er, »so dürfte es trotz der Vermessenheit ketzerischer Bemühungen dennoch möglich seyn, daß die alte Legende, der Mythus der Überlieferung, erhalten wird. Aber was durch dieselben unendlich größern Gefahren ausgesetzt ist, bleibt die Symbolik des übersinnlichen, unerklärlichen Dogma's. Ich gehöre nicht zu jenem, auf dem hundert und neunzehnten Concil verdammten Schisma, welches die Irrlehre verbreitet hat, daß der Kopf allein schon hinreiche, einen würdigen Begriff von den Göttern zu geben, sondern ich glaube im Grunde meines Herzens an den Rumpf, wie an die Wesentlichkeit des Kopfes. Dennoch ist es über allen Zweifel gewiß, daß die Extremitäten der Götterleiber nur zur Versinnlichung ihrer mystischen Zufälligkeiten, ihrer geringfügigen Abenteuer, ja ihrer kleinen Inconsequenzen bestimmt sind. Das Antlitz aber ist der Spiegel ihrer höchsten Vollkommenheit. Hier knüpft sich an jeden Zug eine Reihenfolge der ernstesten Betrachtungen. Hier etwas ändern, heißt die Nägel ausziehen, welche den Himmel über der Erde festhalten. Die Götter wissen Alles. Was heißt das? An ihren Augen darf sich nicht die entfernteste Beschränkung zeigen. Wie? wenn es dem Frevler dort zu meinen Füßen einfiele, das Auge der Götter mit dem Augenliede halb zu überziehen, oder sie mit den Wimpern der Menschen zu überschatten? Kann Pozio nur in die Werkstätte der Tischler sehen und nicht auch in die der Posamentirer? Wenn die Hulis dem Narrain den Rücken zukehren, kann er dann nur ihren schönen Nacken bewundern, und nicht auch die Busen, die sich vorne wölben? Nein, es heißt die Allwissenheit läugnen, wenn auch nur eine Linie des Augenliedes aus der Höhle hervorsieht. Es ist uns allen bekannt, daß den Göttern die Allgegenwart in der Nase steckt. Perampor macht den Weg durch die dreizehntausend Königreiche der Erde früher, als ich einmal »Hui« sage. Es ist also einleuchtend, daß hier Alles auf die Kürze ankömmt. Eine verlängerte Nase würde an Perampor ausdrücken, daß er in der That einige Zeit braucht, um diese Reise zu machen. Nicht weniger würde das Wunder der Allgegenwart durch eine Nase in Zweifel gesetzt werden, an der beide Flügel schlaff herunterhängen. Was soll ich von den Verhältnissen sagen, in welchen die einzelnen Theile des Antlitzes zu einander stehen müssen? Es hat Irrlehrer gegeben, welche behaupteten, daß die Allmacht niemals ein Werkzeug des göttlichen Zornes seyn könnte. Heißt es nicht diesen falschen Propheten Vorschub leisten, wenn man die Zähne der Götter durch den Mund, die Drohung durch die Kraft Alles ins Werk zu setzen, verbirgt? Wenn das Kinn die Liebe, die Stirn aber die Gerechtigkeit bezeichnet, so darf in der Proportion dieser Theile nicht die kleinste Eigenmächtigkeit herrschen, da unsre heiligen Bücher sehr genau das Maß bestimmen, wie weit die Geduld und die Nachsicht der Götter reichen. Es ist eine alte Streitfrage, ob die Allgegenwart die Folge der Allmacht ist. Die heiligen Lehrer Tibets haben sie längst bejaht, und deßhalb verordnet, daß der Mund der Götter immer mit vollen Backen gebildet werde, weil auf diesem Wege die Nasenflügel anschwellen und gleichsam einen leichten Schwung bekommen. Gegen dieses tief berechnete Gebot hast du, unglücklicher Vorsteher der Götzenmanufactur von Paro, am meisten gefehlt, ungerechnet, daß seit zehn Jahren aus deiner Fabrik physiognomische Neuerungen kamen, die zuletzt den Zorn des Himmels herausforderten. Sieh her, du falscher Prophet, dieß sind die abscheulichsten Vorboten des Vernunftgottesdienstes, welchen du einführen willst! Die wahren Urbilder dieser Jammergestalten fordern Rechenschaft und dein religionsspöttisches Leben als gerechte Sühne.«

Bei diesen Worten trugen die Klosterdiener eine Reihe von Standbildern in den Saal, die wir für etruskische Ausgrabungen gehalten hätten. Sie machten dem Geschmack Hali-Jongs Ehre. Unter rauschendem Gelärm wurden sie vor ihren Verfasser hingestellt, und der Großinquisitor fragte ihn, ob er sie als die seinen anerkenne? Hali-Jong gerieth, wie immer, beim Anblick seiner Schöpfungen, in überschwengliche Freude. Er umarmte sie, wischte den Staub aus den Fugen, hielt sie gegen das Licht, um sie in der Fernsicht zu prüfen, brachte sie dann in einen Kreis zusammen, und sich selbst in die Mitte stellend, antwortete er auf die wiederholte Frage des Großinquisitors mit folgender Erklärung: »Bin ich aus meiner eigenen Haut geboren? Der Fromme wird daran zweifeln, obschon er mich immer den Sohn meines Vaters nennen mag. So erkenn' ich zwar in allen diesen Formen mich selbst als den Werkmeister an, welcher sie gebildet; aber sind sie mehr als Eingebungen eines höhern Willens? An diesen Bildern ist kein Fehl!«

»Zerschlagt sie, siedet sie, macht sie dem Erdboden gleich!« war die tausendstimmige Erwiderung auf dieß freie Selbstlob.

»Ihr seyd für die Schönheit nicht empfänglich,« sagte Hali-Jong; »man muß euch eine Süßigkeit zu kosten geben, um auf immer euren Gaumen darnach zu reizen. Ich will euch nichts von den tiefen Gesetzen, die über das menschliche Angesicht walten, verschweigen, und sie erklären, wie sie dem empfänglichsten Forscher, dem Freunde der Natur, erschienen sind. Die Bildung des Kopfes ist die erste Folge der Zeugung, deßhalb ist seine Gestalt die des Anfangs: er ist eirund. Alle Dinge der Anschauung, alle Ereignisse des Lebens, kommen auf die heilige Dreizahl zurück: Geburt, Leben, Tod; Anfang, Mittel, Ende. Deßhalb wurde das menschliche Antlitz in drei Theile gelegt, von denen ein größerer oder kleinerer Theil ein Zeichen der Unschönheit ist. Vom Scheitel der Stirn bis zum Auge ist das erste Drittel. Die Stirn ist die weite öde Fläche, auf welcher noch kein Gras der Erkenntniß wächst, kein Berg der Erfahrung sich erhebt, kein Thal der Erholung von gehabten Anstrengungen liegt. Nur das Auge wölbt sich in der Tiefe, der Spiegel einer menschlichen Seele und das Symbol der ersten Lebensregungen, des Empfängnisses fremder Eindrücke. Die Welt geht dem Bewußtseyn auf. Die zweite Lebens-Anfangsstufe drückt sich durch das zweite Drittel des Gesichts aus. Zwischen den Augen erhebt sich die Nase, und scheint unter der Oberfläche tief in der Seele zu wurzeln. Sie ist es, welche keck die Heimath verläßt und den ersten Ausflug in die Welt macht. Diese liebenswürdige Unverschämtheit, mit welcher das Kind die Dinge der äußern Erscheinung betrachtet, und weit über seinen Verstand in Alles die Nase steckt, kehrt nie wieder; es sey denn, daß bei einzelnen Personen das Kinn eben so weit hervorragt, ja wohl noch weiter geht, als die Nase. Diese Menschen mit den ungeheuern Kinnbacken werden deßhalb auch allgemein als lieblose, dreiste, hinterlistige Gesellen gefürchtet. Sie erinnern lebhaft an die Physiognomie der Affen. Wir sind noch auf dem zweiten Drittel des Gesichts, und kehren von unsrer Excursion dahin zurück. Das Vordrängen der Nase ist nur Frühreife, nur die Anregung zum eignen Denken, und daher der beständige Sitz der Phantasie. Das Innere dieses Knorpels ist hohl, es ist am äußersten Ende nicht einmal mehr durch einen Knochen unterstützt. Vielmehr wird durch das Nasenbein der Weg in die Thalgegend, welche sich um den Backenknochen verbreitet, gebahnt, und eine weite Fläche zieht sich zu der wichtigsten Partie in dem zweiten Drittelfelde. In der ersten Region lernten wir sehen, in der zweiten hören. Die frühe, vorschnelle Weisheit der Nase wird durch die geschärfte Tätigkeit des Ohres wieder gut gemacht. Es ist nicht ohne Grund, daß sich von diesem Gliede immer ein Doppelexemplar findet; denn überhaupt sind die auf die Bescheidenheit, die Belehrung, das Walten der innern Tätigkeiten, berechneten Gliedmaßen zwiefach vorhanden, wie das Auge und das Ohr, die beiden Hauptorgane der leidenden Zustände. Nach der vollendeten Ausbildung dieser beiden ersten Gesichtsdrittel, sollen wir erst wagen, in das letzte Drittel herabzusteigen, und uns dem Mund und unserm Kinn anzuvertrauen. Die wahrhafte Symbolik des menschlichen Antlitzes drückt sich darüber folgendermaßen aus: Der Mund wird von der Nase beschattet. Er sieht an den Nasenlöchern die innere Hohlheit des rücksichtslosen Hineintappens in die Welt; er hat zur Warnung dieß beständige Beispiel vor sich, wie weit die Vermessenheit gehen kann, wenn er durch wohlerwogene Worte den Ausschweifungen nicht Einhalt thut! Das Kinn endlich ist der Ausdruck der höchsten menschlichen Vollendung. Um diesen Hügel spielen alle Verhältnisse, die im Leben nur zusammentreffen, an seiner Wölbung unterscheidet der Unterrichtete die Charaktere früher, als am Auge. Die Bedächtigkeit im Reden und Handeln, die Abgeschliffenheit des Betragens, alle Tugenden des geselligen Umganges lassen sich am Kinn absehen. Man kann eine gewölbte Stirne für das Zeichen eines tiefen Denkers halten; man kann an dem kleinen Ohr die verschmitzte Laune des Schalks erkennen; man kann endlich aus den Falten, die sich um die Nasenwinkel bergen, auf gewisse Eigenthümlichkeiten im Umgange schließen; aber nichts ist für den Menschenkenner bezeichnender, als das Kinn. Hier lagern sich alle Tugenden und Laster im seltensten Vereine. Nichts ist hier offen, frei, hingegeben, sondern alles zugerichtet für das gewöhnliche Bedürfniß des Lebens. Die Tugend hat hier ihre Anspruchlosigkeit zwar nicht aufgegeben, aber sie will nicht als solche gelten, sondern nur um des schönen Scheins willen, der dadurch auf die Gewohnheit der Gesellschaft fällt, ihre Werke üben. Am Kinn ist die Tugend nicht mehr ihrer Güte wegen, wie am Auge da, sondern um ihrer Schönheit willen, und das Laster, das sich an der Nase offen gibt, ist hier verbannt, weil es häßlich ist. Beim Kinn beschwört man das Mitleiden, eine Tugend, die auf den geselligen Umgang einen so blendenden, wohlgefälligen Schein wirft. Die Folge der Convenienz ist die Protection, die Gefälligkeit, die Dienstbereitwilligkeit, kurz die Grundlage aller gesellschaftlichen Höflichkeit, und deßhalb wird man immer bei dem Barte, welcher das Kinn bedeckt, seine Versprechungen geben. Weil man nur durch ein empfehlendes Kinn einen tüchtigen Ritt durch die Welt macht, so ist es ganz natürlich, daß die Kinnbacken die Form eines Sporns haben. Was läßt sich nach diesen Erläuterungen noch von den Bestandtheilen des Mundes Triftiges sagen? Die Ober- und Unterlippe gehören zweien Welten an, die wie Himmel und Erde auseinander liegen. Die Oberlippe liegt fast noch in jenen Reichen der Unbefangenheit, wo das Auge nur zu sehen, das Ohr nur zu hören hat; wo man ihre Weisheit der Nase darum verzeiht, weil sie der Sitz der Phantasie ist. In der Oberlippe ist noch Jugend, ungefesselte Begierde, die ganze Ansteckung des Gliedes, welches über ihr liegt, und weil sie noch ohne Gesetz und Regel verfährt, und mit sich selbst nicht im Klaren ist, so hat die Natur ihren Zwiespalt auch dadurch bezeichnet, daß sie aus zweien, durch ein verführerisches Grübchen getrennten Theilen besteht. Der eigentliche Reiz des Kusses liegt in der Berührung der Oberlippen, und nur die erste, stürmische, geschlechtsüberraschte Jugend vermag überhaupt aus dem Kusse die höchste Seligkeit zu trinken. Die sentimentale, entsagungsselige platonische Liebe ist auch nur bei weit auseinander stehenden Lippen möglich. Hier hat sich das Herz noch nicht zu dem Verstande gefunden, das Gefühl ist noch in der Gährung begriffen, die Rücksichten legen noch kein Gewicht in die Wagschale der Entschließungen, und man sollte sich nicht eher verheirathen, als bis man die Lippen zu schließen versteht; denn die Unterlippe fesselt das Gefühl an die Umstände, unter denen es ihm erlaubt ist, sich zu äußern. In ihr liegen die Uebergänge zu der kalten Berechnung des Erlaubten und Schicklichen, zu den Geboten, welche die Sitte, die Mode und der gute Ton vorschreiben; zu den Grundsätzen, welche man entweder selbst annehmen muß, oder man gezwungen ist, an Andern zu berücksichtigen; kurz zu der weltlichen Klugheit des Kinns. Bei jenen Menschen, welche über ihre Leidenschaften zu siegen wissen, wird auch die untere Lippe die obere beherrschen; sie wird nicht schlaff herunterhängen, und noch weniger von der obern nach der Sitte sinnlicher, unerfahrener Gefühlsmenschen überbissen werden. So liegt in den unscheinbarsten Einzelnheiten ein tiefer Zusammenhang. Dieß ist die wahre Mystik der Gesichtsbildung, für welche ich mit Freuden untergehe. Sie auch auf die Götter anzuwenden, was hinderte mich daran? Da ist kein Unterschied als der der Unsterblichkeit; denn auch die Götter wurden jung geboren und gesäugt an den Brüsten einer Ziege oder einer Hirschkuh oder einer Wölfin. Auch sie zogen auf Erfahrungen aus und ließen sich in Abenteuer ein, zu denen sie ihrer ganzen Götterkraft bedurften, um aus ihnen mit unversehrter Haut herauszukommen. Auch zu ihnen traten die Leidenschaften, und die Liebe warf sie zu Boden. Ihre Küsse waren schneller als ihre Ueberlegung. Der Eine erfreute sich nicht immer der Vorzüge des andern. Zorn und Milde wechselten hier schneller ab; da verdrängten sie sich, dort blieb nur für eines derselben Raum. Ich kenne die Geschichte meiner Götter, und nach ihr hab' ich eines jeden Gesichtszüge modellirt. Konnt' ich anders? – Nein. Hier stehe ich; ich bin bereit, mit meinen Werken zu Grabe zu gehen.«

Der arme Hali-Jong! Mit dieser langwierigen Begeisterung für eine Lichtseite der Kunst, glaubte er die Anklagen des Fanatismus zurückzuweisen. Seine Sache war verloren. Die Mönche begleiteten jede seiner Auslegungen mit einem Zetergeschrei, das immer mehr anwuchs, und ihm zuletzt ein nothwendiges Schweigen auferlegte. Die Wahnsinnigen, welche die Ansteckung fürchteten, waren von ihren Sitzen aufgesprungen, stürmten die Schranken und fielen über den überwiesenen Verbrecher her, dem seine Götterwelt nur einen schwachen Schutz gewährte. Der Großinquisitor konnte der Erbitterung keinen Einhalt mehr thun; Hali-Jong hatte sich durch seine Rede über die drei Drittel des Gesichts selbst verurtheilt; und es war nur eine leere Förmlichkeit, daß er noch über den Ketzer den Stab der Verdammung brach.

In dieser merkwürdigen Verhandlungsscene gaben Gylluspa und ihre übrigen Väter stumme, regungslose Zuschauer ab. Die Verteidigung, deren sich Hali-Jong bediente, war für sie so unverständlich, daß die Zeichen des Erstaunens über seine seltsamen Reden durch die Hoffnung, er möchte durch sie vielleicht seine Unschuld erweisen, gemildert wurden. Die entrüstete Art jedoch, wie man seine Auseinandersetzungen allgemein aufnahm, konnte ihnen den Erfolg derselben schon unzweifelhaft machen.

Niemand mußte von dem drohenden Ausgange Hali-Jongs mehr ergriffen seyn, als Gylluspa. Sie hatte den Vater am äußersten Rande des Verderbens gesehen, als sie ihn gegen Alles geschützt glaubte, um wieviel weniger konnte sie auf Rettung hoffen, wo Alles schon verloren schien. Mit Recht dachte sie an die Anstrengungen des Schamanen, von dem sie wußte, daß er nichts unversucht lassen würde, wenn es sich um die Erhaltung eines ihr theuren Kleinods handelte. Aber sie hatte Ursache, auf die Fruchtlosigkeit derselben zu schließen, nachdem die vorangegangenen Bemühungen alle fehlgeschlagen, und selbst der Schutz des Dalai Lama ohne Erfolg beschworen war. Was blieb Gylluspa von dem Dalai Lama selbst zu denken übrig? Sein sterblicher Theil war derselbe Freund, der Alles für sie gewagt hätte. Und selbst in der Fülle seiner Gottheit hatte er nicht verschmäht, sie mit der alten Liebe zu umfangen. Konnte ihre bedrängte Lage ihm verborgen seyn, dem Allwissenden? Konnte dem Allmächtigen die Macht gebrechen, ein rathloses, unschuldiges Opfer, das zuletzt doch nur ihm dargebracht wurde, vom Tode zu retten?

Die Lage Gylluspa's war aber noch eigenthümlicher, als wir es beim ersten Anblick errathen können. Ihre Liebe zu Maha Guru blühte mit frischen, leidenschaftlichen Farben in ihrem Herzen. Sollte man glauben, daß diese Neigung mit den Wünschen, welche ihre kindliche Hingebung für das Wohl Hali-Jongs hegte, im vollsten Widerspruche stand? Das Wiedersehen Maha Guru's hatte ihrer lange unbefriedigten Sehnsucht verständliche Worte gegeben, sie mußte sich in den Armen ihres Jugendfreundes gestehen, daß in ihm ihre Träume und Gedanken lebten. Aber die Umstände, unter denen sie ihn wieder sah, sein himmlisches Avancement, seine entschiedene Geschlechtslosigkeit, mußten sie in eine Verzweiflung stürzen, welche mit dem Maße ihrer Liebe wuchs. Es war ein Verbrechen, daß Gylluspa ihren König und Meister mit sinnlicher Liebe umfing? Was stand ihr also mehr im Wege, als Maha Guru's Lamaität? Es war hier nicht von unwesentlichen Standes- und Ranges-Verhältnissen die Rede, nicht von dem sogenannten Urtheile der Welt, über welches sich Liebende bald hinwegsetzen, ja vielleicht nicht einmal von dem festen Gedanken an die Möglichkeit Maha Guru zu besitzen; sondern Gylluspa, ihrer tibetanischen Bildung folgend, schien sich über die Sündhaftigkeit einer solchen Neigung Rechenschaft ablegen zu wollen. Sie schauderte vor einem Herzen, das sich dem Höchsten, Allerheiligsten mit sinnlicher Inbrunst nahte. Was mußte daraus folgen? Ihre Liebe ließ sich nicht wegläugnen, wohl aber die Hindernisse, die ihr entgegenstanden. Gylluspa's Seele wurde von Zweifeln zerrissen. War Maha Guru in der That jener Träger des Erdballs, der allen Ursachen und Wirkungen seine Gesetze gibt? Warum vermochte der, welcher das Haar auf den Häuptern aller Menschen gezählt hat, nicht das Leben eines Einzigen zu retten? Warum konnte es Anmaßungen geben, für die er keine Blitze hatte, um sie zurückzuschmettern? Hier brachen sich die Interessen, welche für den Vater und den Geliebten nicht mehr dieselben waren. Die Rettung Hali-Jongs schien seiner Tochter die Götterprobe, von welcher die Unglückliche bald wünschte, daß sie Maha Guru bestünde, bald, daß sie gegen ihn zeuge. In jenem Falle war ihr Vater gerettet, in diesem ihre Hoffnung auf Maha Guru. Der Preis, um welchen ihr dann das Leben ihres Vaters erkauft schien, war die Entsagung einer glühenden Leidenschaft und die Verzweiflung des Schamanen; der zweite Preis, um welchen sie ihre Liebe rettete, war der Tod des Vaters. Blieb ihr in diesem fürchterlichen Dilemma etwas Anderes übrig, als aus dem Kampfe der schrecklichsten Momente zu fliehen, und ihre zitternde Seele in die dunkle Kammer der regungslosesten Apathie zu bergen?

Es war Nacht um Gylluspa. Dämmernde Gestalten gaukelten an ihren gefangenen Sinnen vorüber. An ihr Ohr schlug es, wie das dumpfe Gemurmel eines fernen Stromes. Wenn sich ihr Auge öffnete, entluden sich die Strahlen als Blitze, welche durch die schwarze Finsterniß fuhren, und im Vorüberflug eine theure Gegend erhellten. Gylluspa war in dem Thale von Paro, mit ihren Blicken die fernen Zinnen von Dukka Jeung verfolgend. Eine Fahne wird auf der höchsten Kuppe aufgesteckt, ihr Herz pocht in freudigeren Schlägen. Ein Nachen fährt über die blauen Wellen des Pa-Tschieu, er landet, und eine Schaar von Jünglingen entsteigt ihm, der herrliche Maha Guru an ihrer Spitze. Die Mädchen von Paro versammeln sich, und die Tänze des Hulifestes beginnen. Die rothen Kugeln verfolgen die jauchzenden Mädchen, aber Maha Guru's Blätter färben nur Gylluspa's Wangen. Wo blieben die Gespielen? Sie verschwinden lachend, und die Liebenden wandeln einsam an dem Ufer des Pa-Tschieu. Weiße Lotosblumen schwimmen auf den stillen Wassern, sie entwurzeln sie dem schlammigen Boden. Sie knien in der Götzenhalle von Dukka Jeung. Die schönste Lotosblüthe duftete vor dem ehernen Bilde Mahamuni's. Wer zählt die stillen Seufzer, welche den jugendlichen Herzen entquillen! Wer die frommen Gelübde, welche sie mit ihren Lippen besiegeln! Die Thränen in Gylluspa's brennenden Augen brechen die Bilder, und verrücken sie ineinander. Der Götze Mahamuni ist entschwunden, und in dem Kelche der Lotosblume schlummert ein göttergleicher Knabe. Soll sie den Traum der Pflanze stören? Ihr Auge ruht mit Entzücken auf den blendenden Gliedern des Knaben, sie spielt in seinen dunklen Locken, und Maha Guru erwacht aus dem betäubenden Blüthendufte. Warum löst aber das Entzücken des Wiedersehens die Fesseln der Zunge nur zu Schmerzenslauten? Hat sich je die Ueberraschung ringender Umarmungen bedient? Gylluspa träumte von einem Kampfe mit Maha Guru. Ihre Küsse waren nur Eroberungen, die sie bald machte, bald zurückschlug. Ihr Busen hob sich mit einer Heftigkeit, die für Wonneschauer der Liebe zu stürmisch, ja eine Anstrengung der Verzweiflung war. Sie sah ein Schwert zucken. Führte der Geliebte den Griff? Lag es in ihrer Hand? Wehe! ein blitzender Schein war der Vorbote eines purpurrothen Blutstrahls, der aus Maha Guru's durchbohrtem Herzen fuhr.

Gylluspa lag in den Armen ihrer klagenden drei Nebenväter. Mit einem Schrei des Entsetzens und dem gebrochenen Auge war sie zurückgesunken. Das ferne Rauschen, das sie im Traume gehört, war zu einem mächtigen Strome angewachsen, der sich über ihre betäubten Sinne ergoß. Die sechsfüßigen Trompeten stießen ihre zerschmetternden Disharmonien aus; die Paukenschlägel wirbelten auf den unermeßlichen Kalbsfellen, und die metallenen Becken wurden zusammengeschlagen, daß die Wölbungen des Saales zitterten. Die Priester aber erhoben ihre Stimmen zu einem unsäglichen Freudengeschrei, und riefen sich über die Schranken wechselseitige Grüße zu, und beglückwünschten die Götter, daß sie ihnen einen Tag des Wohlgefallens bereitet hatten. Ein blutiger Rumpf diente ihren entzückten Fingerspitzen zur Zielscheibe. Hali-Jong war nicht mehr.

 

Ende des ersten Theiles.

 


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