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10.
Warten

Stadtrat Klipp war im Gespräch mit der Orber so zapplig, daß die Schauspielerin beschloß, mit ihm im Auto zur ›Flamme‹ zu fahren, sie wollte im Wagen warten, länger als eine halbe Stunde konnte die Unterredung nicht dauern, Klipp sollte sich, so hatten sie nach langer Beratung beschlossen, auf Details gar nicht einlassen, im Grunde sollte er nur die Brücke zu Diamantidi bauen, Diamantidi, der auf die Unterhaltung mit dem Flammen-Menschen brannte, mochte selber die Operation morgen vormittag vornehmen. »Warum sollen Sie die Kastanien aus dem Feuer holen? Machen Sie's so kurz wie möglich ab. Wenn Sie die beiden, die ja zueinander gehören, weil sie miteinander verwandt sind, zusammenbringen, so verpflichten Sie sich beide. Das Angebot Diamantidis würde ich gar nicht vorbringen, sonst sitzen Sie auf einmal in der Tinte.«

Klipp wurde ruhig, wenn er ihre samtne Stimme vernahm, er war voll Dankbarkeit, aber er wagte nicht, mehr als ihre Hand zu küssen, als er aus dem Wagen stieg.

Die Orber saß im Dunkeln. Draußen leuchtete, glitzerte, blitzte eine abendliche Großstadtstraße, der Lärm eines Geschäftsviertels, das seine Rollbalken herunterdonnerte, umgab sie. Eilige, geschäftsbefreite Menschen rannten vorüber, Straßenbahnen kreischten, Autolichter blendeten sekundenlang. Sie saß ganz zurückgelehnt, ganz im Finstern. Einmal preßte ein frecher, junger Bursche sein Gesicht an die Scheibe, neugierig, wer da im Finstern sitze, vielleicht ein Dieb, der etwas stehlen wollte, er fuhr zurück, als das weiße Gesicht der Orber sich aus dem Dunkel ins Licht bewegte.

Die Unterredung dauerte länger als die Orber gedacht hatte. Jetzt saß sie vorgebeugt und beobachtete die Leute, die aus dem bunt betafelten Haus traten, dicke Kaufmannsfrauen holten ihre Männer ab, Schreibfräulein trippelten geduldig auf und ab, bis der Verehrer kam, das Licht in vielen Läden wurde ausgelöscht, der Portier schob die Torgitter vor, so daß nur mehr ein kleiner Spalt für den Verkehr übrig blieb.

Mary wurde müde, lehnte sich wieder ins Dunkel zurück und wartete. Es dauert viel zu lang, sagte sie sich, da geschieht eine Dummheit. Sie mußte über sich selbst lächeln: War sie auf einmal um den zappligen kleinen Mann besorgt?

Jetzt war die Straße beinahe leer. Kein Laden mehr offen. Dunkelheit.

Der Portier stand mit den Schlüsseln wartend vor dem Tor.

Da riß Klipp die Wagentür auf.

»Wohin soll er fahren?« fragte die Orber.

»Ich weiß nicht, meinetwegen in den Stadtpark.« Er war vollkommen außer Rand und Band.

Die Orber blieb ruhig im Hintergrund sitzen und wartete: Er wird schon reden.

»Darf ich ein Fenster öffnen?« fragte Klipp, »es ist so heiß.«

»Natürlich.«

 

»Ich habe die ärgste Dummheit meines Lebens begangen, morgen bin ich unmöglich gemacht. Ich sehe schon die morgige ›Flamme‹: ›Stadtrat Klipp als Bestecher.‹ Es ist furchtbar, ich bin erledigt, ich werde mein Mandat niederlegen.«

»Wollen Sie nicht geordnet und ruhig erzählen? Es wird nicht so schlimm sein.«

»Darf ich den Hut auf den Boden legen? Am liebsten zög ich den schweren Mantel aus.«

»Nein, behalten Sie den Mantel an. Es ist gar nicht warm. Jetzt kommen wir zum Stadtpark, das Fenster ist offen.«

»Ja, also, ich will der Reihe nach erzählen. Zuerst sprach ich ihn allein. Das erste war, daß er mir einen Scheck auf zwölftausendvierhundert Mark gab, er mir! ... ›Damit wollte Diamantidi meinen Bruder kaufen. Ehe ich Sie anhöre, müssen Sie diesen Scheck für Diamantidi nehmen.‹ Ich weigerte mich, denn ich wußte von diesen zwölftausend Mark nichts, ich weiß nur, daß dieser Bruder Raoul ein Tunichtgut ist, der jeden anpumpt.«

»Ich kenne ihn, er hat ein paar Mal im Stadttheater gespielt, hübscher, eleganter Mensch.«

»Roth nannte ihn anders. Wenn ich das Gespräch führen wollte, mußte ich den Scheck nehmen.«

»Sie nahmen ihn und geben ihn weiter, das ist noch kein Unglück.«

»Nein, das ist Nebensache, obwohl es morgen in dem Artikel eine Rolle spielen wird. Aber neben der großen Dummheit ist es Nebensache ... Nun sagte ich ihm, wie wir besprochen hatten, daß Diamantidi ihn morgen vormittag auf neutralem Boden, im Renaissanceklub, unter vier Augen sprechen wolle. Roth antwortete: ›Wozu?‹ Ich sagte: ›Das weiß ich nicht.‹ ›Schön‹ erwiderte er, ›wozu geben Sie sich dann zu so unnützen Gschaftlhubereien her?‹ Das Wort ärgerte mich. Ich stand auf, ich war entschlossen, sofort zu gehn. Da sagte Roth: ›Sie wissen, daß ich Ihren Besuch und den an meinen Bruder verübten Bestechungsversuch morgen an der Spitze der ›Flamme‹ veröffentlichen muß.‹ Das traf mich, aber ich war auf jede Wendung vorbereitet und so erwiderte ich, daß ich es für keine Schande halte, den verlornen Streik durch eine Vermittlung im letzten Augenblick friedlich zu beenden. Da hatte er die Frechheit, an den Schreibtisch zu gehn und zwei blaue Aktenfaszikel hervorzuholen. ›Das sind die Betrügereien der Familie Diamantidi und ihrer Anhänger,‹ sagte er, auf das eine Bündel deutend, ›besonders die Geschichte seines Bruders.‹ Von dem zweiten Bündel redete er nicht, ich bin überzeugt, es ist aller Klatsch und Tratsch, der über mich kursiert. Ich muß leider gestehn, daß ich in diesem Moment die Nerven verlor. ›Daß Sie neuntausend arme Teufel ins Elend bringen, das ist Ihnen schnuppe!‹ schrie ich. ›Vollkommen‹, sagte er mit einem perfiden Lächeln. Dann hatte er die Kühnheit, auf mich zuzutreten und mit einem geradezu vertraulichem Ton zu sagen: ›Ich habe Sie überschätzt, ich habe Sie nicht für einen Schwätzer gehalten, ich glaubte, Sie werden einen Friedensvorschlag bringen, über den sich reden läßt‹. Da konnte ich mich nicht länger halten, ich erzählte ihm, daß Diamantidi den Streik für nebensächlich halte, aber er, Roth, interessiere ihn. ›Wenn Sie morgen mit ihm zusammenkommen, wird er Ihnen ganz große Vorschläge machen.‹ Da forderte er mich auf, ans Telephon zu gehn und die Informationen zu verlangen, die ich vernünftigerweise gleich hätte mitbringen sollen. Sein anmaßender Ton reizte mich, ich antwortete, daß ich gar nicht nötig hätte, ans Telephon zu gehn. Damit war, ich muß es leider gestehn, alles preisgegeben, in fünf Minuten hatte er mir Diamantidis Angebot aus der Nase gezogen, die Überlassung des einen Warenhauses, den Umbau als Druckereigebäude, den Ausbau der ›Flamme‹, die neunundvierzigprozentige Beteiligung Diamantidis und die Errichtung des großen Kinderasyls, wie es die Willessen verlangt hat. Als er alles wußte, hielt er die Hand vor den Mund und überlegte; kein Zweifel, daß ihm der Vorschlag zu Kopf gestiegen war, ich kann schwören, daß er mindestens fünf Minuten mit sich gekämpft hat, dann sagte er bloß: ›Schade‹, läutete, zwei dicke Leute, eine kugelrunde Frau und ein beleibter Mann, die offenbar bestellt waren, traten ein, und ohne sich einen Augenblick um meinen Widerspruch zu kümmern, sagte Roth: ›Hören Sie an, wie viel Diamantidi sich die Bestechung der ›Flamme‹ kosten lassen will.‹ Er erzählte alles, was ich ihm gesagt hatte und wollte die Sache gar noch in einem Protokoll festlegen, wirklich, er wollte in meiner Gegenwart ein Gedächtnisprotokoll diktieren, wahrscheinlich hat er so was ähnliches verfaßt, ich aber packte meine Sachen und lief davon. Es ist alles verloren, Diamantidi wird rasen.«

»Schließen Sie das Fenster, die Stadtparkluft ist zu kalt«, sagte Mary. »Diamantidis Rasen ist mir gleichgültig. Aber Sie tun mir leid. Lassen Sie uns nachdenken.«

Die Orber ließ das Auto zum ›Goldenen Kreuz‹ fahren. Zum Glück war Adam da. Er mußte in den Wagen steigen.

»Wollen Sie zu mir?« fragte Mary.

Klipp nickte. Er war vollkommen zusammengebrochen.

»Zuerst bringen wir Adam zur ›Flamme‹.«

Würz wollte protestieren, aber Mary hatte jetzt eine Festigkeit, der man sich fügen mußte: »Hör zu, Adam. Klipp hat in seiner Gutmütigkeit, denn er ist wirklich gut, eine große Dummheit gemacht, und du bist der einzige, der uns«, sie sagte ›uns‹! »herausreißen kann. Du mußt sofort zu Roth fahren, wir bringen dich jetzt hin. Du wirst zum erstenmal in deinem Leben deine bequeme Passivität aufgeben und dich für einen andern einsetzen. Wir bitten dich zum erstenmal um deine Hilfe.«

Adam stutzte zuerst: Warum sagt sie denn immer ›wir‹? Aber ihr Ton war so bestimmt und dringend, daß er einsah, hier hatte er nicht zu fragen.

»Und Sie kommen zu mir herauf«, sagte Mary zu Klipp, »und trinken einen kräftigen Kognak. Den brauchen Sie heute, im übrigen hätte ich Lust, Sie unter meine Vormundschaft zu stellen.«

 

Die Redaktionszimmer warm hell erleuchtet, als Adam vor dem Hause der ›Flamme‹ abgesetzt wurde.

Roth las gerade der Frau Speyer und dem Gewerkschaftssekretär das Gedächtnisprotokoll vor. Er war im Zustande der Faszination, seine Augen funkelten elektrischer denn je, seine Haare, durch die er ununterbrochen seine Finger gleiten ließ, waren zur seidenen Löwenmähne aufgesträubt, dann und wann klatschte er ausgelassen in die Hände. Am liebsten wäre er dem eintretenden Adam um den Hals gefallen, er glaubte, der Blonde käme bloß aus Interesse und Solidarität.

»Endlich kommen Sie«, sagte er, während er Adams Hand fast zerbrach. Aber irgend etwas war in Adams Haltung, das ihn zur Besinnung brachte. »Bringt Sie etwas Besonderes her?« fragte er, plötzlich war Mißtrauen in seinem Blick.

»Eigentlich nicht,« antwortete Würz, »ich wollte vor allem hören, was los ist.«

Die Speyer war ganz aufgekratzt: »Siehst, Koch,« sagte sie zum Gewerkschaftssekretär, »ich habe dir immer gesagt, dem Roth tut ihr Unrecht, er hat schon die richtige rücksichtslose Methode. Erscheint das Protokoll morgen?«

»Hetzen Sie mich nicht. Vielleicht ist es bester, Diamantidi zappeln zu lasten. Was meinst du, Koch?«

Kochs Verdrossenheit war nicht auszutreiben: »Ich glaube, das müssen wir erst gewissenhaft durchberaten.«

Der Flammen-Mensch, immer durchs Zimmer trabend, empfahl auf jeden Fall für morgen abend eine Massenversammlung der Streikenden einzuberufen. »Vielleicht lassen wir dort die Bombe platzen.«

»Alles muß überlegt werden, nur nichts überhasten.« Koch widerstand dem Feuer wie nasses Holz, »schließlich ersetzen die schönsten Enthüllungen nicht das fehlende Geld. Ich weiß nicht, ob es klug ist, die Leute, denen man keine zehn Mark geben kann, zusammenzurufen. Überschlafen wir die Sache.«

»Natürlich,« höhnte Roth, »überschlafen, das ist das wichtigste Prinzip.«

Koch stand auf. Die Speyer auch.

»Überschlafen,« sagte Roth noch einmal, »überschlafen, das ist euer Lieblingswort. Ihr möchtet am liebsten in die neue Gesellschaft hinüberschlafen.«

Koch lachte: »Der Vergleich ist gar nicht so schlecht, vor dem neuen Tag liegt ja eine Nacht voll Schlaf, wenigstens bei uns, die nicht so genial sind wie du.«

»Schlaft euch zum Teufel«, antwortete Roth schon wieder lustig und begleitete die beiden hinaus.

Als er zurückkam, reichte er Adam noch einmal die Hand. »Wissen Sie, daß ich Ihnen um den Hals fallen möchte?«

»Um Gottes willen!«

»Fürchten Sie nichts. Aber das hab ich mir gewünscht, als ich Sie damals im Wartezimmer des Justizrats aufgabelte. Sie sollen an solchen Abenden bei mir sitzen, mit jemandem muß ich schwatzen, nicht bloß die Nerven wollen das. Wissen Sie, was geschehen ist?«

»Ich bin durch Klipp unterrichtet.«

Roth lachte: »War er schon bei Ihnen? Zerschlagen? Geknickt? Erledigt? Er hat mir selber leid getan, während ich ihn sozusagen operierte.«

»Wird er morgen geschlachtet?«

Roth sprang auf und begann wieder durchs Zimmer zu traben: »Würz, was denken Sie von mir? Warum denn? Das war ja ein ganz unnötiger Mord. Nicht einmal ein Lustmord. Nein, den Mann werden wir noch einmal brauchen können! Kein Wort gegen ihn! Beruhigen Sie ihn nur, ich denke gar nicht dran, ihn preiszugeben. Er ist ein guter, dummer Bauernknabe. Wenn es Ihnen angenehm ist, können Sie ihn gleich anrufen, auch er soll alles überschlafen, wie Koch sagt, übrigens hat das Angebot Diamantidis, das muß man ihm lassen, Stil, großen Stil. Das Haus am Bahnhofplatz könnten wir sehr gut brauchen, und die ›Flamme‹ dreimal täglich herausgeben, wär auch ein Vergnügen, und eine eigene Druckerei will ich schon seit einem Jahr errichten. Dazu noch das große Kinderheim, Willessenstiftung, das würde sich vor der Öffentlichkeit ganz gut machen. Dieser Esel, der Diamantidi, warum kommt er nicht selbst? Warum schickt er diesen Bauernknaben? Warum macht er diesem dummen Streik nicht erst ein Ende? Zwei Leute, wie er und ich, könnten sich schon verstehn, vorläufig, eine Weile wenigstens. Er soll nur das halbe Bürgertum auffressen, das ist nützliche Vorarbeit, dann erst werden wir ihn tranchieren. Aber eine Zeitlang könnten wir sehr gut nebeneinander gehn ... Auf jeden Fall bringen wir morgen keine Zeile. Auch die dumme Brudergeschichte nicht. Das können Sie dem Klipp bestellen, auch die Brudergeschichte bleibt vorläufig noch liegen ... Was würden Sie zu so einem großen Glashaus am Bahnhofplatz sagen? Im Parterre die Druckerei, im ersten Stock Setzerei und Administration, im zweiten Stock Redaktion und Archiv der Auskunftei und oben einen Klub für Setzer und Beamte, Speisehalle, Sportsaal, Leseraum. Schade! Wie dumm der Klipp die Sache angefangen hat! Wenn ich der Leitermeyer zu Hause erzähle, daß wir aus dem Streik ein Kinderheim holen könnten, liegt sie mir Tag und Nacht in den Ohren. Schade! ... Na, rufen Sie jetzt Ihren zappelnden Stadtrat an und geben Sie ihm eine Beruhigungspille.«

Adam versuchte, die telephonische Verbindung herzustellen. Niemand meldete sich.

»Dann fahren Sie rasch zu ihm.«

Merkwürdig, dachte Adam, diese Fürsorge für Klipp, dahinter steckt etwas anderes.

»Wo wohnt denn der Stadtrat?«

»Ich weiß es nicht.« Er hütete sich, Roth zu verraten, wo er den Stadtrat treffen werde.

»Wenn es nicht zu spät wird, könnten Sie bei uns oben noch ein Glas Wein trinken. Fräulein Leitermeyer schwärmt für Sie, und ich würde diesen Diamantidi-Vorschlag gern noch nach allen Seiten drehen. Schade! Das Haus am Bahnhofplatz läge nicht schlecht. Wir hätten für die Expedition der Zeitung einen halbstündigen Vorsprung vor den anderen Blättern. Kommen Sie noch auf einen Sprung zu uns.«

Gott bewahre, dachte Adam, daß ich freiwillig mich auf eure muffigen Plüschfauteuils setze und Fräulein Leitermeyer I gepolsterten Busenansatz betrachte.

»Ich fürchte, daß Klipp mich nicht leicht loslassen wird, er war so niedergeschmettert, als ich ihn verließ.«

»Kann mir's denken«, antwortete Roth. »Erzählen Sie ihm nur ungeniert, was ich Ihnen sagte, und sagen Sie ihm auch, daß Diamantidi vorläufig noch ein Esel ist. Schade, Schade.«


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