Karl Gutzkow
Imagina Unruh
Karl Gutzkow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

In Oos am Fuße des Schwarzwaldes verweilt der von Heidelberg nach Strasburg gehende Eisenbahnzug längere Zeit. Transportwagen mit Reisekaleschen, die für Baden-Baden bestimmt sind, werden hier ausgehängt. Wir sehen deren eine lange Reihe in das grüne Thal fahren, das den Eingang zu dem lieblichsten aller Badeörter bildet. Omnibus, Fußgänger dazwischen, wenig kranke, meist lebensfrohe Menschen, die die duftenden Blüten des Daseins genießen wollen. Es war in der Mitte des August, in der höchsten Höhe der diesmal ungewöhnlich zahlreichen Saison.

Vor allen fesselt uns ein die Nußbaumallee hinauffahrender Landau, vierspännig, aufgeschlagen, hinten mit einem Bedienten und einer Kammerjungfer, drin mit einem jungen Paare. Der Herr, ein munterblickender, frischer, rothwangiger Blondin, in einem weiß und blau gestreiften Sommercostüme, raucht aus einem Korallenpfeifchen behaglich eine Cigarre. Die Dame lüftet den grünen Schleier und läßt aus dem Hute, zum Zeichen, daß sie nordwärts kommen, gleichfalls blonde, lange, goldglänzende Locken hervorrieseln. Ihr lieblicher kleiner Mund ist röther als die zierlich gewundene Korallenspitze ihres Gemahls; denn das ist ohne Zweifel dieser behagliche, blauäugige junge Mann, der sich unendlich wohl fühlt, wieder in seinem eignen Wagen zu fahren. Seine Begleiterin, die in dem Eisenbahnwagen erster Classe von Russen und Franzosen ihrer Schönheit wegen bewundert worden war, theilte diese Meinung nicht; nicht wegen der Russen und Franzosen und ihrer bewunderten Schönheit, sondern weil sie eine gemeinschaftliche Fahrt viel anregender fände, als dies Alleinfahren. Das wüßte ich nicht, bemerkte der junge Mann; in meinem eignen Wagen weiß ich, wo ich bin; da streck' ich mich, da dehn' ich mich, da haben meine Füße Platz, da hat mein Rücken Anhalt, da greif' ich rechts und links in lauter mir bekannte Beutel und Taschen. Und dabei schwoll er ganz üppig den neuen Eindrücken entgegen, die sie nun in dem zum längern Aufenthalte bestimmten Baden begrüßen sollten.

Im Hotel d'Angleterre, beim Eingang in die Lichtenthaler Allee, waren für den Grafen August von Wartenberg mit Gemahlin und Dienerschaft aus Schlesien schon Zimmer bestellt. Imagina fand sich durch Alles, was sie sah, wunderbar bewegt und gedrängt. Diese reizende Gegend erinnerte sie an Bischofswalde. Das Grün der Bäume, die Wiesenmatten, die sich an die Berge hinanschmiegten, die gewundenen Wege der schattigen Promenaden, die düstern Trümmer des grauen Schlosses zur Rechten und links in die Zimmer ihres Hotels von außen die Musik des Cursaals dringend, das Alles beklemmte sie um so mehr, je mehr sie an den bedenklichen Ruf dieses Bades durch ihres Gemahls Erzählungen von einer Menge hier ruinirter Jugendfreunde erinnert wurde. In ihrem heimischen Warm- und Salzbrunn war das Spiel nicht offen getrieben, wie es hier sein sollte. Sie mußte still vor sich hinlächeln, als sie dabei einer vor Jahren geträumten Berührung mit dem Könige Kobalt gedachte, der damals auch Baden-Baden als einen von seinen Heilkräften bedachten Verführungsplatz der Hölle von seinem Minister Nickel hatte nennen lassen. Holde Kindheit! seufzte sie still.

Die wichtigste und feierlichste Aufgabe war nun für August zunächst das Studium der Badeliste. Er ließ sich sogleich deren neueste Nummer kommen und unterwarf sie trotz der schon hereinbrechenden Abenddämmerung am Fenster einer genauen und bei jedem Namen innehaltenden Prüfung. Er war glücklich, eine Menge Bekannte zu finden, die ihm aus Breslau, Berlin, Dresden und den schlesischen Bädern erinnerlich waren. Darüber war es Abend geworden und Imagina hatte keine Neigung mehr, schon heute Toilette zu machen und ihm auf den Versammlungsplatz der schönen Welt zu folgen. Sie ließ ihn allein gehen, zündete sich Kerzen an, öffnete weit die Fenster, in welche der Gesang der Heimchen von den Wiesen drang, nahm eine zierliche Reisemappe hervor, öffnete deren Bramah-Schloß und flüsterte, eine Menge Blättchen vor sich ordnend, still in sich hinein: Was hab' ich nachzutragen! Seit Goethe's Grab auch keine einzige Zeile mehr!

Imagina umfaßte jeden Eindruck, den ihr so plötzlich geändertes Leben bot, noch mit einer Innigkeit, mit einem so bis auf den Grund auskostenden heißen Verlangen, daß es ihr unverantwortlich geschienen hätte, auch nur ein neues Begegniß ihres jungen Lebens flüchtig hinzunehmen und es nicht in seinem ganzen Reize sich immer wieder zu vergegenwärtigen. Eine Reise führte aber deren zu viele auf. Sie mußte zur Feder greifen und sich alle die Wonnen niederschreiben, die sie seit der Abreise von Bischofswalde erfahren hatte. Was nur Dresden, Leipzig, Jena, Weimar Werthvolles und ihre Phantasie Anregendes bot, hatte sie in kurzen Andeutungen, zu künftiger leichterer Erinnerung, sich fixirt, und sie erschrak, daß sie mit ihrem Körper schon in Baden-Baden und mit ihrem Herzen noch im Park von Weimar, unter den classischen Gräbern, war. Sie gab sich auch sogleich das Wort, ihrem Gatten zu erklären, daß sie nicht eher in Baden-Baden ausgehen würde, bis auch ihr Herz, ihre Phantasie, die noch in Thüringen lebten, nachgekommen wären. Unbequem wollte sie ihm darum nicht werden. Sie schrieb und schrieb und brach in ihrer Hast dreimal den Bleistift ab, verwünschte zehnmal die gelbe Dinte des Hotels, kam aber bis zu August's Rückkehr nicht weiter als bis auf die Wartburg nach Eisenach, wo ihr das plötzliche Aufklinken der Thüre durch August einen solchen Schrecken verursachte, daß ihr das Dintenfaß umfiel, gerade bei der Stelle, wo sie von dem Dintenfasse Luther's und dem Wurf nach dem Teufel reden wollte. Sie bebte ordentlich zusammen, als sie auf ihrem sauber geglätteten Luxuspapiere denselben ungeheuern Klex sah, den sie eben beschreiben wollte.

August, zurückkehrend, war voll von allen Herrlichkeiten, die er gesehen hatte. Auch den Koch des Conversationshauses lobte er und analysirte die Sauce eines Hechts, den er zu Nacht zu verzehren sich nicht versagt hätte. Imagina bat ihn himmelhoch, zu schweigen. Sie würde zu verwirrt von Allem, was sie erlebe, sie ersuche ihn anzunehmen, daß sie noch in Eisenach, noch im Thüringer Walde und auf der Wartburg wäre, und sprach nur von dem Blick ins Rhöngebirge und dem rothen Sandstein und den hohen Linden um die Pfarrkirche von Eisenach und von den Schrecken eines Brandes, der dort einmal gehaust hätte, so daß August erst lachte, dann schläfrig wurde und zu Bett ging.

Am folgenden Morgen hatte er durchaus nichts dagegen, als Imagina erklärte, sie hielte es für eine Sünde, die Eindrücke einer Reise, die Schönheiten der göttlichen Schöpfung, die Erinnerungen der Geschichte so gewaltsam in sich aufzunehmen, daß man Eines auf das Andere stürze. Er hatte am Abend zuviel Stoff zu selbständigen Vergnügungen entdeckt, als daß ihm Imaginens Wunsch, noch daheim zu bleiben, nicht ganz genehm sein sollte.

Nun, mein gutes Kind, sagte er, bleib du also noch in Thüringen und schildere unser Mittagsessen im eisenacher Rautenkranz, bewege dich dann langsam nach Buttlar, Hünefeld und Fulda, ich werde hier in Baden-Baden indessen spazieren gehen.

Imagina hatte trotz ihres phantastischen Sinnes doch ein Talent, sich eine anmuthige Häuslichkeit zu schaffen. Schon als Kind wußte sie in einem kleinen Stubenwinkel sich ein Paar Stühle hinzustellen und sich daraus im Geist einen Feenpalast zu zaubern. So veränderte sie auch gleich hier die ganze Ordnung des Zimmers, stellte ein Möbel dort, das andere dahin, nahm eine grüne Decke, legte sie auf einen Tisch, den sie durch Ausbreitung von allerhand kleinen wenig kostenden Kostbarkeiten und Nippes zu einem Schreibbureau umwandelte. Auf ein Sopha hingestreckt, träumte sie, von August allein gelassen, und übersann, wie sie hierher gekommen, was sich alles seit Wochen mit ihr begeben hatte, wie sie so aus der Pension in die Ehe hatte treten müssen... Stoff genug für sie, sich in ein langes, langes Dämmern zu verlieren. Zwischendurch verfolgte sie auf dem Papiere, bald zeichnend, bald schreibend ihre Reise.

Es war der erste freie Augenblick, der ihr eine ungestörte Selbstbetrachtung erlaubte. Sie lebte noch einmal durch, was ihr jetzt ganz unglaublich vorkam. Der Vater tritt zu Madame Milde ein, nimmt sie in die goldene Gans mit auf sein Zimmer, klingelt, der Gendarme Fritze ruft den alten Grafen Wartenberg, der nach Art schäkernder alter Polterer sie herzhaft beim Kopf nimmt und ihr ein Dutzend derber Landküsse auf die Lippen drückt – die Alten lachen, von einem Mann wird gesprochen, vom jungen Grafen August, der per Expressen von den Gütern verschrieben werden soll, sie wird heirathen, einen jungen Mann, von dem ihr die besten und schönsten Dinge erzählt werden, Contracte werden mitten unter Wollsäcken geschlossen, Geldsummen hüben und drüben ausgeworfen, Bestimmungen über die Religion der erwarteten Kinder niedergeschrieben; der Versprochene erscheint, freundliches, wohlwollendes Zutrauen in seinen Mienen, nichts an ihm störend, die Ceremonie an zwei Altären, einem katholischen und einem evangelischen, das Band mußte ihr um so fester dünken, als es zwei Priester segneten – sie setzen sich in einen Reisewagen, fahren in die Welt hinaus und sind nun hier in Baden-Baden, nicht anders, als wie aus den Wolken gefallen!

Stundenlang mußte sie sich mit dem Durchleben dieser Abwechselungen beschäftigt haben, denn es war Mittagszeit, als August zurückkehrte und sie lachend fragte: Wo bist du jetzt?

Sie blickte auf das Papier und sah, daß sie inzwischen doch Manches niedergeschrieben hatte, und sagte: Vor dem Denkmal des heiligen Bonifacius!

Noch in Fulda also? bemerkte er mit gutmüthigem Spott, freute sich aber im Stillen auf die reizende Aussicht einer langen zerstreuenden Selbständigkeit. Athemlos wie er war, mußte sie nun aber doch Manches von Dem, was er erlebt hatte, mit anhören. Er konnte, während sie auf dem Zimmer aßen, nicht Worte genug finden, welche interessante Gesellschaft sich hier zusammengefunden hätte, die berühmtesten Personen des high life von London, eine Menge Diplomaten aus Paris, Wien, Turin, eine ganze Suite, wie er sagte, von Russen, die alle jetzt aus Italien herüberkämen; man arrangire, fuhr er französisch redend (um mich zu üben, bemerkte er) fort, man arrangire Landpartien nach Schloß Eberstein, Pickenicks nach der alten Burg von Baden, Jagdausflüge, zu welchen der Spielpächter Benazet die Hunde, der Staat das Wildpret liefere; er hätte versprochen, an Allem Theil zu nehmen, zu jagen, zu reiten, zu fahren, zu essen, zu trinken –

Auch zu spielen? fragte Imagina.

Gutes Kind, sagte August, beruhige dich! Die grünen Tische sind so belagert, daß nur ein Spieler von Gewerbe sich durchdrängen kann. Wer nicht einen Stuhl nimmt, eine Karte zum Punktiren, seine Angriffstruppen neben sich ausbreitet, kommt da gar nicht an: ich spiele nicht und brauche meine Zeit lieber zu Vergnügungen, wie ich sie hier gar nicht erwartet hätte. Uebrigens, setzte er kleinlaut hinzu, ist Alles auf den Augenblick gespannt, wo du zum ersten Male auftrittst. Heute Abend werd' ich sagen, du wärst noch in Fulda, wo wir im Kurfürsten –

Er wollte sagen: recht sanft geschlafen haben, und schlief statt dieser Phrase selbst ein, wie es immer nach Tische seine Gewohnheit war. Imagina ließ aber inzwischen anspannen, bezahlte reichliche Trinkgelder und sprengte – das heißt auf dem Papiere – in sausendem Galopp der einförmigem Gegend hinter Schlüchtern zu. In Gelnhausen fesselte sie ein schiefer Thurm und sie zitterte, als ihr dabei wie ein Harmonikaklang ins Ohr tönte: Pisa. So etwas, wie Pisa, wagte sie noch gar nicht zu denken, obgleich die Schweiz doch diesmal auch schon gesehen werden sollte. Schon war sie auf dem Hirschgraben in Frankfurt am Main und faltete sinnend in Goethe's Geburtshause die weißen Hände, als August aufwachte, neue Toilette machte und sich mit einem Kuß zum erneuten Besuche des Conversationshauses empfahl.

Am folgenden Morgen kam endlich Imagina selbst in Baden-Baden an, und nun hatte sie eine unwiderstehliche Sehnsucht, alles Das, was August bereits so hinreißend gefunden hatte, auch ihrerseits in Augenschein zu nehmen. Er eilte sich gerade nicht, sie seinen Vorsprung einholen zu lassen. Doch entschied er sich endlich, am folgenden Tage, sie bei einer Art Corsofahrt, die gegen Untergang der Sonne in der Lichtenthaler Allee stattfände, in die fashionable Welt Badens einzuführen. Der leichte und elegante Reisewagen wurde gesäubert, die farbige Seite der Polster und Kissen herausgelegt, Andres (denn dieser war als Diener von Bischofswalde gefolgt) mußte seine Staatslivree, hellblau und gelb, anziehen und eine Stunde währte es, bis August mit seiner eignen Toilette und der seiner Frau, die darüber in eine wahre Angst kam, fertig wurde. Endlich gab er ihrem himmelblauen Kleide, dem Spitzenkragen, dem Hute und Schleier seinen leidlichen Beifall und hinaus bogen die Rosse in die Abendschatten der Lichtenthaler Allee. Bald auch wurde das Paar bemerkt, und Imagina erstaunte über die große Zahl der Bekanntschaften, die August schon gemacht und zu grüßen hatte. Zweimal ging es bis zum Kloster auf und ab, Imagina athmete den reinsten würzigen Wiesenduft und verneigte sich traulich jedem Gruße, den sie empfingen. Sie machte Aufsehen, ohne es zu wissen, und auch vielleicht August wußte es nicht.

Aus einer eignen schweigsamen Stimmung befreite ihn endlich ein lautes, fernherschallendes Pferdegetrappel. Eine lange Cavalcade von Damen und Herren zu Roß sprengte in die Allee, mäßigte dort ihren Lauf und hielt noch einen Paraderitt mitten unter den Wagen, in welche sich mehre der Reiter und Reiterinnen hineinbeugten. August's Landau war sogleich von dem ganzen Schwarm umringt und nun erstaunte Imagina, wie heimisch ihr Gatte schon geworden war, während sie schüchtern die neugierig kritisirenden Begrüßungen erwiderte. Eine Dame aber vor allen Uebrigen drängte so dicht an den Wagenschlag mit ihrem Miethroß, blickte so neugierig unter Imaginens Hut, ließ die Reitgerte so tänzelnd in der Luft spielen und ergoß sich in einen solchen Strom von zärtlichen Versicherungen ihrer Ungeduld, die Gräfin Imagina kennen zu lernen, daß diese über und über erröthete und kaum ihr ängstlich klopfendes Herz halten konnte.

Sie werden doch am Conversationshause absteigen, hieß es französisch aus dem Munde aller dieser muntern Gesellschafter, und die kleine schwarze Dame vor allen bat so flehentlich, dort die Musik zu hören und ihr das Glück dieser ersehnten Bekanntschaft gleich in vollem Maße zu schenken, daß sie die Versicherung gab, später dort erscheinen zu wollen. Darüber sprengte die Suite fort und Imagina athmete wie erlöst auf.

Nicht wahr, amusante Gesellschaft? sagte August nach einer drückenden Pause.

Wer ist die kleine freundliche schwarze Dame? fragte Imagina.

Die Seele der ganzen Saison, antwortete August, eine Frau comme il faut. Sie gibt für Alles den Ton an. Sie arrangirt die Partien, sie vermittelt die Bekanntschaften, für jeden Tag weiß sie etwas Neues, ein Weibchen wie Quecksilber, hin und her, witzig, geistreich, belesen, äußerst charmant.

Imagina fand das auch. Wie heißt die liebenswürdige Frau? fragte sie mit gutmüthiger Unbefangenheit.

Es ist die Witwe eines polnischen Adligen –

Gewiß mit einem schwer auszusprechenden Namen, fragte Imagina, als August stockte.

Nein, nein, mein Herz! Baronin Feodore Zaluska, eine Witwe – wir nennen sie nur Feodore und sie ist so liebenswürdig, daß sie uns auch Allen gestattet, sie mit diesem einfachen Namen zu rufen.

Der Wagen hielt jetzt am Anfang der kleinen Reihe von Verkaufsbuden, die dem eleganten Charakter dieses Schwarzwaldbades neben seinen Naturschönheiten auch etwas vom deutschen Jahrmarkt geben. Das junge Paar stieg aus und Imagina, diese Buden mit tiroler Handschuhen und nürnberger Spielzeug erblickend, setzte sich auch sogleich daraus einige modische Schwarzwaldgeschichten zusammen. Von obenher aus einem Pavillon rauschte Harmonikamusik, und endlich schritten sie über die gekieselte Promenade vor dem Conversationshause. Dort links sind die grünen Tische! sagte August, um sie zu unterrichten. Sie erschrak heftig und zog ihn von jener Seite fort. Der Traum vom Höllenfürsten fiel ihr immer unwillkürlich ein und sie mußte lächeln. Sah denn nicht Alles so heiter, so freundlich, so menschenglücklich aus?

Nach längerm Harren und Wandern durch das zuletzt ermüdende Gewühl erschien in Begleitung ihrer Kammerjungfer Feodore Zaluska, höchst geschmackvoll umgekleidet, von einer Grazie und Eleganz, die Imagina beinahe beängstigte. Sie war in der That kleiner als diese, aber unendlich beweglich, sehr zierlich gebaut, von großer Anmuth in den Formen des Gesichts und von einem sprechenden Ausdruck ihrer blitzend schwarzen Augen. Imagina wußte nicht, wie ihr geschah, da sie von dieser ihr doch ganz fremden Dame wie mit Zärtlichkeiten überschüttet und von Schmeicheleien erdrückt wurde. Diese Feodore, die rechts und links die Grüße der fashionablen Welt mit Gleichgültigkeit erwiderte, schien sich ihr unterzuordnen. Alles an sich sah sie plötzlich bemerkt, hervorgehoben. Feodore hatte die schönsten Worte für ihren Wuchs, für ihr Haar, für diese goldnen Locken, die in der That durch die inzwischen einbrechende Nacht zu leuchten schienen. Alles an ihr rühmte Feodore, sogar ihre Toilette, und was sie am meisten überraschte, ihre, wie sie wußte, mangelhafte französische Aussprache.

Das auf- und abwandelnde Kleeblatt setzte allmälig Blatt an Blatt an. Es wurde ein ganzer Strauß von Herren und Damen und, wie man bald sah, das Bouquet der Gesellschaft. August gab Feodoren den Arm, und da es kühl wurde, forderte man sie auf, in die Säle einzutreten. Dies war für Imagina ein tödtlicher Schreck. Sie kam sich in ihrer Furcht lächerlich vor, aber es war ihr unmöglich, in die schimmernden, kerzenerhellten, jetzt von Musik rauschenden Säle zu treten; denn zwischendurch hörte sie das sonderbare Klimpern des Geldes und den grellheisern Ton des Einharkens und Einscharrens der von der Bank gewonnenen Summen. Sie wußte allerdings, daß die Geschichte von ihrem König Kobalt und von den heißen Teufelsquellen ein Märchen war, das zum größten Theil dem alten plaudernden Obersteiger in Bischofswalde gehörte, aber wenn sie erwog, wie viel sie nun heute schon erlebt hatte, wie rauschend das Alles um sie herwogte und wie still es daheim in ihrem Zimmer jetzt sein müsse, so glaubte sie es wagen zu können, eine Caprice zu haben. Sie schlug den Besuch des Saales aus. August war freilich sehr verstimmt darüber und ärgerte sich, sie nach Hause begleiten zu sollen; aber im dunkeln Schatten harrte ja Andres mit einem Shawl und ein weltberühmter Virtuose, der zur Gesellschaft gehörte und von einigen emancipirten Russinnen »fürchterlich« angebetet wurde, erbot sich, sie an das »à deux pas« gelegene Hotel d'Angleterre zu geleiten. Die gute Imagina wußte gar nicht, welch ein Glück ihr widerfuhr und wie sie von den emancipirten Russinnen beneidet wurde! August blieb mit Feodore und den Uebrigen. Sie selbst schlüpfte wie eine Sylphide unter den nächtlichen Schatten des flüsternden Laubes hinweg. Der Virtuos, der ganz erstaunt war, wie jemand in seine Nähe kommen und nicht vor ihm in Liebe und Bewunderung vergehen konnte, sprach etwas von quatre mains und von einer ihr bestimmten Widmung seiner im Druck erscheinenden neuesten Transscription. Sie hauchte eine verbindliche Phrase, hatte die kleine Oosbrücke erreicht, stand vor den Orangenbäumen des Portals zu ihrem Gasthofe und wußte nicht, wie sie oben in ihren Zimmern zur rechten Besinnung auf alles Das kommen sollte, was sie heute so neu und wildfremdartig erlebt hatte.


 << zurück weiter >>