Balduin Groller
Aus meinem Briefkasten der Redaktion
Balduin Groller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung.

Die Sache ist nämlich so: ich habe jahrelang eine große belletristische Zeitung redigiert, »herausredigiert,« wie einer der geschätzten Einsender, dem wir noch zu begegnen das Vergnügen haben werden, treffend zu bemerken beliebte. Einer der vielen mächtigen Bände geriet mir nach Jahren wieder in die Hand. Ich blätterte, ich las – und seltsam – am meisten fesselte mich doch immer die unterste Ecke, der »Briefkasten der Redaktion.« Eine wunderliche Welt tauchte da vor mir wieder auf. In langem Zug erschienen mir die Gestalten der Dichter und der Dichterinnen, deren ich mich standhaft zu erwehren hatte; ich glaubte ihn wieder zu spüren, den beängstigenden Anprall einer Flut von Poesien, von deren Vorhandensein und erstaunlichem Umfang und noch erstaunlicherem Wesen eigentlich doch nur ein belletristischer Redakteur die rechte Vorstellung hat.

Erfreulich ist es nun allerdings nicht, sich ohne Unterlaß, wie der liebe Gott den Tag gegeben hat, mit einer solchen Litteratur und ihren Trägern und Trägerinnen herumzuschlagen, und doch bietet auch das gewisse Anregungen und hat daher auch das seinen Reiz. Mit der einfachen Talentlosigkeit wäre man ja bald fertig; die ist an sich immer uninteressant. Wenn sie sich aber innig verbindet mit kolossalen Selbsttäuschungen, wenn sie beim Mangel aller, aber auch aller vernünftigen und unerläßlichen Voraussetzungen doch noch von einem verzehrenden Ehrgeiz und einer oft geradezu rührenden Sehnsucht nach dem Lorbeer erfüllt ist, dann eröffnet sie Tiefblicke in die Abgründe menschlicher Thorheit, die zweifellos von hohem Interesse sind.

Ein Redakteur muß, ganz selbstverständlich, erbarmungslos sein. Ich bekenne mich schuldig, es gewesen zu sein, aber ich darf hinzufügen, daß es mir oft, sehr oft gar nicht leicht geworden ist. Wenn man sieht, wie einem Menschen das ganze Herz an einer Sache hängt und wenn man so leicht Glück spenden könnte, dann wird es manchmal recht schwer, es nicht zu thun. Das stimmt zur Milde, auch 4 wenn man natürlich nicht nachgeben kann, aber auch der berechtigte Ingrimm über die groteske Schar, die so furchtbar weit abseits von Litteratur und Poesie dichtet, darf sich nicht nach Wunsch gehen lassen. Was so durcheinander dichtet, das sind Abonnenten, und Abonnenten sind, wie eine tiefe Lebensweisheit lehrt, mit außerordentlicher Vorsicht und Zartheit zu behandeln. Ein beleidigter Dichter ist ein verlorener Abonnent, und nur von abgefallenen Abonnenten kann auch die schönste Zeitschrift nicht leben. Auch der erbarmungsloseste Redakteur muß das einsehen. Da nun die Aufnahme unmöglich ist, muß die Abweisung möglichst rücksichtsvoll sein. Man kann da ziemlich weit gehen, ohne ein Spielverderber zu sein. Leute, die so kurios dichten, sind schon glücklich, wenn sie sich nur im Briefkasten gedruckt sehen, und die kritischen Bemerkungen, wenn sie nur mit unschuldiger Miene vorgebracht sind, haben für sie keinen Stachel.

Wie ich so blätterte und mich in Erinnerungen verlor, dachte ich mir, daß es sich wohl verlohnte, einige Perlen der Briefkastenpoesie aus dem Meere der Vergessenheit herauszuholen. Ich könnte wohl zehn Bände damit füllen. Das wäre vielleicht zu viel und könnte die Gefahr der stillvergnügten, sinnigen Verblödung heraufbeschwören, aber ich denke, ein Bändchen wird man mit Genuß lesen, aber man thue es nicht, wenn ein Rat gestattet ist, in einem Zuge. Ein so erlesener Trank will tropfenweise gewürdigt werden. Ich darf das sagen, ohne unbescheiden zu sein. Denn ich bin nicht der Verfasser der schönen Dichtungen, sondern nur der Herausgeber.

Daß alles echt ist und nichts »gemacht,« dafür verbürge ich mich feierlich, eigentlich überflüssigerweise; denn es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß der freiwillige Humor das nicht zu leisten vermag. Hier, meine Herrschaften, sehen Sie, wie das Publikum dichtet, wie es fragt und was es für Wünsche hegt. Bei diesem Buche lege ich die Hände in den Schoß und sehe zu, wie das Publikum für mich arbeitet, und dabei ist es mir, als feierte ich eine Art moderner Saturnalien. Alles ist auf den Kopf gestellt. Der Sklave sitzt auf dem Throne und sieht schmunzelnd zu, wie sein Herr und Gebieter für ihn arbeitet.

Ich hoffe zuversichtlich, daß der geneigte Leser mir dankbar sein wird für die Arbeit, die ich da für ihn verrichten lasse.

Balduin Groller.

 


 


 << zurück weiter >>