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Zweites Kapitel

Michael Herz

Michael Herz konnte man beim ersten Anblick für dasjenige halten, was man mit den triftigsten Gründen eine »gemeine Geldseele« nennt. Sein Äußeres deutete auf höchst »schäbige« Grundsätze. Er war klein, nicht gerade häßlich, aber auch nicht im mindesten anziehend, auf alle Fälle für die Rolle eines Schiffers auf dem Comer See der Ideale in jeder Beziehung ungeeignet. Er hatte stechende Augen, eine große Stirn, die an den Schläfen schon graue, auf dem Scheitel gar keine Haare mehr zeigte. Er trug einen großen modernen Bart, den er nur im ersten Jahr seiner Ehe mit einiger Sorgfalt pflegte und färbte, später vernachlässigte er ihn und ließ ihn getrost in Melange spielen; nur zuweilen, wenn die Schwiegereltern ein Diner gaben oder das junge Paar irgendwo standesgemäß ausgebeten war, machte er ihn noch zum Gegenstand philokomischer Studien. Seine Gesichtszüge waren mager, stark mit Furchen durchzogen. Sein Gang, wenn er mit der Zigarre auf sein in einem entlegenen Teil der Stadt befindliches Comptoir wanderte – er hatte sich neben dem sich von selbst verstehenden Börsenspiel eine kleine industrielle Spekulation fast mehr zur Unterhaltung als aus Bedürfnis zugelegt – war von den Grazien verlassen und zeichnete sich nur durch eine Art nonchalanter Sicherheit aus.

Sicherheit war überhaupt der Charakter seines ganzen Wesens. Er war so sicher in sich selbst, daß er sogar Witz und Scharfsinn geltend machen konnte. Mannigfach hatte er schon die Welt kennen lernen und vieles beobachtet. Michael Herz trieb Nationalökonomie, höhern Merkantilismus, Freihandel, Politik und zeigte innerhalb dieser Sphäre sogar die ihm sonst fehlende Leidenschaft. Endlich würde man ihm durchaus himmelschreiendes Unrecht antun, wenn man ihn etwa einen Verächter des Schönen genannt hätte. In den Wissenschaften hatte er solide Grundlagen gelegt. In Morgenstunden las er vielerlei und oft bis spät in die Nacht. Am liebsten englisch und französisch. Der Geschmack seiner alten und neuen Freunde war nicht immer der seinige. Anfangs lächelte er über die Schwärmerei seiner verlobten Braut, aber auch über die scherzhaften Einfälle der Oberflächlichkeit, die dem Witz eben auch alles opfern wollte. Er ließ sich die Späße munden, die auf der Börse am glücklichsten zufällig, minder glücklich privilegiert gemacht werden; mit banalen Phrasen war bei ihm keineswegs alles abgetan. Michael Herz forschte den Quellen nach. Vieles auf der Börse Bespöttelte erfüllte ihn mit Achtung, wenn er auch scheinbar die Abneigung dagegen teilte, die dem Geschäftsmann zukommen soll.

Wir fürchten, zu weitläufig zu werden, wenn wir fortfahren wollten, diese Eigentümlichkeiten weiter zu zergliedern. Nur noch die eine Eigenschaft wollen wir erwähnen, daß Herz in den ersten grobem Umrissen seiner Toilette genau war, den Luxus der weißen Wäsche und die, wie man sagen könnte, Pedanterie der Reinlichkeit bis zum Exzeß trieb und nur im übrigen elegantern Teil der Toilette, in Westen, Halsbinden, Schlips, Röcken und Paletots den Zyniker spielte. Ein Paar schwarze doppelnähtige Handschuhe trug er oft mehrere Monate. Und schon vor seiner Ehe pflegte er zu sagen: »Ich war einige Jahre in Paris und London Elegant und habe zu dem Ende die unsinnigsten Depensen Ausgaben gemacht.« Ich putzte mich heraus, als hätte es keine Antikensammlung im Louvre gegeben, keinen Antinous. Ich bildete mir ein, mit neuen Krawatten, seidenen Westen, Schlipsen, Burnussen, Abdelkaders und troddelbehängten Paletots unwiderstehlich zu sein, und merkte nicht, daß jede Grisette über mich lachte. Meine pygmäische Figur, mein konfisziertes Gesicht, meine Policinell-Manieren, nichts von alledem ließ sich durch die Rechnungen der ersten Schneider und Modehändler verbessern. Für jährlich dreitausend Francs glaubt ich ein Adonis zu sein und war ohne Zweifel nur ein unfreiwilliger Komiker. Seitdem habe ich diese Methode, Interesse zu erregen, aufgegeben. Ja, ich fing an, gerade da erst Eindruck zu machen, als ich jeden Rock so lange trug, bis sich eine hellere Schattierung an den Ellenbogenspitzen einstellte. Meine Ehe fange ich wahrscheinlich auch einst mit dem System der Adonisierung an. Komme ich aber zu meiner Frau zum Kaffee, in einem Schlafrock von blauem Sammet mit gelben Schnüren und hängenden Troddeln, komme ich mit einem türkischen Fes von roter Seide mit silbernen Fransen und erlebe nicht, daß sie augenblicklich in Ohnmacht fällt, so will ich mich anheischig machen, zeitlebens im Hause den Hanswurst zu spielen. Aber nein, meine Lieblingstoilette, grau in grau, wird mich ihr vorläufig im Comptoir bedeutender erscheinen lassen. Auch werden gute Zigarren meinen Eindruck zu unterstützen genügen, und eines Tages wird sie mich lieben, sogar, wenn man mich eine lebendige Mumie nennt und mich für unwürdig erklärt des Besitzes einer jungen blühenden Frau, die eine Haut wie Pfirsiche hat.«

Sollte sich Leontine Simonis in die Natur eines solchen Gemahls haben finden können? Sind hier keine Kämpfe vorgekommen? Ging die Verständigung in gemütlicher Gewöhnung vonstatten? Lassen wir die Tatsachen sprechen. Schon in Pyrmont verriet Leontine, wie wenig Michael Herz der Mann ihres Herzens war. Der scharfblickende, schon lange in die dreißiger Jahre eingerückte Mann bemerkte eine ihm, wenn auch nicht bis zur Verweigerung der Hand, doch bis zu einer gewissen sogleich vernehmbaren Dissonanz ungünstige Stimmung. In Pyrmont und später in der Residenz, wo das Elternpaar Leontinens wohnte, hatte er einige Sorgfalt auf sich verwendet; sein Schicksal war aber eben das, geringfügig zu erscheinen, wenn er es andern an Sorgfalt und Geschmack nachtun wollte. Sich so zu geben, wie es sein zweites Pariser System war, konnte er noch der Eltern und der Neuheit wegen nicht wagen. Besaß er doch auch Ehrgeiz. Nicht den Ehrgeiz, sich schwärmerisch geliebt sehen zu wollen; er besaß den Ehrgeiz, seiner Gattin nicht zu gestatten, daß sie sich ihm gegenüber als etwas Apartes gab, daß sie eine Welt für sich beanspruchte, ein Dasein für sich oder wenigstens eine Lebensauffassung bedeutenderer Art, in welche er wie in ein Heiligtum nicht eintreten durfte. Da phantasierte Leontine am Flügel in schwärmerischen Akkorden! Sprach von Büchern, die er allerdings nie gelesen, auch nicht lesen mochte, so schön sie in Goldschnitt eingebunden auf den Tischdecken der Zimmer lagen! Aber ihm ein »Deine Welt ist das Comptoir!«? Leontine sprach Französisch und Englisch lange nicht mit jener Gewandtheit, die ihm wünschenswert erschien, um so mehr, da er Pläne hegte, vielleicht in Zukunft im Ausland zu wohnen und Geschäfte an Handelsplätzen zu machen, wo man die Chancen in erster Hand hat. Ihr ganzes Wesen war ihm zu zerflossen und sentimental. Und was bei Allzugefühlvollen immer der geheime Schaden ist, es entging seinem Scharfsinn nicht, daß dieser Schwärmerei eine große, ihm gefährliche Einbildung von sich selbst zum Grunde lag. Michael Herz erfuhr dann auch von dem Verhältnis zu Doktor Moritz Sancho.

Freilich hatte man ihm nicht sagen können, daß zwischen diesem jungen Gelehrten und seiner Verlobten ein Band gegenseitiger Verpflichtung bestand, aber die Art, wie die Eltern diesen Namen aus den Listen der Einladungen strichen, die satirischen Anmerkungen, womit Leontinens Brüder den dichterischen Genius des schönen und, wie er bemerkte, in der Gesellschaft bevorzugten jungen Mannes zur Erwähnung brachten, öffneten ihm die Augen. Unverkennbar wurde ihm, daß ihm Leontine auf diesem Wege geistiger Untreue, den sie schon einschlug, eine Zukunft bereiten würde, die ihn auf die Stufe der geduldeten Ehemänner stellte. Ehrgeiz kämpfte dagegen bei ihm ebensosehr an als wirkliche Liebe. Er hatte an seinem Weibe Gefallen. Er liebte Leontinen. Denn gerade die Verschiedenartigkeit ihres Wesens von dem seinigen hatte ihn angezogen. Mußte er freilich nach seinem System ihre Entzückungen über den gestirnten Himmel und die Mondscheinnächte auf dem Comer See töricht finden, so haben doch zu allen Zeiten, selbst auf die Verständigsten, solche poetische Manifestationen verlockend und anziehend gewirkt. Er beherrschte sich; er verriet nicht, was er fühlte. Die tiefe geistige Ablehnung, die in »Madam Michael Herz« für ihn lebte, tat ihm wehe. Er sann hin und her, wie er es durchsetzen sollte, daß sich Leontinens Seele in ihm zurechtfände, auch ihn und sein Lebensprinzip gelten ließe und sich von ihrem, für sich nannte er es so, dummen geistigen und gefühligen Vornehmerseinwollen trennte. Er zweifelte nicht, daß die äußere Treue seines Weibes unverletzt blieb; aber das hinderte nicht, daß er sich unglücklich fühlte und nicht vor seinen Verwandten daheim mit derjenigen Miene bestand, die sie an ihm zu sehen wünschten.

Die Hochzeitsreise hatte das Gute gehabt, daß wenigstens Leontine etwas Achtung vor ihres Mannes praktischer Umsicht gewann. Sie erkannte sehr bald, daß ein so sicheres und durchaus nicht vorlautes oder eine zartere Natur in Verlegenheit bringendes Auftreten in Gasthöfen und auf Eisenbahnen, wie Michael Herz es eigen war, nur die Folge der Lebenserfahrung und Weltroutine sein konnte, und zuweilen gewann es ihr eine Art Bewunderung ab, wie sicher und plangemäß diese Reise nach der Schweiz und den schönsten Teilen des deutschen Österreich angeordnet war im Vergleich zu dem Geschrei und dem Durcheinander, wenn sie mit ihren Eltern reiste. Auf einer so kurzen Fahrt wie nach Pyrmont war sie jährlich gewohnt gewesen, daß die Familie Simonis drei Rückenkissen und ebensoviel Handtaschen da und dort hatte liegen lassen, mitten im Fluge des Dampfwagens von Anhalten sprach, nach allen Kondukteuren rief und sich nicht selten entschließen mußte, um gestickte Sacktücher und lederne Luftkissen telegrafische Depeschen hin- und herspielen zu lassen. Diese bodenlose Unsicherheit, diese mitten im schönsten Genusse bei ihren elterlichen Reisen vorkommenden Aufschreie und Schrecken aller Art fielen bei Michael Herz weg. Das junge Ehepaar reiste allein, nur in Begleitung einer einzigen Dienerin, und alles ging vortrefflich. Michael rauchte seine Zigarren, fand, was man besichtigte, mehr oder minder merkwürdig und verbreitete ein so behagliches Gefühl der Sicherheit, daß sie ihm im stillen das Zugeständnis wenigstens eines praktischen Mannes, mit dem sich leben ließ, nicht verweigern konnte.

Nach Hause zurückgekehrt, stellte sich freilich das Gewonnene bald in Frage. Den Schwiegereltern machte der Gatte nicht Effekt genug, und als endlich ein Sohn geboren war und es nun erst recht den Anschein hatte, als wenn Leontine mit jetzt noch gesteigerter Gleichgültigkeit für ihn und sein Bedürfen nach Gemütlichkeit sich wieder alleinstellen und die Nahrung ihres geistigen Seins aus tausend anderen Hülfsquellen, und wohl gar aus Bekanntschaften mit Männern im Geschmack Moritz Sanchos, nur nicht aus ihm suchen würde, da nahm er sich vor, dieser Gefahr der Unterordnung ein für allemal zu begegnen.

Wie begegnet nun ein Mann der möglichen Untreue seiner Frau? Es ist eine Aufgabe für die Psychologie.

Ein ernstes oder wohl gar gemütliches Wort mit Leontinen, eine Bitte um Verständigung, die Beteuerung seiner Liebe – ach! das schien ihm höchst gefährlich, war auch seinem Charakter widersprechend und würde nichts gefruchtet, das Übel nur ärger gemacht haben. Denn, sagte er sich, wie selten überlegen die Männer, daß sie mit allem, was sie sozusagen um Gottes willen von ihren Frauen verlangen, Fiasko machen! Die Lehre vom Hebel sagt uns schon, daß wir die Mittel, Wirkungen hervorzubringen, nicht an der Stelle suchen müssen, wo die Wirkungen selbst stattfinden sollen. Die Liebe und die ganze Hingebung einer Frau muß an einer andern Stelle hervorgebracht werden als auf dem Boden, wo man sich ihr allenfalls zu Füßen wirft! Er sann, was beginnen. Und es war Zeit. Die Zerstreuungssucht seiner Gattin war im besten Zuge. Das Zerfließen, Schwärmen, Musizieren, Lesen nahm kein Ende. Alles hatte den Anstrich einer geistreichen Vornehmheit und exklusiven Nichtachtung seiner kleinen Person angenommen; er mochte nicht spotten, reizen, opponieren, zum Beispiel in der Zukunftsmusikfrage, wo sich seine Gattin wie eine Närrin gebärdete, aber ein Ende nehmen mußte dieser Zustand doch. Er durfte sich wahrhaftig sagen, daß sein Wesen der Mühe schon wert war, erforscht und zur Richtschnur des Hauses genommen zu werden. Er wollte Vertraulichkeit, Herzlichkeit, Hingebung desselben Gemütes, das sich für alles in der Welt erwärmen konnte, nur nicht für ihn.

Um zu diesem Ziele zu gelangen, verfiel er auf ein in dieser Art gewiß selten mit Bewußtsein ausgeführtes, wenn auch wohl schon vorgekommenes Mittel. Er impfte seiner Gattin eine andere Leidenschaft ein.

Michael Herz sagte sich: Es muß etwas in Leontinens Seele einziehen, was Kraft genug besitzt, die bösen Geister der Eitelkeit, des geistigen Hochmuts und der Gefühlsschwelgerei zu bannen! »Vernunft«! Ein schönes Wort! Unmittelbar läßt sie sich keinem einreden. Zank und Lärm sind verdrießlich; die Nachbarn haben den meisten Vorteil davon. Eine Vorspiegelung, daß wir uns einzuschränken hätten, könnte meinem Kredit schaden. Überhaupt wird alles vergebens sein, was etwa aussieht wie die Notwendigkeit, Leontine sollte in sich eine Tugend ausbilden, ein System ändern. Gott, was sind »Tugenden«! Meist nur die Resultate glücklich zusammentreffender Umstände. Das beste ist, was uns angeboren wurde. Wo das Angeborene nicht gut ist, da muß man sich eingestehen: auf die Tugend hin erziehen kann man gar nicht! Nur den Unarten kann man begegnen oder den Unarten eine bessere Wendung geben. Und wie begegnet man den Unarten? Ich denke – so wie man Krankheiten bekämpft. Die Arzneikunde gibt Aufschlüsse darüber. Um den Verheerungen ansteckender Krankheiten zu begegnen, impft man dazu die Neigung ein. Man gibt Gift, um Gift auszutreiben. Das Gift würde einen gesunden Zustand zerstören, aber einen kranken heilt es. Das Gift und die Krankheit kommen in Konflikt, und über dem Kampf beider Gegensätze gewinnt die Heilkraft der Natur hinlänglich Oberhand, um sich zwischen beide Mächte werfen und ihrem Streit durch die wiedererwachte Gesundheit ein Ende machen zu können!

Also philosophierte Herz. Und daraufhin impfte er seiner Gattin etwas nicht besonders Schlimmes, aber auch nicht besonders Gutes ein, nämlich – den Geiz.

Er hatte bemerkt, daß seine Frau nicht das mindeste Talent zur Wirtschaftlichkeit besaß. Man hatte ihr den Bestand eines Hauswesens so bequem als möglich eingerichtet. Es war ihr in ihrem Hauswesen eine Maschine übergeben worden, die, einmal angestoßen und durch das aufgeschüttete Wochengeld in Bewegung gesetzt, seit geraumer Zeit wie von selbst ging. Und doch war ihm an Leontinen aufgefallen, daß sie einen gewissen Charakterzug nicht gerade des Neides oder der Mißgunst, doch etwas dem Ähnliches an sich entdecken ließ. Und richtiger ausgedrückt war diese Eigenschaft vielleicht nur eine angeborene Gerechtigkeitsliebe. Sie hatte Sinn für das Maß, das Billige, Gerechte. Diese Anlage brachte ihr Schönheitssinn mit sich. Schon bei den Eltern polterte sie oft in's Wirtschaftliche hinein, und später fiel es Michael auf, daß Leontine, wenn es bei ihnen Gesellschaft gegeben hatte, die Speisen, die man abtrug, er hätte sagen mögen, listig überwachte und von bessern Gerichten nur geringe Anteile oder nichts an die Dienstboten gab. Ihm selbst, der einen angeborenen großmütigen Sinn hatte, waren bei erster Beobachtung diese kleinen Charakterzüge unangenehm. Er schalt darüber oder verlachte Leontinen. Bei ernsterer Überlegung entdeckte er, daß hier einem Fehler scheinbarer Mißgunst ein guter Trieb zum Grunde lag, der in Leontinens Erziehung nicht ausgebildet worden war. Das junge Mädchen hatte Notentakte, nicht Geld zählen lernen, und doch hatte sie einen hohen Begriff vom Gelde. Kam sie in die Lage, als Kind schon, einen Gegenstand nach seinem Geldwert anzuschlagen, so taxierte sie ihn sicher geringer, als er wert war, und erschrak über die hohe Summe, wenn man die rechte, nannte. Ihren Brüdern hielt sie fortwährend deren Verschwendung vor. Unter dem Zorn derselben mußte sie leiden, wenn sie sich in die Streitigkeiten mischte, die oft genug unter ihnen über den Bedarf an Geldmitteln ausbrachen. Michael Herz begann sein System. Die sich nach ihrem ersten Kinde erst recht zur Schönheitsfülle entfaltende Frau gab Gesellschaften und liebte es, deren zu geben. Sie scherzte und lachte gern. Man hatte einen Kreis von bekannten Namen um sich versammelt, und jeden, von welchem man nur einmal eine Auszeichnung empfangen, lud man zweimal wieder ein. Leontine war bei solchen Gelegenheiten die Frau von Geist, Poesie, Gemüt, Seele, die große Pianoforteschlägerin, die anonyme Dichterin, während Michael Herz nur die Honneurs des Äußerlichen machte. Sie war so in einen Strudel geraten, daß nur die Anmeldung fehlte: Herr Doktor Moritz Sancho wünscht seine Aufwartung zu machen!, sie wäre aufgesprungen, in ihr Kabinett gerannt, hätte ihr klopfendes Herz mit der Linken gehalten, mit der Rechten kokett an ihrer Haube die langen rotseidenen Bänder geordnet und ihn lächelnd empfangen.

Im Theater, in Konzerten hatte sie auch Sancho in der Tat schon oft mit Augen beobachtet, die wieder die ganze Glut seiner alten Liebe aussprachen. Er grüßte nicht – denn einem tiefen Groll seines Gemütes, der übrigens verflogen war, mußte er zum mindesten nicht den äußeren Anschein entziehen; aber die kleine unscheinbare Gestalt Michael Herzens mit ihrer nachlässigen Haltung neben der reizenden jungen Frau hätte ihn an sich nicht gehindert, seine Gefühle deutlicher kundzugeben. Es war nur ein inneres Zagen, die Scheu vor Leontinens Glanz und Reichtum, die ihn von dem wieder mächtig auftauchenden Ideal seiner Träume entfernt hielt. In diese Zeit fielen Michael Herzens seelenkünstlerische Experimente. Sie gelangen mit überraschendem Erfolg. Sonst hatte er Fülle und Reichlichkeit befördert, hatte geschmollt, wenn die Reste eines Balls oder Diners zu rasch verschlossen oder kleinlich und ängstlich gehütet wurden; jetzt fing er an, seine Gattin darin gewähren zu lassen. Damit nicht genug, er brachte eine ökonomische Frage nach der andern aufs Tapet. Auf die harmloseste Art warf er kleine Alternativen von Mehr- oder Minderausgaben hin, ließ Aussichten über Gewinne oder Verluste fallen und schilderte wie zufällig die Vorteile, die sich ihm im Geschäft wie von ungefähr gemacht hätten. Es hätte ihn beinahe erschrecken sollen, wie sehr diese geheime, in Leontinens Seele gelegte Mine Fortschritte machte. Explosion der in ihr aufgehäuften geheimen Stoffe folgte auf Explosion.

Zum Glück war Michael Herz von aller Kleinlichkeit selbst so weit entfernt, daß er mit der Zeit der immer mehr sich steigernden Entwickelung seiner Gattin zum Geiz steuern mußte. Er sagte sich: Wollt ich doch nur das Übermaß der Sentimentalität aus dem Herzen saugen, ganz austrocknen wollt ich's ja nicht! Er hütete sich, wie in tausend Fällen geschieht, mit seinem Weib in einem gleichen Triebe der Mißgunst und des Geizes zusammenzuschrumpfen. Oder wer hätte nicht schon junge Eheleute bemerkt, die noch eben, kaum verheiratet, lieblich und poetisch erschienen und nach wenig Jahren durch allerlei kleinliche Neigungen, wie sie das Zusammenleben herbeiführt, etwas Peinliches, Lauerndes, Pedantisches, Gemessenes, Unpoetisches bekommen? Herz begnügte sich mit der überraschenden Vertraulichkeit, die sich plötzlich wenigstens in einem Punkte zwischen ihm und seiner Frau herausstellte. Immer hatte letztere jetzt kleine Pläne, etwas im geheimen zu betuscheln, bald gegen diese, bald gegen jene Tradition der Küche oder der Wäsche oder des übrigen Hausverbrauchs Protest einzulegen und Ähnliches, wofür sie dann einer Anlehnung, eines Mitverschworenen, eines geheimen Verbündeten bedurfte. Mit klügstem Takt geschah es, daß Michael den Reiz des Geheimnisses, der ihn plötzlich mit seiner Gattin verband, nicht mißbrauchte. Und eine Gefahr trat ein: Konnten nicht für immer – die Grazien verloren gehen?

In die gewaltige Gärung, in welche Leontine durch die Seelenkünste ihres Mannes versetzt wurde, fiel die Geburt ihres zweiten Kindes. Es war ein Mädchen. Die Eltern waren glücklich über ein Pärchen. Es ging alles nach Wunsch. Michael klagte schon nicht mehr. Leontine hatte sich plötzlich auffallend verändert, ohne daß es die Eltern begreifen konnten. Und ob es Leontine wohl selbst begriff? Sie lebte so hin in geistiger Dämmerung.

Sechs Wochen nach Ankunft der kleinen Rahel fuhr die Mutter aus. Es war ein wundervoller Frühlingstag. Der Wagen ging nur langsam. Die Promenaden blühten und grünten. Leontine sog die balsamische Luft vor der Stadt mit Entzücken ein und nicht ohne Wehmut. Es war seit einem Jahr so vieles unklar in ihr Innerstes, so vieles unvermittelt eingedrungen, so vieles, was ihr Freude und Schmerz zugleich verursachte. Ihre Stimmung war die einer Genesenden. Sie wurde durch alles, was sie wiedersah, gerührt. Und wenn sie sich die beiden holden Kinder vergegenwärtigte, die ihr, eigentlich ohne besondere Sehnsucht darnach, wie Engel zugeflogen waren, wenn sie zurückblickte auf das, was früher die Goldländer ihrer Sehnsucht gewesen, und wenn sie sich doch dabei nicht sagen konnte, daß sie die Gegenwart unbefriedigt ließ, so konnte sie sich nicht wundern, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Die Gegenwart klammerte sich ihr so fest, so krampfhaft an ihr Bewußtsein an. War diese Gegenwart ganz würdig? Sie prüfte, sie forschte – und sich aufraffend aus dieser weichen Stimmung, erblickte sie hinter Holundersträuchern aus einem entlegenem Wege hervortretend jemand, der sie grüßte. Es war der Sohn des armen Bücherhändlers. Der erste Gruß von Moritz Sancho nach drei Jahren! Gerade heute! Gerade in dieser Stimmung! Sie erwiderte erblassend; sie befahl, rascher zu fahren. Sie geriet in eine Bewegung, die sie zwang, sich ihr Herz zu halten. Sie war in einer Stimmung der Verzweiflung wie damals, als sie ihren Gemahl in Pyrmont zum ersten Mal gesehen und erfahren hatte, daß ihr da die Eltern diesen Mann so ohne weiteres durch Korrespondenz als den Schöpfer ihrer Zukunft auserwählt hatten. Sie hatte ein Gefühl, als müßte sie, um Freiheit zu gewinnen, aus sich selbst entfliehen, und nicht mehr Todesgedanken waren es, die sie durchrieselten, sondern die mächtigsten Lebenstriebe pulsten und trieben das Blut in Frühlingswallungen durch ihre Adern.

Am folgenden Tage meldete man Herrn Doktor Moritz Sancho. Sie besann sich einen Augenblick, ob sie ihn annehmen sollte.

Sie nahm ihn an und – wie einen längstersehnten, »Hülfe bringenden Freund«.


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